Art. 915. Dass die Privilegien der Schiffsgläubiger im Fall eines gerichtlichen oder Nothverkaufes von selbst unter- und auf die Kaufsumme übergehen, wurde bereits zu Art. 904 erläutert. Ausserdem gehen dieselben nothwendig mit dem Erlöschen der Forderungen selbst unter, durch Zahlung, Verjährung etc. Art. 1234 des Code civil. Der gegenwärtige Artikel handelt von dem Untergang der genannten Privilegien im Falle eines freiwilligen Verkaufs. Hier ist nach den meisten Gesetzgebungen die Regel die, dass die Privilegien an sich fortbestehen, und erst nach Ablauf einer gewissen Zeit und unter gewissen Bedingungen untergehen. Der Entwurf schliesst sich hauptsächlich den Bestimmungen des Französ. Code de commerce Art. 193 und 194 an, sucht sie jedoch etwas zu vereinfachen. Die Privilegien sollen nämlich erlöschen, 1, wenn das Schiff nach dem stattgefundenen Verkauf vom Heimathhafen aus unter dem Namen und auf Rechnung des Käufers, und ohne Einsprache der Gläubiger, eine neue Reise gemacht hat, gleichviel ob diese vollendet ist oder nicht, und gleichviel wie lange Zeit sie dauerte, und 2, wenn seit der Abfahrt zu dieser Reise mindestens 60 Tage verflossen sind. Diese Bestimmungen nähern sich am meisten denen des Holländ. H. G. B. Art. 316 und des Span. H.G.B. Art. 599. Im Französischen H. G. B. wird unterschieden zwischen einer vollendeten und unvollendeten Reise und im ersteren Falle nur eine 30 tägige Frist erfordert; die Auslegung der betreffenden Artikel ist jedoch nicht ganz übereinstimmend und es schien einfacher, von diesem Unterschied abzusehen, um so mehr als 30 Tage eine sehr kurze Frist sind. Wird ein Schiff im Ausland verkauft und macht es noch weitere Reisen im Auslande, oder auch nur von anderen inländischen Häfen aus, so bleiben die Rechte der Schiffsgläubiger ungeschmälert. Erst wenn das Schiff in den Heimathhafen zurückgekehrt ist, kann der Verlust dieser Rechte eintreten; denn erst von da an können die Gläubiger ihre Ansprüche gegen das Schiff wirksam geltend machen und insbesondere von dem Verkauf sichere Kenntniss erlangen.
Im Ital. H. G. B. Art. 290 ist einfach eine Frist von 3 Monaten seit dem Verkauf resp. seit der Rückkehr in den Heimathhafen vorgeschrieben, wodurch im Grunde eine gewöhnliche Verjährungsfrist gesetzt ist. Aehnlich im Belg. Gesetz von 1879 Art. 6 unter Voraussetzung der öffentlichen Bekanntmachung des Verkaufs, und im D. H. G. B. Art. 768. Diese letzteren Bestimmungen empfehlen sich durch grössere Einfachheit, allein die Bedingung, dass das verkaufte Schiff von neuem in See gegangen sein muss, ist nicht nur an sich zweckmässig, sondern auch insoferne passend, als durch eine neue Reise die Gläubiger daran erinnert werden, ihre Rechte geltend zu machen.
Wenn die in Art. 915 bezeichneten Voraussetzungen eingetreten sind, hört nur die Haftung des Schiffs nebst Fracht in den Händen des neuen Erwerbers auf. Die Forderung selbst bleibt bestehen und kann gegen den Verkäufer nach wie vor geltend gemacht werden.
Nicht registrirte Forderungen sind nach Art. 915 zu behandeln, gleichviel ob sie privilegirt sind oder nicht. Dagegen findet der Artikel auf die registrirten Forderungen keine Anwendung, und wird es hier vielmehr ebenso gehalten, wie beim Verkauf von Grundstücken, an welchen Hypotheken bestellt sind. Da diese Forderungen in das Schiffs- und Pfandregister eingetragen werden müssen, deren Einsicht Jedermann offen steht, so sind sie als öffentlich bekannt anzusehen und der Käufer kann nicht wohl in die Lage kommen, ohne die grösste Nachlässigkeit seinerseits den Kaufpreis zweimal zahlen zu müssen. In einigen Gesetzen ist im Anschluss hierzu ein öffentliches Aufgebotsverfahren angeordnet, mittelst dessen der Käufer den registrirten Gläubigern Zahlung bis zum Betrage des Kaufpreises anbieten, die Gläubiger dagegen die Versteigerung des Schiffes unter Erbieten eines Preiszuschlages von wenigstens 5—10 procent bewirken können. Französ. Gesetz von 1874 Art. 19—23. Belg. Gesetz von 1879 Art. 150—155. Die Nachahmung dieser complicirten Vorschriften erschien nicht empfehlenswerth; es genügt hier auf Art. 432 zu verweisen, wornach der Käufer eines Pfandobjects die Pfandschuld des Verkäufers aus dem Preise zu berichtigen hat, und auf Art. 915, wornach jeder Schiffsgläubiger, wie insbesondere jeder registrirte Gläubiger, den öffentlichen Verkauf des Schiffes beantragen kann.