旧商法(明治23・26年)

Entwurf eines Handels-gesetzbuches für Japan mit Commentar

参考原資料

EINLEITENDE BEMERKUNGEN
ÜBER DIE PRINCIPIEN UND DEN UMFANG DER HANDELSGESETZGEBUNG.
Bei der Abfassung eines Handelsgesetzbuches für Japan treten vor allem zwei Gesichtspunkte hervor; einmal, dem Handel und der Industrie Japans eine feste und erschöpfende Rechtsgrundlage zu geben, und sodann, die commercielle und industrielle Thätigkeit der Japanischen Nation auf gleichen Fuss mit den übrigen Handelsnationen der Welt zu bringen. Die Vereinigung dieser beiden Gesichtspunkte ergibt die Aufgabe, ein Gesetzbuch herzustellen nach den besten und neuesten Principien, welche als gemeinsame und allgemein anerkannte Handelsgrundsätze der civilisirten Nationen angesehen werden müssen. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist eines der wichtigsten und dringlichsten Interessen für Japan. Für die jetzigen Zustände des Handels und Verkehres, in welche die Japanische Nation eingetreten ist, seitdem sie von ihrer früheren Abgeschiedenheit sich lossagte, können die unvollständigen und zum Theil unbekannten Gewohnheiten und Gebräuche, nach welchen früher der Handel Japans sich richtete, unmöglich genügen. Für viele Rechtsverhältnisse des Handels gibt es in dem bisherigen Recht Japans überhaupt keine Normen ; für andere sind sie ungenügend oder unvollständig. Diese Mängel müssen sich besonders fühlbar machen im Handelsverkehre zwischen Japanischen und fremden Kaufleuten; die Anforderungen des Fremdhandels wirken aber unausbleiblich auch auf den inneren Handel zurück und erzeugen auch in dem letzteren neue Rechtsbedürfnisse, indem es nicht fehlen kann, dass von Jahr zu Jahr der Handel und die, Industrie Japans sich mehr und mehr dem der fremden Nationen assimiliren. Die Nothwendigkeit, den Handel der Japanischen Nation auf den Fuss der Gleichheit mit den übrigen Handelsvölkern zu bringen, tritt demnach auch in Hinsicht des Rechts unabweisbar hervor, und diese Nothwendigkeit wird um so stärker, je mehr die productive Thätigkeit der Japanischen Bevölkerung sich durch die eigenthümlichen Vorzüge der letzteren und durch wachsende Berührungen mit dem Auslande entwickeln. Die jährliche industrielle und commercielle Production Japans ist unzweifelhaft in quantitativer und qualitativer Beziehung in raschem Aufschwunge begriffen. Der Aussenhandel beträgt jetzt Ca 60 Millionen Dollars im Jahr, und hat sich in den letzten zwölf Jahren sowohl hinsichtlich der Ausfuhren als der Einfuhren mindestens verdoppelt. Dass Handel und Industrie im Innern des Landes, trotz einzelner ungünstiger Umstände, im Aufblühen sich befinden, tritt dem Beobachter nach allen Seiten entgegen. Japan hat auf allen Industrie-Ausstellungen der Welt, an denen es sich betheiligte, noch stets eine höchst ehrenvolle Stellung eingenommen. Die gegenwärtige nationale Ausstellung in Tokio bestätigt es in jeder Beziehung, und das allgemeine Urtheil ist einstimmig darüber, dass Japan auf allen Gebieten der Production mit Riesenschritten vorwärts kommt und seit der letzten Ausstellung sich in einem Grade vervollkommnet hat, dass die fremden Nationen bald Mühe haben werden, die Concurrenz mit Japanischen Erzeugnissen zu bestehen. Um diese rapiden Fortschritte zu befestigen und immer mehr zu heben, bedarf es nicht blos der Zunahme des Capitals und der mechanischen Kenntnisse und Kunstfertigkeiten in der Bevölkerung. Es gehört dazu nothwendig auch eine Rechtsverfassung, welche den manichfaltigen Rechtsverhältnissen des Handels Klarheit, Sicherheit und Bestimmtheit verleiht, die verschiedenen Functionen der beim Handel betheiligten Personen mit Ordnung und Zuverlässigkeit bekleidet, unter welcher sich Transport und Credit dem jährlich steigenden Bedürfnisse gemäss entwickeln können, und in welche auch Ausländer, soweit sie unter Japanischer Jurisdiction stehen oder stehen werden, ohne Bedenken eintreten können.
Das Handelsrecht bildet im allgemeinen einen Zweig des civilen Rechts, im Gegensatz zum öffentlichen Recht. Man kann nun die Frage aufwerfen, warum für die Verhältnisse des Handels nicht die Grundsätze des allgemeinen Civilrechts genügen, und warum für dieselben ein besonderes Recht, eben das Handelsrecht, geschaffen wurde? Die Beantwortung dieser Frage wird Gelegenheit geben, die besonderen Eigenthümlichkeiten des Handelsrechts, im Unterschiede von dem Inhalte und dem Character des gemeinen Civilrechts, klar zu machen und damit zugleich auf die allgemeinen Principien hinzuweisen, von denen die Handelsgesetzgebung erfüllt sein muss, wenn sie ihrem Zwecke genügen soll.
Zur Beantwortung der eben gestellten Frage ist vor allem darauf hinzuweisen, dass das Handelsrecht sich zum grossen Theile mit der Ordnung solcher Geschäfte und Verhältnisse zu beschäftigen hat, welche dem Handelsverkehr eigenthümlich sind, und im gewöhnlichen bürgerlichen Leben nicht oder nur in verschwindendem Grade vorkommen. Dies gilt namentlich vom Seeverkehr. Bei allen Handels-Völkern von Bedeutung, seit dem frühen Alterfhum, hat man Schifffahrt und Seehandel vom privaten Rechtsleben ausgeschieden und ihnen ein besonderes Recht gewidmet, um den eigenthümlichen Anforderungen und Verhältnissen des Verkehres zur See zu genügen. Dasselbe gilt vom Frachtverkehr zu Lande, seitdem er durch ungeheure quantitative Zunahme, und durch Anwendung der Dampfkraft, wie bei den Eisenbahnen, über die engen Grenzen des bürgerlichen, privaten Verkehres weit hinausgetreten ist. Dasselbe gilt auch vom Wechsel und anderen Creditpapiren, die ihren eigentlichen Ursprung in den Bedürfnissen des Handels haben und im wahren Sinne des Wortes Handelspapiere sind, obwohl sie ausnahmsweise auch daneben für Zwecke des Privatlebens angewendet werden können. Es gibt aber noch andere Rechtsverhältnisse, welche der Handel zwar an und für sich mit dem bürgerlichen Privatleben gemein hat, die aber doch, so weit sie für Handelszwecke dienen, anders gestaltet werden müssen, als für die Zwecke des gewöhnlichen bürgerlichen Lebens. Dies gilt namentlich vom Kauf und Verkauf, von der Stellvertretung (Agentur), und von anderen obligatorischen Geschäften; sowie auch von der Insolvenz der Kaufleute. Im allgemeinen muss man hier sagen, dass die Regeln des gewöhnlichen Obligationenrechts viel zu schwerfällig, umständlich und unsicher wären für die Bedürfnisse des Handels. Die Geschäfte des gewöhnlichen bürgerlichen Lebens dienen in der Regel nur dem persönlichen Bedürfnisse derer, die sie abschliessen, inmitten eines gegebenen, enge begrenzten Lebenskreises; sie sind vergleichsweise selten, oder soweit sie täglich vorkommen geringfügig. Der Kaufmann dagegen schliesst täglich viele Geschäfte ab, oft mit bedeutendem Objecte; er bedarf der raschesten und freiesten Verfügung über die Waaren und muss sich dabei möglichst unabhängig stellen von Raum und Zeit. Zur Abschliessung und Ausführung seiner Geschäfte bedarf er oft vieler Mittelspersonen und Gehülfen, und diese Geschäfte sind daher nach allen Seiten in der manichfaltigsten Weise verzweigt. Während im Privatleben verhältnissmässige Ruhe und Stetigkeit herrschen, bringt der Handel alles in Bewegung und Wechsel; Waaren auf der einen, Geld auf der anderen Seite sind in beständigem Rollen und wechseln unaufhörlich ihre Besitzer, und die Entschlüsse und Operationen folgen sich in rapider Aufeinanderfolge. Der gemeinsame Grund für alles dieses liegt in der Natur des Capitals, welches das grosse Instrument des Handels bildet. Die Benützung des Capitals bedeutet aber für jeden Unternehmer zwei Dinge: Nothwendigkeit der Reproduction, d. i. des Ersatzes aller Auslagen und Kosten, und Nothwendigkeit des Gewinnes mit Einschluss von Zins oder Interesse. Beide, Reproduction und Gewinn, sind von den persönlichen Bedürfnissen des privaten Lebens ganz und gar verschieden. Im Privatleben kann es keine zwingende Norm für die einzelnen Geschäfte geben, hier unterliegt alles dem individuellen Ermessen, man möchte sagen der Willkür und dem Zufall; im Handel dagegen herrscht durchweg und für alle ein und dasselbe Gesetz mit der gebieterischen Nothwendigkeit des Naturgesetzes. Um dieses Gesetz erfüllen zu können, bedarf der Handel, dessen Wege oft hart an Verlust und Ruin vorbeiführen, einer grossen, von äusseren Formen möglichst unbeengten Freiheit, die Elasticität der Rechtsbegriffe muss so weit als möglich ausgedehnt werden, damit die manichfaltigen Operationen und Verschlingungen des Handels darin Platz finden können. Dagegen sind die verschiedenen Handelsgeschäfte in ihrem Rechtsinhalte so bestimmt und genau zu erfassen, dass für Zweifel und Streit möglichst wenig Raum bleibt, und alle Geschäfte mit thunlichster Schnelligkeit und Sicherheit abgewickelt werden können. Diese Freiheit der Bewegung gebührt aber nur dem reellen auf legitimen Gewinn gerichteten Handelsbetrieb; alle fictiven, schwindelhaften Geschäfte, welche den Schein des legitimen Geschäfts annehmen, um die Speculation auf den Irrthum und die Sorglosigkeit anderer zu ermöglichen, sind möglichst zu unterdrücken. Eine Garantie gegen die Unredlichkeit liegt hauptsächlich in der Oeffentlichkeit, welche gewisse Operationen des Handels der allgemeinen Kenntniss und Prüfung unterwirft; in der Schriftlichkeit und geordneten Buchführung, welche die Flüchtigkeit und Unsicherheit des blossen gesprochenen Wortes abschneidet; und in der Bestimmtheit und Genauigkeit der Anforderungen, welche die Gesetzgebung für die Eingehung der einzelnen Geschäfte aufstellt, um Irrthum und Unentschiedenheit möglichst im Keim zu beseitigen; sodann aber auch in der Strenge der Bestimmungen gegen diejenigen, welche ihre rechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllen, insbesondere gegen insolvente Schuldner. Ehrlichkeit und Entschiedenheit sind nothwendige Grundzüge der Handelsverkehres, für welche das Handelsrecht auf allen Punkten Sorge zu tragen hat. Dadurch wird das gegenseitige Vertrauen befördert, der Credit gehoben, und das Bedürfniss lästiger und hemmender Formen der Rechtsgeschäfte in hohem Grade gemindert. Ein weiteres allgemeines Princip im Handelsrecht ist die völlige rechtliche Gleichheit der Handelspersonen, welche gewissermassen nur als die individuell gleichgültigen Träger des roulirenden Capitals auftreten. Das Handelsrecht lässt die Unterscheidung der physischen und juristischen Personen mit ihren natürlichen Folgerungen zu, aber cs kennt keine Standesunterschiede, wie das öffentliche, und zum Theil auch das civile Recht, welches letztere sich mindestens in wichtigen Unterschieden der Geschlechtes und Alters ergeht. Im Handelsrechte sind alle Personen gleich, aber es muss eben desshalb auch schärfere und bestimmtere Forderungen aufstellen hinsichtlich der Zulassung der Personen zum Handelsbetrieb. Ja, das moderne Handelsrecht kennt nicht einmal einen besonderen Handelsstand, für den es mit Ausschluss anderer Stände oder Berufsclassen zu gelten hätte; sondern es wird nach allgemeiner Uebereinstimmung auf alle Personen angewendet, die sich in Handelsverhältnisse begeben, mithin auf alle Handelsgeschäfte, gleichviel ob sie von Kaufleuten oder von irgend welchen anderen Personen betrieben werden. Das Handelsrecht unterscheidet die Personen nur nach der Natur der verschiedenen Geschäfte, um die es sich handelt, als Schiffer, Principale, Agenten u. s. w., obgleich es allgemein als nothwendig erscheint, einzelne besondere Bestimmungen für diejenigen aufzustellen, welche als Kaufleute den Handel berufsmässig betreiben.
Aus den vorhergehenden Erörterungen ergibt sich als Folge, dass das Handelsrecht sich zum gemeinen Civilrecht verhält, wie das besondere zum allgemeinen. Das Handelsrecht hat, wie das Civilrecht, die Vermögensrechte und Vertragsverhältnisse der Einzelnen als Privatpersonen zum Gegenstand, und insofern sind beiden Rechtsgebieten die allgemeinen Principien des Vermögens und der Verträge gemeinsam. Allein das Handelsrecht unterwirft das Vermögens- und Vertragsrecht einer besonderen Gestaltung, soweit es die besondere Natur und die Zwecke der Handelsgeschäfte erfordern. Soweit daher die Gesetzgebung besondere Handelsnormen aufstellt, kann in Handelssachen das gemeine Civilrecht nicht zur Anwendung kommen; dagegen werden die Grundsätze des Civilrechts überall da ihre subsidiäre Anwendbarkeit behalten, wo sich besondere Normen des Handelsrechts nicht vorfinden, wo also die Gesetzgebung die bestehenden Normen des Civilrechts auch den Bedürfnissen des Handelsbetriebs genügend anerkannt hat. Hier sei nur im Vorbeigehen bemerkt, dass zu den Normen des Handelsrechts nicht blos die ausdrücklichen Vorschriften der Gesetzgebung, sondern auch die Handelsgebräuche zu zählen sind, welche unter stillschweigender Zulassung des Gesetzgebers mittelst thatsächlicher Hebung im Handel beobachtet werden.
Die vorhin erörterten allgemeinen Principien—gleichsam die Luft, von welcher das Handelsrecht durchweht ist,— finden sich in den Handelsgesetzgebungen der verschiedenen Staaten mehr oder minder bis ins Detail wieder. Es ist dies ein practischer Beweis dafür, dass sie in der Natur des Handels begründet und durch die Bedürfnisse des Handels geboten sind. Der Handel hat überall die Tendenz, sieh nach gleichen Grundsätzen zu entwickeln, und verlangt daher auch möglichst gleiche Rechtsnormen, unabhängig von nationalen Grenzen.
Wenn nunmehr Japan das Handelsrecht der westlichen Handelsvölker im wesentlichen zu adoptiren unternimmt, wodurch nicht ausgeschlossen ist, dass es in einzelnen Materien und Punkten seine eigenen Rechtsanschauungen und Rechtsübungen conservirt, so ist dies ein Fortschritt, und eine Nothwendigkeit, der auch die westlichen Völker, in alter wie neuer Zeit, ihrerseits bereits sich unterworfen gesehen haben. Die Römer des Alterthums haben bereits griechisches Handelsrecht und namentlich Rhodisches Seerecht in grossem Umfange adoptirt. Im Mittelalter beobachteten die an den Küsten des mittelländischen Meeres wohnendenHandelsvölker gemeinsame Handclsnormen, besonders im Seeverkehr, die im „Consolato del Mare” und in den „Tafeln von Amalfi” aufgezeichnet waren. Die „Rules d’Oleron”, denen ein englischer Ursprung zugeschrieben wird, beherrschten den Handel, der an den Küsten des Oceans getrieben wurde; die „Hanseatischen Recesse” den Handel der nordgermanischen Städte und Küsten, und das „Seerecht von Wisby” den der skandinavischen Völker. Alle diese verschiedenen Handels- und Seereehtsordnungen stimmten zum grossen Theil unter sich überein, und waren der Reihe nach von einem Volke nach dem anderen adoptirt worden.
Für die moderne Handelsgesetzgebung, insbesondere der südeuropäischen Staaten, ist der französische Code de commerce ein hervoragendes Muster geworden, der seinerseits wieder auf den Ordonnancen Ludwigs XIV von 1673 und 1681 beruht. Das deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 ist im einzelnen selbständiger gehalten, verfolgt aber im wesentlichen die gleichen Principien. England und die Vereinigten Staaten haben keine allgemeine Codification des Handelsrechts, dasselbe beruht bei ihnen, abgesehen von Specialgesetzen über einzelne wichtige Materien, hauptsächlich auf den Jurisprudenz und den Handelsgewohnheiten. Trotz vieler Abweichungen in Einzelheiten, haben auch die Engländer und Nordamerikaner mit den übrigen Nationen im wesentlichen die gleichen Principien des Handelsrechts gemeinsam.
Schon die äussere Anordnung des Stoffes in den verschiedenen Handelsgesetzbüchern ist im Ganzen und Grossen dieselbe, wie aus der beiliegenden tabellarischen Uebersicht des näheren zu entnehmen ist.
Der französische Code de commerce behandelt den gesammten Stoff in 648 Artikeln und in 4 Büchern. Das erste Buch handelt vom Handel im Allgemeinen; das zweite vom Seehandel; das dritte vom kaufmännischen Bankerott; das vierte von der Handelsgerichtsbarkeit.
Das spanische Handelsgesetzbuch von 1830 besteht aus 1219 Artikeln und 5 Büchern. Das erste Buch handelt von den Kaufleuten und Handelsagenten; das zweite von den Handelsgeschäften im Allgemeinen; das dritte vom Seehandel; das vierte vom Bankerott ; das fünfte von der Handelsgerichtsbarkeit.
Das holländische Gesetzbuch von 1838 besteht aus 923 Artikeln und 3 Büchern. Das erste handelt vom Handel im Allgemeinen; das zweite von der Schifffahrt; das dritte vom Bankerott.
Das deutsche Gesetzbuch von 1861 ist eingetheilt in 911 Artikel und 5 Bücher. Das erste handelt vom Handelsstande ; das zweite von den Handelsgesellschaften; das dritte von der stillen Gesellschaft und der Betheiligung an einzelnen Handelsgeschäften; das vierte von den Handelsgeschäften; das fünfte vom Seehandel.
Das italienische Gesetzbuch von 1865 ist eingetheilt in 732 Artikel und 4 Bücher. Das erste handelt vom Handel im Allgemeinen; das zweite vom Seehandel; das dritte vom Bankerott; das vierte von Competenz und Personalhaft in Handelssachen.
Das Gesetzbuch für Egypten, das als Beispiel einer Compilation des Handelsrechts aus der neuesten Zeit, vom Jahre 1874, Erwähnung verdient, zerfällt äusserlich in zwei getrennte Gesetzbücher, nämlich in einen Code de commerce, und in einen Code de commerce maritime; es bilden jedoch diese beiden getrennten Theile in der Sache selbst nur ein zusammengehöriges Ganzes. Der erste Theil handelt im 1. Buch von Handel im Allgemeinen; im zweiten Buch von den Handelsgeschäften; und im 3. Buch vom Bankerott. Der zweite Theil handelt vom Seehandel. In beiden Theilen zusammen ist der gesammte Stoff in 702 Artikel vertheilt.
Ueberblickt man diese verschiedenen Gesetzgebungen, so findet man, dass die drei grossen Abschnitte, nämlich der Handel im Allgemeinen, der Seehandel, und der Bankerott fast in allen gleichmässig anzutreffen sind, und eine Verschiedenheit nur in soferne hervortritt, als der erste Abschnitte, vom Handel im Allgemeinen, in mehr oder weniger besondere Abschnitte zerlegt worden ist. So in Spanien und Egypten in zwei Abschnitte: von den Handelspersonen und den Handelsgeschäften. Im deutschen Gesetzbuch sind daraus vier besondere Abschnitte gemacht worden, indem die Handelsgesellschaften in 2 selbständigen Büchern bearbeitet worden sind.
Eine stärkere Abweichung findet sich in Betreff des vierten Hauptabschnittes des Code de Commerce über die Handelsgerichtsbarkeit. Diese Materie findet sich ausserdem nur noch im spanischen Gesetzbuch. Der italienische Code hat nur vereinzelte Bestimmungen über Competenz und Personalhaft in Handelssachen. Den übrigen Gesetzbüchern fehlt dieser Abschnitt ganz; theils weil es, wie in Holland und zum Theil Deutschland, eine besondere Handelsgerichtsbarkeit nicht gibt, theils weil diese Materie in anderen Gesetzbüchern behandelt ist, wie in Italien und Egypten.
Was nun den speciellen Inhalt dieser Hauptabschnitte betrifft, so ist derselbe im Grossen und Ganzen in den verschiedenen Gesetzbüchern gleichmässig anzutreffen. Auf die Abweichungen im Einzelnen wird zweckmässig erst bei der späteren Bearbeitung der betreffenden Materien einzugehen sein.
Der Abschnitt vom Handel im Allgemeinen zerfallt naturgemäss in zwei Theile: nämlich in die kaufmännischen Personen, und in die Geschäfte des Handelsbetriebes.
Betreffs der kaufmännischen Personen wird in Betracht kommen: 1, wer als Kaufmann anzusehen ist; 2, die Befähigung zum kaufmännischen Betrieb; 3, die allgemeinen Verpflichtungen der Kaufleute in ihrem Betrieb, und hier werden in Betracht zu ziehen sein, Handelsregister, Handelsfirmen und Handelsbücher; 4, die Hülfspersonen der Kaufleute nämlich Procuristen, Bevollmächtigte (Factoren) und Handlungsgehülfen.
In zweiter Linie reihen sich hier an gewisse Arten des Handelsbetriebs, die theils eine persönliche Natur haben, theils aber schon in das Gebiet der Handelsgeschäfte fallen. Hieher gehören die verschiedenen Arten der Handelsgesellschaften, die Mäkler (Agenten) und Commissionäre, sowie die Spediteure. Handelsgellschaften, und die verschiedenen Classen der Agenten sind in der einen Hinsicht Kaufleute und unterliegen insoweit den allgemeinen Bestimmungen über Kaufleute; in der anderen Hinsicht aber dienen sie besonderen Bedürfnissen und Zwecken des Handelsverkehres, und gehören insoferne in die Kategorie der Handelsverträge.
In dritter Linie stehen sodann diejenigen Geschäfte und Verträge, welche vom Standpunkte des Handels abweichend vom gemeinen Civilrecht zu ordnen sind. Hieher gehören zunächst gewisse allgemeine Bestimmungen über Handelsgeschäfte überhaupt, sodann diejenigen Handelsgeschäfte, welche vorwiegend oder ausschliesslich handelsrechtlichen Normen unterliegen, insbesondere Kauf und Verkauf, das Frachtgeschäft, die Versicherung, ferner die Operationen des Credits mittelst Wechsel, Ordrepapieren und Cheques.
In manchen Gesetzbüchern, so im spanischen, finden sich in diesem Zusammenhang auch noch besondere Abschnitte über andere Geschäfte, so über Tauschgeschäfte Darlehen, Depositen und Bürgschaften. Diese Verträge sind handelsrechtlich nicht von hervorragender Bedeutung, indem die Bestimmungen des Civilrechts für sie in der Hauptsache genügen. Im italienischen Gesetzbuch ist ferner ein besonderer Titel über das Faustpfand. Diese Geschäfte sind, in kaufmännischer Beziehung, hauptsächlich im Gebiete des Bankgeschäfts von Bedeutung und werden insoweit durch die einschlagenden Gesetze und Reglements über Bankwesen regulirt. Im Uebrigen wird es von den Bestimmungen des Civilgesetzbuches abhängen, ob das Handelsgesetzbuch sich mit ihnen in besonderen Titeln beschäftigen soll. Zur Zeit, und vorbehaltlich späterer Erwägung, wird ihre Aufnahme in den Entwurf proponirt.
Eine wichtige Materie in diesem Abschnitte bildet das Wechselrecht. Dasselbe findet sich in der Handelsgesetzgebung aller Länder, mit Ausnahme des deutschen Handelsgesetzbuches. Diese Ausnahme hat aber ihren Grund lediglich in der äusseren Thatsache, dass zur Zeit der Abfassung des deutschen Handelsgesetzbuches bereits eine für sämmtliche deutsche Staaten gültige allgemeine Wechsel-Ordnung bestand, vom Jahre 1849, und man kein Bedürfniss fühlte, an dieser Wechselordnung etwas zu ändern oder sie um der blossen äusseren Vollständigkeit willen in das neue Handelsgesetzbuch aufzunehmen. Dass das Wechselrecht einen Bestandtheil der Handelsrechts bildet, wird auch in der deutschen Jurisprudenz nicht bezweifelt; und eine Bestätigung hiefür ist darin zu erblicken, dass Wechselsachen nach der deutschen Gerichtsverfassung vor diejenigen Gerichte gehören, welche im Allgemeinen über Handelssachen abzuurtheilen haben. In der That sind Wechseloperationen wesentlich Handelsoperationen. Der Wechsel ist- ein Handelspapier, oder nach englischem Ausdrucke, a negotiable paper. Er ist auf dem Boden des Handelsbetriebs entstanden, und dient wesentlich den Bedürfnissen des Handelsstandes zur Ausnützung ihres Credits. Allerdings können sich auch andere Personen des Wechsels bedienen; allein dies geschieht entweder nur ausnahmsweise, oder in Verbindung mit Handelsgeschäften, und da es nicht angeht, ein doppeltes Wechselrecht zu schaffen, nämlich eines für Kaufleute, und eines für Nichtkaufleute, so muss die commercielle Natur des Wechselrechts als das überwiegende angesehen werden. Wer einen Wechsel ausstellt oder empfängt, begeht dadurch einen Act des Handels, und da das Handelsrecht nicht blos für Kaufleute gilt, sondern für alle, welche Handelsgeschäfte abschliessen, so muss das Wechselrecht im Zusammenhang des gesammten Handelsrechts geordnet werden. Demgemäss geht die Proposition dahin, das Wechselrecht in seinem ganzen Umfangen, mit Einschluss der Ordrepapire und Cheques, in das Handelsgesetzbuch aufzunehmen.
Der zweite Hauptabschnitt, vom Seehandel, wird überall ziemlich gleichförmig in folgenden Rubriken behandelt: 1, Schiffe und Schiffseigenthümer; 2, die bei der Schifffahrt beschäftigten Personen, als Schiffer und Schiffsmannschaft; 3, die auf den Seehandel bezüglichen Verträge, als Fracht mit Einschluss von Charterpartien etc, Bodmerei, Versicherung; 4, Seeunfälle in ihren vermögensrechtlichen Folgen, Havarie und andere Verluste. Die in neueren Gesetzbüchern enthaltenen Bestimmungen über Beförderung von Passagieren auf Schiften und über Zusammenstoss von Schiffen dürften zweckmässig mit eingereiht werden.
Der dritte Hauptabschnitt handelt vom Bankerott. Dieser Abschnitt findet sich in sämmtlichen genannten Gesetzbüchern, mit Ausnahme des deutschen. Es gibt jedoch eine besondere Concursordnung für das deutsche Reich vom Jahre 1876, die aber nicht als ein Bestandtheil des Handelsrechts anzusehen ist. Nach deutschem Rechte kann über alle Personen der Concurs verhängt werden, und das Gerichtsverfahrn ist in allen Fällen das gleiche. Dieser Auffassung steht am nächsten die englische Gesetzgebung, welche gleichfalls ein allgemeines Bankerottgesetz besitzt, zuletzt vom Jahre 1869. Nach diesem Gesetze können auch Nichtkaufleute dem Bankerottverfahren unterworfen werden, jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen. In der Hauptsache ist das englische Bankerottgesetz mehr für Kaufleute bestimmt, und die englische Jurisprudenz behandelt den Bankerott herkömmlich als einen Bestandtheil des Handelsrechts. Dies ist dasaus zu erklären, dass nach der früheren englischen Gesetzgebung nur Kaufleute dem Bankerottverfahren unterworfen werden konnten, da man dafür hielt, dass einerseits Kaufleute weitaus mehr durch Missbrauch des Credits und der Speculation dem Bankerott ausgesetzt sind, und andererseits andere Personen an dem Bankerott eines Kaufmanns wegen der Verzweigung der kaufmännischen Geschäfte weit mehr betheiligt sind.
Der französische Code, der übrigens durch ein Gesetz von 1838 in dieser Beziehung ersetzt worden ist, handelt nur vom kaufmännischen Bankerott. Die Insolvenz anderer Personen wird, unter dem Namen décomfiture, Vermögensverfall, dem Civilrecht überlassen. Für Kaufleute wird eine doppelte Zahlungsunfähigkeit angenommen, nämlich unverschuldete und verschuldete, faillite und banquéroute. Auf diesem Standpunkte stehen auch das spanische und italienische Gesetzbuch. Das holländische unterscheidet lediglich zwischen Bankerott und Zahlungseinstellung als vorübergehender Unfähigkeit, Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Um noch ein weiteres Beispiel anzuführen, so besteht in Oesterreich eine besondere Concursordnung vom Jahre 1868, nach welcher alle Personen ohne Ausnahme dem Concursverfahren verfallen können; es hat aber dieses Gesetz einen besonderen Abschnitt über den kaufmännischen Concurs.
Der Standpunkt der Gesetzgebung ist hiernach überwiegend der, dass entweder Concursgesetze vorwiegend nur für kaufmännische Personen bestimmt sind, oder dass über den kaufmännischen Bankerott besondere Bestimmungen für nöthig erachtet worden sind.
Im allgemeinen ist das kaufmännische Concursverfahren strenger, schon bezüglich der Einleitung des Bankerottverfahrens und die Besonderheiten des kaufmännischen Gewerbes machen in manchen wichtigen Beziehungen besondere Bestimmungen nothwendig.
Es wird daher proponirt, nach dem Beispiel der Mehrzahl der Gesetzgebungen einen besonderen Abschnitt über kaufmännischen Bankerott in das Handelsgesetzbuch aufzunehmen, und die Bestimmungen über das Concursverfahren im allgemeinen der Civil- oder Specialgesetzgebung zu überlassen. Besondere Bestimmungen über den kaufmännischen Bankerott erscheinen wünschenswerth mit Rücksicht auf die Beförderung des kaufmännischen Credits einerseits, und andererseits auf den kräftigeren Schutz kaufmännischer Gläubiger.
In der Aufstellung eines vierten Hauptabschnittes, über Handelsgerichtsbarkeit, ist dem französischen Code nur das spanische Gesetzbuch gefolgt. In Italien und Egypten gibt es gleichfalls besondere Handelsgerichte, doch sind darüber besondere Gesetze erlassen, getrennt vom Handelsgesetzbuch. In Deutschland gab es früher in einzelnen Staaten, wie z. B. in Bayern, besondere Handelsgerichte; nach der neuen Gerichtsverfassung von 1876 gibt es nur noch besondere Kammern für Handelssachen, die bei den ordentlichen Gerichten erster Instanz errichtet werden. Doch ist die Errichtung solcher Handelskammern facultativ, und in das Ermessen der einzelnen Landesregierungen gestellt. In Oesterreich gibt es theils besondere Handelsgerichte, theils besondere Abtheilungen für Handelssachen bei den ordentlichen Gerichten. In Holland gibt es keine eigenen Handelsgerichte. Dasselbe ist der Fall in England und in den Vereinigten Staaten. Jedoch erkennen hier über seerechtliche Sachen besondere Gerichte, nämlich die Admiralitätsgerichte.
Das Princip der Handelsgerichtsbarkeit liegt darin, dass Handelssachen nur von angesehenen Personen des Handelsstandes abgeurtheilt werden, mithin die Kaufleute in soweit nur unter der Jurisdiction ihrer Berufsgenossen stehen. Doch bezieht sich dies nur auf die Gerichtsbarkeit in erster Instanz; in den oberen Instanzen tritt die Competenz der ordentlichen Gerichte ein wie gewöhnlich. Wenn jenes Princip ein absolutes wäre, so müsste es auch für andere Berufsclassen, z. B. Beamte, Advocaten etc. gelten. In dieser Ausdehnung ist das Princip jedoch nirgends acceptirt, höchstens noch für Gewerbspersonen in besonderen Gewerbegerichten, wie in Frankreich. Dadurch wird eine Ungleichheit herbeigeführt, und die Handelsgerichtsbarkeit erscheint daher als ein besonderes Privilegium der Kaufleute. Dieses Privilegium beruht auf der Auffassung, dass Richter nicht sowohl obrigkeitliche Personen, als vielmehr vorwiegend Sachverständige seien, welche in Fällen, wo ihnen die nothwendige Sachkenntniss abgeht, durch andere Sachverständige ersetzt werden müssen. Gegen diese Auffassung lässt sich jedoch einwenden:
1, Kaufleute sind in der Regel nur in Bezug auf ihre persönliche Geschäftsbrauche bewandert, die genaue Sachkunde in anderen Brauchen des Handels geht ihnen meist ab. Man müsste daher, um den Zweck der Handelsgerichtsbarkeit wirklich zu erreichen, so viele verschiedene Handelsgerichte errichten, als es verschiedene Zweige des Handels gibt.
2, Wenn auch Kaufleute die Regeln und Gebräuche ihres besonderen Geschäftszweiges besser kennen mögen als Juristen, so besitzen sie doch nicht zugleich die einem Richter nothwendige Kenntniss und Erfahrung des Rechts;
3, Rechtsgelehrte Richter können, soweit ihnen die Kenntniss besonderer Handelsgebräuche und Handelszustände abgeht, diesem Mangel leicht durch Beiziehung von Zeugen und Sachverständigen abhelfen.
Demnach erscheint die Errichtung einer besonderen Handelsgerichtsbarkeit nicht geboten, und es wird proponirt, in diesen Abschnitt nur Bestimmungen über Schiedsgerichtsbarkeit, sowie über Execution und' Personalhaft in Handelssachen aufzunehmen.
Diesen Erörterungen gemäss würde der Entwurf des Handelsgesetzbuches, Modificationen im Einzelnen Vorbehalten, in der Hauptsache nach folgendem Schema sich gestalten.
I. BUCH. VOM HANDEL IM ALLGEMEINEN.
Kaufleute.
Verpflichtungen der Kaufleute in ihrer Geschäftsführung:
Register, Firmen, Handelsbücher.
Hülfspersonen der Kaufleute: Procuristen, Commis, etc. Handelsgesellschaften.
Mäkler, Commissionäre, Spediteure.
Allgemeine Bestimmungen über Handelsgeschäfte.
Kauf und Verkauf, Depositen u. Darlehen, Frachtgeschäft, Versicherung, Wechsel recht.
II. BUCH. SEEHANDEL.
Schiffe und Schiffseigenthümer.
Schiffsgläubiger.
Schiffer und Matrosen.
Güterfracht und Beförderung von Passagieren.
Havarien und Seeunfälle.
Bodmereivertrag.
Seeversicherung.
III. BUCH. BANKEROTT DER KAUFLEUTE.
Unverschuldeter Bankerott, und Concursverfahren im Allgemeinen. Rehabilitation.
Verschuldeter Bankerott.
IV. BUCH. BESONDERS VERFAHREN IN HANDELSSACHEN.
Schiedsgerichtsbarkeit.
Execution und Personalhaft.
Art. 1. Es erscheint zweckmässig, an den Eingang des Gesetzbuches eine allgemeine Erklärung über Handelsrechtsnormen überhaupt und deren respective Anwendbarkeit zu stellen.
Nach Art. 1. sollen in allen Handelssachen, gerichtlich wie ausser gerichtlich, und in der hiedurch gegebenen Reihenfolge zur Anwendung kommen: 1, die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches; 2, Handelsgebräuche; 3, die Vorschriften des allgemeinen Civilgesetzbuches.
In erster Linie stehen somit die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches, was aus dem Zweck eines solchen Gesetzbuches von selbst folgt und der überall bestehenden Rechtsanschauung. Soweit also eine Bestimmung des Handelsgesetzbuches und zwar ausdrücklich oder durch Schlussfolgerung, vorhanden ist, muss diese in Handelssachen mit Ausschluss aller übrigen denkbaren Normen angewendet werden. Daraus folgt von selbst, dass durch das Handelsgesetzbuch alle anderen Rechtssätze und Rechtsregeln, welche damit in Widerspruch stehen, gleichviel ob sie in Gesetzen oder in Rechtsgewohnheiten u. dgl. vorkommen, im ganzen Bereiche der Handelssachen aufgehoben sind und ihre Anwendbarkeit verloren haben.
In zweiter Linie, nach dem Handelsgesetzbuch sollen, je nach der Natur des Falles, die Handelsgebräuche und die Vorschriften des Civilgesetzbuches zur Anwendung kommen. Man kann nicht sagen, dass das Civilrecht. durchweg und in allen Fällen den Handelsgebräuchen nachstehen sollen. Beide Rechtsquellen werden in der Regel nicht mit einander collidiren. Handelsgebräuche beziehen sich meist auf das specielle Detail der Geschäfte, während das Civilgesetzbuch mehr die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts repräsentirt. Soweit es sich also um die Anwendung allgemeiner Rechtsbegriffe in Bezug auf Sachenrechte, Forderungen u. s. w. handelt, sind dieselben auch in Handelssache aus dem Civilgesetzbuch zu entnehmen, soweit das Handelsgesetzbuch über den betreffenden Gegenständ keine Bestimmung enthält. Soweit aber mehr das thatsächliche Detail der Handelsgeschäfte in Frage steht, wird auf Handelsgebräuche zu recurriren sein. Sollte aber im einzelnen Fall zwischen einem Handelsgebrauch und einer Vorschrift des Civilrechts die Entscheidung zu treffen sein, so würde allerdings der Handelsgebrauch den Vorrang erhalten müssen. Denn der Handelsgebrauch ist, wie das Handelsgesetzbuch selbst, eine speciell für Handelssachen bestimmte Norm, welche nothwendig nach der allgemeinen Regel, dass Specialgesetze allgemeinen Gesetzen vorangehen, zu behandeln ist.
Das Wort Handelsgebranch ist übrigens in einem doppelten Sinne zu nehmen. Es umfasst sowohl eigentliche Rechtssätze, als auch die mehr thatsächliche Gestaltung von Geschäften des Handelsverkehres. Es ist z. B. ein Rechtssatz, dass der Commissionär berechtigt sein soll, auf Credit zu verkaufen. Es ist aber mehr eine thatsächliche Regel, dass unter dem Gewicht entweder das Brutto- oder das Nettogewicht zu verstehen sei, dass die Tara, einen fixen Satz ausmachen solle u. dgl. Beides fällt unter den Begriff des Handelsgebrauches. Zur Gültigkeit eines Gebrauches gehört aber eine gewisse langdauernde Hebung in allen vorkommenden, gleichartigen Fällen, und zwar mit dam Bewusstsein der Verpflichtung, so dass der freie Wille der Einzelnen dabei ausgeschlossen ist. Unter diesen Voraussetzungen kann der Gebrauch entweder ein allgemeiner, oder ein localer sein; dieser Unterschied bedingt nicht die Geltung, sondern nur den Geltungsbereich eines Gebrauches. Es versteht sich übrigens von selbst, dass Handelsgebräuche nicht unsittlich und unvernünftig sein dürfen und gegen positive Gebots- oder Verbotsgesetze nicht verstossen dürfen. Innerhalb dieser Schranken ist die obligatorische Kraft von Handelsgebräuchen zuzulassen, weil die Beobachtung möglichst gleichförmiger Regeln für den Handelsstand ein Bedürfniss ist, und beider Art, wie Handelsgeschäfte zu Stande kommen, in den meisten Fällen das, was der Brauch ist, beim Abschlüsse stillschweigend verstanden wird.
Handelsgebräuche müssen in allen Fällen nachweisbar sein, und daraus folgt im allgemeinen, dass derjenige, welcher sich auf einen Handelsgebrauch beruft, denselben auch beweisen muss. Ob die Erfordernisse eines gültigen Handelsgebraucbes vorhanden seien, muss in jedem einzelnen Falle vom Ermessen des Richters abhängen. Indessen sind hier gewisse Beschränkungen zu machen. Allgemeine Handelsgebräuche müssen als notorisch gelten, und bedürfen einerseits keines förmlichen Beweises, und werden andererseits vom Richter von Amtswegen berücksichtigt, gleich jeder anderen allgemeinen Rechtsnorm. Locale Gebräuche dagegen die sich auf besondere Oertlichkeiten oder auch auf specielle Waaren beschränken, bedürfen nicht nur des Beweises, sondern sie können auch gegen eine Partei, welche sie nicht kannte oder nicht hätte kennen müssen, nicht geltend gemacht werden.
Locale Gebräuche stehen häufig mit einander im Widerspruch, und wenn die Parteien verschiedenen Orten angehören, entsteht die Frage, welcher locale Gebrauch, der des Ortes wo der Kläger oder des Ortes wo der Beklagte wohnt, zur Anwendung kommen soll. Hierüber muss zunächst die allgemeine Regel entscheiden, dass immer die Specialregel der Generalregel vergeht. Abgesehen hievon, wenn es sich also um die Collision zweier gleichstehenden Specialgebräuche handelt, kommen auch hier die gewöhnlichen Grundsätze über die betreffs des Abschlusses und der Erfüllung von Rechtsgeschäften zwischen mehreren Orten bestehende Collision von Rechtssätzen zur Anwendung.
Die Verschiedenheit der localen Handelsgebräuche ist ohne Zweifel störend und der glatten und leichten Abwicklung der Handelsgeschäfte in hohem Grade schädlich. Um diesen Uebelständen abzuhelfen, hat die französische Regierung ein Gesetz vom 13. Juni 1866 erlassen, um die Handelsgebräuche des Landes möglichst einheitlich zu reguliren. Es sind in diesem Gesetze eine grosse Menge von Handelsgebräuchen zusammengestellt und einheitlich fixirt, sowohl für Handelskäufe im allgemeinen, als für einzelne Gattungen von Waaren. Die Wirkung des Gesetzes ist, dass bei allen Geschäften der im Gesetze fixirte Gebrauch gelten soll, soweit die Betheiligten nicht ein anderes ausdrücklich verabredet haben. Abweichende Localgebräuche sind dadurch beseitigt, resp. in einen Theil der vertragsmässigen Verabredung uragewandelt. Die Vortheile einer solchen Einheit der Handelsgebräuche sind nicht minder für den Auswärtigen, wie für den Binnenhandel eines Landes von der grössten Bedeutung. Dieses Beispiel dürfte daher mit der Zeit auch von der Regierung dieses Landes nachgeahmt werden.
Was nun die Japanischen Handelsgewohnheiten betrifft, so haben dieselben bisher in der Hauptsache das Japanische Handelsrecht überhaupt gebildet. Diese Handelsgewohnheiten werden durch das Handelsgesetzbuch aufgehoben, soweit sie diesem widersprechen, und neue können fernerhin sich nur bilden, soweit das Gesetzbuch sie zulässt. Daher müssen bisherige Handelsgewohnheiten in das Gesetzbuch aufgenommen werden, wenn sie auch fernerhin erhalten werden sollen. Ohne Zweifel ist die Gesetzgebung dieses Landes hiezu berechtigt, um speciell Japanischen Rechtsanschauungen, im Widerspruch mit fremden, den gebührenden Vorrang zu verleihen. Zweckmässig wird dies zu geschehen haben, wenn die Japanischen Handelsgewohnheiten übersichtlich gesammelt und bekannt sein werden und mit den Bestimmungen des gegenwärtigen Entwurfes sodann in genaue und geordnete Vergleichung gezogen werden können.
Bei der Anwendung des allgemeinen Civilrechts auf Handelssachen ist mit grosser Vorsicht zu verfahren. Wie einleitungsweise dargethan wurde, sind die Begriffe des Handelsrechts weit elastischer, als die des Civilrechts. Das Handelsrecht ertheilt z. B. in manchen Fällen die Rechte und Pflichten des Eigenthums, wenigstens in gewissen Grenzen, wo in Wirklichkeit kein volles Eigenthum, sondern nur ein dem Eigenthum practisch nahestehendes Interesse vorliegt, wie im Falle der Charter-partie. Die Grenzen des Besitzes, der Stellvertretung sind vielfach weiter oder anders gezogen, als Civilrecht. Bei manchen Geschäften ist es zweifelhaft, ob sie in die Kategorie des Darlehens, des Deposits oder anderer Verträge gehören. In allen solchen und ähnlichen Fällen darf man, auch wo das Handelsgesetzbuch keine Bestimmung trifft, nicht einfach die strengen und ungeschmeidigen Begriffe des Civilrechts auf Handelssachen anwenden. Es muss dies vielmehr stets im Geiste des Handelsrechts und gemäss den reellen Bedürfnissen des Handels geschehen, um der Freiheit und Beweglichkeit des Handelsbetriebes nicht Gewalt anzuthun.
Art. 2. Das Japanische Handelsrecht soll in dem in Art. 1. bezeichneten Umfange auch auf Ausländer Anwendung finden, soweit die bestehenden Staatsverträge dies erlauben. Dies bezieht sich natürlich nur auf solche Fälle, in welchen überhaupt nach allgemeiner Rechtsüberzeugung die Gesetze eines Landes für oder gegen Ausländer anzuwenden sind. Der häufigste und regelmässige Fall wird der sein, wenn Ausländer in Japan eine Handelsunternehmung betreiben. Es gehören hieher aber auch andere Fälle, z. B. wenn ein auswärts geschlossener Vertrag in Japan zu erfüllen ist, in welchem Falle rücksichtlich der Erfüllung das Gesetz des Erfüllungsortes Anwendung findet, oder hinsichtlich der Verjährungsfristen, wenn eine Sache vor Japanische Gerichte kommt, u. dgl. m. Die ausdrückliche Anführung der genannten Beschränkung wurde unterlassen, theils weil sie sich von selbst versteht, theils weil es schwer ist, alle hier in Betracht kommenden Fälle in einer kurzen Formel erschöpfend zusammenzufassen.
Diese Bestimmung des Art. 2. ist zwar an sich selbstverständlich und könnte daher auch weggelassen werden. Gleichwohl erscheint sie aus mehreren Gründen nicht überflüssig. Einmal hat es einen gewissen politischen Werth, die Unterwerfung der Ausländer unter die Japanische Gesetzgebung ausdrücklich hervorzuheben, um der in weiten Kreisen grassirenden Meinung entgegenzutreten, dass Ausländer in Japan in aller und jeder Beziehung vom Japanischen Rechte eximirt seien. Sodann kann man die tägliche Beobachtung machen, dass Ausländer, namentlich auch fremde Advokaten, sich ohne Rücksicht und Bedenken auch vor Japanischen Gerichten auf ausländische Rechtsregeln berufen und-dadurch die Japanische Gerichtspraxis in Verwirrung bringen. Dieser unberechtigten Gewohnheit soll nun mehr ein Riegel vorgeschoben werden. Aber noch eine andere Erwägung findet hier ihren Platz. Nach den jetzt bestehenden Staatsverträgen sind nämlich die Ausländer in Japan genau genommen nur in gerichtlicher Beziehung eximirt, indem sie in Streitsachen unter sich, und mit Japanischen Unterthanen, soweit sie Verklagte sind, von ihren eigenen Gerichten und nach ihren nationalen Gesetzen abgeurtheilt werden sollen. Allein das Handelsrecht Japans, wie das jedes anderen Landes, soll auch aussergerichtlich zur Anwendung gebracht werden, und diese aussergerichtliche Anwendung ist in der Praxis überall weitaus überwiegend; und insoferne sollte in unstreitigen Handelssachen in Japan, sowohl unter den Einheimischen, als mit und unter Fremden, strengegenommen nur das Japanische Handelsrecht Gültigkeit haben. Dies ist aber bisher nicht der Fall gewesen, theils weil es an einer genügenden Handelsgesetzgebung fehlte, theils weil alle Handelsgeschäfte unter der Eventualität eines künftigen Rechtsstreites eingegangen werden müssen. Wird nun aber ein Handelsgesetzbuch für Japan geschaffen, das denen der übrigen Nationen ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann, und wird in demselben seine Gültigkeit auch für Ausländer, soweit es die Verträge gestatten, ausdrücklich ausgesprochen, so wird dies der Ausdehnung dieses Rechts auf die Ausländer Vorschub leisten, da Niemand im voraus wissen kann, ob er bei einem etwaigen späteren Rechtsstreite Kläger oder Beklagter sein wird und da es im Interesse beider Theile liegen muss, von vorneherein einen gemeinsamen festen Rechtsboden zu haben.
Soweit übrigens die Gesetzgebung dieses Landes Vorschriften erlässt, welche unabhängig von gerichtlichen Streitigkeiten in jedem Falle befolgt werden müssen, z. B. über die Registrirung von Firmen, von Gesellschaften, werden denselben ausländische Bewohner Japans ohne weiteres nachkommen müssen.
Art. 3. Die Bestimmung des Art. 3. bezieht sich namentlich auf Bankgesetze und Bankregulative, Zollgesetze und Zollordnungen, Mäklerordnungen, Börsenordnungen, Eisenbahnflussordnungen u. dgl; aber auch auf andere Verordnungen polizeilichen oder administrativen Inhaltes. Diese gouvernementalen Vorschriften bilden keinen Bestandtheil des eigentlichen Handelsrechts, sie müssen aber von den Betheiligten befolgt werden, um ihren Geschäftsbetrieb in Uebereinstimmung mit dem Gesetze zu erhalten. Ihre Befolgung oder Nichtbefolgung ist in handelsrechtlicher Beziehung etwas rein thatsächliches, und kann, wie jede andere Thatsache, auf die rein handelsrechtlichen Beziehungen der Parteien, hinsichtlich ihrer gegenseitigen Rechte und Verpflichtungen, einen bestimmenden oder modificirenden Einfluss üben. Ein Handelsgeschäft kann z. B. ungültig sein, wenn es seinem Gegenstände nach gegen ein öffentliches Verbot verstösst. Tm Schifffahrtsverkehr müssen die Zollreglements beobachtet werden, und kann einer Partei aus der Beobachtung derselben, da er dazu gesetzlich verpflichtet ist, kein Verschulden imputirt werden. Dieser Artikel hat nun den Zweck, einmal der Regierung des Landes das Recht zum Erlasse solcher Verfügungen ausdrücklich zu wahren, und sodann den Richter darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Befolgung, oder Nichtbefolgung durch die Parteien zu den Thatsachen gehört, welche er bei der Anwendung der handelsrechtlichen Bestimmungen mit in Erwägung zu nehmen hat.
Von selbst versteht es sich übrigens, dass unter den in diesem Artikel bezeichneten Vorschriften nicht blos Verfügungen und Erlasse der Centralregierung, sondern auch der untergeordneten Behörden innerhalb der ihnen gesetzlich zustehenden Verfügungsgewalt zu verstehen sind.
I. BUCH.
VOM HANDEL IM ALLGEMEINEN.
I. Titel. Von Handelssachen und Kaufleuten.
Art. 4. Nachdem in den Artikeln 1-3 über das Verhältniss der handelsrechtlichen Normen unter sich und über deren Geltungsbereich in sachlicher und persönlicher Hinsicht Bestimmungen getroffen wurden, handelt es sich nunmehr vor allem darum, näher festzustellen, was unter Handelssachen zu verstehen ist. Der Entwurf theilt die Handelssachen in zwei Kategorien, nämlich 1, in Handelsgeschäfte, und 2, in andere Materien des Handelsrechts.
Handelsgeschäfte sind nach ihrer allgemeinen juristischen Natur Rechtsgeschäfte, einseitige oder zweiseitige, welche von den Handelnden mit der Absicht vorgenommen werden, um eine bestimmte rechtliche Wirkung hervorzubringen. Diese Geschäfte unterliegen, soweit das Handelsrecht nichts anderes vorschreibt, den allgemeinen civilistischen Grundsätzen über juristische Handlungen und Willensäusserungen, sowie insbesondere über die persönliche Handlungsfähigkeit und über Form und Inhalt der Willensäusserungen. Die wichtigsten unter ihnen sind die Verträge, bei denen das Moment der Willenseinigung, das übrigens im Handelsleben in hohem Grade durch die Handelsgebräuche modificirt wird, besonderes Gewicht hat.
Die übrigen Materien, die als Handelssachen im Gesetzbuch normirt sind, zerfallen 1, in unerlaubte Handlungen, deren Begehung die Verpflichtung zum Schadensersatz und Straffälligkeit nach sich zieht, z. B. Vergehungen des Schiffers oder der Schiffsmannschaft, Verschuldungen von Mäklern, und im allgemeinen jede Verletzung eines rechtlich begründeten Vertrauens. Diese unerlaubten Handlungen, welche theils doloser, theils culposer Natur sein können, sind für das Handelsrecht, welches die commercielle, gegenseitige Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit im Handel und Wandel in jeder Hinsicht mit Eifer und Strenge zu pflegen hat, von hervorragender Wichtigkeit. 2, Thatsachen und Zustände, welche bestimmte Rechtswirkungen nach sich ziehen. Hieher gehört z. B. die Unmündigkeit oder das weibliche Geschlecht, als Ursachen der Unfähigkeit zur Ausübung des Handelsgewerbes, die Annahme einer Firma, Schiffbrüche, und andere Schiffsunflille in ihrer Wirkung auf Havarie u. s. w., dann der Zustand der Zahlungsunfähigkeit mit der Rechtswirkung des Bankerotts u. dgl. m.
Diese verschiedenen Rechtssachen, die sämmtlich an ihrer Stelle im Gesetzbuch zu regeln sind, lassen sich weder unter sich, noch mit den unerlaubten Handlungen und mit den Handelsgeschäften unter einen gemeinsamen Begriff bringen. Sie könnten daher nicht anders als durch Verweisung auf den Inhalt des Handelsgesetzbuches zusammengefasst werden. Die bisherigen Gesetzbücher, welche an dieser Stelle nur von Handelsgeschäften (actes de commerce) sprechen, sind in dieser Beziehung unvollständig.
Man könnte vielleicht diesen ganzen Artikel für überflüssig halten, weil es sich von selbst verstehe, dass Handelssachen alle Sachen sind, von denen das Handelsgesetzbuch handelt. Allein dieser Einwand wäre in Bezug auf die Kategorie der Handelsgeschäfte nicht zutreffend, wie die Bemerkungen zum nachfolgenden Artikel zeigen werden. Wenn man aber die Handelsgeschäfte besonders bezeichnen muss, dann erfordert die Vollständigkeit, dass auch die übrigen Materien nicht unerwähnt bleiben. Es hat übrigens einen gewissen Werth, auch für die richterliche Interpretation, von vorneherein der Meinung entgegenzutreten, als ob das Handelsgesetzbuch, und folglich der Handelsrichter, nur mit Rechtsgeschäften zu thun hätte.
Der Artikel bestimmt, dass Handelsgeschäfte, und nicht etwa blos Geschäfte der Kaufleute, Handelssachen sein sollen. Das Handelsrecht ist, nach allgemeiner Uebereinstimmung aller Gesetzgebungen, kein Standesrecht oder Berufsrecht des Handelsstandes, der Kreis seiner Anwendung ist erweitert auf alle Handelsgeschäfte und auf alle übrigen Handelssachen, ohne irgend einen Unterschied der Personen, ist mithin in rein sachlicher Weise begrenzt. Jeder, der eine Handlung vornimmt, oder in dessen Person ein Umstand vorfällt, worauf die Normen des Handelsrechts anwendbar sind, unterliegt auch der Anwendung dieser Normen.
Art. 5. Dieser Artikel hat die Aufgabe, nach dem Vorgänge der früheren Gesetzbücher den Begriff der Handelsgeschäfte festzustellen. Diese Feststellung wäre unnöthig, wenn sämmtliche Handelsgeschäfte ohnedies im Handelsgesetzbuch behandelt würden, so wie alle strafbaren Handlungen im Strafgesetzbuch, oder alle Prozesshandlungen in der Prozessordnung. In der That findet sich in anderen dergleichen Gesetzbüchern nirgends eine solche Zusammenfassung oder Aufzählung, indem sich die Gegenstände der Anwendung eines jeden Gesetzbuches ans dessen detaillirten Inhalt von selbst ergeben müssen. Allein beim Handelsgesetzbuch verhält sich dies insoferne anders, als der Handel vielerlei Geschäfte mit den Geschäften des täglichen Privatlebens gemein hat, die nur dadurch, dass sie Handelsgeschäfte sind oder nicht, sich von einander unterscheiden. Ein Kauf kann ein Handelsgeschäft, oder ein privates Geschäft sein; im ersten Fall ist das Handelsgesetzbuch, im zweiten das Civilgesetzbuch darauf anzuwenden. Es muss also genau bestimmt werden, wann ein Kauf ein Handelsgeschäft ist; und die gleiche Nothwendigkeit besteht bezüglich aller übrigen Geschäfte, die an sich zugleich Handels und Civilgeschäfte sein können.
Auch unterscheiden sich Civilrecht und Handelsrecht darin von einander, dass ersteres nur eine feste Reihe bestimmter und unveränderlicher Vertragsformen kennt, während der Handelsverkehr neben solchen festen Vertragsformen einer sehr weit gehenden Freiheit in 'der Benutzung von Geschäftsusancen bedarf, wesshalb die Handelsgeschäfte unmöglich ein für allemal im voraus vom Gesetzgeber normirt werden können. Auch aus diesem Grunde ist eine Bestimmung im Gesetzbuche unerlässlich, welche den allgemeinen Character der Handelsgeschäfte feststellt und dadurch alle thatsächlich vorkommenden Handelstransactionen in den Bereich der Handelsgesetzgebung bringt.
Es hat seine Schwierigkeit, diesen Character der Handelsgeschäfte im Sinne der Handelsgesetzgebung festzustellen, sowohl weil der Handel selbst in den mannichfaltigsten Operationen sich bewegt, dann aber und hauptsächlich, weil das Handelsrecht die Grenze des eigentlichen Handels im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht festhält, sondern weit darüber hinausgeht, und nicht nur alle Hülfsgeschäfte des Handels, wie namentlich den Transport zu Wasser und zu Lande, oder die Versicherung, sondern sehr viele andere einbegreift. Das Handelsrecht—darüber stimmen alle Gesetzgebungen überein—gilt auch für die Industrie, für das Bankgeschäft, für den gesammten Wechselverkehr, für alle Börsenoperationen, für den gesammten Schiffs- und Eisenbahnverkehr; auch der landwirtschaftliche Betrieb und sonstige Zweige der Rohstoffgewinnung sind nicht ausgeschlossen, soferne es sich nicht speciell um Grund und Boden handelt. Es ist, mit einem Worte, der gesammte capitalistische Geschäftsbetrieb, welcher den allgemeinen Gegenstand des Handelsrechts bildet, gleichviel ob er auf die Entstehung oder die Circulation der Producte gerichtet ist. Mag man die Production, d. i. die Herstellung und Anfertigung der Producte nur als Vorläuferin des Absatzes, oder den Absatz als letztes Stadium der Production betrachten, immer ist es im Ganzen nur ein einheitlicher volkswirtschaftlicher Prozess, der sich nach den Gesetzen des Volksreichthums vollzieht, die productive Circulation des Capitals in jeder Gestalt, in welcher die Güter nach den Gesetzen der Reproduction und des Gewinnes sich bewegen. Vom Standpunkte der Handelsgesetzgebung ist es aber angemessener, den Umsatz zum centralen, beherrschenden Gesichtspunkt zu erheben. Demnach sind die Grundstücke und die Arbeit als solche von dem Gebiete des Handelsrechts ausgeschlossen.
Man könnte daher mit vollem Rechte sagen, Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte, welche mittelst Capital betrieben werden. Das wäse aber nur eine theoretische Erklärung, die selbst wieder weiterer Erklärung und Auseinandersetzung bedürfte, keine Bestimmung, wie sie der Gesetzgeber treffen muss, welcher die Dinge nach ihren äusserlichen, für Jedermann erkennbaren Merkmalen kenntlich zu machen hat. Auch deckt sich die Realität der Lebensverhältnisse und das practische Bedürfniss nicht immer genau mit theoretischen Begriffen.
Die meisten Gesetzgebungen haben sich begnügt mit einer trockenen Aufzählung der einzelnen Handelsgeschäfte. Eine solche Aufzählung kann aber niemals erschöpfend und abschliessend sein, und es wäre diese Unvollständigkeit leicht an den betreffenden Artikeln der verschiedenen Gesetzbücher nachzuweisen. Auch leidet dieses Verfahren an dem Fehler, dass es kein leitendes Princip aufstellt, und daher die Beurtheilung einzelner Fälle zu sehr der Ungewissheit überlässt.
Nur einige wenige Gesetzgebungen haben die Aufstellung eines solchen leitenden Princips versucht, aber nicht in befriedigender Weise. So erklärt der spanische Code Art. 359 als Handelsgeschäfte alle Käufe, die mit der Absicht des Gewinnes beim Wiederverkauf gemacht werden. Der Gewinn ist aber nicht der einzige Gesichtspunkt bei Handelsgeschäften, die Conservirung des Capitals ist von gleicher oder noch höherer Bedeutung; auch wird sehr häufig mit Absicht, unter dem Druck der Umstände, mit Verlust gekauft oder verkauft. Ferner hat das englische Bankerottgesetz von 1869, allerdings nur für die Zwecke des Bankerottverfahrens, in der diesem Gesetze beigefügten Schedule 1 als Handelspersonen (traders) erklärt alle Personen, welche den Handel mit Waaren (trade of merchandise) ausüben, oder welche durch Kaufen und Verkaufen, oder durch Kaufen und Vermiethen, oder durch Anfertigung oder Umänderung von Waaren und Gütern ihren Lebensunterhalt suchen. Auch diese Formel ist, abgesehen von ihrer Schwerfälligkeit, nicht zutreffend, und steht übrigens nur zur Ergänzung hinter der Aufzählung einer Reihe von vielen einzelnen Handelsgeschäften. Insbesondere würde sie nicht passen auf solche Handelsgeschäfte, welche nicht gewerbemässig betrieben werden.
Diesen Erwägungen zufolge wurde die Fassung des Art. 5 gewählt. Ein Handelsgeschäft ist hiernach jedes Geschäft, durch welches mittelbar oder unmittelbar ein Umsatz, eine den Rücksichten der productiven Thätigkeit unterliegende Circulation der Güter und Waaren bewerkstelligt wird. Ein Umsatz ist jede Bewegung der Güter in der Gesellschaft bis an die Grenze des persönlichen Bedürfnisses; er ist eine gesellschaftliche oder volkswirtschaftliche Dienstleistung für die Bedürfnisse der Consumenten. Er hört auf, sobald der persönliche, auch häufig unproductiv genannte Gebrauch beginnt. Dagegen die Anschaffung für den productiven Gebrauch gehört noch in das Gebiet des Umsatzes, denn solche Güter circuliren noch weiterhin in der Gestalt der neuen Producte, die aus dem productiven Gebrauch hervorgehen.
Die häufigste und gewöhnlichste Art des Umsatzes ist der Einkauf zum Zweck des Wiederverkaufes; allein dies ist nicht die einzige. Esgehört hieher auch die Vermiethung, immer bewegliche Gegenstände vorausgesetzt; ferner die Schaustellung, wie in Theatern, in Wachsfignrencabineten Menagerien u. dgl. Da der Absatz ist überhaupt jede Gebrauchsüberlassung an Ändere zu verstehen, gleichviel ob und welche Besitzveränderung damit verbunden ist und wie die Vergütung dafür bestimmt wird, z. B. auch das Halten öffentlicher Lesecabinete oder Vergnügungslocale u. s. w. Wer für solche und ähnliche Zwecke des Absatzes Waaren ankauft oder anfertigt, vollzieht gleiche Weise ein Handelsgeschäft.
Von selbst versteht es sich, dass Lieferungsgeschäfte in die Reihe der Umsatzgeschäfte gehören, obgleich hier die Ordnung der Dinge regelmässig umgekehrt sein wird. Denn das Lieferungsgeschäft ist ein Verkauf von Sachen, die man erst nachträglich ankaufen oder anfertigen lassen muss.
Nicht jede Besitzveränderung involvirt einen Umsatz; z. B. nicht die Schenkung, oder das Testament oder der Verkauf, die Vermiethung innerhalb der Sphäre des persönlichen Gebrauches. Wer Sachen für seinen persönlichen Gebrauch besitzt und dieselben an Andere gleichfalls zum persönlichen Gebrauch überträgt, bewirkt dadurch nur eine Veränderung der Personen im Gebiet des bürgerlichen Lebens. Dasselbe gilt aber auch von jedem blossen Personenwechsel innerhalb der productiven Sphäre, z. B. wenn Jemand eine Fabrik erbt oder eine Maschine zum Geschenk erhält. In solchen Fällen findet kein Umsatz von Waaren statt, sondern es tritt nur eine Person an die Stelle einer anderen.
Handelsgeschäfte sind auch diejenigen, welche nur mittelbar einen Güterumsatz betreffen. Dies bezieht sich vor allem auf Verträge über persönliche Dienstleistungen für Handelszwecke. Persönliche Dienste sind keine Waaren; allein soferne sie für Handelszwecke geleistet werden sollen, sind solche Verträge nur vorbereitende Geschäfte für den Umsatz selbst. Hieher gehört also die Anstellung von Procuristen, von Buchhaltern von Schiffern und Matrosen u. s. w. Strenge genommen, könnte man auch die Anstellung von Gewerbsarbeitern in Fabriken und selbst von landwirthschaftlichen Arbeitern hieher rechnen. Allein diese Arbeiter sind nach allgemeiner Praxis vom Handelsrecht ausgeschlossen, da hier der Zweck des Umsatzes theils zu entfernt liegt, theils ungewiss wäre. Wohl aber müssen solche Hülfspersonen, die in diesen Productionszweigen für Umsatzgeschäfte gemiethet werden, z. B. Buchhalter, zu den Hülfspersonen des Handels gerechnet werden; oder diejenigen, die mit der Ausführung von Handelsgeschäften beauftragt werden, z. B. mit der Aufstellung und Inswerksetzung von Maschinen, die den Gegenstand eines Lieferungsgeschäfts bilden.
In die Reihe der mittelbaren Handelsgeschäfte gehören ferner Verträge über Gegenstände, deren Benutzung wesentlich in das Handelsgebiet fällt, wie der Ankauf einer Firma, eines Erfindungspatents, der Ankauf oder die Verpfandung von Schiffen, der Bodmereivertrag, Einkäufe für Schiffsproviant u. dgl. m.
Der zweite Theil dieses Artikels ist dazu bestimmt, diejenigen Handelsgeschäfte zu kennzeichnen, welche zwar unter den Begriff der Umsatzgeschäfte, nicht aber unter den des Handels im gewöhnlichen Sinne des Wortes fallen. Es sind:
1) Gütererzeugung und Fabrikation. Der erstere Ausdruck bezieht sich auf die Gewinnung von Rohstoffen und Naturproducten in den Gewerben der sog. Urproduction (Landwirthschaft, Forstwirtschaft, Gärtnerei, Seidenzucht, Fischfang, Jagd, Bergbau u. s. w.); der zweite auf die Umformung und Weiterverarbeitung der Materialien in der Industrie, auf beiden Gebieten die Absicht des Umsatzes vorausgesetzt. Zwischen Gross- und Kleinbetrieb, insbesondere zwischen Fabriken und Handwerk, wie es z. B. im deutschen H-Gesetzbuch geschehen ist, kann ebensowenig unterschieden werden, wie im Gebiet des eigentlichen Handels zwischen Gross- und Kleinhandel (Krämerei.). Diese Grenze ist nicht nur äusserst schwer zu bestimmen, weil es dafür keine festen Richtpunkte geben kann; sondern es ist jene Unterscheidung auch überhaupt als veraltet zu bezeichnen, indem sie auf den Gegensätzen des mittelalterlichen Standesrechts beruht und durch die moderne Entwicklung der Volkswirthschaft über den Haufen geworfen wurde. Der Landwirth, der seinen Reis, seine Milch, sein Obst, seine Rinder verkauft, ist in der heutigen Gestaltung der Dinge ganz ebenso eine Handelsperson, wie der Fabrikant, der sein Baumwollengarn oder sein Wollentuch verkauft, oder wie der Bergwerksbesitzer, der seine Erze, und der Waldbesitzer, der sein Holz, seine Kohlen verkauft. In allen diesen Zweigen wirtschaftlicher Thätigkeit wird für den Absatz producirt nach gleichen Gesetzen, in allen wird Capital und Arbeit angewandt, die Circulation des Capitals, als Folge der Arbeitstheilung und Arbeitsverteilung, ist von keinem Zweige der productiven Thätigkeit ausgeschlossen. Wenn in manchen Gesetzen, wie z. B. im spanichen (Art. 360), und im deutschen (Art. 271-272), der landwirthschaftliche Betrieb, und selbst Lieferungsgeschäfte von Urproducenten, vom Begriff der Handelsgeschäfte ausgeschlossen werden, so ist dies dadurch zu erklären, dass man zur Zeit der Entstehung jener Gesetzbücher noch zu sehr an der Vorstellung einer wesentlichen Verschiedenheit des landwirtschaftlichen und commerciellen Eigentums hing, und wie das Handwerk, so auch die Bauern vom Handelsrecht ausschliessen zu müssen glaubte, wenngleich man die „Gutsbesitzer” darunter bereitwillig subsumirt hätte. Allein nach dem Wegfall des feudalen Eigenthumssystems und der gewerblichen Standesunterschiede ist das productive Eigentum und die productive Thätigkeit für alle gleich, und es auch in der Art und Weise der Geschäftsführung tritt von Jahr zu Jahr eine grössere Ausgleichung zwischen ihnen hervor. Diese Bemerkungen sind auch gegen das englische Baukerottgesetz zu richten, welches Landwirte und Viehzüchter (farmers und graziers) von dem Begriffe einer Handelsperson (trader) ausschliesst.
Es mag liier nur bemerkt werden, dass man in dieser Frage häufig die Inconsequenz, die erwähnten Geschäfte vom Begriff der Handelsgeschäfte auszuschliessen, während gerade die bedenklichsten und schwierigsten Partien des Handelsrechts, wie namentlich Wechsel-recht, Versicherungsrecht ihnen zugänzlich sind.
Im französischen Code, wie in anderen, sind industrielle Unternehmungen in das Handelsrecht einbegriffen (Art. 632), dagegen der Verkauf von Bodenerzeuguissen durch Grundbesitzer, Weinbauer, ausgeschlossen (Art. 638.). Diese Unterscheidung dürfte schwer zu motiviren sein und wird in der Praxis allem Anschein auch nicht eingehalten. Wein, Tabak, Seide, Thee, Holz sind Bodenerzeugnisse, aber zugleich auch wichtige Handelsartikel, und ihre Zubereitung für den Absatz Steht mehr oder weniger der eigentlichen Industrie nahe. Dies gilt auch von Milch, Käse, Geflügel, Mastfleisch u. s. w. Es wird als das einfachste und den heutigen Zuständen allein gemässe empfohlen, solche subtile und unnütze Unterscheidungen fallen zu lassen und die Einheit des Rechtszustandes auch im gesammten Gebiet der eigeptlichen Production zum Princip zu erheben.
2) Güter- und Personenverkehr. Diese Betriebszweige, zu Lande und zu Wasser, bilden zwar zunächst Hülfsgeschäfte des eigentlichen Handels, ja man könnte sie auch als Bestandteile des Handels bezeichnen, soferne derselbe seiner Natur nach in den allermeisten Fällen einen Transport von Ort zu Ort und von Land zu Land bedingt. Sie sind aber von gleicher Wichtigkeit auch für die eigentlichen Productionszweige der Urproduction und Industrie, und demnach mit dem gesammten System des Güterumsatzes so durchaus nach allen Seiten verflochten, dass ein solches System ohne Transportgeschäfte ganz undenkbar wäre. Auch sind die Transportgeschäfte in allen Gesetzgebungen ohne Ausnahme als Handelsgeschäfte erklärt.
3) Das gleiche gilt von dem Versicherungeschäft, dessen Zweck darin besteht, Capitalverluste, welche bei der Circulation des Capitales durch die Canäle des Umsatzes durch unverschuldete Zufälle sich ereignen können, den Einzelnen, die davon betroffen werden, abzunehmen und auf die Gesammtheit der Betheiligten zu übertragen. Die Personen- oder Lebensversicherung muss wenigstens indirect als Capitalversicherung betrachtet werden.
4) Geld- und Creditumlauf. Das Geld, gleichviel ob .Metalloder Papiergeld, ist seiner Natur nach zum Umlauf bestimmt, es ist das circulirende Medium (currency) im buchstäblichen Sinn des Wortes. Allein nicht jede Geldzahlung ist eine Handelsgeschäft, sondern nur Unternehmungen und Geschäfte des Geldumlaufes. Soferne eine Geldzahlung nichts weiter ist, als solutiv, d. h. Erfüllung eines Vertrages oder einer sonstigen Verbindlichkeit, wird ihre rechtliche Natur offenbar von der Natur des betreffenden Vertrages oder der betreffenden Verbindlichkeit abhängen; sie wird also nur daun Handelssache sein, wenn der Vertrag etc. eine Handelssache ist. Allein unabhängig davon gibt es eine Reihe von Geschäften, deren eigentlicher Gegenstand der Umlauf oder Umsatz von Geld ist, wo also das Geld die wesentliche materia contractus, der wesentliche Vertragsstoff ist, und nicht erst als Zahlung, als Aequivalent für den Vertragsstoff in Betracht kommt. Solche Geschäfte sind namentlich 1, Geldwechsel, auch in der Ausdehnung auf die Einlösung von Papiergeld, das Discontiren von Wechseln u. dgl; 2, der Ankauf von Geld zum Zweck der Ausfuhr, der Ausmünzung u. dgl. 3; Gelddepositen und Gelddarlehen (mit der im nachfolgenden Artikel genannten Beschränkung) und ähnliche Geldgeschäfte. Durch alle diese Geschäfte, die hauptsächlich von Bankiers betrieben werden, erfolgt ein selbständiger Umsatz von Geld, gleich dem Waarenumsatz, und insoferne könnte man sie auch directe Handelsgeschäfte nennen. Da aber das Geld doch nur ein Werkzeug des Waaren Umsatzes ist und zu diesem in ähnlichen Beziehungen steht, wie die Mittel des räumlichen Transportes, so würde man sie besser, wie es hier geschehen ist, den indirecten Handelsgeschäften einreihen.
Aehnlich verhält es sich mit dem Creditumlauf. Nicht jedes Geschäft, bei welchem Credit gegeben wird, ist ein Handelsgeschäft; also nicht jeder Kauf auf Borg, nicht jedes Darlehen, nicht jedes Schuldigbleiben einer fälligen Zahlung. Sondern es wird ein Geschäft erfordert, durch welches ein Creditumlauf bewirkt wird, mit anderen Worten, durch welche Umlaufs- oder umsatzfähiger Credit, oder wie die englische Jurisprudenz es ausdrückt, a negotiable paper, geschaffen wird. Solche umsatzfähige Creditpapiere, Umsatzpapiere, sind 1, Wechsel und Ordrebillets; 2, Cheques; 3, Obligationen und Actien, überhaupt alle Papiere, die an den Börsen gehandelt werden. Alle Geschäfte, welche die Emission und den weiteren Umsatz, sowie die endliche Einlösung solcher Papiere zum Gegenstand haben, sind Handelsgeschäfte. Wie schon oben bemerkt, werden in diese Kategorie hauptsächlich die Bank- und Börsengeschäfte, jedoch nicht ausschliesslich, zu bringen sein.
Zum Wesen eines Umsatzpapiers gehört nur, dass es seiner Natur nach umlaufsfähig ist, nicht aber auch, dass es in jedem einzelnen Falle wirklich umlaufsfähig gemacht wird. Daher sind auch solche Creditpapiere, die nicht an Ordren lauten oder als unübertragbar bezeichnet sind, Handelspapiere und -die Geschäfte mit ihnen Handelsgechäfte.
Da der Kauf nicht die einzige Art des Umsatzes bildet, so gehören auch solche Geschäfte in diese Kategorie, welche einen anderen Modus des Absatzes, substituiren z. B. das Promessengeschäft.
Zahlung ist, wie bereits bemerkt, an sich selbst kein Handelsgeschäft. Wird nun mittelst eines Creditpapiers, z. B. Wechsels, Zahlung geleistet, so ist nur die Ausstellung oder Begebung des Wechsels ein Handelsgeschäft, nicht aber die Zahlung selbst, die letztere steht mithin unter den Regeln des allgemeinen Civilrechts, soferne es sich nicht um Zahlung in einem Handelsgeschäft handelt.
Die Worte ,,Unternehmungen und Geschäfte” unterscheiden sich in der Weise, dass eine Unternehmung eine zusammenhängende Reihe von einzelnen Geschäften bedeutet.
Art. 6. Im Artikel 5 wurde die Definition der Handelsgeschäfte im allgemeinen gegeben. Aber omnis definitio in jure periculisa est d. h. alle juristischen Definitionen sind misslich. Sie lassen für practische Zwecke leicht Zweifel übrig, theils weil ihre Anwendung auf einzelne Fälle unsicher sein kann, theils weil die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs in manchen Fällen eine Erweiterung der Regel nothwendig machen. Solche Zweifel und Lücken zu beseitigen, ist Art. 6 bestimmt. Die in diesem Artikel aufgeführten Geschäfte sind Handelsgeschäfte, gleichviel welches die Interpretation ist, die man dem Art. 5 geben kann. Derselbe enthält also theils (Ziffer 1-3) eine bindende Interpretation der Regel des Art. 5, theils (Ziffer 4-6) eine Reihe von Ausnahmen von dieser Regel.
1) Der Geldwechsel und das Gelddarlehen sind zwar, nach der zum vorhergehenden Artikel gegebenen Erläuterung, abstract genommen Geld und folglich Umsatzgeschäfte, indem der Umlauf von Geld ihren eigentlichen Inhalt bildet. Allein so gewöhnlich diese Geschäfte im täglichen Leben vorkommen, so sind sie doch häufig, nicht nur äusserst geringfügig, sondern stehen auch oft äusser aller Beziehung zum commerciellen Verkehr und dienen nur den Bedürfnissen des privaten Lebens. Wer ein Goldstück oder eine Banknote in kleines Geld umwechselt oder wer einem anderen ein Darlehen gibt, will damit noch kein Handelsgeschäft vornehmen ; ebenso wenig wie wenn zwischen blossen Privatpersonen nach den Rücksichten des bürgerlichen Lebens Dinge gekauft und verkauft werden. Wer ein Darlehen aufnimmt, will damit oft nur einem persönlichen Bedarf abhelfen ; und wer das Darlehen gibt, will sein Geld placiren und ein Einkommen gewinnen. Insoferne sind also Geldwechsel und Darlehen nur Geschäfte der bürgerlichen Haushaltung und Vermögensverwaltung. Wenn sie als Handelsgeschäfte behandelt werden sollen, muss noch ein weiteres Moment hinzukommen, welches ihnen einen die Grenzen der Haushaltung überschreitenden geschäftlichen Character verleiht. Dieses Moment kann in nichts anderem liegen, als darin dass derjenige, der Geld wechselt oder verleiht, daraus ein Geschäft macht, somit seine Intention nicht mehr auf einen blossen Act der Haushaltung gerichtet ist. Die Intention ist überhaupt das schliessliche Criterium für die Natur der Rechtsgeschäfte. Da aber die Intention nicht an sich erkennbar ist und zu vielen Zweifeln und Streitigkeiten Anlass geben kann, so werden gewisse Merkmale des geschäftlichen Geldwechselns und Geldverleihens gegeben, nämlich ein offenes Geschäftslocal oder öffentliche Geschäftsanzeigen. Wo diese Merkmale nicht vorliegen wird man in den allermeisten Fällen darauf rechnen dürfen, dass eine geschäftliche Intention nicht vorliegt. Was eine öffentliche Geschäftsanzeige ist, hat im einzelnen Fall der Richter nach den Umständen zu entscheiden ; es wird dabei auf den Inhalt und Styl der Anzeige, auf die Häufigkeit oder Regelmässigkeit der Anzeigen, auf die Unterschrift u. dgl, ankommen. Gewerbemässig müssen überigens diese Geschäfte nicht betrieben werden, derjenige, der sie betreibt, muss folglich nicht nothwendig ein Kaufmann sein.
Ebenso darf man annehmen, dass Darlehen, die nicht gegen Zins, Provision, oder Commission u. dgl. gegeben werden, nur in den Bereich des bürgerlichen Lebens fallen. Ein solches Darlehen wäre factisch ein Geschenk, das im Geschäftsleben wohl nicht leicht vorkommt.
Gleichgültig ist es, was bezüglich der Rückzahlung, Amortisation etc. verabredet wird; ebenso ob ein Darlehen gegen Pfand, Bürgschaft u. s. w. gegeben wird. Wenn ein Pfand oder eine Bürgschaft gegeben, so folgt deren accessorische Natur dem Hauptgeschäfte; sie sind also gleichfalls Handelsgeschäft, wenn das Darlehen selbst ein Handelsgeschäft ist. Im Falle einer Hypothek würde jedoch die Bestimmung des Art. 9 zur Anwendung kommen.
Diese Grundsätze gelten jedoch nur für die Darlehen an sich, soweit sie in den Formen des Civilrechts abgeschlossen werden. Wird gegen ein Darlehen ein Wechsel oder ein sonstiges negotiables Papier "ausgestellt, so liegt darin offenbar ein Umsatzgeschäft, und die Beschränkungen des gegenwärtigen Artikels können dann nicht weiter in Frage kommen. Dies gilt namentlich auch für den Fall der Ausgabe von Obligationen und Rententiteln.
2) Zeitungen und andere periodische Druckschriften können insoferne Zweifel erregen, als ihre unmittelbare Bedeutung in der politischen, wisserschaftlichen und literarischen Sphäre liegt, wesshalb man ihnen die Eigenschaft von Handelsobjecten leicht streitig machen könnte. Allein es kann keines weiteren Beweises bedürfen, dass die Herausgabe solcher Drucksachen auch eine im hohen Grade geschäftliche Seite hat, dass sie häufig mit grossem Capitalaufwand betrieben werden und dass die Eigenthümer von Zeitungen und Zeitschriften davon regelmässig Gewinn erwarten, ja nicht selten daraus ein lucratives Geschäft machen. Auch werden Zeitungen nicht selten gekauft und in Entreprise genommen, wie andere Handelsgeschäfte. Demnach kann die Behandlung des Zeitungsgeschäfts wohl keinem Anstand unterliegen, und die übrigen Gesetzgebungen, z. B. die deutsche und englische, stimmen damit überein. Auf die Art des Vertriebs, ob durch Verkauf der einzelnen Nummern, oder mittelst Lieferung im Abonnement, oder auf andere Weise, kann begreiflicher Weise nichts ankommen. Auch ist selbsverständlich der Zwischenhandel mit Zeitungen, und die Aufnahme von Zeitungsartikeln, Inseraten, Telegrammen ein Handelsgeschäft. Wenn sich eine Gesellschaft zur Herausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift bildet, muss sie als Handelsgesellschaft behandelt werden.
Die Mitarbeiter, deren sich ein Zeitungs- Herausgeber bedient, sowie andere Hülfspersonen, sind offenbar Handlungsgehülfen, unter Umständen Factoren oder Procuristen, und folglich die Geschäfte mit ihnen mittelbare Handelsgeschäfte. Hieher gehören namentlich die Verträge, welche mit Redacteuren, Correspondenten u. a. abgeschlossen werden.
Die Drucksachen sind nicht blos Schriften, sondern auch Abbildungen, Karten, Zahlenwerke, u. dgl. gleichviel, ob damit schriftliche Artikel verbunden werden. Auch kommt selbstverständlich auf den Inhalt nichts an, und es ist gleichgültig, ob der Zweck auf Belehrung, Unterhaltung, auf politische Discussion u. anderes gerichtet ist. Auch der literarische Werth des Inhalts ist gleichgültig.
Der Handel in Büchern und Kunstsachen wurde hier nicht mehr besonders erwähnt, weil es sich nach der Regel des Art. 5 von selbst versteht, dass solche Geschäfte Handelsgeschäfte sind. Bücher und Kunstsachen werden mechanisch hergestellt und verkauft, oder sonst abgesetzt, wie andere Waaren. Dies gilt von allen Büchern, Kupferstichen, Lithographien, Holzschnitten, Photographien u. a. m. Dagegen ist die Anfertigung eines Kunstwerkes durch die Mittel der Kunst, im Gegensatz zur mechanischen Vervielfätigung, gleichviel ob auf Bestellung oder zum Verkauf, zur öffentlichen Ausstellung u. dgl. kein Handelsgeschäft. Wohl aber ist die Überlassung eines Kunstwerkes zum Zweck der mechanischen Vervielfältigung, der sog. Verlagsvertrag, ein Handelsgeschäft, sowohl in Bezug auf Bücher, als auf Kunstsachen, und in Bezug auf die öffentliche Aufführung oder Ausstellung von Kunstwerken.
Auch das Druckereigeschäft ist nach der Regel des Art 5. ein Handelsgeschäft, und bedürfte hier keiner besonderen Erwähnung mehr.
3) Die Stellvertretung in Handelssachen, hier gewöhnlich Commission genannt, ist in allen Gesetzbüchern als Handelsgeschäft erklärt. Wer es übernimmt, für Andere in deren Handelsaffairen zu handeln, macht sich dadurch zu einem Werkzeug des Handels und betheiligt sich dadurch an den Geschäften des Handels. Es liegt offenbar im Interesse des Handels, dass Aufträge, die für Handelszwecke gegeben werden, auch ebenso wie das Geschäft selbst, welches den Gegenstand des Auftrages bildet, den Normen des Handelsrechts unterliegen. Die Commission ist ein Accessorium des committirten Geschäftes, und muss dessen rechtliche Natur annehmen. Der' Commissionsvertrag ist mit anderen Worten ein indirectes Handelschäft, und es würde strenge genommen nicht nöthig sein, ihn hier noch besonders zu erwähnen, weil er bereits in der Regel des Art. 5 von selbst enthalten ist. Die ausdrückliche Erwähnung erschien aber rathsam, theils um dem Beispiel der übrigen Gesetzbücher zu folgen, theils. weil diese Bestimmung ein sehr ausgedehntes Feld der practischen Anwendung findet, worüber kein Zweifel gelassen werden darf.
Der Entwurf unterscheidet sich übrigens von den üburigen Gesetzbüchern dadurch, dass er jede Stellvertretung in Handelsachen für ein Handelsgeschäft erklärt, während jene nach dem Vorgang der französischen Code eine „entreprise de Commission,” d. h. eine fortgesetzte und habituelle, das deutsche Gesetzbuch sogar eine gewerbemässige Ausübung von Commissionsgeschäften verlangen. Hiezu ist aber kein ersichtlicher Grund gegeben. Die Commission gehört ins Handelsrecht, nicht weil sie berufsmässig oder gewöhnlich von Kaufleuten betrieben wird, sondern weil sie einen Bestandtheil von Handelsgeschäften bildet.
Es möge hier, auch für andere Fälle, die Bemerkung Platz finden, dass die älteren Gesetzbücher, einer Zeit entstammend, in welcher das moderne Handelsrecht mehr noch in der Entwicklung begriffen und unreif war, das Bestreben zeigen, das Handelsrecht möglichst einzuschränken, während das Gegentheil im Interesse des Handels und in der Natur des capitalistischen Productionssystems liegt. Jenem Bestreben liegt zum Theil die veraltete Meinung zu Grunde, als sei das Handelsrecht nur ein besonderes Standesrecht der Kaufleute, was mit der heutigen Auffassung vollkommen unvereinbar ist.
Jene unrichtige Tendenz hat die Anwendung des Handelsrechts mit subtilen Schranken und Einschnitten umgeben, die zuweilen in Sonderbarkeiten. Wenn z. B. nach franizösischem Rechte ein Weinbauer seinen Wein selbst verkauft, ist es kein Handelsgeschäft; wenn er ihn aber durch Vermittlung eines Commissionärs venkauft, soll es ein Handelsgeschäft sein. Das widerstreitet offenbar dem gesunden Menschenverstande. Diese Distinctionen gehören einer Zeit an, in welcher die verschiedenen Productionszweige mehr von einander geschieden waren, während jetzt alle Operationen der Volkswrithschaft eine untrennbare Einheit bilden.
4) Der Betrieb öffentlicher Geschäftsbureaus und Agenturen umschliesst 1, eine grosse Reihe von Geschäften, die schon an sich Handelsgeschäfte sind, und würde dann zum Theil schon unter die vorausgehende Ziffer fallen ; aber auch 2, eine Reihe von anderen Geschäften, die selbst keine Handelsgeschäfte sind. In die erste Classe gehören z. B. Auctionsgeschäfte, Zeitungsannoncenbureaus,
Zeitungsagenturen, Telegraphen-bureaus, Versicherungsagenturen, Geschäftsbureaus für den Eisenbahn- oder Schiffsverkehr u. s. w. In die zweite Classe gehört die Besorgung jeder anderen Art von Geschäften für Dritte, soweit sie gewerblicher Natur ist und nicht dem Gebiet der Rechtspraxis angehört; z. B. die Einziehung von Zinsen und Geldern, die Vermittlung von Dienststellungen, die Vermittlung gewöhnlicher Darlehen und anderer Capitalanlagen, die Anfertigung von Schriften, die Einziehung von Erkundigungen u. dgl. Selbst Heirathsbureaus, zur Zeit in Europa gar nicht mehr selten, gehören hieher.
Gleichviel nun mit welcher Classe von Geschäften solche Agenturen und Geschäftsbureaus sich abgeben, ihr Betrieb wird, wie schon im französischen Code und anderen Codes, als Handelsgeschäft erklärt, unter der Voraussetzung, dass dieser Betrieb eine Unternehmung, also eine ständige Beschäftigung, wenn auch nicht gerade ein Gewerbe im Sinne einer förmlichen Berufsthätigkeit ist. Die Besorgung einzelner Geschäfte für Dritte gehört ins Civilrecht; wird aber daraus ein stehendes Geschäft gemacht, dann gehört es in das Handelsrecht. Der Grund dafür liegt zum Theil darin, dass solche stehende Etablissements sich vielfach mit Geschäften befassen, die commercieller Natur sind; dann aber auch darin, dass dieser Geschäftsbetrieb ein nicht unwichtiges Hülfsgeschäft des Handels bildet, und dass er die Tendenz des speculativen Erwerbs und die Art und Weise der Geschäftsführung mit den kaufmännischen Geschäften gemein hat, wie er denn auch in der Regel auf einer gewissen Capitalauslage beruht.
5) Unter diese Zitier fallen haupsachlich Theater-, Concertunternehmungen, Cafe’chantants, das Halten von Tanzlocalen und anderen Vergnügensplätzen; aber auch Lesecabinete, Clubs und der gleichen Anstalten für ernstere oder für gemischte Unterhaltung. In allen diesen Unternehmungen wird zum Theil nur ein gewöhnlicher Waarenumsatz betrieben, sie fallen daher insoweit unter die Regel des Art. 5. Sie dienen aber daneben auch als Absatzstätte für die Bethätigung mannichfacher persönlicher Künste und Fertigkeiten. Beide Arten des Absatzes können nicht wohl von einander getrennt werden; und da die Betriebsweise meist vorwiegend eine gewerbliche und speculative ist, und auf dem Boden eines oft bedeutenden Capitalaufwandes wie bei reinen Handelsunternehungen erfolgt, so müssen diese Untermnehmungen als Handelsgeschäfte angesehen werden. Auf diesem Standpunkt stehen auch die übrigen Gesetzgebungen.
In allen diesen Unternehmungen handelt es sich der Regel nach um Ausübung der Kunst, um die Production künstlerischer Leistungen, womit mehr oder weniger die Absicht des sinnlichen Genusses verbunden sein kann. Die Ausübung der Kunst ist nun an sich kein Handelsgeschäft, der Künstler als solcher kann wie als ein Kaufmann betrachtet werden. Allein in solchen Unternehmungen wird die Kunst als Erwerbsquelle ausgebeutet, und in speculativer Weise verwerthet, und es tritt dadurch ein ähnliches Verhältniss, wie durch die mechanische Vervielfältigung von Büchern oder Gemälden. Wenn die Kunst zum Erwerbsgeschäft wird, muss sie auch als Handelsgeschäft behandelt werden. Ein Virtuose, der seine Kunst in solcher Weise verwerthet, ist wenig verschieden von einem Finanz- oder Börsengenie, das mittelst glänzender Speculationen Millionen erwirbt.
Unternehmungen dieser Art sind dann vorhanden, wenn Jemand die Vermittlung des Absatzes von Kunst- und ähnlichen Genussen an das Publicum übernimmt. Solche Unternehmer können entweder die Künstler selbst sein, oder dritte Personen, die als gewöhnliche Geschäftsleute Verträge mit Künstlern abschliessen, oder die Locälitäten hiefür stellen und die nöthigen Dienstleistungen besorgen. Auch Engagements von Künstlern für Kunstreisen gehört hieher. Selbst einzelne Concerte, die etwa ein Künstler einmal auf eigene Faust veranstaltet, sind von der französischen Jurisprudenz mit Recht als Handelsgeschäfte erklärt worden. Denn unter den heutigen Verhältnissen sind Künstler als stehende Unternehmer von Kunstproductionen anzusehen, und die Gewohnheit, (habitude) öffentliche Kunstleistungen zu verwerthen oder abzusetzen, muss bei ihnen als Regel vorausgesetzt werden. Es kann sich daher bei einem einzelnen Concert nicht darum fragen, ob diesem bereits andere vorausgegangen oder noch andere nachfolgen werden. Das einzelne Concert ist nur das Glied einer zusammenhängenden Kette, deren Gliederzahl vom Künstler nach seinem Ermessen bestimmt wird. Das Gesetz mischt sich in dieses rein persönliche Ermessen nicht ein, um einen Unterschied zu machen, der vom Künstler jeden Augenblick vereitelt werden könnte. Ebenso wäre zu urtheilen, wenn ein Maler ein einzelnes Gemälde einmal gegen Eintrittsgeld ausstellen würde.
Künstler werden dadurch, dass ihnen die Gewohnheit imputirt werden muss, durch die Kunst einen Erwerb zu machen, noch nicht zu Kaufleuten. Der Beruf des Künstlers bleibt dabei vollkommen intact; die Erwerbstendenz der Künstler ist etwas zufälliges, accessorisches, welches das Wesen der künstlerischen Berufsthätigkeit nicht bestimmt. Diese Erwerbstendenz ist zum grossen Theil eine Zeitrichtung, die in gewissen Zeitaltern mehr hervortritt; sie ist aber auch bei den einzelnen Individuen höchst verschieden. Selbst wenn sie ganz verschwinden würde, bliebe die Kunst als Beruf doch völlig bestehen.
6) Eine Accord- Unternehmung (General Entreprise) ist die Übernahme eines Gesammtwerkes, dessen Ausführung die Vornahme einer Reihe verschiedener einzelner Geschäfte nöthig macht, gegen eine einheitliche Gesammtvergütung. Solche Werke sind z. B. die Erbauung oder Errichtung eines Hauses, einer Fabrik, die Errichtung eines Hafens oder Docks, die Ausführung von Bewässerungsanstalten, von Drainagen, die Anlage eines Gartens oder Parks, die Abhojzung eines Waldes, die Ausführung von Eisenbahn- oder Canalarbeiten im Ganzen oder in einzelnen Partien, wie Erdarbeiten, Holzarbeiten, die Lieferung und Aufstellung von Maschinen u. dgl. m. Solche Geschäfte sind entweder reine Umsatzgeschäfte, und bestehen dann in der Lieferung oder Bearbeitung von Waaren, oder es kommen dazu noch mannichfaltige Arbeiten und Dienstleistungen persönlicher Natur. Welcher Art auch die verschiedenen Theile einer solchen Unternehmung sein mögen, so bilden sie unter einander ein untrennbares Ganzes, welches wesentlich vom commerciellen Gesichtspunkten beherrscht wird. Solche Unternehmungen werden mit Capital in speculativer Weise betrieben und sind daher in der Hauptsache Handelsgeschäfte, wenngleich sie dies in ihren einzelnen Partien nicht von selbst wären.
Gewöhnlich liefert der Unternehmer zu solchen Werken die nöthigen Materialien, Geräthe und Maschinen, und in diesem Falle liegt dann insoweit ein gewöhnliches Umsatz- oder Fabricationsgeschäft vor. Aber auch wie dies nicht der Fall ist, muss doch ein Handelsgeschäft angenommen werden, weil der Unternehmer im wesentlichen die Stellung eines Lieferanten einnimmt und eine productive Circulation von Capital bewirkt. Unter den Gesetzbüchern findet sich eine ausdrückliche Bestimmung dieser Betreffs nur im italienischen Code Art. 2 Ziffer 8, jedoch mit der Beschränkung auf Werke der Fabrikation und Construction und auf die Lieferung der Materialien durch den Unternehmer, wobei ersichtlich der zu enge Begriff der Handelsgeschäfte, als Einkauf zum Wiederverkauf von Waaren, massgebend gewesen ist. Diese Beschränkungen sind aber nicht gerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass jede solche Unternehmung, gleichwie ein gewöhnliches Handels- oder Fabrikgeschäft, Capital zur productiven Anlage bringt und das daraus entstandene Product ein Gegenstand des Umsatzes ist, dann es wird effectiv vom Unternehmer an den anderen contrahirenden Theil verkauft. Der Unterschied liegt im ganzen nur darin, dass das Product im vorliegenden Falle keine einzelne Waare oder Waarenquantität, sondern ein anderes Werk ist, das aber auf mechanischem Wege hervorgebracht wurde und einen commerciellen Werth hat. In der Praxis dürften dergleichen subtile Beschränkungen nicht leicht acceptirt werden.
In den Gesetzbüchern findet sich in diesem Zusammenhänge meist noch ein Artikel, der die Geschäfte des Schiffsverkehres als Handelsgeschäfte erklärt. Dies ist für den vorliegenden Entwurf unnöthig, weil diese Geschäfte von selbst in der Regel des Art. 5 enthalten sind. Denn hiernach ist der Seetransport zum mindestens ein mittelbares Handelsgeschäft, und denselben Character müssen auch alle einzelnen Geschäfte haben, in welche der Seeverkehr juristish und practisch verfällt. Es gehören hieher: der Kauf und Verkauf von Schiffen, die Erbauung, Ausbesserung, Umänderung, Anrüstung von Schiffen, und alles was geschehen muss, um ein Schiff seetüchtig zu machen, die Bemannung der Schiffe, also die Anstellung der Capitains und der Schiffsmannschaft; der Frachtvertrag, die Seeversicherung und der Bodmereivertrag; sowie alle anderen Geschäfte, welche den Seetransport oder Seehandel betreffen.
Art. 7. Die Bestimmung dieses Artikels findet sich gleicher Weise auch im deutschen Code (Art. 273 274), im italienischen (Art. 3 Ziff. 3), im französischen (Art. 632. 638) und in denen, welche dem letzteren gefolgt sind, wenn auch nicht ganz in derselben Fassung.
Es wird damit die Präsumtion aufgestellt, dass alles, was ein Kaufmann im Lauf seines gewerblichen Betriebs vornimmt, als Handelsgeschäft behandelt werden soll, soferne nicht das Gegentheil aus den Umständen erhellt. Eine solche Bestimmung ist nothwendig, weil der Handelsbetrieb äusserst beweglicher und elastischer Natur ist, und die generelle Vorausbestimmung aller möglichen Arten von Handelsgeschäften von Seiten des Gesetzgebers unmöglich wäre. Geschäfte also, die ein Kaufmann in seinem Comptoir abschliesst, oder die er in seine Bücher einträgt, oder die er mit seiner Firma zeichnet oder mit denen er seine Handlungsgehülfen etc. beauftragt, sollen im Zweifel als Handelsgeschäfte gelten; insbesondere auch solche, die er mit anderen Handelspersonen und Unternehmern abschliesst.
Der Artikel hat aber, namentlich in der letzteren Beziehung, noch eine bestimmtere und weitergehende Bedeutung. Die Worte „im Zweifel”, d. h. bis zum Beweis des Gegentheils, beziehen sich nämlich nicht auf jeden möglichen Gegenbeweis, sondern nur auf einen Beweis aus den Umständen, unter denen ein Geschäft abgeschlossen wurde. Wenn also ein Kaufmann, unter allen Formen eines commerciellen Geschäfts, sich eine Sendung Wein oder Reis etc. kommen lässt, so ist der andere (Kontrahent berechtigt, dies als ein Handelsgeschäft zu behandeln, wenngleich der Wein etc. nur für den persönlichen Verbrauch des Kaufmanns bestimmt war, soferne das letztere nicht ans den Umständen des Geschäftsabschlusses zu erkennen war. Unter der gleichen Voraussetzung ist ein Darlehen oder eine andere Schuld, worüber ein Kaufmann unter seiner Firma einen Schuldschein ausstellt, als Handelschuld zu behandeln. Eine solche Bestimmung ist nothwendig, um etwaigen unsauberen Manipulationen eines Kaufmanns zum Nacktheil seiner Gläubiger einen Riegel vorzuschieben.
Die Bestimmung des französ. Code Art. 632, wornach alle Obligationen zwischen Unternehmern, Kaufleuten und Bankiers Handelsgeschäfte sein sollen, ist theils zu weit, theils zu eng. Ein Ehevertrag zwischen zwei Kaufleuten ist offenbar kein Handelsgeschäft; ebenso wenig ein Kaufgeschäft zwischen zwei Künstlern, die als Unternehmer gelten müssen, über Bücher oder Musikinstrumente. Andererseits besteht keine Veranlassung, Geschäfte zwischen Kaufleuten und Privaten von der Regel auszuschliessen, wenn sie in den Gewerbebetrieb der ersteren fallen. Ein Darlehen z. B. das ein Kaufmann für seine Firma aufnimmt, ist unzweifelhaft ein Handelsgeschäft, denn es ist ein reines Capitalgeschäft, kein Act der bürgerlichen Haushaltung. Daneben erscheint es als eine Anconsequenz, wenn weiterhin Wechselgeschäfte zwischen allen Personen als Handelsgeschäfte Jurisprudenz erkärt sind; denn der Wechsel ist nichts als eine Form für den Abschluss von Handelsgeschäften. Auch hier zeigt es sich, dass die älteren Gesetzbücher zwischen der Auffassung des Handelsrechts, als eines Rechtes für Kaufleute, und eines Rechtes für Handelssachen unentschieden hin und her sch wanken. Diese Unklarheit muss bei dem heutigen Stande der Jurisprudenz vermieden werden.
Art. 8. In den Artikeln 5, 6 und 7 wurde die Natur der Handelsgeschäfte bestimmt und für die practischen Bedürfnisse des Verkehres festgestellt. Das leitende Princip hiebei war, dass alle Geschäfte, welche mit Capital betrieben werden und mittelbar oder unmittelbar einen Umsatz von Producten und Waaren bewirken, Handelsgeschäfte sein sollen. Es ist nun weiterhin angemessen, auch ausdrücklich zu erklären, welche Geschäfte nicht zu den Handelsgeschäften gehören, soweit über diese Frage noch Zweifel bestehen könnten, die nicht sicher und unmittelbar aus den vorangehenden Artikeln zu lösen sind. Das gegentheilige Princip wäre nun offenbar, dass Geschäfte, die nicht mit Capital betrieben werden und keinen Güterumsatz bewirken, keine Handelsgeschäfte sind. Dies ist auch für die ausserhalb der Capital-production stehenden sog. unproductiven Thätigkeiten, wie die Geschäfte des Staatsdienstes, der juristischen und ärztlichen Praxis, des Lehrer- und Künstlerberufs klar genug und bedarf keiner besonderen Erwähnung im Gesetz. Dagegen bleiben auf dem Gebiete der sog. productiven Thätigkeiten noch Zweifel übrig, die der eigenen Schlussfolgerung des Richters nicht wohl anheimgegeben werden können. Es wird daher in diesem Artikel erklärt, dass gewisse Geschäfte und Dienste, die an sich unter die Regeln der vorhergehenden Artikel fallen könnten, doch davon ausgeschlossen sein sollen, und zwar aus zwei Gründen, einmal wegen ihrer Geringfügigkeit, und sodann weil ihr Zweck in der Hauptsache nur auf Gewinnung von Arbeitslohn und des Arbeitern zukommenden Lebensunterhaltes gerichtet ist.
Ziffer 1. bezieht sich auf Hausirer, auf die Verkäufer auf offener Strasse, auf Handwerker, die auf offener Strasse arbeiten, und meist nur geringfügige Reparaturen vornehmen, auf Sinrikischakuli’s, auf Führleute, Bootsleute, die an gewissen Stellen des Uebergangs, oder auch für Vergnügenszwecke, ihre Dienste oder Boote vermiethen, Führer, Träger u. s. w. Alle diese Leute sind abstract genommen Handelsleute oder Unternehmer, allein ihre Thätigkeit ist von so niederer Art und der Erwerb dabei so geringfügig, dass man kaum sagen könnte, es seien Capitalisten, die auf Reproduction und Gewinn speculiren. Diese Beschäftigungen sind die Erwerbszweige der armen Classen, und der Verdienst, den sie machen, ist in der Regel nichts weiter als kümmerlicher Unterhalt, steht also dem Arbeitslohn völlig gleich. Es würde daher nicht angemessen sein, diese Erwerbspersonen den auf die Circulation des Capitals berechneten, exacten, strengen und zugleich elastischen Formen des Handelsrechts zu unterwerfen. Diese Erwägung trifft jedoch nicht zu bei solchen Geschäftsleuten, die von einem ständigen Laden oder Local aus ihre Waaren im Umherwandern feilbieten, theils persönlich, theils durch Geschäftsgehülfen; z. B. Curiohändler, welche zuweilen mit Waaren ihre Kunden in deren Häusern aufsuchen, Kunstgärtner, welche Blumen, Zuckerbäcker, welche Bäckereien auf den Strassen ausbieten u. .s. w. Geschäftsleute der letzteren Art unterliegen den Bestimmungen des Handelsrechts in der gewöhnlichen Weise, da bei ihnen das Moment der Geringfügigkeit und Aermlichkeit des Geschäftsbetriebes nicht vorliegt.
2) Im Uebrigen wird jedoch zwischen Gross- und Kleinhandel, zwischen Fabrikbetrieb kein weiterer Unterschied gemacht. Das deutsche Gesetzbuch schliesst in Art. 272 Ziff. 1. alle Handwerker, und in Art. 10. alle Trödler, Wirthe, gewöhnliche Fuhrleute und Schiffer, überhaupt alle deren Gewerbe nicht über den Umfang des Handwerksbetriebes hinausgeht, wenigstens theilweise vom Handelsrecht aus. Allein der Begriff des Handwerks gehört, genau genommen, den Standesrechten des Mittelalters an und lässt sich für die Periode der capitalistischen Productionsweise, d.i. der Gewerbefreiheit, nicht mehr feststellen. Diese Grenzbestimmung ist daher practisch unanwendbar und ist auch in den übrigen Gesetzbüchern nicht anzutreffen. Dagegen ist es ein wohlverstandenes und der allgemeinen Praxis entsprechendes Princip, dass blosse Gewerbsarbeiter nicht in die Classe der Handelspersonen fallen, in allem was ihre gewerblichen Dienstleistungen betrifft. Dieses Princip ist auch in dem englischen Bankerottgesetz Sched. 1. ausdrücklich ausgesprochen, wornach jeder common labourer and workman for hire, also der gemeine Arbeiter und jeder, der für Arbeitslohn arbeitet, nicht als trader angesehen werden soll. Dieses Princip liegt den folgenden Bestimmungen des Artikels zu Grunde. Ziffer 2. handelt speciell von solchen, welche zwar an sich selbständige Gewerbtreibende sein mögen, auch wohl einiges Capital besitzen und in gewissen engen Grenzen auch Waaren anfertigen und verkaufen, aber doch in der Hauptsache nur gegen Lohn, insbesondere Taglohn arbeiten. Solche Personen sind z. B. Schneider, die in den Häusern gegen Tagelohn arbeiten, auch wenn sie die Stoffe oder Geräthe selbst liefern, Gärtner, die gegen Tagelohn Gartenarbeiten verrichten, kurz alle selbständigen Handwerker, die für Lohn arbeiten. Dieselben stehen hinsichtlich der Geringfügigkeit ihres Geschäftsbetriebes mit denen der ersten Classe in Ziffer 1. auf gleicher Stufe.
3) In dieser Rubrik stehen alle gewerblichen Arbeiter, die es noch nicht zur Selbständigkeit gebracht haben, sondern sich als reine Arbeiter oder Diener gegen Lohn verdingen. Die hierauf bezüglichen Arbeite- und Dienstverträge sind keine Handelsgeschäfte. Doch gibt es in dieser Beziehung traditionell gewisse Ausnahme, nämlich für die Handlungsgehilfen und für die Seeleute, deren Dienstleistungen in der unmittelbarsten Beziehung zum commerciellen Geschäftsbetrieb stehen und daher allgemein als Theile des Handelsrechts behandelt werden.
Ueber diese Materien ist später am passenden Orte zu bestimmen.
Die Bestimmung der Ziffer 3. dieses Artikels bezieht sich auf alle Arbeiter in der Industrie, in der Landwirthschaft und in allen übrigen Zweigen der Rohstoffgewinnung, ohne Unterschied, ob sie nur gemeine Handarbeiter oder technisch gelernte Arbeiter sind; dagegen nicht auf diejenigen, welche als eigentliche Handlungsgehülfen, für die Zwecke des Umsatzes, angestellt werden. Solche Gehülfen, wie Buchhalter, Cassirer u. dgl. gibt es auch in diesen Productionszweigen nicht selten, und es besteht kein Grund, sie von der allgemeinen Stellung der Handlungsgehülfen auszunehmen.
Art. 9. Der Inhalt dieses Artikels ist der, dass der Grundbesitz seinem ganzen rechtlichen Inhalte nach kein Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann und daher ausserhalb des Handelsrechts steht. Diese Bestimmung findet sich in allen Gesetzbüchern, theils ausdrücklich wie im deutschen Art. 275, theils indirect, indem als Gegenstände von Handelsgeschäften nur bewegliche Sachen (Spanischer Code Art. 359) oder nur Producte und Waaren (Französ. Code Art. 632) genannt werden. Sie ist auch durch die Natur der Sache geboten. Der Grund und Boden wird nicht, wie das Capital, durch Production hervorgebracht, sondern ist von Natur vorhanden. Er ist unveränderlich und unzerstörbar, während die Waaren in unaufhörlichem Wechsel immerfort neu erzeugt und verbraucht werden. Grundstücke können ihrer Natur nach kein Gegenstand des speculativen Handels sein, ihre Aneignung steht unter dem Gesichtspunkt des dauernden Gebrauches, um eine sichere Grundlage der gesammten Lebensstellung zu erlangen. Stabilität ist in hohem Grade ein Erforderniss des Grundbesitzes um seiner selbst willen, und soferne das Grundeigenthum mit der Staatsverfassung Zusammenhang, auch eine wichtige politische Anforderung. Aus diesen Gründen muss das Recht des Grundbesitzes lediglich auf sich selbst beruhen und kann in keiner Weise von Handelsrücksichten beeinflusst oder modificirt werden.
Man darf jedoch nicht übersehen, dass diese Gesichtspunkte nur auf die Rechtsverhältnisse des Grundbesitzes gehen, keineswegs aber auf alle Verträge über unbewegliche Sachen, wie es ungenau in dem citirten Art. 275 des deutschen Handelsgesetzbuches heisst. Verträge über Grundstücke können sehr wohl Handelsgeschäfte sein, soferne das Recht des Grundbesitzes davon nicht berührt wird. So sind z. B. die oben zu Art. 6. Ziffer 6. besprochenen Accord-Unternehmungen, soferne sie die mannichfaltigsten Erdarbeiten betreffen, Verträge, welche Grundstücke, resp. deren Bearbeitung zum Gegenstand haben. Auch Holzverkäufe, solange das Holz noch auf dem Stamme steht, sind Verträge über unbewegliche Sachen, da ungefällte Bäume noch Bestandtheile des Bodens sind; ebenso der Verkauf von Häusern auf den Abbruch, zum Zweck des Absatzes der Materialien. In allen diesen Fällen handelt es sich um reine Handelsgeschäfte, wenn gleich ihr thatsächlicher Gegenstand unbewegliche Sachen sind; das Recht des Grundbesitzes bleibt von solchen Geschäften unberührt, ihre rechliche Intention ist ausschliesslich die des Umsatzes von Waaren. Selbst der Verkauf von stehenden Früchten ist in gleicher Weise zu beurtheilen, nur mit der Modification, dass ein solches Geschäft als ein bedingtes zu betrachten wäre, weil die spätere Einerntung hier nicht blos vom menschlichen Willen abhängt, wie das Fällen von Bäumen oder das Einreissen eines Hauses. Auch wird, sogar nach der deutchen Rechtsprechung, der Character eines Handelsgeschäftes nicht aufgehoben, wenn sich unter den zu einem veräusserten Handlungsetablissement gehörigen auch eine unbewegliche Sache befindet, weil hier der eigentliche Vertragsgegenstand die Firma ist, also ein Vertrag über sämmtliche zu einer Firma gehörigen Rechte vorliegt, nicht über Grundstücke, und die Natur der einzelnen Theile sich nur nach der Natur des Ganzen bestimmen kann.
Um daher möglichen Zweifeln und Irrthümern vorzubeugen, und den freien Fluss der Handelsgeschäfte nicht unnöthiger Weise zu hemmen, wurde die Fassung gewählt, dass es sich um Rechte an Grundstücken handeln muss, nicht um Arbeiten an Grundstücken, oder um Objecte, welche nach der Intention des Vertrages als bewegliche anzusehen sind.
Die Rechte an Grundstücken sind übrigens hier in ihrem gesammten Umfange zu verstehen, mithin nicht blos das Eigenthum, sondern auch der Besitz, Rechte an fremden Grundstücken wie Servituten und Hypotheken. Auch die Verpachtung und Vermiethung, soferne sie wie nach englischem und preussischem Rechte dingliche Rechte übertragen. Indessen sind hier einige Vorbehalte zu machen. Die Vermiethung eines Hauses, gleichviel ob für Handelszwecke oder nicht, ist immer ein civiles Rechtsgeschäft und steht ausserhalb des Handelsrechts. Wenn aber ein Gastwirth seine Zimmer und Localitäten an Reisende oder Gäste, oder wenn ein Restaurateur seine Räumlichkeiten für Bälle, Concerte, Diners etc. dauernd oder vorübergehend vermiethet, so gehört dies in den Betrieb seines Handelsgewerbes und ist in allen Fällen ein Handelsgeschäft, denn das Principale dieser Geschäfte ist der Umsatz dessen, was in den Bereich solcher Etablissements gehört.
Ebenso würde die Bestellung oder Veräusserung einer Hypothek ein Handelsgeschäft sein, wenn die Hypothek selbst in Folge ihrer rechtlichen Construction eine Handelssache wäre. Dies ist der Fall bei der Verpfändung von Schiffen, oder wenn Hypothekenbriefe als Umsatzpapiere, gleich Wechseln, creirt werden. Das gleiche gilt von der Benützung von Lagerräumen, General-Magazinen, bonded ware-houses, wenn über die darin aufgestapelten Waaren Handelspapiere ausgestellt werden, wie Lagerscheine, warrants, Lock warrants u. dgl. In diesen Fällen ist das dingliche Recht ganz und gar von dem Handelsgeschäft umschlossen und, so zu sogen, verhüllt.
Art. 10. An dieser Stelle wird in den älteren Handelsgesetzbüchern herkömmlicher Weise eine Definition der Kaufleute gegeben. Dies erscheint aber aus mehreren Gesichtspunkten unzutreffend. Einmal weil es den Schein erweckt oder forterhält, als sei das Handelsrecht ein persönliches Recht der Kaufleute, während es doch in Wirklichkeit ein Recht für Handelssachen ist. Sodann, weil dadurch ganze Classen von Gewerbtreibenden als Kaufleute erklärt werden, die es dem Wortsinne nach nicht sind, z. B. Fabrikanten, Schiffer u. a. Ferner, und hauptsächlich, weil die für Kaufleute—in dem dadurch beabsichtigten legislativen Sinne—berechneten Bestimmungen durchaus keine persönliche Bedeutung haben, sondern sich nur auf stehende Handelsgewerbe beziehen, nämlich die Bestimmungen über Firmen, Handelsbücher und Procuristen. Es ist daher ohne Zweifel richtiger, wenn der Gesetzgeber die Sache, um die es sich handelt, direct bezeichnet, ohne an dem traditionellen Titel eines Kaufmanns hängen zu bleiben, und die Ertheilung dieses Titels, der an sich ganz unwesentlich ist, dem Sprachgebrauche überlässt.
Der Artikel unterscheidet daher, logisch consequenter, zwischen einzelnen Handelsgeschäften und stehenden Handelsgewerben, und nicht, wie die älteren Gestzbücher zwischen Handelsgeschäften und Kaufleuten. Ein ständiges Handelsgewerbe oder, wie man in der Folge kürzer sagen kann, nachdem der Begriff einmal festgestellt ist, ein Handelsgewerbe enthält das Merkmal der Dauer und Beständigkeit und folglich des inneren Zusammerhanges, im Gegensatz zu blos vorübergehenden, gelegentlichen, unzusammenhängenden Geschäften. Bei einem ständigen Gewerbe sind die einzelnen Geschäfte nichts einzelnes, sondern ein grosses, einheitliches Ganzes, dessen einzelne Theile mit einer gewissen Nothwendigkeit sich an einander reihen und aus und auf einander folgen. Ein Gewerbe wird einmal gegründet und spinnt sich dann, so zu sagen, von selbst weiter; dagegen einzelne Geschäfte, für sich genommen, bedingen sich nicht unter einander, bilden keine innere Einheit, und werden nach Gelegenheit und Willkür immer von Neuem begründet. Die Gewohnheit oder Häufigkeit solcher vereinzelten Geschäfte ändert an ihrem Begriffe nichts; wer kein stehendes Gewerbe hat, mag einzelne Geschäfte noch so häufig, und vielleicht mit einer gewissen Regelmässigkeit bei periodisch wiederkehrenden Anlässen, betreiben, er wird dadurch noch nicht zum Inhaber eines ständigen Gewerbes. Auch die Gleichartigkeit der Geschäfte ist von keinem Einflusse. In einem Handelsgewerbe können die verschiedensten Geschäfte einander ablösen, sie sind alle nur der Ausfluss eines und desselben Gewerbswillens; dagegen kann Jemand die Gewohnheit haben, nur gewisse Geschäfte, immer derselben Art. z. B. Darlehen oder Depositen, oder Theegeschäfte; Reisspeculationen u. dgl. vorzunehmen, und sie werden doch nur als vereinzelte Geschäfte zu beurtheilen sein.
Einem Gewerbe wird der Inhaber regelmässig sein ganzes Vermögen, so wie seine ganze Kraft und Zeit widmen; insoferne hat der Betrieb eines Gewerbes mit der Ausübung eines bestimmten Berufes eine grosse Aehnlichkeit. Doch ist jener nicht absolnt nothwendig. Der Inhaber eines Gewerbes kann sich der persönlichen Geschäftsführung mehr oder minder entschlagen, und dieselbe Miethspersonen überlassen. Dies ist namentlich bei Gesellschaften der Fall. Ein Actienunternehmung ist offenbar ein Handelsgewerbe, wenn auch alle Actionäre keine berufsmässigen Kaufleute sein mögen. Selbst bei offenen Gesellschaften kann es nicht geschäftsführende Theilnehmer geben. Zweifel können in dieser Hinsicht nicht entstehen. Denn jedes Handelsgewerbe muss mit einer bestimmten Firma registrirt werden; ohne diese Vorbedingung kann es sich immer nur um vereinzelte Geschäfte handeln.
Auch auf die Absicht, mittelst eines Gewerbs Gewinn zu machen oder seinen Lebensunterhalt zu suchen, kommt nichts an. Factisch werden allerdings die Gewerbe in der Regel mit dieser Absicht betrieben, aber die juristische Begriffsbestimmung ist davon unabhängig. Man kann ein Gewerbe auch aus anderen Absichten betreiben, z. B. für Verkehrs- oder für financielle Zwecke, um Versuche zu machen, oder um Concurrenz-Zwecke zu verfolgen.
Die herkömmliche Definition von Kaufleuten ist auch insoferne ungenügend, als ein Kaufmann mehrere Gewerbe betreiben kann.
In diesem Falle gelten die betreffenden gesetzlichen Vorschriften nicht für seine Person, sondern für die Gewerbe, die er betreibt; sie sind daher nicht blos einmal zu beobachten für seine Person, sondern für jedes Gewerbe, und daher so oftmals, als er verschiedene Gewerbe im Betrieb hat.
Der gegenwärtige Artikel gibt den Betrieb von einzelnen Handelsgeschäften und ständigen Gewerben an alle selbständigen Personen frei. Dies ist in Uebereinstimmung mit allen Gesetzen und wird keiner weiteren Begründung bedürfen. Es entspricht dem modernen Begriff der Gewerbefreiheit. Die in älteren Zeiten üblichen Vorbedingungen einer Concession Seitens der Staatsgewalt, oder der Aufnahme in eine Innung, oder ein bestimmtes Alter, Staatsangehörigkeit u. s. w. sind jetzt allgemein aufgegeben.
Das Moment der Selbständigkeit ist nach den Grundsätzen des Civilrechts zu beurtheilen. Als unselbständige Personen sind hiernach anzusehen: 1, Minderjährige; 2, Ehefrauen; 3, solche, denen die selbständige Verwaltung ihres Vermögens entzogen ist, wie erklärte Wahnsinnige und Verschwender, also alle diejenigen, die unter einer Vormundschaft stehen. Das Handelsrecht fügt zu diesen Personen, wenigstens in Bezug auf den Betrieb eines Gewerbes, etwa noch hinzu die nicht rehabilitirten Bankerotteure. Ueber diesen letzteren Punkt ist später an dem betreffenden Orte zu handeln.
Ausgenommen sind, in Gemässheit des Vorbildes anderer Gesetzgebungen, vom Betrieb des Handelsgewerbes diejenigen, welche ein öffentliches Amt bekleiden. Dieses Verbot wird mit Recht aus der Natur des öffentlichen Amtes gefolgert, welches die ganze Persönlichkeit, moralisch und intellectuell, und ebenso auch physisch in Anspruch nimmt, und sich mit der Verantwortlichkeit und Abhängigkeit die ein Gewerbe mit sich bringt, nicht verträgt. Aber nur Gewerbe sind den öffentlichen Functionären untersagt, nicht einzelne Handelsgeschäfte, auch wenn sie häufig und gewohntermassen eingegangen werden. Es wäre ein so weit gehendes Verbot eine unmotivirte Beschränkung der persönlichen Freiheit und des privaten Erwerbslebens. Wenn ein Beamter um solcher Geschäfte willen die Pflichten seines Amtes vernachlässigen würde, geben die bestehenden Gesetze und Verordnungen hinreichende Mittel der Correctur an die Hand.
Der Begriff des öffentlichen Amtes ist in dem weiteren Sinne zu nehmen, dass er nicht blos den eigentlichen Staatsdienst begreift, sondern auch andere Amtsstellungen öffentlicher Natur. Es unterliegen also dem Verbot auch Offiziere der Armee und Marine, Priester und öffentliche Lehrer, ja selbst Advokaten und Notare; ferner auch die dem Staatsdienst gleichstehenden, besoldeten Gemeindeämter, dagegen nicht die unbesoldeten, nichtberufsmässigen Ehrenämter. Auch das Amt eines Deputirten würde nicht hieher gehören, und ebenso wohl auch nicht das Amt eines Senators. Wohl aber Hofämter. Das Verbot trifft alle diejenigen, welche ein solches Amt bekleiden, die thatsächliche gleichzeitige Activität ist nicht erforderlich. Dagegen würden solche, die den öffentlichen Dienst verlassen haben, gleichviel ob mit Pension oder nicht, dem Verbote nicht mehr unterliegen.
Es ist übrigens zu bemerken, dass die Wirkungen dieses Verbotes nicht dieselben sind für öffentliche Functionäre, wie für Minderjährige und dergleichen Personen. Die Unfähigkeit der letzteren ist civil-rechtlicher Natur und macht die von ihnen vorgenommenen Geschäfte ungültig oder doch anfechtbar. Dagegen das Verbot für Beamte ist publicistischer Natur und bewirkt an sich keine civilistische Ungültigkeit oder Anfechtbarkeit der von ihnen gesetzwidrig vorgenommenen Handelsgeschäfte. Die Bestimmungen des Handelsrechts sind daher auf solche Geschäfte mit voller Wirkung anwendbar, sowohl hinsichtlich der Rechte als der Verpflichtungen, die daraus entstehen. Die publicistischen Folgen einer solchen Gesetzesübertretung festzustellen, dazu ist das Handelsgesetzbuch nicht der geeignete Ort. Diese Folgen können in Entlassung und verschiedenen disciplinären Strafen bestehen, ihre Festsetzung mit Einschluss des dabei zu beobachtenden Verfahrens muss den Gegenstand besonderer Gesetze bilden.
Nach preussischem und oesterreichischem Rechte ist die Unfähigkeit der Beamten zum Gewerbebetrieb keine absolute, sondern sie kann durch Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde gehoben werden. Diese Bestimmung, welche durch das Reichsgesetz vom 21. März 1873 auch auf die Beamten des deutschen Reiches ausgedehnt worden ist, möchte jedoch nicht sehr empfehlenswerth sein, und ist auch in einzelnen deutschen Staaten, und in anderen Gesetzgebungen, nicht adoptirt. Es ist in jeder Beziehung besser, die öffentlichen Beamten in dieser Hinsicht einem gleichmässigen Grundsatze zu unterwerfen. Dagegen kann nur der persönliche Betrieb eines Gewerbes den Beamten verwehrt sein, nicht auch der blosse Besitz eines Gewerbes, wenn der Betrieb ganz und gar durch andere Personen erfolgt. Ebenso gut als Beamte Grundbesitzer sein können, wird ihnen der Besitz eines Gewerbes nicht untersagt werden dürfen, zumal ihnen ein solcher Besitz sehr leicht auf den Wegen des bürgerlichen Erwerbes, namentlich durch Erbschaft, zufallen kann. Ferner scheint kein genügender Grund dafür gegeben, das Verbot auch auf die Ehefrauen und andere Familienangehörige von Beamten auszudehnen.
Art. 11. In diesem Artikel werden zunächst diejenigen Handelsgewerbe, welche von Gesellschaften und juristischen Personen betrieben werden, denen aller übrigen Handeltreibenden gleichgestellt. Dies ist nothwendig, weil bei Gesellschaften und noch mehr bei juristischen Personen die physischen Individuen, welche sie bilden, in den Hintergrund treten, und alles, was über Handelsgewerbe verordnet wird, nicht sowohl für die letzteren, als vielmehr für die ersteren gilt. Daraus folgt insbesondere, dass die Mitglieder von Handelsgesellschaften an sich keine Handeltreibende sind, was für Beamte und andere im vorigen Artikel besprochene Classen von Wichtigkeit sind. Die Mitglieder einer offenen Handelsgesellschaft werden freilich in der Regel zugleich Handeltreibende sein, dagegen nicht die stillen Mitglieder einer Commanditgesellschaft und die Aktionäre einer Actiengesellschaft. Sodann ist eine ausdrückliche Bestimmung darüber, dass juristische Personen, wenn sie ein Handelsgewerbe betreiben, den gleichen Verpflichtungen wie physische Personen unterliegen, zweckmässig und geboten. Diese Bestimmung gilt sowohl für den Staat und dessen einzelne Departements, als auch für Gemeinden u. a. Wenn also die Regierung ein Handelsgewerbe betreibt, wird sie wie Private dafür eine besondere Firma führen müssen und dieselbe zu registriren haben. Dies liegt im Interesse der Ordnung und der Rechtsgleichheit für alle Handeltreibende.
Obwohl oben in Art. 5. auch die Geschäfte der Gütererzeugung im allgemeinen als Handelsgeschäfte gerechnet wurden, ist es doch angemessen, in Betreff des gewerblichen Handelsbetriebes einige Ausnahmen von der Regel zu machen. Das Princip ist und muss immer sein, dass die Tendenz des Umsatzes die Natur der Handelsgeschäfte ausmacht, und dass Einkaufen für den Absatz, und Produciren für den Absatz, in dieser Hinsicht einander ganz gleich stehen. Dieses Princip gilt an und für sich auch für die Landwirthe, Viehzüchter und Fischer, und ihre Umsatzgeschäfte, insbesondere der Verkauf ihrer Erzeugnisse, sowie der Einkauf von Maschinen, Thieren, Samen, Geräthe u. dgl. sind ohne Zweifel Handelsgeschäfte, und dem Handelsrechte unterworfen. Allein von den Bestimmungen, welche für Handeltreibende gelten, müssen jene Classen von Producenten besser ausgenommen. Einmal weil ihr Betrieb im wesentlichen auf Grundbesitz beruht, so dass die Einrichtung und Fortführung ihrer Wirthschaft zum grossen Theil dem Rechte des Grundeigentums unterliegt, welches vom Handelsrechte unberührt bleiben soll; so namentlich hinsichtlich des Erbganges, der Veräusserung und Verpfändung, der Begründung von Servituten u. s. w. Sodann ist auch der Grundbesitz äusserlich von selbst erkennbar und in gewisser Hinsicht notorisch, wesshalb es hier der für die Errichtung von Firmen als nothwendig erachteten Förmlichkeiten nicht bedarf. Dazu kommt noch, dass die hierin Frage stehenden Gewerbe nicht ausschliesslich für den Absatz produciren, wie dies Fabrikanten thun, sondern auch für das eigene Bedürfniss, wesshalb ihr gewerblicher Betrieb mit der Führung ihres Haushaltes (husbandry) verflochten ist. Aus diesen Gründen sind die für Handelsgewerbe gegebenen Bestimmungen auf die genannten Wirthschaftszweige nicht gut anzuwenden; dazu kommt weiterhin auch noch die Erwägung des geringen Bildungsgrades, auf dem sich diese Classen der Bevölkerung häufig befinden, so dass die genaue Vollziehung der Handeltreibende geltenden Bestimmungen, z. B. die Führung von Handelsbüchern, auf Schwierigkeiten stossen würde. Eine ausdrückliche Bestimmung des gleichen Inhaltes findet sich hinsichtlich der Landwirthe und Viehzüchter auch in der englischen Gesetzgebung, Bankerottgesetz von 1869 Schedule 2.; diesen wurde noch das Gewerbe der Fischer beigefügt, das in Japan einen wichtigen Erwerbszweig bildet, aber in den vorhin berührten Punkten dem der Bauern ungefähr gleich stehen dürfte. Auf den Handel mit Bodenerzeugnissen, sowie auf den Fischhandel findet dieser Artikel selbstverständlich keine Anwendung; auch nicht auf besondere Unternehmungen des Fischfanges, z. B. von Walfischfahrern, oder auf Actiengesellschaften für den Fischfang, denn dieselben sind offenbar reine Unternehmungen des capilalistischen Betriebes und überschreiten weitaus die Grenzen des persönlichen Gewerbebetriebs der Fischer. Unter Landwirthen sind alle zu verstehen, welche den Boden behufs Gewinnung von Bodenerzeugnissen bebauen, mit Einschluss des Waldbaues; dagegen mit Ausschluss solcher Gewerbe, die zu den städtischen Gewerbszweigen gerechnet werden müssen, z. B. der Kunst-und Gemüsegärtner. In den Viehzüchtern ist auch die Milch- und Käsewirthschaft zu rechnen, dagegen nicht der Milch-und Käsehandel. Von selbst versteht es sich, dass landwirthschaftliche Arbeiter nicht zu den Handlungsgehülfen zu zählen sind.
Der letzte Absatz dieses Artikels hat lediglich den Zweck die Bedeutung des Wortes Handelsleute (Handelsmann, Handelsfrau) zu erklären, das in einem Handelsgesetzbuch sich der Kürze wegen nicht wohl umgehend. Diesem Worte entspricht das französische commercant, das italienische commerciante, das englische trader. Es erscheint angemessener wie das im deutschen H. Gesetzbuch gebrauchte Wort Kaufmann, das im Leben in einer viel engeren Bedeutung verstanden wird, ebenso wie im Englischen das Wort merchant, und im Französischen das Wort marchand. Die im Entwurf gewählte Wortfassung, Betrieb eines Handelsgewerbs, erschien deshalb passender, als die der älteren Gesetzbücher, weil hier der eigentliche Punkt, um den es handelt, unmittelbar hervortritt, nämlich das ständige Etablissement, welches einmal gegründet wird und dann sich gewissermassen von selbst weiterlebt, indem es eine unbegrenzte Zahl einzelner Geschäfte aus sich heraus erzeugt. Man gebraucht dafür im Leben auch häufig das Wort, Geschäft (s. Endemann, Handelsrecht § 15), doch ist dieses Wort vieldeutig und wird hier den einzelnen commerciellen Arten vorbehalten. Das Gewerbe ist in gewissem Sinne ein selbständiges Wesen, welches die aus dem Handel entspringenden Rechte und Verpflichtungen weitmehr an sich zieht, und repräsentirt, als die Personen der Geschäftsleute. Darin liegt das Characteristische des ständigen Gewerbs, und nicht in dem professionellen oder gewerbemässigen Abschluss von Handelsgeschäften. Es kann Jemand ein professioneller Kaufmann sein, und doch nicht Inhaber eines Gewerbes, z. B. als Beamter einer Actiengesellschaft. So ist auch der kaufmännische Bankerott im Grunde ein Bankerott des Gewerbs, und weit weniger des Kaufmanns als Person gedacht.
Aus dem Zusammenhange ergibt sich von selbst, und bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass der Ausdruck „Handel treiben” wie er z. B. in Art. 10 steht, beides umfasst, sowohl die Vornahme einzelner Handelsgeschäfte, als den Betrieb von Handelsgewerben. Die Franzosen haben hiefür den Ausdruck „faire le commerce.”
Art. 12. Nach Art. 10. muss derjenige, welcher Handel treiben will, selbständig sein. Darunter ist die civilrechtliche Selbständigkeit gemeint, welche in der Hauptsache drei verschiedene Momente begreift: 1, Rechtsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit in seiner Person eigene Rechte, namentlich ein eigenes Vermögen zu besitzen; 2, Handlungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit mit voller Rechtswirkung juristische Handlungen vorzunehmen, insbesondere über sein Vermögen frei zu verfügen und rechtliche Verpflichtungen auf sich zu nehmen; 3, die freie Verfügung über die eigene Person, so dass man einem Anderen nicht zu Gehorsam, zur Leistung persönlicher Dienste und zur Aufenthaltsfolge verpflichtet ist. Diese Unselbständigkeit ist regelmässig eine Folge entweder jugendlichen Alters oder des weiblichen Geschlechts, insbesondere gegenüber Eltern und Ehemännern. Im altrömischen Rechte war sie geradezu völlige Rechtlosigkeit, ja ein förmliches Eigenthum des Vaters an den Personen der Ehefrau und der Kinder, doch hat sie sich schon im Alterthum bedeutend abgeschwächt. In dem neueren Recht ist für diese Unselbständigkeit wesentlich der Gesichtspunkt einer blossen Vormundschaft hervorgetreten, also eine Einrichtung des Schutzes für schwächere Personen in den Verwicklungen und Schwierigkeiten des Vermögensverkehres. Wo dieser Schutz nicht nöthig erscheint, fällt er im Rechte weg und der Schützling oder Pflegling kommt zur vollen Selbständigkeit. Dies tritt regelmässig ein mit der Erreichung der Mündigkeit, Voll-oder Grossjährigkeit, majorite, welche jetzt regelmässig mit dem 21. Lebensjahr erlangt, jedoch in manchen Ländern bis zum 25. oder 24. Lebensjahr erstreckt wird. Das neuere, namentlich deutsche Recht, kennt jedoch auch, neben dieser allgemeinen Mündigkeit, noch eine specielle Mündigkeit für gewisse Zwecke oder Geschäfte des Lebens, so eine Ehe-, Religions-, Testivmündigkeit; und im modernen Handelsrecht ist dazu auch eine besondere Handelsmündigkeit geschaffen worden, und man kann es als ein Axiom betrachten, dass der Handel mündig macht, und im Handel diejenigen Beschränkungen der Rechtsfähigkeit einerseits, und Privilegien andererseits, welche im Civilrecht seit alter Zeit eingeführt sind, nicht wohl erträglich sind und mit der vorhin erörterten Natur der Handelsgewerbe im Widerspruch stehen dürfen.
In England und den Vereinigten Staaten gilt für Handelssachen einfach die Regel des Civilrechts, dass die Verträge Minderjähriger von diesen, und zwar nur von diesen, nicht auch von der anderen Partei, angefochten werden können, wenn sie ihnen zum Nachtheil gereichen. Gewisse Handlungen, wie z. B. die Ausstellung eines Wechsels und andere besonders verantwortliche Geschäfte, sollen sogar in allen Fällen ohne weiteres ungültig sein, wenn dem Minderjährigen kein betrügerisches Verschulden zur Last fällt. Dies passt aber nicht in die Bedürfnisse des Handelsverkehrs und schliesst practisch die Minderjährigen vom seltständigen Handelsbetrieb aus. Auf der anderen Seite dürften die complicirten und streng formalen Bestimmungen des französischen Codes, welche mehr oder minder in die meisten übrigen Gesetzbücher übergegangen sind, mit den Japanischen Rechtsgewohnheiten wenig im Einklang sein.
Der Entwurf hat daher einen Mittelweg eingeschlagen, und die Fähigkeit der Minderjährigen zum selbständigen Handelsbetrieb von wenigen und einfachen Bedingungen abhängig gemacht. Diese Bedingungen sind: 1, die Erreichung eines gewissen reiferen Alters, wofür nach dem Vorgang der älteren Gesetze das 18. Lebersjahr festgesetzt wurde; und 2, die Begründung eines selbständigen Nahrungsstandes, weil hiedurch der thatsächliche Beweis gegeben ist, dass die Fähigkeit zur selbständigen Geschäftsführung auch wirklich erlangt wurde. Hiezu ist aber die Zustimmung des Vaters oder Vormunds erforderlich, weil Kinder gegen den Willen derselben sich nicht selbständig machen können, solange sie hiezu nicht durch allgemeine Rechtsgrundsätze ermächtigt sind. Eine formelle Emancipation und Autorisation unter gerichtlicher Mitwirkung erscheint für Japanische Verhältnisse nicht angemessen. In diesem Lande ist es üblich, dass Kinder von Jugend auf in dem elterlichen Gewerbe mitthätig sind, was die Erlangung der erforderlichen Kenntnisse und Erfahrung frühzeitig befördert; andererseits bringt es die Innigkeit und Stärke der Familienbeziehungen mit sich, dass die Acte der Selbständigmachung möglichst wenig formell behandelt werden.
Das Alter und die Führung eines eigenen Nahrungsstandes sind leicht nachzuweisen, und zum Theil von selbst ersichtlich. Die Zustimmung des Vaters oder—bei solchen, die ihren Vater verloren haben—des Vormunds braucht nur eine thatsächliche zu sein und erfordert keinen besonderen formellen Act. Es ist jedoch wünschenswerth, dass diese Zustimmung von vorneherein unzweideutig ist und von Jedermann leicht ermittelt werden kann. Aus diesen Gründen empfiehlt sich die Registrirung im Handelsregister auf Grund einer von den Betheiligten unterzeichneten schriftlichen Erklärung.
Wenn Minderjährige auf diese Weise die Befähigung zum selbständigen Handelsbetrieb, sowohl für den Abschluss einzelner Geschäfte wie zum Betrieb eines Gewerbes, erlangt haben, müssen sie in jeder Beziehung den Grossjährigen gleichstehen. Die Natur der Handelsoperationen duldet keine rechtliche Ungleichheit der Personen, die sich damit beschäftigen. Dies erfordert das Bedürfniss der Minderjährigen selbst, damit sie in den freien Geschäftsbewegung und in ihrem Credit nicht gehemmt und beschränkt werden; aber auch das Interesse dritter Personen, die mit ihnen sich in Geschäfte einlassen. Daher müssen für solche Mindejährige alle Rechte und Pflichten der Handeltreibenden überhaupt gelten, sie dürfen sich aber auch andererseits auf die dem jugendlichen Alter eingeräumten Rechtswohlthaten, insbesondere das Rechtder Wiedereinsetzungin den vorigen Stand, nicht mehr berufen.
Der Standpunkt der Rechtsgleichheit solcher Minderjährigen mit den Grossjährigen ist auch in den übrigen Gesetzbüchern als Regel angenommen. Nur hat das französische Code die Beschränkungen des Code civil hinsichtlich des Verkaufs von Immobilien beibehalten. Diese Beschränkungen bestehen in der Zustimmung des Familienrathes, in dem Erforderniss einer absoluten Nothwendigkeit oder eines offenbaren Nutzens, und in der Vorschrift der gerichtlichen Versteigerung an den Meistbietenden. Ist aber den Minderjährigen das Recht der freien Hypothecirung zugestanden, was in vielen Fällen Zwangsverkauf zur Folge haben wird; so ist die Beschränkung des freiwilligen Verkaufes daneben nur noch von geringem Belange; und der Handeltreibende wird dadurch nur unnöthig gehemmt und gestört. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass Minderjährige ihr unbewegliches Vermögen leicht verlieren können. Allein die Sicherheit hiegegen muss viel mehr in der Tüchtigkeit und Besonnenheit jeder Einzelnen liegen, als in erschwerenden Rechtsformalitäten. Väter und Vormünder, welche ihren Pflegbefohlenen die erforderlichen persönlichen Eigenschaften nicht zutrauen, können ihren selbständigen Handelsbetrieb von vorneherein dadurch verhindern, dass sie ihnen die vom Gesetze verordnete Zustimmung versagen.
Art. 13. Die Artikel 13. und 14. sind dazu bestimmt, die Fähigkeit der Ehefrauen zum Handelsbetrieb zu regeln. Von unverheiratheten weiblichen Personen braucht hier nicht weiter gehandelt zu werden, da auf diese die gleichen Bestimmungen wie auf männliche Personen anzuwenden sind, und zwar sowohl wenn sie noch minderjährig als bereits selbständig sind. Ueber Ehefrauen sind desshalb besondere Bestimmungen nothwendig, weil dieselben überall in gleicher Abhängigkeit von ihren Ehemännern stehen, wie Kinder von ihren Eltern oder Vormündern. Jedoch ist hier der Grund der Ahhängigkeit ein anderer; es liegt nicht, wie bei Minderjährigen in der jugendlichen Unreife und Schutzbedürftigkeit, sondern in der Einheit des ehelichen Lebens, die aus den beiden Personen so zu sagen eine einzige Person macht, in welcher aber dem Manne als dem stärkeren Theil naturgemäss das Uebergewicht gebührt. Die Folge davon ist, dass dem Mann in allen Fragen die entscheidende Stimme zusteht, und dass in Rechtssachen die Frau ohne ihn nichts gültiges vornehmen kann. Das eheliche Güterrecht ist ein sehr mannichfaltiges; doch kann man im allgemeinen sagen, dass entweder Gütergemeinschaft zwischen den Ehegatten besteht—mit den erwähnten Vorrechten des Mannes daran—oder doch, dass wo der Frau eigenes Vermögen verbleibt, der Mann daran das Recht des Niessbrauches und der Verwaltung hat, soferne nicht ausdrückliche Ausnahmen bedungen sind. Eine weitere Folge ist, dass der Mann für die Schulden seiner Frau nicht zu haften braucht, soferne sie nicht zu deren Eingehung von ihm in irgend einer Weise autorisirt worden ist, oder dieselben unvermeidlich eingehen musste, zur Bestreitung der nothwendigen Haushaltsbedürfnisse.
Für den Handelsbetrieb ergibt sich aus diesen Grundsätzen von selbst, dass Ehefrauen hiezu unfähig sind ohne die Einwilligung ihrer Ehemänner, dass sie aber ohne weiteres durch eine solche Einwilligung die Fähigkeit dazu erlangen. Die Gewährung dieser Einwilligung ist— so lange Frauen an sich als rechtsfähig gleich Mannspersonen angesehen werden—keine öffentliche Rechtssache, sondern lediglich eine innere Eheangelegenheit. Der Mann verzichtet dadurch auf seine Vorrechte hinsichtlich des Vermögens und in gewisser Weise auch auf die Dienstleistungen der Krau; es kann aber sein, dass ihm dieser Verzicht durch die Einnahmen, welche der gestattete Handelsbetrieb bringt, reichlich ersetzt wird. Der Handelsbetrieb der Ehefrauen ist eine Quelle der Bereicherung für beide Theile, und dient zur Beförderung der Heirathen und zur Erleichterung der Kindererziehung; daher er von der Gesetzgebung Begünstigung verdient. Die Regel wird freilich sein, dass der Ehemann Handel treibt, und die Frau ihm darin nur Beihülfe leistet. In diesem Falle gehen alle Geschäfte auf den Namen des Mannes und in den ehelichen Rechten wird dadurch, sowohl zwischen den Ehegatten als gegenüber dritten Personen—nichts geändert. Es kann aber auch vorkommen, dass die Frau selbständig Handel treibt, entweder wenn der Mann einen anderen Beruf hat, oder durch Krankheit oder Gebrechen dauernd gehindert ist. Für solche Fälle sind die hier in Rede stehenden Bestimmungen hauptsächlich gemünzt, um der Familie die Möglichkeit eines ehrlichen Erwerbs und Gelegenheit zu nützlicher Verwendung weiblicher Leistungsfähigkeit zu geben; jedoch auch für diejenigen Fälle, in welchen das eheliche Zusammenleben thatsächlich aufgehört hat und die Frau verlassen dasteht.
Die Einwilligung des Ehemanns braucht nun—darüber stimmen die meisten Gesetzgebungen überein—keine ausdrückliche oder formale zu sein, sie kann auch stillschweigend erfolgen, wenn der Mann von dem Handelsbetrieb seiner Frau weiss und dagegen keinen Einspruch erhebt. Dies entspricht besser der internen Natur der ehelichen Verhältnisse, als die Vorschrift einer ausdrücklichen Autorisation, wie sie z. B. im spanischen Code Art. 5. enthalten ist. Auch ein etwaiger Einspruch wäre an keine besondere Form gebunden, nur musste es den Betheiligten bekannt werden, durch unmittelbare Notiz an die letzteren, oder durch öffentliche Erklärung in den Zeitungen. Auf dieselbe Weise könnte die Einwilligung auch jederzeit wieder zurückgezogen werden, natürlich ohne Präjudiz hinsichtlich der bis dahin entstandenen Geschäftsverbindlichkeiten. Eine solche Zurücknahme der Erlaubniss muss dem Manne nach seinem eigenen Ermessen freistehen; denn er ist das Haupt der Familie, der Herr im Hause, und es würde zu bedenklichen Verwicklungen führen, wenn die einmal gegebene Erlaubniss für immer unwiderruflich wäre. In der französischen Jurisprudenz besteht die Ansicht, dass die Ehefrau gegen eine unbegründete Zurückziehung der Erlaubniss den Schutz der Gerichte anrufen könne, da der Ehemann sich durch seine Zustimmung stillschweigend verpflichtet habe, sie nicht aus blosser Laune und ohne genügenden Grund zu widerrufen. Das mag richtig sein; allein ob im gegebenen Falle ein guter Grund vorliegt oder nicht, steht nach dem Wesen der Ehe allein zur Entscheidung des Mannes, und eine Einmischung der Gerichte in die innere Ordnung des Hauses und die Gestaltung des ehelichen Lebens kann nicht zugegeben werden, insbesondere vom Standpunkte der Japanischen Gewohnheiten in Bezug auf eheliches Leben.
Wenn ein Ehemann seine Pflichten nicht erfüllt, kann er auch seine Rechte insoweit nicht geltend machen. Dieser Erwägung entspringt die Bestimmung, dass in gewissen Fällen die Frau, um Handel zu treiben, keiner Einwilligung ihres Mannes bedarf. Diese Bestimmung findet sich vornehmlich im englischen Rechte, zum Theil auch im spanischen und italienischen Gesetzbuch. Sie ist offenbar der Billigkeit angemessen, und soll insbesondere dazu dienen, alleinstehenden Frauen der besseren Classen, die nicht in gemeine Dienste treten können, die Wohlthat einer sicheren, ehrlichen Erwerbsexistenz zu verschaffen.
Eine Registrirung der eheherrlichen Ermächtigung ist hier nicht angemessen, schon desshalb weil dieselbe nicht nothwendig eine ausdrückliche zu sein braucht, aber auch, weil sie in den zuletzt angeführten Fällen überhaupt nicht nothwendig ist. Betreibt die Frau ein Handelsgewerbe, so muss dies ohnehin registrirt werden, und es bleibt dem Ehemanne unbenommen, hiezu förmlich seine Einwilligung zu erklären. Es genügt aber, wenn eine Ehefrau vor aller Augen ein Gewerbe treibt und der Ehemann nicht in der vorhin bezeichneten Weise Einspruch erhebt. Dies kann offenbar keine Schwierigkeiten machen, wenn die Frau mit dem Manne noch zusammenlebt und von ihm unterhalten wird. Lebt sie aber getrennt von ihm und aus eigenen Mitteln, dann wird in den meisten Fällen die Vermuthung zutreffen, dass sie nach dem Gesetze seiner Einwilligung überhaupt nicht bedarf.
Das Recht der Frau zum Handelsbetrieb dauert so lange fort, bis es vom Manne durch Einspruch aufgehoben ist; es wird daher für immer bestehen, wenn der Mann die Fähigkeit des Einspruches verliert. Wenn z. B. der Mann geisteskrank würde, könnte er rechtsgültig nichts mehr vornehmen, also auch seine Genehmigung der Frau nicht mehr entziehen. Dies wäre ganz ebenso, wenn auch etwa der Mann unter Vormundschaft gestellt werden müsste. Der Vormund des Mannes hätte nicht das Recht, an Stelle des letzteren über den Handelsbetrieb der Frau zu verfügen.
Der letzte Satz dieses Artikels findet sich gleichfalls ausdrücklich in den meisten Gesetzbüchern, obgleich es im Grunde selbstverständlich ist. Die ausdrückliche Erwähnung findet wohl darin ihre Rechtfertigung, dass der darin behandelte Fall, auch namentlich in Japan, weitaus der häufigste ist. Wenn eine Frau nur ihrem Manne Beihülfe leistet, wird dadurch an der rechtlichen Stellung des Mannes nach aussen und an den ehelichen Verhältnissen nichts geändert. In solchen Fällen ist der Mann der allein Verpflichtete; und er wird durch die Frau in allen denjenigen Beziehungen verpflichtet, in welchen überhaupt Gehülfen ihre Principale verpflichten können.
Art. 14. Der Entwurf schreitet weiter dazu, die rechtlichen Folgen des Handelsbetriebs der Ehefrauen zu ordnen. Dieselben sind in der Hauptsache dreierlei, nämlich 1, im allgemeinen wird eine Ehefrau, welche in gesetzlicher Weise Handel treibt, dadurch völlig selbständig, es finden als bezüglich der Rechte wie bezüglich der Verpflichtungen alle Normen des Handelsrechts auch auf sie Anwendung, wie sie für Handeltreibende überhaupt gelten. Wenn im Civilgesetzbuch den Frauen besondere Vergünstigungen eingeräumt sind, wie z. B. hinsichtlich der Uebernahme von Bürgschaften, so sind diese in Handelssachen gleichfalls nicht mehr anwendbar.
2, Das Grundprincip des ehelichen Rechts, dass die Ehefrau ohne den Mann keine rechtsgültige Handlung vornehmen kann, mag sie sich dadurch verpflichten oder einen Erwerb machen, wird aufgehoben. Die Frau kann daher auf eigenen Namen und für ihre eigene Person mit voller Rechtswirkung handeln, und bedarf dazu nicht mehr der Einwilligung des Ehemannes, nachdem ihr diese durch Gestattung des Handelsbetriebs ein für allemal ertheilt ist, gleichviel ob es sich um gerichtliche oder aussergerichtliche Geschäfte handelt. Dies gilt für alle Verträge, welche sie in Handelssachen eingehen, und für die Rechtsfolgen aus allen unerlaubten Handlungen, die sie in Handelssachen begehen mag. Insbesondere gilt es auch für alle Verfügungen über ihr unbewegliches Vermögen, und für alle Wechselverbindlichkeiten, die sie in ihrem Handelsbetrieb übernimmt. Letzteres wurde ausdrücklich hervorgehoben, weil in manchen Gesetzen z. B. im französ. Code de comm. art 113, die Haftbarkeit der weiblichen Personen in Wechselsachen beschränkt ist, soweit sie nicht Handel treiben.
3) Die Haftung der handeltreibenden Frauen für die von ihnen eingegangenen Schulden erstreckt sich 1, auf deren gesammtes Vermögen, soweit sie ein eigenes Vermögen in der Ehe besitzen, und 2, auf das den Ehegatten gemeinschaftliche Vermögen, soweit zwischen ihnen Gütergemeinschaft besteht. Die eheherrlichen Rechte des Mannes an beiden Arten des Vermögens werden dadurch an sich nicht aufgehoben, sie stehen aber hinter den Handelsverbindlichkeiten der Ehefrau zurück.- Die Gläubiger einer Handelsfrau können also ihre Ansprüche gegen beide Arten des Vermögens geltend machen, ohne dass der Mann sich dagagen auf die ihm daran zustehenden Rechte berufen könnte. Dies ist in Bezug auf das einer Frau etwa verbliebene Sondervermögen selbstverständlich. Aber auch in Bezug auf das gemeinschaftliche Vermögen stimmen die Gesetze, z. B. das französische, italienische und deutsche, darin überein. Der Grund hiefür ist darin zu suchen, dass das gemeinschaftliche Vermögen beiden Ehegatten ungetheilt gehört und dass der Ehemann durch die Gestattung des Handelsbetriebs der Frau das Recht der ausschliesslichen Verfügung darüber aus den Händen gegeben hat. Die Handelsschulden einer Ehefrau müssen als von dem Ehemann anerkannt betrachtet werden, und es kann ihm hienach nicht mehr das Recht zustehen, die Befriedigung der Gläubiger mittellst Geltendmachung von Vorrechten, auf die er thatsächlich verzichtet hat, zu hintertreiben. Ist jedoch dem Ehemann ein Sondervermögen verblieben, so ist kein genügender Grund gegeben, auch dieses für die Handelsschulden der Frau haften zu lassen, obwohl manche Gesetze z. B. das preussische Landrecht, selbst dieses haftbar machen.
Die vorstehenden einfachen und in der Natur der Sache gelegenen Grundsätze dürften für die Japanischen Verhältnisse genügen. In der Regel wird für Japan das System der Gütergemeinschaft als geltend angenommen werden müssen, mit stark hervortretenden Rechten des Ehemannes hinsichtlich der Verwaltung und des Niessbrauches. Auf diese Rechte muss der Ehemann, wenn er seine Frau Handel treiben lässt, verzichtend angesehen werden. Soweit nun die Ehefrau ohne Zustimmung des Ehemanns Handel zu treiben berechtigt ist, kann man einen solchen Verzicht offenbar nicht supponiren; hier kann also die Haftung des gemeinsamen Vermögens für Handelsschulden der Ehefrau nicht ausgesprochen werden. Hierin liegt eine gewisse Härte gegen die Ehefrau. Allein wenn das eheliche Band thatsächlich zerrissen ist, gleichviel durch wessen Verschulden, so ist dies ein Unglück für beide Theile, dessen vermögensrechtliche Folgen zunächst die Frau, als der schwächere und abhängigere Theil, zu tragen hat; und es erschien angemessen, sich von den bisherigen Japanischen Rechtsgewohnheiten in Bezug auf eheliche Verhältnisse nicht auf einmal zu weit zu entfernen. Thatsächlich wird wohl in vielen Fällen solcher Art eine gewisse Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten in Bezug auf das Vermögen Platz greifen und dadurch der Nachtheil für die Frauen einigermassen gemildert werden. Es ist auch zu erwarten, dass in Folge der Bestimmungen des Handelsgesetzbuches in Zukunft eine grössere Bestimmtheit und Genauigkeit der ehelichen Rechte mittelst Abschliessung von Eheverträgen angebahnt werden wird.
Sollte etwa im Civilgesetzbuch auch das Dotalsystem angenommen werden, so wäre hierüber Folgendes zu bemerken. Streng rechtlich ist das Dotalgut Vermögen der Frau, es steht aber während der Ehe zur Verfügung des Mannes und muss von ihm zur Bestreitung der ehelichen Ausgaben verwendet werden. Daher kann die Dos auch während der Ehe nicht, oder nur unter erschwerenden Bedingungen veräussert werden. (Code civil art. 1554 segn.) Diese Beschränkungen der Veräusserlichkeit der Dos ist von dem französ. Code de comm. art. 7. auch in Bezug auf die Handelsschulden einer Ehefrau aufrecht erhalten worden. Allein den Japanischen Rechtsanschauungen dürfte diese, auf römisches Recht zurückzuführende Einrichtung nicht wohl entsprechen. Daher würde die Dos als gemeinschaftliches Vermögen aufzufassen und zu behandeln sein, also die Bestimmung des gegenwärtigen Artikels über die Haftung des gemeinschaftlichen Vermögens auch auf sog. Dotalvermögen Anwendung zu finden haben.
Was nun die mehr dem deutschen Rechte angehörige Aussteuer oder Ausstattung betrifft, so bezeichnet man damit eine Vermögenssumme oder gewisse Vermögensstücke, welche eine Frau, meist als Mitgabe ihrer Angehörigen, in die Ehe bringt zum Zweck der Einrichtung des Hauses und für ihre eigenen persönlichen Bedürfnisse. Sie besteht meist in Möbeln, Kleidung, Wäsche, Hausgeräthe u. dgl. Wird sie in Geld gegeben, so werden doch die genannten Gegenstände vorzugsweise damit angeschafft. Diese Aussteuer wird in Japan gleichfalls als Regel zu gelten haben. Ihre rechtliche Natur bestimmt sich durch das zwischen den Ehegatten bestehende Güterrecht. Sie bleibt entweder Eigenthum der Frau oder wird gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten. Insoferne würden, die Bestimmungen des Art. 14. gleichfalls darauf Anwendung finden müssen, und eine besondere Hervorhebung dieser Art von ehelichem Besitzthum erscheint nicht erforderlich.
Uebrigens geht der Entwurf nicht soweit wie der französ. Code, welcher letztere den Ehemann für die Handelsschulden der Frau mitverpflichtet erklärt. Sondern es ist die Frau allein verpflichtet, nur das gemeinschaftliche Vermögen muss der Ehemann als Befriedigungsobject für die Handelsgläubiger gelten lassen. Im Uebrigen ist die Frau allein verpflichtet, und sie allein hat vor Gericht Rede zu stehen und in Bezug auf ihre Verbindlichkeiten zu handeln.
Was den Erwerb aus dem Handelsbetrieb einer Ehefrau betrifft, so unterliegt derselbe den gewöhnlichen Grundsätzen des Eherechts, er wird der Regel nach gemeinsam sein, also der Genuss daran auch dem Ehemann zustehen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass der Ehefrau in der Sphäre ihres Handelsbetriebs für ihre Person allein verfügen kann, wesshalb sie auch darüber zu bestimmen hat, was als Erwerb angesehen und für die gemeinsamen Bedürfnisse des Haushaltes frei verwendet werden kann. Wollte man dem Ehemann eine Einmischung hierüber einräumen, so würde die commercielle Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Frau dadurch in hohem Grade beeinträchtigt. Eine besondere Bestimmung hierüber in das Gesetzbuch aufzunehmen, ist nicht nothwendig, es ist auch in Keinem der älteren Gesetzbücher geschehen.
Art. 15. Die Gesetzbücher haben im Zusammenhange mit den Bestimmungen über den Handelsbetrieb von Eheleuten auch in der Regel besondere Vorschriften aufgestellt über die Kundgebung des zwischen Eheleuten bestehenden Güterrechts, ob Gütergemeinschaft, Gütertrennung, oder Dotalsystem, und die zwischen Ehegatten errichteten Eheverträge. Dies ist namentlich im französ. Code der Fall und entspricht den ehelichen Güterverhältnissen, welche in Frankreich bestehen. In Deutschland muss wenigstens öffentlich bekannt gemacht und in das Handelsregister eingetragen werden, ob zwischen Ehegatten Gütergemeinschaft besteht oder nicht, und ebendasselbe muss geschehen, wenn im Lauf der Ehe die Gütergemeinschaft zwischen ihnen aufgehoben wird.
Es ist schwer, Gesetzesbestimmungen dieses Inhaltes in den Entwurf aufzunehmen, so lange das eheliche Gütersystem in Japan nicht durch das Civilgesetzbuch in betimmter Weise geordnet und die Abschliessung von Eheverträgen nicht zur Gewohnheit geworden ist. Wie die Dinge jetzt stehen, darf man wohl das System der Gütergemeinschaft als das vorherrschende ansehen, wenngleich mit stark überwiegendem Verfügungsrecht des Ehemanns. In Folge dessen wird als Regel anzunehmen sein, dass eine Ehefrau, welche mit Bewilligung ihres Ehemanns Handel treibt, dessen Vermögen zugleich mit verpflichtet nach dem in Art. 14. aufgestellten Grundsatze. Mit anderen Worten, für die Gütergemeinschaft der Ehegatten spricht eine Präsumtion, die nur durch ausdrückliche gegentheilige Notification umgestossen werden kann. Eine solche Notification geschieht am zweckmässigsten auf dem Wege der Registrirung, schon desshalb, um sie zugleich gerichtsbekannt und actenmässig zu machen. Nach diesen Erwägungen wurde der erste Absatz des Art. 15. entworfen.
Ueber den im zweiten Absatze festgestellten Punkt besteht in den westlichen Ländern keine Uebereinstimmung. In der deutschen Jurisprudenz wird die Möglichkeit einer Handelsgesellschaft zwischen Ehegatten zugelassen, in der französischen ist sie bestritten, doch sind die Meinungen getheilt. In der Praxis kommt sie wohl kaum jemals vor. Es besteht dafür auch kein Bedürfniss und das Wesen der Ehe spricht dagegen. Die eheliche Verbindung ist schon eine Gemeinschaft der Ehegatten und zwar so allgemeiner und umfassender Art, dass eine besondere Gesellschaft daneben keinen Zweck und keinen Platz hätte. Wenn beide Theile Handel treiben wollen, so ist naturgemäss der Ehemann das Haupt der Familie auch in dieser Beziehung, und die Frau ihm untergeordnet; von einem wirklichen Gesellschaftsvertrag könnte daher kaum die Rede sein. Wenn aber nur einer der Ehegatten Handel treiben will, so ist hierüber in den vorhergehenden Artikeln das nöthige verordnet. Es wäre allerdings der Fall denkbar, dass zwischen zwei Ehegatten Gütertrennung besteht, einer Handel treibt, und der andere mit ihm mittelst blosser Vermögenseinlagen in Communion treten will, ohne sich an der Geschäftsführung zu betheiligen. Allein solche künstliche Operationen dürften den Japanischen Verhältnissen fremd sein. Das Natürliche ist, dass beide Ehegatten ihr Vermögen gegenseitig als gemeinschaftlich betrachten; will ein Theil sich ein besonderes Vermögen eigens vorbehalten, so muss dies durch ausdrückliche Vereinbarung geschehen. In Ermangelung solcher Vorbehalte ist das eheliche Vermögen ohnehin als gemeinsam anzusehen und es bedarf nicht der Errichtung eines Gesellschaftsvertrages.
Art. 16. Dieser Artikel hat den Zweck, allgemeine Directiven zu geben für Fälle, in welchen zwar die juristische Schlussfolgerung an sich genügen würde, jedoch nach dem Vorgänge anderer Gesetzbücher eine ausdrückliche Bestimmung rathsam ist, um von vorneherein Zweifel auszuschliessen und dem unredlichen Prozessiren entgegen zu wirken. Daher ist im ersten Absatz gesagt, dass Handelsgeschäfte in civilistischer Hinsicht dennoch gültig sind, wenn sie auch von Beamten eingegangen werden, denen nach Art. 10. der Betrieb von Handelsgewerben untersagt ist. Dieser Satz, welcher sich auch im deutschen H.-Gesetzbuch findet, jedoch in etwas weiterer Fassung, folgt aus der Unterscheidung der publicistischen und civilistischen Unfähigkeit zu Handelsgeschäften. Die letztere ist bei Beamten unzweifelhaft vorhanden, da sie sich, wie jeder Andere, durch Verträge selbständig verpflichten können. Daher sind auch die Handelsgeschäfte, die sie eingehen in civilistischer Hinsicht unanfechtbar; welche Folgen der unbefugte Handelsbetrieb hinsichtlich ihrer Amtsstellung für sie hat, liegt auf ganz anderem Gebiet und braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden.
Der hier in Rede stehende Satz hat einen dreifachen Inhalt. Solche Geschäfte sind nämlich 1, unanfechtbar; 2, sie sind Handelsgeschäfte, sind daher nach den handelsrechtlichen Normen zu beurtheilen; 3, sie können von Niemandem angefochten werden, also weder von dem Beamten, noch von dem anderen Contrahenten, noch etwa von dritten Personen. Dagegen versteht sich von selbst, dass sie ungültig sind, wenn sie wegen anderer gesetzlicher Bestimmungen nicht gültig sein können. Denn der Entwurf sagt, dass sie nur aus diesem Grunde, d. h. aus dem Grunde des öffentlichen Amts, nicht angefochten werden können.
Von den Geschäften, die anderweit ungültig sind, spricht der zweite Satz des Artikels. Sie zerfallen in zwei Kategorien ; sie sind 1, entweder verboten; oder 2, sie setzen gewisse Eigenschaften voraus bei denen, welche sie abschliessen.
Beispiele der ersten Art sind: Geschenke, welche ein Mäkler annimmt, machen das von ihm vermittelte Geschäft nichtig; Geschäfte über Sachen, deren Einfuhr absolut verboten ist; Versicherung ohne Interesse; Versicherung des Matrosenlohnes u. dgl. m.
Beispiele der zweiten Kategorie sind: Mäklergeschäfte von unautorisirten Mäklern; Anstellung eines nicht mit dem nöthigen Certificat versehenen Schiffers u. s. w.
Art. 17. Es kommt häufig vor, dass Geschäfte nur für den einen Theil Handelsgeschäfte sind, dagegen für den anderen Theil reine Civilgeschäfte. Z. B. im Detailverkauf liegt für den Käufer oft nur ein Geschäft der bürgerlichen Haushaltung vor; ein Darlehen kann bald für den Darleiher, bald für den Borger ein blosses Civilgeschäft sein u. s. w. Es fragt sich nun, nach welchem Rechte solche Geschäfte zu behandeln sind, ob nach dem Handelsrecht mit Rücksicht auf den einen Theil, oder nach dem Civilrechte mit Rücksicht auf den anderen Theil ? Eine einheitliche Behandlung ist nothwendig, weil die Rechte des einen Theils zugleich Verpflichtungen des anderen Theiles sind, und umgekehrt. Würde also aus einem solchen Geschäfte ein Recht von der einen Seite auf Grund des Civilrechts geltend gemacht, so könnte der andere Theil dagegen Widerspruch erheben, weil es für ihn eine Verpflichtung mit sich brächte, die im Handelsrechte nicht begründet wäre. Die Angleichung eines solchen Conflictes der Rechte in einem und demselben Rechtsgeschäfte ist offenbar geboten und kann nur dadurch erfolgen, dass ein Recht, entweder das eine oder das andere, zur geltenden Richtschnur für beide Theile gemacht wird. Der Entwurf gibt in solchen Conflictsfällen dem Handelsrecht den Vorzug, und zwar aus zwei Gründen, einmal weil das Handelsgesetz ein Specialgesetz ist, welcher im Zweifel dem allgemeinen bürgerlichen Recht vorgehen muss, und sodann weil das Handelsrecht in gewisser Beziehung einen öffentlichen Character hat, während das bürgerliche Recht sich nur auf private Verhältnisse bezieht. Ein anderer Grund könnte noch darin gefunden werden, dass das Handelsrecht in der Regel genauere und vortheilhaftere Bestimmungen trifft, somit auch der Civiltheil eines Geschäfts meist nicht in Nachtheil versetzt wird. Wollte man in den hier fraglichen Geschäften beide Theile dem Civilrecht unterwerfen, so würde der Zweck einer besonderen Handelsgesetzgebung zum grossen Theil vereitelt werden.
Denselben Standpunkt nehmen auch die meisten älteren Gesetzbücher; z. B. das deutsche Art. 277, das spanische Art. 1199 und 1200, das französische Art. 631, jedoch mit gewissen Einschränkungen Art. 636. 637, indem in gewissen Fällen die Civilpartei die Competenz des Handelsgerichts ablehnen kann, oder der persönlichen Haft nicht unterworfen ist. Auch im Art. 1. des holländischen Gesetzbuches ist dieser Standpunkt stillschweigend adoptirt. Wenn man das allgemeine Princip aufstellt, dass in Handelssachen das allgemeine Civil-recht durch das Handelsrecht verdrängt sein soll, so kann man auch wohl consequenter Weise zu keiner anderen Entscheidung gelangen.
Das italienische Gesetzbuch weicht jedoch hievon ab, indem es in Art. 91. und 725. die Anwendung des Handelsrechts oder des Civilrechts, und die Competenz der Handelsgerichte und der Civilgerichte von der Person des Beklagten abhängig macht. Es soll also nicht das Handelsrecht, sondern nur das Civilrecht zur Anwendung kommen, wenn der Beklagte Civilpartei ist, und umgekehrt. Diese Zerreissung des Handelsrechts nach dem zufälligen Umstande der Processrollen erscheint jedoch nicht nachahmenswerth Der citirte Artikel des deutschen H. Gesetzbuches enthält noch eine Ausnahme von der hier erörterten Regel, insoferne nämlich gewisse Bestimmungen des Gesetzbuches ausdrücklich nur auf Handelspersonen Anwendung finden sollen. Diese Bestimmungen betreffen namentlich den Anspruch auf Zinsen, das Retentionsrecht, auf solidarische Verbindlichkeiten u. dgl. Allein da solche Bestimmungen ausdrücklich in dem Handelsgesetzbuch enthalten sein müssen, so versteht sich ihre negative Wirkung auf Civilparteien nach der obigen Fassung des Entwurfes von selbst, und braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden.
II. Titel. Von Handelsregistern.
Art. 18. lieber Handelsregister finden sich nur im spanischen und deutschen H. Gesetzbuch allgemeine Bestimmungen, doch sind auch in den übrigen Gesetzbüchern, und überhaupt in den Specialgesetzen über wichtigere Materien des Handelsrechts, zahlreiche Registrirungen vorgeschrieben. Bei der Neuheit der Sache für Japan erscheint eine kurze Zusammenstellung der für solche Register zu beobachtenden allgemeinen Normen am Platze.
Die Führung von Handelsregistern und die damit in jedem Falle verbundenen öffentlichen Bekanntmachungen verursachen allerdings Vermehrung der Amtsthätigkeit und der Amtskosten. Allein die letzteren werden gedeckt durch die Gebühren, welche in jedem Falle zu erlegen sind, und die Vortheile der Registrirung sind zu bedeutend, als dass die Vermehrung der Amtsthätigkeit dagegen in Betracht kommen könnte. Es werden dadurch gewisse Thatsachen zur allgemeinen Kenntniss gebracht, welche im Handelsbetrieb von entscheidender Bedeutung sind und eine grosse Reihe von Rechtsverhältnissen hinsichtlich ihrer Entstehung oder Endigung bedingen. Die öffentliche Natur des Handels verlangt dies schon an sich selbst; es wird aber dadurch auch der allgemeinen Handelsmoral unberechenbarer Vorschub geleistet. Weiterhin aber wird dadurch mittelbar eine grössere Ordnung und Sicherheit in allen Handelsverhältnissen bewirkt, da man Dinge, die öffentlich bekannt zu machen und bei Gericht anzumelden hat, vorher reiflicher überlegt und genauer und vollständiger ins Werk setzt. Die Registrirung dient auf diese Weise indirect zu einer gewissen Controle der Handelswelt.
Der Artikel 18. zählt zunächst die Gegenstände auf, über welche Register zu führen sind. Es sind deren fünf. Hiezu kommt noch das Schiffsregister, dessen Führung den Seebehörden obliegt und worüber in der Abtheilung des Seerechts zu handeln ist. Andere Register, die etwa nach Vorschrift besonderer Gesetze zu führen sind, z. B. Markenregister, sind gleichfalls unerwähnt geblieben.
Die Vorschrift der Registrirung der genannten fünf Gegenstände findet sich ziemlich allgemein in den meisten Gesetzbüchern. Eine Ausnahme besteht nur hinsichtlich eines allgemeinen Firmenregisters. Ein solches ist ausdrücklich vorgeschrieben im spanischen und im deutschen H. Gesetzbuch. Das französische und die diesem gefolgten Gesetzbücher verlangen nur die Registrirung der Gesellschaftsfirmen. Dies erklärt sich wohl durch die Annahme, dass nur Gesellschaften einen besonderen Handelsnamen führen, während der Name von Gewerben, die nicht in Gesellschaft betrieben werden, mit dem gewöhnlichen bürgerlichen Namen des Inhabers gleich sein wird. Allein diese Annahme ist nicht für alle Fälle zutreffend. Wenn zwei Handelsleute denselben bürgerlichen Namen haben, müssen sie demselben, da die Firmen verschiedener Handelsleute an demselben Orte nicht gleichlautend sein dürfen, ein besonderes Unterscheidungszeichen beifügen. Auch muss man im Handelsbetrieb eine stets gleichbleibende, buchstäblich genaue Firma führen, während im gewöhnlichen Leben für den Gebrauch des bürgerlichen Namens nicht dieselbe Pünktlichkeit beobachtet zu werden pflegt. Für Japan dürfte ein allgemeines Firmenregister besonders wünschenswerth sein, weil hier verschiedene Personen häufig denselben Namen haben und weil der Namenswechsel nicht selten zu sein scheint.
Da die Registrirung eine öffentliche Beurkundung enthält und zu den Acten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört, wird sie am zweckmässigsten dem Gerichte übertragen, in dessen Bezirk die Betheiligten ihr Domicil haben. Soferne es in Japan keine besonderen Handelsgerichte gibt, ist dies das ordentliche Gericht erster Instanz. Unter Domicil oder Wohnort ist derjenige Ort zu verstehen, wo sich Jemand niederlässt, um daselbst Handel zu treiben. Wenn also Jemand in Osaka wohnt, und von da nach Tokio zieht, um daselbst ein Gewerbe zu errichten, so hat die Registrirung bei dem Gerichte in Tokio zu geschehen.
Mit der Besorgung der Registergeschäfte ist ein ständiger Beamter zu beauftragen, um die Zuverlässigkeit und Regelmässigkeit der Eintragungen zu sichern. Derselbe kann ein Secretär oder sonstiger Kanzleibeamter sein, und braucht nicht nothwendig richterliche Qualification zu besitzen. Die Functionen der Registerbeamten sind an sich äusserlicher Natur und involviren keine richterliche Entscheidung. Wenn er Zweifel hat über die Gesetzlichkeit einer angemeldeten Eintragung, hat er die Beschlussfassung des Gerichts zu erwirken. Mit solchen Beschlüssen kann auch ein einzelner Richter betraut werden, und zwar ohne Abhaltung einer öffentlichen Sitzung, in chambers, wie es im englischen Gerichtsstyl heisst. Erst in Folge eines solchen Beschlusses kann es zu einem förmlichen streitigen Verfahren kommen, wie im Art. 21. näher bestimmt ist.
Art. 19. Durch die Eintragung wird die betreffende Thatsache zunächst nur actenmässig constatirt und gerichtsbekannt, sie soll aber auch öffentlich bekannt gemacht werden. Hiezu dienen zwei Wege, einmal die Veröffentlichung in einer Zeitung, und 2, öffentliche Einsicht der Registerbücher durch Jeden, der eine solche Einsichtnahme wünscht. Diese beiden Wege der Oeffentlichkeit sichern eine genügende Verbreitung der betreffenden Thatsachen im Publicum, so dass Niemand sich leicht auf Unkenntniss berufen kann. Wem eine öffentliche Bekanntmachung entgangen ist, der kann jederzeit durch Einsichtnahme bei Gericht sich die nöthige Kenntniss verschaffen; oder sich auch Abschriften anfertigen lassen. Da Jeder verpflichtet ist, sich über Personen, mit denen er Geschäfte macht, vorher zu orientiren, so wird nicht leicht Jemand sich mit Unkenntniss entschuldigen können. Es muss für die Gesetzgebung genügen, die Wege der erforderlichen Kenntnissnahme Jedem geöffnet und möglichst erleichtert zu haben; wer sie nicht betritt, hat die nachtheiligen Folgen sich selbst zuzuschreiben.
Die Gebühr hat derjenige zu entrichten, welcher die Eintragung für seine Person anmeldet. Sie dient zur Bestreitung der Kosten der Eintragung und der öffentlichen Bekanntmachung. Da die letztere vom Gerichte erfolgt, so geschieht sie auch am richtigsten auf dessen Kosten; allein der Anmeldende hat sie dem Gerichte zu ersetzen. Die Höhe der Gebühr muss mit Rücksicht auf diese beiden Kosten regulirt werden. Für alle Eintragungen gleicher Art ist im allgemeinen die gleiche Gebühr zu entrichten, höchstens mit einigen wenigen Abstufungen nach Verhältniss des Umfanges. Durch Accordverträge mit den Herausgebern der betreffenden Zeitungen können hiefür feste Sätze ein für allemal, oder für gewisse Zeiträume, vereinbart werden. Die Regulirung dieser Dinge ist Sache der Justizverwaltung, im Einvernehmen mit der Finanzverwaltung, und bleibt daher der Verordnung Vorbehalten.
Die Publication erfolgt von Gerichtswegen nur in einer Zeitung, und zwar immer, wenigstens von Jahr zu Jahr; in derselben, damit das Publicum sicher weiss, wo es solche Veröffentlichungen zu suchen hat. Unter mehreren Zeitungen, und wenn keine stehende Amtszeitung vorhanden ist, hat das Gericht die Wahl; doch muss selbstverständlich eine solche gewählt werden, welche unter Handelsleuten und überhaupt im grossen Publicum eine genügende Verbreitung hat. Auch erfolgt die Publication durch das Gericht nur einmal, um die Kosten nicht zu sehr zu erhöhen. Es bleibt natürlich den Betheiligten unbenommen, die betreffenden Mittheilungen auch in anderen Blättern und wiederholt, sowie durch Briefe, Circulare etc. zur Kenntniss der Geschäftswelt und des Publicums zu bringen.
Art. 20. Dieser Artikel regelt das Verfahren, welches zu beobachten ist, wenn die Eintragung nicht beanstandet wird. Jeder hat seine Anmeldung in Person vorzubringen, und zwar nicht blos mündlich, sondern mittelst Uebergabe einer schriftlichen Erklärung. Diese Erklärung braucht nichts weiter zu enthalten, als die Angabe der Thatsachen, Namen etc., welche einzutragen sind; und die Unterschrift der betheiligten Personen. Bei der Eintragung von Minderjährigen (Art. 12.) ausser der Unterschrift des Minderjährigen auch die des Vaters oder Vormundes, bei der Eintragung von Eheverträgen die Unterschrift beider Ehegatten, bei der Eintragung von Gesellschaftsfirmen die Unterschrift sämmtlicher Mitglieder, u. s. f. Diese schriftliche Erklärung dient als dauernder Beleg für die Eintragung und ist daher aufzubewahren. Sie verbürgt die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der Angaben und ist daher blossen mündlichen Erklärungen vorzuziehen.
Wer am persönlichen Erscheinen verhindert ist, kann sich auch durch einen Anderen vertreten lassen. Ein solcher Vertreter kann auch derjenige sein, dessen Unterschrift mit auf der Erklärung steht, so dass mithin das persönliche Erscheinen eines von mehreren Betheiligten genügt. Als Vertreter kann auch jedoch auch ein unbetheiligter Dritter fungiren. In jedem Falle aber muss der Vertreter hiezu schriftlich legitimirt sein, blosser mündlicher Auftrag würde keine genügende Bürgschaft bieten.
In den deutschen Gesetzen wird für die schriftlichen Erklärungen eine gerichtliche oder notarielle Beglaubigung vorgeschrieben. Doch bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Fälle, in welchen der Betheiligte nicht selbst erscheint. Aber auch abgesehen von dieser Beschränkung erscheint das Gebot so umständlicher, noch ausserdem mit Kosten Förmlichkeiten nicht angemessen. Nach dem Satze, dass Jedermann als ehrlich zu vermuthen ist, muss man. prima facie dergleichen Erklärungen, wenn sie nicht offenbar unrichtig sind, als wahr annehmen, zumal es sich nicht um einen Streit gegenüber bestimmten Gegnern handelt. Es liegt nicht nur im Interesse jedes Einzelnen von selbst, nur richtige Erklärungen abzugeben, sondern es bleibt auch die Anfechtung durch Andere—gleichzeitig oder später—freigestellt. Will man noch einen Schritt weiter gehen, so muss man die Beidrückung des unter Japanern üblichen Privatsiegels als hinreichende Garantie anerkennen.
Findet sich gegen die Eintragung kein Bedenken, so ist dieselbe sofort vorzunehmen, spätestens am darauf folgenden Tage. Ein Verzug wäre in keiner Weise gerechtfertigt und könnte nur zu Streitigkeiten und Verwicklungen Anlass geben, auch die Interessen und Rechte der Betheiligten empfindlich schädigen. Denn die Wirkung der Eintragung kann nur mit dem Datum dieser selbst ihren Anfang nehmen.
Art. 21. Artikel 21. handelt zuerst von den Fällen, wenn die angemeldete Eintragung auf Widerspruch stösst. Dies kann geschehen 1, durch Beanstandung Seitens des Gerichts, und 2, durch Einspruch dritter Personen.
Der erste Fall ist vor allem zu unterscheiden von den Bedenken, welche der Registerbeamte gegen eine angemeldete Eintragung erheben kann, jedoch nicht anders als aus rein äusserlichen Gründen, z. B. wegen Mangels der schriftlichen Erklärung, oder der nöthigen Unterschriften, oder wegen Unvollständigkeit des Inhaltes der Erklärung u. dgl. Es leidet keinen Zweifel, dass der Registerbeamte wegen solcher rein äusserlichen Mängel, welche für ihn die Eintragung thatsächlich unmöglich machen, die Anmeldung zurückzu weisen berechtigt und verpflichtet ist. Diese Zurückweisung kann aber nichts anderes bezwecken als die Verbesserung der Anmeldung in solchen förmlichen Punkten, und nach erfolgter Verbesserung muss die Eintragung erfolgen.
Ganz anders liegt die Sache, wenn eine Eintragung wegen ihres Inhaltes und mit Rücksicht auf ihre Gesetzmässigkeit zurückzuweisen ist. Auch hier kann zwar der Registerbeamte selbst Bescheid geben, allein nur in offenbaren Fällen; in allen zweifelhaften Fällen muss er einen richterlichen Beschluss erwirken (Art. 18.). Solche Fälle werden immer darauf hinauslaufen, dass der Registerbeamte einen ablehnenden Bescheid ertheilt, bei dem der Betheiligte sich nicht beruhigt. Dann ist die streitige Frage richterlich zu prüfen, und das Ergebniss dieser Prüfung dem Anmelder mitzutheilen. Wenn nun das Gericht die Bedenken des Registerbeamten nicht theilt, ist die Eintragung vorzunehmen; im entgegengesetzten Falle zu verweigern.. Eine schliessliche Entscheidung ist dies noch nicht, daher wurde der Ausdruck Beanstandung gewählt. Wenn nun der Betheiligte sich einer solchen Abweisung seiner Anmeldung nicht unterwirft, so kann er die Endentscheidung des Gerichtes anrufen, welche in der im Artikel angegebenen Weise zu erfolgen hat. Dies Entscheidung ist endgültig; es kann dagegen keine Berufung ergriffen werden. Einmal, weil sie selbst schon in gewissem Grade eine Appellations- Entscheidung ist, und dann, weil die Eintragung nur einen präservativen Character hat und in den meisten Fällen keinen absoluten Erwerb oder Verlust von Rechten bewirkt.
2. Eine Eintragung kann auch durch dritte Personen angefochten werden, sowohl unmittelbar bei der Anmeldung als später nachdem sie bereits erfolgt ist. Hier liegt dann ein wirklicher Rechtsstreit zwischen Privatpersonen vor, der nach den Regeln eines solchen, jedoch summarisch, zu entscheiden ist. Z. B. ein Vater oder Vormund bestreitet die Aechtheit der Unterschrift auf der vorgelegten Erklärung; es wird dem Anmeldenden das Recht zur Annahme einer gewissen Firma von einem Dritten bestritten u. s. w. Soweit Beweisaufnahme nöthig ist, muss sie nach den gewöhnlichen Principien des Processes erfolgen.
Der Verpflichtung hinsichtlich der Eintragung entspricht regelmässig die Verpflichtung der Abänderung oder Löschung, wenn andere Umstände eingetreten sind oder die eingetragene Thatsache überhaupt aufgehört hat. Eine Firma oder eine Procura kann geändert werden oder erlöschen; die Mitglieder einer Gesellschaft können wechseln, die Gesellschaft kann aufgelöst werden u. s. w. Tn allen solchen Fällen, sowohl wenn keine Beanstandung erfolgt als wenn es zum Streit kommt, ist in derselben Weise zu verfahren, und es besteht keine Veranlassung hier Abweichungen einzuführen.
Art. 22. In diesem Artikel werden die Wirkungen der Registrirung ausgesprochen. Dieselben sind allgemeine Art, nämlich allgemeine und besondere.
Die allgemeine Wirkung besteht darin, dass die eingetragenen Thatsachen gerichtsbekannt und öffentlich bekannt oder notorisch werden. Diese Notorietät nach beiden Richtungen folgt mit Nothwendigkeit aus dem in Art. 18. und 19. vorgeschriebenem Verfahren. Was notorisch ist, braucht nicht besonders bewiesen zu werden, Jedermann kann sich ohne weiteres darauf berufen, um gewisse Rechte oder Ansprüche zu begründen. Was notorisch ist, muss ferner jeder Einzelne wissen, und wenn er es zufällig nicht gewusst hat, ist es seine Schuld, deren Folgen er zu tragen hat. Es entspricht offenbar der Gerechtigkeit, dass wer seinerseits alles gethan hat, um eine für das Publicum im allgemeinen bestimmte Thatsache dem Publicum gehörig mitzutheilen, auch in der Behauptung der Rechte, die aus einer solchen Thatsache folgen, geschützt werden muss. Andererseits muss aber auch das Publicum geschützt werden, wenn aus besonderen Gründen irgend Jemand die betreffende Thatsache absolut nicht wissen konnte, z. B wegen Kürze der Zeit, oder Abgelegenheit des Ortes. .Solche Umstände muss aber dann derjenige beweisen, der sich auf Unkenntniss beruft, und sie müssen derart sein, dass ihm auch nicht das geringste Verschulden zur Last fällt. Uebrigens ist die Registrirung nicht das einzige Mittel der Mittheilung; wenn die betreffende Thatsache auf anderem Wege bekannt geworden ist, durch besondere Notification, oder durch persönliche Anwesenheit, durch mündliche Mittheilung etc, der muss sie auch gegen sich gelten lassen.
In dem Rechte Unkenntniss vorzuschützen, liegt von selbst das weitere Recht, die Unwahrheit einer eingetragenen Thatsache zu behaupten. Die unverschuldete Unkenntniss einer Thatsache wird am besten dadurch bewiesen, dass sie gar nicht existirte, denn was gar nicht vorfiel, das braucht offenbar und kann Niemand wissen. Dass also Jedermann das Recht des Gegenbeweises in Bezug auf die eingetragenen Thatsachen zusteht, bedarf keiner besonderen Erwähnung, und versteht sich von selbst. Ein solcher Gegenbeweis könnte möglicher Weise auch von demjenigen, der die Eintragung bewirkte, geführt werden, wenn ihm keine Unredlichkeit zur Last fiele.
Die besondere Wirkung der Eintragung betrifft die Entstehung des Rechtsverhältnisses selbst. Diese Wirkung kann immer nur Ausnahme sein und muss ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen sein. So wird regelmässig eine Actiengesellschaft erst mit ihrer Registrirung als constituirt angesehen. Wirkungen dieser Art sind im Seeverkehr häufiger. So z. B. gelten nur registrirte Schiffe als national, wenigstens in gewissen Beziehungen, nur registrirte Schiffshypotheken gelten als existent u. s. w.
Eine besondere Wirkung kann auch darin bestehen, dass von der Eintragung das Recht sich auf gewisse Thatsachen zu berufen abhängig gemacht ist. So bestimmt der spanische Code Art. 27., dass Dotalprivilegien nur im Fall der Registrirung des Ehevertrages angerufen werden können. Zu einer solchen Strenge ist aber in den allermeisten Fällen keine Veranlassung gegeben. Eine andere Wirkung liegt nach dem französ. Code Art. 79. in der Strafe des betrügerischen Bankerotts, im Falle die Separation des Vermögens nicht angezeigt wird.
Art. 23. Soll das System der Registrirung etwas nützen, so muss es allgemein und strenge beobachtet werden. Die Register würden allen Werth verlieren, wenn die Einträge in das Belieben der Einzelnen gestellt wären. Nur vollständige und zuverlässige Registrirungen können ihren Zweck erfüllen. Daher liegt die allgemeine Einhaltung der betreffenden gesetzlichen Vorschriften im öffentlichen Interesse; durch eine Unterlassung eines schuldigen Eintrages können die Interessen vieler Personen verletzt werden, obwohl jeder Betheiligte zunächst selbst davon Vortheil zieht. Es erscheint daher gerechtfertigt, wenn die Beobachtung dieser Pflicht durch Strafen gesichert wird; und dies ist auch in den übrigen Gesetzbüchern geschehen. Dabei erscheint es billig, vorher eine einmalige Aufforderung vorhergehen zu lassen, um die Unerfahrenheit und den Irrthum zu schonen. Die Höhe der Strafe ist sodann nach dem Grade der rechtswidrigen Gesinnung und der Gefährlichkeit der Folgen für Andere abzustufen.
III. Titel. Von Handelsfirmen.
Art. 24. Ueber die Firmen findet sich nur im deutschen H. Gesetzbuch ein besonderer Abschnitt. Die übrigen Gesetzbücher sprechen nur von Gesellschaftsfirmen, in der Voraussetzung, dass es nur für diese besonderer Bestimmungen bedürfe, und dass im Uebrigen die Firma einfach mit dem bürgerlichen Namen zusammenfalle. Allein diese Voraussetzung ist in mehrfacher Hinsicht nicht zutreffend, schon um desswillen weil über den Gebrauch der Firmen besondere Vorschriften nöthig sind, die für den bürgerlichen Namen entbehrlich sind, und weil wie oben zu Art. 18. ausgeführt wurde, die allgemeine Registrirung der Firmen empfehlenswerth erscheint.
Die Firma ist zunächst ein persönlicher Name, nämlich der Geschäftsname, unter dem Jemand ein Handelsgewerbe betreibt. Sie wird aber indirect auch zur Bezeichnung eines bestimmten Gewerbes, soferne dasselbe durch die Person des Inhabers seine Existenz und seine specielle Bedeutung erhält, und ist in gewisser Beziehung ein sachlicher Bestandtheil des Gewerbes. Da die Person, von welcher, und die Art wie ein Gewerbe betrieben wird, in hohem Grade das Vertrauen, den Credit und überhaupt den Erfolg eines gewerblichen Betriebes bestimmen, so kann man sagen, dass der Credit und das Ansehen eines Gewerbes an der Firma hängen. Daraus entspringt die Nothwendigkeit, den Gebrauch der Firma nach Rechtsgrundsätzen zu regeln, nur den Werth jeder Firma für den Berechtigten unverletzt und das Firmenrecht intact zu erhalten.
Die Firma ist von den Fabrikzeichen und Marken strenge zu unterscheiden. Sie ist eine persönliche Bezeichnung, während die letzteren nur zur Bezeichnung von Waaren gebraucht werden. Man kann eine Firma auch zur Bezeichnung von Waaren gebrauchen; dann ist sie aber nur an der Stelle von Marken und die unberechtigte Führung einer Firma in diesem Sinne würde in einem vom Markenschutz zu handelnden Gesetze zu ahnden sein. Um solche Verwechselungen zu verhüten, wurden in Art. 24. die Worte „zur Bezeichnung seiner Person” ausdrücklich aufgenommen.
Der Gebrauch der Firma wird in dem Entwurf nach drei Richtungen präcisirt: 1, Anbringung an der Aussenseite des Geschäftslocals, an der Thüre, oder über oder neben der Thüre, wie der Gebrauch sein mag; 2, zur Abgabe von Unterschriften, und 3, bei allen Geschäftshandlungen im Gewerbebetrieb, wo der persönliche Name anzuführen ist, also in Verträgen, Formularen, Wechseln, öffentlichen Anzeigen,
Quittungen, Facturen, Registrirungen u. s. w. Soweit in allen diesen Beziehungen nur der Berechtigte eine Firma gebrauchen darf, ergibt sich von selbst, dass der Gebrauch durch jeden Anderen unbefugt ist. Es wäre also ein unbefugter Gebrauch, wenn Jemand die Firma eines Andern über seiner Thüre oder an seinem Hause hielte, oder auch nur aus früherer Zeit stehen liesse.
Die Firma ist von dem Berechtigten bei allen diesen Veranlassungen, also bei jeder Handlung oder sonstigen Bezeichnung seiner Person zu gebrauchen. Also nicht nur bei einzelnen Anlässen, sondern bei allen. Es würde durchaus nicht angehen, bald die Firma, bald den bürgerlichen Namen zu gebrauchen. Der Gebrauch der Firma muss stetig sein, damit nicht Missverständnisse entstehen und damit das Gewerbe bei jedem Anlasse sofort äusserlich erkannt werden kann. Auch muss die Firma stets gleichförmig gebraucht werden. Dies bezieht sich 1, auf die gleichmässige Schreibweise der Namen; 2, auf die Beifügung des Vornamens, sei es in voll oder nur mittelst Initialen; 3, auf die etwaige Beifügung des Ortes, sowie 4, auf etwaige andere Zusätze, die zur Identität dienen sollen, nach Art. 26. Auch die Schriftzüge werden regelmässig gleich sein und das deutsche H. Gesetzbuch hat desshalb vorgeschrieben, dass die Firma nebst der persönlichen Unterschrift vor dem Handelsgerichte persönlich zu zeichnen oder die Zeichnung derselben in beglaubigter Form einzureichen ist. Eine soweit gehende Vorsicht erscheint jedoch nicht erforderlich, da jeder Geschäftsmann seine Firma täglich hundertmal zu zeichnen in die Lage kommt, also eine Ungewissheit über die Schriftzüge nicht leicht denkbar ist. Auch kann die Schrift im Laufe der Jahre sich ändern, und die einmalige Zeichnung leicht nach einiger Zeit nicht mehr zutreffend sein. Es genügt in dieser Beziehung die Vorschrift, dass die Firma überall gleichförmig zu führen ist, was auch die Gleichförmigkeit der Schriftzüge einschliesst, soweit sie überhaupt bei Handschriften erreichbar ist.
Die Firma dient zur Bezeichnung der Person nur in Bezug auf das Gewerbe, das sie betreibt. Daraus folgt, dass für verschiedene Gewerbe, die Jemand betreibt, auch verschiedene Firmen zu führen sind. Verschiedene Gewerbe sind nicht vorhanden, wenn 1, Jemand nur mehrere Läden, Niederlagen, Comptoirs etc. an einem Orte unterhält, und 2, wenn Jemand dasselbe Gewerbe mittelst Zweigetablissements (Filialen) an anderen Orten betreibt. In diesen beiden Fällen genügt die eine Firma des Hauptgewerbes. Sind es aber wirklich verschiedene Gewerbe, die unabhängig von einander und ohne alle gegenseitige Beziehung betrieben werden, so ist für jedes eine besondere Firma anzunehmen. Dies ist wichtig für die Sonderung der bezüglichen Forderungen und Schulden, für die gesonderte Rechnungsführung, für den Fall etwaigen Bankerotts. Befindet sich übrigens solche verschiedene Gewerbe eines Handelsmannes an verschiedenen Orten, so brauchen deren Firmen nicht der Form nach verschieden zu sein, denn die Bestimmung des Art. 26. ist auch hierauf anwendbar. Die Verschiedenheit der Firmen wird also nur dann erfordert, wenn die verschiedenen Gewerbe an einem und demselben betrieben werden.
Es kann die Frage aufgeworfen werden, was die Rechtsfolgen sind, wenn die Vorschriftem über die Führung der Firmen nicht befolgt werden. Es ist in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, dass das Gesetz solche Rechtsfolgen nicht ausdrücklich aufstellt, und insofern eine lex imperfecta ist, soweit es sich nicht um unbefugten Gebrauch einer Firma (Art. 31.) und um die Verletzung der Registrirungspflicht handelt. In letzterer Beziehung ist die allgemeine Bestimmung des Art. 23. auch auf die Anmeldung zur Registrirung der Firmen anzuwenden, und es ist übrigens in Art. 25. noch eine besondere Rechtsfolge an die Registrirung resp. Nichtregistrirung geknüpft worden. Abgesehen aber von diesen Fällen, bleibt die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften dem vernünftigen Interesse jedes Einzelnen überlassen, in der Annahme, dass sie so sehr dem Einzelinteressen entsprechen, dass eine Anwendung von Zwang und Strafen nicht geboten erscheint. Das Gesetz ist nicht in der Absicht gegeben, um etwas zu erzwingen, was vielleicht sonst nicht geschehen würde. Sondern es soll nur Ordnung und Klarheit in Verhältnisse bringen, die von den Einzelnen nicht wohl selbst geordnet werden können. Wer das Gesetz nicht befolgt, ist also zunächst straffrei; er hat aber die nachtheiligen Folgen, die factisch eintreten, sich selbst zuzuschreiben, und gewisse Rechtsfolgen zu tragen, die an solche Thatsachen sich anknüpfen. So wird z. B. der unordentliche Firmengebrauch gewiss den Credit schädigen, Processe und Verwicklungen hervorrufen u. dgl. Besondere Rechtsfolgen aber werden sich einstellen für den Fall des etwaigen Bankerotts, durch den Verlust oder die Minderung der Beweiskraft von Schriftstücken. Im allgemeinen wird der unordentliche Gebrauch der Firma als ein Zeichen unordentlicher, nachlässiger Geschäftsführung überhaupt zu beurtheilen sein und kann leicht den Verdacht betrügerischer Absicht erwecken oder mitbestätigen.
Art. 25. Wie bereits mehrfach erwähnt, soll die Firma der Registrirungspflicht unterliegen. Dies gilt für alle Firmen ohne Ausnahme, nicht blos für Gesellschaftsfirmen. Jede Firma soll zur Eintragung in das Register angemeldet werden, so bald sie existirt, daher wird gesagt, dass jede „Annahme” einer Firma zur Eintragung anzumelden sei. Dasselbe hat zu geschehen, wenn eine bereits eingetragene Firma verändert wird oder erlischt. Das Erlöschen tritt hauptsächlich in zwei Fällen ein, einmal wenn das Gewerbe selbst aufhört oder eingeht, durch freiwillige Aufgabe durch Bankerott, durch Verschmelzung mit einem anderen u. dgl., und sodann wenn die Personen der Inhaber wechseln und nicht nach Anleitung der folgenden Artikel die Firma fortbestehen kann. Ueber die Anmeldung sind die allgemeinen Vorschriften des zweiten Titels zu beobachten. Sie muss also persönlich von dem Inhaber oder den Inhabern des Gewerbes, oder durch gehörig Bevollmächtigte, und mittelst Ueberreichung einer schriftlichen Erklärung geschehen. Diese Erklärung muss die Namen der Inhaber, und den Wortlaut der Firma enthalten. Bei juristischen Personen, Actiengesellschaften treten an die Stelle der Inhaber die sie vertretenden Beamten und Directoren.
Die Pflicht der Eintragung gilt auch in Bezug auf Zweigniederlassungen an einem anderen Orte, und zwar bei dem Gerichte dieser anderen Orte. Wenn auch eine solche Filiale nur als Bestandtheil des Hauptgewerbes in Bezug auf dieses selbst anzusehen ist, so bildet sie doch in Bezug auf die anderen Gewerbe an jenen Orten ein selbständiges Geschäft und muss gleich diesen behandelt werden. In dem deutschen H. Gesetzbuch ist in dieser Beziehung die Vorschrift gegeben, dass vorher die Eintragung des Hauptgewerbes bei dem dortigen Gerichte nachgewiesen werden muss. Die Aufnahme dieser Beschränkung in den Entwurf wurde aber unterlassen, weil sie im Grunde eine selbstverständliche Bestimmung enthält, die Jeder vernünftiger Weise schon von selbst erfüllen wird, um so mehr, als Zweigniederlassungen meist später gegründet werden, und weil es rathsam ist, iede Bestimmung zu vermeiden, die mehr auf Offizialismus und polizeilicher Einmischung beruhen, als auf dem practischen Bedürfnisse. Die Eintragung der Hauptfirma ist ohnedies schon durch die Androhung von Ordnungsstrafen gesichert, weitere das Firmen recht selbst betreffende Rechtsfolgen sollen daran den Erörterungen zu Art. 24. gemäss nicht geknüpft werden.
Wird nun die in diesem Artikel vorgeschriebene Eintragung unterlassen, so knüpft das Gesetz daran den Verlust des Firmenrechts an und für sich nicht. Es können also auch nicht eingetragene Firmen geführt werden, obwohl dies in der Praxis äusserst selten vorkommen wird. Verwehren kann dies an sich Niemand, soferne die Führung der Firma keine unbefugte ist. Allein das Gesetz erklärt, dass nur an eingetragenen Firmen ein ausschliessliches Recht erworben werden kann, und wenn zwischen mehreren Personen Streit entsteht über die Berechtigung eine Firma zu führen, so geht derjenige vor, der sie eintragen liess. Um also gegen die Usurpation später entstehender Gewerbe gesichert zu sein, wird Jeder es in seinem Interesse finden, diejenige Firma, die er wirklich führt, auch sobald als möglich, nämlich sofort bei der Annahme eintragen zu lassen.
Es kann demnach wohl vorkommen, dass Jemand thatsächlich eine andere Firma führt, als die er hat eintragen lassen. In Bezug auf den Geschäftsverkehr selbst unter Handelsleuten ist dies nicht zu hindern, und alle Geschäfte, Urkunden, Unterschriften mit einer solchen thatsächlichen Firma sind an sich vollkommen gültig. Das Firmenrecht selbst ist also hinsichtlich seinerEntstehung undEndigung von der Eintragung nicht abhängig und bleibt der Freiheit des commerciellen Verkehres überlassen. Aber ein Recht auf eine solche thatsächliche Firma kann durch den blossen Gebrauch, und mag er auch noch so lange andauern, nicht erworben werden.
Art. 26. Die Bestimmung im ersten Absatze dieses Artikels folgt aus der Natur und dem Zwecke einer Firma von selbst. Im bürgerlichen Leben kommen zwar gleichlautende Namen nicht selten vor und es bleibt hier Jedem selbst überlassen, Verwechselungen und die hieraus möglicher Weise entstehenden Nachtheile zu vermeiden. Die Geschäfte des bürgerlichen Lebens sind vergleichsweise selten, Verwechselungen weit weniger ausgesetzt, und das bürgerliche Leben geht in den Geschäften lange nicht auf. Aber der Handel bewegt sich nur in Geschäften, ein Gewerbe erzeugt täglich eine Menge verschiedener Geschäfte und Geschäftsäusserungen, die Handelsgeschäfte stehen in hohem Grade auf dem Boden der Oeffentlichkeit, und die möglichst vollkommene Sicherheit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit ist bei ihnen strenges Bedürfniss. Daher dürfen über eine Firma keine Zweifel bestehen, welche Personen dahinter stehen, zumal die Handelsgeschäfte so vielfach unter Abwesenden geschlossen werden, denen eine vorherige Umfrage an dem Orte meist nicht möglich wäre. Die Vorschrift, dass die Firma eines jeden Gewerbes von allen übrigen Firmen an einem und demselben Orte sich durch irgend ein Erkennungszeichen müsse unterscheiden lassen, ist daher in der Natur der Sache vollkommen gerechtfertigt. Auf die Firmen verschiedener Orte erstreckt sich dieses Bedürfniss offenbar nicht, weil der Ort immer zur Firma hinzugefügt wird oder doch nach Bedürfniss hinzugefügt werden kann, somit die Verschiedenheit des Ortes immer von selbst ein genügendes Unterscheidungszeichen bietet.
Ueber die Bedeutung des „Ortes” können möglicher Weise Zweifel entstehen. Man kann darunter entweder eine blosse Oertlichkeit im rein factischen Sinne, oder eine Gemeinde im administrativen Sinne verstehen. Das deutsche Gesetzbuch hat daher auch die letztere ausdrücklich genannt. Allein dies erscheint unpractisch, weil der politische Verband einer Gemeinde für den Handelsverkehr gleichgültig ist und den Handelsleuten, zumal den auswärts wohnenden, nicht bekannt zu sein braucht. Unter einem Orte ist eine solche Oertlichkeit zu verstehen, die im Handel thatsächlich und usancemässig als besondere Oertlichkeit behandelt und bekannt ist. Wenn also z. B. eine Vorstadt handelsgebräuchlich von der Stadt selbst unterschieden wird, so ist sie ein besonderer Ort, wenn sie gleich in administrativer Hinsicht zum Gemeindeverband der Stadt gehört. Daher ist auch die Veränderungen von Gemeindegrenzen auf den Gebrauch der Firmen ohne Einfluss.
Im zweiten Absatz dieses Artikels wird nun zunächst das Grundprincip aufgestellt, dass der bürgerliche Name in der Regel auch die Firma bilden soll. Dies ist das natürliche und jede Abweichung von dem natürlichen kann nur eine Ausnahme sein, die besonders begründet werden muss. Diese Ausnahmen finden sich im Folgenden dargestellt; es spiegelt sich in ihnen die Doppelnatur der Firma wieder, vermöge deren sie zugleich ein Personen-Name und ein Gewerbs-Name ist. Die Regel beruht auf der Voraussetzung, dass sich Person und Gewerbe vollständig decken, also eine Person ihr ganzes Vermögen und ihre ganze Kraft dem Gewerbe widmet. Daher kann, beiläufig gesagt, bei einzelnen Handelsgeschäften, ohne stehenden Gewerbebetrieb, von einer förmlichen Firma keine Rede sein. Die Ausnahmen müssen nun in den Fällen eintreten, wo sich Person und Gewerbe nicht völlig decken. Dies ist der Fall.
1) bei Gesellschaften. Hier gilt der Grundsatz: Einer für Alle, und Alle für Einen. Der Name einer Person bezeichnet also hinlänglich auch die übrigen Theilhaber, wenn nur das Gesellschaftverhältniss in der Firma angezeigt ist; und sodann
2) wenn eine Person nur mit einer begrenzten Capitalsumme, nicht aber mit ihrer ganzen Persönlichkeit, namentlich mit ihrem ganzen persönlichen Vermögen sich dem Gewerbe widmet. Der Name solcher Personen darf nicht in der Firma erscheinen; es sind dies namentlich Commanditisten und die Mitglieder von Actiengesellsehaften mit beschränkter Haftbarkeit.
Diese Bestimmungen genügen für das practische Bedürfniss, der Firma im Handelsverkehr eine reale Bedeutung über den Rahmen einer blossen äusserlichen Bezeichnung oder gar einer Fiction hinaus zu erhalten. Die Bestimmungen in den Artikeln 17. und 18. des deutschen H. Gesetzbuchs laufen auf dasselbe hinaus, gehen aber im einzelnen weiter als practisch nothwendig erscheint, und sind auch dem wirklichen Gebrauche nicht ganz entsprechend.
Art. 27. Die in diesem Artikel zugelassenen Ausnahmen von der Regel, dass die Firma der bürgerliche Name des Handelsmannes sein soll, sind anderer Art und erfordern daher eine besondere Normirung. Sie folgen nämlich hier aus der sachlichen Bedeutung einer Firma, während die des vorhergehenden Artikels aus der persönlichen Bedeutung der Firmen hergeleitet wurden. Es ist ein wohlverstandenes Interesse im Handel, renommirte, weithin bekannte, altangesehene Firmen beizubehalten, auch wenn die Inhaber wechseln. Dieses Interesse weiss der Handelsmann sehr hoch zu schätzen, und es ist für seinen Credit und seine ganze Stellung in der Geschäftswelt von eingreifender Bedeutung. Die Gesetzgebung muss dieses Interesse schützen, soweit es den Grundsätzen des Rechtes gemäss geschehen kann. Zwei Fälle sind hier zu unterscheiden:
1) die Firma geht durch ein Rechtsgeschäft auf völlig neue, andere Personen über, entweder durch Erbschaft oder durch Vertrag Im ersten Fall liegt eine Universal-Succession in die Person des früheren Inhabers vor, in jeder vermögensrechtlichen Beziehung. Da nun die Firma einen Vermögenswerth hat und zum Capital des Erblassers gehört, kann das Recht zu ihrer Führung resp. Beibehaltung den Erben nicht streitig gemacht werden. Im zweiten Fall wird nur eine Singular-Succession begründet, aber diese erstreckt sich auf alles, was der eine Theil auf den anderen Theil übertragen will. Eine Firma ist ein Vermögensobject, und kann (unter der Einschränkung des Art. 28.) unzweifelhaft auf Andere übertragen werden. Gleichgültig ist es, ob der bisherige Inhaber der Firma mit derselben noch ferner in Verbindung steht oder nicht; ob das eine oder das andere geschieht, ob er also noch Interessen in dem Gewerbe fortbestehen lässt und an dem Gewinn oder Verlust irgendwie betheiligt bleibt, ist lediglich dem Ermessen der beiden Theile überlassen. Der neue Erwerber erlangt in jedem Falle den Vortheil, auf dem bisherigen Ansehen der Firma weiter zu arbeiten und deren bisherigen Credit bis auf weiteres fortzugeniessen. Allein man muss annehmen, dass er dafür dem Veräusserer eine Entschädigung gab, und wenn dieses Recht den Erben zustehen soll, kann es billiger Weise auch Käufern nicht entzogen werden.
2) Es findet keine Succession in das Gewerbe statt, sondern nur ein persönlicher Wechsel der Mitglieder. Hier entscheidet nun dieselbe Rücksicht, wie für die Fälle unter Ziffer 1. Die Firma hat einen Vermögenswerth, der denen, die ihn besitzen, nicht entzogen werden soll, um so mehr als er oft die Frucht langjähriger Anstrengungen und Ausdauer ist. Wenn also bisherige Mitglieder ausscheiden oder neue eintreten, so braucht desshalb eine Aenderung der Firma nicht vorgenommen zu werden, wenn nur das Gewerbe dasselbe bleibt. Nur die einzige Schranke ist hinzugefügt, dass es nicht gegen den Willen eines Austretenden geschehen darf, wenn dessen Name in der Firma beibehalten werden soll. Der Name ist etwas so rein persönliches und der Verfügung anderer Personen so sehr entzogen, dass die Weglassung jener Schranke unnatürlich wäre. Wer seinen Namen einem Gewerbe belässt, deckt dieses gewissermassen mit seiner Person, und dies kann nicht gegen seinen Willen geschehen. Uebrigens kann diese Einwilligung auch schon vorher, etwa bei der Eingehung des dessfallsigen Gesellschaftsvertrages erklärt werden. Sie braucht auch keine ausdrückliche zu sein und kann stillschweigend geschehen. Für die gegentheilige Vorschrift des D. H. Gesetzbuchs dürfte kein genügender Grund gegeben sein. Es muss hier wie sonst der Grundsatz gelten, melior est conditio possidentis, wesshalb es genug sein muss, wenn von Seiten eines solchen Theilnehmers kein Einspruch erfolgt. Nur der Unterschied ist hier zu machen, dass eine ausdrückliche Einwilligung später nicht einseitig zurückgezogen werden kann, da sie eine vertragsmässige Obligation begründet, während blos thatsächliches Geschehenlassen später jederzeit zurückgenommen werden kann.
Diesen Grundsätzen gemäss kann es kommen, dass eine Gesell-Schaftsfirma von einem einzelnen Handelsmann, und eine Einzelfirma von einer Gesellschaft geführt werden kann. Es ist dies eine Anomalie, aber sie entspricht dem Handelsgebrauch, und wird gemildert dadurch, dass solche Firmen nicht neu entstehen, sondern nur wenn bereits existent fortgeführt werden können. Es kommt im Rechte auch anderweitig vor, dass ein gewisser Zustand fortdauern kann unter Umständen, die zu seiner Entstehung nicht hingereicht hätten.
Dieselben Regeln sind auch anwendbar auf den Fall, wenn eine Ehefrau das Gewerbe ihrer verstorbenen Ehemannes fortsetzt. Sie kann sodann die Firma ihres Ehemannes beibehalten. Wenn dies kraft Erbrechts geschieht, ist es bereits oben in den zu Ziffer 1. besprochenen Fällen enthalten.
Art. 28. Obgleich nach Art. 27. eine Firma als ein Vermögensobject erscheint, welches veräussert und vererbt werden kann, geht der Handelsgebrauch doch nicht so weit, die Firma von dem Gewerbe loszulösen und zu einem selbständigen Eigenthumsgegenstand zu machen. An sich ist die Firma nichts weiter als ein Name, und dient nur zur stehenden Bezeichnung gewisser Personen im Handelsverkehr. Ein Name kann niemals für sich allein veräussert werden, er hat für sich selbst keine selbständige Existenz. Wenn die Firma unter Umständen einen Capitalwerth erlangt, so kann dies nur sein in Verbindung mit dem Gewerbe, indem sie die thatsächlichen Erfolge der Inhaber repräsentirt. Eine Firma kann, nicht wie ein Erfindungspatent, von Jedem ausgeübt werden; sie muss am Gewerbe haften bleiben, dessen Renommee sie einzig und allein ausdrücken soll. Demnach wurde in Art. 28. Verfügung getroffen. Die Veraüsserung von Firmen für sich allein könnte in den meisten Fällen überdies nur auf unredlichen Absichten beruhen und zur Täuschung des Publicums führen. Verträge dieser Art sind null und nichtig.
Die weitere Bestimmung in Art. 28. ist nur eine Consequenz der vorhergehenden. Wenn eine Firma nicht ohne das Gewerbe sein kann, für das sie geführt wird, so muss sie zugleich mit diesem erlöschen. Eine erloschene Firma kann allerdings von einem anderen Handelsmann wieder aufgenommen werden, und er wird insoweit nicht leicht einer Klage wegen unbefugten Firmengebrauches ausgesetzt sein. Allein es kann dies gleichwohl nur geschehen in Uebereinstimmung mit den übrigen Artikeln dieses Titels, namentlich mit Art. 26., soferne jeder regelmässig nur seinen Namen als Firma nehmen darf. Die Firma kann auch erlöschen, wenn das Gewerbe fortdauert. Dies wurde bereits oben zu Art. 25. gezeigt. Die ausdrückliche Hervorhebung dieses Punktes im Gesetze ist nicht erforderlich, weil er von selbst aus den vorhergehenden Artikeln folgt und nichts weiter als eine Folgerung ist.
Art. 29. Die folgenden Artikel sind dazu bestimmt, gewisse zweifelhafte Fragen in Bezug auf Firmen zu lösen, die in der Jurisprudenz seit längerer Zeit streitig waren und über welche sich in den Gesetzbüchern keine ausdrücklichen Entscheidungen finden.
Die erste Frage ist: wenn ein Gewerbe veräussert wird, was soll dann als veräussert angesehen werden? Die Frage entspringt daraus, dass ein im Betrieb stehendes Gewerbe sehr viele Dinge umfasst, die zum Betrieb gehören, die aber in den Verträgen nicht immer vollständig und deutlich aufgezeichnet werden. Es sind theils körperliche Dinge wie Grundstücke mit Zubehör, Gebäude, ein Laden oder anderes Geschäftslocal, Maschinen und Geräthe, Vorräthe an Materialien, Hülfsstoffen, und fertigen Producten, theils unkörperliche Dinge, wie die Forderungen und Schulden, die Kundschaft, gewisse Gewerbsbefugnisse, wie z. B. ein Patent, oder eine Concession u. dgl.; endlich auch Dinge, die an sich körperlich sind, aber mehr eine unkörperliche Bedeutung haben, wie z. B Handelsbücher und andere Documente des Gewerbs. Es ist nun nicht Sache des Gesetzgebers, sich an die Stelle der Parteien zu setzen und für dieselben ein für allemal zu bestimmen, was in solchen Verträgen als veräussert gelten soll. Es kann hier, wie sonst, eben nur die Intention der Parteien entscheiden und es ist ihre Sache, die Einzelheiten des Geschäfts wohl zu überlegen und ihre Intention zu klarem und vollständigem Ausdruck zu bringen.
Es bleibt nun den Parteien völlig anheimgestellt, ein bestehendes Gewerbe ganz oder theilweise zu veräussern resp. zu erwerben. Im letzteren Falle werden die Parteien selbst die einzelnen Theile ausscheiden und benennen, die sie veräussert oder nicht veräussert wissen wollen. Für den ersteren Fall aber stellt der Entwurf eine Präsumtion auf, weil es schwer ist, das Ganze in allen seinen einzelnen Theilen ausdrücklich zu bezeichnen, und hier trotz der vorhandenen Intention leicht Versehen und Missverständnisse eintreten können. Die Präsumtion geht dahin, dass, wenn ein Gewerbe mit der Firma veräussert wird, das Gewerbe im Ganzen, wie es geht und steht, als veräussert gelten soll. Diese Präsumtion wird aber nur für die mehr unkörperlichen Bestandtheile ausgedrückt, sowohl weil die körperlichen Bestandtheile, wie sie oben aufgezählt sind, leicht ausdrücklich benannt werden können und der Aufmerksamkeit weniger entgehen, theils weil einzelne Sachen immerhin ausgenommen werden können, ohne die Veräusserung im Ganzen dadurch in der Hauptsache aufzuheben. Jene unkörperlichen Bestandtheile sind drei, nämlich 1, die Activa und, Passiva; 2, die Kundschaft; 3, die Handelsbücher. Diees alle sollen als mitverkauft gelten, soferne nicht das Gegentheil ausdrücklich stipulirt worden ist; -sie gehen also auf den neuen Erwerber über, auch wenn nichts darüber im Vertrage gesagt sein sollte. Diese Präsumtion ist begründet, theils in der Natur einer solchen Veräusserung, theils im Interesse dritter Personen. Sowohl diejenigen, welche mit einer Firma in Geschäftsbeziehungen treten, als insbesondere die Kunden, werden hiezu hauptsächlich durch die Firma und deren Credit, sowie gewohnte und bekannte Geschäftsweise. Das Vertrauen in allen diesen Beziehungen folgt der Firma nach und bleibt in der Regel bestehen, auch wenn die Personen der Inhaber wechseln. Ueberdies stehen die Activa und Passiva meist im Zusammenhang laufender gegenseitiger Rechnung, die nicht abgebrochen werden sollen, wenn eine neue Person lediglich das alte Geschäft übernimmt. Wenn Activa und Passiva nicht mit übergehen, müsste eine förmliche Liquidation des Geschäfts stattfinden, die keineswegs beabsichtigt sein kann, wenn nichts ausdrücklich darüber gesagt ist. Die Kundschaft hängt theils an der Localität, theils an der Firma, und geht mit diesen von selbst über. Die Handelsbücher haben für sich keinen eigenen Werth, sie dienen nur zur Constatirung und geordneten Fortsetzung der früheren Beziehungen zu den Geschäftsfreunden und Kunden. Es ist also gerechtfertigt, dass auch ihre Uebertragung auf den neuen Erwerber unter den gegebenen Voraussetzungen präsumirt wird.
Die Uebernahme der Activa und Passiva durch den Erwerber bedeutet an sich nicht mehr, als dass der letztere die dem Gewerbe Schuldigen Zahlungen in Empfang nehmen kann und die Passiva desselben berichtigen wird. Zahlungen an ihn, und Zahlungen von ihm sind also so zu betrachten, als wenn sie an den resp. von dem früheren Gewerbsinhaber geschehen wären. Eine Verpflichtung für die dritten Personen, Schuldner wie Gläubiger, sich diesem Uebereinkommen auch ihrerseits zu unterwerfen, liegt darin noch nicht. Es können also Zahlungen auch an den früheren Inhaber gemacht werden, nur dass dieser sie dem Erwerber restituiren muss; und die Gläubiger können sich nach wie vor auch an den früheren Inhaber halten, da ihnen gegen ihren Willen ein anderer Schuldner nicht aufgedrängt werden kann. Soll eine förmliche Cession der Forderungen bewirkt werden, so müssen die Erfordernisse des Civilrechts beobachtet werden, wohin namentlich die Certioration des Schuldners zu rechnen ist, und die Einwilligung des Gläubigers.
Eine Kundschaft ist strenge genommen kein eigentliches Rechtsobject, da es kein Recht auf Kundschaft geben kann. In der Abtretung einer Kundschaft liegt daher nichts anderes, als die Abtretung der besonderen Umstände, welche eine Kundschaft einziehen können, namentlich der Localität, der Laden- und Geschäftseinrichtungen, der Firma, in Verbindung mit der Reputation, welche diese und ähnliche Umstände im Publicum gefunden haben. Eine Verpflichtung hinsichtlich der Fortsetzung desslben Gewerbsbetriebes, wie sie in Art. 30. geregelt ist, enthält die Abtretung der Kundschaft an und für sich noch nicht, wenn sie nicht ausdrücklich übernommen wird, was wohl meistens geschehen wird. Der Verkaüfer ist daher nicht verhindert, etwa einen Laden etc. in derselben Nachbarschaft zu errichten. Soll aber die Abtretung einer Kundschaft einen reellen Werth haben, so darf der Verkäufer nichts vornehmen, was dem anderen Theil die abgetretene Kundschaft abspenstig machen würde, denn dies würde gegen Treu und Glauben verstossen. Jede Anlockung der Kunden mit Berufung auf die speciellen Vorzüge des verkauften Geschäfts wird ihm also verwehrt sein. Ob Jemand bona fide nur ein anderes Geschäft begründen will, oder ob ihm die Absicht der Ablockung von Kunden zugeschrieben werden muss, ist nach den Umständen des Falls vom Richter zu entscheiden. Die Abtretung einer Kundschaft ist an die in Art. 30. bezeichneten zeitlichen und räumlichen Grenzen nicht gebunden.
Der zweite Absatz dieses Artikels entspringt vornehmlich der Rücksicht auf die Interessen dritter Personen, die nicht immer den Inhalt des zwischen den beiden Parteien abgeschlossenen Vertrages genau zu kennen in der Lage sind. Daher wird bestimmt, dass für diese—dagegen nicht auch für die contrahirenden Parteien—die gegenteilige Verabredung unverbindlich sein soll, wenn die Uebernahme der Firma ohne solchen Vorbehalt bekannt gemacht wurde. Diese Bekanntmachung kann geschehen durch Annonien in öffentlichen Blättern, oder durch Versendung von Circularen, überhaupt jede Art kaufmännischer Notification, muss aber nicht nothwendig an jeden einzelnen Geschäftsfreund geschehen. Diese Vorschrift entspricht ohne, Zweifel der Billigkeit, und soll dritten Personen einen festen Halt geben, um mit Sicherheit handeln zu können, wenn eine Firma auf andere Personen übergeht, ohne erst über das Detail des Veraüsserungsvertrages Nachforschungen anstellen zu müssen. Eine solche Bekanntmachung kann später nicht mehr widerrufen werden und auch die etwaige spätere Aenderung der Firma hat hierauf keinen Einfluss mehr.
Art. 30. Eine weitere Frage ist, welche Wirkung es im Rechte haben soll, wenn Jemand die Verpflichtung übernimmt, einen gewissen Gewerbszweig selbst nicht mehr betreiben zu wollen. Eine solche Verpflichtung kann vorerst nur durch Vertrag-übernommen werden, einer bestimmten anderen Person gegenüber; sie wäre jedenfalls ungültig gegenüber Jedermann. In Bezug nun auf einen dessfallsigen Vertrag geht die gewöhnliche Theorie dahin, dass er ungültig ist, wenn die Verpflichtung ganz allgemein übernommen wird, ohne specielle Beschränkung, dagegen gültig, wenn er auf eine gewisse Zeit und auf gewisse räumliche Grenzen beschränkt wird, und wenn er überhaupt einen vernünftigen Grund hat. Ein allgemeiner Verzicht auf die Ausübung des Gewerbetriebes ist ungültig, weil er dem Interesse des Einzelnen und auch dem öffentlichen Interesse widerspricht, welches die willkürliche Schaffung von Monopolen durch blosse private Verabredung nicht duldet. Diesen Standpunkt nimmt auch der Entwurf ein; es schien jedoch angemessen, die Unbestimmtheit der theoretischen Regel durch Einschränkung auf bestimmte Grenzen zu beseitigen. Demnach wurde einmal bestimmt, dass eine solche Verpflichtung nur bei Gelegenheit der Veräusserung eines Gewerbes zugleich mit der Firma übernommen werden kann, nicht aber für sich allein, weil sie nur dann einen vernünftigen Grund hat und ein adäquate Gegenleistung zulässt; und sodann nur innerhalb bestimmter zeitlicher und räumlicher Grenzen. An und für sich ist die Concurrenz unter den Gewerbtreibenden heilsam und wünschenswerth. Wer aber vertragsmässig das Gewerbe eines Anderen übernimmt, der kann sich auch den Vortheil einer ungehinderten Ausbeutung der Vortheile dieses Gewerbes sichern, ohne unter der Concurrenz des früheren Gewerbsinhäbers leiden zu müssen. Dies kann aber nur geschehen in Verbindung mit der Uebernahme des Gewerbs eines Anderen zugleich mit dessen Firma, denn in der Firma ist gewissermassen das Anrecht auf die persönliche Reputation des Gewerbs enthalten, und nur mit der Firma kann man vernünftiger Weise auf das Recht der persönlichen Concurrenz verzichten. Dieser Verzicht soll aber ausserdem nur innerhalb gewisser speciellen Grenzen zulässig sein. In Betreff der Zeit erschienen zehn Jahre als ein genügender Zeitraum, um die Vortheile einer Befreiung von Concurrenz auszubeuten. In räumlicher Beziehung soll der Verzicht nur innerhalb bestimmter localer Grenzen gültig sein. Local bedeutet hier einen Gegensatz zu territorial. Der Verzicht soll also nicht für ein ganzes Land—hier ganz Japan—noch weniger ausserhalb des Landes gültig sein; sondern nur für bestimmte Orte oder Bezirke des Landes. Die Zusammenfassung aller dieser Beschränkungen der Gültigkeit des hier in Bede stehenden Vertrages dürfte seine Uebereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Rechts und mit den Anforderungen gesunder volkswirthschaftlicher Principien ergeben.
Art. 31. Dieser Artikel handelt von den Rechtsfolgen der Verletzung des Firmenrechts und der damit in Verbindung stehenden besonderen Rechte.
Ein unbefugter Gebrauch einer Firma findet statt, wenn Jemand zur Bezeichnung seiner Person eineFirma führt, die zuführen er nicht berechtigt ist; es muss aber hiezu noch kommen, dass ein Anderer dadurch in seinem Rechte verletzt ist, gleichviel ob er dadurch ausserdem noch positiven Schaden erleidet oder nicht. Dieser andere kann ein Handelsmann sein, doch ist dies nicht absolut nothwendig; es ist z. B. in den Fällen des Art. 27. möglich, dass der Veräussernde oder der Ausscheidende kein Gewerbe mehr betreibt; gleichwohl kann er eine Klage erheben, wenn gegen seine Einwilligung die frühere Firma resp. sein Name in derselben fortgeführt wird. Ist Niemand vorhanden, der durch den unbefugten Gebrauch einer Firma verletzt ist, so kann desfalls keine Klage erhoben werden; denn jede Klage setzt ein Recht als Klagegrund voraus.
Der andere Fall ist, wenn die speciell übernommenen Verpflichtungen nicht erfüllt werden, z. B. hinsichtlich der Abtretung der Kundschaft, des Verzichts auf Fortführung des Gewerbebetriebes u. s. w.
In beiden Fällen findet Civilklage statt, zunächst auf Einstellung des unbefugten Handelns, sodann gegebenen Falles auf Schadensersatz. Die in letzterer Beziehung gegebene weitere Bestimmung des Art. 31. hat darin ihren Gründ, dass der stricte Beweis eines positiven Schadens namentlich in gewisser Höhe meist sehr schwer ist, obwohl an dem Vorhandensein eines solchen Schadens vielfach kein Zweifel sein kann. Hier soll dann das freie Ermessen des Richters dem Kläger zu Hülfe kommen; es kann daher ein Schadensersatz auch dann ausgesprochen werden, wenn nur allgemeine und unbestimmte Anhaltspunkte gegeben sind, die aber über die Zufügung eines Schadens überhaupt keinen Zweifel lassen. Würde Jemand, der richterlichen Entscheidung ungeachtet, trotzdem in seinem unbefugten Handeln fortfahren, so würde er wegen Nichtbeachtung des richterlichen Verbotes auf alle Fälle in Strafe zu nehmen sein.
Eine solche Streitsache über Firmenrecht würde in das Handelsrecht zu setzen, und die Veräusserung einer Firma etc. zu den Handelsgeschäften zu rechnen sein, nach Art. 4. und 5. des Entwurfes.
Im deutschen H. Gesetzbuch ist die Ueberwachung des Firmenwesens den Handelsgerichten auch von Amtswegen übertragen, und sie können desfalls gegen Zuwiderhandelnde mittelst Verhängung von Ordnungsstrafen vorgehen. Der Entwurf ist nicht soweit gegangen, sondern einfach bei dem civilrechtlichen Character des Firmenrechts und der daraus resultirenden Civilklage stehen geblieben, soweit nicht die auf öffentlichen Rücksichten beruhende Registrirungspflicht in Frage steht. Es genügt, wenn gegen unbefugten Firmengebrauch denen Rechtsmittel gegeben werden, die dadurch in ihren Rechten verletzt sind. Einen Gegenstand polizerlicher Ueberwachung aus einem Gegenstände zu machen, der seiner Natur nach in das Civilrecht gehört, dürfte sich nicht rechtfertigen lassen. Soweit die Civilklage nicht ausreicht, wird entweder überhaupt keine strafbare Handlung vorliegen, oder der Missbrauch einer Firma wird häufig nur das Mittel zur Begehung anderer Vergehungen sein; in solchen Fällen wird dann besser das Strafrecht zur Anwendung zu bringen sein.
IV. Titel. Von Handelsbüchern.
Art. 32. In Bezug auf Handelsbücher herrscht in den Gesetzgebungen ein verschiedenes System. Auf der einen Seite steht das englische und amerikanische Gewohnheitsrecht, welches eine Verpflichtung der Handelsleute, bestimmte Handelsbücher unter Beobachtung specieller Controlvorschriften zu führen, nicht kennt, sondern alles dem eigenen Interesse und dem natürlichen Gang der Dinge überlässt. Auf der anderen Seite der Französische Code, und die übrigen, welche diesen zum Muster genommen haben, mit detaillirten imperativen Vorschriften, die jeder Handelsmann bei Vermeidung gewisser Rechtsnachtheile zu erfüllen hat, und die sich nicht nur auf die Führung der Bücher durch den Handelsmann, sondern auch auf deren polizerliche Ueberwachung beziehen. In der Mitte steht das System des deutschen H. Gesetzbuchs, das jedoch mehr auf die Seite des französischen Systems neigt und dasselbe nur gemildert und abgeschwächt hat. Das französische System ist in einzelnen Gesetzbüchern, so in dem spanischen, durch Androhung von beträchtlichen Geldstrafen für die Verletzung der Vorschriften des Gesetzes noch bedeutend verschärft worden.
Das französische System besteht in folgenden Grundzügen:
1) Jeder Handelsmann ist verpflichtet, gewisse Handelsbücher zu führen, und zwar mindestens drei, nämlich ein Journal, ein Briefcopiebuch und ein Inventarbuch.
2) Diese Bücher müssen, um jede betrügliche Eintragung zu verhüten, unter gewissen gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmassregeln geführt und von den Behörden überwacht werden;
3) Die so geführten Handelsbücher geniessen gewisse Privilegien als Beweisurkunden im Prozesse;
4) Sie sind aber dafür auch in gewissem Grade als zwischen den Parteien gemeinschaftlich anzusehen;
5) Wer die Bücher nicht ordnungsmässig führt, verliert die genannten Privilegien und verfällt der Strafe des betrügerischen Bankerotts.
Im spanischen H. Gesetzbuch sind dem, wie bereits vorhin bemerkt, noch besondere Geldstrafen beigefügt, um die stricte Befolgung der gesetzlichen Vorschriften unmittelbar zu erzwingen, Art. 43. 45. Das spanische Gesetz verlangt übrigens ausser dem Journal auch noch ein Hauptbuch, und diejenigen, welche für gewisse Unternehmungen durch Statuten und Reglements vorgeschrieben sein mögen.
Das deutsche H. Gesetzbuch (Buch. I. Titel. 4.) schreibt keine obligatorischen Handelsbücher speciell vor, verlangt aber von jedem Kaufmann, dass er Bücher führe, aus welchen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens vollständig zu ersehen sind; es wiederholt die Bestimmungen des französ. Code hinsichtlich der Briefe und Inventare, auch die Vorschriften, wie die Bücher zu ‘führen sind, aber ohne obrigkeitliche Ueberwachung; ertheilt den Handelsbüchern das Privilegium eines unvollständigen durch den Eid zu ergänzenden Beweises, und theilt auch hinsichtlich der Vorlage und Mittheilung der Händelsbücher den Standpunkt des französ. Rechts.
Das englische Recht kennt keine Verpflichtung für den Handelsmann, bestimmte Bücher zu führen und bestimmte Rechnungen aufzumachen. Wohl aber ist die Unterlassung dieser Buchführung im Bankerottgesetz mit Nachtheilen bedroht und im Falle betrüglicher Absicht, mit der Strafe des betrügerischen Bankerotts. Dasselbe ist auch im deutschen Strafgesetzbuch geschehen. Auch haben nach englischem Rechte die Handelsbücher eine gewisse Beweiskraft im Processe, die aber nach der Verschiedenheit der Umstände sich verschieden abstufen kann und niemals den vollen Beweis ersetzen kann, ausgenommen etwa nach dem Tode des betreffenden Handelsmanns.
Diese kurze Uebersicht ergibt, dass wenn auch die Gesetzgebung verschieden ist, doch das System factisch bei allen Nationen in der Hauptsache dasselbe ist und nur Abweichungen im Einzelnen stattfinden. Die Unterschiede des Systems liegen mithin nur in der Gesetzgebung und der Stellung der öffentlichen Gewalt zu der Handelswelt, und nicht in der Sache selbst.
Diese Verschiedenheit ist jedoch in Wirklichkeit geringer, als sie scheint, weil die Vorschriften über Handelsbücher hauptsächlich im Hinblick auf etwaigen Bankerott zu verstehen sind, und hierüber sich ebenso gut in der englischen Gesetzgebung, wie in dem französischen Code, positive Bestimmungen finden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Handelsbücher sind also in der Hauptsache von dem Gesichtspunkte beherrscht: Wer nicht ordentlich Buch führt, ist ein Betrüger; der Betrug im Handel darf aber nicht geduldet werden.
Wollte man nach der Erfahrung urtheilen, so müsste man, wenigstens unter diesem Gesichtspunkte, dem französischen System einen grösseren practischen Werth beilegen. Denn man wird wohl in der Annahme nicht fehlgehen, dass die Bankerotte in England und besonders in den Vereinigten Staaten äusserst häufig vorkommen, und jedenfalls häufiger, als in Frankreich und anderen Ländern des Continents. Die sogenannten Handelskrisen, die nichts anderes sind, als periodische Massen-Bankerotte, haben vornehmlich in den erst genannten Ländern ihren Sitz. Doch kann man nicht zweifeln, dass auch in dieser Ländern der Handelsmann regelmässig seine Bücher führt, wenn er gleich dabei unter keiner obrigkeitlichen Aufsicht steht. In Wirklichkeit können Handelsbücher die Bankerotte nicht verhindern. Denn nicht die Aufzeichnung der Geschäfte, sondern deren Art, die Grenzen des dabei zugelassenen Risico, der Grad des speculativen Wagnisses, die Ueberspannung des Credits u. dgl. m. bestimmen oder verhüten die Gefahr des Bankerotts. Ohne Buchführung ist überhaupt kein laufender Handelsbetrieb von einiger Bedeutung möglich, die Buchführung gebietet sich daher für jeden nur einigermassen verständigen Handelsmann von selbst. Eine gesetzliche Vorschrift dieses Inhaltes, wie z. B. im Art. 28. des deutschen H. Gesetzbuches, ist daher practisch selbstverständlich, sie ist jedenfalls unschädlich, aber auch ohne eigentlichen Werth. Denn die Schwierigkeit beginnt erst bei der Frage, welche Bücher für den Handelsmann obligatorisch gemacht werden sollen?
Das französische und die meisten diesem gefolgten Gesetzbücher verlangen in dieser Beziehung, algesehen von der Correspondenz und den Inventar-Registern, nur ein einziges Buch, nämlich das Journal. In dieses Buch sind, Tag für Tag, also in chronologischer Reihenfolge, die einzelnen Handelsoperationen, die entstandenen Activa und Passiva (das Debet und Credit), die Wechselgeschäfte, und alle geleisteten oder empfangenen Zahlungen einzutragen; ausserdem per Monat die Summe des Aufwands für den persönlichen Haushalt. Alle anderen Bücher, die sonst üblich sein mögen im Handelsbetrieb, sollen nicht obligatorisch sein.
Nun kommen aber solche anderen Bücher bekanntlich sehr haüfig vor, ja einzelne unter ihnen können wohl in jedem Handelscomptoir angetroffen werden. So z. B. das Hauptbuch, die Gladde oder Strazze (main courante), das Cassa-buch, das Memorial. In den schwierigeren Gewerbszweigen, wie z. B. im Bankgeschäft findet man wohl 7—8 verschiedene Bücher, die alle unter einander Zusammenhängen, und von denen keines ohne die anderen vollen Aufschluss über die Geschäftsführung und die Vermögenslage geben kann. In den einfacheren, gewöhnlichen Geschäften begnügt man sich mit wenigen Büchern. Auch die Buchführnng selbst ist verschieden. So z. B. unterscheidet man doppelte und einfache Buchhaltung; die verschiedenen Geschäftsposten werden bald einzeln, bald nur in grösseren Zusammenfassungen gebucht. Und jeder einzelne Handelsmann folgt hinsichtlich der inneren Anlage und Ausführung seiner Bücher bald seiner Bequemlichkeit, bald seiner Gewohnheit. Einen wichtigen Unterschied muss es auch machen, ob die Geschäfte gegen Credit, oder a comptant gemacht werden.
Bei diesem Stande der Dinge ist es für den Gesetzgeber ungemein schwer, eine feste Regel aufzustellen. Wird nur ein Minimum vorgeschrieben, so bleibt das Gesetz hinter der Wirklichkeit zurück und verbreitet über diesen Gegenstand einen äusserlichen Schein, mit dem nicht viel gewonnen ist. Will man aber mehr ins Einzelne gehen, so müsste man die Verzweigungen des Handelsbetriebs genau untersuchen Und für jeden Gewerbszweig besondere Vorschriften aufstellen, was äusserst schwer durchführbar wäre und wobei der Gesetzgeber leicht über die zulässige Grenze hinausgehen könnte.
Man darf auch nicht übersehen, dass die Entstehung des französ. Code in die Zeit während und nach der Revolutionsperiode fiel, in welcher sehr zahlreiche Bankerotte vorfielen, und dass unmittelbar vor der Abfassung des Code in Paris scandalöse Bankerotte sich ereigneten, durch welche die öffentliche Meinung stark aufgeregt und die Staatsgewalt zum Erlass strenger Präventiv-Bestimmungen provocirt wurde.
Für Japan kommt hiezu noch die weitere Schwierigkeit, dass die Art der Buchführung theils nicht genügend bekannt, theils äusserst verschieden ist, indem manche Handelsleute hierin der ausländischen Regel folgen, andere dieselbe nur zum Theil angenommen und wieder andere die alte japanische Geschäftsweise beibehalten haben. Man muss annehmen, dass die japanische Geschäftsweise gegenwärtig in einer Umbildung begriffen ist, die in den Hauptplätzen des Handels wohl schon ziemlich weit gediehen sein mag, aber noch lange nicht abgeschlossen ist und namentlich in den entlegeneren und mehr abgeschlossenen Gebietsteilen noch mehr oder minder in den Anfängen liegen wird.
Ueberhaupt ist die Buchführung gemäss den Veränderungen des Handelsbetriebs der Fortbildung unterworfen, und im allgemeinen darf man annehmen, dass der Handelsstand auch in dieser Beziehung volle Freiheit der Bewegung begehrt, und die Vorschrift einer bestimmten Buchführung Seitens der Gesetzgebung mit Abneigung betrachtet.
Auch wird man erwägen müssen, dass eine umständliche Buchführung immerhin Zeitverlust und Kosten verursacht, und dass in Japan zur Zeit noch das Capital, mit welchem die Bevölkerung Geschäfte macht, verhältnissmässig wenig entwickelt ist und die Geschäfte daher im allgemeinen mehr noch einfach sind und nicht so bedeutende Werthe zum Object haben—
Diesen Erwägungen zufolge wurde die Fassung des Art. 32. gewählt. Diese Fassung folgt den practisch bewährten Mustern der älteren Gesetzgebung, sucht aber jeden insbesondere für die jetzige Verhältnisse Japans bedenklichen Zwang zu vermeiden, und durchgängig in den Formen Freiheit zu geben, ohne in der Sache das wesentliche preiszugeben.
Zunächst wurde also die Pflicht der Buchführung für alle Handelsleute ausgesprochen. Denn dieselbe ist überall thatsächlich anzutreffen, sie ist heilsam und von unberechenbaren Vortheilen begleitet.
Es wurden aber keine bestimmten Bücher zur Pflicht gemacht, weil hierüber der Handelsgebrauch selbst entscheiden muss. Der Einzelne hat dabei zwar die Freiheit der persönlichen Wahl, aber er ist gebunden an die Art und Weise, die in seinem Gewerbszweige üblich ist. Die Buchführung kann also verschieden sein für Bankiers, für Bergwerksbesitzer, für grosse Kaufleute, für den Detailhandel. Diejenige Buchführung aber, die in einem Gewerbszweig als Regel befolgt wird, muss auch der Einzelne beobachten, will er sich nicht den Folgen der Verletzung dieser Pflicht aussetzen. Darüber, was als üblich in jedem Gewerbszweige anzusehen ist, müssen Sachverständige, also die Mitglieder des betreffenden Gewerbszweigs im Streitfalle entscheiden. Eine Gefahr der Unsicherheit liegt hierin wohl nicht. Jeder muss lernen, ehe er selbständig Handel treibt; er wird also auch die Buchführung seines Gewerbszweiges lernen und etwaigen Fortschritten darin ebenso folgen müssen, wie allen anderen, rein technischen Veränderungen des Gewerbebetriebes. Der Entwurf steht in dieser Hinsicht auf dem Standpunkt, dass die Buchführung nur einen Theil des Gewerbebetriebs überhaupt ausmacht, die jeder Gewerbetreibende ebenso kennen muss, wie er die nöthige Waaren - oder Maschinenkunde etc. in seinem Gewerbe besitzen muss.
Ferner ist vorgeschrieben, dass die Buchführung eine vollständige sein muss. Es muss also über alles was zum Gewerbebetrieb gehört, Buch geführt werden, nicht blos einzelnes, und anderes, nicht, sondern die ganze Geschäftsführung muss gebucht werden, sonst würde der Zweck verfehlt. Der Nutzen und Sinn der Buchführung liegt in ihrer Vollständigkeit. Es bezieht sich diese Vorschrift aber nicht blos auf die Handelsgeschäfte, die ein Handelsmann macht, sondern auf alle seine Geschäfte, darum ist das Wort Geschäftsführung gewählt. Also sind auch Käufe eines Hauses oder Grundstückes, Dienstverträge etc. aufzuzeichnen. Diese Vorschrift ist nöthig, weil sonst die Buchführung leicht lückenhaft werden könnte. Auf solchen Wegen könnte viel Geld verloren oder bei Seite geschafft werden, ohne dass in den Büchern darüber etwas ersichtlich wäre. Auch Speculationen in Papiergeld, Effecten etc. gehören hieher, obwohl sie ausserhalb des Gewerbebetriebs liegen können und der Handelsmann sie als rein private Geschäfte bezeichnen könnte. Dagegen gehören nicht hieher die laufenden Hausbaltsgeschäfte, über die nachher eine besondere Bestimmung getroffen ist.
Die Buchführung muss ferner in üblicher Weise stattfinden. Diese muss jeder Handelsmann kennen, wie er sein Gewerbe überhaupt verstehen und gelernt haben muss. Hierüber wurde bereits oben näheres besprochen. Die Buchführung der Handelsleute wird dadurch in Bezug auf ihre geschäftliche Einrichtung auf das Gebiet des Handelsgebrauches versetzt, und obligatorisch gemacht in derselben Weise, wie jeder andere Handelsgebrauch. Für Japan wird es sich in dieser Beziehung hauptsächlich um die Frage handeln, ob die europäische oder die alte japanische Buchführung als üblich anzusehen sei. Abgesehen von solchen Handelszweigen, die ganz nach europäischem Muster betrieben werden, wie z. B. das Bankwesen, wird für die nächste Zeit noch wohl die Japanische Buchführung als Regel gelten müssen. Indessen wird die europäische Buchführung, vielleicht mit einzelnen Modificationen, mehr und mehr sich ausbreiten und es wird ein Zeitpunkt kommen, wo die altjapanische Buchführung, wenigstens im grossen Geschäfte, als veraltet angesehen werden wird. Dem Handel soll hier kein Zwang angethan werden, denn es ist dies durchaus eine Sache der commerciellen Entwicklung, die von innen heraus, nach dem eigenen Verständniss und Interesse des Handelsstandes, am gesundesten und sichersten erfolgt. Welches System der Buchführung als das übliche bezeichnet werden muss, ist im Streitfälle durch kaufmännische Experten zu ermitteln.
Die allgemeine Verpflichtung zur Buchführung wird nun in dem weiteren Inhalt des Artikels noch näher specialisirt, so dass zwar im allgemeinen das Wie und das Was der Buchführung freigegeben ist, jedoch nur unter den nachfolgenden Beschränkungen:
1) die Einträge sind Tag für Tag zu machen, also in chronologischer Ordnung, und so dass das Datum bei jedem Eintrag strenge eingehalten wird;
2) die Eintragung muss geordnet und übersichtlich geschehen. Dies bezieht sich nicht blos auf die chronologische Ordnung, sondern auf ordentliche Buchführung überhaupt, wie sie der Handelsmann verstehen muss. Die Einträge müssen sauber sein, deutlich und in sich erschöpfend, sorgfältig und in fester, systematischer Weise, nach einem und demselben System; nichts darf fehlen, nichts ausgestrichen, verändert, radirt werden, die Einträge müssen sich Blatt für Blatt ohne Unterbrechung und ohne leere Zwischenstellen folgen. Die Uebersichtlichkeit betrifft namentlich die Einhaltung gewisser Rubriken, die Zusammenstellung des Zusammengehörigen u. s. w.
3) Die Aufzeichnung muss gewisse Gegenstände umfassen, und ist insoferne obligatorisch, während andere Gegenstände zwar auch auf-gezeichnet werden können, aber nicht müssen. Diese Gegenstände sind
1) die an jedem Tage abgeschlossenen Geschäfte, und zwar nicht blos Handelsgeschäfte, wie bereits oben dargelegt wurde, mit Ausschluss der Detailgeschäfte.
2 ) die an jedem Tage entstehenden Forderungen und Schulden, hinsichtlich des Betrages, der Fälligkeit, des Schuldgrundes und der Rechtsform, z. B. ob Schuldschein, Wechsel, Cheque u. s. f.
3 ) die an jedem Tage empfangenen und abgelieferten Waaren, zu dem Zweck, um über den Bestand des Waarenlagers jederzeit vollständige Evidenz zu halten; auch hier sind die im Detailverkauf abgegebenen Waaren nicht speciell zu buchen.
4) die an jedem Tage gemachten oder empfangenen Zahlungen, wiederum nicht blos in Handelsgeschäften, sondern in Geschäften jeglicher Art, die Geschäfte des Haushalts ausgenommen ; endlich
5) die monatlichen Ausgaben des Haushaltes, die natürlich nur von Monat zu Monat in runder Summe aufzuzeichnen sind.
Diese Vorschriften sind im wesentlichen dem Muster des französ. Code entnommen, dem auch die meisten übrigen Gesetzbücher gefolgt sind. Diese Einträge erschöpfen das wesentliche der kaufmännischen Geschäftsführung und deren Beziehungen zu dem Vermögen jeder überhaupt. Sie dürfen als practisch bewährt gelten, nicht nur weil sie in fast allen Gesetzbüchern adoptirt wurden, sondern auch insoferne als sich in der That der französische Handelsstand durch Nüchternheit, Besonnenheit und Solidität auszeichnet, soweit dies dem Einflüsse des Gesetzbuches zuzuschreiben ist.
Die deutsche Fassung (des Art. 28.) ist zu unbestimmt und ist übrigens nicht erschöpfend, da sie sich nur auf Handelsgeschäfte erstreckt. Sie steht in besonderer Beziehung zur privilegirten Beweiskraft der Handelsbücher, die dadurch einigermassen gerechtfertigt werden soll. Allein diese Beziehung ist nicht genügend. Sondern die Vorschrift der Handelsbücber soll, wie die der Handelsregister und Firmen, dem Handelsbetrieb eines Landes gewisse allgemeine Bedingungen des Erfolges sichern und der unvertändigen Capitalverschleuderung vorbeugen. Von diesem Standpunkte aus müssen diejenigen Gegenstände, die für die Gesetzgebung als unbedingte Erfordernisse ordentlicher Buchführung gelten müssen, speciell genannt werden; damit der Handelsmann weiss, dass das Auge des Gesetzes in diesen Punkten beständig auf ihn gerichtet ist und dass seiner Zeit darüber Rechenschaft kann gefordert werden.
Die einzelnen Gegenstände der obligatorischen Aufzeichnung finden in sich selbst ihre Rechtfertigung und bedürfen keiner weiteren Erklärung. Es wurde im Entwurf nur die specielle Aufzeichnung der Waaren- Zu- und Abgänge hinzugefügt, weil dieselben ebenso, wie die Cassenbewegung und die Activen und Passiven, zu den wesentlichen Seiten der Vermögens- und Geschäftslage eines Handelsmanns gehören. Die Eintragung der monatlichen Ausgaben des Haushalts hat sehr gute commercielle Gründe, obwohl die Sache an sich selbst nicht zum Handelsbetrieb gehört. Handelsleute gerathen nicht selten durch häusliche Verschwendung und Prunksucht, durch die Verschwendung ihrer Frauen und dergleichen in Ruin, und es ist sehr wohlthätig, ihnen in dieser Hinsicht mittelst der Gesetzgebung eine Warnung zu ertheilen und einen Anlass zur Besonnenheit zu geben, zumal wenn sich, wie in der Gegenwart, in weiten Kreisen die Neigung zeigt, über ihre Mittel hinaus zu leben und in dem Handel nur einen schnellen und unmittelbaren Weg zu kostspieligen Genüssen zu erblicken.
Der letzte, von den Detailgeschäften handelnde Absatz des Art. 32. findet sich im französischen Code nicht, wohl aber, in ähnlicher Fassung, im spanischen Art. 39. Die Sache selbst ist wohl überall dieselbe, denn es wäre unmöglich, alle einzelnen Ladengeschäfte nach Pfennigen und Rin einzutragen, und hätte solche Eintragung auch keinen Sinn. Der Zweck der Buchführung ist hier erreicht, wenn täglich der Gesammterlös in Geld und, bei Creditverkäufen, in stehender Rechnung gebucht wird. Die Eintragung würde also nicht mehr zu enthalten haben, als etwa: Erlös im Detailgeshäft baar—; auf Credit—; total............ Wie der Waarenabgang im Detailgeschäft zu verzeichnen sei, bleibt jedem selbst überlassen.
Art. 33. Die in diesem Artikel den Handelsleuten auferlegten Verpflichtungen finden sich übereinstimmend in allen Gesetzbüchern wieder. Sie können desshalb unbedenklich, ebenso wie die Buchführung für die laufenden Geshäfte, als allgemeiner Handelsgebrauch angesehen werden, von dem man auch in diesem Lande sich nicht wohl entfernen könnte. In der That ist die Anfertigung eines Vermögens-Inventars und einer Bilanz die nothwendige Ergänzung der laufenden Buchführung, indem sie die Ergebnisse des Geschäftsjahres zusammenfasst und zu einem einheitlichen Abschlusse bringt. Als Rechnungsabschluss ist sie dasselbe für das Ganze des Gewerbebetriebs, was der Inhalt der Journaleinträge für die einzelnen Geschäfte in demselben. Daher müssen die allgemeinen Bestimmungen über die Führung der Handelsbücher auch auf die die Inventare und Bilanzen enthaltenden Register angewendet werden. Sie sind in handelsüblicher Weise, vollständig, geordnet und übersichtlich anzufertigen. Das Verbot von Veränderungen, Radirungen, Auslassungen etc. bezeiht sich gleicherweise hieher. Diese formellen Bestimmungen zu wiederholen, ist nicht nothwendig, da sie sich der Natur der Sache nach von selbst verstehen.
Beides, Inventar und Bilanz, sind von dem Handelsmann zu unterzeichnen. Bei Gesellschaften natürlich von jedem Gesellschafter, bei Actiengesellschaften von den mit der Geschäftsführung beauftragten Directoren-. Solche Mitglieder, die nicht persönlich haften und an der Geschäftsführung nicht betheiligt sind, wie Actionäre und Commanditisten, haben auch nicht zu unterzeichnen. Die Vorschrift der Unterzeichnung findet sich ausdrücklich in den Gesetzbüchern, und wurde daher auch im Entwurf beibehalten, obgleich sie strenge genommen nicht nöthig wäre. Denn es versteht sich wohl von selbst, dass jeder Handelsmann für den Inhalt seiner Handelsbücher verantwortlich ist und deren Angaben, gleich viel von wem sie factisch angefertigt sind—von Commis etc. oder von ihm selbst—für seine Person gelten lassen muss.
Die Bestimmungen des zweiten Absatzes haben zum Zweck, die Aufstellung fictiver Inventare und Bilanzen zu verhüten. Dieselben sollen die wirklichen Ergebnisse der Geschäftsführung jedes Jahres bloslegen, also die etwa gemachten Fehler und erlittenen Verluste ebenso getreu und vollständig wiedergeben, wie die etwaigen Gewinne. Es muss sich zeigen, ob das Capital des Geschäftsmannes sich im Jahre vermehrt oder vermindert hat, und in welchem Betrage, ob bei der Fortsetzung der stattgefundenen Geschäftsführung Vortheil zu hoffen, oder etwa seiner Zeit Bankerott zu fürchten ist. Jeder Geschäftsmann würde sich und andere betrügen, wenn er bei der Aufnahme seines Inventars und seiner Bilanz andere Werthe, insbesondere höhere Werthe ansetzte, als sie wirklich vorhanden sind. Daher schien es empfehlenswerth, einer falschen und betrügerischen Praxis, die in der Geschäftswelt nicht so gar selten ist, ausdrückliche. Gesetzesvorschriften entgegenzustellen. Dieselben sind dem deutschen H. Gesetzbuch entnommen und sollen die Ansetzung fictiver, namentlich zu hoher Werthe verbieten.
Art. 34. In diesem Artikel werden die Bestimmungen des Art. 33. verschärft, soweit sie sich auf Handelsgesellschaften beziehen, welche viertel- oder halbjährliche Dividenden oder Zinsen an ihre Mitglieder vertheilen. Solche Gesellschaften—zu denen wohl die meisten Handelsgesellschaften, mit Ausnahme etwa der offenen Gesellschaften, zu rechnen sein werden, sollen das Inventar und die Bilanz in jedem Halbjahr anfertigen. Diese strengere Vorschrift rechtfertigt sich einmal dadurch, dass es unmöglich ist, Dividenden oder Zinsen zu vertheilen, ehe map weiss, ob das Capital sich reproducirt hat und darüber hinaus ein Mehrwerth erzielt worden ist. Diese Kenntniss kann aber nur durch Inventar und Bilanz erlangt werden, so dass da, wo ohne solche Dividenden vertheilt werden, dies leicht unbegründet sein kann und eine Verzehrung des Capitals herbeiführen muss. Andererseits ist auch die Praxis der halbjährlichen Bilanzen bereits so allgemein eingebürgert, und namentlich bei Gesellschaften, als eine Nothwendigkeit anerkannt, das die gesetzliche Vorschrift eben nur dem gegenwärtigen Handelsgebrauche entspricht und das Gebot der ein- oder gar zweijährigen Bilanzen als einer älteren Periode angehörend bezeichnet werden muss.
Art. 35. In den älteren Gesetzbüchern finden sich in diesem Zusammenhänge noch weitere Bestimmungen, und zwar in der Regel 1, über eine gewisse Controle der Handelsbücher durch Foliiren, Paraphiren, und obrigkeitliche Inspection und Visirung; 2, über die äussere Art der Einträge, um jede betrügliche Veränderung derselben zu verhüten; 3, über die Aufbewahrung der Geschäftsbriefe und von Copien derselben.
Diese Bestimmungen sind theils, wie unter Nr. 2, selbstverständlich und brauchen nicht ausdrücklich erwähnt zu werden, da jeder Kaufmann seinen Gewerbebetrieb, also auch die Führung der Handelsbücher kennen muss, und an die stehenden Regeln, soweit sie einen Handelsgebrauch bilden, von selbst gebunden ist. Auch hat ihre namentliche Erwähnung keinen Zweck, weil jede Fälschung von Handelsbüchern von selbst als strafbar erscheint und den Handelsmann den daran geknüpften Folgen aussetzt, die sowohl die Beweiskraft der Bücher betreffen als auch die Beurtheilung eines etwaigen Bankerotts. Sie erscheinen übrigens als eine Einmischung irr den Gewerbebetrieb und werden insoferne besser vermieden.
Was speciell die Handelscorrespondenz betrifft, der für die neuere Zeit auch Telegramme beigefügt werden müssten, so erscheint diese im doppelten Lichte eines Beweismittels für etwaige Rechtsstreitigkeiten und einer Erläuterung für den Inhalt der Handelsbücher. Insoferne hat die Aufbewahrung der Correspondenz unläugbaren Werth. Allein diesen Werth weiss der Handelsmann ohne Zweifel selbst zu schätzen, und sein eigenes Interesse wird ihm vorschreiben, alle Geschäftsbriefe von Bedeutung aufzubewahren. Es empfiehlt sich aber vom gesetzgeberischen Standpunkte besonders im Gebiete des Handels, Vorschriften, die an sich überflüssig erscheinen und mehr wie polizeiliche Ueberwachung aussehen, zu unterlassen, weil sie im Handelsstande den Geist der Unabhängigkeit und Selbstverantwortlichkeit schädigen, ohne welchen kein gesunder Aufschwung des Handels stattfinden kann.
In Betreff der Handelscorrespondenz würde übrigens die Nachahmung der in den europäischen Codes enthaltenen Vorschriften auch noch desshalb auf Schwierigkeiten stossen, weil hier die Correspondenz noch lange nicht eine so ausgebreitete Bedeutung hat, wie in den europäischen Ländern, und weil die Aufbewahrung von Copien den abgesendeten Briefe—ohne welche die Aufbewahrung der empfangenen Briefe viel von ihrem Werthe verlieren würde—ohne Copirmaschinen nicht wohl * ausführbar wäre, die Anschaffung und der Gebrauch dieser letzteren aber noch nicht zu einer allgemeinen Verpflichtung gemacht werden könnte.
Dagegen erschien es räthlich, eine besondere Bestimmung über die Aufbewahrung der Handelsbücher nach dem Vorgang der übrigen Gesetzgebung aufzunehmen. Wenn man einmal die Buchführung zur besonderen gesetzlichen Pflicht macht, kann eine solche Bestimmung nicht wohl entbehrt werden, weil sonst Handelsbücher zu leicht bei Seite geschafft werden könnten. Diese Vorschrift dient auch indirect dazu, die Führung der Bücher selbst zu controliren, weil sie einen längeren Zeitraum hindurch der Inspection und Prüfung ausgesetzt bleiben.
Der Zeitraum von 10 Jahren findet sich in der Mehrzahl der Gesetzbücher gleichmässig. Das holländische Gesetzbuch allerdings erstreckt die Verpflichtung der, Aufbewahrung auf 30 Jahre, das spanische sogar auf die ganze Dauer des Gewerbebetriebes einer Person und macht sogar deren Erben bis zum Abschlüsse der Liquidation dafür verantwortlich. Diese Bestimmungen sind offenbar zu weitgehend; denn Handelssachen werden gewöhnlich in kurzer Zeit abgewickelt, da sie sich beständig einander in immer neuem Wechsel folgen müssen, und unterliegen überdies in der Regel einer weitaus kürzeren Verjährung, so dass schwebende Handelsgeschäfte sich wohl nur äusserst selten über einen längeren Zeitraum als höchstens 10 Jahre hinziehen werden.
Die weitere Bestimmung dieses Artikels verpflichtet den Handelsmann zur Anwendung der höchsten Sorgfalt, um den Verlust oder die Beschädigung der Bücher durch zerstörende Zufälle zu verhüten. Es würde demnach keine genügende Entschuldigung sein, wenn Jemand, zur Vorlage seiner Handelsbücher aufgefordert, darauf einfach erwidern würde, dass sie ihm bei einem Brande verbrannt seien, sondern er müsste, um sich von dem Verdacht der Schuld zu befreien, auch darthun, dass der Brand ohne sein Verschulden ausgebrochen sei und dass er die Bücher der höchsten Sorgfalt ungeachtet nicht habe retten können.
Die absichtliche Beiseiteschaffung, Fälschung oder Verheimlichung von Handelsbüchern, das Nichtführen von solchen u. dgl. sind Vergehungen, die theils in Strafrecht zu behandeln sind, theils in der Gesetzgebung über Bankerott, wo auch die weiteren Rechtsfolgen für den Bankerotteur festzustellen sind.
Art. 36. Die Bestimmung dieses Artikels folgt zwar, wenigstens in ihrem ersten Theile, aus den allgemeinen Grundsätzen des Eigenthumsrechts von selbst, und es macht in dieser Beziehung offenbar keinen Unterschied, ob ein Handelsmann seine Bücher persönlich führt oder von Untergebenen führen lässt. Es ist aber gleichwohl von Werth, das Eigen thum jedes Handelsmannes an seinen Handelsbüchern als Princip ausdrücklich im Gesetze zu betonen, und damit unzweideutig zu erklären, dass gegentheilige Bestimmungen nur als Ausnahmen vorkommen können. Offenbar führt ein Handelsmann seine Bücher nur für sich, für die Zwecke seines Gewerbebetriebes, und nicht für Andere, oder für den Staat, wie man aus manchen weit gehenden Bestimmungen einiger Gesetzbücher fast schliessen könnte. Sie enthalten seine gesammte Geschäftsführung, seine Handelsgeheimnisse, seine Speculationen, den Zustand seines Vermögens und seine ganze Geschäftslage, und ein Handelsmann kann nicht verpflichtet sein, alle diese Dinge Anderen oder den öffentlichen Behörden zur beliebigen Einsichtnahme und Durchmusterung vorzulegen. Daher kann Niemand, auch die Staatsgewalt nicht, die Vorlage von Handelsbüchern und deren Einsicht verlangen, wie dies z. B. bei Handelsregistern der Fall ist. Der Eigenthümer kann sie verschliessen und jedem fremden Einblick entziehen. Er kann sie auch vernichten, soweit er nicht durch die Vorschrift des Art. 35. daran gehindert ist. Handelsbücher sind mithin in jeder Hinsicht privates Eigenthum, keine öffentliche Sache, und die Befugnisse darüber müssen strenge aus den Grundsätzen des Privateigen thums abgeleitet werden.
Diese Regel klar und bestimmt zur Erkenntniss zu bringen, ist der Zweck des Art. 36. Die Regel hat aber auch Ausnahmen, welche daraus entspringen, dass dre Handelsbetrieb in gewisser Beziehung des Lichtes der Oeffentlichkeit bedarf, und dass um den Bedürfnissen des Handels zu genügen, die Rechtsbegriffe elastischer gezogen werden müssen, als dies im Civilrecht der Fall sein könnte.
Eine Ausnahme von der genannten Regel enthält sofort der Art. 36, und diese Ausnahme wurde hier, abweichend von den übrigen Gesetzbüchern, vorweg herausgehoben, sowohl weil sie eine Ausnahme des geringsten Grades enthält, als auch weil sie sich von allen übrigen —in Civilsachen—dadurch unterscheidet, dass sie auch von Amtswegen gemacht werden darf. Diese Ausnahme betrifft nämlich den Fall des Bankerofts. Nach allen Gesetzgebungen kann der Bankerott, unter gewissen Umständen, auch von Amtswegen erklärt werden, und es muss sich diese Befugniss offenbar auch auf die Handelsbücher erstrecken. Dieser Fall bildet aber überdies eine sehr geringe Ausnahme von der Regel, weil jeder, der in Bankerott erkärt ist, ohnehin die Verfügung, über sein Vermögen, mithin auch über seine Handelsbücher verliert und dieselbe an seine Gläubiger resp. das Gericht abgeben muss. Diese Bestimmung, die sich übrigens in allen Gesetzbüchern findet, enthält mithin kaum einen wirklichen Eingriff in das Recht des Privateigentums.
Kaum der Erwähnung wird es bedürfen, dass der in Rede stehende Artikel nur für das Gebiet des Handelsrechts, mithin für civilrechtliche Fälle gilt. Das Recht der Gerichte und Polizeibehörden, in Strafsachen mit Beschlag zu belegen oder sonst dagegen vorzugehen, wird dadurch nicht berührt; doch gehören die Bestimmungen darüber in das Straf- resp. Polizeigesetz.
Art. 37. Eine weitere, schon etwas stärkere Ausnahme, entsteht in Fällen, wo an Handelsbüchern Miteigentum oder doch ein bestimmtes, rechtlich geschütztes, gemeinschaftliches Interesse besteht. Das erstere findet hauptsächlich statt in drei Fällen: 1, in Verlassenschaftssachen, also zwischen Miterben unter einander, oder zwischen Erben und Legataren; 2, in Gemeinschaftssachen, also namentlich im Falle ehelicher Gütergemeinschaft; 3, in Theilungssachen, wenn eine bisher bestandene Gemeinschaft oder Gesellschaft aufgehoben werden soll. In allen diesen Fällen eingreift das zwischen den Parteien bestehende Verhältniss der Gemeinschaftlichkeit ihrer Rechte auch die Hundelsbücher, es kann mithin nicht ein Einzelner unter den Betheiligten ein ausschliessliches Recht daran beanspruchen.
Das zweite bezieht sich namentlich auf den Fall der Geschäftsführung, sei es dauernder und stehender Gestion sei es einzelner Geschäfte. Directoren, Procuristen, Agenten, Gehülfen und dergleichen Personen können an den Handelsbüchern des Principals kein Recht der Gemeinschaft irgend einer Art geltend machen, da sie nur in dienstlicher Stellung daran betheiligt waren. Ihr rechtliches Verhältnis zu ihnen beschränkt sich auf ein gewisses Interesse, soferne sie wegen ihrer Geschäftsführung Ansprüche erheben oder zur Verantwortung gezogen werden können. Dieses Interesse wird dem mit Eigenthum analog behandelt, und daher wird solcher Person der Anspruch auf Mittheilung und Uebergabe der Bücher eingeräumt, ebernso wie Miteigenthümern.
Die hier bezeichneten Ausnahmen sind aber an gewisse Bedingungen gebunden. Einmal beziehen sie sich nur auf private Interessen, daher sie den betimmten Antrag der betreffenden Partei voraussetzen, und nicht von Amtswegen verfügt werden können. Ein solcher Antrag wird regelmässig einen Rechtsstreit zur Voraussetzung haben, und es muss daher der Antrag immer auf ein bestimmtes im Streite befangenes Recht oder Interesse gestützt werden, welches durch die Mittheilung der Bücher gesichert werden soll. Die Mittheilung muss übrigens nur zur vollständigen Einsichtnahme ihres Inhaltes erfolgen, im Uebrigen verliert der Eigenthümer sein Recht daran nicht wie im Fall des Bankerottes, und soferne etwa die Firma fortgeführt wird, muss es mit Schonung der Gewerbsinteressen des Eigenthümers geschehen. Auch ist hier immer nur die gerichtliche Mittheilung und Uebergabe von Handelsbüchern gemeint, also zu Händen des Gerichts, wenngleich zur factischen Einsichtnahme durch die Gegenpartei; die einfache Uebergabe der Bücher in die Hände der Gegenpartei kann auf Grund dieses Artikels nicht beansprucht werden.
Das in diesem Artikel gewährte Recht ist daher ein processnales Recht, das nur durch Vermittlung des Gerichts—en justice—geltend gemacht werden kann, und von anderweitigen Rechten auf Mittheilung von Handelsbüchern, wie es z. B. Gesellschaftern und den Eigenthümern von Schiffsparten zusteht, wohl zu unterscheiden ist. Nur setzt die Ausübung dieses Rechts nicht gerade einen schon begonnenen Rechtsstreit voraus, sondern sie kann auch im Hinblick auf einen etwa künftigen Rechtsstreit erfolgen.
Art. 38. Der dritte Kreis von Ausnahmen, in Art. 38., betrifft die sog. Editionspflicht zum Zweck des Beweises. Diese Pflicht besteht regelmässig nur rücksichtlich sog. gemeinschaftlicher Urkunden, d. h. solcher Schriftstücke, in welchen ein beiden Theilen gemeinschaftliches Rechtsverhältniss niedergelegt ist, z. B. Vertragsdocumente, Testamente u. dgl. Sie ist aber von allen Gesetzgebungen übereinstimmend auf die Handelsbücher ausgedehnt, in der Erwägung dass die Bedürfnisse des Handels die Benützung der Handelsbücher als Beweisurkunden unvermeidlich machen, und dass die Art der kaufmännischen Buchführung den darin enthaltenen Aufzeichnungen eine gewisse Gemeinschaftlichkeit beilegt. Da Handelsbücher geführt werden müssen, und. da die Einträge in solche gewissermassen im Lichte der Oeffentlichkeit erfolgen, so kann man Handelsbücher gewissermassen als gemeinschaftliche Documente betrachten, obwohl es nur einseitige Aufzeichnungen einer Partei sind. In diesem Punkte stimmen alle Gesetzbücher überein, ebenso darin, dass die Vorlagepflicht sich nicht auf die sämmtlichen Bücher ihrem ganzen Inhalte nach bezieht, sondern nur auf die Einträge, welche über den Streitpunkt Aufklärung geben können. Die Einsichtnahme dieser Stellen erfolgt vom Gericht unter Beiziehung des Eigenthümers; nötigenfalls kann Abschrift genommen und zu den Acten gelegt werden.
Ein Zweifel kann in dieser Beziehung nur darüber entstehen, ob das Gericht auch von Amtswegen berechtigt sein solle, eine solche specielle Vorlage zu verfügen. Der französ. Code bejaht diese Frage, das deutsche H. Gesetzbuch verneint sie. Der Entwurf hat sich der letzteren Ansicht angeschlossen, und die Vorlage nur auf Antrag einer Partei, sei es des Klägers oder Beklagten, zur Pflicht gemacht. Dies entspricht mehr den allgemeinen Principien des Civilverfahrens, insoferne es jeder Partei obliegt, die ihr erforderlich scheinenden Anträge zu stellen und insbesondere ihre Beweismittel namhaft zu machen, ebenso wie jede Partei auch ihre Zeugen vorzuschlagen hat. Auch werden beide Parteien ain besten über den Werth und die Zweckdienlichkeit von Handelsbücher-Einträgen zu urtheilen wissen. Wenn keine Partei einen solchen Antrag stellt, wird man annehmen dürfen, dass die Vorlage zwecklos sein würde. Dazu kommt noch, dass eine Partei sehr wohl Grund haben kann, auf die Vorlage zu verzichten in Fällen, wo dadurch der Beweis zu ihren Ungunsten ausfallen würde, was bei dem anderweitigen Inhalte zusammenhängender Einträge leicht vorkommen kann. Das Gericht muss übrigens nicht nothwendig dem Antrage einer Partei auf Vorlage entsprechen, es kann einen solchen Antrag auch zurückweisen, sei es nach den allgemeinen Grundsätzen des Process-Verfahrens, sei es weil es ihn aus vorliegenden Gründen nicht für gerechtfertigt hält.
Die weiteren Bestimmungen dieses Artikels sollen dazu dienen, die gerichtliche Vorlage der Handelsbücher möglichst zu erleichtern. Es wäre oft mit Nachtheilen, ja mit Gefahren verknüpft, wenn ein Handelsmann seine Bücher auf weite Entfernungen transportiren lassen oder auf längere Zeit aus den Händen geben müsste. Die Bücher könnten zu Grunde gehen, oder es wäre damit eine störende und verlustbringende Unterbrechung des Geschäftsbetriebes verknüpft. Daher die Bestimmung, dass Handelsbücher nicht vom Orte des Geschäftsbetriebs weggeschafft zu werden brauchen. Wenn dieser Ort zwar im Gerichtsbezirke liegt, aber nicht der Sitz des Gerichts selbst ist, soll sich das Gericht an Ort und Stelle begeben. Liegt der Ort ausserhalb des Gerichtsbezirks, so muss eine Requisition an das dortige Gericht erfolgen. Ueber die Vornahme solcher Augenscheinstermine, und über die Vollziehung von Requisitionen sind die gewöhnlichen Regeln des Gerichtsverfahrens zu beobachten.
Art. 39. Dieser Artikel handelt von den Folgen des Ungehorsams gegen die richterliche Verfügung wegen der vorhergehend besprochenen Vorlage von Handelsbüchern. Zunächst ergibt sich aus der Fassung des Artikels folgerungsweise, dass eine solche Vorlage nicht etwa erzwungen werden kann, mithin in Bezug auf Handels-bücher keinerlei richterliche Execution in den Gegenstand selbst, oder Verhängung von Geld- oder Gefängnissstrafen stattfinden darf. Insoweit bleibt das Recht des Eigenthümers an seinen Büchern .unangetastet. Da es sich nur um den Gebrauch eines Beweismittels handelt, können die Folgen des Ungehorsams in solchem Falle auch nur processnale sein. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 37 hat die Bestimmung, dass wenn die Verlegung nicht geschieht, der behauptete Inhalt der Bücher zum Nachtheile der Weigernden für erwiesen angenommen werden soll. Diese Folge ist aber offenbar zu stark, und wurde auch durch die neue Prozessordnung aufgehoben. Nach dem französ. Code Art. 17, und dem italienischen Art. 27, kann die Gegenpartei, welche den Antrag auf Vorlage stellte, also den betreffenden Eintrag als Beweismittel benutzen sollte, zum Eide zugelassen werden. Die Fassung dieses Artikels lässt aber auch andere Schritte zu, die in dem Ermessen des Richters liegen müssen. Das holländische Gesetzbuch Art. 13. lässt nur eine Vermuthung gegen den Ungehorsam entstehen. Der Entwurf ist dieser letzteren Vorschrift gefolgt, weil sie der Natur der Handelsbücher, und der Möglichkeit der verschiedenen Umstände am besten entspricht. Handelsbücher sind keine öffentlichen Urkunden, auch keine dispositiven Documente, wie Verträge, Vollmachten u. dgl. Es sind nur Aufzeichnungen, die irrig sein können, und die man nur im eigenen Interesse macht, ob man sie vorlegen will oder nicht, darüber muss das eigene Interesse entscheiden, wenn man sich den gesetzlichen Folgen unterwerfen will. Wenn nur die eine Partei es auf den Inhalt der Aufzeichnungen des anderen Theiles ankommen lassen will, so folgt daraus noch nicht, dass sie für, den Richter vollen Beweis liefern würden. Auch kann die andere Partei guten Grund haben, die Vorlage zu unterlassen, und ihrerseits ihren Beweis lieber auf anderen Wegen zu führen. Nach gewöhnlichen Grundsätzen muss derjenige, welcher Urkunden nicht vorlegt, den Editionseid leisten, d. h. er muss schwören, dass er die Urkunden nicht besitze und nicht böswillig bei Seite geschafft habe. Erst wenn dieser Eid nicht geleistet würde, könnte die Wahrheit der streitigen Thatsache zu seinem Nachtheile angenommen werden. Die Editionspflicht ist also mit gewissen Schranken zu umgeben, damit sie nicht zu Chicanen gemissbraucht werden kann. Demnach wurde im Entwurf bestimmt, dass gegen den Ungehorsamen die Vermuthung sprechen soll. Darin liegt vor allem, dass er die Unrichtigkeit des vom Gegner Behaupteten auch auf anderen Wegen darthun kann. Gelingt ihm dieser Gegenbeweis, so hat der Ungehorsam für ihn keinerlei nachtheilige Folgen. Ob der einen oder anderen Partei etwa ein Eid aufzuerlegen ist, wird von der Erwägung des gesammten etwa sonst vorliegenden Beweismaterials abhängen müssen. Die Vermuthung ist aber auch zu Gunsten der anderen Partei keine absolute; sondern auch wenn der Ungehorsame etwa keinen Gegenbeweis führen sollte, bleibt es doch dem Richter überlassen, den Grad der Vermuthung zu entscheiden, und die andere Partei zur. Eidesleistung oder sonstigen Ergänzung der Vermuthung anzuhalten.
Diese Bestimmung steht jedoch unter der Voraussetzung, dass die Partei die Handelsbücher besitze und deren Vorlage absichtlich verweigere. Kann diese Voraussetzuug entkräftet werden, so fällt auch der angedrohte Nachtheil weg, weil dann ein Ungehorsam überall nicht vorliegt. Von einer Weigerung kann nur die Rede sein, wenn man etwas nicht thun will, was man recht wohl thun könnte. Wenn also die Partei die betreffenden Bücher nicht besitzt und sie auch nicht böswilliger Weise bei Seite geschafft hat, dann kann sie keine Ungehorsamsfolge treffen. Sie muss dies aber beweisen, weil sonst die Vermuthung zu Gunsten der anderen Partei ihren Werth verlieren würde. Ein solcher Beweis kann durch Eidesleistung oder auch auf andere Weise geführt werden. Es ist aber kein stricter Beweis verlangt, sondern es soll auch die blosse Wahrscheinlichkeit genügen, was soviel bedeutet, als dass die Darlegung von Umständen genügt, denen nach man die Entschuldigungsgründe der Partei wohl glauben kann.
Dies wird namentlich der Fall sein, wenn die 10 jährige Aufbewahrungsfrist bereits verstrichen ist. Innerhalb dieser Frist aber wird man schon stärkere Rechtfertigungsgründe verlangen müssen, weil in dieser Periode dem Handelsmann die höchste Sorgfalt zur Pflicht gemacht ist. Die blosse Behauptung dass die Bücher nicht mehr existiren oder nie existirt haben, würde hier jedenfalls nicht genügen. Handelte es sich aber um Bücher, die nicht geführt werden müssen, oder üblicher Weise nicht geführt werden, so würde es ihm weit leichter sein, sich yon Verdacht zu reinigen. Tn Anbetracht aller solcher verschiedenen Möglichkeiten erschien der im Entwurf eingeschlagene Mittelweg als der angemessenste.
Art. 40. Die drei nächstfolgenden Artikel handeln von der Beweiskraft der Handelsbücher im Civil- Streitverfahren. Es sind dies allerdings reine Processfragen und würden sie strenge genommen in die Civil Processordnung gehören; doch schien es zweckmässig dem Beispiel der übrigen Gesetzbücher zu folgen und diese Bestimmungen hier im Zusammenhänge anzureihen, da die gesetzliche Regelung der Handelsbücher sonst der Vollständigkeit entbehren würde.
Im Allgemeinen beruht die Beweiskraft von Urkunden auf dem natürlichen Grundsätze, dass Niemand sich selbst einen Rechtstitel schaffen kann. Was also Jemand für sich selbst niederschreibt, kann niemals für andere bindend und niemals als Beweismittel für ihn brauchbar sein. Andererseits wird Niemand etwas niederschreiben, was ihn selbst verpflichtet, wenn er nicht in Wahrheit sich verpflichtete oder verpflichten wollte. Die allgemeine Regel ist daher, dass Urkunden zwar gegen, aber niemals für den der sie geschrieben beweisen. Von dieser Regel hat man aber seit alter Zeit gewisse Ausnahmen gemacht zu Gunsten der Handelsbücher, weil der Handel zu denjenigen Dingen gehört, die—gleich der Ehe—im Rechte begünstigt werden und weil die allgemeine Uebung und die Natur der commerciellen Buchführung ein solches Privilegium, gleichsam als Compensation für die gesetzliche Zwangsverpflichtung, rechtfertigen. Dieses Privilegium wird jedoch in seinem speciellen Detail von den Gesetzbüchern nicht durchweg gleichmässig geregelt.
Nach franzos. Rechte machen Handelsbüchern unter Handelsleuten vollen, gegen andere Personen (Art. 1329 Code civ) einen unvollständigen Beweis, den durch den Eid, in der Regel Seitens des Handelsmanns, ergänzt werden kann. Im ersten Fall wird jedoch Übereinstimmung der Einträge in den Büchern der beiden Theile vorausgesetzt.
Nach dem deutschen H. Gesetzbuch machen Handelsbücher selbst unter Handelsleuten nur einen unvollständigen Beweis, der durch den Eid oder durch andere Beweismittel ergänzt werden kann. Es ist jedoch weiter dem Richter gestattet, auch eine grössere oder geringere Beweiskraft anzunehmen; und wenn die Einträge in den Büchern beider Theile nicht übereinstimmen, liegt die Abmessung der Glaubwürdigkeit gleichfalls in seinem Ermessen.
Gegenüber anderen Personen können Handelsbücher nie vollen Beweis machen, es ist aber ihre Ergänzung durch den Eid je nach den Umständen der einen oder der anderen Partei zu gestatten.
Die übrigen Gesetzbücher halten sich ungefähr auf denselben Principien, nur dass sie, wie namentlich das spanische, mehr in das Detail der einzelnen Fälle eingehen.
Zum Theile beruhen diese Bestimmungen auf dem mehr älteren Anschauungen entsprechenden Standpunkte fixer Beweisregeln, d. h. genauer Vorschriften für den Richter, wie er den Werth gewisser Beweismittel zu beurtheilen und zu bemessen habe. Die neuere Rechtsauffassung lässt in dieser Hinsicht dem Richter freien Spielraum, so dass er die Beweiskraft der einzelnen Beweismittel an sich und gegen einander nach den sämmtlichen Umständen des Falles frei abzuwägen hat. Dies ist auch der Standpunkt des englischen Rechts, welches aber die unvollständige Beweiskraft der Handelsbücher um so mehr hervorhebt, als es eine gesetzliche Verpflichtung zur Buchführung nicht kennt. Die Anschauung ist hier mehr die, dass der Handelsmann als Zeuge auftreten und seine Bücher zur Unterstützung seines Gedächtnisses gebrauchen kann.
Der Entwurf stellt nun in Art. 40. das generelle Princip voran, dass über die Beweiskraft der Handelsbücher das richterliche Ermessen entscheidet. Darauf laufen im Grunde auch die sämmtlichen Bestimmungen der älteren Gesetzbücher hinaus, und es schien empfehlenswerth, diesen Satz bestimmt und deutlich als leitendes Princip an die Spitze zu stellen.
Der Richter hat also stets zu prüfen, welche Glaubwürdigkeit den Einträgen auf die ein Handelsmann sich beruft, beizumessen sei. Vor allem kommt es dabei an auf die Einträge selbst; ob sie gleichzeitig mit den behaupteten Thatsachen und nach der gewöhnlichen kaufmännischen Routine gemacht wurden; ob sie vollständig und übereinstimmend sind; ob die Bücher selbst ordnungsmässig geführt sind; ob die Einträge der Gegenpartei damit übereinstimmen oder nicht. Ausserdem aber sind die Umstände des Falles selbst zu prüfen; so namentlich ob sonst noch ein Beweis zu Gunsten der einen oder der anderen Partei vorliegt; ob das Factum selbst streitig ist, oder nur der Schuldbetrag, die richtige Ablieferung oder sonstige Einzelheiten; welche Partei mehr Glaubwürdigkeit zuzuschreiben ist. Bei dieser Prüfung ist sodann die oben erörterte Grundregel über die Beweiskraft von Urkunden mit anzuwenden, und es wird sich folgendes Resultat ergeben:
1) gegen den Handelsmann, der die Einträge machte, können seine Bücher vollen Beweis machen, wenn sonst keine besonderen Umstände zu seinen Gunsten vorliegen;
2) für ihn können sie in der Regel keinen vollen Beweis machen, doch können Umstände hinzutreten, welche Ausnahmen hievon zu seinen Gunsten bewirken.
Der Entwurf hat drei solcher Ausnahmen ausdrücklich namhaft gemacht, nämlich 1, wenn schon die Gegenpartei die fraglichen Einträge als Beweismittel benützte, was auch auf zusammenhängende Einträge auszudehnen ist, d. h. solche die auf die gleiche Angelegenheit Bezug haben und deren Vollständigkeit bedingen, gleichviel ob sie an derselben Stelle stehen oder nicht; 2, wenn die Gegenpartei in ihren eigenen Büchern nichts abweichendes dagegen setzen kann (vgl. Span. Code Art. 53.); und 3, wenn die Gegenpartei auch sonst keinerlei Gegenbeweis erbringen kann, durch welchen die Unrichtigkeit der Einträge wenigstens einigermassen glaubhaft gemacht werden kann.
In diesen Fällen können die Handelsbücher auch für ihren Eigenthümer vollen Beweis machen. Es ist aber wohl zu beachten, dass sie nicht müssen, es bleibt also immer noch dem Ermessen des Richters überlassen, ob er ihnen im einzelnen Falle auch volle Beweiskraft beilegen will. Wenn z. B. ein Kaufmann gegen einen Nicht-Kaufmann eine Lieferung Caffee einklagte und sich dabei nur auf seine Handelsbücher berufen könnte, und der Beklagte andererseits zwar keinerlei Gegenbeweis zu erbringen vermöchte, aber durchaus keine Umstände vorlägen, wornach er mit dem Kläger je in Geschäftsbeziehungen stand—in einem solchen Falle würde die Beweiskraft des Handelsbuches allein nicht ausreichen, um den Beklagten, wenn dieser bestimmt jede Verpflichtung in Abrede stellte, zu verurtheilen.
Nach den älteren Gesetzbüchern soll übrigens ein Unterschied der Beweiskraft bestehen, je nachdem es sich um einen Streit handelt zwischen Handelsleuten oder nicht. Dieser Unterschied wird jedoch meist nachträglich wieder beseitigt, und den Handelsbüchern die Kraft eines unvollständigen Beweises auch gegen Nicht-Handelsleute beigelegt. Im Entwurf wurde daher vorgezogen, einen solchen Unterschied nicht als Regel zu statuiren, schon um der Bestimmung des Art. 17. treu zu bleiben. Nach dem Entwürfe ist also die Beweiskraft der Handelsbücher sowohl gegen Handelsleute als gegen andere Personen an sich ganz gleich, es bleibt aber dem Ermessen des Richters ermessen, wie weit er dieses Princip je nach den Umständen auch gegen Nicht-Kaufleute anwenden will. Eine Ausnahme hievon entsteht von selbst, wenn nämlich die Handelsbücher auf beiden Seiten gegen oder für einander in Frage kommen. Von Nicht-Handelsleuten ist die Vorlage eigener Handelsbücher nicht zu erwarten, mithin werden in Bezug auf sie alle Folgerungen aus. diesem Punkt unanwendbar sein.
Art. 41. Es wird nun weiterhin speciell der Fall behandelt, wenn die Handelsbücher der beiden Theile einander widersprechen. Wenn sie übereinstimmen, können sie nach der Regel des Art. 40. vollen Beweis für den einen oder den anderen Theil liefern. Wenn sie aber von einander abweichen, entsteht die schwierige Frage, wie es dann zu halten sei? Vollen Beweis kann das Handelsbuch des einen Theiles nach der Regel des Art. 40. u. keinem Falle liefern, also höchstens unvollständigen Beweis, der dann anderweitig ergänzt werden muss. An und für sich stehen beide Parteien einander gleich, und ihre entgegengesetzten Einträge heben einander gegenseitig auf, so dass keine Partei damit etwas zum Nachtheil der anderen beweisen kann. Es kann aber auch recht wohl vorkommen, dass die Parteien den Umständen nach nicht völlige Gleichheit beanspruchen können, aus denselben Gründen, wie sie zu dem vorhergehenden Artikel erörtert wurden und welche das richterliche Ermessen mehr zu Gunsten der einen oder der anderen Partei lenken. Die Verhältnisse können hier so mannichfaltiger Art sein, dass dem Richter darüber keine Vorschrift gemacht werden kann. Es bleibt also auch in diesem Falle bei der Regel des Art. 40., nur werden die hauptsächlichsten Möglichkeiten die sich hier darbieten, zur besseren Instruction des Richters ausdrücklich namhaft gemacht; nämlich 1, der Richter kann die Handelsbücher beider Theile gleichmässig als Beweismittel verwerfen; 2, er kann den Büchern der einen Partei grössere Glaubwürdigkeit beimessen ; 3, er kann diese letztere Partei zur eidlichen Bekräftigung ihrer Einträge zulassen.
Diese Lösung der Frage findet sich besonders in dem deutschen H. Gesetzbuch Art. 34.; auch theil weise in dem spanischen Art. 53.; und sie erscheint der Sache angemessen.
Art. 42. In diesem Artikel wird bestimmt wie es zu halten sei, wenn Handelsbücher nur einen unvollständigen ergeben, was wohl in der Mehrzahl der Fälle das Resultat sein wird. Die Consequenz kann offenbar nur sein, dass dieser Beweis ergänzt werden muss, widrigenfalls er als nichtgenügend anzusehen ist. Diese Regel stellt auch der Entwurf auf, er spricht aber ausdrücklich aus, dass die Ergänzung nicht blos durch den Eid, wie sie in den anderen Gesetzgebungen häufig besteht, sondern auch durch andere Beweismittel stattfinden kann. Welche Beweismittel zu gebrauchen seien, um eine solche Ergänzung zu bewerkstelligen, beziehungsweise welche Beweismittel dem Richter als eine hinlängliche Ergänzung erscheinen werden, hängt auch hier von seinem freien Ermessen ab, so dass mithin in dieser ganzen Materie die ältere Regel stricter Beweisvorschriften aufgehoben und dem Richter die Freiheit der Beurtheilung des gesummten Beweismaterials anheim gegeben ist.
V. Titel. Von Procuristen und Handlungsgehülfen.
Art. 43. Die Materie dieses Titels ist nur in dem spanischen und deutschen H. Gesetzbuche ausführlich behandelt. Im französ. Code, sowie in dem italienischen und holländischen, auch in dem egyptischen, finden sich darüber keine besonderen Bestimmungen. Da der Gegenstand practisch von grosser Wichtigkeit ist, und zur Zeit darüber in Japan wohl kein ausgebildetes Recht besteht, erschien die legislative Behandlung desselben an diesem Orte angemessen.
Der Entwurf stellt, in dem gegenwärtigen Artikel zunächst die Voraussetzungen fest, unter denen Procuristen bestellt werden können. Es sind deren zwei, nämlich 1, nur für ein Handelsgewerbe, und 2, mittelst ausdrücklicher Ernennung. Für einzelne Handelsgeschäfte besteht offenbar kein Bedürfniss einer so ausgedehnten Stellvertretung, als sie die Procura mit sich bringt; es genügt hiefür die gewöhnliche Stellvertretung oder Mandatsertheilung nach den Grundsätzen des Civilrechts. Die Procura schliesst eine ganze Reihe dauernder und im voraus unbegrenzter Stellvertretungsbefugnisse in sich, und ist daher nur für den Betrieb eines stehenden Gewerbes denkbar. Eine ausdrückliche Ernennung ist erforderlich, weil die stillschweigende Bevollmächtigung hier nicht wohl angenommen werden kann. Es wäre zwar an sich denkbar, aus einer Reihe fortgesetzter Thatsachen auf die Absicht der Ernennung eines unbeschränkten Stellvertreters zu schliessen. Allein Zweifel wären hier immer möglich. Die Stellung eines Procuristen soll aber im voraus jedem Zweifel entrückt sein, weil die umfassenden Befugnisse die er hat, bei den mannichfaltigsten Geschäften und von Anfang an ausgeübt werden müssen. Der Procurist (Factor, Procuraträger) ist ein vollständiger Substitut des Firmeninhabers, seine Person muss ebenso gewiss sein, wie die des letzteren selbst. Sie gehört mit zum persönlichen Bestande der Firma. Daher ist auch in den Gesetzbüchern übereinstimmend die Registrirung des Procuristen vorgeschrieben, und der Entwurf hat diese Vorschrift adoptirt. Die Procura muss nicht nur von vorneherein gewiss sein, sondern auch öffentlich bekannt, weil Jeder in die Lage kommen kann, sich darnach richten zu müssen. Hinsichtlich der Registrirung sind natürlich die oben in Titel II. gegebenen Bestimmungen zu beobachten, also insbesondere die Vorschrift der öffentlicher Bekanntmachung u. s. w. Diese Vorschriften werden hier nicht wiederholt, weil sie in Titel II. ein für allemal gegeben sind. Die Wirkung der Registrirung ist keine andere als die der öffentlichen Gewissheit mit den in Artikel 22. enthaltenen Modificationen. Die Existenz des Rechtsverhältnisses selbst ist davon nicht abhängig. Es besteht also in allen Fällen zwischen dem Principal und dem Procuristen mit voller Gültigkeit, und für diejenigen, die sonst davon Kenntniss erhalten haben. In dieser Beziehung schliesst sich die Procura unmittelbar an das an, was von den Firmen selbst gilt.
Für die Ertheilung der Procura ist aber eine besondere Förmlichkeit nicht erforderlich. Sie kann also namentlich auch mündlich erfolgen, ein schriftlicher Vertrag oder eine schriftliche Vollmacht sind unnöthig, weil für die nach aussen erforderliche Bestimmtheit schon durch die Registrirung gesorgt ist.
Die Procura kann ertheilt werden entweder für ein Hauptgewerbe, oder für Zweiggeschäfte desselben an anderen Orten. Im letzteren Fall bezieht sich das Recht der Stellvertretung nur auf die Geschäfte des Zweiggeschäfts, nicht auf das Gewerbe im Ganzen. Auch in dieser Beziehung schliesst sich die Procura an das Firmenrecht an, indem auch Zweigfirmen registrirt werden müssen, da sie nach aussen als besondere Gewerbe gelten. Das gleiche gilt selbstverständlich für mehrere verschiedene Hauptgewerbe, die Jemand betreibt.
Wenn Jemand mehrere Procuristen bestellt, so kann dies entweder so geschehen, dass jeder Procurist für sich allein volle Vertretungsbefugniss hat, oder nur alle zusammen handeln dürfen. Das erstere ist zu vermuthen, so lange das Gegentheil nicht besonders ausgedrückt ist; denn es liegt in der gegenseitigen Gebundenheit der mehreren Procuristen eine Beschränkung, die ans der Natur der Procura nicht von selbst folgt und daher in jedem Falle speciell erklärt werden muss. Über diesen Fall ist nachher im Art. 45. noch näheres vorgesehen.
Art. 44. Die Procura ist eine eminente Vertrauensstellung und es kann daher keinen Zwang betreffs einer solchen geben. Findet der Principal Veranlassung, sein Vertrauen zurückzuziehen, so muss ihm dies jederzeit freistehen. Das gleiche Recht muss seinerseits dem Procuristen eingeräumt werden. Daher kann die Procura auch nicht auf einen bestimmten Zeitraum ertheilt oder angenommen werden. Eine jede Stipulation auf der einen oder anderen Seite wäre durchaus unverbindlich, jedoch nur in Bezug auf die Procura selbst, nicht auch in anderer Beziehung. Hievon wird später in Art. 47. zu handeln sein.
Ein Zweifel könnte über diesen Punkt nur insofern auftreten, als der Principal oder der Procurist durch unzeitigen Widerruf geschädigt werden könnte. Z. B. es will Jemand auf Reisen gehen und bestellt für die Dauer seiner Abwesenheit eine Procuristen. Während seiner Abwesenheit kann der Procurist kündigen und das Geschäft im Stich lassen. Daraus können unabsehbare Verluste für den Principal entstehen. Andererseits kann der Procurist ein Interesse im Gewerbe des Principals haben und gerade mit Rücksicht darauf ernannt worden sein. Nun kann der Principal ihn entlassen und dadurch sein Interesse gefährden. Zum Theil in diesen Erwägungen wurde der Art. 47. verfasst und es ist an dem betreffenden Orte von diesen Schwierigkeiten weiter zu sprechen. Der Hauptgrundsatz der beliebigen Aufhebung der Procura kann dadurch nicht umgestossen werden. Denn ein Principal kann die Verfügung über sein Gewerbe nicht aus den Händen geben. Sein Interesse ist das Hauptinteresse und alle Nebeninteressen müssen diesem naturgemäss untergeordnet sein. Auch bringt es die Procura als eine besondere Vertrauenssache von selbst mit sich, dass man das gegenseitige Vertrauen auch auf das schliessliche Ende erstrecken muss. Unzeitige Kündigungen sind daher hier in der Mehrzahl der Fälle nicht zu erwarten; wo sie aber vorkommen, müssen die Betheiligten die Folgen tragen, denn Jeder ist für das Vertrauen, das er Anderen erweist selbst verantwortlich: sibi elegit, sagen in dieser Hinsicht die römischen Rechtsautoren. Endlich steht nichts im Wege, solche Interessen durch besondere Verträge zu schützen. Durch solche Verträge kann zwar auf das Recht der Kündigung nicht rechtsgültig verzichtet, es kann aber für etwaige Entschädigung und sonstige Sicherheit Vorsorge getroffen werden.
Wie die Entstehung, so ist andererseits auch die Endigung der Procura regelmässig durch ausdrücklichen Widerruf etc. zu bewerkstelligen. Eine besondere Form ist, abgesehen von der Registrirung, auch hiefür nicht vorzuschreiben. Es ist aber üblich, und entspricht nur den Interessen des Principals, die Entstehung, wie die Endigung, mittelst Zeitungsinserate, Geschäftscirculare etc. zur öffentlichen Kenntniss, insbesondere zur Kenntniss der Geschäftsfreunde zu bringen. Was in dieser Hinsicht zu geschehen pflegt, weiss jeder Geschäftsmann von selbst und bedarf keiner besonderen Zwangsvorschrift des Gesetzgebers.
Ausserdem kann aber auch eine Procura von selbst endigen, nicht durch ausdrückliche Willenserklärung, sondern durch den Eintritt gewisser Thatsachen oder als nothwendige Folge von solchen. Der Entwurf führt vier solcher Endigungsarten auf, nämlich 1, Eintritt des Endtermins, der für die Procura festgesetzt wurde nach Art. 47, hieher gehört auch der Eintritt gewisser Ereignisse, bis zu welchem die Procura fortdauern sollte, z. B. Rückkehr von einer Reise, Endigung eines Krieges u. s. w. 2, Endigung des Dienstverhältnisses, in welchem der Procurist etwa zum Principal steht. An und für sich ist dies nicht absolut nothwendig, ein Procurist kann auch unabhängig vom Principal sein. Das regelmässige ist aber, dass der Procurist im Dienst des Principals steht und von diesem für seine Mühewaltung ein Salair bekommt. Nun ist es offenbar das nächstliegende, dass mit dem Dienstverhältniss auch die Procura zu Ende geht; denn es wäre widersinnig, einen Procuristen fortzubehalten, der man als Handlungsgehülfen nicht mehr verwenden will. Diese Bestimmung ist nothwendig, weil die vorhin besprochenen Entschädigungsansprüche wegen unzeitiger Kündigung offenbar durch das Recht zur Kündigung beeinflusst werden. Wenn aber trotzdem ausnahmsweise einmal das Dienstverhältniss geendigt, das Procuraverhältniss aber fortgesetzt werden soll, so steht dem nichts im Wege. Nur würde dann das letztere unter ganz anderen Umständen stattfinden und neue Verabredungen unter den Betheiligten veranlassen, wesshalb hier die Erneuerung der Procura das richtigste sein würde.
3) Verkauf des Gewerbes. Hierdurch ändern sich die Personen der Gewerbsinhaber, das persönliche Vertrauensverhältniss ist daher zu Ende und kann auf den neuen Erwerber nicht von selbst übergehen. Will dieser den Procuristen behalten, so muss er ihm seine Vollmacht erneuern.
4) Auflösung des Gewerbs. Dies ist die nothwendige Folge des oben erörterten Grundsatzes, dass eine Procura nur in Bezug auf ein Gewerbe denkbar ist; mit diesem muss auch die Procura erlöschen, ebenso wie die Rechte des Firmeninhabers selbst erlöschen. Ein Gewerbe kann absichtlich aufgelöst werden; aber auch unfreiwillig durch Bankerott. Mit der Bankerotterklärung erlöschen daher die Rechte des Procuristen.
An den Tod des Principals wird die Endigung der Procura nicht geknüpft. Hiemit stimmen auch die anderen Gesetzbücher überein. Mit dem Tod eines Handelsmannes hört dessen Gewerbe nicht von selbst auf; es gehört zur Erbschaftsmasse und kann mit der Verwaltung dieser fortgeführt werden. Die Fortdauer der Procura entspricht offenbar mehrseitigen Interessen. Natürlich bleibt es den Erben unbenommen, die Procura ihrerseits jederzeit zurückzuziehen.
Es verdient bemerkt zu werden, dass dieser Fall eine Ausnahme bildet von der Regel, wornach die Dauer der Procura auf den Eintritt eines bestimmten Ereignisses gestellt werden kann. Wird eine Procura auf Lebenszeit des Principals gegeben, so hört sie mit dem Tode des letzteren nicht von selbst auf. Die Person des Verstorbenen lebt insoferne in der Erbschaftsmasse fort, eine Fiction die auch sonst in civilistischer Beziehung angewendet wird.
Von selbst versteht es sich, dass die Procura mit dem Tode des Procuristen erlischt. Dies braucht nicht besonders erwähnt zu werden, weil persönliche Rechtsverhältnisse niemals auf die Erben übergehen können.
Wenn die Procura zu Ende ist, muss sich der Procurist jeder weiteren Geschäftsführung enthalten und kann von da an keine den Principal bindenden Geschäfte mehr vornehmen. Es kann aber vorkommen, dass der Procurist von einer Thatsache, welche die Endigung bewirkt, keine Nachricht hat und in dieser Unkenntniss seine Geschäftsführung fortsetzt. Hier ist offenbar der Procurist ohne Schuld und der Principal muss solche Geschäfte anerkennen, aber nur als solche, d. h. soweit sie als Procurageschäfte in Betracht kommen. Wären sie aus anderen Gründen anfechtbar, so bliebe ihm ihre Anfechtung unbenommen. Allein soweit der Procurist als Stellvertreter des Principals gehandelt hat, muss er von diesem anerkannt werden, und es ist seine Sache, ihn rechtzeitig in Kenntniss zu setzen.
Es wäre unbillig, wollte man den Procuristen für Geschäfte in Anspruch nehmen, die dieser in gutem Glauben für den Principal vorgenommen hat. Wenn freilich der andere Theil von der Endigung der Procura wusste, und gleichwohl mit dem Procuristen verhandelte, so wäre das Geschäft aus diesem Grunde ungültig. Denn es entspricht den allgemeinen Grundsätzen, dass Niemand sich auf eine Stellvertretung berufen kann, von der er wusste, dass sie in Wirklichkeit nicht bestand. Dieser Satz folgt von selbst aus den allgemeinen Principien des Civilrechts, er ist übrigens auch in dem letzten Absatze des Art. 50. enthalten, obgleich dort zunächst andere Fälle ins Auge genommen sind.
Art. 45. Da die Procura eine sehr weitgehende Bevollmächtigung enthält, kann der Wunsch entstehen, das damit verbundene Risiko dadurch abzuschwächen, dass es auf mehrere Personen vertheilt wird. In solchem Falle bilden die mehreren Personen zusammen gewissermassen nur einen einzigen Procuristen, da keiner für sich allein die Procura-Befugnisse ausüben kann, sondern jeder an die Zustimmung aller übrigen gebunden ist. Namentlich kann die Firma nur von allen insgesammt gezeichnet werden, so dass die Unterschrift eines einzigen von ihnen noch keine rechtliche Wirkung für die Firma resp. den Principal hat. Im deutschen H. Gesetzbuch ist eine solche Procura als Collectiv-Procura bezeichnet, was nur eine lateinische Bezeichnung für Gesammt-Procura ist. Eine solche Procura muss ausdrücklich ertheilt werden, da die Vermuthung für die darin liegende Beschränkung der einzelnen Procuristen nicht spricht; als das regelmässige wird immer anzunehmen sein, dass wer Procura erhält, die darin liegenden Befugnisse für seine Person voll und ganz erhält. Auch in das Register muss eine Gesammtprocura speciell eingetragen werden, widrigenfalls sie gegen dritte Personen, die nicht auf anderen Wegen davon Kenntniss erhalten hätten, nicht geltend gemacht werden könnte. Es kommt namentlich bei grösseren Unternehmungen, so bei Actiengesellschaften vor, dass die Procura, wegen der grossen Wichtigkeit und Bedeutung der Geschäfte, nur in Verbindung mit einem Directionsmitgliede ertheilt wird, so dass die Zeichnung beider nothwendig ist, um ein für die Gesellschaft bindendes Geschäft zu bewirken. Der Director einer Gesellschaft ist zwar selbst kein Procurist, soferne er nicht die Stelle eines Principals vertritt, sondern selbst inne hat, wenngleich nur als Beamter, aber in Bezug auf den Procuristen ist er Mitinhaber der Procura, weil deren Ausübung von seiner Mitwirkung abhängt. Dass eine solche Procura ganz erlischt, wenn sie auch nur in der Person eines einzelnen der mehreren Procuristen endigt, folgt zwar aus der Natur der Sache von selbst, weil sie dann nicht mehr in der vorgeschriebenen Weise ausgeübt werden kann. Wegen der Wichtigkeit dieser Frage und um jeden Zweifel über die Möglichkeit einer Accrescenz auszuschliessen, wurde hierüber eine ausdrückliche Bestimmung aufgenommen.
Art. 46. In diesem Artikel wird die rechtliche Natur, oder die rechtliche Wirkung der Procura-Ertheilung ausgedrückt. Der Procurist ist ein persönlicher Substitut des Principals, und soll diesen in jeder Beziehung vertreten. Der Procurist steht also nach aussen dem Principal ganz gleich, nur dass die Dauer seiner Stellung von dem Willen des Principals abhängt. Er ist mithin, was die Engländer einen general agent nennen. Darüber sind principiell alle Gesetzgebungen einig, Es ist daher nicht die Aufgabe, die speciellen Befugnisse aufzuzählen, die dem Procuristen zustehen, da er generell zu jeglicher Vertretung des Principals befugt ist. Er kann ebenso wie der Principal die Firma zeichnen, und seine Unterschrift macht das betreffende Geschäft ebenso verbindend, wie die des Principals selbst. Er kann den Principal aber auch in jeder anderen Beziehung vertreten, wobei eine Zeichnung der Firma nicht vorkommt, also bei mündlichen Abschlüssen, Verabredungen und Anordnungen; bei gerichtlichen Verhandlungen und bei Verhandlungen mit anderen, insbesondere Zollund Steuerbehörden. Er kann mithin auch Prozesse im Namen des Principals beginnen und durchführen; Vergleiche und sonstige Verträge abschliessen; oder irgend sonstige Verhandlungen mit Behörden führen.
Wenn der Procurist in solcher Weise für den Principal handelt, braucht er dies nicht jedesmal ausdrücklich zu erklären und alles auf den Namen des Principals zu stellen; es genügt vielmehr, wenn aus den Umständen sich ergibt, dass er nicht für seine Person, sondern für die Firma des Principals handeln wollte. Weiter als der Umkreis der Firma geht seine Ermächtigung nicht; er ist nur ein commercieller Stellvertreter, kein Vertreter für die bürgerlichen oder privaten Angelegenheiten des Principals. Daher wurde ausdrücklich das Wort Handelsgeschäfte in die Bestimmung des Artickels, aufgenommen, andere Geschäfte für den Principal vorzunehmen, ist der Procurist nicht befugt. Allein da der Betrieb eines Handelsgewerbes gar viele Handlungen mit sich bringt, die an sich keine Handelsgeschäfte sind, aber doch in dem Handelsbetrieb ihre Veranlassung und Begründung finden, so müsste auch hierauf die Bestimmung des gegenwärtigen Artikels ausgedehnt werden. Es müssen aber immer solche Acte sein, die sich auf das Gewerbe des Principals beziehen; was nicht diese Beziehung hat, bildet auch keinen Gegenstand der Befugnisse des Procuristen.
In den meisten Fällen ist es von selbst klar, ob der Procurist für die Firma ein Geschäft abschliesst oder nicht, z. B. bei allen Waarenkäufen oder Verkaufen im täglichen Betrieb des Gewerbes, zumal wenn sie in die Bücher eingetragen und im Geschäftslocal unter Beihülfe der Gehülfen vorgenommen werden. Bei anderen Geschäften wird wenigstens ihr Inhalt oder Gegenstand, oder die Beschaffenheit der Umstände, oder die ausdrückliche Erklärung der Betheiligten den Beweis dafür bringen, dass sie sich auf das Gewerbe des Principals beziehen. Der Handelsgebrauch wird in dieser Hinsicht meist einen zuverlässigen Führer abgeben. Bei manchen Geschäften aber können Zweifel entstehen, so namentlich bei solchen, deren Objecte dem Handelsrecht entzogen sind wie Grundstücke. Es ist also die Frage zu beantworten, ob der Procurist auch zur Veräusserung und Belastung, namentlich Verpfändung von Grundstücken für den Principal befugt sein soll ?
Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 42 verneint diese Frage, indem es die Befugniss des Procuristen zur Vornahme dieser Geschäfte von ausdrücklicher Special-Vollmacht abhängig macht. Das spanische Gesetzbuch hat darüber keine besondere Bestimmung; es erklärt den Procuristen zu allen Handlungen befugt, welche die Direction des Gewerbes erheischt. Da die Procura eine General-Vollmacht ist, deren Beschränkung ohne ausdrückliche Erklärung nicht vermuthet wird, so ist anzunehmen, dass das spanische Gesetz den Procuristen zur Vornahme der fraglichen Geschäfte ermächtigt, in allen Fällen wo die Direction des Gewerbes sie mit sich bringt. Denselben Standpunkt nimmt auch der Entwurf ein, indem er eine Beschränkung der Procura in dieser Beziehung nicht ausspricht. Der Procurist kann also auch Grundstücke verkaufen, verpfänden oder sonstwie belasten, soferne der Gewerbebetrieb solche Geschäfte mit sich bringt, d. h. als nützlich oder nothwendig für die Interessen der Firma ergibt. Hiefür sprechen überwiegende Gründe des practischen Bedürfnisses und der juristischen Consequenz. Einmal um die Vertretung eines abwesenden oder sonst verhinderten Principals nicht unnöthig zu erschweren, sodann um den Character der Procura als General vollmacht klarer zu erhalten. Hienach ist ein Procurist zur Veräusserung etc. von Grundstücken dann nicht berechtigt, wenn ein solches Geschäft zum Betrieb des Gewerbs in keiner Beziehung stünde.
Das Ergebniss ist mithin, dass für die volle, unbeschränkte Vollmacht des Procuristen die Vermuthung spricht und jede Beschränkung ausdrücklich erklärt sein muss. Eine weitere Frage ist aber, ob solche Beschränkungen überhaupt zulässig sind, und nicht vielmehr die Procura in allen Fällen unbeschränkt bleiben soll. Der Entwurf steht auch in dieser Frage auf dem Standpunkt des spanischen Gesetzbuches Art. 175, und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Principien über Vollmachtsertheilung, wornach der Principal berechtigt ist, auch Generalvollmachten in einzelnen Punkten zu beschränken, da wer das Mehr geben kann, jedenfalls das Recht haben muss, auch das Weniger zu geben. Es ist auch im englischen Rechte anerkannt, dass die Beziehungen zwischen Factor und Principal speciell beschränkt werden können, und specielle Instructionen den ersteren binden. Dafür ist der Procurist in allen Fällen dem Principal verhaftet, gleichviel ob solche Beschränkungen und Instructionen ein für allemal im Anfang, oder später bei einzelnen Gelegenheiten im Laufe der Geschäftsführung gegeben werden. Das Gegentheil würde den Procuristen aus einem blossen Stellvertreter zum Miteigenthümer machen, was nicht in dem Wesen der Procura liegt. Für dritte Personen sind aber dergleiche Beschränkungen nur verbindlich, wenn sie davon Kenntniss erhalten haben. Diese Kenntniss ist bei einer Generalvollmacht nicht zu vermuthen, sie muss also vom Principal gegebenen Falles bewiesen werden, ausgenommen wenn die Beschränkung bereits in der Registrirung ausgedrückt worden wäre. Wie jede Vollmacht, so schliesst auch die Procura die Ermächtigung in sich, alles vorzunehmen, was nothwendig ist, um die Vollmacht selbst ausführen zu können; alle einzelnen Geschäfte und Handlungen, die der Handelsbetrieb nothwendig machen kann, auch wenn es nicht speciell Handelsgeschäfte sind, müssen als in der Procura enthalten angenommen werden.
Regelmässig gibt der Procura seine Unterschrift, indem er die Firma mit einem das Procura-Verhältniss andeutenden Zusatze zeichnet. Dies ist aber nur üblich, keineswegs absolut nothwendig. Wenn der Procurist ohne solchen Zusatz, oder nur mit seinem eigenen Namen zeichnet, ist das Geschäft ebenso gültig, wenn es den Umständen nach für den Principal gelten sollte. Desfallsige Vorschriften in das Gesetzbuch aufzunehmen, erschien daher nicht angezeigt, um so mehr als der Handelsgebruch diese Dinge von selbst genügend ordnet. Auch die Einreichung einer beglaubigten Form seiner Unterschrift, wie sie das deutsche H. Gesetzbuch Art. 45 vorschreibt, erscheint als eine überflüssige Formalität und eine besondere gesetzliche Bestimmung darüber durch kein Bedürfniss geboten.
Art. 47. Dieser Artikel enthält nur eine Anwendung des im vorigen Artikel aufgestellten Grundsatzes, dass die Procura vom Principal limitirt werden kann. Das deutsche H. Gesetzbuch lässt eine solche zeitliche Begrenzung nicht zu, indem es das Princip der Unbeschränkbarkeit der Procura strenge durchführen will. Es ist aber nicht einzusehen, warum nicht Jemand einen Procuristen soll bestellen können für die Dauer seiner Abwesenheit, oder bis zur Volljährigkeit seines Sohnes, oder für eine gewisse Reihe von Jahren u. dgl. Solche Fälle kommen im practischen Geschäftsleben sehr häufig vor, die Natur einer General-Vollmacht wird dadurch nicht berührt. Eine solche zeitliche Begrenzung hat die Wirkung, 1, dass die Procura mit dem Eintritt des Termines oder Ereignisses von selbst erlischt und nicht ausdrücklich widerrufen oder gekündigt zu werden braucht; 2, dass unter Umständen wegen unzeitiger Kündigung Entschädigungsansprüche entstehen können, wie bereits oben zu Art. 44 ausgeführt wurde. Auch die Befugnisse des Procuristen und dessen Verantwortlichkeit gegenüber dem Principal können dadurch indirect modificirt werden. Denn je kürzer die Vollmacht des Procuristen bemessen ist, desto mehr wird factisch der Procurist an die von dem Principal begründete Geschäftsführung sich gebunden fühlen müssen, wesshalb er seine Vollmacht nicht willkürlich nach eigenem Ermessen, sondern in den Geleisen der Geschäftsführung des Principals wird ausüben müssen. Es wurde übrigens ausdrücklich, um jeden Zweifel zu verhüten, hinzugefügt, dass durch solche Stipulationen das Recht der jederzeitigen Zurücknahme oder Kündigung nicht aufgehoben werden kann.
Art. 48. Die Bestimmung dieses Artikels folgt aus der Natur einer Vollmacht, welche regelmässig nicht delegirt werden kann. Specialvollmachten können zwar unter Umständen delegirt werden, insbesondere wenn das Recht dazu vom Vollmachtgeber ausdrücklich ertheilt ist. Auf die Procura ist dies aber nicht anwendbar, weil eine so umfassende Bevollmächtigung, welche unbedingtes Vertrauen voraussetzt, sich nur auf die Person beziehen kann, welche der Principal selbst auserwählt hat. In dieser Beziehung stimmen die Gesetzgebungen durchweg überein. Die Anstellung von Handlungsgehülfen, welche dem Procuristen zustehen soll, macht hievon keine Ausnahme. Denn sie begründet höchstens eine Specialvollmacht zur Vornahme gewisser Geschäfte, bei welchen sich der Procurist, gleichwie der Principal selbst, fremder Hülfe muss bedienen können. Das practische Bedürfniss macht eine solche Befugniss unbedingt nothwendig.
Art. 49. Es ist allgemein anerkannt, dass die Handlungen des Procuristen unmittelbar für den Principal Gültigkeit haben, und zwar bezüglich aller Rechte und Verpflichtungen, die daraus hervorgehen. Eine specielle Einwilligung oder nachträgliche Genehmigung des Principals ist hiefür nicht erforderlich; diese sind mit der Bestellung zum Procuristen ein für allemal gegeben und erklärt. Von selbst versteht es sich aber, dass dies nur für diejenigen Handlungen gilt, die der Procurist seiner Procura gemäss vornimmt; wenn die Procura überschritten wurde, dann haftet der Principal nur, wenn er solche Ueberschreitung im speciellen Fall gestattete oder nachträglich genehmigte, was sowohl ausdrücklich als durch concludente Handlungen geschehen kann. Jedoch immer vorbehaltlich dessen, was in dem zweiten Absatze des Art. 46 verordnet wurde.
Die Haftung des Principals erstreckt sich auch auf unerlaubte Handlungen des Procuristen, jedoch nur in civilrechtlicher Hinsicht, da es für strafbare Handlungen hinsichtlich der criminellen Verantwortlichkeit keine Stellvertretung geben kann. Diese Bestimmung bezieht sich namentlich auf die Uebertretung von Zoll- und Steuervorschriften, Stempelgesetzen, auf Uebertretung der Patent- und Markenschutzgesetze u. dgl. Für Geldstrafen und Ersatzleistungen wegen solcher Verletzungen muss der Principal unbedingt und unmittelbar aufkommen.
Es kommt nichts darauf an, ob der Procurist in allen diesen Fällen im eigenen oder in des Principals Namen handelt; denn in allem was er in Bezug auf das Gewerbe thut oder unterlässt, kommt er stets nur als Vertreter des Principals in Betracht. Ob dies der Fall, ist aus den Umständen zu entnehmen. Da der Procurist auf eigene Rechnung keine Geschäfte machen darf, wird in den meisten Fällen darüber kein Zweifel obwalten. Die Umstände des Falles müssen auch ergeben, worauf die Intention des anderen Theiles gerichtet war. Wollte dieser ein Geschäft mit dem Principal abschliessen, dann gilt dies jedenfalls für den Principal, gleichviel oh der Procurist in seinem oder in des Principals Namen handelte, wenn nur seine eigene Absicht nicht auf das Gegentheil gerichtet war. Denn wenn der Procurist für seine eigene Person handeln wollte, dann wäre wegen mangelnden Con-senses ein Geschäft gar nicht zu Stande gekommen. Die Präsumtion wird immer dahin gehen, dass der Procurist für den Principal handeln wollte, solange er in dessen Gewerbebetrieb handelte; oder wie das spanische Gesetzbuch Art. 178. es ausdrückt: pourvu que ces contrats soient relatifs à des objets compris dans le commerce de l’ètablissement.
Art. 50. Der vorige Artikel handelte von den Geschäften des Procuristen, zu denen er Vollmacht hat; der gegenwärtige von den Geschäften, zu denen derselbe nicht ermächtigt ist, sei es weil er überhaupt eine Procura nicht oder nicht mehr besitzt, sei es weil sie von dem Principal insoweit beschränkt wurde. Die Voraussetzung ist auch hier, dass der andere Theil die Absicht hat, mit dem Principal durch Vermittlung des Procuristen zu verhandeln. In solchen Fällen ist das Geschäft für den Principal jedenfalls ohne Wirkung, es entstehen für ihn daraus keinerlei Rechte oder Pflichten; denn da er hiezu keine Vollmacht gab, kann er wegen solcher Geschäfte nicht in Anspruch genommen werden. Wäre das Geschäft für ihn vortheilhaft, so könnte er es zwar speciell genehmigen. Allein die Genehmigung bleibt seinem Ermessen überlassen, und soferne sie nicht erfolgt, ist das Geschäft für ihn wirkungslos.
Eine Ausnahme hievon findet nur statt, wenn der zweite Absatz des Art. 46. anwendbar ist. Der Principal ist haftbar, wenn er den anderen Theil von einer speciellen Beschränkung der Procura nicht gebührend in Kenntniss setzte, während dieser vermöge der generellen Natur der Procura die Ermächtigung des Procuristen anzunehmen berechtigt war. Der Mangel der Procura kann in diesem Falle gegen den dritten nicht geltend gemacht werden. Der dritte hat aber die Wahl, ob er seine Ansprüche gegen den Principal oder gegen den Procuristen verfolgen will. Die letztere Bestimmung, welche sich auch im spanischen Gesetzbuch Art. 179. findet, entspricht ohne Zweifel der Billigkeit. Denn der Procurist ist nicht ohne Schuld, wenn er Geschäfte abschliesst, von denen er wissen muss, dass er dazu nicht ermächtigt ist. Seine Haftung in solchen Fällen soll als Vorbeugungsmassregel dienen, dass er nicht leichtsinnig und eigenmächtig seine Vollmacht überschreitet. Auch der Principal ist nicht frei von Schuld, weil er die erforderliche Benachrichtigung unterliess. Desshalb sollen beide haftbar sein, um dritte Personen gegen die üblen Folgen solcher Verschuldungen zu beschützen. Indessen kann derDritte seine Ansprüche nicht gegen beide zugleich verfolgen; er muss wählen ob er den einen oder den anderen in Anspruch nehmen will. Ein Unterschied besteht nur insoferne, als er den Principal zunächst nur auf Erfüllung belangen kann, und erst wenn diese nicht erfolgt, auf Schadensersatz. Denn wenn er gegen den Principal seine Rechte geltend macht, betrachtet er das Geschäft als gültig und kann nicht seinerseits davon nach Willkür zurücktreten. Gegen den Procuristen dagegen kann er entweder auf Erfüllung oder auf Schadensersatz, nach seiner Wahl, bestehen; er hat also diesem gegenüber das Recht, das Geschäft sofort als ungültig zu behandeln, weil dieser ihn zu einem Geschäfte verleitete, das so wie es intendirt war, gar nicht abgeschlossen werden konnte. Diese doppelte Haftung des Procuristen ist für diesen einerseits eine Strafe, andererseits eine erschwerende Folge, die ihn vor der Eingehung solcher Geschäfte warnen soll.
Ist aber der Principal nicht verpflichtet, dann kann der Procurist allein in Anspruch genommen werden, denn es wäre ungerecht den Principal mit der Verantwortlichkeit für Geschäfte zu belasten, bezüglich deren ihm keinerlei Schuld zur Last fällt. In dieser Weise verordnen gleichmässig das deutsche H.-Gesetzbuch Art. 55. und das spanische Art. 179.
Die bisher besprochenen Regeln finden aber nur dann Anwendung, wenn der Dritte von dem Mangel der Procura nichts wusste. Hier schützt ihn seine Unkenntniss vor nachtheiligen Folgen. Es verdient bemerkt zu werden, dass dieser Schutz ihm nur gewährt wird im Falle thatsächlichen Irrthums, nicht auch im Falle eines Rechtsirrthnms. Wenn er der Meinung war, dass der Procurist nach dem Gesetze zur Vornahme des betreffenden Geschäftes befugt war, während das Recht anders bestimmt, so muss er die Folgen eines solchen Irrthums tragen, nach dem allgemeinen Princip: juris ignorantia nocet. Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Procurist ausserhalb des Gewerbebetriebs ein Grundstück für den Principal veräussert hätte. Ein solches Rechtsgeschäft wäre für beide Theile nichtig.
Ebenso hätte der andere Theil keinerlei Anspruch, wenn er von dem Mangel der Procura gewusst hätte. Der Principal wäre hier in keinem Falle in Schuld. Dagegen wären beide, der Procurist und der andere Theil, in Schuld, wenn sie ein Geschäft abgeschlossen hätten, von dem beide wussten, dass ein wesentliches Erforderniss hiefür nicht vorhanden sei. Die Folge davon kann nur sein, dass keiner gegen den Anderen einen Vorwurf erheben kann, und das Geschäft für beide Theile wirkungslos bleibt.
Art. 51. Die Bestimmungen dieses Artikels, welche sich auch in den anderen Gesetzgebungen findet, rechtfertigt sich durch die Unbegrenztheit und Totalität der Stellvertretung, welche dem Procuristen gegenüber dem Principal abliegt; abgesehen davon, dass der Procurist in der Regel zugleich im Dienste des letzteren steht. Wer in so umfassender Weise sich den Interessen einer bestimmten Person widmet, kann daneben nicht noch seine eigenen oder die Interessen dritter Personen zu seiner Aufgabe machen. Wäre dies gestattet, so würden zahllose Interessen-Conflicte die unausbleibliche Folge sein; die Stellung des Procuristen würde zweideutig und seiner Wirksamkeit für den Principal wäre die Hauptgrundlage, nämlich unbedingtes Vertrauen und unbedingte Vertrauenswürdigkeit, entzogen. Das hier in Rede stehende Verbot entspricht so sehr der Natur der Sache, dass jeder ordentliche Procurist es von selbst beobachten wird. Es würde auch durchaus unpassend sein, und zu Betrug und Uebervortheilung aller Art führen, wenn Jemand, der so wie ein Procurist in alle Geschäftsgeheimnisse des Principals eingeweiht sein muss, zugleich für Rechnung anderer Geschäfte machen könnte. Das hiesse geradezu dem Principal in die Karten sehen und unehrliches Spiel treiben. Man muss daher annehmen, dass ein Procurist ehrlicher und vernünftiger Weise nur für seinen Principal Geschäfte machen kann, und es erscheint daher völlig gerechtfertigt, wenn dem Principal das Recht eingeräumt wird, etwaige Geschäfte seines Procuristen für seine eigene Rechnung in Anspruch zu nehmen. Da überdies solche Geschäfte des Procuristen einen Vertrauensbruch enthalten, so erklären sich dadurch die weiteren Folgen, die ihn dafür treffen können, nämlich die Verpflichtung zum Schadensersatz, wenn der Principal durch den Procuristen Nachtheile und Verluste im eigenen Gewerbe erlitten hat, und sodann Entlassung aus dem Dienst, wenn der Procurist in einem solchen Verhältnisse zum Principal stand.
Art. 52. Dieser und die folgenden Artikel handeln von der Stellung der Handlungsgehülfen im Gewerbe eines Principals. Der wesentliche Character ihrer Stellung ist der der vertragsmässigen Dienstleistung nach den Anweisungen des Principals. Handlungsgehülfen sind an sich nichts anderes als Werkzeuge in der Hand des Principals, ndem sie dazu gedungen sind, alle Arbeiten im Gewerbebetrieb vorzunehmen, welche der Principal nicht selbst vornehmen kann oder will. Insoferne sie lediglich Diener sind, kommt ihnen weder eine Verantwortlichkeit noch eine Vertretung des Principals zu. Allein die dienstliche Arbeit erschöpft durchaus nicht die Stellung der Handlungsgehülfen, soferne es sich nicht etwa um ganz untergeordnete und mechanische Dienstleistungen handelt, wie Copiren, Austrage«, Packen, Reinigen u. dgl. Es liegt in der Natur der Geschäfte, welche Handlungsgehülfen übertragen werden, regelmässig das weitere Moment, dass sie diese Geschäfte nicht blos factisch, sondern auch juristisch für den Principal vornehmen, und dadurch nothwendig und von selbst eine Stellvertretung in dessen Gewerbe ausüben. Mit der Anstellung zu den meisten Geschäften in einem Handelsgewerbe ist zugleich eine Bevollmächtigung des Angestellten verbunden derart, dass der Principal die Handlungen des letzteren für sich anerkennen muss. Ja selbst auf ganz mechanische Arbeiten, wie die Einträge in Bücher, Rechnungen, Briefcopiren u. dgl. dehnt sich dies aus, weil der Principal auch diese Arbeiten anerkennen und für oder gegen sich gelten lassen muss, auch wenn er davon keine Zeile selbst geschrieben hat. Ganz besonders aber kommt das Moment der Vertretung in Betracht bei denjenigen Geschäfts-Verrichtungen, welche im Verkehr mit dem Publicum gemacht werden. Hier ist es vor allem wichtig, die repräsentative Stellung der Handlungsgehülfen zu normiren und im einzelnen klar zu stellen. Dies ist der Zweck des Art. 52 und der folgenden. Es wird dabei von der Ansicht ausgegangen, dass die Bevollmächtigung schon in der Anstellung liegt, also eine besondere Vollmachtsertheilung weder erforderlich noch auch üblich ist. Es dürfte wohl in der Wirklichkeit nicht leicht vorkommen, dass man, wenn man mit einem Comptoiristen, Cassirer, Manager etc. zu thun hat, erst die Vorzeigung seiner Vollmacht verlangte. Selbst bei solchen, wo man dies noch am ersten erwarten sollte, z. B. bei Reisenden, handelt es sich in Wahrheit mehr um ihre Legitimation, als um ihre Bevollmächtigung. Wenn man weiss, wer sie sind, d. h. insbesondere, in wessen Dienst sie stehen und wofür sie bestellt sind, so kennt man damit von selbst die Geschäfte, welche sie für den Principal vornehmen können. Dies ist der Hergang und die Regel, wie sie in der Wirklichkeit beobachtet werden; und bei der factischen Wirklichkeit muss auch die Gesetzgebung stehen bleiben.
Es ist daher eine überflüssige Vorsicht, wenn das spanische Gesetzbuch Art. 187. und 188. eine besondere Vollmachtsertheilung für Geranten oder Commis vorschreibt. Auch das deutsche Gesetzbuch Art. 47. und 58. unterscheidet zwischen Handlungsgehülfen und Handlungsbevollmächtigten, indem es davon ausgeht, dass Handlungsgehülfen an sich nicht ermächtigt sind, Geschäfte für den Principal vorzunehmen, sondern dazu ein besonderer Auftrag gehöre, in welchem dann auch eine Bevollmächtigung liegen soll. Dies ist aber gleichfalls eine übertriebene Subtilität; es ist in der deutschen Jurisprudenz anerkannt, dass Handlungsgehülfen und Handlungsbevollmächtigte dieselben Personen sind, und dass ihnen Geschäftsvollmachten durch die blosse thatsächliche Uebertragung von Geschäftsverrichtungen ertheilt werden können. Dies ist aber gerade der Standpunkt des Entwurfs und auch die practische Wirklichkeit der Dinge. Unter Anstellung ist nichts anderes zu verstehen, als die thatsächliche Uebertragung von Geschäften in einem Handelsgewerbe, mit der Nebenbedeutung, dass sie in der Anweisung einer gewissen geschäftlichen Stellung ein für allemal enthalten ist, so lange diese Stellung selbst dauert, und dass sie hauptsächlich vor dem Publicum erfolgt, mit welchem er an Stelle des Principals verkehren soll. Die Anstellung ist im wörtlichen Sinne ein Hinstellen vor das Publicum auf den Platz des Principals, um Functionen zu verrichten, welche juristisch als Functionen oder Handlungen des Principals gelten sollen. Man kann also immerhin die Anstellung von der blossen Abschliessung des Dienstvertrages unterscheiden, obgleich beide practisch in den allermeisten Fällen zusammenfallen werden ; genau genommen ist Anstellung die Ueberweisung einer geschäftlichen Stellung gemäss dem Dienstvertrag. Die Anstellung ist für sich etwas thatsächliches, was möglicher Weise auch ohne Dienstvertrag geschehen kann, wie namentlich bei der Verwendung von Ehefrauen und Kindern im Geschäft.
Im Artikel 52 sind mithin folgende Hauptpunkte enthalten :
1) Anstellung bedeutet die thatsächliche Anweisung einer geschäftlichen Stellung im Gewerbe des Principals ;
2) diese Stellung kann das ganze Geschäft, oder gewisse Theile oder Arten desselben, oder auch einzelne Rechtsgeschäfte betreffen. Beispiele für das erste sind Directoren, Manager’s u. dgl.; für das zweite Cassirer, Reisende, Verkäufer u. s. w. ; für das dritte das Austragen einer Rechnung u. dgl.
Die Anstellung für das ganze Geschäft kann auch eine Generalvollmacht sein, sie unterscheidet sich aber von der des Procuristen wesentlich durch den Inhalt der Vollmacht, die bei Gehülfen weitaus mehr gebunden ist (Ziffer 4), während Procuristen die volle Freiheit des persönlichen Entschlusses besitzen.
3) In der Anstellung hegt die Ermächtigung zur Vornahme der damit verbundenen Geschäftshandlungen von selbst, der Cassirer kann Zahlungen annehmen oder machen, der Verkäufer Waaren verkaufen und dafür Zahlung annehmen, der Reisende Bestellungen vereinbaren und Ausstände eincassiren u. s. w.
4) die Ermächtigung geht aber nur auf solche Geschäfte und Handlungen, welche in dem übertragenen Wirkungskreise gewöhnlich vorkommen. Hierüber muss der Handelsgebrauch entscheiden, welche Geschäfte in den verschiedenen Stellungen, in welche sich ein Handlungsgewerbe gliedern mag, üblicher Weise enthalten sind. Der Angestellte kann also niemals selbst sich seine Stellung machen, er muss sie so nehmen und innehalten, wie es im Handel üblich ist. Genaueres lässt sich darüber im allgemeinen nicht feststellen.
Die anderen Gesetzbücher haben einzelne Schranken gezogen namentlich in Bezug auf Creditgewährung und Wechselgeschäfte. Allein es erscheint dies unpractisch, da einzelne Klassen von Handlungsgehülfen sehr wohl auch diese Befugnisse haben können, z. B. ein Manager, ein Reisender, ja auch ein gewöhnlicher Verkäufer im Laden. Die einzige Richtschnur kann der Handelsgebrauch abgeben, der für jede dienstliche Stellung im Handel nach Erfahrung und practischem Bedürfniss die richtigen Grenzen ziehen wird.
Der Entwurf macht in dieser Hinsicht nur eine Ausnahme für die Processführung und für einzelne Acte vor Gericht. Er verlangt dazu der Regel nach eine specielle Vollmacht, wofür die Gründe von selbst einleuchten. Denn die Processführung überschreitet das eigentliche Gebiet der Handelsgeschäfte und bedingt ein grösseres Mass von Verantwortlichkeit als Gehülfen gewöhnlich eingeräumt wird. Wo aber das Recht der selbständigen Processführung für Bedienstete üblich ist, wie es meist bei Directoren von Filialen etc. der Fall sein wird, fällt auch das Erforderniss der besonderen Vollmacht hinweg.
Das Erforderniss des gewöhnlichen Vorkommens ist übrigens nicht blos in dem Sinne zu verstehen, dass es ein im Handelsstande allgemein vorkommender Gebrauch sein müsste. Es genügt auch ein localer Gebrauch, und ein Gebrauch in Bezug auf gewisse Geschäftsbrauchen und Handelsartikel. Ja es kann unter Umständen genügen, dass ein Gebrauch in dem Gewerbe des betreffenden Handelsmannes nachgewiesen wird, d. h. ein gleichmässiges Verhalten des Principals in Bezug auf frühere Geschäfte desselben oder anderer Gehülfen derselben Gattung. Die Entscheidung ist im Zweifelsfalle Sache des richterlichen Ermessens unter Zuziehung kaufmännischer Experten.
Art. 53. Dieser Artikel enthält nur eine Anwendung des Art. 52. auf die am häufigsten vorkommenden Fälle, zur Erläuterung des Begriffes der Anstellung von Handlungsgehülfen. Es werden vier Fälle hervorgehoben :
1) Das Halten von Gehülfen in offenem Laden etc. Der Nachdruck liegt hier auf der Öffentlichkeit des Locals. Wer in offenem Local, sichtbar vor Jedermann, zur Vornahme gewisser Geschäfte gehalten wird, ist als dazu ungestellt anzusehen, und als befugt alles zu thun, was in den Kreis dieser Geschäfte gehört. Welche Geschäfte es sind, muss sich aus dem öffentlichen Augenschein ergeben, und welche Befugnisse dem Gehülfen zustehen, aus der thatsächlichen Uebung, sei es allgemein, sei es in dem Gewerbe des Principals.
2) Das Aussenden ausserhalb des Geschäftslocals. Dies bezieht sich namentlich auf Geschäftsreisende, aber auch auf Austräger u. a. Reisende haben die Befugniss, Contracte mit den speciell vereinbarten Modificationen abzuschliessen, Gelder einzucassiren, Zahlungsfristen zu bewilligen, Muster vorzulegen u. dgl.
3) Vornahme gewisser Geschäfte im Geschäftslocal ohne Widerspruch des Principals. Dieser Fall bezieht sich auf Handlungen im nicht offenen Comptoir, in welchem regelmässig der Principal selbst anwesend ist und die erforderlichen Directiven ertheilt. Wenn nun Gehülfen an Stelle des Principals handeln, ohne dass dieser widerspricht, gleichviel ob er selbst anwesend ist oder nicht, so muss der Gehülfe als dazu ermächtigt angesehen werden, gleichviel was die Formen sein mögen, die etwa nachträglich zur vollständigen Erledigung des Geschäfts erforderlich sind. Z. B. es kann ein Gehülfe sehr wohl ermächtigt sein, ein Wechselgeschäft abzuschliessen, oder ein Kaufgeschäft etc., ohne dass aber seine Unterschrift auf dem Wechsel oder sonstigen Document ausreichend wäre. In solchem Falle muss das Geschäft als solches bindend sein, aber die erforderlichen Unterschriften muss nachher der Principal geben.
Ist in solchem Falle der Principal anwesend, so hat die Sache keine Schwierigkeit, nach dem Satze: qui tacet, consentire videtur. Stillschweigen gilt als Zustimmung. Ist aber der Principal abwesend, so könnte man die Annahme der Zustimmung als zu weit gehend bezeichnen. Hier ist aber vor allem zu bemerken, dass selbst verständlich guter Glaube auf beiden Seiten erforderlich ist, und eine vernünftige Berücksichtigung der Umstände und des commerciellen Gebrauches. Einen Lehrling wird man in dieser Hinsicht anders ansehen müssen, als einen ersten Buchhalter oder Cassirer. Im Allgemeinen aber wird man sagen können, dass wenn ein Principal abwesend ist und an seiner Stelle Bedienstete im Local zurücklässt, dies als stillschweigende Anstellung gelten muss, so weit nicht andere Erwägungen im Wege stehen, wie sie namentlich aus dem folgenden sich ergeben.
4) Die bejahende Erklärung des Gehülfen auf besonderes Befragen. Ist der andere Theil in gutem Glauben, und der Gehülfe behauptet selbst seine Ermächtigung, so muss die Anstellung als vorhanden angenommen werden. Dies folgt nothwendig aus dem Umstande, dass der Gehülfe und der Principal eigentlich zusammen eine einzige Person bilden und der erstere als Vertreter des letzteren vermuthet werden muss, so lange nicht das Gegentheil vorliegt, oder Verdachtsgründe dazwischen treten.
Art. 54. Das schon den Bestimmungen des vorigen Artikels zu Grunde gelegte Princip, dass der Gehülfe und der Principal gegenüber dritten Personen unter Voraussetzung des guten Glaubens eine Person bilden, wird hier ganz allgemein aufgestellt und auf zwei Haupt-gegenstände angewendet: nämlich 1, die Beobachtung der Grenzen, welche der Principal den Befugnissen des Gehülfen gezogen hat, und 2, die Beobachtung der von dem Principal seinen Gehülfen in Bezug auf die innere Geschäftsführung des Gewerbes, also hauptsächlich zwischen ihm selbst und den letzteren, vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Nach beiden Seiten muss der dritte, welcher mit einem Gehülfen verkehrt, frei von Verantwortlichkeit sein, denn es ist das eine Sache, welche allein den Principal angeht und Ausfluss seines persönlichen Willens ist. Demnach ist es die Obliegenheit der Gehülfen, in diesen beiden Richtungen die bestehenden Grenzen einzuhalten, und dritte können für deren Ueberschreitungen nicht haftbar gemacht werden. Allerdings nur unter der Bedingung des guten Glaubens, und diese wird in zwei Fällen fehlen, 1, wenn eine Abweichung von dem Gewöhnlichen stattfindet, und 2, wenn der dritte speciell aufmerksam gemacht war, sei es durch Correspondenz, oder öffentliches Circular, oder durch Anschlag im Geschäftslocal u. s. w. Dieses Princip entspricht übrigens durchaus nur der herrschenden Praxis. Wenn ein Principal dadurch in Schaden kommt, soferne ein Gehülfe Untreue begeht oder seine Intentionen durchkreuzt, dann muss ohne Zweifel der Principal den Schaden tragen, denn er hat den Gehülfen in seinem Dienste gehalten.
Art. 55. Im vorigen Artikel wurde der Satz zu Grunde gelegt, dass Beschränkungen der gewöhnlichen Vollmachten von Handlungsgehülfen zwar vom Principal gezogen werden können, aber um gegen dritte Personen wirksam zu sein, diesen bekannt sein müssen. In dem gegenwätigen Artikel wird dasselbe Princip umgekehrt auf die Erweiterung der gewöhnlichen Vollmachten angewendet. Die ordentlichen Vollmachten der Gehülfen gehen nur auf die gewöhnlichen Geschäfte ihres Wirkungskreises; diejenigen, welche der Principal sich selbst vorbehält oder anderen Gehülfen überträgt, sind der Regel nach davon ausgenommen. Sollen nun die gewöhnlichen Befugnisse erweitert werden, so muss hiefür offenbar besondere Vollmacht ertheilt und den Geschäftsfreunden und Kunden geeignete Mittheilung davon gemacht werden. Ganz allgemein gilt dies von der Unterschrift, soferne sie einen den Principal bindenden Character haben soll. Diese ist, abgesehen vom Procuristen, der Regel nach dem Principal reservirt; es kann aber auch die Befugniss bindende Unterschrift abzugeben auf Gehülfen übertragen werden. Hiebei ist nun nicht zu übersehen, dass die Bestimmungen des Art. 53. auch hieher mit zu beziehen sind. Wenn also ein Gehülfe erklärt, zur Unterschriftgebung ermächtigt zu sein, so muss dies für den dritten genug sein, wenn nur nicht das Gegentheil durch andere Umstände nahe gelegt wird, so dass kein guter Glaube dabei entstehen konnte. Die in diesem Artikel speciell verlangte Notification steht nur gleich dem gewöhnlichen Vorkommen in allen anderen Fällen; in beiden Beziehungen aber muss die Erklärung des Gehülfen eine den dritten salvirende Wirkung haben.
Art. 56. Auch die Bestimmungen dieses Artikels sind nur eine specielle Anwendung des allgemeinen Princips, dass der Gehülfe in gewissen Beziehungen an Stelle der Person des Principals steht und seine Handlungen als Handlungen des Principals gelten müssen. Es entsprechen diese Bestimmungen unzweifelhaft dem Bedürfniss und dem thatsächlichen Gebrauche. Es handelt sich in diesem Artikel nicht sowohl um die Abschliessung von Geschäften, als um thatsächliche Vorgänge, die der tägliche Geschäftsbetrieb hundertfach hervorbringt und bei denen gewöhnlich mehrere Pesonen gleichzeitig oder nach einander mitbeschäftigt sind. Auch schreibt der Artikel nicht die Gültigkeit der Zahlungen etc. im Hinblick auf das denselben zu Grunde liegende Rechtsgeschäft vor, so dass etwa letzteres unanfechtbar würde, sobald nur die erwähnte Aushändigung stattgefunden hatte; Der Inhalt des Artikels geht vielmehr nur dahin, dass der Principal solche Zahlungen etc. für sich anzuerkennen hat, gleich als wären sie an ihn oder von ihm selbst erfolgt; ob das Geschäft sonst angefochten werden kann, ist eine Frage für sich, die hier nicht weiter zu berücksichtigen ist. Der Artikel dient zur Sicherheit der Geschäftskunden, welche meist nicht selbst über die internen Vorschriften des Geschäftsganges urtheilen können, und welche den absoluten Anspruch haben, von allen Bediensteten eines Geschäftshauses mit gleichmässiger bona fides behandelt zu werden. Würde also eine Zahlung von einem Gehülfen unterschlagen, so hätte der Principal dafür zu haften. Wird an der Casse eine Summe eingezahlt, so gilt dies als Zahlung an den Principal, gleichviel zu wessen Händen sie thatsächlich erfolgt. Es findet dieser Satz auch Anwendung auf Postsachen, Postanweisungen etc., die von den Postbediensteten in’s Haus getragen und meist an untergeordnete Diener abgegeben werden. Tn allen solchen Fällen muss die Uebergabe als an den Principal selbst geschehen angesehen werden, solange nur guter Glaube auf Seiten der betreffenden Partei vorliegt, gleichviel ob der Gehülfe nach den vorher gehenden Regeln zum Empfang oder zur Auszahlung ermächtigt war, und ob er selbst in gutem Glauben sich befand oder nicht.
Dieses Princip gilt aber nur für den Geschäftsgang im Innern des Geschäftslocals, nicht ausserhalb desselben, wo nur die vorher erörterten Regeln über Bevollmächtigung entscheiden können, also die wirkliche Anstellung zu den betreffenden Geschäften Bedingung der Gültigkeit ist. Der Artikel handelt auch nicht von allen Zahlungen etc. überhaupt, sondern nur von thatsächlichen Aushändigungen. In wie fern für den Principal anderweitige Zahlungen etc. verbindend sind, ist durchweg nach den vorausgehenden Bestimmungen zu beurtheilen.
Nur eine einzige Bestimmung trifft dieser Artikel in Bezug auf Zahlungen etc. ausserhalb des Geschäftslocals, soferne sie nämlich gegen Aushändigung der Quittung erfolgen. Wer eine Quittung überbringt, soll auch als zum Empfang der Zahlung ermächtigt angesehen werden, soferne nicht die Umstände das Gegentheil vermuthen lassen, wie bei Zusendungen per Post oder durch andere Personen, denen ersichtlich nur die Abgabe der Papiere und nichts weiter aufgetragen ist. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 51. stellt zwar über diesen Punkt eine andere Regel auf, allein diese dürfte dem practischen Bedürfniss nicht minder wie dem üblichen Verfahren widersprechen. Es spricht aber der angef. Artikel zunächst von der Ueberbringung einer unquittirten Rechnung; die Ueberbringung einer Quittung ist in Art, 796. übereinstimmend mit dem Entwurf behandelt. Ist jedoch die Quittung, selbst noch nicht vollzogen, der Ueberbringer erklärt sich aber zur Quittirung ermächtigt und quittirt auch sofort, dann muss auch dies als Überbringung einer quittirten Rechnung angesehen werden, schon in Anwendung des in Art. 53. aufgestellten Princips. Ob die Waare zugleich mit überbracht wird, muss als gleichgültig angesehen werden und ist daher im Entwurf nicht als Bedingung hinzugefügt worden.
Art. 57. Der Inhalt dieses Artikels gründet sich auf die Erwägung, dass einmal in der Anstellung zu Handelsfunctionen eine Bevollmächtigung liegt, die nicht beliebig auf andere übertragen werden kann—vicarius vicarium non habet—der Stellvertreter kann sich nicht selbst einen Stellvertreter schaffen: und dass sodann die Verthei-lung der verschiedenen geschäftlichen Functionen in einem Gewerbe eine Sache der Direction ist, die nur dem Principal oder dem Procuristen zusteht, nicht aber auch dem Gehülfen. Dieser Mangel kann aber durch Einwilligung des Principals gehoben werden. Man nahm dies hier an im Gegensatz zu den Befugnissen des Procuristen, die überhaupt nicht weiter übertragen werden können, weil man davon ausging, dass eine so umfassende Vollmacht wie die Procura in dem Willen des Vollmachtgebers unmittelbar ihre Quelle haben muss. Die Verrichtungen der Gehülfen dagegen sind mehr specieller und untergeordneter Art, hier kann eine Vertretung durch andere—jedoch immer nur mit Zustimmung des Principals—weit geringere Bedenken hervorrufen und doch manchfach durch das Bedürfniss geboten sein. Die Zustimmung des Principals kann für entbehrlich gelten, wenn der Handelsgebrauch schon von selbst die Vertretung gestattet. Letzteres gilt namentlich von der. üblichen gegenseitigen Substituirung der Gehülfen in Krankheits- oder sonstigen Verhinderungsfällen.
Art. 58. Die Ausdehnung der in diesem Artikel erwähnten Bestimmungen auf die Handlungsgehülfen hat ihren Grund darin, dass diese Bestimmungen sämmtlich Ausflüsse des Stellvertretungs-Princips sind und daher ebenso auf die Gehülfen wie auf die Procuristen Anwendung finden müssen.
Art. 59. Handlungsgehülfen, wie Procuristen, sind nicht nothwendig Bedienstete des Principals, sondern können auch in anderen Beziehungen zu ihm stehen. Hauptsächlich werden es Familienangehörige, Ehefrauen und Kinder sein, welche dem Principal in seinem Gewerbe Beihülfe leisten. Auf die rechtliche Stellung der Gehülfen hat diese Verschiedenheit der persönlichen Stellung keinen Einfluss; die bisher aufgestellten Grundsätze haben also auf alle Handlungsgehülfen angewandt zu werden, gleichviel ob sie im Dienst des Principals stehen oder nicht. Es erschien aber angemessen, noch die wichtigsten Bestimmungen über das Dienstverhältniss der Handlungsgehülfen in diesem Titel zusammenzustellen. Vor allem wurde als allgemeiner Satz an die Spitze gestellt, dass die Grundsätze des Dientvertrages auch auf Handlungsgehülfen Anwendung finden sollen, so wie dieselben im Civilrechte normirt sind. Um aber Unbestimmtheiten in dieser Beziehung zu vermeiden und den Bedürfnissen des Handels nach gewissen Richtungen besser zu dienen, wurden noch eine Reihe specieller Vorschriften angefügt. Diese haben mithin für Handlungsgehülfen ausschliessliche Geltung, wie auch sonst im Civilrecht die fraglichen Verhältnisse geregelt sein mögen. Der Standpunkt, den man für diese Vorschriften einnahm, war der, einmal der verhältnissmässig bedeutenderen Stellung der Handlungsgehülfen eine stärkere Sicherheit zu geben, und sodann für Beständigkeit und Ordnung im Gebiete der Handelsverrichtungen auch im Interesse der Principale zu wirken.
Art. 60. Zunächst wurde der Grundsatz jederzeitiger Kündbarkeit ausgesprochen, jedoch nur unter Einhaltnng einer vierwöchentlichen Kündigungsfrist auf beiden Seiten. Das Recht der täglichen Lösung des Contracts ohne alle dergleichen Fristen würde den beiderseitigen Interessen wenig entsprechen und die Handlungsdienste auf die Stufe ganz gemeiner Dienstleistungen herabdrücken, was sie in Wirklichkeit nicht sind. Andererseits dürfte die im deutschen H. Gesetzbuch Art. 61. enthaltene Bestimmung, wornach die Kündigung nur von Quartal zu Quartal stattfinden darf, weder zweckmässig noch den hiesigen Anschauungen gemäss sein. Auch erscheint eine vierwöchentliche Kündigungsfrist hinreichend lang bemessen, wenn man bedenkt, dass zur Zeit wenigstens gewöhnliche Dienstboten ohne alle Kündigung jeden Tag entlassen werden oder austreten können.
Art. 61. In diesem Artikel wird die Auflösung des Dienstvertrages principiell geregelt. Ueber die Eingehung wurden mit Ausnahme des Lehrlingsvertrages, der zweckmässiger schriftlich errichtet wird, keine besonderen Vorschriften gegeben; sie kann also ohne alle Förmlichkeit geschehen, wie es im Handel üblich ist. Die Auflösung erfolgt, abgesehen von der einseitigen Kündigung, auf drei Wegen; 1, einmal durch Zeitablauf; 2, durch gegenseitige Uebereinstimmung; 3, durch den Eintritt gewisser Umstände, die zur vorzeitigen Auflösung berechtigen. Ist der Vertrag auf unbestimmte Zeit, d. h. ohne eine Zeitbestimmung, geschlossen, so kann er jederzeit aufgelöst werden, aber nur binnen der in Art. 60. normirten Kündigungsfrist. Ist der Vertrag auf eine bestimmte Zeit eingegangen, so ist dies bindend für beide Theile. Während dieser Zeit kann also der Principal die Verrichtung der übernommenen Dienste, und der Gehülfe die Auszahlung des stipulirten Lohnes verlangen, aber das eine ist nicht durch das andere bedingt. Der Lohn muss auch dann geleistet werden, wenn der Gehülfe nicht oder nicht voll beschäftigt wird. Würde der Gehülfe Extra-Arbeiten übernehmen, so steht es ihm frei, eine verhältnissmässige Lohnerhöhung zu verlangen; geschieht dies nicht, dann zieht die thatsächliche Mehrarbeit nicht von selbst einen Anspruch auf Lohnerhöhung nach sich. Die Remuneration der Handlungsgehülfen soll also in der Hauptsache vom Princip der Zeit—nicht des Stücklohnes beherrscht werden, was der Natur dieser Functionen besser entspricht. Würde aber über den Lohn nichts besonderes vereinbart, und die Verrichtung dienstlicher Arbeiten mehr auf thatsächlichem Wege übernommen, dann hätte der Gehülfe stets einen Anspruch auf übliche Remuneration, da Handlungsdienste zu den Arbeiten gehören, welche nicht unentgeltlich geleistet zu werden pflegen.
Wenn der Gehülfe ihm übertragene Arbeiten nicht oder nicht ordentlich ausführt, muss das Princip des Zeitlohnes auch insoferne Platz greifen, als ihm dann nicht der Lohn vorenthalten oder geschmälert werden darf. Träge und ungeschickte Arbeiter können entlassen werden, unter Umständen ohne Kündigung (Art 64.), aber bis zur wirklichen Entlassung muss ihnen der volle Lohn Ungeschmälert entrichtet werden, auch wenn die Entlassung ausser der Zeit und wegen Verschuldens des Gehülfen erfolgt. Das Gegentheil würde zu den bedenklichsten Streitigkeiten Anlass geben und das gegenseitige auf Vertrauen und williges Zusammenwirken angelegte Verhältniss zerrütten. Lohnabzüge, wie sie gegenüber Fabrikarbeitern wegen schlechter oder kürzerer Arbeit häufig vorkommen, sind also Handlungsgehülfen gegenüber unbedingt unstatthaft.
Noch muss bemerkt werden, dass Contracte auf Lebenszeit zu den Contracten auf unbestimmte Zeit gehören und daher nach Art. 60. jederzeit gekündigt werden können. Es bleibt zwar beiden Theilen unbenommen, ein Dienstverhältniss das ganze Leben hindurch fortzusetzen, dort kann dies nur mit dem fortgesetzten freien Willen beider Theile geschehen. Ein vertragsmässiges Binden für die ganze Lebensdauer würde ein Verhältniss persönlicher Unfreiheit erzeugen, das modernen Bechtsansichten zuwider wäre und im Rechte nicht anerkannt werden kann.
Es kann zwar Vorkommen, dass der eine Theil durch sein Verhalten den anderen Theil zur Kündigung oder Entlassung zwingt, und dadurch Dienstverträge auf bestimmte Zeit indirect zur Auflösung gebracht werden. Hingegen kann das Recht keinen Schutz gewähren. Allein der Vertragsbrüchige Theil ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen dem anderen Theile zum Ersätze des etwa verursachten Schadens verpflichtet.
Art. 62. Ueber Krankheiten und andere Fälle der Unfähigkeit zum Dienste wird Folgendes festgesetzt. Erkrankung, wenn sie nicht unheilbar ist(Art. 64.) soll an sich kein Aufhebungsgrund sein. In den meisten Fällen ist die Erkrankung eine vorübergehende und kann durch Schonung und Anwendung geeigneter Mittel beseitigt werden. Störungen, die hiedurch eintreten, muss jede Partei zu ihrem Theile ertragen und auch die damit verbundenen Kosten auf sich nehmen. Gleichwohl kann jeder Theil, insbesondere der Principal, daraus einen Anlass zur Kündigung nehmen, jedoch unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen. Ist der Vertrag ohne Zeitbestimmung eingegangen, dann beträgt diese Frist mindestens vier Wochen. Dies folgt von selbst aus dem Art. 60. braucht daher nicht besonders erwähnt zu werden. Ist aber der Vertrag auf bestimmte Zeit geschlossen, dann ist jedem Theile das Recht der Kündigung vor dem Ablauf entzogen. Dauert aber die Krankheit länger als drei Monate, dann soll auch in diesem Falle der Vertrag gelöst werden können. Diese Bestimmung entspricht der Billigkeit gegen beide Theile, und ist im Einklang mit den übrigen Gesetzen. Die im deutschen Gesetzbuche Art. 60. gesetzte Frist von sechs Wochen erscheint etwas zu kurz; es dürfte die im spanischen Gesetzbuch Art. 201. angenommene Frist von 3 Monaten richtiger sein. Das letztere macht dabei noch die Bedingung, dass die Unfähigkeit zum Dienst dem Bediensteten nicht als Schuld angerechnet werden könne. Dies ist aber eine unsichere und in den meisten Fällen unpractische Vorsichtsmassregel und dürfte besser weggelassen werden. Dagegen erschien es passend, den Ablauf einer mindestens einjährigen Dienstzeit zur Bedingung zu machen, weil nur dann der Principal zur längeren Versorgung des Gehülfen billiger Weise angehalten werden kann. In ähnlicher Weise wird auch für Angestellte des Staates das Recht des Pensionsbezuges von der Zurücklegung einer gewissen Dienstzeit abhängig gemacht.
Art. 63. Die Kurkosten, welche eine Krankheit verursacht, sowie anderweitige nachtheilige Folgen für die Erwerbsfähigkeit müssen dem erkrankten Gehülfen zur Last fallen. Denn derselbe steht nicht im lebenslänglichen Dienst des Principals und kann von diesem keinerlei Verpflegung beanspruchen, die nicht als Remuneration für geleistete Dienste zu entrichten ist. Es wird zwar in neuester dem Capital die Verpflichtung einer dauernden Versicherung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter auferlegt. Allein dies ist mehr als Ausfluss einer grossentheils ungesunden socialistischen Richtung des Zeitgeistes zu betrachten, und kann höchstens im Hinblick auf gewisse Massenerscheinungen der Proletariats einigermassen gerechtfertigt werden. Auf Handlungsgehülfen kann dieses Princip keinesfalls angewendet werden. Dieselben gehören nicht zur Arbeiterclasse im speciellen modernen Sinne des Wortes, und sind in der Regel nicht so durchweg von eigenen Mitteln entblösst, dass Erkrankungen sie zur Erwerbslosigkeit und zum Pauperismus bringen.
Eine Ausnahme wird nur für den Fall zugelassen, dass der Principal die Erkrankung oder sonstige Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Es muss dies aber ein directes Verschulden sein und darf nicht aus der Natur der aufgetragenen Arbeiten, soferne diese an sich erlaubt und ordnungsmässig sind, gefolgert werden. Ein solches Verschulden würde vorliegen, wenn der Principal die nothwendigen Vorkehrungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Arbeiter unterlassen würde; namentlich bei gefährlichen Arbeiten, z. B. mit leicht entzündlichen oder explodirenden Stoffen, in lebensgefährlichen Localitäten u. dgl. Blosses Ueberarbeiten, Nachtarbeiten, ungenügende Heizung oder Lüftung, ungesunde Lage des Hauses oder degl. würden nicht genügen. In Fällen, wo dem Principal die Erkrankung oder Verletzung zur Last zu legen wäre, hätte er nicht blos die Kurkosten zu bestreiten, sondern auch angemessene Entschädigung für Erwerbsunfähigkeit zu leisten. Eine solche Entschädigung wäre zu normiren, einmal nach der Zeitdauer der eingetretenen Unfähigkeit, und sodann nach der Schwere der eingetretenen Verletzung, wobei die Höhe des vertragesmässigen Lohnes als Massstab zu Grunde zu legen wäre. Ist die Verletzung unheilbar, dann muss lebenslängliche Vergütung geleistet werden.
Art. 64. 65. Die beiden folgenden Artikel bestimmen über die Fälle der Auflösung des Dienstvertrages ohne vorherige Kündigung und ohne Rücksicht auf eine etwa vereinbarte Contractszeit. Das Recht hiezu steht unter den gegebenen Voraussetzungen jedem Theile zu. Sie bestehen gegen den Handlungsgehülfen hauptsächlich in schweren Pflichtverletzungen und anstössigem Betragen, durch welches letztere die Ordnung und der Ruf des Hauses, in dem er dient, verletzt werden. Unheilbare Krankheit kann gleichfalls einen solchen Grund haben, wie namentlich solche, die aus unsittlichem Lebenswandel entspringen ; allein auch wenn sie unverschuldeter Weise eintritt, muss dennoch das Recht der Entlassung gewährt werden, weil man dem Principal nicht zumuthen kann, einen Gehülfen noch längere Zeit zu unterhalten, dessen Dienste er niemals mehr gebrauchen kann. Die Bestimmung des Art. 62. geht daher nur auf solche Krankheiten, deren Heilung man nach der Erfahrung und nach ärztlichem Urtheile erwarten kann. Dagegen durch unheilbare Krankheiten wird der Contract sofort gelöst, weil es gewiss ist, dass die eingegangenen Verpflichtungen von dem Gehülfen niemals mehr erfüllt werden können. Es gibt übrigens nur sehr wenige Krankheiten, welche absolut als unheilbar gelten müssen; hiedurch wird die Anwendung dieser Vorschrift auf einzelne wenige Fälle beschränkt, namentlich gewisse, Geisteskrankheiten und organische Krankheiten.
Die Gründe, welche den Handlungsgehülfen zum sofortigen Austritt berechtigen, erklären sich durch die Nothwendigkeit eines prompten Schutzes seiner Interessen und seiner sittlichen und physischen Integrität von selbst und bedürfen wohl keiner weiteren Auseinandersetzung. In letzterer Hinsicht muss offenbar dem richterlichen Ermessen ein gewisser Spielraum gelassen werden. Kleinigkeiten und einzelne Vorkommnisse sind anders zu beurtheilen, wie schwere Verletzungen oder fortgesetztes Misshandeln. Auch ist auf die Landessitte und auf persönliche Verhältnisse gebührende Rücksicht zu nehmen.
Einen besonderen Schutz erfordern Lehrlinge hinsichtlich des speciellen Zweckes von Lehrverträgen ; die Verletzung dieses Zweckes soll, neben den allgemeinen Aufhebungsgründen, den Lehrling gleichfalls zum Austritt berechtigen.
Art. 66. Der Tod des Handlungsgehülfen muss den Contract von selbst endigen, da seine Verpflichtungen persönlicher Natur sind und nicht auf seine Erben übergehen können, ohne Erfüllung seiner Verpflichtungen aber auch seine Rechte aus dem Vertrage hinfällig werden müssen. Der Tod des Principals hat diese Folge nicht, weil das Gewerbe auf die Erben übergeht oder sonst weitergeführt oder veräussert werden kann. Es liegt andererseits im geschäftlichen Interesse, dass die Handlungsgehülfen das Gewerbe nicht ohne weiteres im Stich lassen können. Nur das Recht der Kündigung wird ihnen in diesem Falle eingeräumt, weil man ihnen nicht zumuthen kann, einen vielleicht auf längere Zeit nur mit Rücksicht auf die Person des Principals abgeschlossenen Vertrag mit ganz anderen Personen fortzusetzen ; das gleiche Recht muss dann auch dem anderen Theile gegeben werden. Wenn ein Gewerbe aufhört, ist damit auch die Basis, auf welcher der Contract ruhte, hinweggenommen und dies muss nothwendig Contract zum Ende bringen; denn die Dienste, welche versprochen wurden, können sodann nicht mehr geleistet resp. in Anspruch genommen werden.
VI. Titel. Von Handelsgesellshaften.
Die Handelsgesellschaften nehmen eine äusserst wichtige Stelle in der commercialen Jurisprudenz ein. Sie führen in den Handel ein neues, ungemein befruchtendes Element ein, nämlich die Association, und erhöhen nicht nur durch die persönliche Vereinigung der Gesellschaftstheilnehmer, sondern ganz besonders durch die Accumulation grösserer Capital massen die Bedingungen des Erfolges für den Handelsbetrieb in unbegrenztem Grade. Durch Gesellschaften wird es möglich, unzählige Mängel und Lücken, welche der lediglich auf die Einzelthätigkeit der Individuen gebaute Handelsbetrieb lassen würde, zu beseitigen und zu ergänzen und die productiven Bestrebungen eines Volkes mit einem Schlage auf eine höhere Stufe zu heben. Die Association erzeugt aber eine Menge neuer Rechtsverhältnisse, welche das Handelsrecht zu regeln hat, soweit nicht die Bestimmungen des Civilrecht.es ausreichen. In dem Masse, als in der neueren Zeit die Handelsgesellschaften an Zahl und Bedeutung zugenommen, sind auch die Bestimmungen über die Handelsgesellschaften in den neueren H. Gesetzbüchern oder in Specialgesetzen erweitert, vervollständigt worden. An die Stelle der verhältnissmässigen lückenhaften Artikel des französ. Code de commerce sind durch ein Gesetz vom 29. Juli 1867 umfassendere und den modernen Bedürfnissen mehr entsprechende Vorschriften gesetzt worden. In England ist diese Materie hauptsächlich durch ein Gesetz vom Jahre 1862 (25 & 26 Vict. c. 89) geordnet. Unter den Handelsgesetzbüchern dürfte in dieser Beziehung das deutsche, was Vollständigkeit Und Gründlichkeit betrifft, die erste Stelle einnehmen, obgleich nicht alle einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzbuches zu billigen sind.
Handelsgesellschaften verdienen alle Begünstigung von Seiten der Gesetzgebung. Doch sind genaue Bestimmungen erforderlich, damit das Gesellschaftsverhältniss nicht zur Umgehung der persönlichen Verantwortlichkeit und zu unsoliden Machinationen missbraucht werde.
Während man früher, nach dem Vorgang des römischen Rechts, in der Gesellschaft nur ein rein persönliches Obligationsverhältniss zwischen den Mitgliedern erblickte, gleich denen, die durch jeden anderen Contract entstehen, geht die neuere Rechtsanschauung dahin, den Gesellschaften eine besondere und selbständige Rechtspersönlichkeit zu ertheilen, soweit es die Bedürfnisse des Handels verlangen, ohne jedoch sie zu juristischen Personen im strengen Sinne des Wortes zu erklären. Die Rechte und Verpflichtungen der Gesellschaft, ihr Eigenthum, ihre Forderungen und Schulden, werden demnach nicht auf die Personen der Theilnehmer, sondern auf die Gesellschaft als solche bezogen und daraus wichtige juristische Folgerungen gezogen. Z. B. eine Gesellschaft kann in Bankerott gerathen, ihre Gläubiger sind von den Gläubigern der Theilnehmer gesondert, eine Gesellschaft kann als solche vor Gericht verklagt werden. Gerade diese moderne Auffassung der Handelsgesellschaften unterscheidet sie von den gewöhnlichen Gesellschaften des Civilrechts, und macht genaue und zum Theil strenge Bestimmungen für die ersteren zur Nothwendigkeit.
Art. 67. Vor allem ist der Begriff der Handelsgesellschaften genau zu fixiren. Eine Handelsgesellschaft kann nur für den Betrieb eines Handelsgewerbes, d. h. nur für den stehenden Betrieb des Handels errichtet werden. Nur ein solcher Handelsbetrieb kann mit dem besonderen juristischen Wesen, als das man die Handelsgesellschaft ansehen muss, correspondiren. Die Eigenschaft einer selbständigen Rechtspersönlichkeit setzt Dauer und eine gewisse äussere Erscheinung in der Wirklichkeit voraus. Diese Bedingungen mangeln aber gänzlich den Verbindungen, welche Einzelne unter sich für den Augenblick eingehen mögen, um vorübergehend einzelne Handelsgeschäfte auf gemeinsame Rechnung zu betreiben. Solche Gesellschaften der letzteren Art sind nichts weiter wie gewöhnliche Obligationen und fallen in das Gebiet des Civilrechts, obgleich, wie nachher gezeigt werden wird, der Umstand, dass sie für den Zweck von Handelsgeschäften eingegangen werden, einigen Einfluss auf ihre rechtliche Natur äussern muss.
Handelsgesellschaften können ferner nur für gesetzlich erlaubte Zwecke gegründet werden. Dies ist allgemein anerkannt, gleichviel ob die Unerlaubtheit auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder auf besonderen Gesetzen und Verordnungen beruht, wenn es sich um die Gründung einer Gesellschaft für Zwecke handelt, die positiv ungesetzlich sind. Also eine Gesellschaft für den Zweck der Falschmünzerei, der Wechselfälschung, für Schmuggel u. dgl. ist von Anfang an nichtig; ebenso wie eine Gesellschaft für den Handel mit Opium oder andern durch positive Acte der Gesetzgebung verbotenen Waaren. Eine schwierigere Frage ist es, ob Gesellschaften auch dann ungesetzlich werden, wenn ihre Betriebsweise mit der öffentlichen und moralischen Ordnung in Conflict geräth. Solange nur die Gesellschafter einzelne ungesetzliche Handlungen begehen, hat dies auf den Bestand der Gesellschaft offenbar keinen Einfluss. Anders -wird die Sache, wenn der Betrieb selbst einen gesetzwidrigen oder unsittlichen Character annimmt, so dass der Zweck der Gesellschaft thatsächlich mehr- oder minder in Ungesetzlichkeit oder Immoralität auszuarten scheint. Z. B. wenn eine Gesellschaft, die ein Hotel betreibt, in demselben verbotene Spiele oder andere unsittliche Geschäfte organisirte ; wenn eine Gesellschaft die gesetzliche Concurrenz und die Freiheit des Handels durch geheime Abmachungen und Machinationen zu unterdrücken versuchte; wenn sie verbotene Lieferungen von Waffen und Kriegsmunition contrahirte; wenn eine Gesellschaft für die Ausfuhr von Kuli’s oder für Differenzgeschäfte in Reis u. dgl. gegründet würde. In allen solchen Fällen würde eine Gesellschaft mit der öffentlichen oder moralischen Ordnung in Widerspruch stehen und der Auflösung durch Richterspruch verfallen.
Der Unterschied zwischen beiden Fällen liegt darin, dass im ersten Falle, wenn der Zweck selbst positiv ungesetzlich oder rechtswidrig ist, der Gesellschaftvertrag von Anfang an und von selbst nichtig ist und die Gesellschaft gar nicht entstehen kann. Im zweiten Falle dagegen hat die Gesellschaft zwar an sich rechtliche Existenz, aber sie kann durch Richterspruch aufgelöst werden, und dies setzt ein vorheriges gerichtliches Verfahren, in welchem Gelegenheit zur Vertheidigung gegeben werden muss, und den ordentlichen Beweis der gravirenden Thatsachen voraus. Hier kann die Gesellschaft nur durch den Richterspruch enden, ohne solchen existirt sie fort. Der Grund dieses Unterschieds liegt darin, dass im ersten Fall die Nichtigkeit aus den allgemeinen Principien von selbst folgt; im zweiten Falle dagegen es sich um die Untersuchung und den Nachweis bestimmter Thatsachen Handelt, die nicht von selbst mit dem Gegenstand der Gesellschaft zusammenfallen, sondern dieser nur einen gesetzwidrigen Character verleihen Beispielsweise wäre eine Gesellschaft zum Zweck des Betriebes verbotener Spiele an sich gesetzwidrig und von Anfang an nichtig, weil der Gesellschaftszweck von Anfang an nicht realisirt werden könnte. Wenn aber eine Gesellschaft für den Betrieb eines Hotels gegründet und in dem Hotel gesetzwidriges Spiel organisiren würde, so wäre zwar der Hotelbetrieb selbst nicht ungesetzlich und die Gesellschaft selbst desshalb nicht nichtig. Allein durch die Organisirung verbotener Spiele würde die Hotelleitung mit der öffentlichen Ordnung in Conflict kommen, indem sie ungesetzliche Zwecke verfolgt, und würde daher aufgelöst werden können.
Der hier beobachtete Unterschied zwischen Nichtigkeit und Auflösbarkeit (Rescissibilität) kommt auch sonst im Rechte häufig vor, bei Ehen, Testamenten, Verträgen und bei Rechtshandlungen überhaupt, und ist begründet in dem Unterschied zwischen dem Mangel der wesentlichen Elemente eines Rechtsactes, und in dem Hinzutreten besonderer Umstände oder Thatsachen, welche eine Anfechtung des an sich mit seinen wesentlichen Erfordernissen ausgestatteten Rechtsgeschäfts gestatten. Z. B. jeder Vertrag erfordert den Consens beider Theile und kann ohne diesen Consens niemals existiren. Ist nun Consens im gegebenen Falle vorhanden, so ist der Vertrag insoweit gültig ; wäre aber die Zustimmung durch Zwang oder Irrthum erreicht worden, so könnte der Vertrag wegen dieser Umstände, obwohl an sich nicht nichtig, doch angefochten werden. Die Untersuchung und Constatirung solcher Umstände und Thatsachen setzt ein geordnetes Verfahren voraus, und können die Wirkungen der Auflösung einer Gesellschaft erst mit dem Erlass eines rechtskräftigen Richterspruches eintreten. Das Recht der Auflösung würde in solchen Fällen von der Regierung geltend zu machen sein. Es gibt noch eine Reihe anderer Fälle, in welchen die Auflösung von Gesellschaften durch Richterspruch auf Antrag von Privaten, und zwar von Gesellschaftern selbst, erfolgen kann. Von diesen Fällen kann erst später gehandelt werden.
Art. 68. Handelsgesellschaften sind hinsichtlich ihres Betriebes den Kaufleuten gleichgestellt und wie diese den Vorschriften des Handelsgesetzbuches und den besonderen auf den Handelsbetrieb bezüglichen Gesetzen und Verordnungen unterworfen. Dies ist bereits oben in den Artikeln 11. und 3. ausgesprochen, wird jedoch zweckmässig hier in allgemeiner Bezugnahme auf Handelsgesellschaften wiederholt. Der Erlass von Verordnungen oder besonderen Gesetzen kann namentlich im Hinblick auf Gesellschaften nothwendig werden, weil dieselben mächtiger und einflussreicher sind als einzelne Personen und durch unpassendes Verhalten dem Gemeinwohl weit mehr Schaden zufügen können. Die Regierung ist daher berechtigt, den Gesellschaften, insbesondere Actiengesellschaften, aus Rücksichten der öffentlichen Verwaltung, um öffentliche Interessen zu befriedigen, besondere Verpflichtungen aufzuerlegen, was entweder in speciellen Concessionsbedingungen oder in allgemeinen Verordnungen und Reglements geschehen kann. Doch müssen solche Vorschriften mit den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches in Einklang stehen. Dieses Gesetzbuch ist ein allgemeines Gesetz und muss von allen, weiche Handel treiben, beobachtet werden; der Werth eines solchen Gesetzbuches liegt gerade in seiner allgemeinen Gültigkeit, so dass für alle gleiches und vollkommen sicheres Recht dadurch geschaffen wird. Die Regierung wird daher auch Gesellschaften nicht von den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches dispensiren, sondern besondere Befugnisse oder Verpflichtungen für dieselben nur auf dem Boden und in Uebereinstimmung mit den Principien des Handelsgesetzbuches ertheilen oder auflegen können.
Art. 69. In diesem Artikel wird ein Princip ausgesprochen, welches in der neueren Zeit anders als in der vorhergehenden Periode gehandhabt worden ist. Es betrifft dasselbe die Abhängigkeit der Errichtung von Handelsgesellschaften, und zwar speciell von Actiengesellschaften, denn nur bei diesen ist diese Frage überhaupt entstanden, von staatlicher Genehmigung. Man hielt diese Genehmigung für nothwendig, weil Actiengesellschaften einen unpersönlichen Character haben und für ihre Handlungen Niemand verantwortlich ist, da die Actionäre nur bis zum Betrag der von ihnen gezeichneten Actien haften und nach Entrichtung dieses Betrages von jeder weiteren Haftbarkeit frei sind. Es schienen desshalb Garantien geboten, einmal um dritten Personen, welche mit Actiengesellschaften Geschäfte machen, die erforderliche Rechtssicherheit zu gewähren, und sodann, um die Actionäre gegen missbräuchliche Ausübung der Befugnisse der Gesellschaftsvorstände sicher zu stellen. Desshalb verlangte man, dass der Gesellschaftsvertrag, oder die Statuten von Actiengesellsehaften vorher der Regierung zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt würden, und die Regierung erhielt hierdurch Gelegenheit, diejenigen Bedingungen zu stellen, welche ihr im öffentlichen Interesse und im Interesse der betheiligten Privatpersonen nöthig schienen.
Von diesem Standpunkte aus wurde bereits im französ. Code de commerce Art. 37. für anonyme Gesellschaften die Ermächtigung der Regierung und die Genehmigung ihres Constituirungs-Actes vorgeschrieben. Ebenso im holländischen Gesetzbuch Art. 36., und im deutschen Art. 208. Das spanische Gesetzbuch verlangte in den Artikeln 293—295 für die anonymen Gesellschaften im allgemeinen die Prüfung und Genehmigung ihres Gründungsvertrages durch das competente Handelsgericht, und für diejenigen, denen von der Regierung besondere Privilegien ertheilt würden, die Genehmigung dieser letzteren. Aehnliche Bestimmungen finden sich auch noch in anderen Gesetzbüchern.
Von diesem Standpunkt ist man jedoch in der neuesten Zeit ziemlich allgemein zurückgekommen. Man hielt dafür, und die Erfahrung hatte es bestätigt, dass die staatliche Genehmigung die beabsichtigten Garantien nicht mit Sicherheit gewähren könne, da die Solidität einer Gesellschaft hauptsächlich von ihrem für die Regierung uncontrolirbaren Betrieb abhänge, und dass der Schutz gegen Actienschwindel und Ausbeutung des Publicums auch concessionirten Gesellschaften gegenüber meist illusorisch sei. Man hielt es desshalb für zweckmässiger, die Actiengesellschaften unter das. gemeine Handelsrecht zu stellen und die nöthigen Garantien in allgemeinen Bestimmungen über die Errichtung und Verwaltung von Actiengesellschaften zu suchen.
Das englische Gesetz über Joint Stock Companies von 1862 kennt keine staatliche Genehmigung von Handelsgesellschaften irgend welcher Art und begnügt sich mit der Vorschrift der Registrirung und Publicität des Gesellschaftsvertrages. Ebenso das französische Gesetz vom 29, Juli 1867. Auch in Deutschland ist durch das Gesetz vom 11. Juni 1870 das Erforderniss der staatlichen Genehmigung aufgehoben worden. Das italienische H. Gesetzbuch Art. 156 und das ägyptische Art. 46. schreiben allerdings noch die staatliche Genehmigung vor.
Der Entwurf schlägt in dieser Frage den Weg ein, welcher der jetzigen Praxis der ersten handeltreibenden Nationen entspricht, aber die Rechte der Regierung auf dem ihr zukommenden Gebiete zu wahren sucht. Es werden daher Gesellschaften überhaupt und folglich auch Actiengesellschaften einer vorherigen Genehmigung von Seiten der Regierung nicht unterworfen. Man ist hiebei von der Ueberzeugung ausgegangen, dass eine Regierung, auch bei sorgfältigster Prüfung, niemals die Solidität und Einträglichkeit einer Gesellschaft im voraus garantiren kann, und dass, wenn Fehler gemacht werden, die Erfahrungen des Publicums der beste Lehrmeister sein werden. Es muss hinreichend erscheinen, wenn über die Errichtung und Verwaltung von Actiengesellschaften in der Gesetzgebung solche Bestimmungen getroffen werden, welche, soweit dies möglich ist, für die Gründung und den Betrieb derselben die jetzt allgemein adoptirten Cautelen enthalten. Die Regierung hat hierbei kein Interesse, irgend eine Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, der sie erfahrungsgemäss nicht gewachsen ist. Demnach sind Actiengesellschaften für rein productive oder commercielle Zwecke, die mit der Verwaltung nichts zu thun haben, freigegeben; ebenso wie man dies für Collectiv-Gesellschaften ganz unbedenklich hält. Es lässt sich in der That kaum einsehen, warum Actiengesellschaften für eine Spinnfabrik, für eine Bierbrauerei, oder für ein Eisenwerk, oder für irgend einen Handelszweig vom Staate genehmigt werden sollten, während dergleichen Betriebszweige von Collectiv-Gesellschaften ganz unabhängig ausgebeutet werden können.
Anders verhält es sich mit solchen Gesellschaften, deren Gegenstand der öffentlichen Verwaltung und Polizei angehört. Hier handelt es sich um öffentliche Interessen, für welche die Regierung einstehen und welche sie dem freien Privatbetrieb nicht überlassen kann. Insbesondere gehören hieher die Gebiete der öffentlichen Gesundheit, des öffentlichen Verkehres zu Wasser und zu Lande, der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit. Unternehmungen dieser Art bedürfen ohne Zweifel der staatlichen Autorisation, aber nicht blos wenn sie von Actiengesellschaften, sondern auch wenn sie von anderen Gesellschaften oder von Einzelnen in Angriff genommen werden. Für solche Gesellschaften ist daher im Entwurfe die staatliche Concession zur Bedingung gemacht. Sie müssen ihre Statuten der Regierung zur Prüfung und Genehmigung vorlegen, womit von Seiten der letzteren die erforderlichen Bedingungen oder Privilegien verbunden werden können. Vor erlangter förmlicher Genehmigung kann eine solche Gesellschaft nicht constituirt, und folglich auch nicht registrirt werden. Der Antrag auf Genehmigung kann nicht an eine untere Behörde, sondern nur an das einschlägige Ministerium gerichtet werden, in dessen Geschäftskreis die betreffende Unternehmung gehört; in der Regel werden dies die Ministerien der öffentlichen Arbeiten, oder des Handels nud der Landwirthsehft, oder auch des Innern sein. Um eine einheitliche und centrale Behandlung solcher Angelegenheiten zu verbürgen, empfiehlt es sieh die Entscheidung des Ministeriums von einem vorherigen Beschluss des Staatsrathes abhängig zu machen, welchem daher alle dergleichen Gesuche von dem betreffenden Ministerium mit einem vorbereitenden Gutachten zur obersten Beschlussfassung vorzulegen sind. Da bei solchen Beschlüssen oft auch politische-, militärische und auswärtige Interessen oder Bedenken zu berücksichtigen sind, kann die definitive Entscheidung nicht wohl einem einzelnen Ministerium überlassen werden. Die Genehmigung kann nach dem Ermessen der Regierung ertheilt oder versagt werden, und es erscheint nicht angemessen, diese Entschliessung noch an besondere Bedingungen oder an die Angabe von Gründen zu binden. Da es sich hier immer um Acte der Verwaltung handelt, versteht es sich von selbst, dass das Öffentliche Interesse dabei immer den Ausschlag geben muss und es braucht dies im Gesetze nicht besonders erwähnt zu werden; auch muss die souveraine Entschliessung der Regierung in solchen Angelegenheiten intact bleiben.
Art. 70. Nachdem die vorhergehenden Artikel die allgemeinen Beziehungen der Handelsgesellschaften zum öffentlichen Recht bestimmt haben, sollen die folgenden beiden Artikel die allgemeinen Bedingungen und Merkmale der civilrechtlichen Existenz der Handelsgesellschaften darlegen, um ein für allemal festzustellen, was eine Handelsgesellschaft ist und woran sie auf den ersten Blick erkannt werden kann.
Bereits zu Artikel 67 wurde ausgeführt, dass eine Handelsgesellschaft nur für den Betrieb eines Handelsgewerbes errichtet werden kann. Denn sie führt in gewisser Hinsicht eine selbständige persönliche Existenz und diese setzt offenbar Dauer und eine äusserliche Erscheinung voraus.
Diese persönliche Existenz wird nun vor allem durch die Firma, also durch einen eigenen gewerblichen Namen bekundet. Denn der Name ist stets die Bezeichnung einer besonderen individuellen Existenz. Bei den Einzelfirmen kommt zwar eine besondere persönliche Existenz nicht vor, die Firma dient hier nur zur Bezeichnung der sachlichen Individualität des Gewerbs. Allein eine Voraussetzung einer selbständigen, auch persönlichen Existenz ist die Annahme einer Firma jedenfalls, weil jedes individuelle Wesen seinen eigenen Namen haben muss. Bei der Gesellschaft ist dies um so klarer, als sie mehrere Personen umschliesst, von denen Jeder seinen eigenen Namen hat. Ueber die Firma einer Gesellschaft selbst brauchen hier die Bestimmungen des III. Titels nicht weiter wiederholt zu werden. Es versteht sich von selbst, dass sämmtliche Bestimmungen dieses Titels auch auf Gesellschaftsfirmen Anwendung finden; manche unter ihnen gelten überdies ausschliesslich nur für Gesellschaftsfirmen. Regelmässig ist in dieser Beziehung bestimmt, dass in solche Firmen nur die Namen von unbeschränkt haftenden Gesellschaften aufgenommen werden dürfen (Art. 26.) Digs schliesst bei Commandit-Gesellschaften die Namen der Commanditisten, und bei Actiengesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit die Namen aller Mitglieder von der Firma aus. Der Grund hiefür liegt darin, dass einem allgemein geltenden Rechtssatze zufolge jede Person, deren Name in der Firma erscheint, auch als unbeschränkt haftender Gesellschafter angesehen wird.
Eine weitere Vorschrift über den Namen von Actiengesellschaften erschien nicht nothwendig. Es ist zuweilen bestimmt, dass Actiengesellschaften ihren Namen von dem Gegenstand ihres Unternehmens hernehmen sollen. Dies ist zwar die Regel, aber keineswegs absolut nothwendig, und es gibt sehr bedeutende Gesellschaften, die ihren Namen anders gewählt haben, z. B. der oesterreichische Cloyd, die Versicherungsgesellschaft Phönix u. dgl. Die Wahl ihrer Firma kann daher Actiengesellschaften unter der obigen Beschränkung freigestellt bleiben.
Art. 71. In diesem Artikel wird die rechtliche Natur der Handelsgesellschaften in allgemeinen Grundzügen characterisirt. Handelsgesellschaften sind zwar keine juristischen Personen im vollen Sinne des Wortes; sie werden aber im Rechte vielfach so behandelt, namentlich nach aussen gegenüber dritten Personen, soweit die Bedürfnisse des Handelsbetriebes dies erfordern, entsprechend der elastischen Natur der Begriffe des Handelsrechts, welche mit denen des gewöhnlichen Civilrechts nicht durchweg zusammenfallen. Handelsgesellschaften sind daher besondere rechtliche Wesen. Sie haben ein besonderes Gesellschaftsvermögen und ihre selbständigen Rechte und Pflichten ; sie erwerben ihr besonderes Eigenthum, und ihre Contracte und sonstigen Rechtshandlungen wirken unmittelbar auf sie selbst und nicht auf die einzelnen Theilnehmer und deren Vermögen. Welche Wirkungen dies auf das persönliche Vermögen der letzteren hat, bleibt deren Auseinandersetzung nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages überlassen. Auch kann eine Handelsgesellschaft vor Gericht selbständig auf ihren Namen handeln. Alles dieses ist in der gegenwärtigen Jurisprudenz allgemein anerkannt, und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung.
Die Folge davon ist, dass das Gesellschaftsvermögen von dem der Theilnehmer gesondert ist. Die letzteren können darüber nicht verfügen, und die Gläubiger derselben können dasselbe nicht in Anspruch nehmen. Ist jemand zugleich Schuldner der Gesellschaft und Privat-Gläubiger eines Partners, so findet zwischen diesen Schulden und Forderungen keine Compensation statt. Im Fall eines Bankerotts werden die Gesellschafts-Gläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen abgesondert befriedigt, und die Privatgläubiger eines Theilnehmers können sich nur an das halten, was dem letzteren zukommt, nachdem die ersteren vollauf befriedigt sind. Durch dieses System wird den Interessen des Handels im höchsten Grade Sicherheit und Garantie gegeben. Der Kernpunkt desselben liegt darin, dass die Handelsgesellschaft ein selbständiges Vermögen hat, über das nur die Firma verfügen kann und zwar nur für die Zwecke der Firma. Dass die Handlungen einzelner Theilnehmer, wenigstens bei der Collectiv-Gesellschaft, als Geschäfte der Firma angesehen werden, ändert hieran nichts; denn die einzelnen Theilnehmer handeln insoweit nicht als private Personen, sondern nur als Träger der Firma. Ihre Handlungen sind für die Firma auch nur insoweit verbindlich, als das Gesellschaftsrecht dies zulässt.
Wo kein Gesellschaftsvermögen existirt, ist auch keine Handelsgesellschaft vorhanden, und alle weiteren in dem Artikel 71. angegebenen Consequenzen können nicht eintreten.
Eine Handelsgesellschaft muss ferner, wie jede physische Person, ein Domicil haben; dieses bestimmt sowohl ihren Gerichtsstand, als auch die Natur ihrer Rechtsverhältnisse überhaupt, welche von dem persönlichen Moment des Ortes bestimmt werden; insbesondere das Recht, welches auf die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft im allgemeinen anzuwenden ist. Das Gesellschafts-Domicil muss der Regel nach durch den Gesell schaftsvertrag bestimmt werden. Thatsächlich wird es immer der Ort sein, wo die Geschäftsleitung ihren Sitz hat. Da Zweigniederlassungen gleichfalls eine Firma führen müssen, so müssen sie auch ihr besonderes Domicil haben an dem Orte, wo sie errichtet werden. Ohne Einfluss auf das Domicil ist der Wohnort der Theilnehmer oder der Gesellschaftsvorstände, oder der Ort, wo etwa gewisse Geschäftszweige der Gesellschaft, z. B. eine Fabrik, oder ein Bergwerk, oder ein Transportunternehmen, betrieben werden. Insoferne ist auch der Ort gleichgültig, von wo aus die Geschäfte geführt werden. Z. B. eine Schifffahrtsgesellschaft, welche den Transport zwischen Yokohama und Shanghai betriebe, könnte in Tokio ihren Wohnsitz haben, ebenso eine Kohlenbaugesellschaft, deren Gruben auf irgend einer der japanischen Inseln gelegen wären. Der Ort der Registrirung ist in dieser Beziehung als leitendes Merkmal anzusehen.
Es gibt eine Reihe von Rechtsverhältnissen, die zwar einen gesellschaftlichen Character haben und auch im Handelsrechte geordnet werden müssen, aber doch mit dem bisher festgestellten Begriff der Handelsgesellschaft nicht zusammenfallen. Um den Begriff der Handelsgesellschaft voll und rein durchzuführen, erschien es angemessen, jene Verhältnisse an dieser Stelle vorweg zu erledigen, weil dadurch das klare Verständniss der Handelsgesellschaften gefördert und deren juristische Behandlung in helleres Licht gestellt wird. Dies ist in den älteren Gesetzbüchern nur unvollkommen geschehen. Es wird zwar vielfach unterschieden zwischen Gesellschaften und Associationen, allein die letzteren werden nicht genügend von den ersteren gesondert, wodurch leicht Missverständnisse herbeigeführt werden können. Das deutsche H. Gesetzbuch behandelt zwar zwei Fälle der sog. Association, getrennt von den eigentlichen Handelsgesellschaften, in einem besonderen Buche, in Buch III., nämlich die sog. stille Gesellschaft und die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften. Allein der. Grund dieser Unterscheidung tritt nicht klar hervor und es wird dadurch der Schein erweckt, als ob die Associationen überhaupt keine Gesellschaften, oder nur halbe Gesellschaften wären, was den Richter in der Gesetzesauslegung irreführen muss.—
Der Entwurf behandelt in den folgenden Artikeln drei verschiedene Fälle der sog. Association. Sie haben alle das gemeinsame an sich, dass sie zwar auf einem Gesellschaftsvertrag beruhen und folglich wirkliche Gesellschaften siiidj aber keine Handelsgesellschaften, da sie kein Gesellschaftsvermögen schaffen. Als Gesellschaften unterliegen sie den Bestimmungen des Civilrechts über gesellschaftliche Verträge, sie sind mithin nichts weiter als obligatorische Verhältnisse. Da sie aber für Handelsgeschäfte oder für Handelszwecke überhaupt eingegangen werden, so werden nicht nur die allgemeinen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über Handelsgeschäfte anwendbar, sondern auch jene civilrechtlichen Bestimmungen hier nach den Principien des Handelsrechts modificirt. Das Grundprincip der Gesellschaft ist, dass was der eine thut, gemeinsam für alle gelten soll; während diese Gemeinschaft aber im Civilrecht nur mittelbar, durch Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftern, bewerkstelligt wird, tritt sie im Handelsrecht unmittelbar und von selbst ein, indem im Handelsrecht Gesellschafter unbedingt als gegenseitige Stellvertreter behandelt werden. Dies ist das leitende Princip bei der Fassung der Bestimmungen des Entwurfes über die hier in Rede stehenden Fälle. Es sind deren drei, nämlich 1, die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften; 2, der Handelsbetrieb auf gemeinschaftliche Rechnung, aber mit gesonderter Geschäftsführung; und 3, die sog. stille Gesellschaft. In allen diesen Fällen handelt es sich nicht um Handelsgesellschaften, sondern nur um Handelsgeschäfte mit der Modification der Gemeinschaft. Insoferne hätten diese Fälle auch in dem späteren Abschnitt über Handelsgeschäfte, soweit sie nach Principien des Handelsrechts normirt werden müssen, ihren Platz finden können, und dies wäre strenge genommen richtiger gewesen. Allein um von der üblichen Behandlungsweise nicht zu weit abzuweichen, zog man cs vor, sie an dieser Stelle abzuhandeln, aber von den Abschnitten über wirkliche Handelsgesellschaften getrennt zu halten. Der logische Faden in den ,, Allgemeinen Bestimmungen ” dieses VI. Titels ist demnach der, dass zuerst angegeben wurde, was Handelsgesellschaften sind, und sodann, was keine Handelsgesellschaften sind, obwohl auf die letzteren Fälle das handelsrechtliche Princip der Gemeinschaft Anwendung findet.
Es verdient bemerkt zu werden, dass der französ. Code de commerce Art. 47. ff. unter der association en participation etwas ganz anderes versteht, als der italienische Art. 177. ff. Ersterer bezeichnet mit diesem Namen die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften ; letzterer dagegen die sog. stille Gesellschaft. Ebenso das spanische Gesetzbuch Art. 354-358. Diese Widersprüche müssen vermieden werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, hier ein für allemal zu erinnern, dass es sich in den genannten Fällen niemals um eine Handelsgesellschaft, sondern nur um Handelsgeschäfte handelt, welche von Mehreren gemeinsam ausgeführt werdpn und in dieser Beziehung dem Princip der. Gemeinschaft unterliegen.
Im allgemeinen wird der Gesellschaftsvertrag durch die gegenseitige Zusage einer das Vermögen betreffenden Gemeinschaft geschlossen, und zwar in Bezug auf Gewinn oder Verlust. An sich ist dies nur ein Vertragsverhältniss zwischen den Contrahenten selbst; in dem Verhältniss zu dritten Personen macht die bestehende Societät unmittelbar und an sich keine Veränderung, oder doch, wie im französ. Recht (Code Nap. Art. 1862. ff.) nur eine theilweise. Jeder Associé macht seine Geschäfte persönlich wie sonst mit Anderen, er ist aber verpflichtet, an dem Resultat dieser Geschäfte den anderen Associé theilnehmen zu lassen, und ebenso muss dieser etwaige Verluste aus seinem Vermögen dem Associé ersetzen. Diese Grundsätze gelten auch für das Handelsrecht, nur mit dem Unterschied, dass die Gemeinschaft unmittelbar nach aussen wirkt, indem hier die Abschliessung des Gesellschaftsvertrages als gegenseitige Bevollmächtigung und Uebernahme der Verantwortlichkeit behandelt wird, nach dem Princip: Einer für Alle, und Alle für Einen. Dieses Princip ist durchschlagend für jede Art handelsrechtlicher Gemeinschaft, es besteht nicht blos für förmliche Handelsgesellschaften, und aus der Anwendung dieses Princips auf die hieher gehörigen drei Fälle ergibt sich die Rechtfertigung des Inhaltes der folgenden Artikel.
Noch muss hier bemerkt werden, dass wenn auch diese Verträge nicht den Bestimmungen über die Gründung von Handelsgesellschaften unterliegen, sie doch Verträge über Handelsgeschäfte sind und desshalb zunächst die allgemeinen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über Handelsgeschäfte, z. B. über Schriftlichkeit, über Verjährung, über Zinsenansprüche u. dgl., subsidiär aber die Bestimmungen des Civilgesetzbuches darauf anwendbar sind.
Art. 72. Der erste Fall betrifft die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften oder Unternehmungen auf gemeinschaftliche Rechnung. Z. B. mehrere verabreden sich, gemeinsam ein Pferd zu kaufen, um es wieder verkaufen oder um es bei einem Wettrennen laufen zu lassen u. dgl. Wirft das Geschäft Gewinn ab, so wird dieser nach Verabredung unter die Contrahenten getheilt ; ergibt sich Verlust, müssen sie ihn gleichmässig tragen. Dieses Geschäft ist offenbar ein Handelsgeschäft, aber es bewirkt keine Handelsgesellschaft, weil der Vertrag nicht auf den Betrieb eines Handelsgewerbes geht. Rücksichtlich der stipulirten Gemeinschaft sind nun darauf lediglich die Bestimmungen des Civilgesetzes anzuwenden, z. B. hinsichtlich des Massstabes für die Theilung von Gewinn und Verlust, hinsichtlich der Nothwendigkeit des Consenses, oder der Anwendung des Billigkeitsprincips u. s. w. Nur eine Ausnahme wird hievon in dem Entwurfe statuirt, dass nämlich die Handlungen, die in Ausführung des Vertrages gethan werden, unmittelbar für und gegen alle Contrahenten wirksam sein -soll. Hat also nur ein Contrahent das Pferd gekauft, so soll doch auch der andere Contrahent aus dem Kaufvertrag berechtigt und verpflichtet sein ; ebenso wenn der eine Contrahent das Pferd wieder verkaufen würde. Dieses Princip erleidet in der modernen Jurisprudenz keinen Zweifel, es ist auch der Billigkeit gemäss. Wenn zwei Personen ein gemeinsames Geschäft machen, so werden sie dadurch insoweit zu einer Person, die aber in zwei physischen Individuen auftritt. Beide tragen Gewinn und Verlust gemeinsam, es ist also für sie ganz gleich, wer nach aussen zahlt oder von aussen her factisch erwirbt. Wenn A das Pferd kauft und B den Preis-bezahlt, so ist cs ganz dasselbe, als wenn B gekauft und A bezahlt hätte; denn beide stehen in Gemeinschaft und jeder wird in Bezug auf Gewinn und Verlust von dem anderen gedeckt. Es ist offenbar ganz gleich, ob A 100 Doll. an den Verkäufer zahlt und dazu 50 Doll, von B bekommt,oder ob B die 100 D. bezahlt und dafür 50 D. von A bekommt. Allerdings nur unter der Voraussetzung vollkommener Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit beider Theile. Allein diese muss im Handelsrecht, und besonders beim Gesellschaftsvertrag, unbedingt vorausgesetzt werden, und ihre Voraussetzung trägt dazu practisch nicht wenig bei.
Es ist daher nicht zu billigen, wenn das deutsche H. Gesetzbuch Art. 269. die Unmittelbarkeit des Resultats für sämmtliche Theilnehmer davon abhängig macht, dass ein Theilnehmer zugleich im Namen und Auftrag der übrigen aufgetreten ist. Der Gesellschaftsvertrag enthält stillschweigend von selbst den Auftrag und kann ohne diesen nicht gedacht werden. Allerdings nur nach aussen ; nach innen ist es wohl möglich, dass einem Theilnehmer ein gewisses Handeln, z. B. gerade der Ankauf des Pferdes untersagt wird. Wenn dieser nun dennoch kauft, so verletzt er den Gesellschaftsvertrag und wird dadurch dem Mitcontrahenten haftbar für Schaden. Allein nach aussen kann dies keinen Unterschied machen. Bringt das Geschäft Gewinn, so hat der andere ohne weiteres daran Antheil; bringt es aber Verlust, so muss dieser doch von allen gemeinsam getragen werden. AVer also speciell handelte, und ob in Uebereinstimmung mit den speciellen Verabredungen der Associés, dies kann auf das Verhältniss nach aussen keinen Einfluss haben, wie es auch bei förmlichen Handelsgesellschaften keinen solchen hat.
Ebenso ist es gleichgültig, ob der eine ausdrücklich im Namen der übrigen handelte. Factisch muss dies immer der Fall sein und dies genügt im Handel. Im Handelsrecht erwirbt man sehr häufig Rechte gegen dritte Personen, von denen man beim Abschluss des betreffenden Vertrages nichts gewusst hat. Allerdings setzt die Geltendmachung solcher Rechte mindestens nachträgliche Kenntnissnahme voraus; allein dies muss der Klugheit und Erfahrung jedes Geschäftsmannes überlassen bleiben. Der französ. Code de commerce Art. 49. bestimmt, dass der Beweis solcher Associationen durch Handelsbücher, die Correspondenz und auch durch Zeugenaussagen geliefert werden kann. Hierüber lässt sich jedoch nichts näheres feststellen. Die Mittel, durch welche Jemand von der Existenz eines solchen Vertrages Kenntniss erhält, werden auch als Beweismittel zu benützen sein, falls er bestritten wird.
Der Auftrag der Theilnehmer geht nicht nur auf das unmittelbar beabsichtigte Geschäft, sondern auch auf das, was zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks mittelbar nothwendig ist. Wenn z. B. zur Entrichtung des Kaufpreises ein Wechsel gezogen oder wenn ein Commissionär als Zwischenperson benützt wurde, so sind die übrigen auch für die hierdurch entstandenen Kosten haftbar. Auch ist die solidarische Verhaftung aller übrigen nicht davon abhängig, dass das beabsichtigte Geschäft auch wirklich zu Stande kam, sondern es genügt, wenn in Ausführung des Gesellschaftsvertrages überhaupt ein Rechtsverhältniss zu dritten Personen entstanden ist.
Die unmittelbare Wirkung des Geschäfts für die übrigen Theilnehmer ist von deren Genehmigung unabhängig; es muss also auch gleichgültig sein, ob der Handelnde die ihm etwa gegebenen Instructionen überschritt oder nicht. Nach Gesellschaftsrecht ist jeder Gesellschafter verpflichtet, das Interesse der übrigen als das seine zu betrachten und mit vollster bona fides gegen sie zu verfahren. Dritte Personen, die mit einem Theilnehmer Geschäfte machen, sind daher berechtigt, hiebei das Vorhandensein dieser Erfordernisse zu supponiren, und das Gegentheil davon kann nicht sie selbst, sondern nur die Gesellschafter unter sich treffen. Vgl. auch die Art. 395. 397.
Art. 73. Der zweite Fall betrifft die Verabredung gesonderter Geschäftsführung, aber gemeinschaftlicher Theilung von Gewinn und Verlust. Ein solcher Vertrag scheint kein Gesellschaftsvertrag zu sein, da keine Beiträge für einen gemeinsamen Zweck gemacht werden. Allein dies ist nur scheinbar, weil jeder Theil seine Geschäfte mit den nöthigen Mitteln führen muss, diese Mittel aber thatsächlich durch das Resultat gemeinsamen Gewinns und Verlustes gemeinschaftlich gemacht werden. Auch wird einem solchen Vertrag regelmässig eine Coalition zu Grund liegen, nämlich die Verabredung gemeinsamer Grundsätze der Geschäftsführung, wodurch jeder Theil gegen den anderen Verpflichtungen übernimmt, die in die Kategorie von Beiträgen gesetzt werden können. Diese Coalition kann sich auf die Normirung der Preise, auf die Beobachtung gewisser Geschäftsregeln, überhaupt auf das Verhalten gegenüber dem Publicum beziehen. Eine Coalition ist noch keine Gesellschaft, sie wird dies aber dadurch, dass das Moment der Gemeinschaft von Gewinn und Verlust hinzutritt. Diese Gemeinschaft soll nun auch in diesem Falle die Gemeinschaft der Rechte und Verpflichtungen nach sich ziehen, aus demselben Grunde und in derselben Weise, wie im ersten Falle.
Wenn z. B. der Verkehr zwischen verschiedenen Orten von mehreren Dampfern, die verschiedenen Eigenthümern gehören, besorgt wird, so liegt unter den vorhin genannten Voraussetzungen ein Gesellschaftsverhältniss vor, wenn auch keine förmliche Handelsgesellschaft. Es kann dabei vorkommen, dass der Führer eines Schiffes auch zur Führung der anderen Schiffe verwandt wird, dass die Billete eines Schiffes auch für die übrigen gelten, dass sie die täglichen Fahrten nach einem bestimmten Plan unter sich vertheilen, dass der von einem Schiffe übernommene Gütertransport gelegentlich auch von andern Schiffen besorgt wird, dass wenn ein Schiff reparaturbedürftig wird, dessen Fahrten von den anderen Schiffen übernommen werden u. dgl. Diese und andere Verabredungen stehen in dem Belieben der betheiligten Eigenthümer, sie können mehr oder minder weit gehen, auf das Rechtsverhältniss selbst nach aussen sind sie ohne Einfluss. Es kann ein solcher Vertrag auch zwischen verschiedenen Eisenbahnen, zwischen einer Bahn- und einer Canalgesellschaft, zwischen mehreren Fabrikoder Handelsetablissements u. s. w. geschlossen werden. Die Verabredung der Theilung von Gewinn oder Verlust ist immer das entscheidende ; thatsächlich wird und muss diese auch eine wenigstens thatsächliche Gemeinschaft des Betriebs bedingen, wenn auch die Geschäfte an sich getrennt geführt werden. Mit Ausnahme dieses letzteren Punktes liegen die Dinge rechtlich hier ganz ebenso wie im ersten Falle es müssen also auch dieselben Rechtsfolgen eintreten.
Nur die Ausnahme wird hier gemacht, dass dritten Personen, oder gegen dritte Personen, welche mit den Theilnehmern Geschäfte machen, die Einrede der Vorklage gestattet wird. Dies ist eine Concession an die Thatsache der getrennten Geschäftsführung. Es würde, wenn diese vertragsmässig besteht, zu grosse Störungen und Verwicklungen herbeiführen, wenn jeder Theil unmittelbar und sofort von Dritten Zahlungen annehmen oder an Dritte Zahlungen leisten könnte. Bei Unternehmungen von. irgend grösserem Umfange würde dies den Geschäftsbetrieb unnöthig erschweren und die gegenseitigen Abrechnungen ungemein verwickeln. Es ist daher bestimmt, dass dritte Personen zunächst sich an denjenigen Theil zu halten hat, mit dem es unmittelbar zu thun hatte; und erst subsidiär der andere Theil, gleich einem Bürgen, haftbar sein soll. Die gleiche Ordnung soll Umgekehrt beobachtet werden bei Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte. In dieser letzteren Beziehung ist jedoch zu unterscheiden. Gesetzt A und B stehen in Gemeinschaft, und Jemand schuldet eine gewisse Summe dem A. Würde er diese Summe an B zahlen wollen, so könnte dieser ihn abweisen und zur Zahlung an A verweisen. Das Anerbieten der Zahlung an B würde also kein legales Anerbieten (legal tender) sein. Würde aber der Schuldner von B auf Zahlung der schuldigen Summe belangt, so könnte er dagegen geltend machen, dass er unmittelbar nur Schuldner des A sei. Eine Einrede der Vorklage im strengen Sinne des Wortes wäre dies offenbar nicht. Auch ist es mehr eine Sache der Geschäftsordnung zwischen den betheiligten Gessellschaftern, ob der eine Zahlungen für den anderen soll annehmen oder eintreiben dürfen. Hierüber braucht daher nichts besonderes erwähnt zu werden. Der andere Theil wird aus den Geschäften eines Theilnehmers nur berechtigt, er kann aber nicht gezwungen werden, sein Recht unmittelbar auszuüben. Wenn er es thut, wird dies auf Vereinbarung beruhen, und der andere Theilnehmer muss dies für sich anerkennen. Thut er es nicht, so wird dies zufolge der zwischen ihnen vereinbarten Geschäftsordnung geschehen, die von Dritten anerkannt werden muss. Durch die Umstände (z. B. Zahlung von Billeten an der Gasse, oder im Bureau u. s. w.) und durch geeignete Notificationen in den Geschäftslocalen kann leicht jeder Irrthum verhütet werden.
Art. 74. Der dritte Fall betrifft die sog. stille Gesellschaft, d. i. die beschränkte und rein passive Theilnahme am Handelsbetrieb eines Anderen mit einem festen Vermögensbeitrag. Ein stiller Theilnehmer ist nicht immer ein verhüllter oder unbekannter Theilnehmer (dormant partner), sondern er erscheint nach aussen überhaupt nicht als Gesellschafter und nimmt mehr die Stellung eines Darleihers ein, obwohl sein Beitrag den Gläubigern wie jeder Gesellschaftsbeitrag haftet, er also in dieser Beziehung hinter den Gläubigern der Firma zurückstehen muss. Die wesentlichen Punkte, auf die es in diesem Artikel ankommt, sind folgende:
Der Handelsbetrieb kann sowohl in dem Betrieb von einzelnen Geschäften und Unternehmungen, als auch von Handelsgewerben bestehen; im letzteren Falle kann man auch an einer Gesellschafts-firma sich betheiligen.
Die Vermögenseinlage muss eine feste sein, also ein bestimmter Werthbetrag oder ein specielles Vermögensobject (ein Haus, Grundstück etc.). Capitalbeiträge können auf einmal oder in Baten gezahlt, es kann auch eine eventuelle Erhöhung vereinbart werden. Immer aber müssen es fixe Beiträge sein, und die Verpflichtung darf nicht das ganze persönliche Vermögen des Theilnehmers begreifen.
Der Theilnehmer erhält nicht, wie ein Darleiher, einen festen Zins, sondern nur Antheil am Gewinn oder Verlust. Er trägt also das Risiko des Geschäfts gleich dem Principal, und die Geschäftsführung geht mit auf seine Rechnung. Wenn ihm ein Gewinn von gewisser Höhe, z. B. 10%., vom Principal garantirt wird, so hat dies nach aussen keine Gültigkeit, da er nur vom wirklichen Gewinn Antheil erhalten kann, und wenn solcher nicht eintritt, eine Dividende nicht zum Nachtheil der Gläubiger bezahlt werden kann. Das gleiche ist zu urtheilen, wenn etwa das Capital selbst sicher gestellt würde; eine Hypothek würde für die Gläubiger nicht bindend sein, wenn diese dadurch in ihren Forderungen verkürzt würden.
Der Principal wird Eigenthümer des Beitrages. Es entsteht also kein Gesellschaftsvermögen und der stille Theilnehmer hat durchaus keine Verfügungsgewalt über dasselbe. Es ist daher auch keine Handelsgesellschaft entstanden. Durch die Einlage wird folglich das Gewerbe des Principals in keiner Weise verändert. Es bleibt Einzelfirma, wenn es eine solche ist; wenn es eine Gesellschaftsfirma ist, wird zwar der Beitrag Gesellschaftsvermögen, allein nicht in Bezug auf den stillen Theilnehmer. Folglich versteht es sich von selbst, dass sein Name nicht in der Firma erscheinen darf; sobald dies geschähe, wäre er als voller Gesellschafter und als Mitinhaber des Gesellschaftsvermögens zu betrachten, und seine beschränkte Haftung wäre nicht mehr aufrecht zu erhalten. Dasselbe wäre der Fall, wenn er sich an der Geschäftsführung betheiligte und als activer Partner aufträte.
Sind nun alle diese Bedingungen erfüllt, so haftet der stille Theilnehmer nur bis zum Betrage seiner Einlage, und ist diese voll entrichtet, so geht seine Verpflichtung nicht weiter, als dieselbe unverkürzt in der Firma zu belassen als Theil des Capitalstocks für die Operationen der Firma und eventuelles Befriedigungsobject für deren Gläubiger. Nach dem Princip, dass in der Gesellschaft, so weit sie geht, auch immer Auftrag und Genehmigung im Verhältniss zu dritten Personen liegt, können dritte Personen unmittelbar den stillen Gesellschafter haftbar machen, soweit seine Einlage noch nicht eingezahlt worden ist. Dagegen kann der stille Theilnehmer gegen die Schuldner der Firma keinen directen Anspruch haben, weil sein Vertrag nur auf Gewinnantheil lautet, der durch die Geschäftsführung des Principals vermittelt werden muss. Der letztere muss also in Bezug auf dritte Personen als legaler Stellvertreter des stillen Theilnehmers angesehen werden. Die Haftung dieses letzteren selbst ist auf den Betrag seiner Einlage beschränkt; denn diese ist der ausdrückliche Zweck des abgeschlossenen Vertrages und jede weitere Haftung wird durch seine passive Stellung zur Firma ausgeschlossen.
Im vorhergehenden wurde der Kürze wegen immer nur von stiller Betheiligung an einer Firma gesprochen; es treten aber ganz die gleichen Rechtsfolgen ein, wenn Jemand sich als stiller Theilnehmer an einer einzelnen Speculation oder Unternehmung betheiligt.
Es kann auch vorkommen, dass mehrere Personen sich in der genannten Weise an dem Gewerbe oder den Geschäften eines Anderen betheiligen, ohne zu einander in Vertragsbeziehungen zu treten oder selbst von einander zu wissen. Hierdurch wird das Rechtsverhältniss der mehreren Theilnehmer zu dieser Person oder Firma nicht geändert. Unter sich aber müssen sie sich gegenseitig als Gläubiger anerkennen, soweit sie als solche berechtigt sind, nämlich hinsichtlich ihrer fälligen Gewinnraten und hinsichtlich ihres etwa herauszuzahlenden Antheils nach der Beendigung des Vertrages,
Art. 75. Die stille Theilnehmerschaft ist lösbar, es kann also das eingezahlte Capital zurückgezogen werden, ohne dass dies auf den Fortbestand der Firma Einfluss hätte. Zunächst durch Zeitablauf, wenn sie auf bestimmte Zeit eingegangen wurde; sodann durch Kündigung, wenn auf unbestimmte Zeit, und damit ist ein Vertrag auf Lebenszeit gleichbedeutend. Es muss aber in diesem Falle eine Kündigungsfrist eingehalten werden, welche 6 Monate betragen soll, wenn sie nicht durch Vertrag anders vereinbart wurde. Die ausserdem in diesem Artikel genannten Auflösungsgründe rechtfertigen sich dadurch, dass zwischen den Parteien ein Gesellschaftsverhältniss bestand, welches nach gewöhnlichen Grundsätzen durch die angeführten Thatsachen sich lösen muss. Wenn sich diese Thatsachen in der Person des stillen Theilnehmers ereignen, tritt die Folge der Auflösung nicht ein, sondern das Verhältnis geht auf seine Rechtsnachfolger über, da auf seiner Seite das Gesellschaftsverhältniss ein so beschränktes ist, dass es sich wenig von einem blossen Darlehen unterscheidet. Hier muss gegebenen Falles das Recht der Kündigung genügen. Wenn der stille Theilnehmer seinerseits in Bankerott verfällt, so muss seine gesammte Vermögensmasse verwaltet und unter die Gläubiger vertheilt werden. Im Conflict der Interessen der letzteren mit denen der Firma muss die letztere vorgehen nach dem Grundsatze : melior est conditio possidentis (der Besitzstand gibt den Vorzug.)
Von selbst versteht es sich, dass das Verhältniss jederzeit durch gegenseitige Uebereinkunft gelöst werden kann; dies braucht daher nicht besonders erwähnt zu werden. Das gleiche gilt von der Uebertragung der stillen Theilnehmerschaft auf andere, da ein Gesellschaftsverhältniss immer einen persönlichen Character hat und desshalb unübertragbar ist, soferne nicht, wie bei Actien, eine Rechtsform gewählt wird, welche die Uebertragung ermöglicht.
Im deutschen H. Gesetzbuch Art. 262 ist auch die einseitige Auflösung gestattet, wenn dazu wichtige Gründe vorhanden sind. Dies dürfte aber nicht zu billigen sein, und ist eine hier nicht gerechtfertigte Uebertragung von Grundsätzen der Collectiv-Gesellschaft. Die Haftung bei der letzteren ergreift das ganze persönliche Vermögen, und ein Gesellschafter bedarf daher hier eines grösseren Schutzes; dagegen die stille Gesellschaft ist auf feste Einlagen beschränkt, diese werden auf Gewinn und Verlust hin gemacht, treten durch das Verhalten des anderen Theiles unerwartete Verluste ein, so muss das Recht der Kündigung genügen. Wird aber der Vertrag auf bestimmte Zeit geschlossen, so hat man sich des Rechtes der Kündigung auf so lange begeben, man kann es daher nicht nachher wieder in Anspruch nehmen wollen.
Art. 76. Die Rückzahlung der Einlage ist die nothwendige Folge der Aufhebung des Vertrages. Ist kein Verlust eingetreten, dann muss die volle Einlage zurückgezahlt werden ; ist sie vermindert, dann nur der noch übrig gebliebene Theil. Die Verpflichtung des stillen Gesellschafters geht auf nicht mehr als seine Einlage, zu deren späterer Erhöhung er gegen seinen Willen nicht gezwungen werden kann. Sie erhöht sich aber auch nicht von selbst durch andere Summen, welche er in dem Geschäfte etwa stehen lässt, namentlich durch fällig gewordene, aber noch nicht erhobene Gewinne. Diese können von ihm jederzeit zurückgezogen werden, gleichviel ob es factisch geschieht oder nicht, Gewinne sind aber nur vorhanden, so lange kein Verlust stattgefunden hat. Ist daher eine Einbusse in einem Geschäftsjahr gemacht worden, so kann kein Gewinn bezahlt werden ; wird im nächsten Jahre wieder mit Gewinn gearbeitet, so ist dies insolange kein fälliger Gewinn, als nicht die ursprüngliche Einlage wieder completirt ist. Z. B. die Einlage betrug 1000 Doll. Wenn in einem Jahre das Capital sich um 10% verminderte, also auf 900 Doll. herabginge, und im nächst folgenden Jahre ein Gewinn von 15% gemacht würde, so würde dies zwar einen Gewinn von 135 I). ausmachen, aber fällig zur Auszahlung würden nur 35 D, werden, da 100 D. erst zur Completirung der Einlage zu verwenden wären, Solche Gewinne aber, die in einem Jahre wirklich fällig wurden, können jederzeit beansprucht werden, auch wenn später die Einlage durch neue Verluste wieder vermindert würde. Gewinne dürfen also immer nur insoweit zurück behalten werden, als sie auf eine gleichzeitig verminderte Einlage fallen würden.
Art. 77. Dem stillen Theilnehmer ist jeder Antheil an der Geschäftsführung untersagt, da er dadurch der Haftung mit seinem gesammten Vermögen verfallen würde. Er ist aber nicht gehindert, in dem Geschäfte mitzuarbeiten, als Gehülfe, als technischer Beamter, als Capitain u, dgl., nur darf er nicht die Befugnisse eines Principals ausüben. Die Stellung eines Procuristen ist zwar der eines Principals factiseh in den meisten Beziehungen gleich, aber er gilt doch nur als Vertreter des Principals, und handelt niemals im eigenen Namen und auf eigene Beeilung, sondern nur im Namen des Principal», Es wäre daher nicht zu billigen, wenn man Procuristen die stille Betheiligung an einer Firma verwehren wollte,
Art. 78. Dieser Artikel bestimmt zunächst, dass die Parteien den Antheil an Gewinn und Verlust selbst vereinbaren können. Dies ist desshalb billig, weil sie am besten den Antheil eines Jeden an den Ergebnissen des Geschäfts oder Gewerbs zu beurtheilen wissen werden, Gesetzt Jemand trägt eine neue, äusserst lucrative Erfindung, der Andere aber nur Capital bei, so wird es durchaus begründet sein, wenn dem ersteren, wenigstens auf eine gewisse Zeit, ein grösserer Antheil am Gewinn, vielleicht eine jährliche fixe Summe eingeräumt wird, Die Verhältnisse können in dieser Beziehung sehr verschieden sein, so dass das Gesetz zunächst keine feste Regel aufstellen darf. Namentlich bleibt es den Contrahenten auch unbenommen, verschiedene Antheile an Gewinn und beziehungsweise an Verlust zu vereinbaren. Auch die Vereinbarung wäre gültig, dass ein Theilnehmer gar keinen Verlust tragen solle; aber nur zwischen den Contrahenten selbst, nicht gegenüber dritten Personen. Denn diesen gegenüber erscheint jede Gesellschaft als Bevollmächtigung, und die Rechtsfolgen daraus können zum Nachtheil anderer Personen nicht abgelehnt werden. Sind aber ausdrückliche Vereinbarungen über das Theilungsverhältniss nicht getroffen, so entscheidet die allgemeine Regel der Gleichheit, wie auch im Civilrecht. Jeder hat dann im Verhältniss seines Antheils zum Ganzen Gewinn und Verlust zu übernehmen. Gesetzt das gesammte Capital betrüge 1000 D., und einer hätte 800, der andere 200 beigetragen ; so würde der erste 4/5 der zweite 1/5 zu tragen haben. Also bei 10% Gewinn der erste 80, der zweite 20; bei 20% Verlust der erste 160, der zweite 40, u. s. f. Diese Berechnung setzt voraus, dass die Einlage eines Theilnehmers nach ihrem Geldwerth im Verhältniss zu dem Geschäftscapital in Geld abgeschätzt wird, was ohnedies in dem jährlich aufzunehmenden Inventar geschehen muss. Ist dies unterlassen worden und es erhebt sich später Streit darüber, so muss der Werthbetrag der Einlage vom Richter nach billigem Ermessen ermittelt werden.
Art. 79. Im Fall der Bankerotts kann der Theilnehmer nicht unter den Gläubigern auftreten; er steht vielmehr hinter diesen zurück, weil das Geschäft oder Gewerbe auch mit auf seine Rechnung betrieben wurde, also die Schulden desselben proportionell auch seine Schulden sind. Gewöhnlich ist in einem solchen Fall das ganze Capital verloren, und damit auch die Einlage des Theilnehmers. Kann aber ein Theil gerettet werden, durch Vergleich oder sonst wie, so erstreckt sich dies auch auf die Einlage, die sodann in dem Verhältniss als Totalverlust abgewendet werden kann, an den Theilnehmer zurückerstattet werden muss. Es ist aber auch möglich, dass in Bezug auf Verluste der Theilnehmer besser gestellt ist, als der Principal, und solche Stipulationen sind dann auch im Fall eines Concurses geltend zu machen. Wenn also auch das ganze Capital des Principals verloren wäre, könnte doch ein Theil der Einlage möglicher Weise für den Theilnehmer gerettet werden. Nur die Verabredung, dass der Theilnehmer den Verlust überhaupt nicht mittragen solle, wäre ungültig, soweit dritte Gläubiger dadurch schlechter gestellt würden. Denn es würde gegen die bona fides verstossen, wenn Jemand, der Jahre hindurch mit dem Principal fette Gewinne eingestrichen hat, nun wenn die Verluste kommen, die Gemeinschaft der Ergebnisse nicht mehr gelten lassen wollte.
In Bezug auf den Betrag der Einlage, der an den Theilnehmer zurückzuzahlen ist, sowie auf die fällig gewordenen Gewinne ist der Theilnehmer als gewöhnlicher Gläubiger anzusehen, und kann als solcher seine Rechte auch im Concurse zugleich mit den übrigen Gläubigern geltend machen.
Für den Fall des Concurses ist auch im deutschen H. Gesetzbuch Art. 258 den Gläubigern des Principals ein directer Anspruch gegen den Theilnehmer auf Entrichtung des etwa noch rückständigen Verlustantheiles der Einlage zugestanden, und nach Art. 260 auch für den Fall, dass die stille Gesellschaft mit Willen des Theilnehmers nach aussen bekannt gemacht wurde. Im übrigen gilt im deutschen Handelsrecht der stille Theilnehmer den Gläubigern als direct nicht verpflichtet nach Art. 256. Diese Bestimmungen erscheinen aber inconsequent, da insbesondere das Moment der Notification bei einem wirklich vorliegenden Gesellschaftsverhältniss wie hier keine so entscheidende Bedeutung haben kann, und regelmässig nur die Bedeutung hat, denjenigen, an welchen die Notification ergeht, in eine gewisse Verpflichtung zu versetzen. Sie stehen auch mit dem sonst herrschenden Princip im Widerspruch, wornach ein dormant partner, wenn er nur auf irgend eine Weise ausfindig gemacht wird, stets wie ein Gesellschafter haften muss, und kann der Umstand, ob er selbst sich als solchen entdeckte oder entdecken liess, durchaus keinen Unterschied begründen.
Das deutsche H. Gesetzbuch hat auch noch einige weitere Bestimmungen für den Fall, dass binnen einem Jahre nach dem Austritt des Theilnehmers der Concurs des Principals ausbricht. Diese Bestimmungen erscheinen gleich falls nicht nachahmenswerth, da sie den Theilnehmer zu sehr in die Stellung eines vollen oder offenen Gesellschafters versetzen. Der stille Theilnehmer ist nur mit einem Capital betheiligt, und es kann ihm nicht verwehrt sein, sich zurückzuziehen gleich einem Darleiher, wenn dauernde Verluste zu befürchten sind. Das Recht jedes Gläubigers sich zu salviren, muss auch ihm eingeräumt werden, da er keinen förmlichen Gesellschaftsfond mit seiner Einlage gebildet hat. Wenn freilich der Principal ihm fraudulös zum Schaden der übrigen Gläubiger sein Geld zurückzahlen wollte, oder wenn durch seinen Austritt vielleicht erst der Concurs herbeigeführt würde, dann würde ihm das Recht des freien Rücktrittes nicht zugestanden werden können. Doch sind dies Beschränkungen, welche unter gewissen Voraussetzungen jeden Gläubiger überhaupt treffen, und in dem Abschnitte über den Bankerott ihren Platz finden müssen.
Art. 80. Die Bestimmung dieses Artikels bezieht sich nicht blos auf den Fall der stillen Gesellschaft, sondern auch auf die beiden anderen Fälle in Art. 72 und 73 behandelten Fälle. Sie entspricht der allgemeinen Regel, dass wer für einen anderen Geschäfte geführt hat, darüber Rechnung legen muss. Zur Rechnungslegung gehört aber nicht blos die rechnerische Mittheilung des geschäftlichen Ergebnisses, sondern ferner auch einmal die Vorlage der vorhandenen Rechnungsbelege, als Rechnungen, Quittungen und dergl, und sodann die Liquidation, nämlich die Abwicklung und Herauszahlung des auf den Theilnehmer treffenden Antheiles, oder die Mittheilung des Verlustes, zu welchem derselbe beizutragen hat. Dazu wurde weiter noch vorgeschrieben, dass der stille Theilnemer auch berechtigt sein soll, die Handelsbücher und Documente des Principals zu prüfen. Obgleich der letztere für die von ihm gestellte Rechnung verantwortlich ist, erscheint es doch billig dem Theilnehmer, der in vieler Beziehung mehr wie ein Darleiher gebunden ist, dieses Recht zuzugestehen, um so mehr als er auf die Geschäftsführung selbst keinen Einfluss üben kann. Diese Bestimmung bezieht sich aber nur auf die Theilnahme an dem Gewerbe eines Anderen, da nur für ein solches Handelsbücher und Bilanzen geführt werden. Bei der Theilnahme an einzelnen Geschäften, gleichviel ob von Handelsleuten oder nicht, kann die Einsichtnahme der Bücher nicht gefordert werden, denn für einzelne Handelsgeschäfte besteht die Verpflichtung der Buchführung gesetzlich nicht, wenn auch solche einzelne Geschäfte in den Betrieb eines Gewerbes auf der Seite des Handelsmannes fallen mögen. Denn der Theilnehmer steht ausserhalb des Handelsgewerbes, in Bezug auf ihn ist die Verpflichtung der Buchführung nicht vorhanden. Diese Verpflichtung zur Vorlage der Handelsbücher in Verbindung mit Rechnungslegung ist übrigens mit der viel weiteren in Art. 38 normirten Verpflichtung im Laufe eines Rechtsstreites nicht zu verwechseln.
Cap. 1. Von der Collectivgesellschaft.
§ I. Errichtung der Gesellschaft.
Art. 81. Dieser Artikel bestimmt das Wesen der Collectivgesellschaft, als einer der drei Arten der Handelsgesellschaft, auf der Grundlage der vorausgehenden allgemeinen Bestimmungen. Es muss also vor allem ein der Gesellschaft ausschliessend zustehendes Gesellschaftsvermögen gebildet werden, und dies kann nur durch Beiträge geschehen, die jeder Gesellschafter dazu gibt. Unter dem gemeinsamen Fond ist also nicht eine beliebige Beitragsleistung zu verstehen, sondern nur eine solche, die ein Gesellschaftsvermögen begründet mit den in Art. 71 angegebenen Erfordernissen. Dies ist mit der Absicht der Errichtung einer Collectivgesellschaft von selbst gegeben, es braucht also nicht ausdrücklich gesagt und kann auch nicht durch einen gegenteiligen Willen geändert werden. Im einzelnen sind nun in diesem Artikel folgende Punkte zu beachten:
1, die Zahl der Mitglieder kann nicht mehr als 7 betragen. Diese Vorschrift rechtfertigt sich dadurch, dass bei einer grösseren Anzahl die Mitgliedschaft für die meisten nur eine nominelle sein wird, da viele Personen unmöglich an dem Geschäftsbetrieb mit allen Rechten und Pflichten eines Principals Theil nehmen können. Die Geschäftsführung würde also an eine kleine Minderzahl fallen, und diese hätte Gelegenheit, ohne wirkliche Controle über das gesammte persönliche Vermögen der Uebrigen zu verfügen. Darin liegt eine Gefahr des Schwindels, welche von der Gesetzgebung verhütet werden muss. Die Zahl 7 wurde nach dem Vorgang der englischen Gesetzgebung angenommen, da es von practischem Werth ist, dass dergleichen Bestimmungen bei verschiedenen Völkern möglichst gleichmässig getroffen werden.
2, Die Beiträge können bestehen in Geld oder in anderen übertragbaren Sachen, die einen Geldwerth haben, als Grundstücken, Häusern, Waaren, Erfindungen, Patenten, in einem Complex von Sachen und Rechten, wie z. B. einem bestehenden Gewerbe, u. dgl; ferner in persönlichen Leistungen, Kenntnissen und Arbeiten. Regelmässig geht an den Sachen das Eigenthum auf die Gesellschaft über; es können jedoch auch blosse Berechtigungen an Sachen beigesteuert werden, z. B. der Niessbrauch oder Gebrauch (jouissance)einer Sache. Im letzteren Falle bleibt das Eigenthum bei dem Beitragenden und damit auch die Gefahr. Wenn also z. B. ein Haus abbrennt, so hat diesen Verlust der Eigenthümer und nicht die Gesellschaft zu tragen. Der Beitrag selbst aber geht auf die gemeinsame Gefahr der Gesellschaft; ist dieser durch den Brand des Hauses vernichtet, für immer oder zeitweilig, so bleibt der Eigenthümer immer noch in der Gesellschaft antheilsberechtigt. Ebenso wenn ein Mitglied durch Krankheit an der fortgesetzten Leistung versprochener Dienste gehindert würde.
Der Name als solcher bildet keinen Gegenstand eines Beitrages zur Gesellschaft, obgleich er zum Renommee derselben nicht wenig nützen kann. Denn der Name kann nicht übertragen werden und die Namen der Mitglieder sind von selbst, soweit sie gewählt werden, Bestandtheile der Firma.
Art. 82. Die Bestimmungen dieses Artikels entsprechen den allgemein gültigen Grundsätzen des Firmenrechts. Welche Namen in die Firma aufgenommen werden sollen, ist durch den Gesellschaftsvertrag zu bestimmen.
Im allgemeinen ist es gestattet, dass die Succession in ein bestehendes Gewerbe sich auch auf dessen Firma erstreckt, also der Nachfolger in einem Gewerbe die frühere Firma beibehält. Gesellschaften soll aber dieses Recht nicht eingeräumt werden, weil einmal hiezu hier weniger Veranlassung besteht, und sodann weil in Gesellschäftsfirmen die Namen der wirklich haftenden Gesellschafter enthalten sein sollen. Es wäre in mancher Beziehung bedenklich, wenn die Namen der Gesellschafter hinter einer ganz anderen Firma versteckt werden könnten, und würde dies namentlich in Bezug auf Creditverhältnisse zu Missbräuchen führen.
Art. 83. Die Vorschrift der Schriftlichkeit des Gesellschaftsvertrages entspricht der Wichtigkeit desselben und dem bestehenden Gebrauche in Japan. Es genügt aber die schriftliche Abfassung; gerichtliche oder notarielle Errichtung ist nicht erforderlich. Im deutschen und englischen Rechte ist zwar die schriftliche Errichtung nicht vorgeschrielen; wohl aber im französ. Recht, Code de comm. Art. 39., im italienischen Art. 155, und im spanischen Art. 284, wo sogar ein authentischer Act erfordert wird. Wenn nun der Vertrag nicht schriftlich gemacht wird, wozu auch immer die Unterzeichnung und Aushändigung an alle Gesellschafter gehört, so ist er nicht rechtsverbindlich, und es kann auch seine Eintragung in das Register und Veröffentlichung nicht erfolgen. Die Gesellschafter sind mithin nicht daran gebunden und können die stipulirten Rechte und Pflichten gegen einander nicht geltend machen. Die gleiche Folge soll auch eintreten, wenn Bestimmungen des rechtsgültig errichteten Vertrages später durch neue Uebereinkunft abgeändert werden.
Wie verhält es sich aber dritten Personen gegenüber? In dieser Beziehung hat das französ. Gesetzbuch Art. 42, das italienische Art. 135 und auch das deutsche Art. 110 die Bestimmung, dass die Gesellschafter sich dritten Personen gegenüber auf den Mangel der gesetzlichen Förmlichkeiten nicht berufen können. Sie können daher aus Geschäften voll belangt werden, auch wenn der Vertrag nur thatsächlich, nicht auch rechtlich besteht; Für das deutsche Gesetzbuch ist dies keine Inconsequenz, weil dieses die Schriftlichkeit überhaupt nicht verlangt, obwohl die Vorschrift der Registrirung dadurch ziemlich gegenstandslos wird. Wohl aber für die anderen Gesetzbücher, nach welchen sodann der Mangel der schriftlichen Errichtung nur für die Gesellschafter nachtheilige Folgen haben kann.
Der Entwurf hat diese Unklarheiten beseitigt, indem der Vertrag ohne schriftliche Abfassung überhaupt, also auch gegen dritte Personen, nicht zu Recht bestehen kann. Dies erscheint nicht nur einfacher, sondern auch zweckmässiger, da nach Art. 87. der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft vor der Registrirung und Veröffentlichung, welche nur auf Grund des schriftlich errichteten Vertrages erfolgen kann, in keinem Falle beginnen darf. Wenn sich also dritte Personen mit einer nicht registrirten Gesellschaft in Geschäften einlassen, so müssen sie wissen, dass diese Gesellschaft nicht rechtsgültig constituirt ist, und haben sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Es kann sich daher nur um vorbereitende Geschäfte handeln, die vorläufig zwischen den Geselllschaftern selbst oder mit dritten Personen eingegangen werden. Hierüber muss der Gesellschaftsvertrag die nöthigen Bestimmungen enthalten; oder wenn dies nicht der Fall ist oder der Vertrag später hinfällig wird, ist darüber nach den allgemeinen Grundsätzen über Mandat, Geschäftsführung u. dgl. zu urtheilen. Im allgemeinen muss die Regel gelten, dass solche vorbereitende Geschäfte zunächst nur den persönlich verpflichten, der sie eingeht, und dass die anderen nur haften,, wenn sie dazu ihre Einwilligung oder Ermächtigung ertheilt haben.
Art. 84. Auch diese Bestimmung ist dem allgemein bestehenden Gesellschaftsrechte entnommen. Nach Art. 20 ist jede Eintragung unter gleichzeitiger Vorlage der erforderlichen schriftlichen Erklärung der Betheiligten anzumelden. In dieser Erklärung muss daher auch eine von allen Betheiligten unterzeichnete Erklärung darüber enthalten sein, dass der Vertrag schriftlich errichtet wurde, weil er ohne solche nicht rechtsgültig sein würde. Im übrigen hat die Erklärung nichts weiter zu enthalten als den zu registrirenden Auszug des Contracts. Dies genügt für die Erwirkung der Registrirung; der Vertrag im ganzen braucht nicht vorgelegt zu werden, er bleibt in seinen einzelnen Bestimmungen Privatsache der Betheiligten. Uebrigens hat der Registerbeamte immerhin darüber zu wachen, dass keine unwahren Thatsachen eingetragen werden; er könnte daher die Eintragung verweigern, wenn er hinsichtlich der rechtsgültigen Errichtung des Vertrages Verdacht hätte. In diesem Falle wäre nach Vorschrift der Art. 18 und 21 zu verfahren.
Art. 85. Die Thatsachen, welche registrirt werden müssen, sind in den bestehenden Gesetzgebungen ziemlich gleichmässig vorgezeichnet. Sie ergeben in ihrer Gesammtheit diejenigen Momente, von welchen die persönliche Existenz der Gesellschaft abhängig ist, und bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Die Höhe der Beiträge insbesondere braucht bei Collectivgesellschaften nicht veröffentlicht zu werden, weil hier ohnedies jeder Gesellschafter mit seinem ganzen Vermögen haftet.
Nur über einzelne Punkte sind vielleicht noch einige Erklärungen am Platze.
Die Art der Gesellschaft, d. h. hier die Errichtung einer Collectivgesellschaft, soll ausdrücklich genannt werden, um Von vorneherein jeden Zweifel darüber auszuschliessen.
Der Zweck der Gesellschaft soll nur ganz im allgemeinen bezeichnet werden, um im voraus jeden ungesetzlichen Zweck auszuschliessen. Im übrigen ist diese Anführung bedeutungslos, weil eine Gesellschaft jeden Zweig des Handels und Handelsunternehmungen jeder Art betreiben kann, ohne darin durch den ursprünglichen Vertrag gebunden zu sein. Die Angabe ,,der Natur ihrer Unternehmungen” würde daher zu beengend sein.
Die Angabe der geschäftsführenden Mitglieder ist desswegen empfehlenswerth, weil dies von grosser Bedeutung nach aussen ist und weil solche Mitglieder in gewisser Hinsicht den Procuristen gleichen, die gleichfalls registrirt werden müssen.
Art. 86. Die spätere Abänderung der registrirten Thatsachen muss gleichfalls registrirt werden. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Registrirung von selbst. Auf die Befugniss der Fortführung des Geschäftsbetriebes selbst ist die Unterlassung dieser Registrirung ohne Einfluss, es treten nur nach aussen die gewöhnlichen Folgen dieser Unterlassung (Art. 22) ein. Indessen liegt die schleunige Registrirung und Veröffentlichung ohne Zweifel im öffentlichen Interesse, wesshalb die Unterlassung mit angemessenen Geldstrafen geahndet werden soll.
Art. 87. Die gewöhnliche Folge der Unterlassung der Registrirung ist nur die, dass die betreffende Thatsache nicht als öffentlich und gerichtsbekannt angesehen wird. Hier soll aber die weitere Folge eintreten, dass der Geschäftsbetrieb einer Gesellschaft nicht beginnen darf, und im Uebertretungsfalle eingestellt und bestraft wird. Dies rechtfertigt sich, um Missbräuchen entgegen zu treten, die von nicht registrirten Gesellschaften begangen werden könnten.
Es ist übrigens zu bemerken, dass der Gesellschaftsvertrag selbst dadurch nicht ungültig wird. Etwaige Geschäfte mit dritten Personen, und die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter unter sich, wären daher, wenn sie nicht ungesetzlich wären, immerhin nach dem Gesllschaftsvertrage zu beurtheilen. Auch bedürfte es keines neuen Vertrages, wenn die Registrirung und Veröffentlichung erfolgte. Die inzwischen bereits vorgenommenen Geschäfte würden gültig bleiben und fortgeführt werden können.
Nach den Grundsätzen westlicher Jurisprudenz kann die Suspendirung einer Gesellschaft nicht von der Polizeibehörde, sondern nur vom Gericht verfügt werden, da es sich hier um Anwendung einer civilrechtlichen Vorschrift handelt und eine richterliche Untersuchung der Thatsachen vorausgehen muss. Es bleibt jedoch den Polizeibehörden unbenommen, den Geschäftsbetrieb der Gesellschaften zu überwachen, und im Falle der Uebertretung des Gesetzes bei dem Gericht die gesetzmässige Suspendirung zu beantragen.
Art. 88. Die durch die Registrirung bewirkte Publicität der Errichtung einer Gesellschaft muss, wenn sie einen Sinn haben soll, reelle Thatsachen zum Gegenstand haben. Eine registrirte Gesellschaft muss folglich auch wirklich bestehen und im Handel activ auftreten. Für nur auf dem Papier und in der Idee gewisser Personen bestehende Gesellschaften kann Registrirung und öffentliche Bekanntmachung nicht gestattet sein. Daher die Bestimmung, dass die Eintragung und Veröffentlichung wirkungslos bleiben, d. h. als nicht geschehen betrachtet werden soll, wenn der Gesellschaftsbetrieb nicht binnen 6 Monaten begonnen wird. Kann binnen dieser Frist eine Gesellschaft nicht ins Leben treten, so muss man an nehmen, dass ihr die nöthigen Lebensbedingungen fehlen, sie wird daher gesetzlich als nicht vorhanden angesehen. Auch wird durch diese Bestimmung etwaigen unlauteren Manipulationen entgegengewirkt.
§ 2. Abänderung des Gesellschaftsvertrages.
Art. 89. Hinsichtlich etwaiger Abänderungen des ursprünglichen Gesellschaftsvertrages wurde bereits oben verordnet, dass sie wie die Errichtung selbst zu behandeln sind. Daher müssen sie wie diese schriftlich gemacht und im Auszuge registrirt und publicirt werden. Hier wird nun in materieller Beziehung die Regel aufgestellt, dass der Gesellschaftsvertrag, wie er nur durch einstimmigen Consens entstehen kann, auch nur durch solchen abgeändert werden kann. Die Verpflichtungen, die jeder Gesellschafter übernimmt, hängen also von seinem freien Willen ab, und es kann, auch wenn die Gesellschaft bereits besteht, aus diesem Umstande kein Grund abgeleitet werden, um auf ihn rücksichtlich der Vermehrung seiner Verpflichtungen oder Beschränkung seiner Berechtigungen einen Zwang auszuüben. Die Abänderung des Gesellschaftsvertrages durch Majoritätsbeschlüsse ist mithin grundsätzlich ausgeschlossen.
Wenn nun keine Einigung über neue Vorschläge erzielt wird, verbleibt es beim alten. Dies wurde ausdrücklich ausgesprochen, um etwaigen anderen Folgerungen entgegenzutreten. Die Majorität kann mithin der Minorität nicht die Wahl auflegen zwischen Annahme oder Austritt; auch kann sie aus der Verwerfung ihrer Vorschläge durch die Minderheit nicht einen Rechtsgrund zum Austritt herleiten. Der ursprüngliche Vertrag bleibt in Kraft, nicht blos bezüglich des eigentlichen Gegenstandes solcher neuer Vorschläge, sondern auch bezüglich anderer Verpflichtungen, des Kündigungsrechtes u. s. w. Insbesondere darf die Majorität nicht etwa das abgelehnte Project auf ihre Rechnung ausführen, wenn auch die Minderheit dadurch nicht in Verantwortlichkeit gezogen würde. Denn die Gesellschafter sind verpflichtet, ihr Interesse als gemeinschaftlich zu betrachten und können nicht bezüglich gewisser Interessen eine Theilung und Trennung herbeiführen.
Es gibt jedoch gewisse Fälle, in denen es nicht absolut nothwendig ist, die so eben besprochene Regel stricte durchzuführen, und gewisse Ausnahmen zugelassen werden können, indem das Gesellschaftsverhältniss dadurch nicht wesentlich berührt und namentlich nicht zum Nachtheile der Uebrigen verschlechtert wird. Ueber solche Ausnahmen wird in den folgenden Artikeln Bestimmung getroffen. Sie erscheinen durch das Bedürfniss gerechtfertigt, dem Gesellschaftsvertrage eine gewisse Beweglichkeit und Unabhängigkeit von dem unverständigen Eigensinne einzelner Mitglieder zu geben, ohne doch deren individuelle Interessen dem bedenklichen Einflüsse von Majoritätsbeschlüssen preiszugeben.
Art. 90. Eine solche Ausnahme betrifft vor allem die Erhöhung der Beiträge. Eine Verpflichtung dazu kann niemals anders als freiwillig übernommen werden, sei es im Anfange oder später. Allein eine solche Erhöhung braucht keine allgemeine und gleichmässige zu sein. Gesetzt das Gewerbe florirt und wirft Gewinne ab, es könnte auch leicht erweitert werden, allein das eine oder andere Mitglied ist nicht im Stande oder Willens, seinen Beitrag zu erhöhen. Sollte desshalb dies den übrigen Mitgliedern verwehrt werden? Da die Vermehrung des Capitals eines Gewerbs der Regel nach nur vortheil-haft für alle Theilnehmer sein kann und die Haftung der anderen dadurch in keiner Weise erhöht wird, so scheint kein Grund vorzuliegen, den über eine Erhöhung des Beitrages sich einigenden Mitgliedern dieselbe zu verwehren. Der Artikel sagt also nur, dass Niemand zur Erhöhung seines Beitrages verpflichtet werden kann; das Recht dazu wird nicht abgesprochen, es bleibt also den betreffenden Mitgliedern. Natürlich aber muss dieses Recht in gutem Glauben und unter vernünftigen Umständen geübt werden Die Gesellschaftsinteressen dürfen dadurch nicht beeinträchtigt werden. Auch kann nicht etwa ein Einzelner in persönlicher Laune und Eigenwillen ein solches Recht ausüben, sondern es muss immerhin eine gewisse allgemeinere, nur nicht gerade einstimmige Tendenz dafür in der Gesellschaft vorhanden sein. Ganz dasselbe würde auch gelten müssen, wenn es sich um die Ergänzung der Beiträge nach stattgehabten Verlusten handelte.
Art. 91. Die Verminderung der Beiträge auf der anderen Seite steht unter demselben Grundsätze, dass nämlich darin Ausnahmen von der Regel der Einstimmigkeit stattfinden können. Jedoch ist hier eine etwas andere Bestimmung nothwendig. Die Verminderung der Beiträge ist nämlich eine Massregel, die leicht die Gesellschaftsinteressen schädigen kann. Auch kann dadurch der Geschäftsbetrieb nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vielleicht unmöglich gemacht werden. Diese und andere Folgen müssen zwar nicht nothwendig eintreten, sie können möglicher Weise auch durch andere Massnahmen, z. B. Mehrbeiträge anderer Mitglieder, verhütet werden. Allein im Gegensatz zum vorhergehenden Artikel handelt es sich doch hier um eine Verletzung oder Gefährdung der Gesellschaftsinteressen, es kann daher Niemand seinen Beitrag, seinen Verlust- oder Gewinnantheil vermindern ohne die Zustimmung aller übrigen. Insoferne ist in diesem Falle Einstimmigkeit erforderlich. Allein diese Einstimmigkeit braucht sich nicht auf alle Mitglieder zu erstrecken, es können unter ihrer Voraussetzung auch schon einzelne, oder nur einer, ihren Beitrag vermindern.
Art. 92. Das Gesellschaftsverhältniss ist ein rein persönliches und beruht auf der gegenseitigen Auswahl und Einigung bestimmter Personen. Dies wurde früher so strenge genommen, dass der Gesellschaftsvertrag durch den Wegfall auch nur eines Gesellschafters oder durch den Hinzutritt eines neuen aufgehoben wurde. In neuerer Zeit ist man darin weniger strenge. Man erblickt den Kernpunkt der Handelsgesellschaft in dem Gesellschaftsvermögen und in dem darauf basirten Handelsbetrieb, und eine Aenderung in den Personen macht den Gesellschaftsvertrag noch nicht hinfällig. Doch muss eine solche Aenderung mit der Zustimmung aller Gesellschafter erfolgen, die auch ein für allemal, namentlich für den Fall des Todes, im Gesellschaftsvertrage gegeben werden kann. Einem einzelnen Gesellschafter steht das Recht hiezu nicht zu. Er kann also ohne die Einwilligung aller übrigen weder ein neues Mitglied aufnehmen, noch für sich einen anderen substituiren; beides wäre ohne diese Einwilligung ungültig. Eine Succession in das Gesellschaftsverhältniss durch irgend ein darauf gerichtetes Rechtsgeschäft, Kauf, Schenkung etc. unter lebenden Personen ist mithin unmöglich; solche Rechtsgeschäfte wären nichtig. Anders verhält es sich für den Fall, dass ein Gesellschfter durch den Tod wegfällt. Der Vertrag kann zwar bestimmen, dass in diesem Falle die Gesellschaft auf hören soll, entweder für alle, oder wenigstens für die Person des Verstorbenen resp. dessen Rechtsnachfolger. Ist diese Bestimmung aber nicht getroffen, so kann die Gesellschaft für den Verstorbenen durch dessen Erben, Legatare, Donatare, Ehefrau fortgesetzt werden. Soferne Jemand seine Erben, Legatare, etc ernennen kann, hat er damit das Recht, für den Fall seines Todes seinen Nachfolger in der Gesellschaft zu ernennen. Es wird zwar in den meisten Gesetzbüchern bestimmt, dass durch den Tod eines Gesellschafters die Gesellschaft von selbst aufhören soll, wenn nicht das Gegentheil ausdrücklich im Vertrage vereinbart ist. Indessen scheint es genügend, wenn man diesen Punkt so ordnet, wie es im Entwurfe geschehen ist. Der Satz, dass ein Partner persönlich durch keinen Anderen ersetzt werden kann, mag abstract genommen richtig sein, practisch aber doch nur ausnahmsweise zutreffen. Als Regel wird man annehmen müssen, dass an die Stelle eines Verstorbenen dessen Erbe treten kann, und dass dieser daran ein überwiegendes Interesse hat. Wollen sich die Ueberlebenden den Beitritt des Erben nicht gefallen lassen, so bleibt ihnen immer das Recht der Kündigung unbenommen. Es wäre in vielen Fällen verletzend und nachtheilig, wenn ein Sohn das Gesellschaftsverhältniss seines Vaters nicht fortsetzen dürfte, blos deshalb, weil es im Vertrage nicht im voraus gestattet worden ist. Ist eine Person für die Gesellschaft wirklich ausnahmsweise unersetzlich und würde mit deren Wegfall der Zweck der Gesellschaft stark gefährdet werden, so kann dies im Gesellschaftsvertrage im voraus berücksichtigt werden. Es wird daher im Entwurf das Recht, einen Anderen zu substituiren, im Fall des Todes unbedingt gewährt, so lange es nicht durch den Gesellschaftsvertrag benommen ist.
Art. 93. Dieser Artikel ist dazu bestimmt, der theil weisen oder verkleideten Substituirung eines anderen Gesellschafters entgegen zu treten, welche durch Veräussernng des Gesellschaftsantheiles versucht werden könnte. Darin läge eine Abtrennung der pecuniären von der persönlichen Mitgliedschaft, welche durchaus unzulässig wäre. Es kann also Niemand erklären, dass er zwar fortwährend Mitglied bleiben wolle, aber sein Gesellschaftsantheil an einen Anderen übergehen solle. Unter dem Gesellschaftsantheil ist nicht der Beitrag zu verstehen, der in das Gesellschaftsvermögen übergeht und der privaten Verfügung des Gesellschafters ohnedies entzogen ist, sondern dessen dadurch erlangter Antheil am Gesellschaftsvermögen; und damit insbesondere der Antheil am Gewinn und Verlust. Bei Actiengesellschaften ist die Veräusserung der Antheile (Actien) gestattet, allein damit wird auch zugleich die Mitgliedschaft übertragen. Bei Collectivgesellschaften ist dies nicht zu gestatten, weil hier das persönliche. Moment zu stark vorwiegt, dieses aber ohne pecuniäre Antheilschaft seine innere Berechtigung verlieren würde. Die Veräusserung von Antheilen an einer Collectivgesellschaft ist daher nichtig, sowohl der Gesellschaft selbst als dritten Personen gegenüber.
Art. 94. Eine theilweise, jedoch ganz specielle Aenderung in den Personen ist gestattet durch Annahme eines Subpartners. Hiemit stimmt auch das deutsche und englische Recht überein. Ein Subpartner wird nicht Mitglied der Gesellschaft, er tritt nur in ein Gesellschaftsverhältniss zu dem einzelnen Gesellschafter. Zwischen. diesen beiden kann offenbar kein Collectivverhältniss bestehen, weil sie nicht im Stande sind für sich ein besonderes Gesellschaftsvermögen zu bilden. In der Regel wird es eine stille Gesellschaft sein, aber auch die Theilnahme an einzelnen Handelsgeschäften oder Unternehmungen ist denkbar. Es ist mithin das einfachste, ein solches After-Gesellschaftsverhältniss nach den bereits oben in den Artikeln 72 ff. zu beurtheilen. Der Subpartner wird als solcher kein Gesellschafter, er erlangt daher weder die Rechte noch die Pflichten eines Gesellschafters. Allein es besteht kein Grund, ihn von der directen Theilnahme an den betreffenden Geschäften, insbesondere Gewinn und Verlust, auszuschliessen, soweit dies nach den Grundsätzen der commerciellen Association sonst der Fall ist. Die so weit gehende Bestimmung des deutschen H. Gesetzbuches Art. 98 kann in dieser Hinsicht nicht gebilligt werden. Die Gesellschaft würde also einen solchen stillen Theilnehmer z. B. unmittelbar auf Entrichtung seines Beitrages belangen können ; umgekehrt könnte dieser seinen Gewinnantheil direct gegen die Gesellschaft geltend machen. Irgend welche nachtheilige Folgen können daraus nicht entstehen. Wäre freilich der Subpartner unbekannt (dormant), dann würden sich seine Beziehungen factisch auf die zu seinem speciellen Partner beschränken.
Art. 95. Dieser Artikel ist eine Anwendung des Grundsatzes, dass Gesetze durch Nichtausführung abrogirt werden können, auf die Artikel des Gesellschaftsvertrages; auch die Regel des stillschweigenden Dissenses kann hieher bezogen werden. Diese Anwendung auf den Gesellschaftsvertrag kann keinem Bedenken unterliegen, da dieser eine Art privates Gesetz für die Betheiligten bildet. Der Gesellschaftsvertrag ist zwar schriftlich, und kann insofern durch andere Thatsachen nicht umgestossen werden. Allein die Nichtausführung ist eine Thatsache, welche schwerer ins Gewicht fällt, als die blosse Vereinbarung auf dem Papier. Wenn sich also Jemand darauf berufen würde, es sei mündlich vereinbart worden, eine gewisse Bestimmung des Vertrages nicht auszuführen, so wäre dies unwirksam. Könnte er aber beweisen, dass diese Bestimmung überhaupt nicht ausgeführt worden sei, so wäre er für seine Person später dieser Bestimmung auch nicht mehr unterworfen. Dasselbe würde gegen dritte Personen zu beobachten sein. Wenn z. B. bestimmt wäre, dass ein Procurist nur von allen Gesellschaftern gemeinsam ernannt werden solle, aber thatsächlich eine Ernennung von Procuristen durch einzelne Gesellschafter ohne Widerspruch der übrigen stattgefunden hätte, so würde die spätere Ernennung eines Procuristen durch einen einzelnen Gesellschafter durch Berufung auf den Vertrag nicht angefochten werden können, und auch dem Procuristen oder dritten Personen, mit denen dieser Geschäfte abschloss, könnte diese Bestimmung des Vertrags nicht entgegen gehalten werden. Immer ist jedoch hiebei vorausgesetzt, dass die Nichtausführung mit bindenden gesetzlichen Vorschriften oder mit den allgemeinen Befugnissen der Gesellschafter nicht im Widerspruch steht. Z. B. die Vornahme ungesetzlicher Geschäfte oder die Verweigerung der Einsichtnahme der Handelsbücher könnte durch keine frühere Uebung gerechtfertigt werden.
§ 3. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter unter sich.
Art. 96. Der Entwurf stellt zunächst das allgemeine Princip auf, dass das rechtliche Verhältniss der Gesellschafter unter sich durch den zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrag bestimmt wird. Die Gesellschafter können also die zwischen ihnen beabsichtigte Gemeinschaft ordnen wie sie wollen, und dadurch wird der Manichfaltigkeit der Verhältnisse und Umstände Genüge geleistet. Man pflegt den Gesellschaftsvertrag zu den sog. Consensualcontracten zu rechnen, bei welchen die Uebereinstimmung der Contrahenten zur vollkommenen Entstehung des Contractes genügt. Das ist aber hier nicht erschöpfend. Denn zu dem Consens muss einmal noch die Schriftlichkeit der Errichtung und die Registrirung hinzutreten, damit der Contract ins Leben treten kann; ausserdem aber besteht keine Handelsgesellschaft, wenn nicht ein Gesellschaftsvermögen gebildet ist, was nur durch die Einlegung oder wirkliche Mittheilung der Beiträge jedes einzelnen Mitgliedes geschehen kann. Insoferne beruht die Verbindlichkeit des Gesellschaftsvertrages auf der realen Beitragsleistung und wird ohne diese hinfällig. Die Verpflichtung zur Beitragsleistung wird aber schon durch den Contract herbeigeführt, und der Contract ist in allen Punkten für die Rechte und Pflichten der Contrahenten massgebend. Dies hat nur die Schranke, dass der Vertrag nicht dem Gesetz widersprechen darf; eine Schranke, die sich zwar von selbst versteht, aber ausdrücklich erwähnt wird, um darüber keinen Zweifel zu lassen, dass der Gesetzgeber die stricte Befolgung gewisser Grundsätze für eine absolute Nothwendigkeit hält, um den Handelsbetrieb der Gesellschaften von unlauteren Manipulationen und Missbräuchen rein zu halten. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 90. hat in dieser Beziehung eine andere Bestimmung, indem die gesetzlichen VorSchriften nur zur Anwendung kommen sollen, wenn im Vertrage selbst über die betreffenden Gegenstände nichts vereinbart ist. Dadurch ist das Rechtsverhältniss der Gesellschafter gänzlich in das private Belieben gestellt und das richtige Verhältniss umgekehrt. Der französ. Code de comm. Art. 18. hat diesen Gegenstand schon in der allein correcten Weise behandelt, indem dort gesagt ist: Le contrat de societé se règle par le droit civil, par les lois particulières au commerce, et par les conventions des parties. Das Gesetz kommt also zuerst zur Anwendung, und erst nach ihm die Vereinbarungen der Parteien. Nur der Punkt bedarf hier einer Berichtigung, dass das Handelsgesetzbuch dem Civilgesetz nicht nach-, sondern vorangeht, wie es bereits in Art. 1. festgesetzt ist; und dass auch durch den Handelsgebrauch das Gesellschaftsverhältniss normirt wird. Vom Civilgesetz sind vor allem die allgemeinen Regeln über Verträge zu übertragen, dass sie nichts ungesetzliches, unsittliches oder unmögliches enthalten dürfen. In der etwaigen Anwendung der für Consensual-Contracte geltenden Principien des Civilrechts ist jedoch, wie vorhin gezeigt, grosse Vorsicht nöthig.
Art. 97. Der Gesellschaftsvertrag muss diejenigen Punkte regeln, auf welche es den Parteien wesentlich ankommt und zu welchen die Zustimmung jedes einzelnen Contrahenten nöthig ist, um ihn zu binden. Diese Punkte können auch nach Art. 89 nur mit der Zustimmung eines jeden abgeändert werden. Es gibt jedoch im Laufe einer gesellschaftlichen Geschäftsführung viele Dinge, über die man im Vertrag nicht im voraus bestimmen kann oder will; theils weil sie mehr geringfügiger Natur sind und von den jeweiligen Umständen abhängen, theils weil sie übersehen worden sind, oder überhaupt erst später in Betracht kommen können. Der Entwurf theilt diese Angelegenheiten in zwei Arten, nämlich 1, solche, über die der Gesellschaftsvertrag nichts bestimmt, und 2, solche, welche die Ausführung des Gesellschaftsvertrages betreffen. In diesen Angelegenheiten soll nun die Majorität entscheiden, wenn Einstimmigkeit nicht zu erreichen ist. Dies entspricht nicht nur dem allgemeinen auch sonst überall in Gemeinschaften geltenden Princip, dass regelmässig die Minderheit der Mehrheit sich fügen muss; es ist auch die Regel im englischen und wie es scheint auch, trotz des Art. 1859, im französischen Recht (Bravard-Veyrières I. p. 200. Zachariä französ. Civ.-recht II. p. 468 Note 5). Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 100-101 verlangt Stimmeneinhelligkeit aller Mitglieder oder Geranten, doch dürfte diese Bestimmung practisch nicht empfehlenswerth sein.
Unter Majorität ist der Regel nach die absolute, einfache Mehrheit über die Hälfte der Stimmen zu verstehen. Es wird jedoch hierüber nichts weiter vorgeschrieben, weil es möglich ist, dass die Gesellschafter in einzelnen Fällen, oder für gewisse Fragen, eine andere Mehrheit passender finden und im Vertrage festsetzen wollen.
Der Entwurf verlangt nicht die Mehrheit aller Gesellschafter, sondern nur der Gesellschafter, und will damit andeuten, dass die Mehrheit derjenigen Gesellschafter genüzt, welchen das Gesetz oder der Vertrag eine Stimme einräumt. Sind also besondere Geranten ernannt, so genügt die Mehrheit der Geranten. Unter Umständen muss auch die Mehrheit der Anwesenden genügen.
Es muss übrigens bemerkt werden, dass dieser Artikel nur für die Verantwortlichkeit der Gesellschafter unter sich gilt, nicht nach aussen gegenüber dritten Personen. Nach aussen ist jeder Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft allein berechtigt und seine Geschäfte sind verbindlich, auch wenn sie nicht mit Zustimmung der Mehrheit vorgenommen wurden; nur würde, im Falle ein Gesellschafter Majoritätsbeschlüsse missachtete, er nach Art. 102 dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Auch ist nicht zu allen Geschäften vorherige Einholung der Zustimmung der Mehrheit erforderlich. Was der gewöhnliche Gang der Geschäfte mit sich bringt, kann jeder auf eigene Faust vornehmen; der Geschäftsbetrieb geht täglich und stündlich unter den Augen aller Gesellschafter vor sich, und jeder hat dabei die Vermuthung der stillschweigenden Zustimmung oder Ermächtigung für sich. Nur bei wichtigeren Fragen und wenn die Meinungen stark divergiren, wird daher eine förmliche Berathung und Abstimmung erforderlich sein. Im übrigen ist jeder Gesellschafter verpflichtet, nur im Interesse der Gesellschaft zu handeln, und dazu gehört auch die Rücksicht auf möglichste Einigkeit und Harmonie unter den Mitgliedern.
Art. 98. Art. 97. regelt die Beschlussfassung in den laufenden Geschäften, und setzt voraus, dass der Gegenstand dem Gesellschaftsvertrage und namentlich dem Gesellschaftszwecke entspreche. In solchen Fällen soll die Majorität die Entscheidung haben. Es gibt aber Geschäfte und Angelegenheiten, welche eine im Gesellschaftsvertrage noch nicht vorgesehene, neue Verantwortlichkeit oder Verpflichtung der Gesellschafter involviren. Z. B. eine Schifffahrtsgesellschaft wollte eine neue Linie übernehmen; oder eine Gesellschaft für Export ihre Thätigkeit auf den Import ausdehnen; oder wenn es. sich um Schenkungen und andere freiwillige Lasten handelte—in allen solchen Fällen ist Einstimmigkeit erforderlich. Strenge genommen liegt hier eine Abänderung des Vertrages vor, und wäre schon nach Art. 89. Einstimmigkeit nothwendig. Indessen wird in vielen Fällen nicht sowohl eine Abänderung, als vielmehr eine Erweiterung des Contractes, insbesondere des Zweckes der Gesellschaft vorliegen, oder es handelt sich wie bei Schenkungen etc. um Dinge, die überhaupt dem Gesellschaftszweck fernliegen. Das leitende Princip ist, dass Einstimmigkeit verlangt wird für alle Fälle einer Uebernahme neuer oder erweiterter Verpflichtungen, die nicht schon durch den Gesellschaftsvertrag ein für allemal übernommen wurden. In solchen Fällen müssen alle Gesellschafter zustimmen, auch die nicht geschäftsführenden, weil es sich hier nicht um eine Frage der blossen Geschäftsführung handelt.
Art. 99. Dieser Artikel enthält ein Princip, welches allen Gesetzgebungen gemein ist und aus der Natur des Gesellschaftsvertrages von selbst folgt. Die Rechte und Pflichten aller Gesellschafter sind gleich, soweit sie selbst nichts anderes vereinbart haben. Jeder kann also thun, was der andere thun kann; jeder hat in allen Gesellschaftsangelegenheiten die gleiche Stimme. Die Collectiv-Gesellschaft ist wesentlich persönlicher Natur. Daher können zwar den einzelnen Mitgliedern verschiedene Befugnisse übertragen werden, insbesondere das Recht der ausschliesslichen Geschäftsführung. Im letzteren Falle bezieht sich dieses Recht dann auch auf solche Geschäfte, die durch Stimmenmehrheit entschieden werden müssen. Allein der persönliche Character der Mitgliedschaft darf nicht derart abgeschwächt werden, dass die Stimmführung gänzlich nach dem Verhältniss der Geldbeiträge normirt würde. Dies ist bei Actiengesellschaften die Regel, bei Collectiv-Gesellschaften würden daraus die höchsten Gefahren für die Minderheit der mit geringeren Beiträgen Betheiligten folgen, deren gesammtes Vermögen dadurch aufs Spiel gesetzt werden würde. Daher ist, wenngleich Gewinn und Verlust im Verhältniss der Capitalantheile vertheilt werden kann, doch in Beziehung auf die persönliche Stellung der Gesellschafter eine solche Abstufung unzulässig, und wer an der Geschäftsführung Theil nimmt, muss daran Theil haben als gleich berechtigter Gesellschafter, nicht als blosser Vertreter eines gewissen Capitalbeitrages.
Man. könnte vielleicht ein wenden, dass die in allen Gesetzgebungen zugestandene Ausschliessung einzelner Gesellschafter von der Geschäftsführung noch viel weiter geht, und gleich wohl auch im Entwürfe angenommen ist.. Hierauf ist zu erwiedern, dass diese Ausschliessung von der Verschiedenheit der Capitalbeiträge ganz unabhängig ist und auf ganz anderen Motiven beruhen muss. Die Ausschliessung muss schon im Gesellschaftsvertrage geschehen und setzt daher einen freiwilligen Verzicht der Ausgeschlossenen voraus. Auch bleibt diesen letzteren die Wahrung ihrer Rechte gegenüber den Geranten ungeschmälert und die hieraus entspringenden Rechte können nicht jedem nur im Verhältnisse seines Capitalantheiles zustehen.
Art. 100. Zur Sicherung der Rechte der nicht an der Geschäftsführung activ betheiligten Gesellschafter gehört nothwendig die Befugniss, jederzeit über den Stand der Geschäfte, über deren günstige oder ungünstige Ergebnisse, Auskunft zu verlangen und die bezüglichen Documente selbst einzusehen. Die Gesellschafter müssen in dieser Hinsicht ihren eigenen Aufsichtsrath bilden, da bei der verhältniss-mässig geringen Zahl von höchstens 7 eine so complicirte Organisation wie bei Actiengesellschaften unthunlich wäre. Gegen die Geschäftsführung selbst können sie zwar keinen Einspruch erheben, soweit ihnen nicht durch den Vertrag—oder durch das Gesetz, wie in Art. 98. bei wichtigen Angelegenheiten das Recht der Zustimmung vorbehalten ist. Und zur Geschäftsführung gehört natürlich auch die Vornahme von Speculationen, die Eingehung von Contracten und Unternehmungen, die Uebernahme von Creditverbindlichkeiten, die Aufnahme von Darlehen, die Gewährung von Credit an andere u. s. w. Allein eine doppelte Schranke ist dieser Freiheit der Geranten gezogen, einmal darf nichts geschehen, was dem Gesellschaftszweck und überhaupt den Bestimmungen des Vertrages widerspricht, und zweitens darf nichts heimlich, hinter dem Rücken der Gesellschafter geschehen. Diese sind also jederzeit in der Lage ihre Interessen selbst zu wahren, und nöthigenfalls den Antrag auf Auflösung der Gesellschaft zu stellen. Auch steht ihnen nach Art. 102 Anspruch auf vollständigen Schadensersatz zu.
Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 101 und 103 verlangt die Zustimmung aller Gesellschafter zu Geschäften, welche über den gewöhnlichen Betrieb des Handels hinausgehen, und es kann nach ihm die ausschliessliche Uebertragung der Geschäftsführung aus rechtmässigen Ursachen widerrufen werden. Allein ersteres ist desshalb nicht zu billigen, weil es die Geranten zu blossen Handlungsgehülfen erniedrigen, mithin ihre Stellung viel zu sehr einschränken würde (vgl. Art. 52); das letztere benimmt der Stellung der Geranten die nöthige Sicherheit und Unabhängigkeit und würde dadurch die Erfolge ihrer Geschäftsführung beeinträchtigen. Dies ist auch der Standpunkt des französ. Rechts (Bravard, I. p. 198.). Insbesondere könnten die Rechte der übrigen gegen unredliche Geschäftsführer geltend gemacht werden. Ist aber das Gesellschaftsverhältniss so zerrüttet, dass desgleichen Verpflichtungen nicht durch einfache Entschädigung ausgeglichen werden können, dann ist es weitaus besser, die Gesellschaft aufzulösen, als sie unter richterlicher Einmischung in Spaltung und Misstrauen fortbestehen zu lassen.
Art. 101. Der Prokurist ist, wie oben gezeigt wurde, der Stellvertreter des Principals, und jeder Principal hat das Recht, für sich einen Stellvertreter zu ernennen. Da nun jeder Gesellschafter Principal für die ganze Gesellschaft, und nicht blos für seinen individuellen Antheil ist, so folgt, dass jeder Gesellschafter das Recht haben muss, einen Procuristen zu ernennen, der dann natürlich auch für die ganze Gesellschaft die Procura auszuüben befugt ist. Die im deutschen H. Gesetzbuch Art. 104. verlangte Zustimmung aller Gesellschafter—ausser in Nothfällen—eine Bedingung, die übrigens im Verhältnisse nach aussen doch nicht eingehalten ist (Art. 118), steht mit der richtigen Stellung der Gesellschafter im Widerspruch. Die Ertheilung der Procura ist nichts weiter als ein freilich nur dem Principal zustehender Act der Geschäftsführung, und jeder Gesellschafter muss dazu befähigt sein. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass factisch die Ertheilung einer Procura nur in vollster Einigung mit den übrigen vor sich gehen kann, weil sie sonst durch das auch diesen zustehende Recht des Widerrufs jederzeit vereitelt werden könnte. Es ist aber wichtig, das Recht der einzelnen Gesellschafter unzweideutig festzustellen, weil es practisch oft geübt werden wird; z. B. wenn die Gesellschafter verschiedene Geschäfts-Sparten unter sich vertheilt haben, oder an verschiedenen Orten wirksam sind u. s. w.
Art. 102. Dieser Artikel stellt die allgemeinen Verpflichtungen der Gesellschafter unter einander auf. Dieselben lassen sich auf zwei Hauptpunkte zurückführen, nämlich 1, die Pflicht der Treue und des guten Glaubens gegen die Gesellschaft, und 2, die Anwendung gleicher Sorgfalt und gleichen Fleisses in Gesellschaftssachen, wie sie ein ordentlicher Handelsmann in seinen eigenen Sachen anwenden würde. Treue bedingt die Einigkeit und Unterordnung der eigenen Interessen unter die der Gesellschaft, so dass jeder der Gesellschaft dienen und ihr Bestes stets ins Auge fassen muss; ähnlich wie man Treue der Unterthanen gegen den Staat und gegenseitige Treue der Ehegatten versteht. Auch ist in der Treue die Wahrung der Rechte der Gesellschaft gegenüber den Einzelnen und nach aussen, und die Befolgung der Gesellschafts-Vorschriften, sowohl des Vertrages wie der jeweiligen Beschlüsse, begriffen. Der gute Glaube bedeutet die Abwesenheit jeglicher Heimlichkeit, Hinterlist, Unwahrheit oder gar von Betrug. Fleiss und Sorgfalt ist jeder Gesellschafter der Gesellschaft wie sich selbst schuldig. Was ein ordentlicher Handelsmann für sich selbst thun würde, das muss er auch für die Gesellschaft thun. Der Massstab liegt in der Thätigkeit eines ordentlichen Mannes, nicht in den zufälligen Mängeln oder Vorzügen der betreffenden Individuen. Gesetzt Jemand wäre in seinen eigenen Angelegenheiten träge und nachlässig, so dürfte er dies gleichwohl nicht in Angelegenheiten der Gesellschaft sein, denn die Mitgliedschaft an ihr erzeugt neue Pflichten, wie sie aus der neuen Stellung fliessen. Jeder Gesellschafter ist ein Verwalter der Gesellschaft, er kann daher nicht mit dem Vermögen und den Interessen der Gesellschaft schalten und walten wie es ihm beliebt, und wie er mit seinem eigenen Vermögen ungestraft schalten kann. Man wird hiegegen nicht einwenden können, dass jeder Gesellschafter durch die Annahme eines Genossen die Verantwortlichkeit für dessen individuelle Schwächen und Fehler übernimmt. Dies ist nur richtig für solche Fehler, die nicht durch Pflichterfüllung verbessert werden können, wie Unreife, Mangel an Erfahrung, an Kenntnissen, Gedächtnissschwäche, hitziges Temperament u. dgl. Allein jene Annahme muss immer unter der Voraussetzung der gegenseitigen Pflichterfüllung erfolgen, wie sie ein ordentlicher Mann versteht; und Verletzung dieser Pflichten kann daher nur auf Rechnung und zum Nachtheil dessen gehen, der die ihm obliegenden Pflichten verletzt, nicht zum Nachtheil der übrigen. Ohne diesen Massstab ist auch die Verpflichtung zum Ersatz des etwa verursachten Schadens ziemlich gegenstandslos.
Art. 103. Während die vorausgehenden Artikel die persönliche Stellung der Gesellschafter regeln, wird in den nachfolgenden Artikeln deren pecuniäres Verhältniss zu einander festgestellt. An der Spitze dieser letzteren steht der Satz, dass die Beiträge der einzelnen Mitglieder Eigenthum der Gesellschaft werden. Dies ist die Cardinalbedingung für die Entstehung einer Handelsgesellschaft, da ohne sie ein Gesellschaftsvermögen nicht gebildet werden würde. Dazu gehört nun zweierlei, nämlich 1, muss die Leistung des Beitrages auch wirklich erfolgen, die Inferirung oder Conferirung findet noch nicht schon durch den blossen Consens zum Vertrage statt. Daher ist gesagt: die Beiträge, welche die Gesellschafter einlegen, im Gegensatz zu dem blossen Verprechen, welches durch den Vertrag gemacht wird: und 2, bis zur wirklichen Inferirung bleibt der Beitrag im Eigenthum des Gesellschafters, also auch auf dessen Gefahr. Die Beiträge können sein entweder Geld oder andere Sachen; und ausserdem auch persönliche Leistungen. An Sachen kann wiederum entweder das volle Eigenthum oder nur das Recht des Niessbrauches oder Gebrauches übertragen werden. In jedem Falle ist die Schätzung des Geldwerthes jedes Beitrages vorgeschrieben, und zwar bereits im Vertrage, also unter völlig freier Einigung der Betheiligten, und dieser Schätzungswerth muss in das. Inventar (s. Art. 33.) aufgenommen werden. In Bezug auf diesen Schätzungswerth wird später (Art. 115.) noch eine wichtige Bestimmung getroffen, um die vertrauensselige Unerfahrenheit gegen übertriebene Anrechnung in Schutz zu nehmen.
Art. 104. Obgleich Art. 103. der grösseren Deutlichkeit wegen und mit Rücksicht auf das, was gewöhnlich der Fall sein wird, nur vom Eigenthum der Gesellschaft spricht, so können doch die Beiträge auch in anderen Vermögensgegenständen als förmlichem Eigenthum bestehen, nämlich in dinglichen Rechten und Obligationen, und von den letzteren handeln in Bezug auf eine wichtige Folge, die dieser Unterschied hat, die zunächst folgenden Artikel. Ueberhaupt ist der Begriff des Eigenthums hier in dem elastischeren Sinne des Handelsrechts zu nehmen und manches darunter zu begreifen, woran nach Civilrecht ein Eigenthum nicht möglich wäre; z. B. Forderungen mit Pfandrechten, Actien und dergl. Obligationen. Eigenthum bedeutet hier mehr die volle und ungetheilte Herrschaft über das betreffende Vermögerisobject, im Gegensatz zu den theilweisen und beschränkten Befugnissen, wie sie z. B. in Servituten liegen. Wenn also Jemand z. B. den Niessbrauch eines Hauses beiträgt, so bleibt das Eigenthum daran bei ihm selbst, und zu allen Verfügungen über das Haus, wie sie nur ein Eigenthümer machen kann, ist die Gesellschaft nicht berechtigt. Immerhin aber geht mit dem Niessbrauch ein wirkliches Vermögens-object dauernd und unbedingt auf .die Gesellschaft über. Anders ist es, wenn der Beitrag nur in persönlichen Leistungen besteht. Das Recht daran kann zwar auch rechtlich constituirt werden, durch Uebernahme einer vertragsmässigen Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft. Allein persönliche Leistungen können nicht wie eine Sache übertragen werden, da sie von der Person des Leistenden nicht losgetrennt werden können und in jedem Moment ihrer Ableistung von dieser ausgehen müssen. Hier ist daher die Beitragsleistung stets nur eine successive, und nur soweit vorhanden, als sie thatsächlich stattfindet, dagegen nicht vorhanden, sobald sie aufhört oder wohl gar nicht mehr stattfinden kann. Die rechtliche Folge dieses Unterschieds wird in den beiden folgenden Artikeln behandelt.
Art. 105. Die Uebertragung eines blossen Niessbrauchs- oder Gebrauchsrechtes auf die Gesellschaft, obwohl sie deren Vermögen vermehrt, hat nicht die Uebertragung des vollen Eigenthums zum Gegenstand, welches letztere vielmehr bei dem betreffenden Gesellschafter verbleibt. Daher kann nur der Verlust des übertragenen Rechtes, nicht auch der Verlust des vollen Eigenthums die Gesellschaft treffen. Wird also z. B. ein Haus, dessen Gebrauch auf die Gesellschaft übertragen wurde, durch ein Erdbeben oder Feuer zerstört, so hätte diesen Verlust der Eigenthümer zu tragen, und die Gesellschaft wäre nicht verpflichtet, diesem den vollen Werth des Hauses zu ersetzen. Das Gebrauchsrecht war aber ein wirkliches Vermögensrecht von einem gewissen Werthe, der ein für allemal in das Vermögen der Gesellschaft überging, und womit der schuldige Beitrag des betreffenden Gesellschafters vollständig entrichtet wurde. Daher brauchte dieser seinen Beitrag nach der Zerstörung des Hauses nicht noch einmal zu leisten, und bei der schliesslichen Auseinandersetzung der Gesellschaft müsste ihm der geleistete Werth zurückerstattet werden aus dem gesammten noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen, soweit ihm ein Antheil daran im Verhältniss seines Beitrages zukäme. Auch auf die im Lauf der Geschäftsführung anfallenden Gewinne bliebe dem Gesellschafter sein Äntheilsrecht ungeschmälert, und etwaige Verluste wären von ihm im Verhältniss seines Antheiles zu tragen.
Art. 106. Ganz anders verhält es sich mit dem Untergange persönlicher Leistungen durch Tod oder andere Ursachen der Unfähigkeit. An diesen kann ein objectives und dauerndes Vermögensrecht nicht constituirt werden, sie gehen auf die Gesellschaft nur über mit ihrer thatsächlichen Ableistung von Jahr zu Jahr, und selbst von Tag zu Tag. Der Beitrag ist somit zu Ende, wenn die Leistung aufhört, und damit auch die Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Wenn also ein solcher Gesellschafter stirbt oder unheilbar krank wird, so können nicht etwa seine Erben, oder er selbst, ein fortdauerndes Antheilsrecht an dem Gesellschaftsvermögen geltend machen. Die Verlustgefahr steht hier ganz und gar auf Seiten des Gesellschafters. Der Grund hiefür liegt darin, dass in diesen Fällen die rechtliche Beitragsleistung nicht ohne die thatsächliche Fortdauer derselben möglich ist.
Der französ. Code civil Art. 1851. wendet diesen Grundsatz auch an auf die blosse Gebrauchsüberlassung an Sachen (jouissance.) Dies können nur Sachen sein, die nicht durch den Gebrauch für Gesellschaftszwecke consumirt oder abgenützt werden; und es wird überdies eine Ausnahme gemacht für die Fälle einer Bestimmung zum Verkauf und für die Uebergabe unter einer Schätzung ihres Werthes. Thatsächlich ist daher diese Anwendung äusserst beschränkt und wird selten vorkommen. Um die Unterscheidungen nicht zu sehr zu compliciren und um der richterlichen Interpretation einen Spielraum zu lassen, wurde dieser Fall nicht in den Entwurf aufgenommen. Es würde also nach Analogie des Art. 106 zu urtheilen sein, wenn eine bestimmte, keine fungible, Sache, ohne die vorhin erwähnten Voraussetzungen, einer Gesellschaft zum blossen Gebrauche übergeben würde und diese kein Recht des Gebrauches daran erhielte.
Art. 107. Dieser Artikel findet seine Begründung in dem leitenden Princip, dass ohne Beitragsleistung keine Handelsgesellschaft und folglich auch keine Mitgliedschaft darin bestehen kann. Wer seinen Beitrag nicht leistet oder nicht leisten kann, der kann auch nicht Gesellschafter sein. Da indessen der Vertrag formell ein obligatorisches Verhältniss zwischen den Betheiligten erzeugt und das Gesellschaftsvermögen insoferne flüssiger Natur ist, als sich die Operationen nach dem jeweiligen Stande des Capitals richten können, auch Jemand, obgleich er noch nicht den Beitrag geleistet hat, doch schon durch den Credit seines Namens und durch seine persönliche Mitwirkung bei der Geschäftsführung der Gesellschaft nützlich werden kann, so erschien es zweckmässiger, die Strenge jener Rechtsfolgerung nicht schon ipso jure eintreten zu lassen, sondern sie in einer doppelten Richtung zu mildern. Einmal kann sich die Gesellschaft mit der blossen Entschädigung für den Verzug begnügen wollen, und es kann keinen Grund geben, dies gesetzlich zu verhindern; namentlich wenn der Verzug nicht lange andauert und voraussichtlich nur vorübergehend ist. Die Entschädigung wird in Zinsvergütung für die Zeit der entzogenen Capitalnutzung oder dadurch verursachten Ausgabe, und in etwaigem Schadensersatz bestehen. Und sodann soll die Gesellschaft die Wahl haben, entweder die soeben genannte Entschädigung zu verlangen, oder die Ausschliessung des Säumigen zu beschliessen. Damit kann dann auf alle etwa vorliegenden Umstände billige Rücksicht genommen werden. Von selbst versteht es sich übrigens, dass Schadensersatz auch im Falle des Ausschlusses verlangt werden kann. Denn die Unterlassung der Beitragsleistung ist eine Verletzung der übernommenen Vertragspflicht, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wer einen Contract bricht, den dadurch verursachten Schaden dem anderen Theil zu ersetzen hat, soferne ihn irgend ein Verschulden dabei trifft.
Art. 108. Es kann auch der Fall eintreten, dass die Leistung eines schuldigen Beitrages unmöglich wird. Vermögen kann verloren gehen, ein Haus, ein Waarenlager kann durch Feuer zerstört werden, Krankheit kann persönliche Arbeiten verhindern, u. s. f. In solchen Fällen trifft den Säumigen kein Verschulden, es liegt ein Zufall vor, den beide Theil, soweit er sie trifft, tragen müssen. Die Gesellschaft verliert den Beitrag, der betreffende die Möglichkeit der Mitgliedschaft, von Entschädigung und Vergütung kann hier weder nach der einen, noch nach der anderen Seite die Rede sein. Es handelt sich hier, wie wohl zu bemerken, um Ereignisse vor der Entrichtung des Beitrages; treten solche Ereignisse nach der Entrichtung ein, so kommt die Regel des Art. 105. zur Anwendung, oder auch je nach den Umständen des Art. 106. Hier erscheint es nun billig, dass die Möglichkeit, einen anderen Beitrag zu substituiren, offen gehalten wird. Dies setzt zwar die Einwilligung der übrigen Gesellschafter voraus, da es im Grunde eine Vertragsänderung involvirt. Es könnte aber auch sein, dass der Wechsel der Sache ein so geringfügiger wäre, dass er die blosse Geschäftsführung beträfe und somit auch schon von den geschäftsführenden Mitgliedern beschlossen und resp. genehmigt werden könnte. Die ausdrückliche Erwähnung dieses Punktes ist auch insoferne von Werth, als die Theilnahme nicht schon ipso jure mit der eingetretenen Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung aufhört, sondern erst nachdem die Gesellschaft darüber schlüssig geworden und zur etwaigen Substituirung eines anderen Beitrages nicht gekommen ist.
Art. 109. Wie die Gesellschaft als Gläubigerin dem einzelnen Gesellschafter gegenüber steht, hinsichtlich dessen, was dieser ihr schuldet, so hat auch umgekehrt der Gesellschafter die Rechte eines Gläubigers für das, was die Gesellschaft ihm schuldet. Der Gesellschafter schuldet der Gesellschaft nicht mehr als seinen Beitrag und die Erfüllung der in Art. 102. ausgedrückten Verpflichtungen. Was er darüber hinaus an die Gesellschaft leistet, seien es Auslagen oder förmliche Darlehen, begründet eine Schuld der Gesellschaft gegen ihn, wofür er die entsprechende Vergütung fordern kann.
In den Gesetzbüchern ist in diesem Zusammenhange auch die Rede von Verbindlichkeiten, die er für die Gesellschaft auf sich nimmt, oder von Verlusten, die er durch seine Geschäftsführung für die Gesellschaft erleidet. Dies versteht sich aber von selbst, da der Zweck einer Gesellschaft gerade in der Gemeinschaft solcher Verbindlichkeiten und Verluste für alle besteht, auch wenn sie durch die Handlung eines einzelnen Gesellschafters herbeigeführt werden. Es kann sich also höchstens um Verbindlichkeiten oder Verluste handeln, die seine Person betreffen, aber doch von der Gesellschaft zu ersetzen sind. Z. B. ein Gesellschafter fungirt als Schiffscapitain und verliert durch einen Schiffbruch sein ganzes persönliches Vermögen, das sich auf dem Schiffe befand. Der französ. Code Art. 1852 gibt einen Ersatzanspruch für die von der Geschäftsführung unzertrennlichen Verluste; ebenso das deutsche H. Gesetzbuch Art. 93. Wäre nun im genannten Falle sein Vermögen nur zufällig, nicht nothwendig, auf dem Schiffe gewesen, so könnte er keine Entschädigung fordern. Wenn dagegen ein Verlust die unmittelbare und nothwendige Folge seiner Geschäftsführung wäre, dann könnte er Entschädigung fordern.
Art. 110. Das Princip des vorhergehenden Artikels wird hier auf persönliche Dienste oder Arbeiten erstreckt. Das Princip ist, dass ein Gesellschafter nur für das Vergütung von der Gesellschaft zu fordern hat, was er ihr nicht schon durch den Gesellschaftsvertrag schuldet. Nun ist offenbar die Geschäftsführung dasjenige, was jeder Gesellschafter von selbst der Gesellschaft schuldet, und was auch regelmässig nicht als Beitrag angesehen wird. Die Geschäfte gehen nicht von selbst, sie müssen betrieben werden; was jeder einzelne Principal für sein eigenes Geschäft zu leisten hat, das haben die Gesellschafter alle zusammen für die Gesellschaft zu leisten, und zwar unentgeltlich, soferne nicht Ausnahmen in Vertrag vereinbart werden. Gehülfen, Procuristen können zwar auch von Gesellschaftern angestellt und müssen dann regelmässig honorirt werden; allein die Geschäftsleitung wird dadurch nicht ersetzt, und wofür keine Gehülfen angestellt sind, das müssen die Gesellschafter, wie jeder Principal, selbst thun. Das liegt unmitelbar im Interesse jedes einzelnen Gesellschafters und dafür kann er offenbar keine Vergütung fordern; die Vergütung dafür kann für jeden Gesellschafter nur im Antheil am Geschäftsgewinn liegen.
Es gibt aber gewisse Dienste und Arbeiten, die nicht unter den Begriff der Geschäftsführung im Sinne der Geschäftsleitung fallen, sondern mehr als besondere Leistungen, gleich Geldbeiträgen, anzusehen sind. Solche Dienste müssen honorirt werden, wenn sie von fremden Personen geleistet werden; sie sind daher auch zu honoriren, wenn sie von Gesellschaftern geleistet werden, es müsste denn gerade der schuldige Beitrag in solchen Leistungen bestehen. Wenn z. B. zwei Personen Geld Zusammenlegen, um ein Schiff zu kaufen und damit ein Transportgeschäft zu betreiben; so besteht der Beitrag jedes der beiden in der schuldigen Geldsumme und in nichts weiter. Die Geschäftsführung in Bezug auf das Transportgeschäft versteht sich als Verpflichtung beider von selbst. Wenn aber der eine ausserdem als Capitain das Schiff führt, so ist das eine besondere Leistung, für welche er Vergütung beanspruchen kann. Ebenso wenn Jemand als habitueller Reisender für eine Gesellschaft thätig wäre. Dagegen würde die Besorgung der gewöhnlichen Comptoirgeschäfte hieher nicht gehören. Im Streitfalle muss über diese Frage, da die Umstände sehr manichfaltig sein können, das billige Ermessen des Richters entscheiden. Die Regel wird immer sein müssen, dass für das, was ein Principal gewöhnlich thut um sein Gewerbe in ordentlichem Gange zu erhalten, auch ein Gesellschafter keine Vergütung fordern kann; und dass unter den Diensten und Arbeiten, für welche er Vergütung beanspruchen kann, solche zu verstehen sind, die ein Principal gewöhnlich nicht selbst verrichtet und nicht sowohl als kaufmännische Geschäftsführung, als vielmehr als Ausübung einer besonderen Profession anzusehen sind, wenn nicht etwa gerade die gemeinschaftliche Ausübung einer solchen Profession oder Kunst den Gesellschaftszweck bildet.
Art. 111. Ebenso wie ein Gesellschafter nicht schuldig ist, seine ganze persönliche Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit unbeschränkt der Gesellschaft zu opfern, so stehen andererseits auch die Mittel der Gesellschaft nicht zu seiner freien privaten Verfügung. Bekommt er Gesellschaftsgelder in seine Hände, so muss er sie wie jeder Verwalter, in die Gesellschaftscasse abliefern; auch darf er nicht aus der letzteren Casse schöpfen, um seine privaten Bedürfnisse damit zu befriedigen. Geschieht das eine oder andere dennoch, so muss er als in Verzug befindlich angesehen werden und ist schuldig, dergleichen Summen der Gesellschaft zu verzinsen und etwaigen Schaden zu ersetzen. Aehnlich wäre zu urtheilen, wenn ein Gesellschafter etwa Arbeiter, die von der Gesellschaft für deren Zwecke gedungen wären, für seine privaten Zwecke verwenden würde.Bei allen dergleichen Handlungen wird jedoch vorausgesetzt, dass sie nur ausnahmsweise und ohne böse Absicht, sondern in gutem Glauben, also mehr aus Nachlässigkeit und in der Meinung etwas erlaubtes zu thun, vorgenommen werden. Würde dagegen ein Gesellschafter die Gesellschaft bestehlen, betrügen oder sonst irgendwie hintergehen wollen, so wäre das eine so starke Verletzung seiner Pflichten, dass eine strengere Folge dafür eintreten müsste. (Art. 116.)
Art. 112. Dieser Artikel ist nur eine in allen Gesetzgebungen vorkommende Anwendung eines schon früher für Procuristen (Art. 51) aufgestellten Princips, dass wer die Interessen eines Anderen zu vertreten hat, dabei nicht auch zugleich für seine eigenen Interessen thätig sein kann. Dieses Princip wird aber hier limitirt, weil ein Gesellschafter selbst Principal ist und als solcher verschiedene Gewerbe und Unternehmungen betreiben kann, während ein Procurist nur die Person seines Principals vertritt und damit nicht auch für seine eigene Person die Stellung eines Principals einnehmen kann. Daher sind dem Gesellschafter nur solche Geschäfte auf eigene oder dritte Rechnung verwehrt, die er für die Gesellschaft vornehmen müsste, da sie in deren Geschäftsbereich oder Handelszweig fallen. Sind es aber ganz verschiedene Geschäfte, so besteht kein Grund, ihn davon auszuschliessen, weil ein der Gesellschaft nachtheiliger Interessenconflict dann nicht mehr zu befürchten ist. Eine andere Limitation liegt darin, dass selbst solche Geschäfte von einem Gesellschafter betrieben werden dürfen, wenn die Gesellschaft dazu ihre Einwilligung gibt. Es muss also vor allem offen und in gutem Glauben geschehen, und der Widerspruch der Gesellschaft hebt das Recht dazu auf. Stillschweigende Einwilligung (s. D. 96. Ital. 115.) ist jedoch nicht genügend, sondern es muss darüber im Vertrage oder einem Nachtrage dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen werden. Ohne solche förmliche Genehmigung kann die Gesellschaft jederzeit die betreffenden Geschäfte als ihre eigenen ansehen und den Gesellschafter zur Herausgabe des dabei gemachten Gewinnes anhalten. Denn in Wirklichkeit umfasst der Gesellschaftsvertrag diese Geschäfte und alle Theilnehmer sind in Bezug auf sie als gemeinschaftlich berechtigt anzusehen; es kann also nicht gestattet sein, dass einzelne Theilnehmer einen Theil dieser Geschäfte herausnehmen und für sich ausschliesslich in Anspruch nehmen. Hiezu bedarf es einer ausdrücklichen Verabredung im Vertrage. Es können Fälle vorkommen, in denen eine solche Verabredung den allseitigen Interessen entsprechen mag. Verschiedene Gewerbe eines und desselben Handelszweiges haben nicht nur entgegengesetzte, sondern auch gemeinsame Interessen; sie werden nicht blos in Concurrenz, sondern auch in Cooperation betrieben und es ist selbst eine gesellschaftliche Vereinigung nach Art. 72. ff. möglich. Aus diesen Gründen erscheint die absolute Ausschliessung eines Gesellschafters von den hier in Rede stehenden Geschäften nicht angemessen, da sie in manchen Fällen den Interessen der Gesellschaft selbst zuwider sein könnte.
Die Gesellschaft kann sich dafür entscheiden, die betreffenden Geschäfte auf ihre Rechnung zu übernehmen und eventuell Schadensleistung zu verlangen, oder aber, in schwereren Fällen, den Gesellschafter zu excludiren. Die Wahl steht in ihrem freien Ermessen. Da es sich offenbar hier um Ausführung einer Bestimmung des Vertrages handelt, weil die Grenze der Gemeinschaft des Gesellschaftszweckes genauer gezogen wird, so genügt nach Art. 97. hiefür. ein Beschluss der Majorität. Die Einwilligung der Gesellschaft degegen kann nicht durch Majorität gegeben werden, sie muss eine vertragsmässige, d. h. einstimmige sein.
Art. 113. Ueber die Gewinn- und Verlustantheile der Gesellschafter haben die Gesetzbücher verschiedene Bestimmungen. Nach dem Fr. C, civ. Art. 1853. und D. Art. 109. können zwar dieselben im Gesellschaftsvertrage frei vereinbart werden, und diese Regel hat auch der Entwurf aufgenommen. In Ermangelung einer Vereinbarung erscheint als der richtigste Massstab der Beitrag eines jeden Gesellschafters, nach seinem. Geld-, d. h. Capitalwerthe bemessen. Denn das Capital ist das eigentliche productive Element, die Action der Producenten, hier der Gesellschafter, dient nur dazu, die productive Kraft des Capitals in Bewegung zu setzen und zweckgemäss zu dirigiren. Dieser Massstab wird auch meist vereinbart werden. Er bedingt zugleich die Gleichheit aller Antheile, im Verhältniss der Capitaleinlage eines jeden; und entspricht dadurch auch der Regel des röm. Rechts. Die Vereinbarung ungleicher Antheile, und zwar sowohl in Bezug auf Gewinn als auf Verlust oder auf beides, steht den Contrahenten frei. Die im röm. Recht hierbei gemachte Voraussetzung entsprechender ungleicher Beiträge ist in den neueren Gesetzbüchern nicht adoptirt und kann dem vernünftigen Einvernehmen der Betheiligten überlassen bleiben.
Das D. G. Art. 109. hat im Gegensatz dazu die gleiche Vertheilung nach Köpfen vorgeschrieben, freilich mit der Abschwächung, dass vorerst 4 procent für die Einlage eines jeden Gesellschafters gut zu rechnen sind. Dieses etwas künstliche Arrangement hat in der Sache selbst keine Begründung, und scheint auf irrigen Ansichten über die Natur und Entstehung des productiven Gewinnes zu beruhen. Ueberall sonst herrscht der Grundsatz, dass nicht blos Zinsen, sondern auch Gewinne stets in Verhältniss des an der Production theilnehmenden Capitals berechnet werden.
Der Antheil der mit persönlichen Leistungen Betheiligten unterscheidet sich nicht von denen der anderen; er ist gleichfalls ein gewisser Capitalwerth, nur mit der Modification, dass er nicht ein für allemal, sondern von Jahr zu Jahr geleistet wird. Insoferne auch die Capital einlegenden Gesellschafter in der Regel ihre Kraft und Zeit den Gesellschaftszwecken widmen, scheint diese Art von Beiträgen auf einer verhältnissmässig niedrigen Stufe zu stehen und ihre Gleichstellung mit dem geringsten Capitaleinsatze zu rechtfertigen. Allein die Umstände können derart sein, dass gerade ein solcher Beitrag äusserst werthvoll ist und das Gedeihen, ja vielleicht die Existenz der ganzen Gesellschaft bedingt. Z. B. hat Jemand eine wichtige Erfindung gemacht, die er allein persönlich in den Handelsbetrieb einführen kann; oder es handelt sich um die Einführung eines fremden Industriezweiges, wobei ein Gesellschafter gewissermassen als Lehrer und Aufseher fungirt, und ohne ihn die Uebrigen nichts selbständig unternehmen könnten. Auch kann es vorkommen, dass alle Beiträge in der Hauptsache nur in Arbeiten bestehen, und die Geldbeiträge daneben äusserst niedrig sind. Daher erscheint es am passendsten, die Bestimmung des Capitalwerthes persönlicher Leistungen zunächst der freien Vereinbarung, und eventuell der richterlichen Entscheidung zu überlassen. Die Vorschrift des fr. Code, wornach persönliche Leistungen dem niedrigsten Capitalbeitrage gleich geachtet werden sollen, hat manche Bedenken gegen sich, sowohl wenn die Capitaleinlagen sehr hoch, als wenn sie sehr niedrig sein sollten. Sie können möglicher Weise auch überhaupt nicht ungleich sein, oder es kann von mehreren zugleich Capital und Arbeit in verschiedener Höhe eingelegt werden. Auch der Umstand kommt in Betracht, dass der Antheil für Arbeiten herabgesetzt werden müsste, wenn der Capitalbeitrag auch nur eines Gesellschafters vermindert würde oder wenn ein neuer Genosse mit geringerem Beitrag einträte. In Anbetracht dieser verschiedenen Möglichkeiten erscheint die Regel des fr. C. nicht empfehlenswert.
Art. 114. Dieser Artikel modificirt das Recht der freien Vereinbarung der Antheile insoferne, als offenbare Ungerechtigkeit, im Gegensatz zur Idee einer Gesellschaft, nicht gestattet sein soll. Schon das römische Recht schrieb vor, dass der Gewinn nicht einigen ausschliesslich der anderen zufallen dürfe. Im Gewinn muss also jedenfalls eine Gemeinschaft stattfinden, wenn auch die Antheile ungleich sein mögen. Denn es wäre unnatürlich, dass Jemand sich dazu hergeben sollte, Capital oder Arbeit zu liefern, ohne irgend einen Antheil an dem dadurch erzielten Nutzen. Das wäre offenbar ein Geschenk der einen an die anderen, und nicht mehr eine Gemeinschaft. Dagegen braucht die Gemeinschaft des Verlustes keine absolute zu sein, es müssen aber hier für Abweichungen von dem Princip der Gemeinschaft besondere Gründe vorliegen; ohne solche Gründe wäre die Befreiung einzelner von der Gemeinschaft des Verlustes ungültig und jederzeit anfechtbar. Solche Gründe mögen namentlich darin liegen, dass Jemand persönliche Leistungen von grossem Werth beiträgt, aber seine Befreiung vom Risiko zur. Bedingung seines Eintritts gemacht hat; oder dass Jemand solche Dienste unter Verzicht auf Remuneration leistet, auf deren Vergütung er nach Art. 110 einen Anspruch hätte, wenn also der Verlustantheil durch entsprechende Bemühung und persönliche Gefahr ausgeglichen wird. Auch dies ist bereits im röm. Recht anerkannt.
Art. 115. Es kommt nicht selten vor, dass Beiträge einzelner Gesellschafter zu hoch angerechnet werden, oder dass ein Gesellschafter durch Geschäfte mit der Gesellschaft entweder unmittelbar oder mittelbar, indem er Andere vorschiebt, sich einen ungerechtfertigten Vortheil auf Kosten der Gesellschaft verschafft. Auch wenn bei solchen Machinationen nicht eine betrügliche Absicht nachgewiesen werden kann, muss doch die Gesellschaft dagegen geschützt werden, da sie den Gewinn auf lange Zeit hinaus absorbiren oder die Gesellschaft vielleicht von Anfang an der Gefahr des Bankerotts aussetzen können. Sie sind ein verschleierter Weg, um die vertragsmässige Festsetzung der Antheile eines Jeden umzustossen und einzelnen auf Kosten der anderen den Löwenantheil zuzuwenden. Daher spricht der Entwurf den, Grundsatz aus, dass solche übertriebene Berechnungen später angefochten werden können: doch soll dies, um kleinliche Streitigkeiten zu verhüten, nur dann gestattet sein, wenn der wirkliche Werth erheblich überstiegen wurde. Diese übertriebenen Gründungs- und dergleichen Gewinne sind in der neueren Zeit geradezu berüchtigt geworden, und die Erfahrung hat gezeigt, dass die Solidität des gesellschaftlichen Handelsbetriebs darunter ernstlich leidet. Die im Gesetze gestattete Anfechtung kann nur gegen den Gesellschafter gerichtet werden, weil es sich um die Verletzung einer gesellschaftlichen Verpflichtung handelt. Gegen dritte, die an solchen Geschäften betheiligt waren, kann die Gesellschaft nur insoferne einen Rechtsanspruch geltend machen, als die allgemeinen Rechtsgrundsätze dies zulassen, z. B. wegen Verletzung über die Hälfte, soweit dieses Rechtsmittel gebraucht werden kann, oder wegen Betrugs u. s. f. Der Anspruch gegen den betreffenden Gesellschafter wird dahin gehen, dass dieser den der Gesellschaft verursachten Verlust zu ersetzen hat, oder dass eventuell sein Beitrag auf dessen wirklichen Werth herabgesetzt werde.
Art. 116. Der Ausschluss eines Gesellschafters kann aus verschiedenen Gründen beschlossen werden, z. B. wegen Nichtleistung des schuldigen Beitrages, oder wegen Betriebs von Geschäften, die in den Gewinnbereich der Gesellschaft fallen. In dem gegenwärtigen Artikel wird diese Ausschliessung allgemein geregelt, indem diejenigen Fälle aufgezählt werden, in welchen dieselbe ausserdem stattfinden kann. Es sind dies 3 Fälle: 1, Betrug gegen die Gesellschaft; 2, verbotene Theilnahme an der Geschäftsführung; und 3, schwere Pflichtverletzungen gegen die Gesellschaft mit Rücksicht auf Art. 102.
Der Fall des Betruges gehört wohl im allgemeinen auch unter die dritte Rubrik, aber es erscheint passend, ihn besonders hervorzuheben, da er eine besonders schwere Vergehung gegen die Gesellschaft bildet und es wichtig ist, die hier in Betracht kommenden Momente klar festzustellen. Es ist nur der Betrug im juristischen Sinne gemeint, nicht im Sinne des gewöhnlichen Lebens, der auch moralischen Betrug und überhaupt jede Art von Vertrauensverletzung begreift. Betrug bedeutet hier die Vermögensbeschädigung einer Person durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer, oder die Vorspiegelung falscher Thatsachen in gewinnsüchtiger Absicht, d. h. um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvortheil zu verschaffen. Dies ist der juristische Begriff des Betruges. Die strengen Anforderungen an die Existenz dieses Begriffes im criminalistischen Sinne sind jedoch hier nicht in vollem Umfange anwendbar, z. B. die Unterscheidung zwischen Schädigung und Entziehung von Gewinn, zwischen Vollendung und Versuch, die thatsächliche Erregung eines Irrthums u. dgl. Im allgemeinen genügt es, wenn ein Gesellschafter sich durch betrügerische Handlungen einen unerlaubten Gewinn auf Kosten der Gesellschaft verschafft oder zu verschaffen sucht. Andere Fälle des gewöhnlichen Betruges werden je nach der Schwere der Pflichtverletzung unter Ziffer 3 fallen.
Die Anmassung von Rechten der Geschäftsführung im Widerspruch mit dem Gesellschaftsvertrage ist desshalb eine schwere Pflichtverletzung, weil sie den ganzen Gang des ordentlichen Geschäftsbetriebs zu stören geeignet ist. Es liegt darin ein Missbrauch der Firma, der in vielen Fällen durch den Anspruch auf Schadensersatz nicht wieder gutgemacht werden kann. Allerdings sind solche Geschäfte für die Gesellschaft nicht bindend, und andererseits wird der betreffende Gesellschafter dafür verhaftet. Allein dies wird nicht übersall genügen. Die Firma kann dadurch in Misscredit kommen und in ihren wichtigsten Operationen durchkreuzt werden. Eine ausdrückliche Bestimmung dieses Inhalts findet sich auch im Ital. Gesetzbuch Art. 124.
Unter die dritte Rubrik gehören im allgemeinen alle schweren Pflichtverletzungen gegen die Gesellschaft; insbesondere sind zu erwähnen Unredlichkeit in der Geschäftsführung und Rechnungslegung, Missbrauch der Firma oder des Gesellschaftsvermögens für Privatzwecke, gröbliche Vernachlässigung des der Gesellschaft schuldigen Fleisses und der schuldigen Sorgfalt, Gefährdung des Rufes der Firma durch unerlaubte Manipulationen, z. B. Fälschung von Waaren, besonders durch gesundheitsschädliche Mittel u. dgl.
Durch das Recht des Ausschlusses eines derart schädlichen oder störenden Mitgliedes wird in vielen Fällen der. Auflösung der Gesellschaft vorgebeugt werden können. Es ist dazu aber, da eine Aenderung des Vertrages darin liegt, die Einwilligung sämmtlicher Mitglieder erforderlich, natürlich mit Ausnahme des Auszuschliessenden. Kann diese Einwilligung nicht erreicht werden, dann bleibt als letztes Mittel nur die Auflösung übrig. Diese ist namentlich dann nicht zu umgehen, wenn die Gesellschaft nur aus zwei Personen besteht.
Art. 117. Es wird zum Schlusse dieses Abschnittes das allgemeine Princip aufgestellt, von welchem die gegenseitigen Rechte und Pflichtern der Gesellschafter unter einander beherrscht werden, und welches in allen Gesetzgebungen anerkannt ist. Jeder einzelne Gesellschafter ist nämlich ein vollberechtigtes Organ für die Gesellschaft, jeder gilt als Stellvertreter für alle übrigen. Einer für alle, und alle für einen. Was der eine thut, wird so angesehen, als ob es jeder andere gethan hätte. Es ist dies die unmittelbare Folge des Gesellschaftsvertrages; doch kann sie selbstverständlich nur ins Leben treten, wenn dieser selbst gültig errichtet und das Gesellschaftsvermögen gebildet ist, da ohne letzteres keine Handelsgesellschaft bestehen kann. Bevor diese Bedingungen erfüllt sind, ist die gegenseitige Haftbarkeit zwar auch vorhanden, jedoch eine rein persönliche.
Die Geschäftsführung muss jedoch dem Vertrage und den Bestimmungen des Gesetzes entsprechen; also ist Einstimmigkeit oder Majorität erforderlich, wo diese vorgeschrieben sind, widrigenfalls die Zuwiderhandelnden Gesellschafter dafür persönlich aufzukommen haben.
Auch müssen die Handlungen und Geschäfte für die Gesellschaft vorgenommen werden. In den meisten Fällen wird dies schon äusserlich durch den Gebrauch der Gesellschaftsfirma angezeigt; doch ist dies kein wesentliches Erforderniss. Auch ohne den Gebrauch der Firma werden die Gesellschafter insgesammt verpflichtet oder berechtigt, wenn nur thatsächlich das Geschäft die Gesellschaft betraf. Ebenso wenig braucht das Geschäft ausdrücklich in Namen der Gesellschaft abgeschlossen zu sein.
Sind diese Bedingungen erfüllt, so ist es gleichgültig, ob die Gesellschafter vorher zugestimmt haben oder nachher ihre Genehmigung ertheilen oder nicht. Die im Vertrage ein für allemal ausgesprochene Stellvertretung kann später nicht widerrufen werden. Nur ist in gewissen Fällen nach Art. 97. die Mehrheit der Stimmen erforderlich, um beim vorherigen Widerspruch einzelner das Geschäft für alle verbindlich zu machen.
Die Pflicht der Anerkennung bedeutet, dass jeder Gesellschafter die Handlungen jedes anderen Gesellschafters so für sich gelten lassen muss, als hätte er sie selbst vorgenommen; er muss sie also auf seinen Gewinn- oder Verlustantheil repartiren lassen, und ihren Wirkungen für das Gesellschaftsvermögen und subsidiär für sein persönliches Vermögen sich unterwerfen.
§ 4. Rechte und Pflichten der Gesellschafter gegenüber dritten Personen.
Art. 118. u. 119. Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass nach aussen jeder Gesellschafter die Vertretung der Gesellschaft im vollen Umfange und in jeder Weise ausüben kann, soferne er nicht durch den Vertrag davon ausgeschlossen ist. Dies gilt sowohl bezüglich der Rechte, als bezüglich der Verpflichtungen der Gesellschaft. Hat also die Gesellschaft eine Forderung erworben, so kann jeder Gesellschafter, nicht blos derjenige, welcher sie durch seine Handlung zur Entstehung gebracht hat, sie einklagen oder sonst wie geltend machen. Allerdings muss dies im Namen der Gesellschaft geschehen, und regelmässig unter der Firma derselben; allein dies ist kein absolutes Erforderniss, wenn nur aus den Umständen erhellt, dass ein Gesellschafter für die Gesellschaft, und nicht auf seine private Rechnung handelt. Dasselbe ist hinsichtlich der Gesellschaftsschulden zu beobachten. Die Gesellschafter nehmen also die gleiche Stellung ein, wie der einzelne Principal in seinem Einzelgeschäft. Klagen gegen eine Gesellschaft können mit voller Wirkung von einem Gesellschafter vor Gericht vertreten werden, gerichtliche Zustellungen sind an einen einzelnen Gesellschafter rechtswirksam u. s. w. Dies alles ist so allgemein anerkannt, dass eine weitere Erörterung darüber überflüssig scheint.
Art. 120. In den beiden vorhergehenden Artikeln wurde die Ausübung der Rechte einer Gesellschaft, und die Geltendmachung ihrer Verpflichtungen festgestellt. Es folgt nun in diesem Artikel weiterhin die Beantwortung der Frage, wie Rechte und Verbindlichkeiten einer Gesellschaft entstehen? Die Antwort ist, durch die Handlungen ihrer Mitglieder. Diese Seite der Sache ist mit der vorgehend erörterten auf das engste verflochten und beruht auf dem gleichen Grunde, nämlich der allgemeinen gegenseitigen Vertretungsbefugniss aller Gesellschafter. Jeder Gesellschafter kann daher vor allem rechtsgültig über das Gesellschaftsvermögen verfügen, und zwar über das unbewegliche wie bewegliche Vermögen, und durch alle Arten von Rechtsgeschäften. Er kann somit insbesondere Grundstücke veräussern oder verhypotheciren. Er kann Forderungen für die Gesellschaft erwerben, Schulden für sie eingehen, Vergleiche und jegliche Verträge insbesondere auch Wechsel- und andere Creditgeschäfte für sie abschliessen. Die Rechtswirkung aller solcher Geschäfte ist immer die, dass die Gesellschaft unmittelbar und unbeschränkt davon betroffen wird. Das gleiche gilt von ungesetzlichen Handlungen, die ein Gesellschafter im Betrieb der Gesellschaftsgeschäfte begeht, z. B. Uebertretung von Zollvorschriften, Fälschung von Nahrungsmitteln, Einfuhr verbotener Waaren u. dgl. Auch kommt nicht darauf an, ob die Gesellschaft davon Vortheil oder Nachtheil hat, ob ein gemachter Erwerb in die Gesellschaft eingebracht wird oder nicht, oder ob ein Gesellschafter selbst unredlich und betrügerisch gegen die Gesellschaft handelt oder nicht. Auch die Schranke besteht nicht, dass das betreffende Geschäft in den allgemeinen Geschäftsbereich der Gesellschaft gehören muss. Hierüber können dritte Personen nicht wohl urtheilen; für sie muss es genügen, dass der Gesellschafter als solcher, d. h. für die Gesellschaft auftrat. Die Handelsoperationen sind in der neueren Zeit derartig complicirt und manichfaltig, dass sie auf bestimmte Geschäftsgebiete nicht wohl beschränkt werden können.
In dieser Beziehung besteht eine bedeutende Verschiedenheit zwischen der Vertretungsbefngniss der Gesellschafter nach innen und nach aussen. In ersterer Hinsicht ist jeder Gesellschafter durch den Vertrag, durch Majoritätsbeschlüsse und andere Vereinbarungen gebunden; wenn er diese -überschreitet, ist er dafür allein verantwortlich, und kann die übrigen nicht mit zur Verantwortung ziehen. Denn insoweit wurde ihm die Vertretungsbefugniss geradezu entzogen. Allein nach aussen kann diese Beschränkung nicht bestehen, da hier jeder einzelne als voller Principal gelten muss und dritte sich an die besonderen Verabredungen der Gesellschafter unter sich nicht kehren können.
Art. 121. In diesem Artikel wird noch ausdrücklich verordnet, dass nach aussen die Vertretungsbefugniss der Gesellschafter, soferne sie dieselbe überhaupt besitzen, nicht beschränkt werden kann; eine solche Beschränkung hätte auch dann keine Wirkung, wenn sie dritten Personen mitgetheilt worden wäre oder diese sonst davon Kenntniss erhalten hätten. Auch der Widerspruch der übrigen Gesellschafter gegen Operationen der Geschäftsführer ist wirkungslos.
Diese absolute Vorschrift scheint geboten, um den Geschäftsführern eine feste und gleichmässige Stellung nach aussen zu gewähren, und trägt zur Sicherung des Gesellschaftscredits wesentlich bei. Nach aussen muss, damit die Firma auf festen Füssen stehen kann, jeder Gesellschafter dem anderen gleich stehen. Wenn also der eine ein Geschäft vornimmt, so muss er als dazu befugt angesehen werden, auch wenn ein anderer ihm das Gegentheil notificiren würde; denn welchem von beiden sollte man wohl mehr Glauben schenken? Da eine Gesellschaft auch durch betrügerische Handlungen ihrer Mitglieder gebunden ist, so muss dies um so mehr bei blossen Verletzungen des Vertrages oder sonstigen Vereinbarungen gelten.
Art. 122. In den bisherigen Gesetzbüchern wird die solidarische Haftung aller Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft an die Spitze gestellt. Dieses Princip ist auch in dem vorliegenden Artikel angenommen, nur mit der Modification, dass primär und unmittelbar das Gesellschaftsvermögen haftet. Dies entspricht mehr der practischen Behandlung der Dinge und auch der Natur der Handelsgesellschaften. Die Ansprüche gegen die Gesellschaft können zwar nach Art. 119 ohne weiteres gegen jeden Gesellschafter gerichtet werden, allein die Befriedigung des Gläubigers muss doch aus dem Gesellschaftsvermögen erfolgen, welches eben dafür gebildet worden ist. Die Gesellschaft als solche ist Schuldnerin und nicht der einzelne Gesellschafter, dessen Privatschulden von den Gesellschaftsschulden auch anderweitig strenge gesondert werden, wie später aus Art. 127— 129 erhellt. Die Gesellschaft haftet aber für ihre Schulden mit dem gesammten Vermögen ihrer Mitglieder, welche dafür ungetheilt in Anspruch genommen werden können. Man pflegt dies nicht ganz genau mit dem Ausdruck: solidarische Haft zu bezeichnen; denn die Solidarhaft bedeutet die ungetheilte Haftung mehrerer Personen neben einander für eine gewisse Schuld. Die Gesellschafter haften aber nicht sowohl neben und zugleich mit der Gesellschaft, als vielmehr für die Gesellschaft, deren Glieder sie sind. Die Wirkung ist, dass der Credit der Gesellschaft nicht blos auf den Beiträgen, sondern auf dem ganzen Vermögen der Mitglieder beruht, also das Gesellschaftsvermögen, soweit es zur Erfüllung von gesellschaftlichen Verbindlichkeiten dient, sich aus dem Vermögen aller Mitglieder zusammensetzt. Letzteres dient zur Deckung der Gesellschaftsschulden; diese werden aber dadurch nicht Schulden der einzelnen Mitglieder.
In dieser Beziehung wird kein Unterschied gemacht zwischen geschäftsführenden und anderen Mitgliedern; auch nicht zwischen denen, die ihren Namen in der Firma haben, und den nicht genannten. Da die letzteren mit den ersteren registrirt und öffentlich bekannt gemacht werden ohne irgend eine Beschränkung ihrer Haftung, stehen sie den ersteren völlig gleich.
Art. 123. Die im vorigen Artikel principiell für die sämmtlichen Gesellschafter normirte Haftung wird hier auf einige andere Personen ausgedehnt. Zuerst auf die sog. nominellen Gesellschafter, die in der Firma als solche erscheinen, ohne wirkliche Gesellschafter zu sein. Man pflegt dies damit zu begründen, dass die Firma, da sie auf bestimmte Personen hinzeigt, damit über ihren Credit entscheidet, und dass Personen, die ihren Namen hergeben, damit auch ihren Credit der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Ganz zutreffend mag dies nicht in allen Fällen sein, doch mag es mit Rücksicht auf Art. 82, nach welchem Gesellschaften eine frühere Firma nicht fortsetzen dürfen, vertheidigt werden, da in Folge dessen Personen, die ihren Namen in der Firma belassen, immer irgendwie in der Gesellschaft ein Interesse haben werden.
Ebenso sind haftbar solche Personen, welche sich als Gesellschafter geriren, ohne es wirklich zu sein. Es ist dies der gleiche Fall wie der vorige, nur dass, anstatt des Namens in der Firma, hier die active Betheiligung an der Geschäftsführung den Ausschlag gibt. Auch solche Personen werden irgend ein Interesse in der Gesellschaft haben, namentlich als stille Gesellschafter mit beschränkter Vermögenseinlage (Art. 74.). Ganz allgemein gilt dies auch von Commanditisten.
Der dritte Fall betrifft die sog. dormant partners, d. h. heimliche Gesellschafter, welche sich öffentlich nicht als solche kundgeben, und gleichwohl alle Rechte und Pflichten der Gesellschafter auf sich nehmen. Eine Bestrafung solcher Personen erscheint den Principien der modernen Jurisprudenz nicht gemäss, dagegen ihre Haftung gleich den öffentlich bekannten Gesellschaftern kann keinem Bedenken unterlieget!. Da sie namentlich den vollen Gewinn theilen und sonst alle Befugnisse von Gesellschaftern ausüben, müssen sie auch der vollen Haftung gleich wie diese unterliegen.
Art. 124. Handlungsgehülfen und Procuristen sind keine Principale, ihre Stellung im Gewerbe ist abhängig und beschränkt, auf sie kann daher die Haftung der Gesellschafter nicht ausgedehnt werden, wenn sie gleich, etwa als stille Gesellschafter ein Interesse in der Gesellschaft haben mögen und etwa ihre Remuneration in einem Antheil am Gewinn besteht. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Ital. Code Art. 114.
Art. 125. U. 126. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 113. hat zwar die Bestimmung, dass neu eintretende Mitglieder auch für alle früheren Gesellschaftsschulden haften müssen, es erscheint aber die entgegengesetzte Regel des englischen Rechts mehr der Billigkeit und der Natur der Sache entsprechend. Der Grund hiefür ist, dass die Pflichten mit den Rechten correspondiren müssen. Jemanden für Schulden verantwortlich zu machen, an deren etwaigem Gewinnergebnisse er keinen Antheil hat, widerspricht einer Grundregel des Rechts. Es kann zwar eine solche Haftung ausdrücklich übernommen werden, allein sie versteht sich nicht von selbst und setzt jedenfalls eine vorherige Regulirung zwischen den Betheiligten voraus, die vertragsmässig bestimmt sein muss, oder mindestens eine thatsächliche Betheiligung am Gewinn. Die Regel ist mithin, dass neue Mitglieder für ältere Schulden nur insoweit haften, als sie diese Haftung ausdrücklich übernommen haben. Es muss dies ein wirkliches Zahlungsversprechen sein, nicht eine blosse Anerkennung der Schuld, oder ein Antheil an der Mitbenützung, denn letztere fällt mit dem Geschäftsgewinn selbst nicht zusammen.
Art. 127. In den vorausgehenden Artikeln dieses Abschnittes wurde zunächst festgestellt, dass nach aussen jeder Gesellschafter ein gleiches und unbeschränktes Recht der Vertretung hat in Bezug auf die Rechte und Verbindlichkeiten der Gesellschaft; dass diese Rechte und Verbindlichkeiten selbst stets durch die Vertretungsbefugnisse der Gesellschafter entstehen; und dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zunächst deren eigenes Vermögen, sodann aber auch das gesammte persönliche Vermögen der Gesellschafter verhaftet sei. Diese letztere Haftung wurde sodann in den Artikeln 123—126 rücksichtlich verschiedener specieller Fragen näher bestimmt. In den nunmehr folgenden drei Artikeln wird schliesslich das Verhältniss des Gesellschaftsvermögens zu dem Privatvermögen der Gesellschafter geordnet. Es geschieht dies nach dem Princip der Separation, welches im modernen Handelsrecht mehr und mehr zur Geltung kommt, und eine Consequenz des bereits in den allgemeinen Bestimmungen aufgestellten Princips ist, dass die Handelsgesellschaften ein eigenes Vermögen besitzen und erwerben können. Sie sind desshalb zwar nicht als juristische Personen anzusehen, und ihr Vermögen ist effectiv immer das Vermögen ihrer Mitglieder. Allein es ist von dem letzteren für die Zwecke des Handelsbetriebes ausgeschieden, separirt, und wird soweit diese Zwecke in Frage kommen, als ein besonderes Vermögen behandelt; ein Verfahren, das sogar auch in Bezug auf das Handelsvermögen und das Privatvermögen eines Einzel-Kaufmanns beobachtet Zu werden pflegt.
Es wird daher zuerst in Art. 127 der Grundsatz aufgestellt, dass das Gesellschaftsvermögen nur zur Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch genommen werden dürfe. Es unterliegt nur den Verfügungen der Gesellschaft, obgleich diese durch ihre einzelnen Mitglieder handeln muss; allein diese sind insoweit nur Organe der Gesellschaft. Die einzelnen Mitglieder können also das Gesellschaftsvermögen für ihre persönlichen Zwecke nicht mit Verbindlich keiten belasten, und für ihre persönlichen Verbindlichkeiten haltet das Gesellschaftsvermögen nicht, obgleich es nur aus den Beiträgen und den etwaigen Gewinnen der Einzelnen sich zusammensetzt. Denn diese Beiträge werden eben Eigenthum der Gesellschaft, und es muss ja selbst das, was der Einzelne aus dem Gesellschaftsvermögen für sich entnimmt, verzinst und zurückerstattet werden, gleichwie gegenüber jeder anderen Person.
Diese. Separation hat aber zwei selbstverständliche Grenzen: 1, Rechte zu Gunsten von Privatgläubigern, die bereits vor der Beitragsleistung bestanden, können dadurch nicht aufgehoben werden. Hypotheken und Pfandrechte, die schon vor diesem Zeitpunkt begründet waren, dauern fort, und können jederzeit von den betreffenden Privatgläubigern geltend gemacht werden. Wird hiedurch der Beitrag des einzelnen Mitglieds gemindert oder verändert, so werden die früher hierüber gegebenen Normen anzuwenden sein, es könnte also unter Umständen selbst zur Ausschliessung des Mitgliedes kommen.
2, Die Separation findet nur so länge statt, als das Gesellschaftsvermögen besteht, d. h. bis zur Theilung. Hiedurch kehrt es in seinen einzelnen Theilbeträgen wieder in reinen ursprünglichen Rechtszustand zurück, es wird wieder reines Privatvermögen der Gesellschafter und ist dann wiederum allen Ansprüchen von deren Gläubigern gleichwie deren anderweitiges Vermögen unterworfen. Die Theilung besteht entweder in der Uebertragung von Eigenthum und anderen dinglichen Rechten, oder von Forderungen. Häufig und regelmässig werden die verschiedenen Antheile in Geld zurückerstattet werden, doch ist dies nicht nothwendig. Wie die Beitragsleistung am Anfänge, so muss auch die Theilung am Ende reell vorgenommen werden; es genügt also nicht, dass ein Mitglieder einen gewissen Theilungsanspruch hat, um seinen Gläubigern Rechte an den Objecten der Theilung zu verschaffen.
Art. 128. Es handelt sich aber auch um die Frage, ob die Befriedigung der Gläubiger eines Gesellschafters durchaus bis zur Auflösung der Gesellschaft verschoben werden muss und ob nicht die Rechte dieser Gläubiger auch während des Bestehens der Gesellschaft gesichert werden können. Der Entwurf beantwortet diese Frage in der Weise, dass die Gläubiger eines Gesellschafters nur das in Anspruch nehmen können, was dieser letztere selbst auch ohne Zustimmung der Gesellschaft herausziehen könnte. Ist die Gesellschaft freiwillig mit der Befriedigung von Gläubigern aus dem Gesellschaftsvermögen einverstanden, so hat es hiebei sein Bewenden, und die Gesetzgebung kann keinen Grund haben, dagegen etwas einzuwenden. Hier kommt namentlich in Erwägung, dass die Handelsgesellschaften keine wirklichen juristischen Personen sind und dass die Interessen der einzelnen Mitglieder stets durch allseitige Vereinbarung, nöthigenfalls durch Vertragsänderung, berücksichtigt werden können. Die Frage betrifft also nur diejenigen Ansprüche, die auch ohne Zustimmung der Gesellschaft durchgesetzt werden können. Hier ist nun klar, dass die Gläubiger ein doppeltes Befriedigungsobject haben werden, 1, die im Laufe des Gesellschaftsbetriebs anfallenden Gewinnantheile, welche zur Auszahlung gelangen oder deren Auszahlung gefordert werden könnte; dies setzt aber voraus, dass kein Verlust vorliegt, insbesondere der ursprüngliche Beitrag nicht gemindert ist (Art. 137.) und 2, den ursprünglichen Beitrag, welchen der Gesellschafter herausziehen kann, z. B. im Fall seines Todes, oder auf dem Wege der Kündigung, oder in Folge von Bankerott, oder bei theilweiser Zurücknahme mittelst Verminderung des Beitrages (Art. 91.). Diese Fragen hängen mit dem Austritt einzelner Mitglieder enge zusammen und können erst in diesem Zusammenhange erörtert werden.
Hieraus ergibt sich die Regel, dass der Gesellschaftsantheil eines Gesellschafters von dessen Gläubigern, abgesehen von den jährlich anfallenden Gewinnen, nur insofern in Anspruch genommen werden kann, als derselbe ausgetreten ist oder auszutreten berechtigt wäre.
Art. 129. In diesem Artikel werden die vorstehenden Grundsätze nur auf eine besondere Art der Befriedigung von Gläubigern angewendet, nämlich auf gegenseitige Abrechnung oder Gegenrechnung zwischen zwei Personen, von denen jeder Schuldner und Gläubiger des andern ist. Wenn A dem B 1000 D. schuldet, und ebenso, aus einem anderen Geschäft, B dem A 1000 D., so braucht keiner den anderen wirklich zu bezahlen, sie brauchen nur ihre gegenseitigen Schulden mit einander abzurechnen. Diese Art der Tilgung von Forderungen und Schulden ist auch im Handel sehr gebräuchlich, es bestehen dafür sogar besondere grosse Anstalten, wie die sog. Clearing houses in London und New York. Allein nur. Handelsschulden können compensirt werden, nicht Handels- und Privatschulden. Wäre also A einer Gesellschaft 1000 D. schuldig, und zugleich Gläubiger des B, eines Mitgliedes dieser Gesellschaft, auf 1000 D. so könnte er nicht anstatt an die Gesellschaft zu zahlen, seine letztere Forderung an B geltend machen, da das Gesellschaftsvermögen und das Vermögen des B juristisch getrennt sind, eine Compensation aber nur in Bezug auf ein und dasselbe Vermögen stattfinden kann. Umgekehrt wenn B, ein Gesellschafter, eine Forderung von 1000 D. gegen A hätte, dieser aber eine Forderung von 1000 D. an die Gesellschaft, so wäre das gleiche zu beobachten. Denn im letzteren Falle wäre nicht B, sondern die Gesellschaft die Schuldnerin, von dieser Schuld bliebe die Forderung des B gänzlich unberührt.
Keinem Zweifel unterliegt es jedoch, einmal dass Gesellschaftsschulden gegen Gesellschaftsforderungen compensirt werden können, auch wenn erstere gegen einen einzelnen Gesellschafter geltend gemacht werden (Art. 119.); und sodann auch gegen Privatforderungen, wenn die Gesellschaftschuld nach Art. 122. gegen das Privatvermögen des einzelnen Gesellschafters geltend gemacht wird. Denn insoweit wird die Gesellschaftsschuld eventuell zu einer Privatschuld des einzelnen Gesellschafters.
Dass nach den gleichen Grundsätzen auch im Fall des Bankerotts einer Gesellschaft zu verfahren ist, versteht sich von selbst, kann aber erst später am geeigneten Orte im Detail geordnet werden. Es werden also auch in diesem Falle die Gesellschaftsgläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen abgesondert zu befriedigen und soferne ein Ausfall besteht, an das Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter zu verweisen sein.
Art. 130. Die Bestimmung dieses Artikels ist eine Ergänzung der vorhergehenden Bestimmungen über die Natur des Gesellschaftsvermögens als eines Befriedigungsobjects für die Gesellschaftsgläubiger und dient zu deren Sicherung dagegen, dass durch freiwillige Abmachungen zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern das Gesellschaftsvermögen vermindert werden würde. Es ist dies eine Anwendung des Princips der sog. Paulianischen Klage, jedoch mit der Abweichung, dass weder betrügerische Absicht noch ein förmlicher Bankerott der Gesellschaft vorausgesetzt wird. Dieser Artikel würde auch Anwendung finden, wenn einem Gesellschafter eine Schuld an die Gesellschaft oder die Tragung seines entsprechenden Verlustantheils ganz oder theilweise erlassen würde. In solchen Fällen können die Gläubiger der Gesellschaft ihre Rechte gegen das Vermögen des Gesellschafters binnen Jahresfrist geltend machen, als wenn der fragliche Gegenstand noch im Gesellschaftsvermögen sich befände.
§ 5. Ausscheiden einzelner Gesellschafter.
Das Ausscheiden einzelner Gesellschafter und die Auflösung der Gesellschaft selbst wird in den älteren Gesetzbüchern nicht genügend auseinander gehalten, indem man der Meinung war, dass das Ausscheiden auch nur eines einzigen Mitgliedes nothwendig die Auflösung der Gesellschaft zur Folge habe. Diese Meinung war der römischen Gesellschaftstheorie entsprungen, nach welcher eine Societät nichts weiter als ein rein persönliches Vertragsverhältniss war und durch jeden Wechsel der Personen aufhören musste. Die römische Anschauung war dabei die, dass eine Societät nur durch gegenseitige Auswahl bestimmter Personen entstehen könne und solches Vertrauen aller Mitglieder unter einander erfordere, dass sie in Bezug auf andere Personen nicht mehr fortbestehen könne. Es muss hier bemerkt werden, dass das römische Recht die Obligationen überhaupt als von der Person der Contrahenten untrennbar ansah und eine Uebertragung derselben, ausser dem Fall der Universal-Succession, nicht zuliess. Obgleich das letztere Princip in dem neueren Rechte allgemein aufgegeben ist, wirkte doch in Bezug auf Gesellschaften die römische Anschauung noch darin fort, dass man das Ausscheiden einzelner Mitglieder stets als eine Endigung der Gesellschaft ansah und der neueren Rechtsauffassung, sowie den Bedürfnissen des Handelsbetriebs die Concession machte, dass man die Gesellschaft trotz des Wegfalles einzelner Mitglieder fortbestehen liess, wenn dies im Gesellschaftsvertrage oder nachher unter den Bleibenden vereinbart wurde. Hiernach findet die Auflösung nur statt, wenn die Betheiligten sie wollen. Die ältere Theorie will aber in solchem Falle die fortdauernde Gesellschaft als eine neue betrachtet wissen, und in der Gesetzgebung ist regelmässig bestimmt, dass die Fortdauer nur eintritt, wenn die Betheiligten sich darüber ausdrücklich geeinigt haben, sei es eintretenden Falls, oder im voraus bei der Gründung.
Der Entwurf macht sich von diesen letzten Ueberresten der altrömischen Anschauung völlig frei und bestimmt, dass ebenso wie durch den Hinzutritt, so auch durch das Ausscheiden einzelner Mitglieder die Gesellschaft nicht aufgelöst oder verändert wird. Es ist dies die klare Folgerung aus dem Princip, dass auch eine Collectivgesellschaft ein besonderes rechtliches Wesen mit eigenem Vermögen und eigener Rechtsfähigkeit ist. Sie muss folglich unabhängig sein von dem Wechsel ihrer Mitglieder, und ist in dieser Beziehung gleich wie eine Actiengesellschaft oder eine juristische Person zu behandeln. Es kann allerdings im Gesellschaftsvertrage bestimmt werden, dass der Austritt eines Mitgliedes die Auflösung nach sich ziehen solle. Dies ist in Ubereinstimmung mit der contractlichen Natur der Collectivgesellschaft. Allein wenn diese Bestimmung nicht getroffen ist, dauert die Gesellschaft fort, denn dann müssen die Mitglieder auf Grund der Ueberzeugung zusammengetreten sein, dass die Mitgliedschaft Einzelner .keine wesentliche Bedingung ihrer Vereinigung sei. So gut wie einzelne Mitglieder neu hinzutreten können, müssen auch einzelne ausscheiden können, freiwillig oder unfreiwillig, ohne dass der Fortbestand der Gesellschaft dadurch berührt würde.
Diesen Grundsätzen gemäss wurde im Entwürfe das Ausscheiden einzelner Mitglieder als ein besonderer Fall behandelt und von der Auflösung der Gesellschaft gänzlich getrennt. Diese Behandlung entspricht ohne Zweifel dem heutigen Rechtsbewusstsein, welches das Gesellschaftsvermögen zum Existenzgrund der Collectivgesellschaften macht und die Gesellschafter als Agenten oder Administratoren derselben ansieht. Es wird dadurch das practische Bedürfniss nach Stetigkeit und Unabhängigkeit des Handelsbetriebs von Zufällen, welche die einzelnen Personen betreffen können, besser befriedigt, und es ist nicht einzusehen, warum eine Gesellschaft nicht fortdauern solle, auch wenn einer ihrer Agenten wegfällt. Das persönliche Vertrauen kann auch unter den Zurückbleibenden fortdauern, und das Gesellschaftsvermögen wird nach wie vor die Basis ihres Handelsbetriebes bilden.
Art. 131. Es wird zunächst bestimmt, in welchen Fällen ein Ausscheiden einzelner Mitglieder stattfindet. Dasselbe kann sowohl freiwillig als unfreiwillig sein. Der Hauptfall des unfreiwilligen Ausscheidens ist der Ausschluss durch Beschluss der Gesellschaft, wovon bereits in früheren Artikeln gehandelt wurde. Andere Fälle sind l, der Tod eines Mitgliedes. Hier kann aber, soferne der Gesellschaftsvertrag nicht anders bestimmt, der Erbe an die Stelle des Verstorbenen treten und es wird sodann in den Gesellschaftsverhältnissen nichts geändert. Sind mehrere Erben vorhanden, so wird es von specieller Vereinbarung zwischen den Erben und mit der Gesellschaft abhängen, wie das Verhältniss dieser mehreren Erben geordnet werden soll. Sie können entweder sämmtlich als gleichberechtigte Gesellschafter, jeder zu seinem Erbschaftsanteile, in die Gesellschaft eintrefbn, oder zusammen nur den bisherigen Gesellschaftsantheil des Verstorbenen übernehmen, was eine specielle Verabredung unter ihnen nöthig machen wird. Eine Vorschrift kann darüber vom Gesetzgeber nicht ein für allemal erlassen werden. Kommt es zu keiner Einigung, dann können sie nur den Antheil ihres Erblassers an Gewinn oder Verlust haben, aber keine persönlichen Rechte der Geschäftsführung, der Abstimmung u. s. f.
2, Verlust der Selbständigkeit, durch Geisteskrankheit, Stellung unter Curatel wegen Verschwendung, Heirath einer Frauensperson, etwa auch durch Verurtheilung in eine Criminalstrafe. Hier wird in der Regel ein wirkliches Ausscheiden stattfinden, doch ist es möglich, dass der Curator das Gesellschaftsverhältniss nach besonderer Vereinbarung mit der Gesellschaft fortsetzt.
3, Bankerott. Wenn ein Gesellschafter bankerott wird, verliert, er das Recht der Verfügung über sein Vermögen, welches auf seine Gläubiger übergeht. Damit ist seine persönliche Selbständigkeit in Bezug auf sein noch vorhandenes Vermögen und seine Creditfähigkeit für die Gesellschaft zu Ende und er kann nicht länger Mitglied der Gesellschaft sein. Seine Rechte an seinem Gesellschaftsantheil gehen auf die Gläubiger über, welche dessen Ausantwortung zum Zweck ihrer Befriedigung verlangen können. Warum in diesem Falle die anderen Gesellschafter sich auflösen sollten, ist nicht einzusehen. Die Gesellschaft selbst, ebenso wie übrigen Mitglieder, können fortdauernd solvent bleiben, und es ist dem Rechte Genüge geschehen, wenn dem bankerott Gewordenen sein Antheil, so weit er ihm zukommt, ausgeliefert wird.
Endlich kann ein Gesellschafter auch ausscheiden durch freiwilligen Austritt. Die Motive hiezu können manichfaltiger Art sein, sie liegen aber ganz und gar in seinem eigenen Ermessen; Uneinigkeit, Ausbleiben gehofften Gewinnes, Ergreifung eines anderen Berufes, Uebersiedelung an einen anderen Ort, Vermögensverluste, hohes Alter, Kränklichkeit u. dgl. Der Austritt aus diesen und anderen Gründen muss jedem frei stehen. Hat sich freilich Jemand durch Vertrag auf bestimmte Zeit gebunden, so kann er davon nur durch Zustimmung der Gesellschaft entbunden werden. Ist aber keine bestimmte Zeitdauer verabredet, so kann der Austritt jederzeit erfolgen, nur unter Beobachtung der in Art. 133 getroffenen Vorschriften.
Art. 132. Die Bestimmung dieses Artikels ist die nothwendige Consequenz der allgemeinen Vorschriften über Registrirung und überdies bereits in dem Art. 86 enthalten. Sie wurde hier nur der grösseren Bestimmtheit wegen wiederholt, und zugleich auch um die Vorschrift der Angabe des Grundes, aus welchem das Ausscheiden erfolgt, beizufügen. Diese Angabe empfiehlt sich aus Zweckmässigkeitsrücksichten, um über die fortdauernden Creditverhältnisse der Gesellschaft ein Urtheil in der Geschäftswelt zu ermögliche.
Art. 133. Es herrscht in der Jurisprudenz die Ansicht, dass zwar jeder Gesellschafter das Recht der freien Aufkündigung haben solle, es aber nicht unzeitig zum Nachtheil der Gesellschaft ausüben dürfe, widrigenfalls er zum etwaigen Schadensersatze verpflichtet sei. Diese Ansicht ist vollkommen richtig und durch die Natur des Gesellschaftsverhältnisses begründet, wornach ein Gesellschafter nicht gegen die Interessen der ganzen Gesellschaft handeln darf, um seine Privatinteressen zu verfolgen. Diese Pflicht muss auch beim Austritt noch beobachtet werden. Es wird aber in vielen Fällen schwer sein, diese Pflicht eines Gesellschafters in Anwendung auf vorliegende Umstände genau zu bestimmen, und es können daraus viele Streitigkeiten und Verwicklungen entstehen. Daher empfiehlt es sich, nach Analogie anderer dauernder Vertragsverhältnisse eine angemessene Kündigungsfrist festzusetzen und den Austritt nur in bestimmten Terminen zu gestatten, da man annehmen kann, dass bis zum Ablauf der Frist ein hinreichender Spielraum für die ehrliche Sonderung der Gesellschaftsinteressen und der Privatinteressen des Austretenden gegeben sein wird. Nur ausnahmsweise, aus wichtigen Gründen, kann auch früherer Austritt gefordert werden; z. B. wegen nothwendiger schleuniger Abreise, oder wenn der Gesellschaftszweck nach Ansicht des Gesellschafters unmöglich geworden ist, überhaupt aus Gründen, welche vernünftiger Weise zur freiwilligen Auflösung der Gesellschaft führen sollten, die aber wegen des Widerspruchs der übrigen Mitglieder nicht durchgesetzt werden kann. Wenn die Parteien sich darüber nicht einigen können, muss das billige Ermessen des Richters entscheiden.
Art. 134. In diesem Artikel wird der diesem ganzen Abschnitt zu Grunde liegende Satz ausgesprochen, dass an sich, d. h. der blosse Austritt Einzelner die Auflösung einer Gesellschaft nicht zur Folge hat. Es kann zwar das Gegentheil verabredet sein, sei es im ursprünglichen Vertrag, sei es später. Solche Vertragsbestimmungen sind gültig und nicht zu verwehren. Es bedarf jedoch, und darin liegt die Bedeutung dieses Artikels, keiner besonderen Vereinbarung für den Fortbestand, auch keiner Neubegründung der Gesellschaft, keines neuen Vertrages, keiner neuen Registrirung u. s. f. Die Auflösung tritt nur ein, wenn sie als Folge des Austrittes ausdrücklich vereinbart wurde. Sie kann offenbar als Regel nicht vermuthet werden; denn es ist nicht das gewöhnlich im Leben vorkommende, dass jeder einzelne Gesellschafter eine unbedingte Nothwendigkeit für die Gesellschaft ist. Nur wenn es ausdrücklich verabredet würde, kann es als Thatsache angenommen werden. Ausserdem wird die Gesetzgebung sich an die gewöhnliche Erfahrung halten müssen, dass Gesellschafter, wie Menschen überhaupt, ersetzbar oder entbehrlich sind, und dass namentlich ein einmal gegründetes Gewerbe fortbestehen kann ohne eines einzelnen Gesellschafters absolut zu bedürfen.
Auch darauf ist noch hinzuweisen, dass der Ausschluss eines Mitgliedes durch die Gesellschaft nirgends als ein Auflösungsgrund für alle angesehen wird. Consequenter Weise wird man aber jedes andere Ausscheiden nicht anders beurtheilen dürfen.
Art. 135. Durch das Ausscheiden hört das Gesellschaftsverhältniss für den Ausgeschiedenen auf, und er steht nunmehr der Gesellschaft wie jede andere Person gegenüber. Die Interessen der Gesellschaft sind nicht mehr die seinen, er steht in dieser Hinsicht in keiner Verpflichtung mehr, hat aber auch in der Gesellschaft keine Rechte mehr zu beanspruchen. Er kann von jetzt an durch seine Handlungen weder Rechte noch Verpflichtungen für die Gesellschaft mehr hervorbringen; die gesellschaftlichen Rechte und Pflichten können weder von ihm noch gegen ihn mehr ausgeübt werden, sein Antheil am Gesellschaftsvermögen hört auf, und die Geschäfte, welche die Gesellschaft nach seinem Ausscheiden vornimmt, haben auf ihn keine Beziehung mehr, weder nach der Seite des Gewinnes noch des Verlustes. Dies ist die Regel. Es finden jedoch nothwendiger Weise gewisse Ausnahmen statt, welche daher rühren, dass das Vermögensverhältniss des Ausgeschiedenen zur Gesellschaft nicht mit einem Schlage aufgehoben werden kann, dass es nach gewissen Grundsätzen in Ordnung zu bringen ist, und dass auch dritte Personen durch das Ausscheiden einzelner Mitglieder nicht unmittelbar benachtheilig werden dürfen.
Eine dieser Ausnahmen ist sofort in dem gegenwärtigen Artikel erwähnt. Sie betrifft die Fortdauer der Betheiligung des Ausgeschiedenen an den noch in seine Zeit fallenden Geschäften, die im Zeitpunkt des Ausscheidens noch nicht beendigt und abgewickelt sind. Diese Betheiligung ist aber eine rein passive; der Ausgeschiedene hat daran nur seinen etwaigen Gewinn- oder Verlustantheil, nichts weiter. Als Vertreter der Gesellschaft darf er sich auch in Bezug darauf nicht mehr geriren. Er kann also auch für die Gesellschaft keine Rechte und Pflichten mehr hervorbringen, seine active Theilnahme auch an diesen Geschäften ist zu Ende. Diese Geschäfte müssen von den zurückbleibenden Gesellschaftern zu Ende geführt werden, die ihm natürlich, da es sich um Gesellschaftssachen handelt, fortdauernd Treue und guten Glauben, sowie die gebührende Sorgfalt schulden. Er kann jedoch Rechnungslegung fordern, und zwar mindestens alljährlich, wenn sich die Abwicklung über mehrere Jahre erstrecken sollte. Auch sind ihm alle von Zeit zu Zeit etwa anfallenden Gewinne, soweit sie von Verlustantheilen frei sind, und überhaupt auf ihn treffende Geschäftsresultate ohne Verzug auszubezahlen, ebenso' wie er etwaige Zuschüsse machen muss, wenn sich Verluste ergeben sollten.
Art. 136. Eine weitere Hauptwirkung des Ausscheidens ist, dass der Gesellschaftsantheil zurückerstattet werden muss. Die Gesellschaft hat kein dauerndes Anrecht auf den Beitrag nebst seiner etwaigen Vermehrung; hierin liegt ein wesentlicher Unterschied der Collectiv-Gesellschaft von der Actiengesellschaft. Der Antheil muss zurückgegeben werden in dem Zustande, in dem er sich zur Zeit des Ausscheidens befindet; denn der Gesellschafter hatte ja, solange er der Gesellschaft angehörte, seinen verhältnissmässigen Antheil an allem Gewinn oder Verlust des Ganzen. Es kann sein, dass der ursprüngliche Beitrag sich verdoppelte und verdreifachte; es kann aber auch sein, dass er auf die Hälfte oder noch weniger sich vermindert hat. Um das Resultat zu ermitteln, ist eine Bilanz anzufertigen, welche natürlich speciell die Gewinn- und Verlustbeträge des Ausscheidenden zusammenstellen muss. Ist das Resultat ermittelt, so ist der Antheil ohne Verzug hinauszuzahlen, soweit natürlich ein activer Betrag Zur Auszahlung vorhanden ist. Sind einzelne Geschäfte noch nicht abgewickelt oder noch nicht zu Ende geführt, so muss die Bilanz in dieser Hinsicht verschoben und resp. wiederholt werden. Ist ein Activantheil vorhanden, der etwa durch etwaige spätere Verluste gemindert werden wird, so sind die erforderlichen Beträge zur Verlustdeckung zurückzubehalten. Dagegen sind alle Gelder, welche als reines Activergebniss sich darstellen, sofort bei ihrer Einnahme dem Ausgeschiedenen auszuzahlen.
Art. 137. Der Gesellschaftsantheil begreift in sich sowohl die Gewinne, wie die Verluste. Wenn es sich aber um Liquidation und Zurückerstattung eines freigewordenen Antheiles handelt, also um den activen Gesellschaftsantheil, kann derselbe nur bestehen nach Abzug der Schulden, an denen der Ausgeschiedene noch Antheil hat. Gesetzt das Gesellschaftsvermögen betrüge 50000 D., der Antheil des Ausscheidenden daran wäre 10%; aber die Gesellschaft hätte Verbindlichkeiten im Betrage von 30000 D. In diesem Falle wäre nur ein Activvermögen von 20000 D. vorhanden, und der active Antheil des betreffenden Mitgliedes wäre 2000 D. nicht etwa 5000 D., da er seinen Antheil am Verlust mit 3000 D. zu tragen hätte. Die Gesellschaft darf nun einem Ausscheidenden nur seinen reinen Activantheil ausbezahlen, nicht etwa den vollen oder Brutto-Activantheil. Denn die Gläubiger der Gesellschaft können sich direct an die Gesellschaft halten, sie brauchen sich die Ueberweisung eines Theils ihrer Forderungen an die Person eines Ausgeschiedenen nicht gefallen zu lassen,
Art. 138. Dieser Artikel enthält eine Regel, die im deutschen, wie auch im englischen nnd französischen Rechte angenommen ist und zum Vortheil der fortbestehenden Gesellschaft in hohem Grade dient. Der Ausscheidende hat nur auf den Geldwerth seines Antheiles Anspruch, er kann nicht einen Antheil am Gesellschaftsvermögen in natura geltend machen; also an den Grundstücken, Häusern, Lagervorräthen, ausstehenden Forderungen etc. der Gesellschaft. Die Folge davon ist, dass das ganze Etablissement ungeschmälert fortbestehen kann und. durch den Wegfall eines Mitgliedes keine Störung erleidet. Gleichviel also was auch ein Mitglied einlegte, er kann immer nur den Werth in Geld wieder zurückerhalten. Dies bildet auch die Regel bei der Theilung des ganzen Gesellschaftsvermögens, um so mehr bei der blossen Abtrennung einzelner Antheile.
Selbstverständlich ist die Voraussetzung dafür die, dass der Beitrag in das Eigenthum der Gesellschaft überging. Wenn das Eigenthum bei dem Gesellschafter verblieb, so geht dieses durch den Austritt nicht verloren. War an der Sache ein förmliches Niessbrauchsrecht constituirt, so hört dieses mit dem Austritt nicht auf, insoweit bleibt das Gesellschaftsvermögen ungestört, aber der Werth dieses Rechts muss dem Austretenden zurückerstattet werden. War dagegen der blosse Gebrauch (jouissance) gestattet, dann hört mit dem Austritt das Gebrauchsrecht von selbst auf, der Austretende kann dafür also auch keine Geldentschädigung fordern. Ganz das gleiche tritt ein bei dem Aufhören persönlicher Leistungen eines Gesellschafters.
Der Geldwerth kann gefordert werden, gleichviel ob die Sachen selbst noch vorhanden sind oder nicht, ob sie zum blossen Schaden der Gesellschaft untergingen oder vertauscht, verkauft wurden etc. Denn die Beiträge, die in das Eigenthum der Gesellschaft übergehen, stehen auch auf das Risico derselben. Der Werth selbst wird angenommen nach dem in das Inventar aufgenommenen Schätzungswerth; war dieser nicht ermittelt, dann muss er nachträglich ermittelt werden, und zwar für die Zeit der wirklichen Beitragsleistung.
Art. 139. Nach Art. 137 kann der Activantheil eines Ausscheidenden nur nach Abzug der darauf fallenden Schulden ausgezahlt werden, da nur insoweit ein Gesellschaftsvermögen effectiv noch da ist. Jeder Gesellschafter haftet aber nicht blos mit seinem Gesellschaftsantheil, sondern mit seinem ganzen Vermögen, und nicht blos im Betrag seines Antheiles, sondern ungetheilt und voll für die Schulden der Gesellschaft. Durch den Austritt eines Mitgliedes wird daher die Lage der Gesellschaftsgläubiger schlechter, da sie den Anspruch auf die Haftung desselben verlieren, und damit vielleicht gerade die wichtigste Sicherheit für ihre Forderungen. Andererseits kann man den Gesellschaftern desswegen allein das Ausscheiden nicht absolut untersagen, da sonst die wichtigsten Gründe der Gerechtigkeit und des Nutzens dafür sprechen können. Bei diesem Conflict entgegenstehenden Interessen muss man einen Mittelweg wählen, und die Haftung des Ausscheidenden noch so lange fortdauern lassen, als es im Interesse der Gläubiger liegen dürfte. In manchen Gesetzgebungen ist dafür ein 5 jähriger Zeitraum angesetzt. Dies erscheint aber zu lange, da die Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters sich nur auf die in seine Zeit fallenden Geschäfte bezieht, die mit seinem Ausscheiden in der Hauptsache zu Ende sein werden. Sollten sich ausnahmsweise einzelne Geschäfte länger hinausziehen, so kann er nöthigenfalls zur Bestellung von Sicherheiten angehalten werden. Der Zeitraum eines Jahres dürfte hinreichend sein, da erfahrungsgemäss die meisten Geschäfte entweder per Comptant oder auf 3—4 monatlichen Credit geschlossen werden. Wenn nun die Gläubiger ein volles Jahr nach dem Ausscheiden haben, um sich zu salviren und einen zahlungsfähigen Gesellschafter zur Deckung der Gesellschaftsschulden anzuhalten, so wird dies genügend sein. Denn die Gläubiger haben keinen Grund, mit solchen Regressansprüchen auf lange Jahre hinaus zu zögern, während es für einen Ausgeschiedenen von grösstem Werth ist, möglichst bald von aller Haftung für eine Gesellschaft, der er nicht mehr angehört, frei zu werden.
Uebrigens ist das Ausscheiden jedes Mitgliedes unverzüglich zu registriren und öffentlich bekannt zu machen. Darin liegt nicht nur eine öffentliche Mahnung an die Gläubiger, mit der Geltendmachung ihrer Rechte nach etwaigem Bedürfniss vorzugehen, sondern es hat dies auch die Folge, dass erst durch die Registrirung und Bekanntmachung der Austritt eine Thatsache wird, deren Kenntniss von anderen erwartet werden kann. Es wird sich daher ein Gläubiger nicht wohl auf Irrthum wegen Unterlassung seiner Klagestellung berufen können, doch kann durch solchen Irrthum namentlich von Abwesenden, wenn er thatsächlich vorhanden und unvermeidlich war, die einjährige Verjährung suspendirt werden (Puchta Pandecten § 104. p. 161 Anm. c c.) Da diese fortdauernde Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters nicht auf seiner fortdauernden Mitgliedschaft, sondern nur auf Berücksichtigung der Interessen dritter Gläubiger beruht, so sind auch desfalls die Personen der zurückbleibenden und ausgeschiedenen Gesellschafter nicht mehr als eine Einheit anzusehen. Daher wird die Verjährung zu Gunsten eines ausgeschiedenen oder ausgeschlossenen Gesellschafters nicht durch Rechtshandlungen gegen die Gesellschaft oder gegen einen anderen Gesellschafter unterbrochen, insbesondere nicht durch Klage oder Mahnung.
§ 6. Auflösung der Gesellschaft.
Art. 140. Nachdem im vorigen Paragraph der Fall des Ausscheidens einzelner Gesellschafter der Natur der Sache gemäss für sich behandelt und von der Auflösung der ganzen Gesellschaft gesondert worden ist, lässt sich die letztere nunmehr in ihrer eigentlichen Bedeutung und Veranlassung, frei von jeder fremdartigen Beimischung, darstellen. Das Princip ist, dass eine Gesellschaft niemals aufgelöst werde aus Gründen, die den einzelnen, sondern nur aus Gründen, die die Gesammtheit der Gesellschafter als eine Einheit betreffen. Solche Gründe sind doppelter Art: die liegen entweder in dem freien Willen der Gesellschafter, oder in Umständen, welche den Fortbestand der Gesellschaft thatsächlich unmöglich machen.
Der freie Wille der Gesellschafter kann bereits im Vertrage, oder in einer späteren Vertragsclausel, ausgedrückt sein, und ist natürlich für alle Contrahenten bindend. Ist die Gesellschaft auf eine bestimmte Zeitdauer eingegangen, so hört sie von selbst auf mit dem Ablauf dieser Zeit; es kann aber der Fortbestand der Gesellschaft auch an andere Bedingungen oder Verhältnisse geknüpft worden sein, die Gegenstände der freien Vereinbarung sein müssen und in den manichfaltigsten Umständen ihre Veranlassung finden können.
Der auf Auflösung gerichtete Wille der Gesellschafter kann aber auch durch unmittelbaren Beschluss geäussert werden. Der Entwurf weicht in dieser Beziehung von den älteren Gesetzbüchern insoferne ab, als er nicht Einstimmigkeit, sondern nur eine Mehrheit von 3/4 zur Gültigkeit eines solchen Beschlusses erfordert. Es scheint dies zweckmässiger zu sein, weil ausserdem der Minderheit, ja sogar einem einzigen Mitgliede, ein Uebergewicht gegen die Majorität zustehen würde, das durch nichts zu rechtfertigen ist. Wenn man nur von der veralteten Vorstellung sich losmacht, dass die Gesellschaft ein blosses Vertragsverhältniss sei, das nur durch Consens aller Contrahenten aufgehoben werden könne, dann stellt sich die Anerkennung der Mehrheitsbeschlüsse als das natürliche dar, wie in jeder anderen Gemeinschaft oder Versammlung. Die 3/4 Mehrheit ist überdies eine der Einstimmigkeit nahekommende, zumal bei der geringen Anzahl von Mitgliedern von höchstens 7, so dass eine Unterdrückung der Dissentirenden darin nicht wohl erblickt werden kann. Da diese Auflösungsbeschlüsse keine Sache der blossen Geschäftsführung sind, so müssen daran alle Gesellschafter theilnehmen, nicht blos die Geschäftsführenden nach Art. 89 und 98.
Man könnte hiegegen einwenden, dass diese Bestimmung im Widerspruch steht mit der früheren, wornach Vertragsänderungen nur einstimmig herbeigeführt werden können (Art. 89). Allein der Widerspruch ist nur scheinbar vorhanden. Man muss unterscheiden zwischen der Entstehung und Fortführung einerseits, und zwischen der Aufhebung des Gesellschaftsverhältnisses andererseits. Niemand kann gegen seinen Willen gezwungen werden, in eine Gemeinschaft mit anderen einzutreten, oder unter Bedingungen mit denen er nicht einverstanden ist. Dagegen ist die Auflösung einer Gesellschaft sehr häufig im Rechte von der Zustimmung aller Betheiligten unabhängig gemacht; z. B. die Trennung einer Ehe, eines Miteigenthumsverhältnisses, und im allgemeinen die Auflösung von Corporationen, sowie auch von Actiengesellschaften. In dieser Hinsicht tritt die Erwägung in den Vordergrund, dass zu einer Gemeinschaft dauernde Einheit des Willens gehört und wenn letztere fehlt, auch die Gemeinschaft nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Die ältere Auffassung befand sich in einem merkwürdigen Selbstwiderspruche, wenn sie einerseits schon durch den Willen eines Einzelnen, und andererseits nur durch den vereinten Willen aller die Auflösung eintreten liess. Dieser Widerspruch wird durch die im Entwurfe getroffene Anordnung gänzlich vermieden.
Der Auflösungsbeschluss kann jederzeit gefasst werden, sowohl wenn der Vertrag auf unbestimmte Zeit, als auf bestimmte Zeit lautet; im letzteren Fall muss der Majoritätswille als Einheitswille der Gesellschaft angesehen werden, durch welchen eine bestehende Vertragsclausel unzweifelhaft aufgehoben werden kann. Uebrigens ist die 3/4 Mehrheit nur das gesetzliche Minimum der Stimmen; vertragsmässig kann auch eine andere Stimmenzahl als zur Auflösung hinreichend bestimmt werden, ja sogar die Minderheit; solche Fälle würden dann unter Ziffer 2 dieses Artikels fallen. Auch an eine Kündigungsfrist und die Beendigung des laufenden Geschäftsjahres ist dieser Beschluss nicht gebunden; denn die Rücksichten, die ein Einzelner bei seinem Austritte zu beobachten hat, sind offenbar auf das Ausscheiden aller nicht anwendbar.
Neben dieser freiwilligen Auflösung durch Vertrag oder Beschluss gibt es noch zwei Fälle der unfreiwilligen Auflösung, nämlich durch Bankerott und durch Richterspruch. Dies stimmt mit der Vorschrift aller übrigen Gesetzgebungen in der Hauptsache überein, und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung.
Art. 141. Die Bestimmung dieses Artikels soll Zweifel verhindern über das, was unter dem Bankerott einer Handelsgesellschaft zu verstehen sei. Es wird hiefür weder förmliche Bankerotterklärung durch den Richter oder die Gesellschafter, noch wirkliche Insolvenz, d. h. Unfähigkeit ihre Gläubiger zu befriedigen, erfordert. In gewisser Beziehung könnte dann eine Gesellschaft nie bankerott werden, weil immer ihre Collectiv-Gesellschafter für ihre Schulden verhaftet sind, und wenn diese sämmtlich insolvent sind, dann höchstens ein Bankerott dieser letzteren, nicht aber der Gesellschaft anzunehmen wäre. Um diese Bedenken und Subtilitäten zu verhüten, spricht der Artikel unzweideutig aus, dass eine Gesellschaft von dem Tage an bankerott ist und damit aufhört zu existiren, wo sie ihre Zahlungen einstellt. Von diesem Zeitpunkte an ist ihre commercielle Existenz zu Ende, und treten die Gesellschafter nur persönlich noch ein, um die Verpflichtungen der Gesellschaft zu erfüllen. Ob ihnen dies möglich ist oder nicht; ob der Bankerott der Gesellschaft auch ihren persönlichen Bankerott zur Folge bat, alles dies ist für die im Gesetze statuirte Thatsache des Bankerotts der Gesellschaft und die daran geknüpfte Folge ihrer Auflösung ohne Belang.
Der Bankerott wird dadurch nicht abgewendet, dass etwa einzelne Gesellschafter, oder auch dritte Personen, das Gesellschaftsgewerbe mit allen darauf haftenden Activen und Passiven übernehmen. Dies ist ein dem Bankerott nachfolgendes Arrangement, welches zwar das weitere Bankerottverfahren beseitigen mag, aber die Auflösung der Gesellschaft nicht hindern oder vielmehr nicht wieder rückgängig machen kann. Die Gesellschaftsfirma geht in solchem Falle jedenfalls unter, nachdem einmal die Zahlungen eingestellt worden sind, und die Nachfolger müssen sich als eine neue Gesellschaft constituiren. Würde aber ein solches Arrangement vor der Zahlungseinstellung, um dieselbe zu verhindern, getroffen, daun würde allerdings keine Auflösung durch Bankerott eintreten, wohl aber nach Ziffer 3, da eine solche Veräusserung einem Beschluss der Selbstauflösung gleich kommen würde.
Art. 142. Endlich kann eine Collectiv-Gesellschaft auch durch richterliche Verfügung aufgelöst werden, und zwar entweder von Amtswegen oder auf Antrag der Gesellschafter oder auch nur eines derselben, wenn nämlich die Existenz der Gesellschaft entweder gesetzwidrig oder innerlich zweckwidrig und unmöglich geworden ist. Ersteres ist nur eine Folge der bereits oben in Art. 67. getroffenen Verfügungen und wurde an dem betreffenden Orte bereits zur Genüge erörtert.
Die Auflösung kann von einem oder mehreren Mitgliedern beantragt werden, wenn derartige Umstände eingetreten sind, dass der Bestand der Gesellschaft zwecklos geworden ist; wenn z. B. durch Aenderungen in den Bedürfnissen der Artikel, den die Gesellschaft producirte, unverkäuflich geworden ist und nicht länger producirt werden kann; wenn durch Anlage einer Eisenbahn eine Strassenbaugesellschaft wegen Verödung der Strasse nicht länger fortbestehen kann; wenn eine neue Erfindung, für deren Ausbeutung die Gesellschaft gegründet wurde, sich als nutzlos herausstellt u. dgl. m. Oder, wenn das Verhalten der Gesellschafter gegen einander die Aufrechthaltung der Gesellschaft unmöglich macht; z. B. wenn gänzlicher Unfriede eingerissen ist, wenn keiner dem anderen mehr traut, wenn die Befugnisse der Gesellschafter rücksichtslos überschritten oder gemissbraucht werden, wenn das Gesellschaftsvermögen seinem Zwecke entfremdet oder verschleudert wird u. dgl. m. In allen solchen Fällen gibt es allerdings noch aridere Auskunftsmittel, nämlich freiwillige Auflösung, oder Ausschluss resp. Austritt einzelner Mitglieder. Sind aber diese Mittel wegen Mangels an der erforderlichen Stirnmenzahl, oder weil die Ansichten getheilt sind, oder weil vielleicht die Gesellschaft nur aus 2 Mitgliedern besteht, nicht anwendbar, dann muss die Hülfe des Gerichts angerufen werden, welches nach seinem Ermessen die Umstände zu prüfen und die Auflösung auszusprechen hat. Dieses Anrufen der richterlichen Hülfe ist offenbar nothwendig, um den weniger schuldigen Mitgliedern billigen Schutz zu gewähren und zu retten, was noch zu retten ist.
Art. 143. Die förmliche Auflösung kann in den Fällen, wo sie freiwillig erfolgen würde, dadurch abgewendet werden, dass die Gesellschafter die bisherige Gesellschaft unter sich fortsetzen, und zwar entweder alle, oder einige von ihnen, wobei sodann den Dissentirenden das ihnen zustehende Recht des Ausscheidens ungeschmälert bleibt. Hiezu ist nur eine Uebereinkunft erforderlich unter denen, welche die Fortsetzung wollen; die Zustimmung der Abgehenden ist dazu nicht erforderlich. Es genügt aber die blosse Uebereinkunft über diesen Punkt, etwa mit Hinzufügung solcher Modificationen des bisherigen Vertrages, als ihnen zweckmässig erscheint. Ein neuer förmlicher Gesellschaftsvertrag, sowie die neue Errichtung der Gesellschaft ist nicht nothwendig. Dagegen ist diese Fortsetzung als eine Aenderung des ursprünglichen Gesellschaftsvertrages anzusehen, und demgemäss nach Vorschrift der § 1 und 2 dieses Capitels hinsichtlich der Registrirung und Veröffentlichung zu verfahren. Da keine Auflösung der Gesellschaft stattfindet, ist auch keine Liquidation und Theilung des Gesellschaftsvermögens vorzunehmen; die wegfallenden Mitglieder sind vielmehr als Ausscheidende zu behandeln. Das Gesellschaftsverhältniss wird also nur für ihre Personen beendigt, und an die Stelle der Theilung tritt die Auszahlung ihrer betreffenden Gesellschaftsantheile nach den Vorschriften des vorhergehenden Paragraphen.
Art. 144. Die Bestimmung dieses Artikels rechtfertigt sich durch das, was im Allgemeinen über die Registrirung vorgeschrieben ist. Dass die Liquidatoren registrirt und publicirt werden müssen, erklärt sich daraus, dass diese an die Stelle der Gesellschafter treten und die Geschäfte der Gesellschaft zu Ende zu führen haben. Dritte Personen, insbesondere die Gläubiger und Schuldner, müssen hievon in Kenntniss gesetzt werden, damit sie wissen, an wen oder von wem sie nunmehr gültige Zahlungen zu leisten und zu empfangen haben. Da die Gesellschafter als solche nicht mehr fungiren können, würde die Gesellschaft ohne Vertreter sein, wenn nicht solche Liquidatoren ernannt würden.
Art. 145. Durch die Auflösung tritt für sämmtliche Gesellschafter die gleiche Wirkung ein, wie durch das Ausscheiden für einzelne. Das Gesellschaftsverhältniss ist für alle Mitglieder zu Ende. Keiner kann mehr die Gesellschaft vertreten und deren Rechte ausüben, deren Verpflichtungen erfüllen, oder neue für sie erwerben. Die Verantwortlichkeit der Gesellschafter für die Gesellschaft hört auf, und es folgt daraus von selbst, dass der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft eingestellt werden muss. Das Gesellschaftsvermögen dient daher von jetzt an keinem geschäftlichen Zwecke mehr, und es muss daher einfach unter die Gesellschafter im Verhältniss ihrer Antheile vertheilt werden. Diese Folgen unterbleiben nur im Falle des Bankerotts, wo das Bankerottverfahren an die Stelle des sonst vorzunehmenden Liquidationsverfahrens treten muss. Uebrigens versteht sich von selbst, dass die Gesellschafter immer noch als solche zu behandeln sind, soweit es sich um die Ermittlung ihrer zur Zeit der Auflösung bestehenden Rechte und Verpflichtungen handelt, dass also ihre einmal begründete Verantwortlichkeit durch die Auflösung nicht aufgehoben werden kann, und dass der gleiche Massstab auch auf die durch die Liquidation veranlassten Geschäfte anzuwenden ist. In all diesem liegt aber keine neue Verantwortlichkeit, sondern nur die Realisirung derselben, soweit sie bereits bestand.
Art. 146. Die Ernennung von Liquidatoren (syndics) ist nicht frei gestellt, sondern vom Gesetze vorgeschrieben, einmal weil die Gesellschafter nach der Auflösung nicht mehr als Administratoren fungiren, können und sodann weil die Liquidation in unparteiischer, vorurtheilsfreier Weise und Berücksichtigung der Interessen aller Gesellschafter durchgeführt werden muss, was namentlich, wenn die Gesellschaft in Streit und Unfrieden sich auflöst, nicht immer von ihnen selbst erwartet werden kann. Das Gesetz begnügt sich aber mit dieser Vorschrift. Es überlässt die Auswahl der Personen den Gesellschaftern selbst. Es können daher sämmtliche Gesellschafter dazu ernannt werden, oder nur einer oder einige von ihnen, oder auch fremde Personen. Es genügt hiefür ein Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter, nicht blos der Geschäftsführenden, da es sich nur um die letzte Ausführung des Gesellschaftsvertrages handelt, aber nicht mehr um blosse Geschäftsführung auf dem Boden desselben. Die Liquidatoren handeln nicht als Gesellschafter, sondern als Mandatare derselben; sie werden daher nicht selbst durch ihre Handlungen berechtigt oder verpflichtet, sondern zunächst das Gesellschaftsvermögen und eventuell die persönlich haftenden Gesellschafter. Es können ihnen, wie allen Mandataren, auch Instructionen durch Mehrheitsbeschluss ertheilt werden, doch so, dass dadurch die Vorschrift des Artikels 147. nicht verletzt wird. Können sich die Betheiligten nicht einigen, insbesondere keinen Mehrheitsbeschluss zu Stande bringen, also namentlich wenn vielleicht nur 2 Gesellschafter vorhanden sind, so muss die Ernennung resp. Entscheidung durch den Richter erfolgen.
Aufgabe der Liquidatoren ist, das Gesellschaftsvermögen zur Vertheilung fertig zu machen und zu vertheilen. Der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft ist, wie bemerkt, zu Ende und kann von ihnen nicht fortgesetzt oder erneuert werden. Die dürfen also keine neuen Geschäfte vornehmen keine neuen Engagements eingehen, das Gesellschaftsvermögen keinem neuen Risiko unterwerfen. Solche Geschäfte aber, welche der Zweck der Versilberung des Gesellschaftsvermögens mit sich bringt, sind ihnen nicht verwehrt. Also Verkauf vorhandener Vorräthe, Ausstellung von Wechseln zur Entrichtung von Gesellschaftsschulden, etwaige Versicherungs-, Transportgeschäfte u, dgl. m. Auch vor Gericht dürfen sie auftreten als Kläger oder Beklagte, Vergleiche abschliessen u. ,s. w. Sollte der Betrieb einer Fabrik eine Zeitlang noch fortgeführt werden müssen, um bestehende Contracte zu erfüllen, oder um Verluste abzuwenden, so ist auch dies gestattet, zugleich mit der Aufnahme von Arbeitern, Ankauf von Stoffen u. dgl. Aber über den Zweck der Abwicklung und Beendigung der laufenden Geschäfte hinaus dürfen sie nichts vornehmen, sonst können sie dafür verantwortlich gemacht werden.
Art. 147. Die Liquidatoren sind, wie bemerkt, Mandatare der Gesellschafter und diesen nicht nur verantwortlich, sondern auch an allenfallsige Weisungen, die ihnen durch Mehrheitsbeschluss sofort bei ihrer Ernennung oder nachher über das Detail der von ihnen vorzunehmenden Geschäfte ertheilt werden, gebunden. Solche Weisungen sind statthaft, da es sich um die Interessen der Gesellschafter handelt, die dem blossen Belieben der Liquidatoren nicht preisgegeben werden dürfen. Ein einzelner Gesellschafter aber ist zur Ertheilung solcher Anweisungen nicht befugt, da die Liquidatoren das Gesammtinteresse aller Gesellschafter wahrzunehmen haben. Andererseits aber kann die gesetzliche Vollmacht der Liquidatoren weder beschränkt noch beliebig widerrufen werden. Beschlüsse der Gesellschafter in dieser Hinsicht wären nichtig und für die Liquidatoren nicht bindend. Also kann ein Liquidator nicht des Rechts der Prozessführung, des Abschlusses von Vergleichen, der Einziehung von Forderungen, der Abzahlung von Schulden, des Verkaufs von Vermögensobjecten der Gesellschaft etc. beraubt werden. Würde dies zugelassen, so könnte der Zweck, den das Gesetz mit der Aufstellung von Liquidatoren verfolgt, vereitelt werden. Wohl aber kann die Widerrufung des Auftrags beim Gerichte beantragt und von diesem ausgesprochen werden, wenn die Liquidatoren ihre Pflichten verletzen, das Gesellschaftsvermögen verschleudern, saumselig oder gar unredlich handeln und überhaupt ihrer gesetzlichen Bestimmung zuwider handeln würden. Hiezu genügt schon der Antrag eines einzelnen Gesellschafters, da jeder einzelne berechtigt sein muss, seine Interessen zu wahren, und nicht verpflichtet sein kann, unter der Gleichgültigkeit oder gar Connivenz der übrigen zu leiden.
Art. 148—150. Die Liquidatoren sind Verwalter fremden Vermögens, für einen bestimmten Zweck. Sie haben sich daher darüber auszuweisen, dass sie diesen Zweck in ordentlicher Weise erfüllt haben. Dies geschieht durch die Rechnungslegung, welche entweder nach Beendigung der Liquidation, oder wenn diese sich über mehrere Jahre hinzieht, alljährlich zu leisten ist. Uebrigens haben die Gesellschafter auch sonst jederzeit das Recht, die Handlungen der Liquidatoren zu beaufsichtigen, und allenfalls nach Art. 147. richterliches Einschreiten anzurufen. Es ist nicht zu übersehen, dass die Liquidatoren eigentlich die Gesellschaft fortsetzen, wenngleich nur für den Zweck der gänzlichen Auseinandersetzung, und daher im allgemeinen an die Grundsätze über die gesellschaftliche Geschäftsführung gebunden sind.
Im übrigen sind die weiteren in diesen Artikeln enthaltenen Bestimmungen nur eine Anwendung der auch bei dem Austritt Einzelner geltenden Grundsätze und daher schon in den zu dem vorhergehenden Paragraph gegebenen Erläuterungen enthalten.
Art. 151. Da die Handelsbücher etc. nach Vorschrift des Art. 35. längere Zeit hindurch aufbewahrt werden müssen, was natürlich auch für Handelsgesellschaften gilt, so ist deren Vernichtung, Vertheilung oder sonstige Wegschaffung nicht gestattet. Die Gesellschaft muss daher darüber Beschluss fassen, von wem und in welcher Weise die Bücher aufzubewahren seien. Hiefür genügt offenbar ein Mehrheitsbeschluss, da es sich nicht um vertragsmässige Interessen der Gesellschafter handelt. Sollten die Gesellschafter es zu keinem solchen Beschlusse bringen, so hätte auf Antrag der Liquidatoren das Gericht die erforderliche Verfügung zu treffen.
Art. 152. Obgleich der Inhalt dieses Artikels sich wohl von selbst versteht, ist es doch nothwendig ihn hier einzuschalten, um über das Verhältniss der Gesellschafter unter sich und zu den Liquidatoren Klarheit zu verbreiten. Vor allem haben die Liquidatoren, obgleich sie bestimmte gesetzliche Vollmachten besitzen, doch keine richterliche Autorität über die Gesellschafter, sie können mithin über die gegenseitigen Rechte und Pflichten der letzteren nicht entscheiden, und wenn von diesen Ansprüche erhoben werden, welche andere nicht billigen, so liegt die Entscheidung nicht bei den Liquidatoren, sondern beim Richter. Dies gilt für alle Theilungsfragen nnd Theilungsansprüche, welche direct oder indirect zwischen den Gesellschaftern erhoben werden. Die Liquidatoren stehen diesen ganz fremd gegenüber, da sie selbst als solche kein Interesse an der Theilung haben. Soweit aber Streit über die Geschäftsführung der Liquidatoren oder eines derselben entsteht, können auch darüber weder die Liquidatoren von sich aus, noch die Gesellschafter durch Mehrheitsbeschluss entscheiden, es muss wie bei jedem Streite über entgegenstehende Privatrechte die richterliche Entscheidung angerufen werden.
Art. 153. Die Verjährung in Handelssachen wird in allen Gesetzen meist viel kürzer normirt als die gewöhnliche, in der Regel 30 Jahre dauernde Verjährungsfrist des Civilrechts. Es wurde hier, nach dem Vorgang des französischen und deutschen H. Gesetzbuches eine 5 jährige Verjährungsfrist angesetzt, da dieselbe allen billigen Anforderungen entsprechen dürfte, obgleich sie vielleicht noch kürzer angesetzt werden könnte. Nach Art. 139. beträgt die Verjärungsfrist gegen einen ausscheidenden Gesellschafter nur ein Jahr. Der Grund dieses Unterschiedes, der übrigens im deutschen Gesetzbuch nicht gemacht wird, liegt darin, dass wenn nur einer ausscheidet, alle übrigen Gesellschafter noch verhaftet bleiben, während durch die Auflösung alle zusammen aus dem Gesellschaftsverhältniss ausscheiden. Im letzteren Falle erfordert daher die Rücksicht auf die Interessen der Gläubiger eine längere Frist. Uebrigens versteht sich diese Haftung in den nächstfolgenden 5 Jahren nur von der persönlichen Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen, nicht von der unmittelbaren Haftung des Gesellschaftsvermögens, welches so lange es besteht nach den gewöhnlichen Regeln über Verjährung für Gesellschaftschulden haftet. Wenn daher ein Gläubiger nur diese letztere Haftung gegen einen Gesellschafter geltend macht, d. h. seine Befriedigung nur aus noch vorhandenem Gesellschaftsvermögen sucht, kann ihm diese kürzere Verjährung von dem Gesellschafter nicht entgegengehalten werden. Sollte übrigens eine Verbindlichkeit sonst schon in kürzerer Zeit verjähren, so hat es hiebei sein Bewenden. Die Verjährungsfrist berechnet sich von dem Datum der Auflösung. Sollte dieselbe nicht registrirt und publicirt worden sein, so würde die Einrede der Verjährung durch Berufung auf entschuldbaren Irrthum wohl meist zurückgewiesen werden können. Der französ. Code de commerce Art. 64. macht aus der Registration eine Bedingung der Verjährung, was aber nicht ganz richtig erscheint, da die Registrirung auch durch jede andere Notification ersetzt werden kann. Dieser Artikel dient auch dazu, indirect die Gesellschafter zur Erfüllung der Registrirungspflicht anzuhalten, da ihre Befreiung von Gesellschaftsschulden wesentlich dadurch bedingt ist.
Cap. 2. Von Commandit-Gesellschaften.
Das Recht der Commandit-Gesellschaften beruhte bisher in den meisten Gesetzgebungen, nach dem Muster des französ. Code de commerce Art. 23.—28. auf folgenden Principien. 1. Die Commanditäre sind an der Gesellschaft nur mit einem bestimmten Vermögensbetrage (bail de fonds) betheiligt. 2. Sie sind von jeder persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft frei. 3. Sie sind von der Geschäftsführung absolut ausgeschlossen. 4. Die Geschäftsführung liegt nothwendig in den Händen von persönlich haftenden Gesellschaftern, welche als solche unter sich und nach aussen die Stellung von Collectiv-Gesellschaftern einnehmen.
Diese Principien, nach welchen in allen vorliegenden Gesetzbüchern, mit Ausnahme der englischen und amerikan. Gesetzgebungen, das Recht der Command- Gesellschaften construirt ist, haben nur einen theilweisen Werth. Innere Berechtigung besitzen nur die beiden erstgenannten, nicht auch die unter Ziffer 3 und 4. Es beruht nicht auf innerer Nothwendigkeit, dass eine Command-Gesellschaft nothwendig an eine Collectiv-Gesellschaft angelehnt sein muss und nicht auf eigenen Füssen stehen kann; und ebensowenig, dass Commanditäre von aller Theilnahme an der gesellschaftlichen Geschäftsführung ausgeschlossen sein sollen. Wenn man die Comm. Gesellschaften von diesem Standpunkte aus regelt, unterscheiden sie sich practisch in nichts von einer Participations-Gemeinschaft oder stillen Gesellschaft (Art. 74.), und die Beobachtung aller Förmlichkeiten, wie sie für die Errichtung einer wirklichen Handelsgesellschaft nothwendig sind, erscheint für sie zwecklos und unbegründet.
Auf einem anderen und weitaus richtigeren Standpunkte steht-die englische Gesetzgebung. Nach ihr wird die Einlage von Capital gegen Antheil am Gewinn und Verlust gar nicht als Handelsgesellschaft betrachtet, ja sogar ausdrücklich als Darlehen (loan) bezeichnet (28 und 29 Vict. c. 86. Art. 1.). Andererseits ist die beschränkte Haftbarkeit nach ihr kein Grund, um die Theilnehmer von aller Geschäftsführung auszuschliessen. In den Gesetzen über „Joint stock Companies” von 1862. und 1867. herrscht durchweg das Princip, dass die Begründung eines Gesellschaftsvermögens (joint stock) für einen gesetzlichen Zweck, unter Beobachtung der gesetzlichen Bedingungen, nämlich Eingehung eines Gesellschaftsvertrages und Erfüllung der Registrirungspflicht, hinreiche, um eine Handelsgesellschaft als ein besonderes juristisches Wesen (incorporated Company) zur Existenz bringen. Eine solche Gesellschaft kann, nach dem Willen der Theilnehmer, beschränkte oder unbeschränkte Haftung haben, und die beschränkte Haftung kann nach Actien (shares) oder nach dem Princip der Garantie regulirt sein: auf die Rechte der Geschäftsführung hat dies keinen Einfluss.
Das Wesen der modernen Handelsgesellschaft ist in dieser Gesetzgebung schärfer und klarer erfasst als in den anderen, dem französischen Muster gefolgten Gesetzbüchern, welche sämmtlich, wie bereits früher bemerkt, an der Vermengung anderer gesellschaftlicher Verhältnisse mit wirklichen Handelsgesellschaften leiden. Es leidet nun aber keinen Zweifel, dass ein Handelsbetrieb auf gemeinschaftliche Rechnung sein kann, ohne dass dadurch immer eine Handelsgesellschaft entstünde. Andererseits, wenn man die Existenz einer Handelsgesellschaft annimmt, so ist nicht einzusehen, warum die Mitglieder derselben, auch wenn sie nur beschränkt haften, nicht auch die wesentlichen Rechte und Pflichten von Gesellschaftern haben sollen. Bei Actiengesellschaften ist dies längst anerkannt, es besteht aber kein Grund, warum es nicht auch für Comm. Gesellschaften anerkannt werden sollte.
Der Entwurf hat sich daher in diesem Punkte auf den Standpunkt der englischen Gesetzgebung gestellt und von den oben erwähnten, in den älteren Handelsgesetzbüchern befolgten 4 Principien nur die beiden ersteren, nicht auch die beiden letzteren adoptirt Er versetzt dadurch die Comm. Gesellschaft, die nach den älteren Gesetzbüchern nur eine mit unnöthigen Förmlichkeiten belastete Participations-Gemeinschaft ist, gänzlich auf den Boden der modernen Handelgesellschaft als eine Uebergangsstufe zwischen der Collectiv- und zwischen der Actiengesellschaft. Dem Bedürfniss des Handels, selbständige Gewerbe auf besondere Capitalfonds mit den Rechten besonderer Personen zu gründen, wird dadurch vollständig genügt. Wenn mehrere Personen einen Capitalfond von 100000 D. gründen, um damit Handel zu treiben, so muss dies ebenso genügend sein, als wenn diese 100000 D. das persönliche Vermögen eines einzelnen Handelsmannes wäre, und es entspricht den heutigen Anschauungen nicht mehr, dass ein solches. Capital noch ausserdem durch das persönliche Vermögen der Theilmehmer oder wenigstens einiger derselben creditirt sein solle. Es kann das letztere unter den Theilnehmern verabredet werden, aber nothwendig ist es nicht. Es ist mithin durchaus keine Nothwendigkeit vorhanden, dass eine Commandit-Gesellschaft immer zugleich für einen Theil der Mitglieder auch eine Collectiv-Gesellschaft sein müsse. Und erst wenn man diese angebliche Nothwendigkeit fallen lässt, können sich die Comm.-Gesellschaften ungehemmt in ihrer ganzen Bedeutung entwickeln. Es wird dadurch die Möglichkeit gegeben, dass sich Handelsleute und andere Personen, welche Capital besitzen, an verschiedenen Gewerbsunternehmungen activ betheiligen können, ohne auf die blos zuschauende Rolle von Participanten beschränkt zu sein, und ohne doch einem grösseren Risiko, als sie selbst durch Capitalzeichnung übernehmen wollen, unterworfen zu sein. Diesen Vortheil hat man zwar auch bei Actiengesellschaften; allein bei ihnen sind die Umstände derart, dass der Erwerb von Actien für die meisten nicht mehr als eine blosse Capitalanlage sein kann.
In den Gesetzbüchern findet sich auch regelmässig ein Abschnitt über Commandit-Gesellschaften auf Actien. Diese sind aber nichts anderes als Actiengesellschaften, deren Geschäftsführer persönliche Haftung übernommen haben. Warum die Commanditäre in solchen Fällen eine andere Stellung einnehmen sollen, als die gewöhnlichen Actionäre, ist nicht einzusehen, und ebensowenig, warum in solchen Fällen, wegen jenes einzigen Unterschiedes, eine besondere Gesellschaftsart bestehen solle. Aus diesem Grunde wurde im Entwurfe die Unterart einer Commanditgesellschaft auf Actien gänzlich weggelassen, und dadurch wird das Ganze der Bestimmungen über Handelsgesellschaften an Verständlichkeit und Einfachheit gewinnen.
Von den vorstehenden Erwägungen wurde man bei der Abfassung der Bestimmungen über Commanditgesellschaften geleitet. Man wollte damit ein Organ des Handelsbetriebes schaffen, welches die Vorzüge der Collectiv- und der Actiengesellschaften in sich vereinigen, also zugleich eine erweiterte Collectiv- und eine modificirte Actiengesellschaft sein sollte. Es wurde ihr einerseits der einfache, mehr persönliche Character und die freie Bewegung der Collectiv-Gesellschaften belassen, und anderseits, soweit es nöthig schien, die Verfassung der Actiengesellschaften in beschränktem Grade auf sie übertragen. Ein ähnlicher Gedanke liegt in der That auch den Commandit-Gesellschaften der älteren Gesetzbücher zu Grunde. Allein dieser Gedanke ist dort nur in der ganz äusserlichen Weise durchgeführt, dass in einer und derselben Gesellschaft Gesellschafter ganz verschiedener Art, nämlich Collectivisten und Commanditäre, neben einander gestellt wurden, während der Entwurf durch zweckentsprechende Verschmelzung der verschiedenen Principien, insbesondere der beschränkten Haftung und der persönlichen Geschäftsführung, eine einheitliche Gesellschaft schafft, welche für alle Mitglieder eine gleiche Stellung, also gleichmässige Rechte und Pflichten verleiht, soweit es der Vertragswille und die besondere Natur dieser Art von Gesellschaft zulassen.
Der Haupt-Unterschied zwischen den Bestimmungen des französ. Rechtes und des Entwurfes liegt darin, dass nach den letzteren die Commanditäre auch Verwaltungsbefugnisse haben sollen, nach den ersteren dagegen nicht.
Die Bestimmung des französ. Code ist nicht nur ganz unpractisch und unausführbar, sondern auch durch die logische Consequenz nicht geboten. Sie steht im Widerspruch sowohl mit der früheren Handelspraxis in Frankreich und Italien, als mit der heutigen Handelspraxis in Frankreich etc. selbst.
Wenn ein Gesellschafter nur Capital einlegt und nur bis zum Betrag dieser Einlage haften will, ist nicht einzusehen, warum ihm das verwehrt sein soll; denn das Princip der limitirten Haftbarkeit bei Handelsgesellschaften ist längst anerkannt.
Warum er aber dadurch auch von der Verwaltung ausgeschlossen sein soll, ist wiederum nicht einzusehen, denn der Begriff „limitirte Haftung” hat ja nur unter der Bedingung der Mitverwaltung einen Sinn, er ist ausserdem unverständlich, da derjenige, der an der Geschäftsführung überhaupt nicht theilnimmt, auch überhaupt nicht haftbar sein kann.
In Frankreich kommt man in der Praxis über diesen Widerspruch dadurch hinüber, dass man zwischen aüsserer und innerer Geschäftsführung unterscheidet; die erstere steht nur dem Complementär, die letztere auch den Commanditären zu. Diese innere Verwaltung kann man gar nicht hindern, denn man kann doch einem Commanditär nicht verbieten, mit den übrigen zu sprechen.
Das ist nicht im Sinne des Code de commerce, denn dieser macht durchaus keinen solchen Unterschied zwischen äusserer und innerer Geschäftsführung, sondern spricht nur von Geschäftsführung, gestion, allgemein. Allein man hat diese Interpretation für nothwendig im praktischen Interesse gefunden, obwohl sie im Widerspruch mit dem Gesetze steht. Bravard I. p. 239 ff.
Der Commanditär kann folglich auch in Frankreich sich an der Gesellschaftsverwaltung betheiligen, mitberathen, mitbeschliessen, kurz die ganze Geschäftsführung mitbestimmen, nur muss es im Stillen geschehen, nach aussen darf er keine Geschäfte für die Gesellschaft vollziehen. Unter dieser Bedingung ist er von der Haftung für die Gesellschaft befreit.
Wenn man fragt nach dem Grund dieser sonderbaren Bestimmung, so wird geantwortet, der Grund ist ein rechtlicher und ein factischer.
Ersterer besteht darin, dass der Commanditär von der Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung frei sein soll, und folglich sich auch von der Geschäftsführung enthalten muss. Allein dieser Grund ist doppelt unrichtig; denn einmal haftet auch der Commanditär für die Gesellschaft, aber nur bis zum übernommenen Betrage; und sodann, der Commanditär enthält sich nicht von der Geschäftsführung; er kann alles mitbeschliessen und mitbestimmen, nur nach aussen soll er nicht handelnd auftreten. Er kann also mitbeschliessen, dass eine gewisse Speculation gemacht werden soll, allein die Ausführung dieser Speculation bleibt dem Complementär überlassen. Das ist nicht logisch.
Der factische Grund soll sein, dass Complementäre, weil sie wenig zu riskiren zu haben, zur leichtsinnigen und unsoliden Geschäftsführung geneigt sein würden. Allein es ist evident, dass dieser Grund durch die Unterscheidung von äusserer und innerer Geschäftsführung wieder aufgehoben wird. Auch würde dieser Grund, wenn er stichhaltig wäre, zum Verbot der Actiengesellschaften führen müssen, da auch Actionäre, obwohl sie nur limitirt haften, auf die Geschäftsführung durch die Generalversammlung Einfluss haben.
Wenn man das Princip der limitirten Haftung bei Handelsgesellschaften zulässt, muss man es auch dann zulassen, wenn das Capital der Gesellschaft nicht in Actien zerlegt ist.
Nach dem Code de commerce haben die Commanditäre nur das Recht der Ueberwachung, surveillance. Allein dies ist eine sehr schwache und ungenügende Befugniss, da sie durch ihren Einspruch die Geschäftsführung der Complementäre nicht ungültig machen können.
Die französ. Commanditgesellschaft dient für den Zweck solcher Personen, die sich nur mit Capital betheiligen wollen, ohne selbst persönlich Handel zu treiben vor dem Publicum. Allein diesem Zweck wird durch die stille Gesellschaft und durch die Actiengesellschaft vollkommen genügt.
In Frankreich besteht die Sitte, dass wohlhabende und selbst hochstehende Personen sich im Stillen an irgend einem Gewerbe betheiligen, um höhere als die gewöhnlichen Zinseinnahmen zu erlangen. Hiebei ist es ganz gleichgültig, ob der Complementär ein einzelner Mann oder eine Gesellschaft ist. Da man in Frankreich das Institut der stillen Gesellschaft nicht hat, sondern nur die Participation an einzelnen Geschäften, so bedient man sich zu jenem Zweck der Commanditgesellschaft.
Die Commanditgesellschaft des französ. Rechts ist ganz und gar überflüssig, wo die stille Gesellschaft zugelassen ist, wie im Entwurfe nach Art. 74.
Es kann aber auch vorkommen, dass sich gewisse Personen, und namentlich Kaufleute, an Handelsgewerben activ betheiligen wollen, ohne dafür, wie bei der Collectiv-Gesellschaft, ihr ganzes Vermögen solidarisch einsetzen zu wollen; sei es weil das Gewerbe noch neu und der Erfolg ungewiss ist, sei es weil sie schon an anderen Unternehmungen betheiligt sind, oder aus anderen Gründen. Auch dieser Zweck ist vollkommen berechtigt, er kann aber nach dem französ. Recht nicht befriedigt werden, oder höchstens mit Umgehung des Gesetzes. Hier in Japan, wo man dem Handel und den Gewerben soviel als möglich Capital auf verschiedenen Wegen zuführen sollte, ist der Standpunkt des französ. Rechts schädlich.
Nach französ. Recht sind Commanditäre nur dem Namen nach Gesellschafter, ohne die wirklichen Rechte von solchen zu haben. Sobald ein Commanditär auch nur ein einziges Geschäft für die Gesellschaft betreibt, selbst als Procurist oder Mandatar, wird er voll haftbar wie ein Collectiv-Gesellschafter. Dies ist offenbar unbillig und grundlos. Warum soll man nicht an Unternehmungen sich activ betheiligen können, ohne sein ganzes Vermögen und seinen ganzen Credit dafür zu riskiren ?
Die Comm.-Gesellschaften sind nach französ. Recht grossen Missbräuchen ausgesetzt. Gesetzt es gelingt Jemandem, einige Capitalisten zu veranlassen, dass sie ihm Capitalien zu einer Comm.-Gesellschaft anvertrauen, so wird er der allein berechtigte Geschäftsführer, und kann mit den ihm anvertrauten Capitalien machen, was er will. Die Commanditäre können ihn zwar darauf verklagen, dass er den Gessellschaftsvertrag beobachte, sie können sogar seine Absetzung beantragen, wenn er betrügerisch handelt. Allein sie können nicht unmittelbar Einsprache thun, und in den meisten Fällen wird ihr Capital verloren sein, bis es zu einer solchen Klage kommt.
Gleichwohl sollen die Commanditäre Gesellschafter sein, und direct für die Schulden der Gesellschaft haften bis zum Betrag ihrer Einlage, ja es kann sogar der Bankerott der Gesellschaft sich auf sie erstrecken. Hierin liegt eine unerträgliche Härte, und ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Rechten und Verpflichtungen.
Es ist eine Thatsache, dass in Frankreich sich die meisten Gerichte und Handelskammern gegen diese Bestimmung erklärt haben, und dass bis auf den heutigen Tag die Jurisprudenz, darüber getheilt ist. Man konnte die Comm.-Gesellschaften nur aufrecht erhalten, indem man das Gesetz anders interpretirte, als der Gesetzgeber gewollt hatte. Auch in Deutschland hat man sich sehr energisch gegen das französische System ausgesprochen; nach kürzlichen Zeitungsnotizen geht man in Frankreich gegenwärtig damit, das französische System zu ändern, und es steht zu erwarten, dass man das englische System adoptiren wird, das früher auch in Frankreich und Italien bestanden hatte. Zeistschr. für Handelsrecht Bd 2. p. 53 ff.
Es wäre zu beklagen, wenn jenes veraltete System jetzt in dem neuen H. Gesetzbuch Japans angenommen werden würde; dieses System ist gekünstelt, widerspruchsvoll, schädlich, und im Widerspruch mit dem modernen Princip der limitirten Haftung.
Das Princip der limitirten Haftung besteht nicht blos darin, dass man sich mit einem gewissen Capital ohne solidarische Haftung an den Geschäften Anderer betheiligen kann, dies ist nur das Princip der stillen Gesellschaft; sondern darin, dass man ohne solidarische Haftung persönlich Handel treiben kann. Diesem Princip unterliegt die Actien- wie die Commandit-Gesellschaft, allein die letztere in kleinerem Umfange und in leichteren Formen wie die erstere. Die Comm.-Gesellschaft ist für solche Geschäfte bestimmt, für welche der grosse und umständliche Apparat der Actien-Gesellschaft unthunlich wäre. Namentlich ist die Comm.-Gesellschaft auf eine geringere Anzahl von Mitgliedern berechnet, sie kann schon von 2 Personen gegründet werden. Ebendesshalb beruhen die Comm.-Gesellschaften mehr auf gegenseitigem persönlichem Vertrauen, und die Abtretung der Gesellschaftsantheile an neue Mitglieder ist nur unter Genehmigung der Gesellschaft zulässig.
Das vorstehend Gesagte gilt in noch höherem Grade von den Actien-Commanditgesellschaften. Dieselben sind unnöthig, schädlich und können nur zur Verwirrung der Rechtsbegriffe führen.
1, Im Entwürfe wurden Comm.-Gesellschaften auf Actien gänzlich weggelassen, da sie nichts anderes sind als Actiengesellschaften, deren Geschäftsführer und Directoren voller solidarischer Haftbarkeit unterliegen, und diese Modification der Actiengesellschaften bereits im Entwurfe durch Art. 228 vorgesehen ist. Demnach erscheint es ganz unnöthig, noch besondere Actien-Commanditen zuzulassen.
2, Actien-Commanditen erschienen früher wünschenswerth, da die Errichtung von gewöhnlichen Actien-Gesellschaften nach der älteren Gesetzgebung von besonderer staatlicher Genehmigung abhängig war, während Commandit-Gesellschaften ohne solche Genehmigung gerundet werden konnten. Da nun in der neueren Gesetzgebung das Erforderniss der staatlichen Genehmigung überall beseitigt worden ist, gibt es insoweit keine Veranlassung mehr, Actien-Commanditen zu gründen.
3, Da Commandit-Actionäre keine anderen Rechte haben können, als Commanditäre überhaupt, so stehen Commandit-Actien unter einem anderen Rechte, als gewöhnliche Actien. Da dies im Publicum schwer unterschieden werden kann, so sind die Erwerber von Comm.-Actien sehr leicht Enttäuschungen und Betrügereien ausgesetzt, und es empfiehlt sich nur eine einzige Art von Actien gesetzlich zuzulassen.
4, Bei Commandit.-Actien sind die Geschäftsführer die eigentlichen Inhaber des Geschäfts, und sie können von den Actionären viel weniger überwacht werden, als die Directoren gewöhnlicher Actien-Gesellschaften, welche von den Actionären ernannt und von Zeit zu Zeit immer von neuem gewählt werden können.
5, Erfahrungsgemäss sind, besonders in Frankreich, die grössten Schwindeleien gerade mit Actien-Commanditen getrieben worden, indem man werthlose Actien in Cours brachte und an leichtgläubige Leute verkaufte oft unter erdichteten Namen von Geschäftsführern, die entweder gar nicht existirten oder nur als Strohmänner ohne Vermögen und Credit figurirten. Man hat in Frankreich schon wiederholt, in den Jahren 1856,1863 und 1867, die Gesetzgebung über Commandit-Gesellschaften auf Actien revidirt, allein niemals befriedigend, weil das Princip, dass die Commanditäre von aller Geschäftsführung ausgeschlossen sein sollen, eine durchgreifende Verbesserung hindert.
6, Commandit- Actien können auf kleine Beträge gestellt werden und unter Umständen selbst auf den Inhaber lauten. Dadurch können sie sich viel leichter im Publicum verbreiten als gewöhnliche Commandit- Antheile, und gewähren dem unsoliden Speculations- und Börsenschwindel viel weiteren Spielraum.
7, Nach französischem Rechte sollen Actien-Commanditen als wirkliche Actiengesellschaften behandelt werden, wenn sie nur zum Scheine sich als Commanditen constituiren, z. B. wenn der verantwortliche Geschäftsführer keinen ernstlichen Antheil in der Gesellschaft besitzt, und das Gesellschaftscapital zum grössten Theile mittelst Actien aufgebracht werden soll. Dadurch werden aber Commandit-Actien ein unsicherer Besitz, indem man dabei keine klare und deutliche Rechtssicherheit erlangen kann.
8, In Deutschland und überall sonst, äusser Frankreich, gibt es sehr wenige Commandit-Actiengesellschaften, da ein Bedürfniss hiefür nicht besteht.
Art. 154. In diesem Artikel werden zunächst die allgemeinen Erfordernisse einer Comm.-Gesellschaft festgesetzt. Sie muss 1) eine Handelsgesellschaft sein, kann also nur für den Betrieb eines stehenden Handelsgewerbes errichtet werden; 2) muss sie ein Gesellschaftsvermögen haben, welches durch die Beiträge der Mitglieder gebildet wird, die ebenso wie bei der Coll.-Gesellschaft von verschiedener Grösse und Art sein können; 3) diese Beiträge ergeben die Grenze der Haftung jedes Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, so dass darüber hinaus sein persönliches Vermögen nicht in Anspruch genommen werden kann; 4) diese beschränkte Haftung kann jedoch für einzelne Mitglieder, wenigstens subsidiär, zu einer unbeschränkten erweitert werden, wie in Art. 166. näher bestimmt ist; 5) alle Mitglieder sind Gesellschafter, sie haben also an sich alle Rechte und Pflichten von solchen, und zwar jeder gleich dem anderen, soferne nicht etwas anderes vereinbart wird oder in gewissen Fällen vom Gesetze vorgeschrieben ist.
Die Antheile der Gesellschafter bemessen sich hier wie sonst nach ihren Beiträgen. Sie sind rein persönlicher Natur (choses in action), haben also nicht, wie die Actien, die Form eines verkehrsfähigen Vermögens (negotiable paper.). Es muss aber ein fester Vermögensbetrag sein, der einen bestimmten Beitrag zum Gesellschaftsvermögen ergibt, und dessen Werth im Gesellschaftsvertrag bestimmt und im Inventar eingetragen sein muss. Der Beitrag kann in einer einmaligen Summe, oder in jährlichen Zahlungen bestehen; letzteres wird namentlich da der Fall sein, wo die Natur des Geschäftsbetriebs kein Bedürfniss grosser Capitalsummen ergibt, wie z. B. bei Versicherungsgesellschaften.
Man könnte die Frage aufwerfen, ob nicht der Beitrag bei den Commanditgesellschaften nur in Geld bestehen könne, weil die Betheiligung mit Arbeiten und mit naturalen Vermögensobjecten keinen festen Vermögenswerth mit sich bringt. Hierauf ist zu antworten, dass die Betheiligung mit blossen persönlichen Leistungen hier allerdings ausgeschlossen ist; denn obgleich der Werth von Arbeiten in einer Geldsumme angeschlagen werden kann, ist das Recht auf solche Arbeiten doch kein festes Vermögensobject, welches besessen und zur etwaigen Befriedigung von Gläubigern exequirt werden könnte. In dieser Hinsicht ist hier, da es an der persönlichen Vermögenshaftung fehlt, die Vermögensleistung strenger zu nehmen, als bei Collectivgesellschaften, wo sie übrigens, beiläufig bemerkt, auch dem modernen Begriff von Handelsgesellschaften gemäss nicht so leicht auf Arbeiten ausgedehnt werden sollte, als es herkömmlicher Weise geschieht und auch im Entwurfe noch beibehalten wurde.
Dagegen ist ein in einem naturalen Vermögensobject bestehender Beitrag allerdings ein fester Vermögensbeitrag, da jedes solche Object einen Geldwerth hat, und zu diesem Werthe in das Gesell-schaftsvermögen aufgenommen werden kann. Es ist die Beitragsleistung dann so aufzufassen, als wenn der betreffende Gesellschafter die entsprechende Geldsumme an die Gesellschaft übergeben und diese dann die Sache damit gekauft hätte. Diese Werthbemessung unterliegt mithin auch der Bestimmung des Art. 115.
Art. 155. Im allgemeinen sind auf die Command.-Gesellschaften die Bestimmungen über Collectiv-Gesellschaften anzuwenden, soweit nicht in gewissen Punkten Ausnahmen vom Gesetze gemacht werden. Diese Ausnahmen müssen immer darin ihren Grund haben, dass die Comm.-Gesellschaft von der Collectiv-Gesellschaft in solchen Punkten abweicht und sich mehr der Actien-Gesellschaft annähert. Practisch liegt dieser Unterschied darin, dass die Command.-Gesellschaft der Sicherung durch das persönliche Vermögen der Gesellschafter entbehrt, und nur das eigene Gesellschaftsvermögen besitzt, wesshalb es mit dem letzteren hinsichtlich seiner Publicität und Verwaltung strenger genommen werden muss.
Auch die Comm.-Gesellschaft kann daher nur durch schriftlichen Vertrag errichtet werden, und es sind hierüber, wie über die etwaige Abänderung desselben die oben in Cap. I. § 1 und 2 enthaltenen Bestimmungen zu beobachten. Ebenso müssen, nach denselben Bestimmungen, gewisse wesentliche Punkte des Gesellschaftsvertrages registrirt und publicirt werden, und an die Nichterfüllung dieser Pflichten sind hier dieselben Rechtsfolgen wie bei Coll.-Gesellschaften geknüpft. Es müssen aber hier nicht blos dieselben Thatsachen wie bei den letzteren registrirt und publicirt werden, sondern noch weiterhin 3 andere Punkte, nämlich 1, das Gesellschaftscapital im Ganzen; 2, der Vermögensbeitrag jedes Gesellschafters in einer Geldsumme; und 3, die etwaige solidarische Haftung von Geschäftsführern und Directoren. Diese Punkte müssen daher auch im Gesell-schaftsvertrage genau und bestimmt enthalten sein, und es darf der letztere nicht, wie es bei Collectiv-Gesellschaften möglich ist, darüber stillschweigend oder oberflächlich hinweggehen. Denn es leuchtet ein, dass bei Comm.-Gesellschaften die genannten 3 Punkte für den Credit der Gesellschaft und für die Sicherheit der Gläubiger von entscheidender Bedeutung sind.
Die engliche Gesetzgebung unterscheidet in dieser Hinsicht ein sog. memorandum und articles of association. Beide zusammen bilden den Gesellschaftsvertrag; das Memorandum enthält aber nur die wesentlichen Hauptsätze des letzteren, und entspricht dem Auszug, welcher registrirt und publicirt werden muss.
Art. 156. Die Firma einer Comm.-Gesellschaft kann persönlich sein, wenn sie persönlich, d. h. unbeschränkt mit ihrem persönlichen Vermögen haftende Gesellschafter hat; sie muss aber unpersönlich sein, wenn dies nicht der Fall ist, also sämmtliche Gesellschafter nur bis zur Höhe ihres Beitrages haften. Es entspricht dies einem Grundsatz, der schon früher in Bezug auf die Führung von Firmen überhaupt dargelegt wurde, dass nämlich eine Person, deren Name in einer Handelsfirma steht, immer als persönlicher Garant der Firma mit ihrem gesammten Vermögen angesehen werden muss. Die Beifügung des Wortes saci-kyn empfiehlt sich aus dem Grunde, damit Jedermann gleich auf den ersten Blick sehen kann, mit welcher Art von Gesellschaft er es zu thun hat. So wie sie vorgeschrieben ist, also namentlich auch mit dem erwähnten Zusatzwort, muss die Firma immer und überall gebraucht werden, bei allen Unterschriften, öffentlichen Anzeigen und auf allen Papieren der Gesellschaft, wo ihr Name angebracht ist. Wenn das erwähnte Wort nicht beigefügt ist, kann die Gesellschaft als eine Collectiv-Gesellschaft angesehen Und jeder Gesellschafter als persönlich haftend in Anspruch genommen werden, natürlich soweit es im guten Glauben geschehen könnte und das Gegentheil dritten Personen nicht anderweitig genügend bekannt geworden ist.
Art. 157. Das Gesellschaftscapital kann durch späteren Beschluss reducirt werden. Diese Befugniss kann man einer Gesellschaft nicht entziehen, da sehr triftige Gründe dafür sprechen können. Dass es nicht zum Nachtheile von Gläubigern geschehen darf, wurde bereits in Bezug auf Coll.-Gesellschaften oben zu Art. 130 erörtert, und es stehen den Gläubigern gegen solche Benachtheiligung gewisse Rechtsmittel zu Gebote. Es darf aber nicht im geheimen geschehen. Daher ist es, als ein Fall der Aenderung des Gesellschaftsvertrages, nicht blos sofort zu registriren und zu publiciren, sondern es ist das Factum auch in die Firma aufzunehmen, und darf bei keinem Gebrauche derselben weggelassen werden. Diese Bestimmung findet Platz, sowohl wenn die Beiträge aller, als auch nur einzelner Gesellschafter vermindert werden, da in beiden Fällen das Gesellschafts-capital reducirt wird.
Art. 158. Die Bestimmung dieses Artikels, welche bei Collectiv-Gesellschaften nicht vorkommt (Art. 112) rechtfertigt sich dadurch, dass Commanditäre regelmässig weder ihre volle Persönlichkeit, noch ihr ganzes Vermögen dem Gesellschaftszweck widmen. Ein Interessen-Conflict zwischen der Gesellschaft und anderen Personen oder Gesellschaftern ist hier nicht in dem Masse möglich, wie bei Coll.-Gesellschaften, und soweit er eintritt, muss er durch die Betheiligten selbst vermieden werden. Sollte ein Gesellschafter trotzdem seinen wesentlichen Verpflichtungen gegen die Gesellschaft untreu werden und dieselbe in Nachtheil bringen, so müssten in solchem Fall die gleichen Schutzmittel wie gegen untreue Coll.-Gesellschafter angewandt werden. (Art. 102).
Art. 159. Dieser Artikel enthält die wesentlichste Abweichung des Entwurfes von dem bisherigen Recht der Comm.-Gesellschaften. Es wird den Commanditären, ebenso wie Collectivisten, das Recht der Vertretung der Gesellschaft eingeräumt; also wird die Gesellschaft durch die Handlungen eines jeden Commanditärs berechtigt und verpflichtet, und jeder Commanditär kann die Rechte und Verpflichtungen der Gesellschaft ausüben und resp. erfüllen, und überhaupt rechtsgültig darüber verfügen. Commanditäre haben also das Recht der vollen Geschäftsführung und gegenseitigen Vertretung, und sie haben auch sonst für die Interessen der Gesellschaft wie Collectivisten einzutreten. Es ist dies gegenüber den älteren Gesetzbüchern eine Neuerung, die aber bereits im englischen Rechte besteht und deren Rechtfertigung in den an den Eingang dieses Capitels gestellten Erörterungen enthalten ist. Es wird hier nur in Kürze wiederholt, dass die moderne Rechtsanschauung immer entschiedener dahin neigt, Handelsgesellschaften als besondere juristische Wesen und die Gesell schafter als deren Administratoren zu behandeln, sobald das wesentliche Erforderniss, ein einem besonderen Zwecke gewidmetes Gesellschaftsvermögen, gegeben ist. Wenn dies der Fall ist, dann kann der Umstand dass die Gesellschafter noch ausserdem persönliche Garanten für die Gesellschaft sind, nur von untergeordneter Bedeutung sein.
Die Regel, dass alle Commanditäre gleichmässig vollberechtigte Vertreter der Gesellschaft sind, kann wie bei Collectiv-Gesellschaften abgeändert werden. Es können also nur einige, oder allenfalls nur einer der Commanditäre als Geschäftsführer ernannt werden, und es gelten bezüglich ihrer Rechte und Pflichten, insbesondere auch bezüglich ihrer Absetzbarkeit und bezüglich ihrer vereinten oder gesonderten Handlungsbefugnisse ganz die gleichen Grundsätze, wie bei Coll.-Gesellschaften.
Art. 160. Comm.-Gesellschaften können aber in Betreff der Geschäftsführung nicht durchaus wie Coll.-Gesellschaften behandelt werden. Da sie an die Maximalzahl von 7 Mitgliedern nicht gebunden sind und sehr leicht eine grössere Mitgliederzahl haben können, so leuchtet ein, dass bei einer grösseren Zahl nicht jeder Gesellschafter vollberechtigter Geschäftsführer sein kann und dass hier gewisse Garantien gegen nachlässige Geschäftsführung und Verschleuderung des Gesellschaftsvermögens gesucht werden müssen, die Bei Coll.-Gesellschaften schon von selbst in der persönlichen Vermögenshaftung gegeben sind. Daher lässt das Gesetz den letzteren in der Einrichtung ihrer Verwaltung freie Hand, und dieselbe Freiheit kann man unbedenklich auch Comm.-Gesellschaften einräumen, wenn ihre Zahl das Maximum der Coll.-Gesellschaften nicht übersteigt, da man annehmen darf, dass solche kleinere Comm.-Gesellschaften in derselben Weise wie Coll.-Gesellschaften verwaltet werden.
Die Stellung von Geschäftsführern und Directoren ist im allgemeinen ganz gleich; namentlich müssen auch die letzteren immer Gesellschafter sein. Nur der Unterschied besteht zwischen ihnen, dass die ersteren die Geschäftsführung als ein vertragsmässiges Recht besitzen, gleich den Collectivisten, welches ihnen nicht ohne Aenderung des Gesellschaftsvertrages, also nicht gegen ihre Einwilligung entzogen werden kann, während die Directoren ein Amt in Folge der Ernennung bekleiden, also im strengeren Sinne unter den Verpflichtungen eines Amtes stehen und von demselben durch gewöhnlichen Gesellschaftsbeschluss entsetzt werden können. Auf die Administrationsbefügnisse hat dies keinen Einfluss. Geschäftsführer, wie Directoren, sind insbesondere berechtigt, Procuristen und Handlungsgehülfen zu ernennen und zu entlassen.
Art. 161. Dieser Artikel stellt den Satz auf, dass Geschäftsführer und Directoren die gleichen Befugnisse haben, wie Principale in jedem Handlungsgewerbe, sie stehen also nicht blos im Verhältniss von Gehülfen zur Gesellschaft. Sie können daher Geschäfte jeder Art für die Gesellschaft vornehmen, nicht blos solche, die in dem betreffenden Gewerbe gewöhnlich vorkommen. Jedoch ist ihr freies Ermessen gebunden durch den Gesellschaftsvertrag und die Beschlüsse der Gesellschafter ; insbesondere ist mithin ihre Geschäftsführung an den Zweck der Gesellschaft gebunden und an die Pegeln und Schranken, welche für dieselbe etwa im einzelnen von der Gesellschaft aufgestellt sein können.
Art. 162. Geschäftsführer und Directoren können in der Freiheit ihrer Verwaltung beschränkt sein 1, dadurch, dass sie entweder in allen oder nur in gewissen wichtigeren Fällen nur zusammen, nicht einzeln handeln können, und 2, dadurch, dass ihnen für ihre Verwaltung die Beobachtung gewisser Grundsätze, z. B. hinsichtlich der Creditgewährung, der Eingehung von Darlehen, u. dgl. vorgeschrieben ist. Diese doppelte Schranke muss von ihnen eingehalten werden, und wenn es nicht geschieht, sind sie der Gesellschaft dafür verantwortlich. In Verhältniss nach aussen sind diese Schranken aber nur wirksam, wenn dritte Personen, mit denen sie Geschäfte eingehen, davon Kenntniss hatten und gleichwohl darauf sich einliessen. In diesem Falle sind die betreffenden Geschäfte auch gegenüber dritten Personen ungültig, weil darin eine Mandatsüberschreitung liegt, durch welche die Gesellschaft nicht verpflichtet werden kann. Nur solche Geschäfte sind Dritten gegenüber gültig, von denen diese vernünftiger Weise und ohne eigenes Verschulden annehmen konnten, dass die Directoren dazu befugt seien. Diese Sätze folgen aus der öffentlichen Amtsstellung der Directoren; das Publicum muss, soferne nicht besondere Gründe des Gegentheiles vorliegen, annehmen, dass die Directoren innerhalb der ihnen gezogenen Verwaltungsgrenzen handeln, da die. Gesellschaft sie dem Publicum als ihre Vertreter hinstellt. Ebenso muss die Gesellschaft auch für unerlaubte Handlungen ihrer Directoren haften, wie jeder, auch der Staat, durch die dienstlichen Handlungen der von ihm angestellten Diener Dritten gegenüber verpflichtet wird. Wenn also ein Director Gelder, die in die Gesellschaftscasse eingezahlt werden, unterschlägt, oder wenn er Zoll- und Steuergesetze, oder Polizeiverordnungen übertritt, so ist die Gesellschaft dafür verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit erstreckt sich jedoch nicht auf Vergehungen, die ein Director ausserhalb seiner Geschäftsstellung begeht.
Art. 163. Für Coll.-Gesellschafter wurde bestimmt, dass sie ihren Gesellschaftsantheil an andere nicht abtreten können. Denn derselbe hat zwar einen Vermögenswerth und ist insoferne ein Vermögensobject, aber die persönliche Stellung in der Gesellschaft kann davon nicht getrennt werden, und diese ist ihrer Natur nach unveräusserlich. (Art. 93.) Bei Actiengesellschaften ist das gerade Gegentheil der Fall; bei ihnen überwiegt die Vermögensnatur des Antheils, während die persönliche Betheiligung ganz in den Hintergrund tritt, wesshalb auch der Antheil eines jeden Actionärs in verkehrsfähige Form gebracht wird. Commanditantheile stehen zwischen diesen beiden Extremen in der Mitte, sie sind zwar auch persönlicher Natur, aber es kann ihre Seite als Vermögensobject überwiegen, besonders bei grösserer Mitgliederzahl, wo die einzelnen Mitglieder nicht nothwendig activ eingreifen und eine von den einzelnen unabhängige organisirte Verwaltung besteht. Daher haben Command.-Antheile an sich keine verkehrsfähige Form; sie sind rein obligatorische Verhältnisse und wegen der Natur des Gesellschaftsverhältnisses unveräusserlich. Aber sie können mit Zustimmung der Gesellschaft veräussert werden, und diese Zustimmung kann auch ein für allemal in einer Bestimmung des Gesellschaftsvertrages gegeben sein. Durch die Veräusserung, die jedenfalls immer der Gesellschaft angezeigt werden muss, da der neue Gesellschafter registrirt und publicirt werden muss, löst sich das Gesellschaftsverhältniss vollständig für den Austretenden, und der Erwerber tritt in jeder Beziehung in dessen Stellung zur Gesellschaft ein, namentlich übernimmt er alle Verbindlichkeiten desselben gegen die Gesellschaft und gegen dritte Personen. Indessen bleibt der Austretende nach Art. 139 noch ein Jahr lang für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach aussen haftbar.
Art. 164. Der in diesem Artikel enthaltene Satz folgt consequenter Weise aus der in Art. 161. den Geschäftsführern und Directoren eingeräumten Vertretungsbefugniss. Der Erwerb, den sie machen, an Eigenthum und Forderungen, geht in das Gesellschaftsvermögen über; die Schulden, die sie eingehen, sind Schulden der Gesellschaft. In allen Gesellschaftssachen ist also die Gesellschaft das allein verpflichtete und berechtigte Subject. Das gleiche ist zwar auch in der Hauptsache bei der Coll.-Gesellschaft der Fall, es kann aber dort nicht mit derselben Schärfe und Bestimmtheit ausgesprochen werden, da dort die völlige Trennung der gesellschaftlichen Rechte und Pflichten von den persönlichen Rechten und Pflichten der Gesellschaft nicht so strenge durchgeführt ist. Bei Coll.-Gesellschaften ist die Firma mehr eine Collectivbezeichnung für die sämmtlichen Personen der Gesellschafter, aber jeder Gesellschafter trägt in seiner Person das ganze Gesellschaftsverhältniss. Commanditäre können zwar als Geschäftsführer die Gesellschaft repräsentiren, aber abgesehen davon wird die Gesellschaft von ihnen nicht repräsentirt, sondern nur von den Directoren, die persönlich nicht haften, soferne es nicht ausdrücklich bestimmt ist (Art. 166.) Der Unterschied liegt also darin, dass die Coll.-Gesellschaft durch jeden ihrer Gesellschafter repräsentirt wird, dagegen die Comm.-Gesellschaft nur durch ihre Geschäftsführer und Directoren.
Art. 165. Die Coll.-Gesellschaft hat zwar auch ein besonderes Gesellschaftsvermögen, das von dem persönlichen Vermögen der Gesellschafter getrennt ist, allein wegen der persönlichen Haftung der Gesellschafter ist es practisch nicht in sich selbst abgeschlossen, sondern verlängert sich je nach Bedürfniss hinein in das persönliche Vermögen aller Gesellschafter. Bei Comm.-Gesellschaften ist die Sonderung des Vermögens strenger durchgeführt, indem es allein der Regel nach für die Schulden der Gesellschaft haftet, und nur ausnahmsweise noch eine Haftung anderer Personen hinzutritt. Die Haftung der Gesellschafter bis zum Betrage ihres etwa noch nicht voll einbezahlten Beitrages ist keine wirkliche Ausnahme, da sich das Gesellschaftsvermögen eben aus den Beiträgen der Mitglieder zusammensetzt, mögen dieselben bereits eingezahlt sein oder nicht. Das besondere ist hier nur, dass nach den allgemeinen Grundsätzen über gesellschaftliche Haftung, die Gesellschaftsgläubiger unmittelbar einen Gesellschafter belangen können, der seinen Beitrag noch nicht voll entrichtet hat. Es kann auch bestimmt sein, dass eine gewisse Summe als Beitrag nur eventuell zur Tilgung der Gesellschaftsschulden und anderer Kosten von jedem Gesellschafter zu entrichten ist, was die englische Gesetzgebung limitation by guarantee nennt. Bei gegenseitigen Versicherungsgesellschaften ist diese eventuelle Beitragsleistung häufig, indem jedes Mitglied äusser der ordentlichen Prämie noch zu einem Extra-Zuschuss sich verpflichtet, wenn dieser in einem Geschäftsjahre nöthig werden sollte. Dies sind, wie gesagt, keine wirklichen Ausnahmen, weil diese Beiträge, auch die eventuellen, nur Bestandtheile des Gesellschaftsvermögens sind, die einstweilen in den Händen der Gesellschafter belassen werden. Eine wirkliche Ausnahme dagegen liegt darin, dass ein Gesellschafter dessen Namen in der Firma steht die volle persönliche Haftung für die Gesellschaftsschulden tragen soll. Nothwendig ist diese Ausnahme zwar nicht, denn aus dem der Firma in allen Fällen beigefügten Worte saci-kyn kann Jeder entnehmen, dass es nur eine Comm.- also beschränkte, keine Collect.-Gesellschaft ist. Indess wurde doch diese Bestimmung beibehalten, um den herkömmlichen Anschauungen über die Bedeutung des Namens in der Firma nicht zu weit entgegenzutreten.
Art. 166. Eine andere wirkliche Ausnahme liegt in der vollen persönlichen Haftung der Geschäftsführer und Directoren. Es ist dies die gleiche sog. solidarische Haftung wie der collectivistischen Gesellschafter, aber sie ist in doppelter Hinsicht begrenzt. 1, tritt sie nicht von selbst ein, sondern sie muss im Gesellschaftsvertrage oder Beschlusse ausdrücklich bestimmt sein, ausserdem nach Art. 155. auch registrirt und publicirt werden. Die persönliche Hafterklärung der Directoren durch Zustellung einer schriftlichen Notification, wie sie im englischen Gesetze von 1867 vorgeschrieben wurde, ist zwar nicht unpassend, aber auch nicht nothwendig, da es sich von selbst versteht, dass jeder Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag und die Gesellschaftsbeschlüsse gebunden ist. 2, ist diese persönliche Haftung der Gesellschafter nur eine subsidiäre, wenn nämlich das Gesellschaftsvermögen nicht ausreicht. Das gleiche ist zwar auch schon für Coll.-Gesellschafter vorgeschrieben Art. 122, allein es tritt doch nicht mit derselben Bestimmtheit hervor, da das persönliche Vermögen der Gesellschafter von dem Gesellschaftsvermögen nicht so scharf gesondert ist.
Dieser Artikel bildet einen Gegensatz zu der herkömmlichen Anschauung, dass Commanditäre durch Theilnahme an der Geschäftsführung der vollen persönlichen Haftung unterliegen. Allein dieser in allen Gesetzbüchern vorkommende, dem Art. 27. des franzos. Code de comm. nachgeahmte Satz besitzt, wie bereits oben ausgeführt, keine innere Begründung, und enthält eine unpassende Uebertragung aus den Grundsätzen der blossen Participationsgemeinschaft. Er ist auch in der englischen Gesetzgebung nicht enthalten.
Art. 167. Die auch in dem englischen Gesetze (30 und 31 Vict. c. 131 s. 5.) adoptirte Bestimmung dieses Artikels entspricht nicht nur der Billigkeit, sondern auch den sonst in diesem Entwürfe über die Haftung ausscheidender Gesellschafter beobachteten Grundsätzen. Da die Haftung nur eine subsidiäre ist, so ergibt sich, dass kein Director in Anspruch genommen werden kann, so lange die Gesellschaft zahlungsfähig bleibt, und es ist mithin ihr Interesse, die Zahlungsfähigkeit möglichst aufrecht zu erhalten. Wenn die Gesellschaft ihre Zahlungen einstellt, dann können nur die binnen Jahresfrist vorher im Amt gewesenen Directoren in Anspruch genommen werden, und das werden in der Regel diejenigen sein, welche die Zahlungsunfähigkeit selbst verschuldet haben. Die persönliche Haftung der Directoren dient daher auch zur Sicherung der Gesellschaft gegen leichtsinnige Geschäftsführung.
Art. 168. Die in diesem Artikel bezeichneten Befugnisse werden gewöhnlich den Commanditären nicht in vollem Umfange zugestanden, da man sie nicht sowohl als Gesellschafter, sondern nur als Participanten anzusehen gewohnt ist. Es ist dagegen den Principien des Entwurfes angemessen, die Commanditäre auch in dieser Beziehungen mit den Rechten wirklicher Gesellschafter auszustatten, und sie nicht auf die blosse Zuschauerrolle zu beschränken.
Art. 169—171. Die in den folgenden 3 Artikeln enthaltenen Bestimmungen sind den für Actiengesellschaften geltenden Grundsätzen entlehnt. Wenn Comm.-Gesellschaften eine grössere. Mitgliederzahl haben, also nicht jeder einzelne ohne weiteres mit den Angelegenheiten der Gesellschaft sich abgeben kann, müssen sie in ähnlicher Weise wie Actiengesellschaften organisirt sein, um der Gesammtheit der Theilnehmer den ihnen gebührenden Einfluss zu sichern und die Befugnisse der Directoren nicht zu unverantwortlicher Allgewalt anschwellen zu lassen. Daher wurde in den genannten Artikeln über drei wesentliche Punkte Bestimmung getroffen. 1, über die Abhaltung von Versammlungen der Gesellschafter, die entweder ordentliche Jahresversammlungen oder ausserordentliche, auf den Antrag von Mitgliedern berufen, sein können. Erstere werden regelmässig zu derselben Zeit in jedem Jahre stattfinden. 2, die Abnahme und Prüfung der Jahres-Rechnung und Bilanz. 3, die Fassung von Beschlüssen über die Angelegenheiten der Gesellschaft, wobei die Mehrheit entscheiden soll, aber unter der Bedingung einer wiederhol ten Genehmigung in einem darauf folgenden Meeting, um die Gründlichkeit und Besonnenheit der Berathung zu sichern. Diese Beschlüsse können nur über solche Gegenstände gefasst werden, welche keine Aenderung des Gesellschaftsvertrages enthalten ; über Beschlüsse des letzteren Inhaltes bestimmt ein folgender Artikel 173. Die Mehrheit ist die einfache oder absolute Mehrheit, d. h. es muss mindestens einer mehr als die Hälfte der Anwesenden dem Beschlüsse zugestimmt haben, wenn er gültig sein soll. Dies ist aber nur die gesetzliche Regel: es kann über einzelne Punkte, so insbesondere über die Genehmigung der Jahresrechnung im Gesellschaftsvertrage auch ein anderes Verfahren vorgeschrieben werden, und das Gesetz bestimmt in dieser letzteren Beziehung nur so viel, dass jede Mehrheit genügt, auch wenn nicht die Hälfte der Mitglieder anwesend war, und eine Nachbestätigung in einem darauf folgenden Meeting nicht erfordert wird. Man darf annehmen, dass da jedes Mitglied 14 Tage vorher die Rechnungs- und Bilanzausweise in Händen haben muss, sie also vollständig zu prüfen in der Lage ist, die Nichterscheinenden dem Beschlusse der Erschienenen einfach zustimmen, und dass in der Regel die Rechnungen genehmigt werden. Es bleibt einer Gesellschaft unbenommen, über die Prüfung der Rechnungen durch besondere Revisoren u. dgl. specielle Vorschriften zu geben.
Art. 172. Eine der wichtigsten Fragen ist die Vertheihang von Zinsen oder Dividenden an die Mitglieder. Hier ist am meisten eine missbräuchliche Berechnung Seitens der Directoren unter Verheimlichung und Verschleierung der wirklichen Geschäfts- und Vermögenslage der Gesellschaft, und eine falsche Connivenz Seitens der Gesellschafter zu befürchten. Fictive Dividenden müssen daher vom Gesetze positiv verboten und ihre Berechnung oder Auszahlung als nichtig bezeichnet werden. Dividenden können nur ausbezahlt werden, wenn ein Ueberschuss über das ursprüngliche oder reducirte Gesellschaftscapital vorhanden ist; solange kein solcher Ueberschuss erzielt wird, haben die Gesellschafter auch keinen Profit und keine. Zinsen zu beanspruchen. Allerdings kann dieses durch falsche Rechnungen umgangen werden, hiefür würden aber die Directoren den Gläubigern haftbar sein, wenn die Rechnungen betrügerisch, d. h. wissentlich falsch gemacht wären.
Art. 173. Die Regel ist bei Coll.-Gesellschaften, dass Vertragsänderungen nur von allen Gesellschaftern einstimmig beschlossen werden können. Bei Comm.-Gesellschaft kann diese der rein obligatorischen Natur eines solchen Vertrages entsprechende Regel nicht aufrechterhalten werden, da sie anders organisirt sind, und namentlich bei einer grösseren Anzahl von Mitgliedern der Widerspruch eines einzigen eine unerträgliche Fessel sein würde. Daher wurde es für angemessen erachtet in diesem Falle die nothwendige Mehrheit für Vertragsänderungen auf 3/4 der Mitglieder herabzusetzen, dagegen das Princip der obligatorischen Berechtigung dadurch zu wahren, dass den dissentirenden Mitgliedern das Recht des Austrittes zugestanden wird. Im Uebrigen finden die Vorschriften des Art. 171, nämlich die vorherige Mittheilung des Berathungsgegenstandes, und die nothwendige Mehrheits-Bestätigung durch ein zweites Meeting, auch auf Beschlüsse dieses Art. Anwendung.
Art. 174. Im allgemeinen stehen die Comm.-Gesellschaften mehr auf dem Fusse von Coll.-Gesellschaften, daher müssen, soweit in den Artikeln dieses Capitels nichts anderes vorgeschrieben ist, im übrigen die Bestimmungen über letztere auch auf die ersteren Anwendung finden. Diese Vorschrift bezieht sich mithin auf alle Gegenstände, welche von der gemeinsamen solidarischen Haftung unabhängig sind, da die Grundsätze über Coll.-Gesellschaften in der Hauptsache aus diesem Hauptpunkte abzuleiten sind. In einzelnen Fragen muss jedoch die Discretion des Richters entscheiden ; z. B. wenn es sich darum handelt, wie weit ein Commanditär der Comm.-Gesellschaft Treue und die Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten schuldet, oder wie es mit der Haftung eines ausgetretenen Mitgliedes steht, u. dgl. wird die blosse mechanische Anwendung jener Bestimmungen nicht Platz greifen, sondern der Natur der Comm.-Gesellschaft angepasst werden müssen.
Cap. 3. Von der Actiengesellschaft.
Allgemeine Bestimmungen.
Art. 175. Der Entwurf stellt 4 Erfordernisse einer Actiengesellschaft auf 1, sie muss eine Handelsgesellschaft sein, mit der in Art. 176. enthaltenen Erweiterung dieses Begriffes ; 2, ihre Mitgliederzahl darf nicht weniger als 7 Personen betragen ; 3, ihr Vermögen muss in Actien, d. h. in feste gleiche Antheile zerlegt sein und diese Antheile müssen eine verkehrsfähige Form besitzen; 4, ihre Vertretung ist nicht bei den Actionären, mithin muss sie bei einem anderen Vertretungsorgan sein, was eine besondere Organisation zu diesem Zwecke voraussetzt.
Man pflegt häufig die beschränkte Haftung oder die blosse Betheiligung mit einer Capitaleinlage als das unterscheidende Merkmal der Actiengesellschaften zu bezeichnen. Dies ist jedoch nicht correct, da dieses Moment auch bei der stillen Gesellschaft und bei der Commandit-Gesellschaft regelmässig vorkömmt, mithin den Actiengesellschaften nicht ausschliesslich eigenthümlich ist. Auch ist andererseits die unbeschränkte Haftung nicht gänzlich von der Act.-Gesellschaft ausgeschlossen, wenigstens nach der englischen Gesetzgebung, welcher in diesem Punkte auch der Entwurf (Art. 228) gefolgt ist.
Die Beschränkung der Mitgliederzahl auf mindestens 7 Personen folgt ans der Natur der Act.-Gesellschaften, die nothwendig eine grössere Anzahl von Mitgliedern voraussetzt, sowohl weil das Capital auf' dem Wege der Actienzeichmmg regelmässig nur von einer grösseren Anzahl aufgebracht werden kann, als auch weil die besondere Organisation der Act.-Gesellschaften sich mit weniger Personen nicht vertragen würde. Denkt man sich zum Beispiel eine Act.-Gesellschaft von 5 Personen, und 3 davon zu Directoren gewählt, so würden für die Generalversammlung nur 2 Personen übrig bleiben, letztere würde mithin zu einer blossen Form ohne Inhalt herabsinken. Schon die Zahl 7 ist sehr tief gegriffen und könnte unbedenklich höher gesetzt werden, doch zog man es aus practischen Gründen vor, in. dieser Beziehung bei dem Vorgang der englischen und französischen Gesetzgebung zu verbleiben.
Die Actie bezeichnet 2 verschiedene Dinge, einmal einen Antheil am Gesellschaftsvermögen, der hier für alle gleich und fest bestimmt sein muss; und sodann ein verkehrsfähiges Papier (negotiable paper) mit der Wirkung, dass die Mitgliedschaft an der Act.-Gesellschaft nicht blos ein persönliches Obligationsverhältniss ist, sondern zugleich auch ein veräusserliches Besitzobject, mit einem Worte ein Stück Capital. Die Veräusserlichkeit der Actien kann zwar aus Gründen der geschäftlichen Ordnung und Moral mehr oder weniger beschränkt oder an Bedingungen gebunden sein, aber stets bildet sie ein wesentliches Merkmal der Actien, so dass durch den Besitzwechsel in Actien die Actionäre beständig wechseln können, ohne dass die Gesellschaft selbst dadurch im mindesten verändert oder berührt wird. Insoferne ist das persönliche Moment, das bei den Oollectiv- und auch noch bei den Command.-Gesellschäften eine hervorragende Bedeutung hat (s. Art. 93.163), bei den Actien-Gesellschaften gänzlich in den Hintergrund getreten. Diese Gesellschaft kann daher nur unbestimmte und beständig wechselnde Mitglieder haben, und von einer gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit und gegenseitigen. Verpflichtung wie bei den anderen Gesellschaftsarten kann hier keine Rede sein.
Die Actie bezeichnet einen aliquoten Theil am Gesellschaftsvermögen, und dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Beitrage, der für jede Actie ursprünglich gegeben wird und deren Gesammthöhe gewöhnlich (las Grundcapital genannt wird. Das Gesellschaftsvermögen kann grösser oder kleiner werden als das Grundcapital, und in demselben Verhältniss wird sich der Werth jeder Actie vermehren oder vermindern. In jedem Falle aber ist die Actie die nothwendige Form der Mitgliedschaft; Actionär kann nur sein, wer eine Actie besitzt. Von einer rein persönlichen Mitgliedschaft ist daher bei den Actiengesellschaften keine Rede, die Art der Betheiligung ist die der ausschliesslichen Betheiligung mit Capital, selbst wenn für eine Anzahl von Actien ausnahmsweise nicht Geld, sondern irgend eine andere Gegenleistung gegeben wurde. Denn diese Gegenleistung geht durch den Austausch gegen Actien in den Capitalbesitz der Gesellschaft über, und dadurch mittelbar auch in den jedes einzelnen Actionärs. Die Actiengesellschaft zeigt sich daher als eine Gesellschaft, welche für einen gewissen Zweck Capital zusammenbringt und für dieses Capital eine selbständige Verwaltung einrichtet, welche aber die active gesellschaftliche Theilnähme ihrer Mitglieder auf ein Minimum reducirt. da das zusammengebrachte Capital und die dafür eingesetzte Direction innerhalb gewisser Grenzen sich selbst genügen und der Mitwirkung der einzelnen Gesellschafter nicht bedürfen. Der Gesellschafter ist daher hier durchaus kein Handelsmann, er treibt persönlich keinen Handel, er gibt nur Capital. Die Actiengesellschaften können daher aus allen disponiblen Capitalien und aus der gesammten Bevölkerung und allen Berufs- und Standesclassen sich bilden; sie dienen naturgemäss höheren Handelsbedürfnissen, die nur mit grossem Capital und durch Betheiligung vieler befriedigt werden können. Sie können zum ökonomischen Aufschwünge eines Landes ungemein viel beitragen, wenn die Gesetzgebung dafür sorgt, dass ihr Missbrauch zu betrügerischen Zwecken möglichst verhütet wird. Diesen Gesichtspunkt nimmt die moderne Actiengesetzgebung hauptsächtlich ein. In den meisten Staaten ist diese Gesetzbung, wenigstens in ihrer jüngsten Gestalt, verhältnissmässig neu; in England von den Jahren 1862 und 1867, in Frankseich von 1867, in Deutschland von 1870. Die Aufgabe ist dabei namentlich die, das legitime Geschäft nicht zu sehr zu erschweren, aber dem Actienschwindel strenge entgegenzutreten, d. h. der Emittirung von Actien ohne inneren Werth, denen mithin kein reelles Gesellschaftsvermögen entspricht, indem das Grundcapital von gewissenlosen Gründern und Directoren unterschlagen wird oder Actien ohne Entrichtung von genügendem Grundcapital, denen mithin kein productiver Handelsbetrieb entspricht, in das Publicum geworfen und durch betrügerische Anpreisungen zum Verkaufe gebracht werden. So sehr daher die Verkehrsfähigkeit ein wesentliches Moment der Actien bildet, muss sie doch, um den angedeuteten Betrügereien entgegen zu wirken, unter gewisse Controle gestellt werden. Ueberhaupt sind die legislativen Vorschriften weitaus strenger und zahlreicher bei Actien-, als bei allen übrigen Gesellschaften, weil es sich hier eben um ein unbestimmtes, stets fluctuirendes Publicum handelt, dessen ihm natürlicher Weise anklebende Unfähigkeit des Selbstschutzes durch angemessene Vorschriften über Publicität, sowie Beobachtung gewisser Formen und Schranken unterstützt werden muss.
Art. 176. Erfahrungsgemäss sind Actiengesellschaften ein sehr zweckmässiges Mittel, grössere Capitalien auch anderen als reinen Handelszwecken zuzuwenden, so z. B. Zwecken des Unterrichts, der öffentlichen Gesundheit und Annehmlichkeit, des Verkehres u. dgl. Es würde nicht angehen, verschiedene Actiengesellschaften zu constituiren, je nachdem es sich um Handels- oder um andere Zwecke handelt daher müssen die letzteren den ersteren gleichgestellt werden. Das gleiche findet in den übrigen Gesetzgebungen statt. In England (25 & 26 Vict. c. 89. Art. 6) können Joint Stock Companies für jeden gesetzlich erlaubten Zweck gegründet werden, und in Deutschland ist durch das Gesetz vom 11. Juni 1870 Art. 208 dasselbe ausgesprochen worden. In der That wird auch den nicht für reine Handelszwecke gegründeten Actiengesellschafteir irgend ein productiver Betrieb im weiteren Sinne anhaften, da auch bei ihnen Zinsen und Dividenden zur Vertheilung kommen werden. Ausserdem ist zu erwägen, dass die Actie in jedem Falle ein negotiables Papier ist, gleich einem Wechsel oder Cheque, so dass- die Emittirung von Actien, und folglich auch die Bildung von Actiengesellschaften, wegen der juristischen Form in die Reihe der Handelsgeschäfte gesetzt werden muss.
Art. 177. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht der herkömmlichen Doctrin, wornach der persönliche Name eines Gesellschafters in der Firma als Erklärung seiner persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft angesehen zu werden pflegt. Da diese persönliche Haftung bei Actiengesellschaften nicht vorkommt, kann auch der Name eines Actionärs nicht in der Firma stehen. In den Gesetzbüchern wird dies nach dem Muster des französ. Code de comm. gewöhnlich so- ausgedrückt, dass eine Actiengesellschaft, die eben desshalb als anonyme (unbenannte) Gesellschaft bezeichnet wird, keine gesellschaftliche Firma (raison sociale) hat, sondern ihren Namen von dem Gegenstand ihrer Unternehmung nimmt. Indessen ist letzteres keine absolute Nothwendigkeit, und kann die Wahl der Firma insoweit dem freien Belieben der Gesellschaft überlassen bleiben. Dagegen empfiehlt sich die Vorschrift, dass eine Actiengesellschaft vor dem Publicum sich selbst stets als eine solche bezeichnet, damit jede Verwechselung mit anderen Gesellschaften vorneweg ausgeschlossen werde; dies ist in den Worten you-guin ausgedrückt, deren Hinzufügung zur Firma mithin immer auf den ersten Blick die Existenz einer Actiengesellschaft bedeutet.
N. B. Bei der schliesslichen Redaction dürfte es sich empfehlen, diesen Artikel in § 2 vor Art. 201, mithin als Art. 200 einzusetzen.
Art. 178. In Art. 175. wurde bestimmt, dass die Actionäre die Gesellschaft nicht vertreten; hier wird gesagt, dass sie für deren Verbindlichkeiten auch nicht haften. Beides ist strenge von einander zu unterscheiden. Auch eine Gemeinde z. B. ist eine besondere juristische Person, die durch die Handlungen der Gemeindemitglieder weder berechtigt noch verpflichtet werden kann; wohl aber haften die Gemeindeglieder für die Gemeindeschulden, zu deren Verzinsung und Tilgung sie nach Bedürfniss durch Gemeindesteuern beizutragen haben. Bei Actiengesellschaften findet eine solche Haftung der Actionäre in keiner Weise statt. Für die Schulden einer Act.-Gesellschaft haftet ausschliesslich das Gesellschaftsvermögen, welches durch Actienzeichnung zusammengebracht ist. Der Actionär übernimmt niemals eine höhere Verbindlichkeit als bis zum Betrag der von ihm übernommenen Actien. Ist der Actienbetrag vollständig einbezahlt, so ist er aller weiteren Verbindlichkeiten ledig. Allein auch wenn dies nicht der Fall, haftet er doch niemals direct den Gläubigern der Gesellschaft; sondern wenn das vorhandene Gesellschaftsvermögen nicht ausreicht, können die Actionäre nur durch die Directoren oder auch durch die Liquidatoren zur weiteren Einzahlung auf ihre Actien angehalten werden. Der Actionär ist also ausschliesslich der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, und die Gesellschaft ausschliesslich den Gläubigern. In der englischen Gesetzgebung können zwar auch Joint Stock Companies mit unbeschränkter Haftunggebildet werden; dies sind aber dann Collectiv-Gesellschaften im eigentlichen Sin ne-des Wortes, wenn auch ihre Verfassung der von Actiengesellschaften mehr oder minder gleichen kann. Für Japan wird es sich empfehlen, den reinen Character der Actiengesellschaften aufrecht zu erhalten, um nicht durch die Fülle verschiedener Möglichkeiten Verwirrung zu erzeugen. Die unbeschränkte Haftung von Actionären, auch nur subsidiär, würde, wenn sie geltend gemacht würde, die Actionäre mit der Gefahr unverschuldeter Vermögens-Verluste in unübersehbarem Betrage bedrohen, und dadurch den Aufschwung und die Einbürgerung dieser Art von Gesellschaften lähmen.
Dagegen kann eine Ausnahme von der Regel des Art. 178. sehr wohl hinsichtlich der Directoren gemacht werden. Von dieser Ausnahme, welche gleichfalls der englischen Gesetzgebung eigen ist, wird später zu Art. 228 gesprochen werden.
§ Ⅰ. Gründung und Errichtung der Actiengesellschaft.
Art. 179. Der Entwurf unterscheidet, was in den früheren Gesetzbüchern nicht genügend geschehen ist, in bestimmter Weise zwischen Gründung und Errichtung einer Actiengesellschaft. Die Gründung begreift die vorbereitende Thätigkeit bis zu dem Zeitpunkte, wo die Gesellschaft ins Leben treten kann; die Errichtung den Act, durch den die Gesellschaft rechtliche Existenz erlangt und fähig wird, die ihr zukommenden Rechtswirkungen zu entfalten, insbesondere eine ihrem Zweck entsprechende Thätigkeit zu betreiben. Der Gründung entsprechen bei den anderen Gesellschaftsarten die thätsächtlichen Vorbesprechungen und Vorverhandlungen zwischen denen, welche ein Gesellschaftsverhältniss eingehen oder ins Leben rufen wollen, und sind dort ohne legislative Normirung gelassen, da sie entweder noch gar keine rechtliche Wirkung haben oder doch als pacta de contrahendo oder als Punctationen den gewöhnlichen Bestimmungen des Civilrechtes unterliegen. Bei Actiengesellschaften ist die Gründerthätigkeit keine rein private, sie geht öffentlich vor sich, wendet sich an die Behörden und an das Publicum, und ist mehr verantwortlich, weil schon von den Gründern der wesentliche Inhalt des Gesellschaftsvertrages entworfen werden muss und Zahlungen von künftigen-Actionären entgegen genommen werden können. Daher sind hier gewisse legislative Bestimmungen nöthig, um der Gründer-thätigkeit Vertrauen und Sicherheit zuzuwenden, und das Publicum im Beginn vor Betrügereien zu schützen.
Die Errichtung der Actiengesellschaft kann hier, wie bei den übrigen Gesellschaftsarten, da die Gesellschaft in allen Fällen ein Vertragsverhältnis ist, nur durch definitiven Vertrags-Abschluss erfolgen, wozu durchweg die Registrirung und Publicirung treten muss. Bei Actien-Gesellschaften ist dieser Vertrags-Abschluss an sich weniger einfach, und ausserdem an eine Reihe besonderer Bedingungen gebunden, wesshalb auch in dieser Beziehung die Gesetzgebung hier eingehender sein muss und der privaten Vereinbarung weniger überlassen kann.
Von den vorstehenden Erwägungen wurde man bei der Abfassung der in diesem Paragraphen enthaltenen Artikel des Entwurfes geleitet.
In Art. 179 wird zunächst vorgeschrieben, dass mindestens 4 Personen sich vereinigen müssen, um die Gründung einer Actiengellschaft in die Hand zu nehmen und zu betreiben. Dies ist noch nicht die volle Mitgliederzahl einer Actiengesellschaft, wozu nach Art. 175. mindestens 7 nöthig sein würden. Die englische Gesetzgebung macht in beiden Beziehungen keinen Unterschied und verlangt schon für die Gründung die Minimalzahl der Gesellschaft selbst. Dies erscheint aber unzweckmässig, da dadurch die Vorbereitende Thätigkeit unnöthig erschwert wird und die Gründer doch auch durch das englische Gesetz nicht genöthigt sind, den gesammten Actienbetrag im voraus zu übernehmen, so dass die Zahl der Gründer und der Actionäre nicht leicht zusammenfallen wird.
In dem Erforderniss einer gewissen Zahl von Gründern liegt eine Garantie dafür, dass der Plan der Gesellschaft reiflicher und allseitiger erwogen und nicht jeder Einfall eines einzelnen Kopfes ohne weiteres dazu gemissbraucht wird. Man darf annehmen, dass ein Plan, für den nicht wenigstens einige mehrere Personen vor dem Publicum eintreten wollen, in der Regel auch kein Vertrauen und keine Förderung verdient; und andererseits, dass ein Plan, den mehrere Personen vereint in die Oeffentlichkeit bringen, schon dadurch ein gewisses Anrecht auf Annahme Seitens des Publicums verdient. Die Gründer müssen mit ihrem Namen vor die Oeffentlichkeit treten und für die Richtigkeit ihrer Erklärungen vor dem Publicum haften. Erfahrungsgemäss wird auf die Namen der Gründer sehr viel Gewicht gelegt, und mit Recht, da die Namen dem Unternehmen Credit zuführen. Wenn nun mehrere vertrauenswürdige Personen vereint den Credit ihres Namens hergeben, um dem Publicum ein Unternehmen zu empfehlen und Capitalien zur Betheiligung herbeizuziehen, so liegt darin eine gehäufte Bürgschaft, die man fast ganz verlieren würde, wenn man schon jedem Einzelnen erlauben wollte, mit Actienprojecten vor die Oeffentlichkeit zu treten.
Art. 180. Es wird sodann weiter unterschieden zwischen dem Prospect und dem Statut der Gesellschaft, analog der Unterscheidung von Memorandum und articles of association in der englischen Gesetzgebung. Diese Unterscheidung emfiehlt sich nicht nur durch die Natur der Sache, sondern auch aus practischen Rücksichten, namentlich für die Zwecke der Publicirung und Registrirung. Die deutsche und französ. Gesetzgebung unterscheiden in dieser Beziehung den Gesellschaftsvertrag und einen Auszug aus demselben, was weniger klar und bestimmt lautet.
Der Prospect enthält das Schema -der Gesellschaft, d. h. diejenigen Punkte, durch die eine Gesellschaft ihre individuelle Existenz erlangt und sich von allen übrigen unterscheidet. Das Statut enthält die Grundsätze, nach welchen das Schema practisch ausgeführt werden soll. Der Prospect einer Gesellschaft muss von denen aller übrigen verschieden sein, gerade so wie sich ein Mensch von allen übrigen Menschen, und ein Ei von jedem anderen Ei unterscheidet. Das Statut kann mit dem anderer Gesellschaften übereinstimmen, und es wird dies meistens der Fall sein, soweit nicht besondere Gründe Ausnahmen bewirken. So hat auch das englische Gesetz von 1862 in Schedule—I Tab. A. ein Reglement aufgestellt, das für alle Actiengesellschaften massgebend sein soll, soferne es nicht durch specielle articles of association modificirt wird. Der Entwurf hat letzteres Beispiel nicht nachgeahmt, doch enthalten die sämmtlichen Artikel dieses Capitels eine Reihe von dahin zielenden Bestimmungen, und durch die Vorschrift, dass das Statut dem Gesetze nicht widersprechen darf, wird practisch dasselbe erzielt. Dies ist zu ersehen aus der nachfolgenden Züsammenstellung der in dem genannten Reglement enthaltenen Gegenstände;
Shares—Calls on shares—Transfers of shares—Transmission of shares—Forfeiture of shares—Conversion of shares into stock—
Increase of Capital—General meetings—Proceedings at general meetings—Vote of members—Directors—Powers of directors— Disqualifikation of directors—Rotation of directors—Proceedings of directors—Dividends—Accounts—Audit—Notices.
Alle diese Gegenstände finden sich auch in dem vorliegenden Entwurf geordnet, soweit das Bedürfniss der Gesetzgebung es erfordert; das Detail specieller Punkte kann der Entwerfung des Statuts in jedem einzelnen Fall überlassen bleiben.
Prospect und Statut müssen von den Gründern unterzeichnet werden, und zwar nicht blos in dem schriftlichen Entwürfe, der in ihren eigenen Händen bleibt, sondern auch bei jeder Veröffentlichung und Vorlage an eine öffentliche Behörde. Sie übernehmen dadurch die persönliche Verantwortlichkeit, nicht für das Zustandekommen oder die Rentabilität des Unternehmens, wohl aber für die Wahrheit der von ihnen gemachten Erklärungen, und es liegt darin die oben zu Art. 179. besprochene Garantie für die Solidität und Ernstlichkeit des Gründungsplanes.
Man. muss weiter fragen, ob nicht eine Sicherheit gegen den Gebrauch gefälschter Namen nothwendig scheint. Ohne Zweifel wäre eine solche Handlung ein criminell strafbarer Betrug; eine gewisse Sicherheit liegt mithin schon in der Strafgesetzgebung. Eine stärkere Sicherheit muss jedoch in der Vorschrift einer gerichtlichen oder notariellen Beglaubigung der Unterschriften gesucht werden. Möglicherweise könnte zwar auch eine solche Beglaubigung gefälscht werden. Da der Prospect unter allen Umständen veröffentlicht werden muss (Art. 183), so bietet dies gleichfalls einige Sicherheit, da man annehmen darf, dass die Namen bekannter Personen an dem Orte, wo die Bekanntmachung erfolgt, nicht leicht ohne Entdeckung gemissbraucht werden können. Auch kann jeder, der sich zur Actien-zeichnung entschliessen will, vorher das Statut mit den Unterschriften einsehen, und da nach japanischer Sitte der Namensunterschrift regelmässig das Siegel beigedruckt wird, so möchte dies vielleicht hinreichend zu sein scheinen. Gleichwohl ist bei der hohen Wichtigkeit eines solchen Actes und da das Publicum insbesondere bei den ersten Schritten der Gründung vor allem Vertrauen haben muss, die Vorschrift einer förmlichen Beglaubigung mehr empfehlenswerth, und dieselbe auch in den übrigen Gesetzgebungen, namentlich in der englischen und deutschen, angenommen worden.
Art. 181. Die in diesem Artikel zusammengestellten 9 Punkte enthalten alles, was die individuelle Existenz einer Gesellschaft bedingt, und was man wissen muss, um ein Urtheil über ihre Gesetzlichkeit und allgemeine Nützlichkeit zu bilden. Diese Punkte sind in der Hauptsache auch in den anderen Gesetzgebungen hervorgehoben. Nur zwei der erwähnten Punkte in Nr. 3 und 6 können möglicher Weise Bedenken erregen, da sie in einem nur kurze, nackte Thatsachen und Namen enthaltenden Prospecte vielleicht nicht an ihrem Platze zu sein scheinen. Jedenfalls können die Punkte, um die es sich hier handelt, nämlich die Motive des Unternehmens und die allgemeine Berechnung der Verwendung des Gesellschaftscapitals, in dem Prospecte nicht in langen, ausführlichen Erörterungen auseinandergesetzt werden, sondern es müssen einige wenige schlagende Worte oder Sätze, und bez. weise eine kurze tabellarische Uebersicht der Hauptpositionen der berechneten Ausgaben genügen. Und bleibt es daneben den Interessenten unbenommen, in eingehenden Zeitungsartikeln oder Brochüren den Nutzen und die voraussichtliche Einträglichkeit des Unternehmens dem Publicum einleuchtend zu machen.
Art. 182. Diese Vorschrift rechtfertigt sich dadurch, dass Unternehmungen, die in den Geschäftskreis der Verwaltung fallen, bei dieser angezeigt werden müssen, und dass die gesammte Gründer-thätigkeit zwecklos werden würde, wenn die Verwaltung nicht zu dem Unternehmen ihre vorläufige Zustimmung ertheilte. Die vorläufige administrative Erlaubniss in allen Fällen zur Vorschrift zu machen, dürfte nicht empfehlenswerth sein. In dieser Beziehung ist auf die Erörterungen zu Art. 69. zurückzuweisen. Die productive Initiative der Unterthanen muss möglichst frei gestellt werden; um sich kräftig und lebensvoll zu entwickeln. Soweit kein administratives Interesse in Frage steht, also namentlich in den Fällen der blossen industriellen und commerciellen Thätigkeit für den Privaterwerb, besteht keine Veranlassung zur Einmischung der administrativen Organe, und es ist eben die Tendenz der modernen Actiengesetzgebung, durch zweckmässige Controlvorschriften die hemmende und lästige Abhängigkeit der Privaten von administrativer Genehmigung überflüssig zu machen.
Art. 183. Der weitere Schritt der Gründung besteht in der öffentlichen Bekanntmachung des Prospectes, und zwar in der in Art. 181 vorgeschriebenen Vollständigkeit, zum Zweck der Aufforderung zum Beitritt in die Gesellschaft mittelst Aetienzeichnung. Der Prospect enthält noch nicht den vollen Gesellschaftsvertrag, dieser ist vielmehr im Statut enthalten. Da aber das Statut nicht veröffentlicht werden kann, so muss es jedem. der kommt um sich zur Zeichnung zu melden, zur Einsichtnahme mitgetheilt werden, und selbstverständlich hat Jeder, dem die Bestimmungen des Statuts nicht zusagen und der ihre spätere Abänderung nicht erwartet, das Recht die beabsichtigte Zeichnung zu unterlassen. In der auf Grund der eingesehenen Statuten stattfindenden Actienzeichnung liegt daher eine gewisse Garantie dafür, dass nicht blos das erforderliche Capital zusammengebracht, sondern auch das vorläufige Statut später vermuthlich definitiv genehmigt werden wird, da man die Zeichnung als Zustimmung zu dem Prospect und den Statuten wenigstens vorläufig betrachten darf.
Die. öffentliche Aufforderung kann natürlich ohne weiteres erfolgen, wenn die administrative Erlaubniss nicht erforderlich ist; sonst nur nach Erlangung derselben. Zu grösserer Sicherheit ist die Erwähnung des letzteren Umstandes ausdrücklich vorgeschrieben, so dass die Gründerthätigkeit demnach von Anfang an unter einer doppelten Controle steht; nämlich unter einer gerichtlichen oder notariellen, und unter administrativer Controle, letzteres wenigstens in gewissen Fällen. Die blosse Beglaubigung der Unterschriften gibt zwar noch kein Recht der Einmischung in die Sache selbst; allein es liegt, doch darin unzweifelhaft eine Schranke gegen betrügerische und erdichtete Angaben, da von der Beglaubigung eine Kenntnissnahme des Inhaltes nicht wohl getrennt werden kann, und die Beglaubigung im Falle offenbarer Gesetzwidrigkeit oder Schwindelei zu verweigern sein wird.
Wenn nun die Gründer selbst schon alle Actien übernehmen, dann bilden sie, vorausgesetzt die Minimalzahl von 7 ist vorhanden, für sich selbst schon die Actiengesellschaft, und es ist eine Bekanntmachung und Aufforderung zu weiteren Beitritten nicht mehr nothwendig. Die Beglaubigung ihrer Unterschriften, sowie die etwaige Erwirkung der administrativen Erlaubniss nach Art. 182. kann jedoch auch in diesem Falle nicht umgangen werden, jedoch können die Gründer nach Erfüllung dieser Bedingungen sofort zur Errichtung der Gesellschaft schreiten.
Art. 184. Da die Actienzeichnung den Beitritt zur Gesellschaft und die Zustimmung zum Gesellschaftsvertrage, wenn auch nur vorläufig und bedingungsweise, bedeutet, sind gewisse Förmlichkeiten für dieselbe erforderlich, durch welche sie gegen spätere Anfechtung gesichert wird. Diese Förmlichkeiten bestehen in der persönlichen und schriftlichen Erklärung mittelst Namenszeichnung, dass eine gewisse Anzahl von Actien, und zwar mindestens eine, übernommen wird. Die Zeichnung einer halben oder Viertels Actie, und jedes anderen Bruchtheiles einer Actie wäre ungültig. Es können zwar nach mehreren Gesetzgebungen auch Actien-Antheile gezeichnet und ausgegeben werden. Doch erscheint dies nicht nachahmenswerth, zumal da die Minimalbeträge der Actien nach Art. 208. ohnehin niedrig genug gegriffen sind. Um Auswärtigen die Zeichnung nicht zu sehr zu erschweren, muss Stellvertretung dafür zugelassen werden, doch sind für diese Stellvertretung sodann dieselben Förmlichkeiten zu erfüllen. Es genügt hiefur aber jede Art von Schriftlichkeit, also auch ein Brief oder ein Telegramm: eine förmliche Vollmacht erscheint nicht nothwendig und würde den Handelsgewohnheiten nicht entsprechen. Selbstverständlich ist die schriftliche Bevollmächtigung von dem Stellvertreter bei der Zeichnung vorzuzeigen.
Art. 185. Die Zeichnung ist die Annahme einer Vertrags-Offerte und als solche nach gewöhnlichen Rechtsgrundsätzen für beide Theile bindend; selbstverständlich unter der Bedingung, dass die Gesellschaft wirklich nach Vorschrift des Gesetzes zu Stande kommt. Sie ist in sich selbst ein rechtsverbindlicher Act, und ihre Verbindlichkeit kann von anderen Bedingungen oder Zusätzen nicht abhängig gemacht werden. Solche Bedingungen und Abänderungen, wenn sie der Zeichner seiner Erklärung beifügen würde, wären ungültig, schon desshalb, weil das Gesellschaftsverhältniss durch die Vereinigung aller Theilnehmer perfect wird und von dem einzelnen Theilnehmer nicht beliebig geändert werden kann. Wenn ein Zeichner dem Statut nicht zustimmt, und dennoch zeichnet, bleibt ihm nichts übrig, als seinen Einfluss auf etwaige Abänderung bei der definitiven Feststellung des Statuts in der ersten Generalversammlung geltend zu machen. Wenn ihm dies nicht gelingt, ist er durch seine Unterschrift gebunden. Durch die Zeichnung wird also, unter der genannten Bedingung, die Mitgliedschaft, d. h. die Antheilnahme am Gewinn und Verlust der Gesellschaft nach Verhältniss der gezeichneten Actien, unweigerlich übernommen, und ebenso die Verpflichtung die Actien statutengemäss einzuzahlen, was im Grunde aus der Mitgliedschaft von selbst folgt. Von dieser Verpflichtung kann der Zeichner nicht mehr befreit werden, ausgenommen in gewissem Grade durch Veräusserung, in welchem Falle seine Verpflichtung auf den neuen Erwerber übergeht (Art. 213.).
Art. 186. Mit der Actienzeichnung ist das vorbereitende Gründungsstadium zu Ende, indem nunmehr die Dinge zur definitiven Constituirung der Gesellschaft reif geworden sind, nachdem der zu jedem Vertragsabschluss nothwendige Consens durch die Actienzeichnung erreicht ist. Die Bedingung der vollständigen Zeichnung ist auch in dem französ. Gesetze von 1867 Art. 1. und in dem deutschen. H. Gesetzbuch Art. 209 a. (nach dem Gesetze von 1870) adoptirt. Sie entspricht dem Wesen des Verhältnisses, da vor der vollständigen Zeichnung das wesentlich auf dem Actiencapital beruhende Gesell-schaftsverhältniss unfertig wäre und nicht in Vollzug gesetzt werden könnte. Sie ist besonders wirksam zur Verhütung fictiver Actienemissionen, denen kein wirkliches Actiencapital und kein voller Betrieb des Actienunfernehmens entspricht.
Art. 187. Während bei gewöhnlichen Verträgen, nachdem die Vorverhandlung beendigt und der beiderseitige Consens erlangt ist, der förmliche Abschluss einfach in der privaten Redigirung und Unterzeichnung der Vertrags-Urkunde besteht, sind bei Actiengesellschaften eine Reihe von Förmlichkeiten vorgeschrieben, durch welche theils das Öffentliche Interesse gewahrt, theils die Uebereinstimmung aller Interessenten constatirt und das ganze Verhältniss der öffentlichen Controle unterstellt wird. Der besseren Uebersicht wegen sind die 4 weiteren Stadien in dem Art. 187. der Reihenfolge nach zusammengestellt, welche eine Actiengesellschaft zu durchlaufen hat, bis sie ihren Geschäftsbetrieb beginnen kann.
Art. 188. Das erste ist die Erwirkung der Concession des Staatsministeriums, soweit dieselbe erforderlich ist. Die in Art. 182. vorgeschriebene administrative Erlaubniss ist nur eine vorläufige, welche der späteren definitiven in keiner Weise präjudizirt und daher auch nicht die umfassende und detaillirte Untersuchung voraussetzt, welche in Staatsministerium vorgenommen werden muss. Die administrative Vor-Erlaubniss wird nur bedingt durch die Erwägung, dass dem Unternehmen kein gesetzliches oder politisches Landes-Interesse entgegen steht. Bei der definitiven Concession dagegen handelt es sich um die erschöpfende Prüfung des ganzen Planes, namentlich hinsichtlich seiner Ausführung im einzelnen, wesshalb auch dem Genehmigungsgesuch die erforderlichen Detailpläne, Nachweisungen und Berechnungen beizulegen sind. Bei einer Eisenbahnoder Canal-, Hafen-Concession u. dgl. sind die manichfaltigsten Interessen wahrznnehmen, und es muss der ganze Plan derart ausgearbeitet vorgelegt weiden, dass die vollständigste Prüfung und Begutachtung dadurch ermöglicht wird. Bei einer Eisenbahn-Consession würde der ganze Bauplan, nach dem Ergebniss der Projectirungsarbeiten, die Bahnlinie, die Stationen, Brücken, Dämme, die Fahrpläne, Tarife etc. vorgelegt werden müssen. Soweit darüber specielle Gesetze und Verordnungen bestehen, müssen dieselben hiebei beobachtet werden.
Das Gesuch ist auch hier durch das Ministerium resp. den Gouverneur einzureichen, und von diesen Behörden mit begleitenden Gutachten zu versehen. Die definitive Entscheidung liegt beim Staatsministerium, kann aber wiederum durch das einschlägige Ministerialdepartement hinausgegeben werden. Hierüber wird sich mit der Zeit ein bestimmter Geschäftsgang bilden.
Nach dem Entwürfe muss die definitive Concession der Feststellung der Statuten durch die Generalversammlung vorangehen. Dies scheint desshalb nothwendig, weil der Plan des ganzen Unternehmens im Staatsministerium geprüft werden muss und auf Grund dieser Prüfung, oder aus anderen Gründen des öffentlichen Interesses, Bedingungen gestellt werden können, über welche zwischen der Regierung und den Gründern nicht selten schwierige Berathungen stattfinden müssen. Bevor die Concession und die etwaigen Concessions-bedingungen vorliegen, kann nicht wohl zur definitiven Constituirung geschritten werden, weil sonst den Actionären ein wesentlicher Theil des Gesellschaftsverhältnisses unbekannt und ungewiss sein würde. Die Concession bildet in gewisser Beziehung einen Bestandtheil des Gesellschaftsvertrages; ehe dieser Theil erledigt wird, wäre die Abstimmung der Gesellschaft über das Statut keinesfalls als abschliessend anzusehen. Es könnte vorkommen, dass die Gründer sich mit der Regierung über Punkte einigen, welche von der Majorität der Actionäre verworfen würden. Das Statut kann also gar nicht genehmigt werden, ehe man weiss, was die Regierung durch die Concession diesem hinzugefügt hat oder hinzufügen will. Aus diesen Gründen erscheint es durchaus nothwendig, dass zuerst das Verhältniss der Gesellschaft zur Staatsregierung vollständig ins Reine gebracht wird, ehe die Gesellschaft sich selbst durch Abstimmung constituiren kann. Das Interesse der Regierung wird hiebei genügend dadurch gewahrt, dass die Abstimmung über das Statut den Concessionsbedingungen nicht widersprechen darf (Art. 190.).
Art. 189. Die Ertheilung der Concession steht in dem freien Ermessen der Staatsregierung. Sie kann einfach versagt werden, selbst ohne Angabe von Gründen. In der Regel wird die Versagung eintreten, wenn die Gründer nicht im Stande oder nicht Willens sind, gewisse Bedingungen zu erfüllen, welche die Regierung als unerlässlich aufgestellt hat, oder wenn etwa die Regierung es vorzieht, das Unternehmen selbst in die Hand zu nehmen. Wird nun die Concession nicht ertheilt, so kann die Gesellschaft nicht ins Leben treten und alle darauf gerichteten vorgängigen Handlungen sind gegenstandslos geworden. Insbesondere ist die Actienzeichnung ungültig geworden, da die Bedingung, unter der sie erfolgte, nicht erfüllt wurde. Die dadurch eirigegangene Verpflichtung ist zu Ende, und der etwa bereits auf die Actien eingezahlte Betrag muss zurückerstattet werden, soweit er nicht bereits verausgabt wurde. Für diese Ausgabe müssen die Zeichner haftbar bleiben, da sie durch die Zeichnung dazu ihre Zustimmung gegeben haben; denn die Zeichnung erfolgte auf Grund des Prospectes, in welchem diese Vorauslagen ausdrücklich aufgeführt werden müssen. Es wäre unbillig, den Gründern diese Ausgaben aufzulegen. welche nicht in deren persönlichem Interesse, sondern im Gesellschaftsinteresse gemacht worden sind. Wohl aber haften die Gründer dafür, dass die ihnen anvertrauten Gelder in rechtmässiger Weise verausgabt werden; sie würden also Gelder ersetzen müssen, welche sie grundlos verschleudert oder sich selbst zugeeignet hätten. Ein Gründerlohn, d. h. eine Entschädigung für persönliche Bemühungen, Zeitverlust und Arbeiten für die Zwecke der Gründung darf nicht beansprucht werden; dagegen wäre gegen den Ersatz baarer Auslagen, für Reisen, Abschriften etc. nichts zu erinnern. Um etwaige Missbräuche zu verhüten, ist öffentliche Rechnungslegung vorgeschrieben. Jeder Zeichner kann diese Rechnung anfechten, und wenn er damit durchdringt, Rückersatz verlangen. Hiefür haften die Gründer den Zeichnern solidarisch. Ebenso haften die Gründer dritten Personen aus Anlass von Gründungsgeschäften persönlich und solidarisch, da, wenn keine Gesellschaft zu Stande kommt, auch kein anderes verpflichtetes Subject existirt als die Gründer.
Art. 190. Das zweite Stadium, resp. das erste wenn eine Concession der Staatsregierung gesetzlich nicht erfordert wird, ist die definitive Feststellung des Gesellschaftsstatuts durch die Actionäre. Dies ist der eigentliche Act des Vertragsabschlusses, der nach allgemeinen Grundsätzen durch die Erklärung der Willenseinigung aller Contrahenten erfolgt. Die Statutengenehmigung ist daher unerlässlich, ohne sie könnte das Gesellschaftsverhältniss nicht zur Perfection gelangen. Sie muss zudem an den Schluss aller Vorverhandlungen gestellt werden, weil sonst eine schliessliche Einigung nicht denkbar wäre. Die für diesen Zweck von den Gründern anzuberaumende Generalversammlung ist daher von besonderer Wichtigkeit und sie wird in allen Gesetzgebungen ausdrücklich hervorgehoben. Obgleich erst durch sie die Gesellschaft definitiv entsteht, macht sich doch schon hier die Natur des Gesellschaftsverhältnisses geltend, dadurch dass die Majorität der Stimmen schon in dieser Versammlung den Ausschlag gibt. Es ist dies eine Abweichung von den gewöhnlichen Grundsätzen der Vertragsschliessung, wornach dieselbe die freie Zustimmung aller Contrahenten erfordert; allein sie ist unerlässlich, um. nicht das Zustandekommen des Statuts dem Belieben jedes Einzelnen preiszugeben. Eine Actiengesellschaft kann tausende von Mitgliedern haben, und es kann dabei unmöglich auf die formelle Zustimmung jedes Einzelnen ankommen. Das Princip der individuellen Willenseinigung kann nur bei der Zeichnung gewahrt werden, zu der allerdings Niemand gezwungen wird und auch nicht majorisirt werden kann. In der Zeichnung liegt schon eine eventuelle Annahme der Statuten, und zwar müssen dieselben in der Fassung verstanden werden, welche sie nach dem Abschlusse aller Vorverhandlungen durch die erste Generalversammlung erhalten. Wer also hier bei der Abstimmung überstimmt wird, der muss so betrachtet werden, als hätte er sich der Abstimmung im voraus unterworfen, da er ausserdem nicht zur Actienzeichnung sich entschlossen hätte. Die Vorschrift einer 3/4 Majorität, mit einer Repräsentation von mehr als der Hälfte des Actiencapitals, ist eine genügende Concession an das Princip der persönlichen Zustimmung, indem ausserdem, in gewöhnlichen Versammlungen, regelmässig nur die einfache Mehrheit vorgeschrieben wird (Art. 242.) Es wird meist schwer sein, eine solche Masse von Actionären auch nur einmal, in dieser ersten Versammlung zusammen zubringen, und möchte desshalb eher eine geringere Majorität practisch zweckmässiger sein. Doch kann dieses Bedenken durch die allgemeine Zulassung von Stellvertretern entkräftet werden, Uebrigens wird in den anderen Gesetzgebungen die erste Generalversammlung mehr als constituirende Versammlung gedacht unter der Voraussetzung, dass das Statut als ein formeller Vertrag, par acte authentique, bereits zu Stande gekommen ist. Dies kann aber nur in einer Generalversammlung geschehen und in dieser kann ohne Anwendung eines Mehrheitsmodus nicht wohl ein Beschluss erreicht werden.
Es kann die Frage entstehen, ob auch für die erste, constituirende Versammlung das in Art. 243 bezeichnete Auskunftsmittel der Ergänzung einer ungenügenden Majorität durch eine später folgende Versammlung gelten soll. Diese Frage ist zu bejahen, da es in vielen Fällen practisch nothwendig sein wird, um überhaupt die Möglichkeit eines Beschlusses zu erhalten, und man wird auch hier annehmen dürfen, dass die nicht Erscheinenden jedem etwa gefassten Beschlusse zustimmen wollen.
Die Unterwerfung der etwa dissentirenden Minderheit unter den Mehrheitsbeschluss in der ersten Generalversammlung ist jedoch keine absolute. Offenbar kann nämlich die Gesellschaft nicht als eine wesentlich andere constituirt werden, und in dieser Beziehung muss die Zeichnung auf Grundlage des Prospectes eine Grenze geben. Der Prospect kann durch späteren Beschluss nicht mehr geändert werden, und jede Aenderung seines Inhaltes würde den Zeichnern das Recht des Rücktrittes und der Rückforderung etwa bereits geleisteter Zahlungen verleihen. In die Statuten kann daher auch durch Mehrheitsbeschluss nichts aufgenommen werden, was dem Prospecte widersprechen würde.
Art. 191. Die erste Generalversammlung ist, wie bereits bemerkt, die eigentlich constituirende Versammlung. Zur Constituirung einer juristischen Person gehört aber nicht blos die Errichtung des Statuts, sondern auch die Bestellung seiner nothwendigen Organe, weil sie ohne diese nicht handlungsfähig sein würde. Bei den anderen Gesellschaftsarten sind besondere Organe regelmässig nicht vorhanden, indem sie durch die Gesellschafter handeln, welche in einfachen Verhältnissen als deren natürliche Vertreter fungiren. Allein Act.-Gesellschaften werden durch die Actionäre nicht vertreten, sie bedürfen daher besonderer Vertretungsorgane. Als solche werden hier zwei aufgestellt: Organe für die Geschäftsführung, (Directoren), und ein Organ für die Beaufsichtigung der Geschäftsführung vom Standpunkte des Gesetzes und des Statuts zum Schutze der Mitglieder gegen Missbrauch der den Directoren verliehenen sehr umfassenden Amtsgewalt. Für diese Wahlen genügt die gewöhnliche Majorität.
Ein anderes Geschäft, das sich hieran anschliesst, ist die Prüfung der Beiträge der Mitglieder. Wenn diese nur in einfachen Geldzahlungen bestehen, ist eine besondere Prüfung nicht erforderlich, da die Empfänger für die Richtigkeit der etwa bereits geleisteten Einzahlungen in den vorläufigen Listen einstehen müssen. Es kommt aber nicht selten vor, dass einzelne Mitglieder, insbesondere Gründer, andere Beiträge leisten und dafür mittelbar oder unmittelbar in Actien entschädigt werden; mittelbar namentlich so, dass die äussere Form eines Kaufgeschäfts beobachtet wird, dagagen der Verkäufer für seinen Kaufpreis eine Anzahl Actien erhält. Dies ist häufig bei der Ueberlassung eines bereits bestehenden Gewerbes, einer Erfindung, von Ländereien, Häusern u. dgl. Bei dieser Gelegenheit werden nicht selten exorbitante Schätzungen zum Nachtheil der Gesellschaft gemacht, und dieser dadurch oft ein grosser Theil des Grundcapitals unberechtigter Weise entzogen. Dies ist eine Praxis, welche besonders in der Erfahrung der letzten Jahrzehente das Gründungswesen in Verruf gebracht hat. Daher muss der Werth solcher Beiträge von der Gesellschaft genehmigt werden, ehe er ihr angerechnet werden kann, und diese Genehmigung, welche eine vorherige Rechnungsnachweisung voraussetzt, wird auch durch die gewöhnliche Majorität gegeben werden können, umso mehr, als dadurch die spätere Anfechtung wegen Betruges nicht ausgeschlossen sein soll. Das gleiche gilt auch für Gollectiv-und Commandit-Gesellschaften (Art. 115), nur dass hier die Anfechtung auf Fälle wirklichen Betruges beschränkt sein soll. Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, dass bei den anderen Gesellschafter die gegenseitigen Pflichten der Gesellschafter weit stärker und die Verhältnisse weniger complicirt sind, als bei Actiengesellschaften.
Art. 192. Die förmliche Ertheilung der Concessions-Urkunde ist nur erforderlich und zweckmässig, wenn die Actiengesellschaft definitiv zur Existenz gelangt, also nachdem der Act der Constitution vollzogen ist. Zugleich gibt dies Gelegenheit für die Regierung, das definitive Statut in Empfang zu nehmen und auf Grund der etwaigen Concessionsbedingungen zu prüfen, da es mit letzteren nicht im Widerspruch stehen darf. In Fall eines solchen Widerspruches könnte die bereits ertheilte Concession zurückgezogen und die Gesellschaft zur Auflösung gebracht werden.
Art. 193. Die Actiengesellschaft ist eine Handelsgesellschaft, und kann daher nicht ohne ein eigenes Gesellschaftsvermögen bestehen, zumal hier die weitere Haftung der Mitglieder mit ihrem persönlichen Vermögen nicht vorkommt. Die blosse Constituirung auf Grund des Statuts genügt daher noch nicht zur Errichtung der Gesellschaft. Strenge genommen müsste das ganze Grundcapital von den Actionären eingezahlt werden, da nur unter dieser Voraussetzung die Gesellschaft nach der Vermögensseite als vollständig ins Leben getreten angesehen werden kann, und ohne dieselbe vorläufig nur auf dem Papier bestehen würde. Indessen begnügt man sich, um den Actionären die Subscription zu erleichtern, und da das ganze Grundcapital meist nicht von Anfang nöthig ist, mit der Einzahlung eines Theiles, und dieser Theil ist in dem neuesten französ. Gesetze auf ein Viertheil festgesetzt worden. Das deutsche und italienische H. Gesetzbuch (Art. 209 a und resp. Art. 135) schreiben als Minimum ein Zehntel vor, was aber zu niedrig sein dürfte. Gewöhnlich werden schon in dem Prospecte die Termine und Beträge der auf einander folgenden Einzahlungen specificirt, und meist muss schon bei der Zeichnung eine gewisse Quote auf jede Actie entrichtet werden. Diese Bestimmungen können der Vereinbarung nach dem Bedürfniss jedes einzelnen Falles überlassen bleiben. Die schon bei der Zeichnung gemachten Zahlungen können auf das gesetzliche Viertheil, das sofort bei der Errichtung zu entrichten ist, angerechnet werden. Diese Erlegung des gesetzlichen Minimums, welches der Entwurf auf 1/4 festsetzt, ist aber nach den vorstehenden Erörterungen so wesentlich, dass jeder weitere Errichtungsact dadurch absolut bedingt ist und ohne sie ungültig wäre. Bei den anderen Gesellschaftsarten ist diese Strenge der Behandlung nicht geboten, weil die Gesellschafter in viel engeren Beziehungen zur Gesellschaft stehen, und durch ihr eigenes Interesse zur Beitragsleistung angetrieben werden; auch haften selbst bei Commandit-Gesellschaften die Mitglieder den Gläubigern der Gesellschaft unmittelbar bis zur Höhe ihrer rückständigen Beiträge. Actionäre können aber von den Gläubigern einer Actiengesellschaft überhaupt nicht in Anspruch genommen werden, wesshalb hier das Gesetz für eine gewisse Höhe des disponiblen Gesellschaftsvermögens Vorsorge treffen muss.
Art. 194. Nach der jetzt herrschenden Auffassung gilt die öffentliche Registrirung mit der nothwendig darauf folgenden Publicirung als Bedingung der Rechtsgültigkeit des Gesellschaftsvertrages, soweit dadurch eine incorporirte Gesellschaft entstehen soll. Diese Registrirung ist jetzt an die Stelle der früheren staatlichen Genehmigung getreten. Sie ist nichts weiter als eine Formalität, und gleich der schriftlichen oder gerichtlichen Errichtung eines Vertrages zu beurtheilen. Jedoch liegen darin auch gewisse materielle Vortheile, einmal die Möglichkeit der Prüfung, ob alle gesetzlichen Erfordernisse erfüllt sind, und sodann der geordneten und vollständigen Einführung in die Oeffentlichkeit, wodurch das gesammte Publicum an der Controle solcher Gesellschaften sich betheiligen kann. Da die Einsichtnahme der Handelsregister jederzeit frei steht, so liegt darin eine fortlaufende Oeffentlichkeit, welche wohlthätige Wirkungen äussern wird auf die Solidität und die gesetzmässige Haltung der Gesellschaften. Die Registrirung kann niemals zurückgewiesen werden, ausgenommen wenn die Anmeldungen unvollkommen und die gesetzlichen Vorbedingungen nicht erfüllt sind. Die Wahrheit der angemeldeten Einträge ist durch Strafbestimmungen zu sichern; selbstverständlich haften auch die Vertreter der Gesellschaft für unwahre Angaben persönlich. Eine durch unwahre Angaben über wesentliche Punkte erschlichene Eintragung wäre nichtig und die Gesellschaft könnte auf Grund einer solchen erschlichenen Eintragung nicht zu Recht bestehen. Die Folge hievon wäre, dass da keine Actiengesellschaft bestünde, die Gründer und Directoren den Actionären und dritten Personen für jeden Schaden persönlich und solidarisch verantwortlich würden.
Art. 195. Die Publicirung schliesst sich auch hier, wie gewöhnlich, an die Registrirung an; sie wird jedoch beschränkt auf die Veröffentlichung wesentlicher Thatsachen, da alles Uebrige bei der Registerbehörde eingesehen werden kann. Nach dem im dem Entwurf adoptirten System erfolgt die Publicirung in allen Fällen durch die Registerbehörde, nicht durch die Betheiligten, was einfacher scheint und den ordentlichen Vollzug der gesetzlichen Vorschrift wirksamer sichert. Diese Publicirung muss nach Art. 19 ohne Verzug erfolgen. Beides, Registrirung und Publicirung, sind als ein einheitlicher, aus mehreren Theilen zusammengesetzter amtlicher Act zu betrachten, wobei jedoch immer das Datum der Registrirung als des wichtigeren Theiles entscheiden muss. Wenn daher im Gesetze die Registrirung vorgeschrieben ist, muss darunter immer auch die Publicirung verstanden werden, auch wenn sie nicht immer ausdrücklich erwähnt wird.
Die Registrirungsgebühren sind mit Rücksicht darauf festzusetzen, dass die Publicirung stets gleichzeitig durch die Behörde bewirkt werden muss.
Art. 196. Die Vorschrift dieses Artikels entpricht den gewöhnlichen Regeln über. Zweigniederlassungen, und ist bereits in Art. 25. allgemein enthalten. (S. auch Art. 84.) Sie erstreckt sich nicht blos auf die Firma, sondern auf alle in den Art. 194. 195 bezeichneten Punkte.
Art. 197. Der Vorschrift dieses Artikels entspricht die für die übrigen Gesellschaftsarten gegebene Vorschrift in Art. 88. hinsichtlich der Wirkungen, welche die Unterlassung der Registrirung und Publicirung nach sich zieht, nur dass der Termin auf 1 Jahr erstreckt wurde, mit Rücksicht auf die schwierigeren und umfassenderen Geschäfte, welche oft der Eröffnung des Betriebs einer Actiengesellschaft vorausgehen müssen. Würde aber der Geschäftsbetrieb vor erfolgter Registrirung und Publicirung begonnen werden, resp. vor dem hiefür öffentlich angemeldeten Tage, so würden die hierauf gesetzten Strafen in Art. 308 und 309 zu verhängen sein. Die förmliche Untersagung des Geschäftsbetriebes (Art. 87) wurde hier nicht ausgesprochen, sie versteht sich nach Analogie des zuletzt erwähnten Artikels von selbst, um so mehr als ohne Registirung eine Actiengesellschaft nicht zu Recht bestehen kann und in ihrem Namen Geschäfte nicht betrieben werden können.
Art. 198. Die Vorschrift dieses Artikels ist die nothwendige Consequenz des unmittelbar vorher betonten Grundsatzes über die Bedeutung der Registrirung von Actiengesellschaften, und muss die Wirkung einer gar nicht erfolgten Registrirung der Wirkung einer erschlichenen Registrirung offenbar gleich stehen; s. den Schluss der Bemerkungen zu Art. 195. Wenn nun keine Actiengesellschaft entstehen kann, so bleibt doch in allen Fällen ein Gesellschaftverhältniss, und dieses muss die volle persönliche Haftung der Betheiligten zur Folge haben: der Gründer und Directoren, soweit sie persönlich gewisse Verbindlichkeiten, durch ihre Handlungen hervorgerufen haben, der Actionäre, weil diese für die Handlungen ihrer Bevollmächtigten verantwortlich sind. Sollte aber ein persönliches Verschulden—Arglist oder Nachlässigkeit—auf Seite der Directoren oder Gründer vorliegen, so könnten die Actionäre wiederum von diesen ihre Entschädigung fordern. Diese strengen Bestimmungen sind zweckmässig, um einer Uebertretung der Registrirungsvorschriften möglichst vorzubeugen.
Art. 199. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Art. 38. des englischen Gesetzes von 1867 (30 und 31 Vict. c. 131); jedoch verlangt letzteres die Angabe der Contracte schon in dem Prospecte, was theils verfrüht, theils aus anderen Gründen unzweckmässig scheint. Dieser Artikel entspricht der Vorschrift des Art. .189, nach welcher die Gründer verantwortlich bleiben, wenn die Gesellschaft nicht zu Stande kommt. Diese Verantwortlichkeit wird nun auch auf den Fall des Zustandekommens der Gesellschaft ausgedehnt. Das Regelmässige ist, dass die Gründer als vorläufige Directoren angesehen werden (Art. 221.) und mithin die Gesellschaft nach ihrer vollständigen Errichtung, also von dem Datum der Registrirung an, in die von ihnen für die Gesellschaft erworbenen Rechte und eingegangenen Verbindlichkeiten eintritt. Allein die Handlungen der Gründer müssen von der Gesellschaft ausdrücklich genehmigt werden, um Verschleuderung von Gesellschaftsgeldern und sonstige Missbräuche zu verhüten. Was die Gesellschaft nicht ratificirt, dafür haftet auch nicht das Gesellschaftsvermögen, sondern das persönliche Vermögen der Gründer. Sie müssen also Rechenschaft legen und Decharge nachsuchen; und zwar in der ersten Generalversammlung, weil von deren Datum an die Directoren an ihre Stelle treten.
§ 2. Namen und Siegel der Gesellschaft.
Art. 200—203. Die Artikel 200—203 (wozu eventuell noch der Art. 177. zu setzen wäre) enthalten keine juristische Schwierigkeit und reproduciren nur in etwas grösserer Vollständigkeit die gewöhnlichen Regeln über den Gebrauch von Firmen. Sie enthalten auch nichts neues, sondern sind längst im Handelsgebrauch eingebürgert. Ihre gleichförmige Beobachtung wird im Interesse der öffentlichen Ordnung und der Glaubwürdigkeit durch Strafbestimmungen gesichert (Art. 308.)
In dem französ. Gesetze von 1867 Art. 64. ist ausserdem vorgeschrieben, dass hinter der Firma und der Bezeichnung als Actiengesellschaft auch immer der Betrag des Actiencapitals eingesetzt werden muss. Viele Gesellschaften gehen freiwillig noch weiter, und setzen auch den Betrag ihres Reservefonds ein, sowie den eingezahlten Betrag des Actiencapitals. Dies erscheint durchaus zweckmässig, kann aber dem Handelsgebrauch überlassen bleiben.
Die in Art. 200 ausgedrückten Bestimmungen sind nicht speciell den Actiengesellschaften eigenthümlich, sondern passen auf alle Handelsgesellschaften überhaupt (Art. 71.) In England pflegt man diese Rechte als Vorrechte incorporirter Gesellschaften zu bezeichnen, im Unterschiede von rein privaten Partnerships. Da nach dem Entwurfe, wie nach allen modernen Gesetzgebungen, alle Handelsgesellschaften registrirt werden müssen, und die Registrirung als Act" der Incorporirung angesehen wird, so sind die englischen incorporirten Gesellschaften ganz wie Handelsgesellschaften überhaupt zu betrachten, nur mit der Abweichung, dass in England incorporirte Gesellschaften mindestens 7 Mitglieder haben müssen.
§ 3. Liste der Actionäre.
Art. 204. Die Vorschrift, das jede Actiengesellschaft ein vollständiges Verzeichniss ihrer Mitglieder führen und stets evident halten muss durch genaue Verzeichnung des Abganges und Hinzutrittes von Mitgliedern, ist dadurch von selbst geboten, dass die Gesellschaft die Personen kennen muss, welche als Actionäre ihr verpflichtet und bez. weise gegen sie berechtigt sind; sie ist aber auch nothwendig, um die für die Veräusserung von Actien geltenden Vorschriften gegenüber Actionären ausüben zu können. (Art. 213. 214.) Daher ist Jeder, der eine Actie erwirbt, verpflichtet, seinen Erwerb bei der Gesellschaft anzumelden und die erforderliche Eintragung zu veranlassen; und das gleiche gilt für den, welcher Actien veräussert. Für die Gesellschaft gelten diejenigen als Actionäre, welche in der Liste verzeichnet sind. Um die genaue Fortführung der Liste zu ermöglichen, wird es zweckmässig sein, über die An- und Abmeldungen der Actionäre in den Statuten genaue Anweisung zu geben und dieselbe in der Hauptsache auf den Actien selbst abzudrucken, damit Niemand sich mit Unkenntniss entschuldigen könne.
Art. 205. Die freie Gestattung der Einsicht der Liste ergibt sich aus dem Interesse, welches Jeder hat zu wissen, einmal ob sein Name darin rechtmässiger Weise darin eingetragen oder gelöscht ist, und sodann überhaupt, wer die Actionäre sind, welche von der Gesellschaft als solche betrachtet und zur Ausübung der Rechte desselben zugelassen werden.
Art. 206. Offenbar hat jeder ein rechtliches Interesse daran, dass sein Name weder unrechtmässiger Weise in der Liste der Actionäre steht, noch davon ausgeschlossen wird. Denn obwohl an sich Actien dem beweglichen Eigenthum gleich stehen und frei veräussert werden können, so ist doch diese freie Veräusserlichkeit zum Schutze gewisser Interessen der Gesellschaft beschränkt und namentlich, wenigstens solange die Actien auf den Namen lauten, an deren Zustimmung gebunden. Auch wenn die Zustimmung gegeben wird, bleibt der Veräusserer doch noch in gewissen Grenzen der Gesellschaft verpflichtet, obwohl sonst im allgemeinen den Besitz von Actien auch über die Eigenschaft als Actionär entscheidet. Die Liste der Actionäre muss daher als eine Urkunde bezeichnet werden, in welcher die Quelle der Berechtigungen und Verpflichtungen der Actionäre liegt, und sie hat ähnliche Wirkungen wie die Einträge in Hypotheken- oder Grundbücher. Sobald daher über die Eintragung oder Löschung von Namen und anderen Daten in Bezug auf eine Person Streit entsteht, muss darüber richterliche Entscheidung getroffen werden, wie über jeden anderen Eigenthum oder Obligationen betreffenden Rechtsstreit.
Art. 207. Die jährliche Liste der Actionäre bildet eine Ergänzung der Registrirung und muss daher von Jahr zu Jahr dem Handelsgerichte, bei welchem das Register geführt wird, vorgelegt werden. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im englischen Gesetze von 1862 Art. 26. Durch dieselbe wird die Genauigkeit und Zuverlässigkeit in der Führung der Liste überhaupt befördert. Die Einzeichnungen in der Liste sind zwar keine endgültige Entscheidung über die Rechte und Pflichten der Betheiligten, indem sie nach Art. 206 angefochten und durch Gegenbeweis umgestossen werden können, wie es in dem angeführten englischen Gesetze von 1862 Art. 37 ausdrücklich gesagt ist. Immerhin muss aber, um solche Anfechtungen zu vermeiden und das Vertrauen in die Liste nicht zu erschüttern, dabei die höchste Sorgfalt geübt werden, und daher ist die Controle des Gerichtes dabei erwünscht.
§ 4. Actien.
Art. 208. Es empfiehlt sich, den Betrag der Actien nicht zu niedrig ansetzen zu lassen. Actiengesellschaften sind naturgemäss auf grössere Unternehmungen angewiesen, die ein bedeutendes Capital erfordern und folglich auch immer eine grosse Anzahl von Mitgliedern haben werden. Sind die Actien zu niedrig, so wird die Mitgliederzahl übermässig gross und der Antheil der Actionäre an der Verwaltung zu blossem Schein. Erlaubt man z. B. Actien schon zu 10 Yen, so würde bei einem Actiencapital von 1 Million eine Mitgliederzahl von 100000 erfordert, was aus verschiedenen Gründen, z. B. für die Führung der Liste, für die Veranstaltung von Generalversammlungen höchst unbequem wäre. Auch ist es nicht wünschenswerth, dass der Besitz von Actien Jedermann offen steht, da damit in allen Fällen Risiko verknüpft ist und mit niedrigen Actien der grossen Masse gegenüber leicht Missbrauch getrieben werden kann. Nach diesen Erwägungen erscheint der Minimalsatz von 10 Yen zu niedrig, und hat man die Minimalsätze, im Anschluss an die Bestimmungen des französ. Actiengesetzes von 1867, auf 20 und 100 Yen angesetzt, je nachdem das Actiencapital unter oder über 100000 Yen beträgt. Im deutschen H. Gesetzbuche ist durch das Gesetz von 1870 zwischen Actien auf Namen und auf den Inhaber unterschieden und der geringste Betrag für die ersteren auf 50, für die letzteren auf 100 Thaler normirt worden, was einem Minimal betrage von ungefähr 37 und 75 Yen (in Silber) entspricht.
Art. 209. Die Bestimmung dieses Artikels dient dazu, die Aechtheit und leichte Erkennbarkeit der Actien, sowie auch die Legitimation der Actienbesitzer zu sichern. Die Umschreibung des Namens wird von der Gesellschaft aus geschehen müssen und mit der Umschreibung in der Liste gleichzeitig sein. Es wird also nicht gestattet sein, dass der Inhaber einer Actie seinen Namen selbst darauf schreibt, wie es zuweilen bei Papiergeld und Banknoten geschieht, und hätte dies jedenfalls der Gesellschaft gegenüber keine Gültigkeit. Die Vorschrift bezüglich des Namens fällt hinweg, wenn die Actien auf den Inhaber umgewandelt sind (Art. 214.).
Uebrigens ist selbstverständlich die Bestimmung dieses Artikels nicht limitativ, sondern nur präceptiv, da noch andere Dinge, wie z. B. der Betrag der Actie, das Datum der Emission, die Bezugnahme auf die Concession und die Statuten, und anderes, üblicher Weise darauf verzeichnet stehen. Doch können die letzteren Aufzeichnungen dem Handelsgebrauche und den Statuten überlassen bleiben.
Art. 210. Da das Actiencapital nothwendig in Actien getheilt ist (Art. 175), so folgt von selbst, dass sie einerseits nicht weiter theilbar sind, und andererseits nicht mehrere Actien in einen einzigen Gesammtantheil vereinigt (consolidirt) werden können. Wer mehrere Actien besitzt, ist eben dadurch der Gesellschaft mehrfach berechtigt oder verpflichtet; es kann ihm nicht zustehen, diese mehrere Actien zu einer einzigen Antheilssumme zu verbinden, da hiedurch die auf die Actien gebaute Organisation der Gesellschaft zerstört werden würde. Nach den bestehenden Gesetzgebungen können zwar auch anstatt der Actien bloss Actientheile ausgegeben werden; doch steht dies nur der Gesellschaft zu, und ist keineswegs durch die Natur der Sache geboten. Es wurde daher diese Möglichkeit aus dem Entwurfe weggelassen. Wenn nun das Anrecht auf eine Actie sich durch Erbgang zersplittert, so braucht die Gesellschaft dies nicht anzuerkennen, sie wird immer nur einen rechtmässigen Besitzer gelten lassen, und zwar vernünftiger Weise den, der durch den Besitz legitimirt it ist. Die mehreren Miterben müssen unter sich die Auseinandersetzung ihrer Antheile bewirken; wenn eine gütliche Auseinandersetzung nicht zu Stande kommt, bleibt kein anderer Weg übrig, als die Veräusserung und die Vertheilung des Erlöses unter die mehreren Berechtigten. Ebenso wenig braucht die Gesellschaft eine Theilung der Actien dem Rechte nach anzuerkennen, indem z. B. einer das Eigenthum, ein anderer ein Pfandrecht daran hätte. Die Gesellschaft erkennt an der Actie kein anderes Recht an als das einfache Recht des Actionärs. Würde eine Actie verpfändet, so könnte ein solches Pfandrecht nicht eingetragen werden.
Art. 211. Die Bestimmung dieses Artikels dient zur Verhütung eines betrügerischen Verkehres in Actien, welche noch nicht voll eingezahlt sind, und daher noch nicht ihren Nominalwerth besitzen können. Selbstverständlich gelten für Interimsactien ganz dieselben Vorschriften, wie für definitive Actien, insbesondere in Art. 208—210.
Art. 212. Das Verbot der Ausgabe von Actien vor der Registrirung, das sich ausdrücklich auch in Art. 211 des deutschen H. Gesetzbuches findet, dient gleichfalls dazu, den Verkehr in fictiven Actien zu verhüten. Actien, welche vor definitiver Errichtung einer Actiengesellschaft emittirt werden, sind offenbar nichtig, und können keinen Verkehrswerth besitzen, da kein rechtliches Subject da ist, auf welches sie bezogen werden könnten. Ueber etwaige Einzahlungen vor der Registrirung, und über die Zeichnung von Actien, können nur Quittungen gegeben werden, die noch nicht verkehrsfähig sind und nur ein eventuelles Anrecht auf die künftig auszugebenden Actien gewähren. Obgleich einer Abtretung von solchen Quittungen an andere Personen nach den Grundsätzen der Cession an sich nichts im Wege stehen würde, können sie doch nicht als Actien an der Börse und auf offenem Markte gehandelt werden, und tritt daher dieser Artikel der lediglich auf Differenzgewinn gerichteten Agiotage von Gründern und ersten Zeichnern mit noch nicht reif gewordenen Actien entgegen.
Art. 213. Der Entwurf verbietet in diesem Artikel nach dem Vorgange der französischen Gesetzgebung den Verkehr in Actien und Actienconpons, ja selbst in Actienquittungen, vor der Einzahlung von 25 procent überhaupt, und lässt mithin vor diesem Zeitpunkt auch die an sich juristisch mögliche Cession nicht zu, um die Gründer-thätigkeit und Actienzeichnung nicht in blosse Speculation auf den Börsencours ausarten zu lassen. Das deutsche H. Gesetzbuch hat dieses Verbot nicht, dagegen die andere strenge Bestimmung, dass vor der vollständigen Einzahlung des Actienbetrages ein Actionär sich von seiner Verbindlichkeit gegen die Gesellschaft durch Abtretung von Actien nur mit Zustimmung der Gesellschaft befreien könne. Diese Bestimmung erscheint zu strenge und formell, da die Verkehrsfähigkeit der Actien dadurch grossentheils illusorisch gemacht würde, wenn nicht die Gesellschaft auf Entlassung von der Verbindlichkeit einginge. Zweckmässiger erscheint daher, die Grenze der freien Veräusserung nur auf 50 procent des Actienbetrages zu normiren, da die Gesellschaft in allen Fällen nach Art. 214 eine Sicherheit dadurch besitzt, dass sie ihre Zustimmung zur Veräusserung einfach verweigern kann, so lange die Actien nicht voll eingezahlt sind. Die Bestimmung des Entwurfes entspricht in der Hauptsache dem Art. 3 des französischen Gesetzes von 1867. Der Inhalt des Entwurfes ist mithin, dass Veräusserungen von Actien etc. vor der Einzahlung von 25 procent von der Gesellschaft gar nicht anerkannt werden; nach der Einzahlung von 25 procent aber muss der ursprüngliche Zeichner in jedem Falle noch Einzahlungen bis zu 50 procent leisten, wenn ihn nicht die Gesellschaft ausdrücklich von dieser Verpflichtung befreit hat, mag sie auch ihre Zustimmung zur Veräusserung gegeben, mithin den neuen Erwerber auf ihre Liste der Actionäre gesetzt haben.
Art. 214. In diesem Artikel werden zunächst die Vorschriften über die Veräusserung dahin vervollständigt, dass die Gesellschaft in jedem Falle dazu ihre Zustimmung geben muss, so lang die Actien auf den Namen lauten. Sie hat dadurch das Mittel in der Hand, etwa zahlungsunfähige Erwerber abzuweisen. Diese Bestimmung erscheint vielleicht zu strenge für den Fall, dass der Actienbetrag bereits vollständig eingezahlt ist. Indessen kann die Gesellschaft auch in diesem Falle noch ein Interesse haben, gewisse Personen von der Mitgliedschaft auszuschliessen, namentlich solche, die ihr verschuldet sind, da sie dadurch in die Lage kommen könnte ihre eigenen Actien in Zahlung nehmen zu müssen. Das Recht der Zustimmung gegenüber Schuldnern ist der Gesellschaft ausdrücklich in der englischen Gesetzgebung gewahrt. Vernünftiger Weise wird eine Gesellschaft Actionäre nicht ohne Grund zurückweisen, wesshalb in dem Entwürfe die ausdrückliche Beschränkung auf besondere Fälle unterlassen wurde.
Die übrigen Bestimmungen dieses Artikels rechtfertigen sich durch die früher erörterte Bedeutung der Liste der Actionäre und der Namens-Umschreibung, und finden sich wenigstens hinsichtlich der Listen-Eintragung auch in der englischen und deutschen Gesetzgebung.
Art. 215. Die auch in den übrigen Gesetzgebungen enthaltene Vorschrift dieses Artikels empfiehlt sich einmal schon aus Rücksichten der geschäftlichen Zweckmässigkeit, um Störung und Verzögerung bei dem Abschlusse der Listen und Rechnungen zu verhüten. Regelmässig wird die Suspension vor der ordentlichen Generalversammlung jedes Jahres eintreten, und es wird dann der weitere Vortheil erreicht, dass Abtretungen von Actien, blos für den Zweck der demnächst stattfindenden Generalversammlung, um die Abstimmung auf derselben zu beherrschen oder zu beeinflussen, nicht so leicht stattfinden können. Es wird mithin durch diese Vorschrift auch der solide und ernstliche Verkehr in Actien indirect in Schutz genommen.
Art. 216. Die Bestimmung dieses Artikels findet sich auch im deutschen H. Gesetzbuch Art. 223 und im englischen Gesetze von 1862 Art. 38. Sie entspricht der analogen Bestimmung für Collectiv-Gesellschafter in Art. 139 des Entwurfes, und rechtfertigt sich durch die gleichen Erwägungen. So sehr auch der Verkehr in Actien freigegeben werden muss, ist doch auch andererseits Rücksicht auf die Gläubiger zu nehmen, deren Lage durch den beliebigen Austritt von Actionären nicht verschlechtert werden darf. Wenn also auch die Gesellschaft nach Art. 213 einen austretenden Actionär seiner Verpflichtung entlassen hätte, dauert diese Verpflichtung doch zu Gunsten der Gläubiger noch ein Jahr weiter fort, aber nur für die bis zu seinem Austritte vorhandenen Schulden, da er nur bis zu diesem Zeitpunkte auch an dem etwaigen Gewinne der Gesellschaft Antheil hatte. Uebrigens ist derjenige, welcher eine Actie veraüssert hat, als Actionär und nicht als Collectiv-Gesellschafter verhaftet, d. h. er ist niemals persönlich mit seinem Vermögen den Gläubigern unmittelbar, auch nicht subsidiarisch verhaftet. Sondern er kann nur angehalten werden zu weiteren Einzahlungen zur Deckuug der bezeichneten Verbindlichkeiten, soweit das Gesellschaftsvermögen dazu nicht hinreicht. Diese Einzahlungen können nur von der Direction der Gesellschaft verfügt werden, aber die Gläubiger haben ein Recht darauf, dass es geschieht. Hierauf hat auch Art. 297 Bezug, welcher das Recht zur Anordnung von Einzahlungen auch den Liquidatoren ertheilt. Auch Art. 293, welcher desfallsige Rechte der Gläubiger wahrt, ist hieher zu beziehen.
Art. 217. Der zunächst nur auf die Einträge in die Liste der Actionäre bezügliche Grundsatz des Art. 206 wird hier verallgemeinert. Jeder Streit über das Eigenthum an Actien, wodurch die Eigenschaft eines Actionärs und folglich die Rechte und Pflichten eines solchen bedingt sind, ist als ein Streit über ein Privatrecht, und speciell ein privates Vermögensrecht anzusehen und daher der gewöhnlichen richterlichen Entscheitung zu unterwerfen; gleichviel ob der Streit zwischen mehren Privatpersonen, oder zwischen einer Privatperson und der Gesellschaft entsteht. Die Gesellschaft hat kein Recht der Entscheidung, da sie als Partei in Betracht kommt, indem in allen Fällen der Actionär ihr gegenüber berechtigt und verpflichtet ist. Die Einträge in die Liste sind also nur beweiskräftig, so lange sie nicht angefochten werden; im Falle von Streit muss die Eintragung immer nach Massgabe des richterlichen Urtheiles erfolgen.
Art. 218. Es ist ein feststehender Grundsatz des Actienrechtes, dass die Mitglieder einer Actiengesellschaft nur wechseln, aber nicht eigentlich austreten können, insoferne die Actie und der auf sie fallende Capitalbetrag an die Gesellschaft bis zu deren Auflösung gebunden ist. Anders verhält es sich bei Collectiv und auch bei Commandit-Gesellschaften, weil in diesen das persönliche Moment überwiegt, mithin unter Zustimmung der übrigen der persönliche Bestand einer Gesellschaft und damit auch deren Capitalbestand verändert werden kann. Uebrigens ist bei den anderen Gesellschaftsarten beides nicht nothwendig mit einander verbunden, indem der Austritt des einen recht wohl durch die Erhöhung des Beitrages eines anderen Gesellschafters ersetzt werden kann. Bei Actiengesellschaften, deren Capital in feste und gleiche Actienbeträge getheilt ist, wäre dies unmöglich. Der Wegfall einer Actie würde hier auch den Wegfall eines Capitalantheiles mit sich bringen, damit würde aber die ganze auf die Actienantheile gebaute Organisation der Gesellschaft gefährdet. Zur festen, gleichmässigen Existenz einer Actiengesellschaft gehört daher, dass kein Actionär einseitig seine Verbindung mit ihr lösen kann, und das Actiencapital nur durch ihre Auflösung frei werden kann. Allerdings können Actien ganz oder zum Theil zurückgezahlt werden im Falle einer Verminderung des Gesellschafts-capitals, allein dies kann nicht durch Forderung eines einzelnen Actionärs, sondern nur durch die Gesellschaft selbst unter gewissen Formen und Beschränkungen geschehen (Art. 254 ff.).
§ 5. Directoren und Aufsichtsrath.
Art. 219. Ausser der Theilung des Capitals in Actien, deren Regulirung den Gegenstand des vorhergehenden Paragraphen bildete, kommt als weitere wesentliche Eigenthümlichkeit der Actiengesellschaften deren administrative Organisation in Betracht. Die Actionäre haben kein Recht der Vertretung der Actiengesellschaft. Ihre Gesammtheit bildet die Generalversammlung, welche durch ihre Beschlüsse allerdings einen Einfluss auf die Verwaltung üben kann. Allein die Verwaltung selbst steht weder den einzelnen Actionären, noch der Generalversammlung zu; weder die einen, noch die andere, können die Gesellschaft durch ihre Handlungen irgendwie berechtigen oder verpflichten. Insoferne ist das persönliche Moment aus der Actiengesellschaft gänzlich hinweggenommen, und können die Actionäre kaum noch Gesellschafter genannt werden. Die Actionäre haben nur das Recht, die Vertretung der Gesellschaft zu bestellen; sie sind hiezu verpflichtet, und die Versäumniss dieser Pflicht würde die Gesellschaft unmöglich machen. Die Bestellung geschieht durch Wahl in der Generalversammlung. Der Entwurf gibt ihnen die Bezeichnung Directoren, welche die geläufigste und verständlichste sein dürfte. Die Directoren können sich unterscheiden, je nachdem sie für Beschlussfassung, oder für die Besorgung der täglichen laufenden Geschäfte und den Verkehr nach aussen bestimmt sind. Demnach wird häufig zwischen Verwaltungsrath und Directoren unterschieden. Die Zahl und die speciellere Organisation nach innen, desgleichen die Vertretungsbefugnisse jedes Directors im Verhältniss zu den anderen Directoren muss das Statut festsetzen. Der Entwurf bestimmt nur dass nicht weniger als 3 Directoren zu wählen sind, es können aber auch weit mehr sein. Bei kleineren Gesellschaften, Fabriken und ähnlichen Etablissements wird ein geschäftsführender Director genügen, dem als Beirath und zur Entscheidung über die wichtigeren Verwaltungsfragen zwei weitere Directoren an die Seite gestellt werden können. Bei grösseren Gesellschaften wird meist bestimmt, dass die wichtigeren Unterschriften nur von mindestens zwei Directoren gegeben werden können. Die Directoren bilden nun den Vorstand der Gesellschaft, der in allen Fällen nothwendig ist. Ausserdem kann die Gesellschaft noch die verschiedensten anderen Beamten und Gehülfen haben. Diese sind aber durchweg facultativ: im allgemeinen ist darüber nur hervorzuheben, dass sie unter der Leitung der Directoren stehen und auch meist von diesen ernannt werden. Sie nehmen die Stellung von Gehülfen ein, was von Directoren durchaus nicht gilt, welche vielmehr nach Analogie öffentlicher Beamten zu beurtheilen sind.
Art. 220. Die Bestätigung der Directoren durch die Staatsregierung kann eine Concessionsbedingung bilden, durch welche die Regierung bei gewissen Unternehmungen von hohem administrativem Interesse, z. B. Eisenbahngesellschaften, sich den gebührenden Einfluss auf die Verwaltung und die Erwählung durchaus tauglicher Persönlichkeiten sichern will. Derartige Bedingungen sind für die Gesellschaft ein Gesetz und die Statuten dürfen ihnen nicht widersprechen. Obgleich im allgemeinen jede Gesellschaft ihre Vorstände frei wählen kann und jede Wahl als solche gültig ist, wird doch in einem solchen Fall die Gültigkeit der Wahl durch die Bestätigung Seitens der Regierung bedingt. Die gewählten Directoren können daher nur auf Grund der ihnen ertheilten Bestätigung ihr Amt an treten.
Art. 221. Dass die Gründer als Vertreter der Actiengesellschaft auftreten und die Obliegenheiten von Directoren erfüllen, ist nur eine selbstverständliche Folge ihres Verhältnisses zur Gesellschaft. Uebri-gens kann die Function der Gründer nicht beliebig fortgesetzt werden, da schon in der ersten Generalversammlung Directoren gewählt werden müssen (Art. 191.). Die Bestimmung dieses Artikels kann sich daher nur auf vorläufige Geschäfte beziehen, die vor jenem Zeitpunkte im Interesse der Gesellschaft abgeschlossen werden müssen.
Art. 222. Wie bereits mehrfach bemerkt, ist es eine der Haupteigenthümlichkeiten der Act.-Gesellschaften, dass sie von ihren Mitgliedern nicht vertreten werden können. Einmal weil sie auf blosse Capitalbetheiligung angelegt sind, wofür die Eintheilung des Gesellschaftscapitals in Actien dient, und sodann weil sie für grössere Unternehmungen und eine grössere Mitgliederzahl berechnet sind, durch welche die persönliche Geschäftsführung der einzelnen Mitglieder geradezu ausgeschlossen ist. Daher müssen für die Vertretung der Act.-Gesellschaften besondere Organe geschaffen werden, und das sind eben die Directoren. Sie gleichen zunächst den Principalen bei gewöhnlichen Coll.-Gesellschaften, nur mit dem Unterschiede, dass während die letzteren ihre eigenen Angelegenheiten verwalten und daher keiner Vollmacht bedürfen, die Directoren nur Bevollmächtigte der Gesellschaft sind und daher, als Mandatare, in die Grenzen des ihnen ertheilten Mandats eingeschlossen sind. Das Mandat kann ihnen sowohl durch das Statut, als durch besondere Gesellschaftsbeschlüsse gegeben werden. Es ist ein materielles, soferne es sich auf die Geschäfte bezieht, die ihnen übertragen werden, und ein formelles, sofern die Formen ihrer Geschäftsführung, insbesondere auch die Collectiv- und Singular-Befugnisse jedes einzelnen Directors vorgezeichnet werden. Im allgemeinen ist anzunehmen, dass in beiderlei Beziehungen die Befugnisse eines Directors unbeschränkt sind, soferne sie nicht durch ausdrückliche Bestimmungen in den Statuten oder Beschlüsse beschränkt werden. Denn da die Actionäre selbst nicht für die Gesellschaft handeln können, muss die gesammte Vertretungsbefugniss in den Directoren concentrirt sein, weil sie sonst nirgends zu finden wäre. Es kommt indessen nicht blos auf den Buchstaben, sondern auch auf den Sinn und Geist der Statuten an. So z. B. wäre die Aufnahme von Darlehen den Directoren ohne Ermächtigung durch die Generalversammlung jedenfalls untersagt, weil eine solche Massregel gleichbedeutend wäre mit einer Vermehrung des Gesellschaftscapitals, die nur von der Generalversammlung beschlossen werden könnte. Soweit die Statuten etc. nichts vorschreiben, können die Directoren unter sich die Geschäfte vertheilen, und dabei auch bestimmen, wie weit einer allein, ohne die Zustimmung und Mitwirkung der anderen, zu handeln berechtigt ist. Diese Grundsätze sind auch auf die Vertretung der Gesellschaft vor Gericht, auf Eidesleistung, Abschluss von Vergleichen, Ernennung von Prozessanwälten etc. anzuwenden. Dem Entwurf liegt mithin das Princip zu Grunde, dass die Directoren eine generelle Vollmacht besitzen für alles, was nicht durch das Statut etc. ausdrücklich oder folgerungsweise anders bestimmt ist. Dem deutschen H. Gesetzbuch Art. 229 liegt ein anderes Princip zu Grunde, das aber weder dem practischen Bedürnisse, noch der Natur eines generellen Mandats entspricht. Den richtigen Standpunkt hat auch die engl. Gesetzbung (§ 55.1. Schedule zu 25 & 26. Vict. c. 89).
Es ist übrigens die Vertretungsbefugniss und daraus entspringende Verantwortlichkeit der Directoren nach innen und nach aussen wohl zu unterscheiden. Die Directoren sind wie bemerkt generelle Bevollmächtigte, und sind zu allen Handlungen befugt, welche von ihrem Mandat eingeschlossen werden. Jeder Mandant hat nun das Recht, das einem Anderen ertheilte Mandat in gewissen Punkten einzuschränken, und der Mandatar, der ein also limitirtes Mandat annimmt, ist für die Beobachtung der ihm gesetzten Schranken dem Mandanten verantwortlich. Diese Einschränkung ist aber an sich eine interne Sache zwischen Mandant und Mandatar; dritte Personen stehen diesem besonderen Vertragsverhältniss fern und sind dadurch nicht gebunden. Dritte Personen halten sich an die Stellung der Directoren als generelle Mandatare, und sind berechtigt darnach zu handeln; sie haben nicht nöthig erst im einzelnen nachzuforschen, wie weit die Vollmacht der Vertreter in jedem besonderen Falle geht, nach dem allgemeinen Grundsatz, dass das generelle auch der Regel nach das specielle einschliesst. Hiezu kommt ferner, dass jeder Geschäftsvertreter, gleich wie jeder Handlungsgehülfe, die Präsumtion für sich haben muss, dass er die Grenzen seiner Anstellung selbst am besten kennt und beobachtet, und dass dritte Personen sich darauf müssen verlassen können (S. z. B. Art. 54.). Während also Directoren für die Ueberschreitung ihrer Vollmacht der Gesellschaft in allen Fällen verantwortlich sind, hat diese Verantwortlichkeit dritten Personen gegenüber keine Wirkung. Die Gesellschaft muss nach aussen in allen Fällen für ihre Directoren einstehen, kann aber nach innen, nämlich von diesen selbst, dafür Schadloshaltung fordern. Nur gehört dazu, dass dritte Personen sich in gutem Glauben befinden, d. h. sie müssen den Glauben haben, dass die Directoren die von ihnen thatsächlich geübte Handlungsbefugniss auch wirklich besitzen, und das Geschäft muss wenigstens auf ihrer Seite ein ehrliches sein, es darf also nicht die Absicht einen wissentlichen Täuschung und Beschädigung der Gesellschaft vorliegen. Der gute Glaube wird durch die Kenntniss der einem Director ertheilten Einschränkung noch nicht nothwendig beseitigt, wenn nur keine arglistige Beschädigung der Gesellschaft oder unerlaubter Gewinn beabsichtigt war, und die Umstände derart sind, dass der Ueberschreitung der Vollmacht kein Gewicht beizulegen ist; z. B. im Fall der Verletzung einer blossen Formvorschrift, oder wenn ein Director zum Abschluss eines Geschäfts bevollmächtigt ist, und dasselbe in Ueberschreitung seiner Instructionen abschliesst, um den Abschluss überhaupt zu ermöglichen u. dgl. m.
Art. 223. Nach der früheren französ. und deutschen Gesetzgebung können Directoren blosse besoldete Beamte sein, ohne zugleich die Eigenschaft von Actionären zu besitzen. In der englischen und neueren französischen Gesetzgebung ist der Director regelmässig als Actionär vorausgesetzt, und dies scheint das richtigere, da sonst der Begriff einer gesellschaftlichen Geschäftsführung ganz und gar vereitelt werden könnte. Directoren werden ein grösseres Interesse für ihre Functionen bewähren, wenn sie als Actionäre an dem Gewinn oder Verlust der Gesellschaft persönlich betheiligt sind. Dass Directoren Actionäre sein und zwar eine bestimmte Anzahl von Actien haben müssen, um als solche wählbar zu sein, ist eine zweckmässige Bestimmung des französ. Gesetzes von 1867, welche der Entwurf adoptirt; das nähere wird der Bestimmung der Statuten überlassen. Sollte das Statut keine solche Bestimmung enthalten, so müsste es durch einen Beschluss der Generalversammlung ersetzt werden. Diese Actien dienen ausserdem zugleich als Caution für die Gesellschaft bei etwaigen Ansprüchen gegen die Directoren: sie müssen daher bei der Gesellschaft deponirt werden und sind während der Amtsdauer der betreffenden Directoren unveräusserlich.
Art. 224. Die Bestimmung dieses Artikels ist nothwendig, um der Generalversammlung eine wirksame Controle in die Hand zu geben, und untaugliche Directoren durch einfache Nichtwiederwahl entfernen zu können. Die Zulässigkeit der Wiederwahl rechtfertigt sich durch den Nutzen, den erprobte und erfahrene Directoren einer Gesellschaft gewähren können. Die Prosperität der Actiengesellschaften ist meist oder hauptsächlich durch die Tüchtigkeit ihrer Directoren bedingt, und die Beibehaltung solcher gehört zu den vitalen Interessen einer Gesellschaft.
Art. 225. Dass Directoren regelmässig besoldet oder sonst wie remunerirt werden, lehrt die Erfahrung, und es ist dies auch nothwen dig, da die blosse Dividenden-Einnahme des gewöhnlichen Actionärs ihnen nicht genügen könnte. Das Amt eines Directors ist meist mühevoll und schwierig, oder doch in hohem Grade verantwortlich, und die einem solchen gewährte Remuneration ist durchweg sehr hoch, ja oft auf den Erwerb aussergewöhnlicher Capacitäten berechnet. Dies ist auch vollkommen in der Ordnung, denn durch tüchtige Directoren kann das Vermögen von Actionären verdoppelt und verdreifacht, oder aber gänzlich verschleudert werden. Jedoch muss die Gesellschaft die Höhe der Remuneration oder Besoldung im voraus festsetzen, die Directoren dürfen sich nicht selbst ihre Vergütung zumessen; diese Schranke ist nothwendig, um extravaganten Ansprüchen einen Riegel vorzuschieben.
Art. 226. Die jederzeitige Widerruflichkeit des Amtes eines Directors erklärt sich aus der hohen Wichtigkeit ihrer Stellung und der Grösse der ihnen anvertrauten Interessen. Directoren nehmen in der Gesellschaft die leitende Stellung ein, ähnlich den Vorständen eines Verwaltungsdepartements. Ihre Ernennung auf regelmässig 3 Jahre, würde die Gesellschaft während dieses Zeitraumes gänzlich in ihre Hand geben, wenn nicht ihre Wahl jederzeit widerrufen werden könnte. Die Amtsthätigkeit von Directoren kann nachtheilig sein, ohne dass ihnen ein criminelles oder sonst strafbares Verschulden, das sonst zur Entlassung von Beamten berechtigt, nachgewiesen werden könnte. Diese Widerruflichkeit entspricht den Principien des Mandats und ist auch in der französ. und englischen Gesetzgebung enthalten. Regelmässig kann ein Engagement für Dienstleistungen auf gewisse Zeit vor dem Ablauf derselben nicht einseitig aufgehoben werden, und bleibt in allen Fällen der Anspruch auf die stipulirte Remuneration fort bestehen. (Art. 61.). Allein Directoren sind nicht als Handlungsgehülfen oder sonstige einfach zur Ableistung gewisser Dienste Engagirte anzusehen, sondern als Gesellschafter, welche von der Gesellschaft behufs ihrer Vertretung aufgestellt wurden. Daher ist die Wahl von Directoren widerruflich ohne Entschädigung für die etwa noch übrige Zeitdauer; das deutsche H. Gesetzbuch Art. 227 bestimmt anders, da es die Directoren vom Standpunkte des Dienstvertrages beurtheilt. Uebrigens spricht der Artikel nur Ansprüche desshalb ab, weil der Widerruf vor der Zeit statt fand. Hat sich Jemand durch besonderen Vertrag ausdrücklich und aus einem vernünftigem Grunde eine Entschädigung für den Fall der Entlassung ausbedungen, so würde ein solcher. Anspruch rechtsgültig sein, soferne er nicht etwa durch strafbares Verschulden vereitelt worden wäre. Würde z. B. ein Director Geschenke annehmen oder in seinem persönlichen Interesse Geschäfte für die Gesellschaft abschliessen, so würde wegen solcher Pflichtverletzungen Entlassung ohne alle Entschädigung trotz ausdrücklicher Stipulation zulässig sein. Die Entlassung kann, ebenso wie die Anstellung, nur durch die Generalversammlung erfolgen.
Art. 227. Vermöge seiner Amtspflichten schuldet ein Director der Gesellschaft den Fleiss und die Sorgfalt eines ordentlichen Handelsmanns, den Besitz der zur Ausübung seiner Functionen nöthigen Kenntnisse, und die Verfolgung der Interessen der Gesellschaft gleich seinen eigenen. Für die Verletzung seiner Pflichten kann er zur Rechenschaft gezogen, und nicht nur entlassen, sondern auch zur Schadloshaltung der Gesellschaft angehalten werden. Diese Verantwortlichkeit, ebenso wie für die Beobachtung der Statuten und Gesellschaftsbeschlüsse, besteht in allen Fällen, unabhängig von jeder anderen persönlichen Haftung nach Art. 228. Weitere Verpflichtungen als die ihm als generellem Mandatar obliegenden Amtspflichten, hat jedoch ein Director nicht, und er steht im Uebrigen der Gesellschaft ebenso ferne wie jeder Actionär. Er kann daher Director verschiedener Gesellschaften sein, die gleichen Geschäfte auch im eigenen Interesse oder in Gesellschaft mit Anderen betreiben ; er kann auf seihen Namen Geschäfte mit der Gesellschaft abschliessen u. dgl. m. Nur darf er hiebei nicht seine Amtspflichten verletzen, also gegen das Interesse der Gesellschaft handeln, unehrlich handeln u. s. f. Die blosse Möglichkeit eines Interessen-Conflictes aber wird ihm nicht als Pflichtwidrigkeit zum Vorwurf gemacht werden können, soweit ihn nicht etwa von der Gesellschaft specielle Schranken gesetzt wurden.
Art. 228. Ein Actionär haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft direct gar nicht; indirect nur bis zum Betrage seiner Actienbetheiligung. Dasselbe gilt auch von den Directoren, durch deren Handlungen an und für sich nur die Gesellschaft verpflichtet wird. Directoren haften aber ausserdem für die Verletzung ihrer Amtspflichten, der Gesellschaft oder dritten Personen, welche dadurch in Schaden kommen. Dies gilt namentlich auch für die Verletzung gesetzlicher Vorschriften, z. B. wenn sie Dividenden vertheilen im Widerspruch mit dem Gesetze, oder wenn sie durch Nichtbeobachtung gesetzlicher Formalitäten Acte der Gesellschaft nichtig machen. Eine Haftung für die rechtmässig eingegangenen Verbindlichkeiten der Gesellschaft liegt ihnen dagegen nicht ob, und das mit allen commerciellen Geschäften verbundene Risiko belastet nur die Gesellschaft, nicht ihr persönliches Vermögen. Der Entwurf hat nun aber in Uebereinstimmung mit dem englischen Gesetze von 1867 ferner bestimmt, dass Directoren auch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft im allgemeinen haftbar gemacht werden können, ähnlich wie dies schon in Art. 166 für Commandit-Gesellschaften verordnet wurde. Diese Haftung dient zur Sicherung der Gessellschaft gegen leichtsinnige Geschäftsführung und verbindet das Interesse der Gesellschaft wirksam mit dem persönlichen Interesse der Directoren. Eine solche Haftung muss aber ausdrücklich im Statut vorgeschrieben sein, und sie ist nur eine subsidiäre, also mehr eine Solidarbürgschaft, wenn nämlich das Gesellschaftsvermögen nicht ausreichen sollte. Die Regel des Art. 178 wird daher dadurch nicht umgestossen.
Art. 229. Die Vorschrift dieses Artikels ist den gewöhnlichen Bestimmungen über die Registrirung der geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft gemäss.
Art. 230. Die Vorschrift über die Wahl eines Aufsichtsrathes ist namentlich im deutschen II. Gesetzbuch ausgebildet. Aehnliche Bestimmungen, über Auditoren, finden sich aber auch in der englischen und französ. Gesetzgebung. Der Entwurf macht die Wahl eines Aufsichtsrathes facultativ, da nicht alle Gesellschaften, namentlich die kleineren, dafür geeignet sein werden, schon wegen Mangels an geeigneten Persönlichkeiten. Bei wichtigeren Unternehmungen, insbesondere wenn die Concession der Staatsregierung erforderlich, kann übrigens die Wahl eines Aufsichtsrathes zur Pflicht gemacht werden und geben die Bestimmungen in § 13 Art 276-279 ausserdem noch genügende Möglichkeit der Ueberwachung an die Hand.
Art. 231. Die Obliegenheiten des Aufsichtsrathes sind in diesem Artikel näher angegeben. Er hat nicht die Geschäfte zu führen, sondern die Geschäftsführung der Directoren vom Standpunkte des Gesetzes und der Statuten, und der Interessen der Actionäre und Gläubiger zu überwachen. Die Actionäre sind meist um die Geschäftsführung nicht weiter bekümmert, solange Dividenden gezahlt werden; sie können als Einzelne gar nicht auftreten, sondern nur durch die Generalversammlung, deren Berufung ihnen nicht zusteht. Auch setzt die Ueberwachung der Directoren eine gewisse Geschäftskenntniss und eine eingehende Prüfung voraus, zu der die meisten Actionäre nicht befähigt sind. Hieraus erhellt der Nutzen eines besonderen Aufsichtsorganes, welches beständig in Function und in den Stand gesetzt ist, der gesetzwidrigen und schädlichen Geschäftsführung Einhalt zu thun. Der Aufsichtsrath hat im Ganzen seine Thätigkeit in dreifacher Richtung zu entfalten: 1, Ueberwachung der Geschäftsführung der Directoren; 2, Prüfung der Rechnungen; 3, Berufung einer Generalversammlung, um die erforderlichen Beschlüsse durch dieselbe im Interesse der Gesellschaft zu veranlassen. Ein selbständiges Einschreiten, insbesondere ein Veto oder sonstiges Verbietungsrecht steht dem Aufsichtsrathe gegenüber den Directoren nicht zu; er kann nur eine Untersuchung vornehmen, und die Ergebnisse der Untersuchung mit den erforderlichen Anträgen der Generalversammlung zur Beschlussfassung vorlegen. Die Stellung der Directoren wäre offenbar zu abhängig und unsicher, wenn sie sich eine beliebige Einmischung von Seiten des Aufsichtsrathes gefallen lassen müssten; auch würde dadurch ihre eigene Verantwortlichkeit thatsächlich auf den Aufsichtsrath übertragen. Was insbesondere die Ueberwachung der Geschäftsführung betrifft, so haben die Aufsichtsräthe darauf zu sehen, dass sie 1, gesetzlich, auch rücksichtlich der Formalitäten sei; 2, statutengemäss; und 3, dass keine Fehler und Unregelmässigkeiten zum Nachtheil der Actionäre begangen werden, z. B. Verletzung der Amtspflichten, Verhüllung von wichtigen Thatsachen, Anführung unwahrer Thatsachen, Abschluss von Geschäften im Interesse der Directoren oder zum Vortheil einer anderen Gesellschaft u. dgl. Was aber die reine Erwägung der Nützlichkeit eines Geschäfts, die rein speculative Seite der Geschäfte betrifft, so bleibt darüber den Directoren die Freiheit des Entschlusses unbenommen, soweit nicht die Beschlussfassung der Generalversammlung vorbehalten ist.
Die Prüfung der Rechnungen und Bilanzen ist von besonderer Wichtigkeit; und werden, wo ein Aufsichtsrath besteht, solche der Gesellschaft in der ordentlichen Generalversammlung jedes Jahres nur vorgelegt werden können, wenn sie vorher vom Aufsichtsrathe geprüft wurden, und begleitet von dessen Bemerkungen und eventuellem Antrag auf Decharge.
Art. 232. Dass Aufsichtsraths-Mitgliedern für ihre schwierige und oft mühevolle Thätigkeit eine besondere Vergütung zu Theil werde, entpricht offenbar der Billigkeit, und dem eigenen Interesse der Gesellschaft, da sie ihre Pflichten dann eifriger und sorgfältiger erfüllen werden.
Art. 233. Dieser Artikel ordnet die amtliche Vollmacht des Aufsichtsrathes derart, dass nicht schon ein einzelnes Mitglied gegen die Directoren auftreten kann, sondern nur alle sammt und sonders. Sie müssen also einig sein, und eben in dieser Einigkeit liegt das Gewicht und die Bürgschaft ihrer heilsamen Thätigkeit, und eine Sicherheit gegen unbesonnene und übermüthige Kritik ohne genügenden Grund. Kann aber eine Einigung nicht erreicht werden, dann muss die Minorität mit der Majorität gleiches Recht haben, und beide müssen neben einander vor die Generalversammlung treten, und dieser die Entscheidung überlassen. Der Aufsichtsrath kann je nach den Umständen sich auch an die Directoren wenden, um diese zu nochmaliger Prüfung oder zur Verbesserung gemachter Fehler, oder zur Ertheilung von Auskunft u. s. w. zu veranlassen. Hiebei ist dann dasselbe Verfahren wie gegenüber der Generalversammlung zu beobachten.
Art. 234. Die in diesem Artikel dem Aufsichtsrathe ertheilten Befugnisse sind nothwendig, damit er seine Obliegenheiten genau und vollständig erfüllen kann. Da es sich hier nicht um ein Einschreiten im Sinne des Art. 233 handelt, sondern nur um Kenntnissnahine und Untersuchung, um ein solches Einschreiten vorzubereiten und überhaupt zu ermöglichen, so stehen diese Befugnisse schon jedem einzelnen Mitgliede des Aufsichtsrathes zu. Es sind dies dieselben Befugnisse, die nach Art. 100 jedes nicht geschäftsführende Mitglied einer Coll.-Gesellschaft besitzt. Denn der Aufsichtsrath ist eben nichts anderes, als eine Vertretung der nicht an der Geschäftsführung activ betheiligten Mitglieder.
Art. 235. Zum Zweck eines klaren Verständnisses der Stellung des Aufsichtsrathes wird in diesem Artikel ausdrücklich bestimmt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrathes für die Geschäftsführung der Directoren in keiner Weise haften. Auch wenn sie dieselbe billigen und vor Generalversammlung empfehlen und rechtfertigen, liegt darin nicht etwa eine Ratification oder Mitschuld. Die Haftung nach Art. 227 und 228 trifft allein und ausschliesslich die Directoren. Dagegen sind die Mitglider des Aufsichtsrathes verantwortlich für ihre eigenen Pflichtverletzungen, sei es indem sie wissentlich und absichtlich sich an dem Verschulden der Directoren betheiligen, sei es indem sie ihre Pflichten nicht oder ungenügend erfüllen, ohne davon einen Vortheil zu haben oder etwa im Einverständniss mit den Directoren zu sein. Diese Haftung ist keine collective, sondern nur eine persönliche. Jeder haftet nur für sein persönliches Verschulden, nicht zugleich für das der übrigen; während Directoren im Falle des Art. 228 und in allen Fällen gemeinsamer Geschäftsführung collectiv haften. Die Haftung des Aufsichtsrathes bestimmt sich nach den Grundsätzen des speciellen Mandats. Sie kann sowohl von der Gesellschaft, als auch von den Gläubigern derselben geltend gemacht werden.
§ 6. Generalversammlung.
Art. 236. Die Generalversammlung ist das Organ für die Vertretung der Actionäre im Unterschied von den Organen der Verwaltung und der Ueberwachung. Da die Actionäre vereinzelt ohne alle Berechtigung in der Gesellschaft sind und sich in dieser Hinsicht von Collectivgesellschaftern unterscheiden, muss ein besonderes Organ geschaffen werden, durch welches sie als Gesammtheit auftreten können. Die Actionäre können nur durch die Generalversammlung ihre Rechte und Interessen geltend machen, sie haben einzeln weder ein Recht der Klage noch einen sonstigen Schutz gegen die Verwaltung. Um diesen Schutz in geordneter Weise zu organisiren, sind Vorschriften über die Generalversammlung nothwendig. Der Artikel bestimmt nun zunächst, dass die Gen. Versammlung regelmässig von den Directoren berufen wird, oder vom Aufsichtsrath, oder anderen hiezu berechtigten Personen. Solche andere Personen können Gründer oder Liquidatoren sein.
Art. 237. In diesem Artikel wird sodann die Art und Weise der Berufung einer Gen. Versammlung geregelt. Sie muss vor allem den Statuten gemäss sein, namentlich was die Zeit, die Benützung gewisser öffentlicher Blätter, und die Veranlassung betrifft. Speciell wird noch vorgeschrieben, dass in der Einladung zur Versammlung der Zweck und Gegenstand der Berathung, also z. B. Vorlage der Rechnungen, Decharge, Genehmigung eines Anlehens, einer Dividende, Wahl des Vorstandes etc. ausdrücklich benannt sein müssen, und dass sie mindestens 14 Tage vor dem Versammlungstage erfolgen muss. Diese Vorschriften sind den übrigen Gesetzgebungen conform. Sie dienen dazu, den Actionären eine genügende Vorbereitung über die zur Beratbung kommenden Fragen zu ermöglichen und überstürzte und unerwogene Beschlüsse zu verhindern.
Art. 238. Während die übrigen Generalversammlungen facultativ sind und von dem Gang der Geschäfte und dem Umfange der den Directoren ertheilten Vollmachten abhängen werden, schreibt die Gesetzgebung überall die Abhaltung mindestens einer Versammlung in jedem Jahre vor, in welcher die Directoren Bericht über ihre Geschäftsthätigkeit im vergangenen Jahre und namentlich Rechnung abzulegen haben. Die Verpflichtung, alljährlich ein Inventar und eine Bilanz anzufertigen, besteht für jedes Handelsgewerbe (Art. 33); für Gesellschaften sogar in jedem Halbjahr (Art. 34.). Für Actiengesellschaften kommt dazu aber noch eine doppelte Verpflichtung, nämlich 1, diesen Bechenschaftsbericht, der auf Grundlage des Inventars und der Bilanz zu erstatten ist, mindestens einmal im Jahre der Generalversammlung vorzulegen und deren Beschlussfassung darüber zu bewirken. Der Beschluss wird entweder eine Genehmigung oder Beanstandung enthalten und demgemäss die Directoren entweder entlasten oder sie mit einer gewissen Verantwortlichkeit belasten, zum mindesten mit der Verpflichtung, gewisse Geschäfte oder Geschäftsgrundsätze aufzugeben, etwaige neue Beschlüsse zur Ausführung zu bringen u. dgl. Dieser Beschluss muss um der grösseren Sicherheit willen vom Aufsichtsrathe vorbereitet werden. Die Directoren müssen daher ihren Rechenschaftsbericht vorher dem letzteren mittheilen und zwar so rechtzeitig, dass dieser eine gründliche Prüfung des Berichtes anstellen kann. Hierüber können allenfalls nähere Vorschriften in den Statuten ertheilt werden. Nach dem französ. Gesetze von 1867 Art. 32 ist jeder Beschluss einer Generalversammlung über diese Gegenstände nichtig, wenn er nicht durch einen Bericht der Auditoren vorbereitet wurde. Der Entwurf spricht diese strenge Folgerung nicht ausdrücklich aus. Da aber eine Generalversmmlung ohne die gehörige Mittheilung an die Actionäre nicht zusammentreten darf, so können Beschlüsse, die in solcher Weise, ohne die Vorlage des Berichtes des Aufsichtsrathes, gefasst wurden, zum mindesten angefochten und jedenfalls in den Statuten für ungültig erklärt werden. Den letzteren Standpunkt nimmt auch die englische Gesetzgebung ein (§ 94 der General- Statuten.)
2, muss der Rechenschaftsbericht auch mindestens einmal im Jahre seinem wesentlichen Inhalte nach öffentlich bekannt gemacht werden. Dies entpricht lediglich dem bestehenden Gebrauche, da die Actiengesellschaften es von selbst in ihrem Interesse finden, ihre jeweiligen Geschäftsergebnisse zu veröffentlichen. Hiedurch bildet sich eine öffentliche Meinung über ihre Creditwürdigkeit, der Cours ihrer Actien richtet sich nach dieser öffentlichen Meinung, und die öffentliche Kritik in Handels- und Fachblättern kann in vieler Beziehung nützlich wirken.
Art. 239. Ausserordentliche Generalversammlung ist jede, die nicht jährlich wiederkehrt, also im allgemeinen jede, die nicht für die in Art. 238 benannten Zwecke regelmässig berufen wird. Die Berufung einer solchen hängt zunächst von dem Bedürfniss und Anlass ab, es können aber in den Statuten die Fälle, wo eine solche Berufung stattfinden muss, näher angegeben sein. Auch abgesehen hievon können die Directoren und die sonst dazu Befugten jederzeit eine Gen. Versammlung berufen. Es ist dies eine Sache der Verwaltung, die in regelmässigen Fällen von den Directoren ausgehen wird; in unregelmässigen Fällen vom Aufsichtsrathe oder von Liquidatoren. Die Berufung einer Gen. Versammlung muss nun ausserdem noch erfolgen, wenn die Actionäre, d. h. eine gewisse Anzahl derselben, es verlangen. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 237 bestimmt, dass eine den 10. Theil des Grundcapitals repräsentirende Zahl von Actionären den Antrag stellen muss; nach den englischen Gen. Statuten genügt hiefür der 5. Theil der Actionäre. Der Entwurf hat eine den 5. Theil des Actiencapitals repräsentirende Zahl von Actionären für passend gefunden. Nachdem einmal der Grundsatz feststeht, dass die einzelnen Mitglieder nichts für sich selbst thun können, sondern nur die Gesammtheit der Actionäre, darf die Zahl derer, die eine Versammlung beantragen können, nicht zu niedrig gegriffen werden, da sonst die Organisation der Gesellschaft jederzeit durch einige wenige Actionäre gestört werden könnte.
Art. 240. Dieser Artikel bestimmt die. Anzahl der Actionäre, welche eine Generalversammlung bilden können. Dies ist nothwendig, da die Actionäre meist der Verwaltung ferne stehen und auch an zerstreuten Orten wohnen, so dass an ein regelmässiges Erscheinen sämmtlicher Mitglieder auf allen Versammlungen nicht zu denken ist. Hiezu kommt noch, dass eine Actiengesellschaft Tausende von Mitgliedern zählen kann, deren sämmtliches Erscheinen aus manchen Gründen nicht einmal wünschenswerth wäre. Es muss nun zwar allen Actionären durch die in Art. 237 vorgeschriebene Mittheilung und Berufung Gelegenheit zum Erscheinen gegeben werden, allein alle Gesetzgebungen lassen die gültige Fassung von Beschlüssen zu, auch wenn nur ein Theil der Mitglieder erschienen ist. Hiebei unterscheiden sämmtliche Gesetzgebungen Beschlüsse über gewöhnliche, und über besonders wichtige Gegenstände, und verlangen für die letzteren eine grössere Zahl von Abstimmenden, wenn auch in verschiedener Weise. Das französ. Gesetz von 1867 verlangt für gewöhnliche Beschlüsse die Anwesenheit von einer den 4. Theil des Capitals repräsentirenden Anzahl von Actionären, für besonders benannte Beschlüsse eine Repräsentation von mindestens der Hälfte des Actiencapitals. Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 209 bestimmt als Regel, dass jede Anzahl von erschienenen Actionären genüge, wenn nicht die Statuten für besonders zu bezeichnende Beschlüsse eine grössere Anzahl erfordern. Die englischen Normalstatuten bestimmen in allen Fällen, wo es sich nicht um Festsetzung der Dividende handelt, die Minimalzahl eines „quorum” auf 5, und die Maximalzahl auf 30 Mitglieder. Der Entwurf folgt in dieser Hinsicht dem französischen Gesetze, da die übrigen Gesetzgebungen so laxe sind, dass sie die Generalversammlung bei so wenig oder ganz vom Zufall abhängigen Abstimmenden zu einer blossen Form machen. Es wird zwar nicht immer leicht sein, eine grössere Anzahl von Actionären zusammenzubringen, allein für solche Fälle gibt das Gesetz in Art. 243 Auskunftsmittel an die Hand.
Art. 241. Die Bestimmung dieses Artikels, wornach für die Abstimmung über besonders wichtige Gegenstände die Repräsentation von mindestens der Hälfte des Actiencapitals vorgeschrieben wird, ist gleichfalls der französischen Gesetzgebung entnommen, und dürfte als einfache Majorität des Capitals, bei der Schwierigkeit und Unmöglichkeit, eine Mehrheit sämmtlicher Actionäre zusammenzubringen, das zweckmässigste sein. Das englische Gesetz verlangt für solche wichtigere Beschlüsse eine 3/4 Mehrheit der nach den Statuten erforderlichen Zahl von Erschienenen und die Bestätigung durch ein nachfölgendes Meeting.
Es ist zu bemerken, dass die Vorschrift dieses Artikels präceptiv ist, und durch die Statuten nicht abgeändert werden kann, während zur Beschlussfassung über gewöhnliche Gegenstände nach Art. 240 anderweitige Statutenvorschriften zugelassen sind und das Gesetz nur subsidiär anzuwenden ist.
Art. 242. Bei der Abstimmung ist es die Regel, dass die Mehrheit entscheidet, und zwar die absolute Mehrheit, also mehr als die Hälfte der Stimmenden. Relative Mehrheit, also die Mehrheit unter verschiedenen zufälligen Stimmzahlen, ist etwas rein zufälliges und kann nicht genügen. Die Entscheidung der grösseren Hälfte ist von jeher Regel gewesen und der Natur der Sache am meisten angemessen. In den wichtigeren Fällen des Art. 241 hat man aber eine 3/4 Mehrheit für passend gefunden, da Aenderungen des bisherigen wesentlichen Zustandes einer Gesellschaft in der Regel nichts nothwendiges sein werden und unbesonnene Neuerungen möglichst verhütet werden müssen.
Art. 243. Es ist sowohl im englischen wie im französischen Gesetze das Auskunftsmittel getroffen, dass die Beschlüsse einer Gen. Versammlung durch eine folgende bestätigt werden müssen, um gültig zu sein. Das englische Gesetz schreibt diese Bestätigung nur für die wichtigeren Beschlüsse (Art. 51 des Gesetzes von 1862) vor, jedoch in allen Fällen; das französische wendet es auf alle Fälle an, jedoch nur eventuell. Den gleichen Standpunkt nimmt der Entwurf ein, wobei man von der Ansicht ausgehen muss, dass ein Beschluss als von sämmtlichen Actionären genehmigt gelten muss, wenn sie auf der nachfolgenden Versammlung nicht erscheinen um dagegen zu stimmen. Daher muss auf der folgenden Versammlung jede Anzahl von Erschienenen und jede Mehrheit genügen. Jedoch kann dadurch nur die ungenügende Anzahl von Erschienenen corrigirt werden, nicht die fehlende Stimmenmehrheit. Gesetzt also, es wäre in den Fällen des Art. 241 die 3/4 Mehrheit nicht zu erreichen gewesen, so kann dieser Mangel durch eine zweite Versammlung nicht beseitigt werden.
Art. 244. Auch die Bestimmung dieses Artikels entspricht dem gewöhnlichen Gebrauche. Es ist jedoch Regel, dass Actionäre, die mehrere Actien besitzen, nicht im gleichen Verhältniss auch Stimmen haben sollen, damit nicht Einzelne durch das Uebergewicht ihres Besitzes zu grossen Einfluss erlangen. Wie solche Beschränkung geschehen soll, kann den Statuten überlassen werden. Enthalten diese keine Bestimmung über diesen Gegenstand, so verbleibt es bei der allgemeinen Regel, dass jede Actie eine Stimme gibt. Dass jedes Mitglied persönlich eine Stimme haben solle und nicht mehr, ist dem Wesen der Actiengesellschaft nicht angemessen. Ein Maximum der zulässigen Stimmenzahl eines Actionärs könnte zwar festgesetzt werden, doch bleibt dies am besten den Statuten überlassen.
Jeder Actionär, der an einer Versammlung theilnehmen will, muss sich unter Vorzeigung seiner Actien dazu legitimiren, und das Bureau hat dafür zu sorgen, dass eine vollständige Liste der erschienenen Actionäre nebst der Zahl ihrer Actien aufgesetzt und bei den Abstimmungen zu Grunde gelegt werde (Französ. Gesetz von 1867 Art. 28.)
§. 7. Aenderung der Firma und des Wohnsitzes der Gesellschaft.
Art. 245 Eine Actiengesellschaft kann durch späteren Beschluss ihre Statuten ändern, ohne darin einer anderen Beschränkung unterworfen zu sein, als sie im Gesetze oder in der etwaigen Concessions-Urkunde enthalten sein mag. Die Aenderung derjenigen Punkte jedoch, welche ihre individuelle Existenz bestimmen und ein für allemal im Prospect enthalten sind, ist zwar gleichfalls gestattet, jedoch nur unter gewissen Bedingungen, die vorher nachgewiesen und richterlich bestätigt sein müssen. Diese Bedingungen sind: 1, das Vorhandensein eines genügenden Grundes, also der Nachweis eines bestimmten rechtmässigen Interesses der Gesellschaft an der Aenderung; und 2, dürfen die Rechte anderer Personen, insbesondere der Gläubiger, nicht verletzt werden. Zu diesem Zwecke muss, bevor die Aenderung rechtsgültig Platz greifen kann, vorher ein öffentliches Aufgebotsverfahren eingeleitet werden, damit jeder im Stande sei, seine etwaigen rechtlichen Einwendungen dagegen geltend zu machen. Der Entwurf schreibt in diesen Fällen die richterliche Cognition vor, im Gegensatz zu der administrativen Genehmigung einer Verwaltungsbehörde, weil es sich um den Schutz von Rechten handelt, der ordnungsgemäss den Gerichten zusteht. Wenn z. B. eine andere Gesellschaft gegen die Wahl einer bestimmten neuen Firma opponiren würde, so würde zu entscheiden sein, ob dieser Einwand auf Grund des Firmenrechts erhoben werden könne oder nicht. Oder Gläubiger könnten gegen eine Verlegung des Sitzes der Gesellschaft remonstriren, weil dadurch ihre vertragsmässigen Rechte geschmälert würden, oder Hypotheken von neuem constituirt werden müssten u. dgl. Die Entscheidung über solche Rechtsfragen kann nur dem Gerichte zustehen. Wenn die richterliche Entscheidung gegen den Beschluss ausfällt, kann derselbe nicht ausgeführt werden.
Art. 246—247. Die in diesen Artikeln enthaltenen Bestimmungen über Registrirung und Publicirung entsprechen nur den gewöhnlichen Vorschriften über diesen Gegenstand.
Art. 248. Die Genehmigung der beschlossenen Aenderung vorausgesetzt, können doch die bestehenden Rechte und Verbindlichkeiten der Gesellschaft dadurch nicht verändert werden, soweit nicht nach Massgabe des durchgeführten richterlichen Verfahrens eine Compensation dafür gewährt worden ist. Eine Gesellschaft kann sich also ihren Gläubigern gegenüber nicht auf eine solche Aenderung berufen, um deren Rechte anzufechten. Insbesondere kann ein bereits begonnener Prozess durch die Firmenänderung nicht ungültig gemacht, oder Rechte, die an dem einen Orte begründet waren, nicht durch Berufung auf die Ortsveränderung angefochten werden-Wechsel, die von der Gesellschaft auf ihren alten Namen oder Wohnsitz ausgestellt waren, sind auch für ihren neuen Namen und Wohnsitz gültig u. s. w. Diese Bestimmung, obwohl sie im Grunde selbstverständlich ist, wurde ausdrücklich auch in das englische Gesetz von 1862 aufgenommen.
§. 8. Umwandlung der Actien in Actien auf den Inhaber.
Art. 249. Inhaberpapiere sind ohne weitere Förmlichkeiten durch blosse Uebergabe übertragbar, gleich jedem beweglichen Vermögen. Jeder Inhaber ist ihr rechtmässiger Besitzer und kann die damit verbundenen Rechte für seine Person geltend machen. Nach dem Entwurfe sind die Actien ursprünglich auf den Namen ausgestellt, und der Name jedes neuen Erwerbers muss darauf vorgemerkt werden. Auch ist die Uebertragung der Actien nur mit Genehmigung der Gesellschaft rechtsgültig. Actien sind aber ihrer Natur nach für den freien Verkehr bestimmt, da sie in der Hauptsache nur einen gewissen Capital besitz, gleich einer Summe Geldes, bedeuten. Nachdem die Actien voll einbezahlt sind, also die Verbindlichkeit der Actionäre gegen die Gesellschaft damit völlig erloschen ist, steht ihrer Umwandlung in Inhaberpapiere nichts mehr entgegen, da von diesem Zeitpunkte an die Person der Actionäre der Gesellschaft gleichgültig sein kann. Nach der französ. Gesetzgebung kann diese Umwandlung nach Einzahlung der Hälfte des ActienBetrages beschlossen; nach dem deutschen H. Gesetzbuch können sogar von Anfang an Inhaber- Actien ausgegeben werden. Doch erfordert dies genauere Bestimmungen über die trotz der Uebertragung noch fortdauernde Haftung der Veräusserer gegen die Gesellschaft. Dies ist eigentlich eine Inconsequenz, da die Wirkung der Uebertragung dadurch theilweise wieder vereitelt wird. Solche Schwierigkeiten werden am einfachsten dadurch vermieden, dass die Umwandlung erst nach voller Einzahlung der Actien gestattet wird, wie es auch in der englischen Gesetzgebung geschehen ist (Art. 23 der Normalstatuten.)
Art. 250. Der Beschluss einer solchen Umwandlung erfordert die in Art. 241 vorgeschriebene grössere Stimmenmehrheit und muss zum Zweck der Benachrichtigung des Publikums registrirt und publicirt werden.
Art. 251. Sobald die Actien auf jeden Inhaber lauten, verlieren die für Namens- Actien geltenden Sicherheitsmassregeln ihren Grund und werden unanwendbar. Insbesondere kann die Zustimmung der Gesellschaft zu ihrer Veraüsserung nicht mehr erfordert werden. Dagegen behalten die Vorschriften über die Eintragung in die Liste der Actionäre ihre fortdauernde Gültigkeit.
Art. 252. Der Titel für Actien auf den Inhaber liegt in ihrem Besitze, nach dem Grundsatz: possession vaut titre. Obgleich der Besitz noch nicht wirkliches Eigenthum verleiht, kann doch der Besitzer die Rechte des Eigenthümers ausüben, so weit ihm nicht ein besseres Recht entgegen gehalten wird. Der Besitzer kann also weiter veräussern, und auch die Ansprüche auf Dividende etc. geltend machen, so lange nicht vom Eigenthümer Einspruch erhoben wird. Dies gilt auch gegenüber der Gesellschaft, welche befugt ist, jeden Inhaber als vollberechtigten Inhaber zu behandeln, an ihn Zahlungen zu leisten u. s. f. Indessen kann durch alles dies der unredlich erworbene Besitz nicht in rechtmässigen Besitz verwandelt werden. Jeder Eigenthümer, dem Actien gestohlen wurden, oder wer sonst einen Rechtsanspruch auf die Actien gegen den Inhaber hätte, kann sein Recht geltend machen und den unredlichen Inhaber an der Ausübung seiner Besitzesrechte verhindern. Dies muss regelmässig geschehen durch Anrufung der gerichtlichen Hülfe. So lange kein richterliches Erkenntniss vorliegt, ist jeder, und so auch die Gesellschaft berechtigt, den Inhaber als legitimirt zu betrachten, und den rechtlichen Character seines Besitzes nicht weiter zu untersuchen. Die Gesellschaft kann, wenn sie Verdacht schöpft, die Legitimation eines sich ihr präsentirenden Inhabers prüfen, aber sie ist dazu nicht verpflichtet. Diese Verpflichtung entsteht erst, wenn sie die specielle Aufforderung dazu erhalten hat unter Mittheilung von Thatsachen, welche den etwa erscheinenden Inhaber als unberechtigt darstellen. Eine solche Notification an die Gesellschaft muss dem rechtmässigen Inhaber zur Wahrung seiner Rechte eingeräumt werden.
Art. 253. Amortisirung ist die Todes-, d. h. Ungültigkeitserklärung einer Urkunde, mit der Folge, dass an ihrer Stelle eine neue als Ersatz dafür -angefertigt und dem Berechtigten übergeben wird. Hiedurch wird es möglich, den Vermögensverlust zu vermeiden, der durch den Verlust einer solchen Urkunde entstehen würde. Die Amortisirung setzt ein vorheriges Aufgebotsverfahren voraus, um etwaige Berechtigte und Interessenten zur Geltendmachung zu veranlassen, und die neue Urkunde wird nur ausgestellt, wenn kein berechtigter Gegenanspruch erhoben ist. Denn die alte Urkunde wird dadurch ungültig und werthlos für jeden, der sie etwa besitzen mag. Dies ist offenbar eine Forderung der Billigkeit, damit nicht durch zufälligen Verlust des Papiers das daran geknüpfte Vermögensrecht gleichfalls verloren gehe. Papiergeld und Banknoten werden regelmässig nicht amortisirt, weil sie dem baaren Gelde gleich geachtet werden, dessen Verlust jeder selbst zu tragen hat. Urkunden auf den Inhaber jedoch, die nur als Legitimationsurkunden dienen und eine Fülle von verschiedenen Rechten involviren, können nicht wie baares Geld behandelt werden. Der Entwurf bestimmt daher, dass Actien auf den Inhaber amortisirt werden können. Einen Einwand hiegegen könnte man nur etwa desshalb erheben, weil Actien sehr häufig in alle Welt gehen und von Personen in verschiedenen Ländern, ja Erdtheilen besessen werden können. In solchem Falle wäre von dem zur Sicherung redlicher Inhaber dienenden Edictalverfahren kein genügender Schutz zu erwarten. , Indessen ist dies für Japan zur Zeit wohl nicht zu erwarten, und es kann auch gegen unverschuldeten Irrthum Restitution gewährt werden.
In einem anderen Sinne bedeutet Amortisation die Heimzahlung einer Capitalschuld, sei es auf einmal, oder allmählich in jährlichen kleinen Beträgen. In diesem Sinne ist die Amortisation von Actien nicht gestattet, ausgenommen nach den Bestimmungen des folgenden Paragraphen, da dies einer Verminderung des Actiencapitals gleich kommt.
§ 9. Erhöhung oder Verminderung des Gesellschaftscapitals oder des Betrages der einzelnen Actien.
Art. 254. Die Erhöhung oder Verminderung des Gesellschaftscapitals ist nur gestattet auf Grund einer Bestimmung der Statuten, oder eines Beschlusses der Generalversammlung. Es ist also dazu die Genehmigung der Actionäre erforderlich, weil ihre Rechte und Pflichten dadurch wesentlich verändert werden. Ausserdem ist dazu erforderlich die richterliche Genehmigung, da die Wichtigkeit eines solchen Schrittes eine unparteiische und erschöpfende Prüfung aller Umstände nothwendig macht. Die Genehmigung muss bei dem Gerichte unter Vorlage des Beschlusses der Generalversammlung, der regelmässig auch zur Ausführung einer statutarischen Bestimmung vorgeschrieben sein wird, und des Nachweises eines genügenden geschäftlichen Grundes nachgesucht werden. Sie ist zu versagen, wenn die Geschäfts- und Vermögens—Lage derart ist, dass der Beschluss unmotivirt und den bestehenden Rechten der Gläubiger und Actionäre nachtheilig erscheint. Insbesondere wird bei einer Erhöhung des Capitals die voraussichtliche Rentabilität nachgewiesen werden müssen. Ist die Genehmigung ertheilt, so muss die Registrirung und Publicirungerfolgen, und erst als-dann kann der Beschluss ausgeführt werden.
Die Vermehrung des. Capitals kann erfolgen durch Erhöhung des Betrages der einzelnen Actien, in welchem Falle die bisherigen Actionäre zu neuen Einzahlungen verpflichtet werden; durch Ausgabe neuer Actien, und durch Emission von Schuldobligationen, häufig Prioritätsactien genannt, deren Inhaber nicht Actionäre, sondern Gläubiger der Gesellschaft sind, welche für ihre Zinsansprüche einen Vorzug vor den Dividenden der Actionäre haben. Diese verschiedenen Arten der Vermehrung des Capitals sind ohne Einfluss auf die Anwendbarkeit der Bestimmungen dieses Artikels. Diese haben daher Anwendung zu finden, gleichviel ob der eine oder der andere Modus neuer Capitalbeschaffung gewählt wird.
Art. 255. Während die Vermehrung des Actiencapitals eine neue Last für die Actionäre bedeutet und daher nicht ohne einen genügenden Grund beschlossen werden wird, ist die Verminderung des Capitals durch Zurückzahlung ein Vortheil für die Actionäre, der leicht zum Nachtheil der Gläubiger gemisshraucht werden könnte. Daher muss diese Massregel mit strengeren Massregeln controlirt werden. In Art. 255. wird zunächst vorgeschrieben, dass nie das ganze Gesellschaftscapital zurückgezahlt werden darf, sondern nur bis höchstens zu 1/4. Würde den Actionären gestattet, das ganze ursprünglich eingezahlte Capital zurückzunehmen, so wären sie jedes Risikos für die künftige Geschäftsführung überhoben, während den künftigen Gläubigern ein grosser Theil ihres Befriedigungsobjects entzogen wäre. Einzelkaufleute oder Collectiv-Gesellschafter können zwar nach freiem Entschlusse Gewinne aus dem Geschäfte ziehen und bei Seite legen; allein dies bringt den Gläubigern keinen Nachtheil, weil diesen doch ihr ganzes Vermögen haftbar bleibt. Bei Actiengesellschaften ist diese Haftung nicht vorhanden, wesshalb das Gesetz eine gewisse Grenze ziehen muss. Das französ. Gesetz hat das Minimum dessen, was bei der Gesellschaft verbleiben muss, auf 1/10 festgesetzt, was zu niedrig sein dürfte. In der englischen und deutschen Gesetzgebung finden sich darüber keine beschränkenden Bestimmungen, ausgenommen, dass die Reduction nur nach Vorschrift der Statuten oder durch Gesellschaftsbeschluss vorgenommen werden darf. Uebrigens ist noch zu bemerken, dass die Reduction des Capitals äusser durch Zurückzahlung auch stattfinden kann durch den Erlass noch ausstehender Einzahlungen auf die emittirten; sowie durch einfache Abschreibung von Capitalverlusten vom Grundcapital. Denn das von den Actionären eingezahlte Grundcapital bildet eine Schuld der Gesellschaft an die Actionäre, welche im Falle der Auflösung zurückgezahlt werden muss und daher stets unter den Passiven aufzuführen ist. Wird nun diese Schuld einfach durch Abschreiben vermindert, so ist dies gleichfalls einer Reduction des Grundcapitals gleichzuachten.
Art. 256—259. Eine weitere Massregel zur Verhütung unbefugter Capitalreduction besteht darin, dass sie nicht ohne- die Mitwirkung der vorhandenen Gesellschafts-Gläubiger vorgenommen werden darf. Am ausführlichsten über diesen Punkt ist das englische Gesetz von 1867 Art. 9—20, wärend das deutsche H. Gesetzbuch Art. 248 einfach auf die Vorzugsrechte der Gläubiger analog wie im Fall des Bankerotts verweist. Die Massregel ist einfach die Vorschrift, dass die Reduction nicht eintreten darf, wenn nicht die Gläubiger vorher zustimmen, bez. weise ihre Befriedigung oder Sicherstellung erhalten haben. Diese Zustimmung oder Befriedigung der Gläubiger ist durch ein öffentliches Verfahren zu bewirken, damit wo möglich kein Gläubiger aus Versehen oder absichtlich übergangen werde. Und zwar muss die Gesellschaft selbst die Zustimmung der Gläubiger zu erlangen suchen, und ausserdem das Gericht mittelst eines Edictalverfahrens die Gläubiger ermitteln und zur Erhebung etwaigen Widerspruches veranlassen. Auf Seiten der Gläubiger genügt der blosse Widerspruch, ohne dass sie hiefür weitere Gründe beizubringen brauchten, um die Reduction zu verhindern, da für ihr Forderungsrecht ihnen nicht das durch die Gründung der Gesellschaft gegebene Befriedigungsobject geschmälert werden darf. Dieser Widerspruch kann nur unwirksam gemacht werden durch Zahlung oder Sicherstellung, was am einfachsten durch Beiseitelegung der zur Zahlung nöthigen Summen geschieht. Wird die Forderung eines Gläubigers bestritten, so muss das Gericht darüber entscheiden. Doch kann die Gesellschaft weitere Verzögerung vermeiden, dadurch dass sie den reclamirten Schuldbetrag, ohne übrigens die Schuld anzuerkennen. durch Hinterlegung der Summe sicherstellt.
Wenn das gerichtliche Verfahren beendigt und die Genehmigung des Gerichts ertheilt ist, muss ferner noch die Registrirung und Publicirung erfolgen. Erst nachdem dies odnungsmässig geschehen, darf die Ausführung der Reduction vorgenommen werden.
Eine weitere Sicherheitsmassregel besteht noch, nach dem Verbilde der englischen Gesetzgebung, darin, dass eine Gesellschaft, welche ihr Capital reducirt hat, fortan verpflichtet ist in ihrer Firma neben das Wort „limitirt” noch das Wort,,reducirt” zu setzen, damit Jedermann sofort von aussen an die Thatsache der Reduction erinnert werde und darnach den Credit der Gesellschaft beurtheilen könne.
Art. 260. Um das Mass der Rücksichtnahme für die Gläubiger voll zu machen, soll nach dem Entwurfe, ebenso wie nach der englischen Gesetzgebung, den bei dem vorherigen Verfahren übergangenen Gläubigern Restitution gewährt werden, wenn sie ihren Widerspruch aus schuldlosem Irrthum nicht vorgebracht haben, wenn sie also trotz öffentlicher Bekanntmachung von der beabsichtigten Reduction nichts erfuhren oder sonst nicht wussten, dass sie davon betroffen wurden, ohne dass ihnen diese Unkenntniss als eigene Nachlässigkeit angerechnet werden könnte. Die Wirkung der Restitution, die bei demselben Gerichte nachgesucht werden muss, welches das Genehmigungsdecret erliess, besteht darin, dass in Bezug auf solche Gläubiger die Reduction des Capitals als nicht geschehen angenommen wird, mithin die reducirten Beträge fortwährend von den Gläubigern behufs ihrer Befriedigung reclamirt werden können, zwar nicht direct gegen die Actionäre, sondern nur indirect, indem die Gesellschaft zur Wieder-einforderung der betreffenden Beträge angehalten wird.
Jeder Restitution ist an eine gewisse Frist gebunden, nach deren Ablauf sie für immer erloschen ist, damit schwebende Zustände nicht für immer ungewiss bleiben können. Die Frist läuft von der Hebung des Hindernisses für den davon Betroffenen, also von dem Zeitpunkt der erlangten Kenntniss. Die Frist eines Jahres ist für nachträgliche Reclamation hinreichend. Der Reclamation sind selbstverständlich nur diejenigen Actionäre unterworfen, welche von der Reduction einen Vortheil hatten, indem sie dadurch einen Theil ihres eingezahlten Capitals zurükerhielten. Denn eben dieser Theil kann von den Gläubigern für ihre nachträgliche Befriedigung in Anspruch genommen werden.
§ 10. Aenderung des Statuts.
Art. 261. Da das Statut schon bei Constituirung der Gesellschaft registrirt werden muss und von diesem Zeitpunkte an als öffentlich bekannt gilt, so folgt von selbst, dass die Registrirung auch bei jeder Aenderung des Statuts erfolgen muss, und dass die Aenderung ohne solche Registrirung unwirksam wäre, weil sie nur als den Actionären privatim bekannt betrachtet werden könnte.
§ 11. Einzahlung der Actien.
Art. 262. Die Actienzeichnung bewirkt nach Art. 185 bereits die bedingte Mitgliedschaft in der Gesellschaft und die ebenso bedingte Verpflichtung den Betrag, auf den jede gezeichnete Actie lautet, an die Gesellschaft zu bezahlen. In dieser Bezahlung besteht in der Hauptsache die Verpflichtung der Mitglieder von Actiengesellschaften überhaupt, und nur durch die Bezahlung kann das Anrecht auf Dividenden erlangt werden. Actien sind vorläufig nichts weiter als todtes Papier, so weit sie nicht eingezahlt sind. Die Einzahlung muss erfolgen gemäss der mittelst der Statuten übernommenen Verpflichtung, also in gewissen Beträgen, zu gewissen Zeitpunkten, und unter gewissen Modalitäten, die besonders vorgeschrieben sein können. Regelmässig erfolgt die Einzahlung in Geld, doch kann, und es ist dies gerade nicht selten, direct oder indirect dafür auch ein anderes Aequivalent gegeben werden, was aber nur mit Zustimmung der Gesellschaft geschehen kann. Am häufigsten ist der Fall, dass Jemand sein Gewerbe an eine Gesellschaft überlässt und dafür in der Höhe eines gewissen Schätzungspreises Actien der Gesellschaft übernimmt, auch in das Directorium eintritt u. dgl. Hier sind Missbräuche, ja Betrug nicht selten, und zu deren Verhütung ist eben vorgeschrieben, dass solche Beiträge in öffentlicher Versammlung ausdrücklich genehmigt werden müssen.
Art. 263. Die Art der Aufforderung muss in den Statuten näher bestimmt sein, damit jeder Actionär sie im voraus kennt und darnach sich richten kann. Eine Anleitung hiezu unter Feststellung der nothwendigen Erfordernisse gibt dieser Artikel dahin, dass die Aufforderung öffentlich stattfinden soll, also nicht direct an jeden Actionär persönlich zu gehen braucht, dass eine Frist zur Zahlung zu lassen ist, also binnen geräumiger Zeit vor dem Termin die, Aufforderung zu erlassen ist, und dass endlich zugleich die Nachtheile zu benennen sind, denen der Actionär, welcher nicht zahlt, sich aussetzt. Diese Nachtheile bestehen einfach in dem Verlust seines Actienrechtes, ohne dass damit die einmal übernommenen Verpflichtungen aufhörten, nachdem eine zweite Aufforderung fruchtlos geblieben ist.
Den Statuten bleibt es überlassen festzusetzen, ob die öffentliche Aufforderung öfter als einmal stattfinden muss, und welche Zahlungsfristen zu gewähren sind. Auch steht nichts im Wege, dass die. Actionäre, da ihre Namen in der Liste verzeichnet sein müssen, auch schon das erste Mal persönlich und direct aufgefordert werden, doch kann dies, da die Liste nicht unanfechtbar ist, nicht als genügend angesehen werden.
Art. 264. In diesem Artikel werden die Nachtheile näher bezeichnet, welche den seine schuldige Einzahlung nicht oder nicht rechtzeitig leistenden Actionär treffen. Sie bestehen zunächst in Verzugszinsen und Kosten Zahlung; es bleibt mithin mit Hinzufügung dieser Beträge dem Actionär noch einige Zeitlang die nachträgliche Einzahlung offen. Wird aber auch einer zweiten persönlichen Aufforderung nicht Folge geleistet, dann ist die Actie verfallen, der Säumige verliert jedes Antheilsrecht an der Gesellschaft und kann auch die etwa darauf gemachten Einzahlungen nicht zurückfordern.
Solche verfallene Actien werden dann zum Vortheil der Gesellschaft verkauft.
Die Statuten können neben diesen wesentlichen Bestimmungen noch weitere treffen, die mehr in das Detail gehen und auch den Actionären günstiger sein können, indem z. B. eine mehrmalige Aufforderung verlangt wird, oder statt des Verfallenseins der Actien zuerst gewisse Geldstrafen angedroht werden. Im wesentlichen aber müssen die Statuten die im Gesetze getroffenen Vorschriften wiedergeben, da sie diesen nicht widersprechen dürfen.
Da dies eine Sache von grosser Wichtigkeit für die Actionäre ist, so muss es damit sehr genau genommen werden. Aufforderungen, welche nicht von den dazu befugten Personen oder unter den statutengemässen und gesetzlichen Formen ergehen, brauchen die Actionäre nicht zu beachten, und es können daraus keine Nachtheile gegen sie vollstreckt werden. Im Falle des Streites müsste hierüber, da es das persönliche Sonderrecht des einzelnen Actionärs betrifft, richterliche Entscheidung angerufen werden, und zwar von dem einzelnen Actionär, der sich durch Verletzung der Formen benachtheiligt erklärte.
Art. 265. Die Verwirkung der Actien ist eine Straf-Massregel, und nicht als eine gegenseitige Auflösung des Contractes zwischen Gesellschaft und Actionär anzusehen, so dass die Gesellschaft ihre Actien zurücknähme, und der Actionär dadurch von seiner Verbindlichkeit frei würde, etwa wie wenn bei gegenseitiger Auflösung eines Kaufvertrages der Verkäufer seine Waare zurückerhielte und der Käufer von der Verpflichtung zur Entrichtung des Kaufpreises befreit würde. Der Actionär bleibt vielmehr, trotzdem er seines Actienantheils verlustig geworden ist, für die bereits fällig gewordenen Einzahlungen verhaftet, und kann darauf von der Gesellschaft gerichtlich belangt werden. Diese Bestimmung findet sich auch in Art. 21 der englischen Normalstatuten und entspricht der Natur der Sache, da sonst ein Actionär durch Unterlassung seiner schuldigen Einzahlungen einseitig den Contract auflösen -könnte. Auch versteht es sich von selbst, dass einem solchen Actionär die bereits geleisteten Einzahlungen nicht zurückgegeben werden.
Ebenso wird hiedurch die Bestimmung des Art. 213, wornach jeder ursprüngliche Zeichner bis zu 50 procent des Actienbetrages der Gesellschaft unbedingt verhaftet bleibt, nicht berührt; dieselbe kann also gleichfalls gegen einen säumigen Actionär geltend gemacht werden, da sich ein Actionär, dessen Actien verfallen sind, nicht besser stehen darf, als einer, der seine Actien veräussert bat.
§ 12. Verpflichtungen der Gesellschaft.
Art. 266. Es werden in diesem Paragraphen eine Reihe von Vorschriften zusammengestellt, welche bei der Verwaltung von Actiengesellschaften befolgt werden müssen, damit die an sich freie und unabhängige Administrationsbefugniss der Directoren nicht zum Nachtheil der Actionäre oder anderer Personen gemissbraucht werden könne.
Zunächst wird die Zurückzahlung oder Zurücknahme von eingezahlten Actienbeträgen verboten und mit einer der Hälfte der rechtswidrig zurückgezogenen Betrages gleichkommenden Geldstrafe belegt. Der Contract, den Jemand durch Uebernahme von Actien eingeht, ist absolut bindend und kann auch durch die beiderseitige Einwilligung nicht gelöst werden, da sonst durchaus keine Sicherheit für die Conservirung und das reelle Vorhandensein des Actiencapitals bestände. Wenn ein solches Verbot nicht erlassen würde, könnte die Pflicht der Einzahlung umgangen und das Gesellschaftcapital zu einem blos nominellen gemacht werden. Das Verbot wird ausserdem noch dadurch verschärft, dass die rechtswidrig zurückgezahlten Beträge auch von den Gläubigern und zwar unmittelbar reclamirt werden können.
Auf eine rechtmässig, unter Beobachtung der in § 9. enthaltenen Bestimmungen, vorgenommene Reducirung des Gesellschaftscapitals findet dieses Verbot selbstverständlich keine Anwendung.
Art. 267. Ebenso darf eine Act.-Gesellschaft ihre eigenen Actien weder erwerben noch in Pfand nehmen. Wie bereits früher bemerkt, begründet jede Actie eine Forderung des Actionärs gegen die Gesellschaft, welche in Bezug auf Zinsen und Dividenden von Anfang an, und in Bezug auf das Capital nach Auflösung der Gesellschaft geltend gemacht werden kann. Könnte die Gesellschaft ihre eigenen Actien erwerben, so wäre sie in einer Person zugleich Schuldner und Gläubiger, was vernünftiger Weise nicht sein kann. Durch eine sog. Confusion erlischt nach allgemeinen Grundsätzen das Forderungsrecht, da Niemand schuldig sein kann, an sich selbst Zahlungen zu leisten. Die Actien, welche eine Gesellschaft gegen sich selbst erwürbe, würden daher ungültg werden oder erlöschen, und die Folge wäre, dass das Gesellschaftsverhältniss dadurch aufgelöst würde, und wenn es zur Vertheilung käme, Niemand mehr da wäre, an welchen dieselbe statt finden könnte. Solche Actien, welche einer Gesellschaft unvermeidlicher Weise zufallen, müssen daher von ihr wieder hinnen kurzer Frist veräussert werden.
Art. 268. Die Bestimmung dieses Artikels ist eine Erweiterung der in Art 33. und für Gesellschaften insbesondere in Art. 34. allgemein gegebenen Vorschrift eines regelmässigen Rechnungsabschlusses, zu dem Zweck, um der Verwaltung der Actien-Gesellschaften die erforderliche Publicität zu sichern, und sie der öffentlichen Kritik vom Standpunkte der Gesetzlichkeit und der Nützlichkeit zu unterwerfen. Auch ist diese Bestimmung, welche ohnehin erfahrungsgemäss von den meisten Gesellschaften in ihrem eigenen Interesse freiwillig beobachtet wird, insoferne von Nutzen, als sie für die Beurtheilung der Creditwürdigkeit der Gesellschaften und des Courses der Actien und Obligationen genauere Anhaltspunkte liefert.
Art. 269. Die Bestimmung dieses Artikels gilt auch für Commandit-Gesellschaften (Art. 172). Zinsen oder Dividenden dürfen offenbar nur aus wirklichen Gewinnen gezahlt werden; ein Gewinn ist aber nur wirklich vorhanden, wenn ein Ueberschuss über das ursprüngliche Actiencapital erzielt worden ist. Dividenden sind also unzulässig, so lange kein solcher Ueberschuss da ist, oder mit anderen Worten am. Actiencapital Verluste eingetreten sind. Daraus folgt, dass jede statutarische Bestimmung oder jeder Beschluss, durch welche den Actionären für alle Fälle ein fester Zins zugesichert wird, nichtig ist. Hiezu ist aber zweierlei zu beachten: 1, Dividenden oder Zinsen, welche aus wirklichen Gewinnen bezogen wurden, können zur Deckung späterer Verluste nicht mehr zurückgefordert werden; da solche Verluste offenbar nicht zurückgerechnet werden dürfen, sondern ebenso wie Zinsen und Dividenden von Jahr zu Jahr berechnet werden müssen; und 2, auch solche Dividenden oder Zinsen können nicht zurückgefordert werden, welche von den Actionären in gutem Glauben bezogen wurden. Diese letztere Bestimmung ist ausdrücklich in dem deutschen H. Gesetzbuch Art. 218 enthalten, sie folgert sich aber von selbst daraus, dass die Wirklichkeit von Gewinnen immer eine ehrliche Annahme derselben auf Grund rechnerischer Nachweisungen voraussetzt und die einzelnen Actionäre nicht für die etwaige Unrichtigkeit der ihnen vorgelegten Rechnungen verantwortlich gemacht werden können. Der gute Glaube der Actionäre wäre nur dann nicht vorhanden, wenn sie die Dividenden ohne Beobach tung der gesetzlichen Bestimmungen annehmen würden (Art. 238. 268.) Ist also eine Dividendenberechnung vorschriftsgemäss der Generalversammlung vorgelegt und von dieser genehmigt, so hat jeder Actionär das Recht, auf Grund derselben Dividenden anzunehmen, da er für die Beschlüsse der Generalversammlung nicht verantwortlich sein kann. Dagegen wären Directoren, so wie auch Mitglieder des Aufsichtsrathes, für ausbezahlte Dividenden den Gläubigern verhaftet, wenn sie wider besseres Wissen, also auf Grund wissentlich falscher Rechnungslegung, Dividenden vertheilt bez. weise begutachtet hätten.
Art. 270. Das Recht auf Dividendenbezug wird ausserdem noch beschränkt durch die Vorschrift der Anlage eines Reservefonds, die auch in dem französ. Gesetze von 1867 den Actiengesellschaften zur Pflicht gemacht ist. Der Reservefond dient zur Deckung etwaiger künftiger Verluste, er sichert also auch den Actionären den regelmässigen Dividendenbezug, indem er für den dauernden Fortbestand des Capitals Garantien liefert. Nach dem französ. Gesetze soll die gesetzliche Verpflichtung für Anlegung eines Reservefonds nur bis zu 1/10 des Capitals gehen; dies erscheint aber zu niedrig, da 1/10 in jedem Jahre verloren gehen kann, somit der Reservefond leicht in jedem Jahre aufgezehrt werden könnte. Eine länger dauernde Versicherung kann nur bei höherem Betrage der Reserve erlangt werden, wesshalb der Entwurf ihn auf 1/4 des Capitals festsetzte.
In den englischen Normalstatuten Art. 74, und ebenso im deutschen H. Gesetzbuch Art. 217 ist die Ansammlung eines Reservefonds als facultativ erklärt. Indessen entspricht diese Ansammlung dem allgemeinen Gebrauche, und es würde von vorneherein Misstrauen im Pnblicum gegen eine Gesellschaft erwecken, die diesen Gebrauch nicht beobachtete. Dieselbe kann daher unbedenklich als obligatorisch erklärt werden.
Den Statuten muss es überlassen bleiben zu bestimmen, wie es mit Dividenden gehalten werden soll, die nicht eingefordert werden, an welchen Orten die Auszahlung stattfinden soll u. dgl. Nach den englischen Normalstatuten werden solche Dividenden nicht verzinst und nach Ablauf von 3 Jahren zum Besten der Gesellschaft eingezogen. Auch können etwaige Forderungen der Gesellschaft gegen einen Actionär mit fälligen Dividenden compensirt werden.
Art. 271. Die Bestimmung dieses Artikels erklärt sich aus den vorhergehenden Erläuterungen. Besonders wichtig ist die Bezug nähme auf Art. 268, welcher drei Bedingungen für den rechtmässigen Bezug von Dividenden aufstellt: 1, die Anfertigung der Rechnung und Bilanz durch die Directoren; 2, die begutachtende Prüfung derselben durch den Aufsichtsrath, wenn derselbe besteht; und 3, die Genehmigung durch die Generalversammlung. Dass diese formellen Vorbedingungen auch die Beobachtung der im Art. 269 und 270 -gezogenen Schranken von selbst in sich schliessen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wenn auch nur eine der 3 genannten Bedingungen fehlt, ist die Auszahlung von Dividenden ungesetzlich und kann zurückgefordert werden. Die Begrenzung des Rückforderungsrechtes auf 3 Jahre rechtfertigt sich dadurch, dass die Sicherheit von Einnahmen nicht auf zu lange Zeit hinaus in der Schwebe bleiben darf. Uebrigens wird durch die Erfüllung der genannten Bedingungen immerhin mehr nur eine formelle Garantie gegeben. Für Rechnungsfehler und unrichtige Schätzungen ist Niemand verantwortlich, wenn sie nicht aus grober Nachlässigkeit oder böswilliger Absicht herrühren. Solche Versehen können auch von Directoren und vom Aufsichtsrath begangen werden, oder man kann über ihre Ansätze und Berechnungen verschiedener Meinung sein. Am wenigsten wird man von der Generalversammlung ein genaues Nachrechnen verlangen dürfen. Directoren und Aufsichtsrath bleiben also trotz der Genehmigung durch die Generalversammlung nur dann verantwortlich, wenn ihnen ein persönliches Verschulden nachgewiesen werden kann.
Art. 272, Jede Actie ist der anderen gleich, alle haben daher dasselbe verhältnissmässige Recht in Bezug auf Gewinn und Verlust. Dies schliesst aber nicht aus, 1, dass Actionäre als Directoren etc. noch eine besondere Vergütung in Tantièemen u. dgl. beziehen können; und 2, dass es verschiedene Classen von Actien geben kann, denen Statuten- und vertragsmässig besondere Rechte oder Vortheile eingeräumt werden. Z. B. kann gewissen Actien (Stammactien) eine gewisse Zinsenhöhe—wirklichen Gewinn vorausgesetzt—im Vorzug vor anderen Actien zugesichert sein; für gewisse Actien kann der Staat Zinsengarantie bis zu einer bestimmten Höhe geleistet haben u. dgl. Die Bestimmung des Art. 272 bezieht sich also nur auf die Antheilsrechte von Actien einer und derselben Art, und auf alle Actien nur insoferne, als nicht verschiedene Classen derselben bestehen.
Art. 273-274. Die Vorschrift dieses Artikels findet ihren Grund darin, dass den Verhältnissen und der Geschäftsführung der Actiengesellschaften die möglichste Publicität gegeben werden muss. Die Befugniss der öffentlichen Einsichtnahme auf eine bestimmte kurze Zeit im Jahre zu beschränken, wie z. B. in französ. Gesetze von 1867 Art. 35 geschehen ist, besteht kein Grund. Uebrigens ist die allgemeine und unbeschränkte Einsichtnahme von gerichtlich deponirten Documenten auch in diesem Gesetze Art. 63 gestattet. Die jährliche Suspendirung dieser Oeffentlichkeit erklärt sich analog wie die ähnliche Bestimmung in Art. 215.
§ 13. Untersuchung der Gesellschaft.
Art. 275. Nach dem englischen Gesetze von 1862 Art. 56 und 60 kann sowohl die Generalversammlung, als auch das Handelsamt auf Antrag einer den 5. Theil des Gesellschaftscapitals repräsentirenden Zahl von Actionären Inspectoren ernennen, welche den Zustand der Actiengesellschaft zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten haben. Nach dem französ. Gesetze von 1867 Art. 32 sind Commissäre zum Zweck der Untersuchung des Zustandes der Gesellschaft in jedem Jahre durch die Generalversammlung, eventuell durch den Präsidenten des Handelsgerichts zu ernennen. Der Entwurf stellt sich auf den gleichen Standpunkt, indem er, insbesondere nach dem Muster der Bestimmungen des englischen Gesetzes, dem Gerichte auf Antrag einer genügenden Zahl von Actionären die Befugniss einräumt, eine Untersuchung des Zustandes der Gesellschaft zu veranlassen. Diese Befugniss wird dem Gerichte, und nicht den Verwaltungsbehörden, ertheilt, weil dies dem ganzen in dem Entwürfe befolgten System entspricht, und weil es von hohem politischen Werthe ist, die Einmischung der Verwaltungsbehörden in die Rechtsverhältniss der Unterthanen möglichst zu vermeiden; auch wird es sich hier meist um ein Vorstadium des Bankerotts oder einer Anklage gegen die Directoren etc. handeln, welches am zweckmässigsten in die Hände des Gerichts gelegt wird. Dies soll wenigstens für solche Gesellschaften die Regel sein, die überhaupt von der Verwaltung unabhängig sind. Für andere Gesellschaften bestimmt der Art. 279 entsprechend ihrer Stellung zur Regierung.
Art. 276. Soll die im vorhergehenden Artikel angeordnete Untersuchung von Erfolg und erschöpfend sein, so müssen die Inspectoren das Recht haben, in jeder Beziehung sowohl durch Einsichtnahme der Bücher und Schriften, als auch durch mündliche Nachforschungen Auskunft zu verlangen, damit über jeden zweifelhaften und verdächtigen Punkt Klarheit erlangt werde. Eine ähnliche, aber mehr beschränkte Befugniss haben auch die Mitglieder des Aufsichtsrathes, und sind dieselben namentlich zu einem eidlichen Verhör der Directoren und sonstigen Beamten nicht berechtigt, da diese Befugniss eine amtliche, insbesondere richterliche Autorität voraussetzt.
Man könnte nun wohl einwenden, dass entweder solche officiell oder von der Generalversammlung ernannte Inspectoren, oder ein ständiger Aufsichtsrath, dem Zwecke genügen, und die Cumulirung beider zu viel sein möchte. Diese Ansicht dürfte jedoch nicht richtig sein, und es sind auch im englischen Gesetze neben den Inspectoren noch ständige Auditoren zur Prüfung der Rechnungen angeordnet, welche nöthigenfalls vom Handelsamte (Board of Trade) ernannt werden. In der That sind beide Functionen wesentlich .verschieden. Die des Aufsichtsrathes besteht in der ständigen Ueberwachung der Geschäftsführung der Directoren, in der Prüfung ihrer halbjährlichen Rechnungen und sonstigen Geschäftsberichte und in der Stellung geeigneter Anträge an die Generalversammlung. Diese Ueberwachung und Prüfung geht regelmässig neben der Thätigkeit der Directoren einher, und dient als eine Sicherheit, dass die Directoren sich gesetzmässig und ordnungsmässig verhalten. Der Aufsichtsrath dient dazu, für die Generalversammlung ununterbrochen Wache zu halten und deren Beschlüsse vorzubereiten. Dies kann allerdings auch von der Generalversammlung selbst geschehen, und wird bei kleineren Gesellschaften häufig geschehen, und daher wurde die Wahl eines Aufsichtsrathes im Entwurf facultativ gemacht.
Die amtliche Untersuchung des Zustandes der Gesellschaft setzt dagegen, einen ausserordentlichen Zustand voraus, der zur Auflösung der Gesellschaft oder zur Anwendung energischer Heilmittel führen kann. Auch der Aufsichtsrath kann seine Pflicht versäumen, oder kann möglicher Weise nicht vorhanden sein; in solchen Fällen wäre die Gesellschaft schutzlos der Willkür ihrer Beamten preisgegeben. Es schien daher für alle Fälle rathsam, die Möglichkeit einer amtlichen Untersuchung der Gesellschaft offen zu halten.
Art. 277. Die Aufgabe der Inspectoren ist nichts weiter als Untersuchung und Berichterstattung darüber. Was weiter geschehen soll, ist nicht Sache der Inspectoren, sondern der Generalversammlung oder der Directoren, allenfalls auch der Gerichte, unter Umständen des Strafgerichtes. Für die Untersuchung ist nur erforderlich, dass ihre Resultate in authentischer Form hingestellt und allen Betheiligten zugänglich gemacht werden.
Art. 278. Die hier dem einschlägigen Ministerium ertheilte Befugniss eine Untersuchung einer Actiengesellschaft von Amtswegen, auch ohne Antrag Seitens der Actionäre eintreten zu lassen, wird durch die Berücksichtigung der öffentlichen Interessen gefordert, welche durch Missbräuche concessionirter Gesellschaften gefährdet sein können.
§ 14. Prozessführung gegen Directoren und Aufsichtsrath.
Art. 279. Directoren und Aufsichtsrath sind den Actionären in manchfacher Weise verantwortlich, und können von diesen wie jede andere Person vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Es versteht sich nun von selbst, dass wenn ein Rechtsstreit zwischen beiden Theilen ausbricht und nicht gütlich beigelegt werden kann, die Anrufung der Gerichte auf dem Prozesswege ermöglicht werden muss. Regelmässig wird die Actiengesellschaft durch ihre Directoren Prozesse führen. Wenn aber die Directoren selbst Partei sind, muss die prozessualische Vertretung der Gesellschaft in andere Hände gelegt werden, und es geschieht dies dadurch, dass entweder der Aufsichtsrath, oder besonders hiefür gewählte Personen bevollmächtigt werden. Dadurch hat die Gesellschaft es in ihrer Hand, prozessualische Vertretung denjenigen zu übertragen, zu denen sie das meiste Vertrauen hat. Wenn der Aufsichtsrath Partei ist, müsste ohnehin eine besondere Vertretung bestellt werden, da die Directoren in solchen Fällen meist sehr ungeeignete Vertreter sein würden. D. H. G. B. Art. 194.
Art. 280. Der vorhergehende Artikel handelt von dem Falle, wo die Gesammtheit der Actionäre betheiligt ist und die Generalversammlung als deren natürliches Organ aufzutreten hat. Es gibt aber auch Fälle, in denen nicht die Gesammtheit der Actionäre betheiligt ist, sondern nur einzelne oder eine gewisse Zahl derselben, oder in welchen die Generalversammlung aufzutreten ablehnte und den Einzelnen die Vertretung ihrer Rechte überliess. In allen Fällen, wo ein Actionär oder mehrere Actionäre von den Directoren zu einer Zahlung, oder zur Aufgebung eines Anspruches u. dgl. angehalten werden, können sie den Weg der Klage betreten, da sie der Willkür der Directoren nicht schutzlos preisgegeben sein dürfen. Der Artikel 251 bestimmt nun, dass wenn eine gewisse Anzahl von Actionären vereint Prozess führen wollen, sie zu diesem Zweck Bevollmächtigte ernennen können, obgleich es ihnen unbenommen bleibt, auch im eigenen Namen ihre Rechte durchzufechten. Es dient die erstere Bestimmung zur Erleichterung der Rechtsverfolgung durch Actionäre, da die sonst erforderliche Prozessvollmacht mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die gewählten Bevollmächtigten können dann in jeder Beziehung das gemeinsame Interesse ihrer Vollmachtgeber vertreten. Französ. Gesetz von 1867 Art. 17. 39.
Actionäre können sich endlich auch als Intervenienten an Prozessen in Gesellschaftssachen betheiligen. Deutsches H. Gesetzbuch Art. 195. Sie können mithin als Nebenpartei in einem solchen Prozesse auftreten, natürlich auf ihre Kosten, und dadurch persönlich auf den Ausgang des Streites Einfluss erlangen.
§ 15. Auflösung der Gesellschaft.
Art. 281. Die Fälle, in denen eine Actiengesellschaft sich auflöst, d. h. ihre Existenzberechtigung verliert und in ihre natürlichen Bestandtheile zerfällt, sind im allgemeinen dieselben, wie bei den anderen Gesellschaftsarten und rechtfertigen sich durch dieselben Gründe. Es kommt hier nur noch hinzu die Verminderung der Mitgliederzahl und des Gesellschaftscapitals unter ein gewisses zulässiges Minimum, weil durch ein solches Herabsinken unter das gesetzliche Minimum die natürlichen Voraussetzungen für den Bestand einer Actiengesellschaft zerstört werden.
Ob eine concessionirte Gesellschaft das Recht hat, sich vor der Zeit durch freiwilligen Beschluss aufzulösen, ist jedenfalls zweifelhaft. Soferne in der Concessions-Urkunde eine gewisse Zeitdauer als Bedingung gesetzt wurde, ist dies eine vertragsmässige Verpflichtung, von der sich die Gesellschaft nicht einseitig losmachen kann. Und dies wird schon dann anzunehmen sein, wenn überhaupt die Concession auf eine gewisse Reihe von Jahren ertheilt wurde. Ist in der Concession keine Zeitdauer bestimmt, so muss eine unbegrenzte Dauer der Concession angenommen werden, und es wird dies auch als eine vertragsmässige Verpflichtung der Gesellschaft gelten müssen, so dass nach der richtigeren Ansicht ein Auflösungsbeschluss einer concessionirten Gesellschaft ohne Genehmigung der Regierung nicht ausgeführt werden kann.
Würde umgekehrt die Concession von der Regierung entzogen, so wäre die Gesellschaft gezwungen, sich freiwillig aufzulösen, widrigenfalls sie durch richterliche Verfügung aufgelöst werden müsste, da von der Zeit an ihre Existenz ungesetzlich geworden wäre.
Art. 282. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf den gleichen Gründen wie die des Art. 142 für Collectiv-Gesellschaften, mit der Abweichung, dass der durch die persönliche Natur der letzteren bedingte Auflösungsgrund der Unverträglichkeit und Pflichtwidrigkeit für Actiengesellschaften wegfallen musste. Für Fälle der letzteren Art müssen die in den beiden vorhergehenden Paragraphen gegebenen Mittel der Abhülfe benützt werden.
Art. 283. Wie die Entstehung einer Actiengesellschaft, so kann auch deren Endigung nur durch die Erfüllung einer Reihe von Förmlichkeiten herbeigeführt werden. Die Auflösung, d. h. das Ende der rechtlichen Existenz der Actiengesellschaft tritt ein mit den in Art. 282 bezeichneten Thatsachen, allein die rechtliche Wirkung dieser Thatsachen bedarf einer förmlichen Constatirung und Veröffentlichung. Die Auflösung muss also förmlich erklärt, und sodann registrirt und publicirt werden. Der Auflösungsbeschluss der Generalversammlung entspricht dem Constituirungsbeschlusse mittelst Genehmigung der Statuten (Art. 190.) Dieser Beschluss muss in allen Fällen, gleichviel ob die Auflösung eine freiwillige ist oder nicht, von der Generalversammlung gefasst werden; weder die Directoren noch der Aufsichtsrath können die Auflösung auf eigene Faust beschliessen. Dieser Nothwendigkeit des Beschlusses entspricht die Verpflichtung der Directoren, die Generalversammlung für den Zweck der Beschlussfassung zu berufen. Wird diese Berufung unterlassen, oder fasst die Versammlung aus anderen Gründen nicht den gesetzlichen Auf-lösungsbeschluss, so tritt an seine Stelle die richterliche Verfügung, und zwar in allen Fällen, nicht blos im Falle des Art. 282 Ziffer 6. Diese richterliche Verfügung kann von Actionären oder anderen Interessenten beantragt, eventuell auch von Amtswegen getroffen werden.
Art. 284. In den nachfolgenden drei Artikeln werden die Folgen festgestellt, welche eintreten, wenn der gesetzliche AuflösungsBeschluss nicht gefasst, und die Gesellschaft der thatsächlich eingetretenen Auflösung zuwider als fortbestehend behandelt wird. In Art. 284 handelt es sich von der Verminderung der Mitgliederzahl unter das gesetzliche Minimum von 7. In diesem Falle trifft die Folge sämmtliche Actionäre, welche von nun an, vorausgesetzt dass sie von der Verminderung Kenntniss haben, als Collectiv-Gesellschafter haften. Diese dem englischen Gesetze von 1862 Art. 48. entnommene Bestimmung entspricht offenbar der Billigkeit, da wenn die gesetzliche Voraussetzung einer Actiengesellschaft hinweggefallen ist, und der gesellschaftliche Betrieb gleichwohl fortdauert, die beschränkte Haftung auf den Actienbetrag nicht mehr gerechtfertigt wäre.
Art. 285. Sodann haften Directoren, welche die Berufung der Generalversammlung nach eingetretener Auflösung oder die Registrirung des Auflösungsbeschlusses unterlassen, für den Schaden, den sie dadurch der Gesellschaft oder dritten Personen zufügen. Durch diese Versäumnisse werden andere Personen in die irrige Meinung versetzt, dass die Gesellschaft noch rechtlich fortdauert, und sie können in diesem Irrthum Rechtsgeschäfte eingehen, Actien erwerben oder veräussern. Wenn sie dadurch in Schaden kommen, muss er von den Directoren ersetzt werden. Auch müssen diese die Kosten tragen, welche durch die Anträge anderer. Person oder das Einschreiten des Gerichts an ihrer Stelle nach Art. 283 verursacht werden.
Art. 286. Die Bestimmung dieses Artikels erklärt sich von selbst aus dem Auf hören des Gesellschaftsverhältnisses und entspricht der analogen Bestimmung in Art. 145. Auch kann offenbar die Gesellschaft, nachdem sie rechtlich aufgehört hat, nicht mehr durch die Handlungen ihrer Directoren verpflichtet oder berechtigt werden. Die Geschäfte, welche die Directoren trotzdem fortdauernd für die Gesellschaft eingehen, sind daher für diese ungültig und unverbindlich, und die Directoren haben dritten Personen dafür einzustehen.
Art. 287-288. Auch diese Bestimmungen entsprechen den analogen Vorschriften für Collectiv-Gesellschaften (Art. 144. 146.). Es tritt hier aber die Verschärfung hinzu, dass wenn Liquidatoren von der Gesellschaft nicht rechtzeitig gewählt werden, das Gericht dieselben ernennt. Letzteres muss stets geschehen, wenn eine Gesellschaft bankerott wird oder durch Richterspruch aufgelöst wird, da in diesen Fällen das Interesse der Gläubiger und Actionäre strenger behütet werden muss. Im allgemeinen steht nichts im Wege, dass die Directoren auch zu Liquidatoren ernannt werden.
Art. 289. Obgleich die Liquidatoren an die Stelle der Directoren treten und deren Verwaltungsbefugnisse nunmehr auszuüben haben, ist dies doch nicht in dem ganzen Umfange der bisherigen Verwaltung der Fall, sondern nur für den Zweck der Abwicklung und Beendigung der Geschäfte der Gesellschaft. Die in Art. 286. gegebene Bestimmung ist daher ganz besonders auch von den Liquidatoren zu beachten. Die Eingehung neuer Geschäfte, und die Fortsetzung des bisherigen Geschäftsbetriebs über den Zweck der Abwicklung hinaus ist den Liquidatoren in allen Gesetzgebungen untersagt, da dies auf eine verdeckte Weiterführung der Gesellschaft, der gesetzlich eingetretenen Auflösung ungeachtet, hinausliefe.
Art. 290. Die in diesem Artikel genannten Kosten, wohin sowohl Gerichtskosten, als Registrirungsgebühren, Remunerationen der Liquidatoren und andere durch die Liquidations- und Auflösungsgeschäfte verursachte Kosten gehören, müssen nothwendig allen übrigen Ansprüchen an das Gesellschaftsvermögen vorgehen, da sonst eine Realisirung desselben gar nicht stattfinden könnte. Es ist dies derselbe Grundsatz, der auch für die Kosten des Concursverfahrens und in anderen ähnlichen Fällen durchweg gilt.
Art. 291. Die in Art. 283. und 285. ausgesprochene Verpflichtung der Directoren im Falle einer Auflösung wird hier noch dadurch Erweitert, dass sie auch dem Gerichte Anzeige zu machen haben, da das Gericht den Gang des Liquidations- und Auflösungsverfahrens zu überwachen hat, also davon rechtzeitig in Kenntniss zu setzen ist. Diese Verpflichtung entsteht mit der Auflösung, also dem Eintreten der in Art. 281 bezeichneten Thatsachen. Das Gericht wird die Anzeige zur Kenntniss nehmen, und kann Verfügung erlassen dahin, dass über den Gang der Auflösung von Zeit zu Zeit Bericht zu erstatten ist. Insbesondere wird der Auflösungsbeschluss und die Erwählung der Liquidatoren nach Art. 283. und 287. dem Gerichte anzuzeigen sein.
Art. 292. Die Actiengesellschaft dauert zwar auch nach der Auflösung noch einige Zeit hindurch fort, aber nicht mehr in ihrem vollen productiven Bestände, sondern nur für. die Zwecke der Liquidation. Mit der Auflösung ist der Gründungszweck zu Ende und damit auch jeder weitere Geschäftsbetrieb für die Erfüllung des Gründungszweckes. Ausserhalb der Zwecke der Liquidation muss die Gesellschaft als untergegangen angesehen werden, es kann daher auch das bisherige Rechtsleben der Gesellschaft nicht länger fortdauern. Daraus folgt, dass neue Actionäre nicht mehr eintreten können, und eine Verfügung über das Gesellschaftsvermögen nicht mehr stattfinden kann, soweit sie nicht den Zwecken der Liquidation dient. Hievon können nur aus besonderen Gründen vom Gerichte Ausnahmen zugelassen werden, die desshalb von den Directoren oder Liquidatoren beim Gerichte zu beantragen sind. Dies kann namentlich geschehen, wenn die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs als vortheilhaft erscheint, um das Gesellschaftsvermögen vor Verlust zu behüten.
§ 16. Liquidation der Gesellschaft.
Art. 293. Die Liquidation der Actiengesellschaften ist keine andere als die aller übrigen Gesellschaften; sie hat gleichfalls nur den Zweck, in unparteiischer Weise, unabhängig von den Sonderinteressen der einzelnen Theilnehmer, den vorhandenen Vermögensbestand zu ermitteln und flüssig zu machen, sämmtliclie Gläubigerder Gesellschaft daraus zu befriedigen, und den etwaigen Restbetrag des Vermögens unter die Gesellschafter zu vertheilen. Die wenigen principiellen Vorschriften, welche hiefür von der Gesetzgebung aufgestellt werden müssen, sind in Bezug auf Actiengesellschaften nicht zu ändern. Jedoch müssen hier wegen der grösseren Wichtigkeit des Gegenstandes und aus Rücksichten vollkommener Oeffentlichkeit noch einige Zusätze und nähere Bestimmungen hinzutreten, welche in den nachfolgenden Artikeln zusammengestellt sind.
Art. 294. Es wird hier zunächst bestimmt, dass die speciellen Instructionen, die den Liquidatoren von den Gesellschaftern ertheilt werden können, und an welche dieselben gebunden sind, soweit sie keine Beschränkung der ihnen gesetzlich zustehenden Liquidationsbefugniss enthalten, (Art. 147) hier von der Generalversammlung ertheilt werden, also in der Weise wie überhaupt Beschlüsse der Actionäre zu Stande kommen. (Art. 240. 243.) Die Liquidatoren sind aber zweitens auch an Weisungen gebunden, die ihnen vom Gerichte ertheilt werden, und solche Weisungen können durch genügend motivirte Anträge von einzelnen Actionären oder von Gläubigern der Gesellschaft veranlasst werden. Diese Antragstellung muss man den Interessenten zugestehen, da die Generalversammlung nur über die Angelegenheiten der Gesammtheit Verfügung hat, einzelne aber sehr wohl, ebenso wie durch Prozess während des Bestandes der Gesellschaft, auch im Stadium der Liquidation besondere Interessen zu vertreten haben, die mit denen der Gesammtheit nicht zusammenfallen. Insbesondere muss man den Gläubigern dieses Recht einräumen, da ihre Interessen von denen der Actionäre nicht blos verschieden, sondern ihnen sogar entgegen gesetzt sind. Endlich sind die Liquidatoren auch an die für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen gebunden, und auf deren Grund können ihnen von dem Gerichte auch von Amtswegen Vorschriften und Mahnungen ertheilt werden. (Art. 38. 170 Engl. Ges. v. 1862)
Art. 295. Die Bestimmung dieses Artikels hat den Zweck, die Interessen der Gläubiger noch stärker und allgemeiner zu schützen, als es durch blosse Anträge bei Gericht (Art. 294) geschehen kann. Es kann auch die Massregel getroffen werden, und zwar freiwillig oder nach richterlicher Verfügung, dass die Gläubiger unmittelbar bei der Liquidation vertreten sein sollen. Hiedurch erlangen die Gläubiger das Recht, selbst Liquidatoren zu ernennen, welche die Liquidatoren der Actionäre zu controliren haben und ohne deren Mitwirkung und Genehmigung nichts geschehen kann. Solche Vertreter der Gläubiger werden übrigens die Stellung haben, welche ihnen ihr Mandat speciell verleiht. Sie können unter Umständen die ausschliessenden Liquidatoren sein, wenn die Generalversammlung dies beschliesst. Regelmässig aber werden sie nur neben anderen Liquidatoren fungiren, und gemeinsam mit diesen. Es kann übrigens auch vorkommen, dass die Gläubiger nicht förmliche Liquidatoren bestellen, sondern nur Vertreter ihrer Interessen in der Mitte der gesellschaftlichen Liquidatoren, welche an die letzteren Anträge stellen, von ihnen Auskunft verlangen und deren Thätigkeit überwachen können. Diese Befugniss muss den Gläubigern eingeräumt werden, da die Actionäre im Grunde auch nur Gläubiger sind soferne etwas an sie zur Vertheilung gelangt, und die Befriedigung der Gläubiger der der Actionäre jedenfalls vorgeht. Da bei Actiengesellschaften sehr bedeutende Passiven vorkommen können, und die Art der Abwicklung für ihre Befriedigung von grosser Bedeutung sein kann, so muss hier den Gläubigern mehr Einfluss eingeräumt werden, wie bei gewöhnlichen Partnerships. (Art. 135. Engl. Gesetz von 1862.)
Art. 296. Diese Bestimmung erklärt sich dadurch, dass die Liquidatoren ermächtigt sind, an Stelle der Directoren die Firma der Gesellschaft zu zeichnen, aber nur für die Zwecke der Liquidation.
Art. 297. Dieser Artikel will nicht besagen, dass den Liquidatoren nur die Aufstellung einer Liste der Gläubiger und Schuldner der Gesellschaft obliegt. Sie müssen vielmehr alles thun, was nach den Grundsätzen einer geregelten und verantwortlichen Geschäftsführung nothwendig ist, um den Zweck der Liquidation herbeizuführen. Sie müssen also vor allem ein Inventar des gesammten vorhandenen Vermögens der Gesellschaft an fertigen, eine Bilanz ziehen, und über alle ihre Handlungen Buch führen, wie es jeder commercielle Geschäftsführer thun muss. Die Aufstellung der Schuldner und Gläubiger wird ihnen nur besonders zur Pflicht gemacht, weil diese von hervorragender Wichtigkeit ist, und weil die Verpachtung des öffentlichen Aufrufes der Schuldner und Gläubiger sich daran anschliesst. Dieser öffentliche Aufruf, mit dem Hinweis, dass die Liste von allen Betheiligten eingesehen werden kann, ist nothwendig, um einen definitiven Abschluss des Schulden- und Vermögensstandes herbeizuführen, das Präjudiz des Ausschlusses für die sich nicht meldenden Gläubiger verwirklichen zu können. Dieses Präjudiz gilt übrigens nicht für diejenigen Ansprüche an die Gesellschaftsmasse, welche, wie Steuern und ähnliche öffentliche Zahlungen, unter allen Umständen zu berücksichtigen sind, und welche nach Art. 290 vorweg aus der Masse zu befriedigen sind. Um Unbilligkeiten zu vermeiden, wird es zweckmässig sein, die öffentliche Bekanntmachung mehrmals zu wiederholen, und eine geräumige Frist zur Geltendmachung von Forderungen anzusetzen. Gegen Schuldner, welche sich nicht freiwillig melden, oder welche die Existenz oder den Betrag ihrer Schuld bestreiten, wird wenn keine gütliche Einigung zu erreichen ist, auf dem Weg der Klage vorzugehen sein.
Art. 298. Dieser Artikel rechtfertigt sich dadurch, dass die Actionäre bis zum Betrag ihrer Actien der Gesellschaft verhaftet bleiben, und dass auch die nicht eingezahlten Beträge zum Activbestand der Gesellschaft gehören, welcher soweit es erforderlich ist, von den Liquidatoren flüssig gemacht werdep muss.
Art. 299. Die Liquidatoren haben ein generelles Mandat, und sind, in den Grenzen des ihnen ertheilten Mandats, ermächtigt, alles dasjenige zu thun, was zur Ausführung desselben nothwendig ist. Hierüber sind sie, soferne ihnen keine speciellen Weisungen ertheilt sind (Art. 294), im allgemeinen nur von ihrem vernünftigen und gewissenhaften Ermessen abhängig. Sie können die vorhandenen Vermögensstücke, auch Grundstücke, veraüssern, sie können ungetreue Directoren in Anklagestand versetzen und von diesen etwa veruntreute Gelder etc. zurückfordern, sie können Prozesse führen, auch Vergleiche und Compromisse abschliessen, alles unter der Bedingung, dass es der Gesellschaft und den Gläubigern vortheilhaft ist und durch die Umstände geboten erscheint. Sie werden aber klug thun, um etwaige Reclamationen und Anfechtungen zu vermeiden, in wichtigeren Angelegenheiten die Genehmigung der Generalversammlung zu erwirken und resp. bei ihren Geschäften vorzubehalten. Diese Genehmigung muss aber von ihnen eingeholt werden, wenn es ihnen vorher durch einen Beschluss der Actionäre zur Pflicht gemacht worden ist. Soweit dies aber nicht der Fall, oder soweit nicht wichtige Handlungen, wie z. B. Verzichte, Nachlässe etc. in Frage stehen, muss als Regel gelten, dass die Vollmacht der Liquidatoren unbegrenzt ist, jedoch unbeschadet der Verantwotlichkeit, die ihnen nach Art. 300 obliegt. Um die Actionäre gegen missbräuchliche Ausübung der Vollmacht der Liquidatoren zu -schützen, ist weiter angeordnet, dass auch schon eine gewisse Minderzahl der Actionäre die Einberufung einer Gen. Versammlung fordern kann.
Art. 300. Die Verantwortlichkeit der Liquidatoren gegen die Gesellschaft erklärt sich in derselben Weise wie die der Directoren (Art. 222 und 227.). Liquidatoren sind Mandatare und haben die Pflichten eines solchen zu erfüllen. Sie schulden der Gesellschaft Sorgfalt und Treue, wie sie jeder commercielle Geschäftsführer anwenden muss; sie haften daher für allen Schaden, den sie durch Arglist oder grobe Nachlässigkeit der Gesellschaft zufügen. Auch können sie von einzelnen Actionären wegen specieller Verletzung ihrer Rechte gerichtlich belangt werden.
Art. 301. Die Liquidatoren erhalten ihr Mandat von der Gen. Versammlung, sind also auch nur dieser, nicht den einzelnen Actionären verantwortlich, soweit die Interessen und Rechte der Gesammtheit in Frage stehen. Die Rechnungen, welche die Liquidatoren zu legen haben, sind daher der Gen. Versammlung zu erstatten.
Art. 302. Die Vertheilung des nach Berichtigung aller Schulden übrig bleibenden Vermögens erfolgt, ebenso wie bei den übrigen Gesellschaften, in Geld (Art. 150.). Dies muss für Actiengesellschaften um so mehr die Regel sein, als auch die Actien regelmässig nur in Geld einbezahlt werden. Eine anderweitige Verabredung ist zwar auch hier nicht ausgeschlossen, sie ist aber für die dissentirenden Actionäre nicht bindend. Dies ist im Entwurfe ausdrücklich für den Fall hervorgehoben, dass den Actionären statt Geld Actien oder Obligationen angeboten werden. Es kommt nämlich nicht selten vor, dass der ganze Bestand einer aufgelösten Gesellschaft von einer anderen entweder bereits bestehenden, oder zu diesem Zwecke neu sich bildenden Gesellschaft zu einem gewissen Total preise übernommen wird, und behufs Deckung dieser Entschädigung Actien oder Obligationen emittirt werden. Auch wenn die Gesellschaft ein solches Arrangement durch Mehrheitsbeschluss genehmigen sollte, ist doch der Actionär wenn er nicht freiwillig zustimmt, nicht daran gebunden, sondern kann Abzahlung in Geld verlangen. Niemand kann gegen seinen Willen gebunden sein, Mitglied einer Gesellschaft zu werden. Ein solches Arrangement würde nicht mehr Auflösung, sondern vielmehr Conversion sein; nach allgemeinen Grundsätzen kann aber eine Conversion gegen Niemanden zwangsweise durchgeführt werden. Dieser Grundsatz wird auch bei der Conversion von Staatsschulden beobachtet. D. H. G. B. Art. 215. Eine Ausnahme wird nur dann zu machen sein, wenn eine solche Conversion bereits von Anfang an in den Statuten als zulässig erklärt wurde, weil dann die individuelle Zustimmung jedes einzelnen Actienärs angenommen werden muss.
Art. 303—304. Die Bestimmungen dieser Artikel sind denen für andere Gesellschaften conform. (Art. 148. 152.)
Art. 305. Die Decharge besteht in der Entlastung der Liquidatoren von ihrer Verantwortlichkeit aus den Geschäften der Liquidation. Sie wird ertheilt von der General-Versammlung durch Genehmigung der ihr vorzulegenden Rechnungen und des gesammten Rechenschaftsberichtes über die Durchführung der Liquidation. Die Gen. Versammlung kann zum Zweck der genauen Prüfung aller Vorlagen eine Commission aus ihrer Mitte erwählen, welche dann darüber an sie Bericht zu erstatten hat.
Die Erledigung der Liquidation sammt der Ertheilung der Decharge ist nach den gewöhnlichen Regeln in das Handelsregister einzutragen und zu publiciren. Für diese Registrirung haben die Liquidatoren Sorge zu tragen. Art. 142. 143 Engl. Ges. v. 1862.
Mit der Eintragung der von der Gen. Versammlung ertheilten Decharge ist die Gesellschaft an ihrem Ende angelangt, indem alle auf ihr Vermögen bezüglichen Geschäfte erledigt sind und nunmehr die persönliche Verbindung der Mitglieder gegenstandslos geworden ist. Indessen ist die Liquidation selbst ein. besonderes Existenzstadium in dem Lebenslaufe der Gesellschaft, und dieses kann wiederum Verbindlichkeiten derselben erzeugen, die noch vor dem schliesslichen Auseinanderfall der Gesellschaft erledigt werden müssen. Diese Erledigung liegt gleichfalls der Liquidatoren ob, es dürfte nach dem Vorgänge des Engl. Gesetzes ein Zeitraum von 3 Monaten genügen. Ansprüche, welche auf die erste Aufforderung der Liquidatoren (Art. 297) angemeldet werden mussten, da diese durch die mit jener Aufforderung gesetzte Präclusivfrist ein für allemal ausgeschlossen sind, können in diesem Termine nicht mehr angemeldet werden, sondern lediglich solche, welche im Laufe und aus Anlass der Liquidation entstanden sind, mithin nicht früher angemeldet werden konnten. Ist nun auch diese Frist verstrichen, bez. weise die während derselben erhobenen Ansprüche bereinigt, dann ist die Gesellschaft am Ende ihres Auflösungsprocesses angekommen und sie gilt von da an als nicht mehr vorhanden. Zur etwaigen Befriedigung von Liquidationsansprüchen haben die Liquidatoren die erforderlichen Mittel zu reserviren.
Art. 306. Die Liquidation ist ein freiwilliges Verfahren und beruht auf der Voraussetzung, dass das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung sämmtlicher Gläubiger ausreicht. Diese Voraussetzung wird in der Mehrzahl der Fälle zutreffen, und überdies actives Vermögen zur Vertheilung unter die Actionäre übrig bleiben. Es kann aber auch das Gegentheil eintreten, und gerade Actiengesellschaften sind der Insolvenz verhältnissmässig stärker ausgesetzt, da ihre administrative Organisation doch trotz aller gesetzlichen Sicherungsmassregeln immerhin bis zu einem gewissen Grade eine unverantwortliche bleibt. Wenn nun die Insolvenz sich herausstellt, so muss an Stelle des Liquidations- das Bankerottverfahren treten. Beide sind hauptsächlich darin verschieden, dass bei ersteren die Gesellschaft, wie jeder Einzelne, der sein Geschäft aufgibt, die Verfügung über sein Vermögen behält, während sie durch den Bankerott an die Gläubiger und das Gericht übergeht. Aus dieser Grundverschiedenheit ergeben sich verschiedene Regeln im einzelnen, welche das Verfahren im Falle der Insolvenz in manchen Beziehungen anders gestalten. Die Liquidatoren haben die Pflicht, unverzüglich die Einleitung des Concursverfahrens zu bewirken, sobald sie von der Insolvenz Kenntniss erhalten, was meist schon im ersten Stadium, bei Anfertigung des Inventars und der Schuldner- und Gläubigerliste der Fall sein wird. Wenn die Insolvenz der Anlass der Auflösung war, dann müssen die Directoren bei ihrer an das Gericht zu erstattenden Anzeige (Art. 291) die Eröffnung des Bankerottverfahrens bewirken, doch kann der Antrag darauf auch von Actionären oder Gläubigern gestellt werden (Art. 283).
Da nach Eröffnung des Bankerotts die Vertheilung des Vermögens nur unter die Gläubiger nach den Regeln der Gemeinschaft stattfinden kann, folgt von selbst, dass alle anderweitig geleisteten Zahlungen in solchem Falle ungültig werden, und als irrthümmlich geleistete zurückgefordert werden können, um der gemeinsamen Mass einverleibt zu werden. Wenn die Liquidatoren wissentlich oder gar arglistig solche unzulässige Zahlungen machen, sind sie dafür persönlich verantwortlich.
Art. 307. Die Aufbewahrung der Handelsbücher (Art. 35. 151.) liegt auch den Actiengesellschaften ob, und es haben die Liquidatoren dafür zu sorgen, dass von der Gen. Versammlung ein Beschluss darüber gefasst und die Depositare erwählt werden. Es können die Liquidatoren selbst dazu erwählt werden und jedenfalls bleiben die Liquidatoren dafür verantwortlich, so lange die Gesellschaft nicht auf ihren Antrag die erforderlichen Beschlüsse gefasst und diese bei Gericht angezeigt sind.
Art. 308. Schliesslich empfiehlt es, das Endergebniss 1, dem Gerichte anzuzeigen, und 2, öffentlich bekannt zu machen. Diese Verpflichtungen entsprechen den gleichen bei der Eröffnung des Liquidationsverfahrens und dienen einmal dazu, den Liquidatoren die Erledigung aller nothwendigen Punkte einzuschärfen, und eine gerichtliche und öffentliche Controle darüber herbeizuführen. Die Anzeige, wie die Veröffentlichung, braucht nur in der Anführung der nackten Thatsachen zu bestehen ohne jegliche Weitläufigkeit und kann jeder einzelne Punkt mit wenigen Worten und Zahlen ausgedrückt werden. Eine zweckmässige Vorschrift ist endlich auch die der Mittheilung des Endberichtes an die Geschäftsfreunde der Gesellschäft, welche obgleich alle und jede Reclamationen nunmehr ausgeschlossen sind, doch ein Interesse haben von dem Resultate der Auflösung Kenntniss zu erlangen, und damit zugleich die Gewissheit, dass die Existenz der Gesellschaft in aller und jeder Beziehung aufgehört hat.
§ 17. Strafbestimmungen.
Art. 309-318. Die diesem Capitel beigefügten Strafbestimmungen rechtfertigen sich durch das öffentliche Interesse, welches der Beobachtung der gesetzlichen Control- und Sicherungsvorschriften in Bezug auf Actiengesellschaften innewohnt. Die mit Strafe bedrohten Personen sind hauptsächlich die Directoren, da ihnen die Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung nach der Vorschriften des Gesetzes obliegt: sodann aber auch die Liquidatoren und Gründer in den Grenzen der ihnen obliegenden Thätigkeit: in einem gewissen Falle (Art. 313) auch Mitglieder des Aufsichtsrathes, soferne diese an Täuschungen und Betrügereien in ihrer Stellung als Functionäre der Gesellschaft sich betheiligen oder solche allein begehen. Aehnliche Strafbestimmungen finden sich auch in den übrigen Actien-Gesetzgebungen.
Der Strafe unterliegt derjenige, der die Uebertretung begangen hat oder wer dazu Beistand geleistet hat. Die Geldstrafe hat der Schuldige aus seinem Vermögen zu bezahlen. Nur wenn ein persönliches Verschulden Niemandem zur Last gelegt werden kann, also ein casuelles Versehen vorliegt, muss die Strafe aus der Gesellschaftscasse entrichtet werden, da es im öffentlichen Interesse liegt, dass solche Uebertretungen nicht ungestraft bleiben, und durch die Erhebung der Strafe von der Gesellschaft ein indirecter Antrieb geschaffen wird, solche Versehen zu vermeiden, und die Gesellschaft auch für die Versehen ihrer untergeordneten Diener verantwortlich sein muss. Die Strafe ist in allen Fällen, soferne sie das Maximum der blossen Polizeistrafe überschreitet, Criminalstrafe und daher nach den Grundsätzen des Strafgesetzbuches zu verhängen und zu vollziehen. Nach den gleichen Grundsätzen findet auch, im Unvermögensfalle, die Umwandlung der Geldstrafen in äquivalente Gefängnissstrafen statt. Die Anklage ist eine öffentliche, kann daher von Jedermann, auch von Amtswegen, erhoben werden, und die Geldstrafe fällt dem Staate zu. Als Criminalstrafen werden diese Strafen auch in anderen Gesefzgebungen behandelt, z. B. in der deutschen und englischen, ebenso in der französischen nach dem Gesetze vom 24. Juli 1867 art. 15.16. 45. Die strengere Bestimmung, wornach nicht nur in eine bedeutend höhere Geldstrafe, sondern von Anfang an in Gefängnissstrafe oder in beide Strafen Verurtheilung eintreten kann, erklärt sich aus dem mehr betrügerischen und gefährlichen Character der darin verbotenen Handlungen. Die verhältnissmässige Verbindung beider Strafarten ist so zu verstehen, dass z. B. die Hälfte der Strafe in Geld, die Hälfte in Gefängniss zu büssen ist, also 250 Yen Geldstrafe und 1/2 Jahr Gefängniss, oder 3/4 Geldstrafe und 1/4 Jahr Gefängniss, also 375 Yen und 3 Monate Gefängniss u. s. f. Dagegen wäre eine Verbindung beider Strafen über das gesetzliche Maximum hinaus, z. B. 500 Yen und 1 Monat Gefängniss nicht zulässig, da hierdurch die Strafe im Ganzen stärker erhöht wurde, als das Gesetz es vörschreibt. Ueber die Höhe der Strafe innerhalb des Maximums und die verhältnissmässige Verbindung beider entscheidet das Ermessen des Richters je nach den Umständen jedes Falles.
Titel VII. Von Verträgen über Handelssachen.
Cap. 1. Verschiedene Arten von Verträgen.
Den Inhalt des VII. Titels bilden diejenigen allgemeinen Regeln über die Eingehung und die Rechtsfolgen commercieller Rechtsgeschäfte, welche in der deutschen Jurisprudenz als “allgemeines Obligationenrecht,” in der englischen unter der allgemeinen Bezeichnung “on contracts” abgehandelt werden. Auch in den neueren Handelsgesetzbüchern findet sich regelmässig ein besonderer Abschnitt über diesen Gegenstand, so im deutschen, italienischen, spanischen, obwohl meist, mit Ausnahme des deutschen, nur kurz und fragmentarisch gehalten, so dass in den meisten Fragen die Grundsätze des ordentlichen Civilrechts massgebend bleiben. Das letztere ist insbesondere für den französ. Code de comm. der Fall, in welchem ein besonderer Abschnitt über commercielle Contracte überhaupt nicht vorkommt.
Für den Entwurf eines Japanischen Handelsgesetzbuches erschien es aus verschiedenen Gründen nothwendig, diesen Titel vollständiger zu fassen, als es meist geschehen ist, schon deshalb, weil zur Zeit ein Civilgesetzbuch Japans nicht existirt und mithin die Handelsgesetzgebung nicht leicht und sicher aus dem Civilrechte ergänzt werden kann. Es finden sich daher in diesem Titel auch solche Grundsätze ausgedrückt, in welchen das Handelsrecht von dem Civilrecht nicht abweicht, und man war bestrebt, dem Inhalte dieses Titels eine gewisse Abrundung zu geben, so dass er in schwierigeren und bestrittenen Punkten, oder über allgemeine Principien, deren klare und sichere Erfassung für die richtige Beurtheilung unzähliger Detailfragen entscheidet, eine vom Civilrechte möglichst unabhängige Auskunft zu geben vermag.
Art. 319. Die Regel, dass Verträge sowohl ausdrücklich als stillschweigend abgeschlossen werden können, findet sich auch im Civilrechte, und überhaupt in dem Rechte jedes Volkes. Es erschien passend sie an die Spitze dieses Abschnittes zu stellen, theils um sie ausdrücklich auf das Handelsrecht auszudehnen, obwohl daran auch ohnedies kein Zweifel sein könnte, theils um den Begriff des Vertrages, welcher den Titel für die Entstehung der meisten Rechte und Verbindlichkeiten im Handel abgeht, sofort in das volle Licht zu stellen. Der Handel ist im wesentlichen Verkehr, Mittheilung,
Austausch von Gütern und Leistungen; der Verkehr geht aber zum weitaus grössten Theile in Rechtsgeschäften vor sich, die ihre Rechtsform in Verträgen finden. Der Vertrag ist ein Rechtsgeschäft, bei dem zwei Personen freiwillig betheiligt sein müssen, und zwar in der Weise, dass sie mittelst gegenseitiger Zustimmung ein Rechtsverhältniss unter sich hervorbringen wollen. Zu jedem Vertrage gehört mithin nothwendig Uebereinstimmung, Consens, über etwas das beiden Theilen genehm ist. Dieses Etwas, der Gegenstand der Uebereinstimmung ist auf der einen Seite ein Versprechen, d. h. die Uebernahme einer Verpflichtung, und auf der anderen Seite eine Acceptation oder Annahme, d. h. die Annahme des der Verpflichtung des anderen Theiles entsprechenden Rechtes. Sehr häufig ist aber die Verpflichtung (Schuld) nicht blos auf der einen, und das Recht oder der Anspruch (Forderung) auf der anderen Seite, sondern auf jeder Seite ist Schuld und Forderung zugleich; diese Verträge heissen zweiseitige Verträge, im Gegensatz zu der zuerst genannten einseitigen, bei welchen Schuld und Forderung immer nur auf einer Seite sieh befinden. Ein Darlehen z. B. ist ein einseitiger Vertrag, denn hier hat nur der Schuldner eine Verpflichtung, der Gläubiger seinerseits hat nur zu fordern. Dagegen ein Kauf ist ein zweiseitiger Vertrag, denn der Käufer ist schuldig den Preis zu bezahlen, und berechtigt, die Uebergabe der gekauften Sache zu fordern; und der Verkäufer ist berechtigt die Zahlung des Preises zu fordern und verpflichtet die gekaufte Sache dem Käufer zu übergeben. Obwohl diese Unterscheidungen ganz elementarer Natur sind, müssen sie doch fest und bestimmt erfasst werden, da sie in unzähligen Fällen als Leitfaden in dem Gewirre practischer Rechtverhältnisse dienen.
Der jeder Vertrag, mindestens auf einer Seite, eine rechtlich erzwingbare Verpflichtung hervorbringt, und jede Verpflichtung gleich kommt einer Verminderung des Vermögens, so ist klar, dass die Zustimmung, der Consens, beider Theile absolut nothwendig ist, und ohne sie kein Vertrag existiren und bindend sein kann. Die Zustimmung kann nun nur in einer Willenserklärung enthalten sein ; d. h. sie ist nur rechtlich wirksam, wenn sie dem anderen Theile äusserlich zn erkennen gegeben wurde und nicht. Die Willenserklärung beider Theile muss natürlich übereinstimmen, sonst ist sie unwirksam, wenigstens der Regel nach. Wenn der eine erklärt: ich verkaufe dieses Pferd für 100 D.; und der andere: ich kaufe es für 50 D., so ist kein Vertrag entstanden, denn ihre beiderseitigen Erklärungen stimmen nicht überein.
Der Entwurf spricht nun zuvörderst aus, dass die zur Entstehung eines Vertrages, und mithin von Forderungen und Verpflichtungen auf der einen oder anderen Seite, erforderliche Willenserklärung sowohl eine ausdrückliche als eine stillschweigende sein kann. Eine stillschweigende Erklärung ist immer dann vorhanden, wenn aus den äusseren Handlungen einer Person die Zustimmung entnommen werden kann, obgleich eine ausdrückliche, mündliche oder schriftliche Erklärung von ihm nicht abgegeben wurde. Hierüber ist des näheren noch in einem folgenden Artikel zu handeln. (Art. 326.) Hier wurde nur das allgemeine Princip aufgestellt, dass Niemand aus einem Vertrage berechtigt oder verpflichtet sein kann, der ihm nicht zugestimmt hat; dass aber diese Zustimmung sowohl aus den Worten als aus den Handlungen resp. Unterlassungen einer Person entnommen werden kann.
Es gibt noch andere allgemeine Erfordernisse, die hier nicht weiter erörtert zu werden brauchen, da sie dem Rechtsbewusstsein jedes Volkes von selbst eingeprägt sind. Verträge dürfen nämlich nichts ungesetzliches, unsittliches, physisch unmögliches zum Gegenstand haben. Die besondere Erwähnung dieser Erfordernisse erschien unnöthig. Dagegen wurde auf ein weiteres Erforderniss, nämlich das Vorhandensein eines Rechtsgrundes, später (in Art. 329) besonders hingewiesen, weil daran sehr bedeutende practische Consequenzen sich knüpfen.
Wenn die Handlungen einer Person als Willensäusserungen anzusehen sind, woraus vertragsmässige Rechte und Verpflichtungen entspringen können, so folgt, dass jeder für seine Handlungen Anderen gegenüber insoferne verantwortlich ist, als daraus obligatorische Beziehungen zu anderen Personen abgeleitet werden können. Diese Verantwortlichkeit setzt aber die allgemeine rechtliche Verantwortlichkeit voraus, ohne welche Rechtswirkungen überhaupt nicht entstehen kann. Daher können Unmündige, Wahnsinnige, bewusstlose Personen keine Verträge schliessen, weder durch Worte noch durch Handlungen; für das Handelsrecht kommt hinzu noch die specielle Unfähigkeit der Kinder und Ehefrauen. (Titel I) Es ist mithin klar, dass die bestimmtesten Worte und Handlungen keine Vertragswirkung haben, wenn Jemand für seine Worte und Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden kann; und anderseits, dass jeder der etwas sagt oder thut, woran das Recht eine bestimmte Wirkung knüpft, so angesehen werden muss, als habe er sich zu dieser Wirkung ausdrücklich bekannt und sie für seine Person übernommen.
Der Art. 319 ist mithin dazu bestimmt auf die allgemeinen Erfordernisse der Entstehung von Rechten und Verbindlichkeiten durch Verträge ein für allemal hinzuweisen. Der Inhalt desselben könnte auch kurz so gefasst werden: Die Zustimmung zu einem Vertrage muss von beiden Theilen erklärt werden; diese Erklärung kann sowohl ausdrücklich als stillschweigend geschehen.
Art. 320. Es werden nun auf Grund dieses allgemeinen Satzes hinsichtlich der Abschliessung von Verträgen über Handelssachen noch weitere Regeln über den Vertragswillen der Contrahenten aufgestellt. Der Wille, oder die Willenserklärung, was practisch auf dasselbe hinaus läuft, da nur der erklärte Wille von Bedeutung ist, muss sein:
1) übereinstimmend. Beide Theile müssen dasselbe wollen. Ohne Einigung kein Vertrag. Wann eine Einigung anzunehmen ist, wird im § 2 dieses Titels näher bestimmt.
2) wirklich. Ein im Scherz oder zum Schein erklärter Wille ist nicht bindend. Dies gilt namentlich von den sog. simulirten Geschäften, welche als solche unverbindlich sind. Ob unter der Decke eines simulirten Vertrages ein anderer gültiger Vertrag vorhanden sei, ist nach den allgemeinen Grundsätzen über die Entstehung von Verträgen zu beurtheilen. Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn das wirklich gewollte Geschäft ungesetzlich ist. Ebenso ist kein wirklicher Wille vorhanden, wenn seine Erklärung durch Irrthum, Zwang oder Betrug veranlasst worden ist. Auf Grund solcher Thatsachen kann jeder Vertrag als ungültig angefochten werden. Das Nähere hierüber ist den Regeln des Civilrechts zu entnehmen. Hier sei nur über den Irrthum bemerkt, dass er ein thatsächlicher, kein Rechtsirrthum sein muss; dass er entschuldbar sein, d. h. genügend gerechtfertigt und nicht selbst verschuldet sein muss; dass er sich auf den Gegenstand des Vertrages selbst beziehen muss, und nicht auf willkürliche Absichten und Vorstellungen einer Partei, z. B. auf die Motive zum Vertragsabschluss, auf die nützlichen Eigenschaften, die Jemand der Sache zuschreibt oder auf solche Eigenschaften, welche nicht zu dem vertragsmässigen Wesen des Gegenstandes gehören, für welche also der andere Theil keine Verantwortlichkeit zu übernehmen braucht. Wenn Jemand z. B. eine Arzenei kauft, in der Meinung krank zu sein, während er in Wirklichkeit nicht krank ist; öder indem er glaubt, dass die Arzenei ihn von einem Uebel befreien werde, während dieser Erfolg nicht eintritt; oder indem er die Qualität und Quantität für hinreichend hält, während sie es in Wirklichkeit nicht ist, in allen diesen Fällen könnte der Kauf wegen Irrthums nicht angefochten werden. Die Grenze zwischen wesentlichem und unwesentlichem Irrthum kann übrigens nur schwer durch eine abstracte Regel bestimmt, sie muss in den meisten Fällen vom Richter durch vernünftiges Ermessen aller Umstände gezogen werden.
3) bestimmt, Ein Vertrag ist bestimmt, wenn er über einen bestimmten Gegenstand, der ein nachweisbares rechtliches Vermögensinteresse gewährt, geschlossen ist. Beide Theile müssen wissen, was sie wollen, ein Wille, der keinem bestimmten Bewusstsein entspringt, ist unwirksam, da er zu unvollständig ist. Dies gilt namentlich von der Sache, die entweder generell oder speciell bestimmt sein muss; von der Art und dem Gegenstände eines Geschäfts, das einem Anderen aufgetragen wird, von dem Kaufpreis, der für eine Sache gezahlt werden soll u. s. w. Die Unbestimmtheit kann übrigens in vielen Fällen durch die Auslegung, die man der Willenserklärung gibt, oder durch das Eingreifen des Richters, oder durch Anwendung gewisser Rechtsregeln gehoben werden; z. B. durch die Regel, dass im Zweifel für den Schuldner, oder für die geringere Leistung zu entscheiden sei, oder es wird der Vertrag durch gewisse Kunst- oder Geschäftsregeln ergänzt. Im allgemeinen gilt der Grundsatz, dass jede Willenserklärung so zu nehmen sei, wie sie sich darstellt; dass mithin, wenn sie selbst keine Unbestimmtheit oder Zweideutigkeit enthält, auch keine solche künstlich hinein interpretirt werden darf. Hierauf beruht hauptsächlich das, was man den guten Glauben im Verkehr nennt, dass nämlich von jedem anzunehmen ist, dass er nur seinen wahren Willen und in der gewöhnlichen Weise wie Jedermann erklären wird, dass also jeder bei seinen Worten und Handlungen genommen werden darf.
Immerhin wird auch bei Anwendung dieser Regeln in vielen Fällen noch Raum für Zweifel und Streit übrig bleiben. Im Grunde hat jede Willenserklärung, wie jedes Gesetz, nur den Inhalt, den man ihr durch Auslegung gibt, und die Auslegung kann häufig, namentlieh bei entgegenstehenden Interessen, eine widersprechende sein. Daher stellt der Art. 320 noch die allgemeine Regel auf, dass der Inhalt von Vertragen über Handelssachen nach dem Handelsgebrauch und nach der vernünftigen Absicht von Handelspersonen auszulegen sei. Jeder Vertrag ist mithin so auszulegen, wie er gewöhnlich unter Kaufleuten verstanden wird und wie er vernünftiger Weise von Kaufleuten verstanden werden muss. Dies gilt sowohl von dem, was ausdrücklich in der Willenserklärung der Contrahenten enthalten ist, als was nicht darin enthalten ist, da man annehmen darf, dass man bei Handelsgeschäften sich nach dem richten wird, was der Handelsgebrauch mit sich bringt; und zwar sowohl der allgemeine, als der locale Gebrauch, oder die specielle Usance in gewissen Branchen. Es ist diese Regel aber auch auf den Geschäftsgebrauch einzelner Kaufleute auszudehnen. Man darf annehmen, dass ein Kaufmann so wie er es in einer Anzahl von Fällen oder gegenüber gewissen Personen gehalten hat, es auch in anderen gleichen Fällen und gegenüber anderen Personen halten werde. Soferne es sich um Erfüllung handelt, ist der am Erfüllungsorte geltende Handelsgebrauch massgebend.
Diese Auslegungsregel ist nicht blos auf“ Handelsgeschäfte zwischen Handelspersonen, sondern auch zwischen anderen Personen anzuwenden. Denn es kann kein doppeltes Handelsrecht geben, und wer sich auf Handelsgeschäfte einlässt, muss seine Handlungen und Erklärungen nach Handelsrecht beurtheilen lassen.
Art. 321. Dieser Artikel theilt die commerciellen Verträge einfach in schriftliche oder mündliche ein, je nachdem die ausdrückliche Willenserklärung mittelst der Schrift oder mittelst der Sprache erfolgt. Es ist dies eine Eintheilung, welche sich nur auf die äussere Form der Vertragsschliessung, und folglich auf die Zulässigkeit des Beweises, bezieht keineswegs auf die innere Natur der Contracte, und folglich auf die nothwendigen Erfordereisse der Gültigkeit derselben. Sie darf daher mit der Unterscheidung formeller und einfacher Contracte nicht verwechselt werden. Die Formalcontracte sind in dem neueren Rechte auch in der Regel schriftlich, aber nicht alle schriftlichen Contracte sind Formalcontracte. Die Englische Jurisprudenz bezeichnet als Formalcontracte die vor Gerichte abgeschlossenen (on matter of reccord), die gesiegelten und übergebenen Urkunden (deeds), die in der Regel auch gerichtlich eingetragen werden müssen, und die Umsatzpapiere (negotiable paper), wie namentlich Wechsel und Ordrebillets. Diese Formalcontracte haben das Eigenthümliche, dass der Grund der Gültigkeit in ihrer äusseren Form liegt, so dass sie durch sich selbst, ohne alle weiteren Voraussetzungen, verpflichtend sind. Die einfachen Contracte, die entweder schriftlich oder mündlich sein können, verpflichten dagegen nicht durch sich selbst, sondern nur wenn jede thatsächliche Voraussetzung, namentlich ein genügender Verpflichtungsgrund oder Rechtsgrund vorhanden ist. Aehnlich wird in der französischen Jurisprudenz zwischen actes authentiques, d. h. gerichtlich oder notariell aufgenommenen Contracten, und actes sous seing prive, einfachen schriftlichen Contracten unterschieden, obgleich hier der Unterschied sich mehr auf die Verschiedenheit der Beweismittel bezieht, die daher einfach entweder öffentliche oder Privaturkuuden sind. Eine gleiche Auffassung besteht in der deutschen Jurisprudenz. Der Unterschied zwischen Formalcontracten und einfachen Contracten ist auch im Handelsrechte wichtig, so namentlich hinsichtlich der Wechsel. Auch verlangt das Handelsrecht zuweilen die officielle Aufnahme oder wenigstens Beglaubigung von Contracten, wie z. B. von Gesellschaftscontracten (Art. 180.) Hiezu tritt als eine besondere Förmlichkeit noch die öffentliche Registrirung und Publicirung, die in höheren Graden, wie die gerichtliche oder notarielle Beurkundung, den Bedürfnissen öffentlicher Controle entspricht. Es ist jedoch nicht nöthig und auch kaum möglich, über diesen Unterschied zwischen Formal- und einfachen Contracten eine allgemeine Regel aufzustellen, weil die Erfordernisse und der Umfang der Formalitäten verschieden sind und nur bei der einzelnen Contracten, wo sie vorkommen, genügend festgestellt werden können. Dieser Punkt ist in dem zweiten Absätze des folgenden Artikels 322 vorgesehen.
Hier handelt es sich mithin nur darum festzustellen, dass die äusserliche Form der Vertragsschliessung schriftlich oder mündlich sein kann, und dass diese Form nur die Erklärung des Vertragswillens betrifft, alle materiellen Erfordernisse gültiger Vertragsschliessung aber hievon nicht berührt werden. Zugleich liegt in der Fassung des Artikels noch die weitere Regel, dass die Parteien zwischen der einen oder der anderen Form frei wählen können, soweit nicht das Gesetz Schranken zieht, also die schriftliche Errichtung zur Pflicht macht, wie es im Folgenden geschieht.
Art. 322. Ueber die Nothwendigkeit der Anwendung einer gewissen Form und zwar im allgemeinen der schriftlichen Form bei der Abschliessung von Verträgen sind die modernen Gesetzgebungen nicht durchaus übereinstimmend.
Das deutsche H. Gesetzbuch Art. 317 schreibt ausdrücklich vor, dass soweit nicht Ausnahmen ausdrücklich statuirt sind, die Gültigkeit der Verträge durch schriftliche Abfassung oder andere Förmlichkeiten nicht bedingt sei.
In England, und ebenso in den meisten Staaten von Nord-America, wurde schon seit dem 17. Jahrhunderte durch das sog. Statute of frauds für gewisse Contracte die schriftliche Errichtung zur Bedingung der Gültigkeit gemacht, insbesondere für alle Contracte, die nicht binnen einem Jahre vom Datum des Contracts erfüllt wurden, für alle Bürgschaften, und für alle Kaufverträge, deren Gegenstand 50 D. oder mehr beträgt, wenn sie nicht unmittelbar wenigstens von einer Seite ganz oder theilweise erfüllt werden.
In Frankreich müssen nach dem Code civil Art. 1341 alle Verträge, deren Gegenstand den Werth von 150 fr. (30 D.) übersteigt, schriftlich errichtet werden. Für Handelsgeschäfte sind gewisse Ausnahmen von dieser Regel zugelassen, so für Kaufgeschäfte (Cod. comm. art. 109) und für commercielle Genossenschaftsverträge (en participation art. 49), jedoch mit der Beschränkung, dass der Richter den Zeugenbeweis nach seinem Ermessen zurückweisen kann, wodurch indirect die schriftliche Errichtung den Parteien zur Pflicht gemacht ist.
Im Italien (H. Gesetzbuch Art. 92. 93) ist bestimmt, dass der Mangel der Schriftlichkeit, da wo sie vom Gesetze ausdrücklich vorgeschrieben ist, einen Vertrag ungültig macht, und dass der Beweis durch Zeugen in allen anderen Fällen vom Richter nach seinem Ermessen zurückgewiesen werden kann, womit gleichfalls indirect in den meisten Fällen die schriftliche Abfassung der Contracte nothwendig gemacht ist.
Im Spanischen H. Gesetzbuch Art. 235. 237. ist die schriftliche Errichtung für alle Verträge vorgeschrieben, mit Ausnahme derjenigen, deren Gegenstand den Werth von 1000 reis nicht übersteigt. Die letztere Summe wurde durch ein Gesetz von 1870 für Geschäfte auf Messen und Märkten auf den Betrag von 3000 reis enhöht.
Das holländische Gesetzbuch enthält über diese Frage keine Bestimmung; es kommen daher hierüber die Bestimmungen des Civilrechts zur Anwendung und zwar des französ. Code civil, dessen Gültigkeit durch ein Decret von 1810 auf das Königreich Holland ausgedehnt wurde, nachdem er schon 1807 in einer Holländ. Bearbeitung in diesem Staate eingeführt worden war.
Es zeigt sich sonach, dass die schriftliche Abfassung der Verträge in den meisten Gesetzgebungen zur Regel erhoben ist. Eine Ausnahme hievon macht nur das deutsche Gesetzbuch, was auf die Einwirkung der Grundsätze des römischen Rechts zurückzuführen ist. Dieses Recht gehört aber einer Zeit an, in welcher der Gebrauch der Schrift und die Kenntniss des Schreibens und Lesens im Volke nicht verbreitet war, wesshalb bei den Römern gewisse Förmlichkeiten der mündlichen Vertragsschliessung unter dem Namen der stipulatio die Regel bildeten.
Die Ausnahme der deutschen Gesetzgebung ist durch die Erfahrung nicht bewährt. Es finden vielleicht nirgends mehr Prozesse statt als in Deutschland, und in den weitaus meisten Fällen dreht sich der Streit um Thatsachen, ein Beweis, dass die Formlosigkeit der Verträge ihrer Unbestimmtheit und Anfechtbarkeit einen höchst bedenklichen Vorschub leistet.
Mit der schriftlichen Abfassung der Verträge sind grosse Vortheile verbunden. Einmal wird dadurch der erforderliche Beweis den Parteien von Anfang an in die Hand gegeben und dadurch die muthwillige und unehrliche Bestreitung übernommener Verpflichtungen in hohem Grade verhindert. Und sodann erhöht sie die Bestimmtheit und Vollständigkeit der Vertragschliessung, und gibt dem was die Parteien wollen und worüber sie übereingekommen sind, einen festen und klaren Ausdruck. Daher ist namentlich im Handel die schriftliche Abschliessung schon von selbst die übliche Form, und sehr viele Geschäfte werden derart abgemacht, dass eine schriftliche Aufzeichnung unmittelbar an die Stelle der mündlichen Abmachung tritt. Der Handel bedarf fester, unzweideutiger, sicherer Geschäftsformen und dies geschieht meist so, dass dem Berechtigten ein Document mit der Unterschrift des Verpflichten übergeben wird. Wenn man die Schriftlichkeit in der Weise ausdehnt, wie sie im Handel üblich ist und in Art. 323 festgestellt ist, so ist mit der Vorschrift der schriftlichen Vertragschliessung keine Belästigung verknüpft.
Der Entwurf ist demnach der Mehrzahl der Gesetzgebungen gefolgt und hat die Schriftlichkeit der Vertragschliessung als Regel vorgeschrieben. Zur schriftlichen Aufzeichnung muss noch die Uebergabe des Documents an den Berechtigten kommen; diese versteht sich von selbst, da sonst der Berechtigte nicht sicher wäre, davon Gebrauch machen zu können. Unter Uebergabe ist aber nicht eine Aushändigung im buchstäblichen Sinne zu verstehen; es genügt, wenn der Berechtigte das Document in seine Hände bekommt oder in Händen hat, nachdem der Verpflichtete seine Unterschrift darunter gesetzt hat. Ebenso ist gleichgültig, von wem der Inhalt des Documents und in welcher Form oder Sprache es geschrieben ist. Auch der Inhalt des Documents ist freigegeben, jedoch muss er selbstverständlich alle Punkte enthalten, die zum vollständigen und gültigen Abschluss eines Vertrages gehören. Die abgekürzten Kunstausdrücke, deren sich der Handel zu bedienen gewohnt ist, können auf solchen Documenten unbeschränkt gebraucht weredn. Es ist also die geschraubte, gehäufte, weitschweifige und für Laien unverständliche Ausdrucksweise keineswegs erforderlich, wie man sie oft in notariellen oder gerichtlichen Urkunden angewandt findet und deren sich auch heute noch namentlich die englischen Juristen mit einer gewissen Vorliebe bedienen.
Die in diesem Artikel vorgeschriebene Regel gilt für alle Verträge über Handelssachen. Es werden jedoch davon einige Ausnahmen zugestanden.
1. Verträge, deren Gegenstand den Werth von 50 Yen nicht übersteigt, können auch mündlich zu Stande kommen. Es sind dies die kleinen Geschäfte des Detailhandels und des gewöhnlichen Lebens, welche meist unmittelbar vollzogen werden und auch wenn dies nicht geschieht verhältnissmässig so unwichtig sind, dass das Sicherungsmittel der Schrift bei ihnen nicht vorgeschrieben werden muss. Natürlich können auch für solche Geschäfte die Parteien sich der Schrift bedienen, aber sie sind dazu nicht gezwungen. Die Summe, welche man als Grenze ziehen will, ist allerdings mehr oder minder willkürlich. Das englische Recht hat 10 lb St. gleich 50 D., der französische Code hat 150 fr., das ältere französische Gesetz 100 fr.; der spanische Code hat 1000 resp. 3000 reis; das Preussische Landrecht hat für reine Civilgeschäfte 50 Thaler als Grenze bestimmt. Die im Entwurfe angenommene Summe stimmt nominell mit der des englischen Gesetzes überein und sie ist desswegen etwas hoch gegriffen, um der Freiheit des formlosen kleinen Geschäftsverkehrs möglichst viel Spielraum zu lassen. Die Summe von 50 Yen ist in dem Sinne als coursirendes Geld des Landes zu verstehen, also in Papier (Kinsatsu.) Sollte aber die Metallcirculation wieder überwiegend werden und der Zwangscours des Papiergeldes wegfallen, so wären darunter Silber-Yen zu verstehen.
2. Verträge brauchen nicht schriftlich zu sein, wenn sie un mittelbar erfüllt werden. Die Erfüllung ersetzt die Schriftlichkeit, gleichviel wie gross der Werth des Gegenstandes sein mag. Wer ein Waarenlager kauft im Werthe von 1000 D., aber es sofort übernimmt und bezahlt, hat nicht nöthig darüber ein Document auszufertigen. Durch die Erfüllung wird der Vertrag beendigt, es bedarf daher keiner weiteren Sicherungsmittel für die Zukunft. Unter Erfüllung ist alles, aber auch nur das zu verstehen, was den Vertrag beendigt. Wenn die Erfüllung zwar unmittelbar beginnt, aber sich längere Zeit hindurch fortsetzt, oder von Zeit zu Zeit stückweise erfolgt, so ist dies keine Erfüllung im Sinne des Art. 322. Wenn also ein Vertrag nur theilweise erfüllt wird, oder wenn ein zweiseitiger Vertrag ganz, aber nur von dem einen Theile erfüllt wird, so wird dadurch die Schriftlichkeit nicht ersetzt. Der Grund liegt darin, dass ein Vertrag, der nicht vollständig erfüllt ist, fortbesteht und jederzeit in Zukunft bestritten und in seinen Einzelheiten angefochten werden kann. Der Entwurf folgt in dieser Beziehung nicht dem Vorgang des englischen Statute of Frauds, welches wenigstens für Kaufverträge die schriftliche Abmachung erlässt, wenn der Käufer auch nur einen Theil des Kaufpreises zahlt oder einen Theil der Waare empfängt, oder wenn ein Aufgeld oder dergleichen zur Bestätigung gegeben wird. Durch diese weite Ausnahme wird der Zweck der Regel nahezu vereitelt. Denn die Frage ist nicht blos, dass ein Vertrag, sondern welcher Vertrag, mit welchem Inhalte er abgeschlossen wurde; über diese Frage gibt aber das Factum der blos theilweisen, oder einseitigen Erfüllung keinen Aufschluss. Daher muss bei zweiseitigen Verträgen die Erfüllung beider Theile hinzukommen, um die Schriftlichkeit zu ersetzen. Hat nur ein Theil erfüllt, aber der andere nicht, so muss man annehmen, dass der letztere nicht bis zu dem Momente der entscheidenden Willenserklärung gekommen sei; denn bei den fraglichen Verträgen ist die schriftliche Willenseinigung vorgeschrieben, an deren Stelle aber die sofortige Erfüllung treten kann. Die Unmittelbarkeit der Erfüllung ist natürlich nicht buchstäblich zu nehmen, sondern nach den Gebräuchen des Verkehres und der vernünftigen Auffassung von Handelspersonen, wenn also die Erfüllung noch im Laufe des Tages oder so bald nachher erfolgt, dass kein Verzug anzunehmen ist, oder wenn nicht beide Theile im nämlichen Augenblicke erfüllen, muss es genügen.
Wenn die unmittelbare Erfüllung versprochen, aber nicht geleistet wird, wird dadurch der Mangel der Schriftlichkeit nicht gehoben; denn ein solches Versprechen ist nicht bindend, wenn es nicht sofort erfüllt wird.
Etwas schwieriger stellt sich die Frage, wenn Jemand die unmittelbare Erfüllung von Seite des anderen Theiles angenommen hat, aber seinerseits weder eine schriftliche Verpflichtung ausstellt, noch unmittelbar selbst erfüllt. Hier könnte man nämlich geltend machen, dass die Annahme einer Leistung die Anerkennung der Verpflichtung zur Gegenleistung nothwendig in sich schliesse, und dass es gegen den guten Glauben verstosse, wenn Jemand fremde Leistungen ohne eigene Verpflichtung sich aneignen könnte. Allein jene Anerkennung wäre immer nur eine stillschweigende oder höchstens eine mündliche, mithin nicht genügend, und solches unvollkommene und willkürliche Verfahren der Parteien ist nicht im Stande, den auf höheren und wichtigeren Principien der allgemeinen Rechtssicherheit und Wohlfahrt beruhenden Grundsatz der Schriftlichkeit umzustossen. Wer eine Leistung annimmt, ohne die Gegenleistung dafür zu geben, muss selbstverständlich die empfangene Leistung zurückgeben ; und wenn der zuerst Leistende dadurch in Schaden kommt, so hat er dies sich nur selbst zuzuschreiben, da er die gesetzliche Vorschrift der schriftlichen Abschliessung missachtete.
Eine selbstverständliche, oder richtiger keine wirkliche, und darum im Gesetz nicht besonders erwähnte Ausnahme tritt in allen denjenigen Fällen ein, wenn der Vertrag den Umständen nach gar nicht schriftlich errichtet werden kann. Hieher gehören 1, alle Verpflichtungen oder Ansprüche, die unmittelbar aus Handlungen entspringen, ohne dass eine ausdrückliche Vertragsberedung erforderlich wäre, also allo ihrer Natur nach nothwendig stillschweigenden Verträge, z. B. Forderungen von Agenten aus der Geschäftsführung oder aus Vorschüssen für Andere, Hotelrechnungen und überhaupt alle Ansprüche für thatsächliche Leistungen, wie z. B. für Stellvertretung, für Transport, für Rettung von Schilfen etc; und 2, solche Ansprüche, über welche im Drange der Noth oder aus besonderen Gründen kein schriftlicher Vertrag errichtet werden kann, z. B. Depositen, die wegen Feuersgefahr gemacht werden, oder die Ansprüche von Reisenden wegen Bewahrung ihres Reisegepäcks in Hotels; 3, solche Fälle, in welchen zwar ein ausdrücklicher Vertrag geschlossen werden könnte und auch häufig geschlossen wird, allein der Gegenstand der Leistung dem Werthe nach nicht bestimmt werden kann, insbesondere wenn die Leistung in einer Handlung oder in einer Reihe von Handlungen besteht, die an und für sich keinen objectiv darstellbaren Werth haben. Dies bezieht sich insbesondere auf die Anstellung von Hülfspersonen, Agenten, Mäkler u. s. w. Daher braucht z. B. der Auftrag an einen Mäkler, eine Waare in Werth von 1000 D. zu kaufen, nicht schriftlich gegeben zu werden, denn die Leistung des Mäklers besteht nur in der Vermittlung des Kaufes, einer rein persönlichen Thätigkeit, deren Werth sich nicht bestimmen lässt; wohl aber müsste der aufgetragene Kauf schriftlich abgeschlossen werden. Ebenso ist das Salair von Handlungsgehülfen in einer festen Geldsumme bestimmbar und von dieser Seite müsste daher ein Dienstvertrag schriftlich gemacht werden.
Der Cod. civ. Art. 1348 fasst alle diese Ausnahmen unter der gemeinschaftlichen Formel zusammen, wenn es dem Gläubiger unmöglich war, sich einen schriftlichen Beweis seines Anspruches zu verschaffen. Diese Formel deckt sieh aber nicht mit allen darunter gedachten und ausgedrückten Ausnahmsfällen, sie ist daher nicht nachahmenswerth. Es ist überhaupt nicht nothwendig, diese Ausnahmen besonders im Gesetz zu erwähnen, da solche Ausnahmebestimmungen schwierig sind und leicht missverstanden werden und anderseits überflüssig sind, wenn sie sich bei einigem Nachdenken und nach der Erfahrung des täglichen Lebens von selbst verstehen. Denn es ist in der That selbstverständlich, dass Verträge, die ihrer Natur oder den vorliegenden Umständen nach stillschweigend sein müssen, oder deren Gegenstand eine ausdrückliche Werthbestimmung nicht zulässt, auch nicht ausdrücklich und schriftlich geschlossen werden können. Daher bedürfen auch alle Ansprüche auf Schadensersatz keiner schriftlichen Anerkennung, denn sie entspringen stets aus einem Verschulden des anderen Theiles, worüber offenbar eine schriftliche Abmachung nicht stattfinden kann.
Der Cod. civ. Art. 1347 lässt noch die weitere Ausnahme zu, dass es auch schon genügen soll, wenn auch nur ein Anfang von schriftlichem Beweis vorgelegt werden kann, d. h. ein unvollständiger schriftlicher Beweis, welcher den erhobenen Anspruch wenigstens wahrscheinlich macht. Dies ist eine bedenkliche Bestimmung, da sie leicht zur Unbestimmtheit und Mangelhaftigkeit der schriftlichen Documente verleiten kann, und verdient daher keine Nachahmung.
Art. 323. Der Inhalt dieses Artikels ist dem Englischen Statute of frauds nachgebildet, er entspricht auch so sehr den Bedürfnissen und Gewohnheiten des Handelsverkehrs, dass er keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Es wird mithin unter schriftlicher Vertragsschliessung nicht blos die Abfassung förmlicher Vertragsurkunden verstanden; durch eine solche Vorschrift würde der Handel viel zu sehr belästigt und erschwert werden. Es darf vielmehr unter dem Erforderniss der Schriftlichkeit die Raschheit und freie Beweglichkeit der Handelsoperationen durchaus nicht leiden. Es genügt daher jedes schriftliche Dokument, wie es der Geschäftsgebrauch des Handels von selbst mit sich bringt, gleichviel ob geschrieben, gedruckt, litho-graphirt u. s. w., wenn cs nur den wesentlichen Inhalt der Verpflichtung enthält und die Unterschrift des Verpflichteten oder seines Stellvertreters trägt. Es genügen ferner auch mehrere getrennte Documente, z. B, mehrere Briefe oder Telegramme, welche zusammen das Ganze der Verpflichtung enthalten. Es genügt ferner ein solcher Inhalt des Documents, aus welchem nach Handelsgebrauch und der vernünftigen Absicht von Handelspersonen (Art. 320) der Gegenstand und Umfang der Verpflichtung erkannt werden kann. Jedoch ist immer nothwendig eine schriftliche Verpflichtung, zu welcher der andere Theil zustimmte, da ohne solche Zustimmung überhaupt kein Contract entsteht. Wenn also Jemand schreibt, dass er sein Pferd für 100 D. dem Adressaten verkaufen wolle, allein dieses Anerbieten wurde vom letzteren nicht oder nur unter Modificationen acceptirt, so kann aus jenem Briefe nicht gegen den Schreiber geklagt werden, da er eine blosse Offerte geblieben ist.
Der Stellvertreter kann nach allgemeinen Grundsätzen für den Principal unterschreiben; die Bevollmächtigung oder der Auftrag hiezu braucht nach den Erörterungen zu dem vorhergehenden Artikel nicht schriftlich gegeben zu werden. Manche Personen gelten nach juristischer Auffassung als Stellvertreter beider Theile, so ein Mäkler oder Auctionator. Es genügt daher die schriftliche Aufzeichnung einer solchen Person, um beide Theile zu verpflichten, ja es wird von der Englischen Jurisprudenz (Smith, mero. Law p. 499) sogar der Eintrag eines Mäklers in seine Bücher als genügend angesehen, wenn keine Schlussnoton ausgestellt werden, da die Bücher eines Mäklers in Bezug auf die von ihm vertretenen Parteien nicht als gewöhnliche Handelsbücher angesehen werden können.
Das Dokument braucht nicht nothwendig in dem Zeitpunkt geschrieben zu werden, in dem der Vertrag geschlossen wird ; es kann dies auch später sein, jedoch muss es immer vor dem Zeitpunkt der Geltendmachung eines Anspruchs geschehen sein. Statt der Unterschrift kann auch die blasse Beidrückung des Siegels etc. nach Landessitte genügen. Ob die Unterschrift geschrieben oder gedruckt etc. ist, macht keinen Unterschied.
Wenn beide Theile sich auf verschiedene Documente berufen, die in ihrem Inhalte nicht übereinstimmen, so ist kein schriftlicher Contract vorhanden, da es an der übereinstimmenden Willenserklärung der Parteien fehlt. Jedoch können blosse Versehen, Schreib- oder Rechenfehler ohne Schaden verbessert werden. Auch gilt die Regel, dass eine falsche oder mangelhafte Bezeichnung nichts schadet, wenn nur beide Parteien in der Sache wirklich übereinstimmen. Wenn also z. B. Jemand in einer Note den Verkauf seines Pferdes „ Hector” bestätigt, während von beiden Theilen das Pferd „Ulysses ” gemeint ist, so ist die Note immerhin ausreichend, um den Verkauf des Pferdes „ Ulysses ” zu beweisen.
Was eine vollständige Urkunde sei, ist nach den Umständen zu beurtheilen. Ein Kaufvertrag ist nur perfect, wenn beide Theile über den Preis übereingekommen sind. Allein der Preis braucht nicht nothwendig im Dokument zu stehen, wenn er von den Parteien nicht ausdrücklich verabredet wurde. Wenn die Parteien zum Tagescourse oder nach vernünftiger Schätzung kaufen wollten, so genügt die Berufung auf den Handelsgebrauch, auch wenn die Kaufsumme nicht schriftlich aufgezeichnet ist. Alles, was sich nach Handelsgebrauch oder vernünftiger und ehrlicher Weise von selbst versteht, braucht nicht im Dokument zu stehen. Unter Umständen kann das blosse Telegramm „ Acceptiren ” ausreichend sein, wenn der Inhalt der Offerte per Brief etc. vorgelegt werden kann und nach allem, was vorliegt, keine andere als diese Offerte unter dem Acceptiren gemeint sein könnte.
Art. 324. Es macht praktisch keinen grossen Unterschied, ob man sagt, der Mangel der Schriftlichkeit macht einen Vertrag nichtig, oder ein Vertrag könne nur schriftlich bewiesen werden. Denn was nicht bewiesen werden kann, das existirt nicht vor dem Richter, und ist daher im Streitfalle unter den Parteien ohne Wirkung. Daher werden im Span. Code Art. 238 beide Ausdrücke neben einander gebraucht; und im Engl. Statute of Frauds wird in verschiedenen Artikeln bald der eine bald der andere Ausdruck angewendet, nämlich: keine Klage kann erhoben werden, und : der Vertrag ist nichtig. Im franz. Code civil Art. 1341 ist die Regel der Schriftlichkeit nur als eine Beweisregel aufgestellt, aber es geht aus dem Zusammenhang der folgenden Artikel hervor, dass beim Mangel der Schriftlichkeit keine Klage vom Richter zugelassen werden darf: une demande ne sera pas recue. Nur der Unterschied besteht, dass auch ein nicht schriftlicher Vertrag gültig sein kann, wenn er freiwillig erfüllt wird, und dies ist, wie zu Art. 322 bereits ausgeführt wurde, auch im Englischen Gesetze zugelassen. Der Entwurf hat es vermieden, die absolute Nichtigkeit nicht schriftlicher Verträge auszusprechen, er lässt also die Gültigkeit solcher Verträge zu, wenn sie freiwillig von beiden Seiten erfüllt werden und darüber kein Streit zwischen ihnen entsteht. Denn es besteht kein Grund, das was die Parteien freiwillig unter sich abmachen, durch das Gesetz zu verhindern, da immer der Vertragswille über die Ansprüche und Verpflichtungen zwischen verschiedenen Personen entscheidet.
Die Bestimmung des Artikels 324 setzt also einen von dem Richter zu entscheidenden Streitfall voraus, und sie geht dahin, dass der Inhalt eines Vertrages, der schriftlich errichtet werden muss, auch nur schriftlich bewiesen werden kann. Daraus folgt, dass wer einen vertragsmässigen Anspruch dieser Art geltend macht, das Document, durch welches der andere Theil die Verpflichtung übernommen hat, produciren muss, und dass dieses Document, wenn es nur sonst nicht an Mängeln leidet, auch voll beweisend ist. Dasselbe gilt vom Gegenbeweis, der gleichfalls nur schriftlich geführt werden kann. Diese Regel gilt auch mit gewissen Ausnahmen, im französischen und englischen Recht, und ist im Ital. Gesetzbuch Art. 93 ausdrücklich ausgesprochen. Würde also Jemand behaupten, der Vertrag sei später abgeändert worden, oder er habe von Anfang an anders gelautet, so müsste dies schriftlich bewiesen werden. Ein Gegenbeweis durch andere Beweismittel ist nicht zulässig, weil sonst die Regel der Schriftlichkeit ihren Werth verlieren und vereitelt werden würde.
Diese Vorschrift bezieht sich nur auf den Inhalt des Vertrages, d. h. das wozu sich der eine Theil dem anderen verpflichtet hat, also den Inhalt der vertragsmässigen Willenserklärung, und zwar in der Haupt- und in Nebensachen, z. B. Bedingungen, Fristen, Erfüllungsort u. s. w.
Die Abänderung eines Vertrages betrifft dessen Inhalt und muss wie bemerkt, schriftlich bewiesen werden. Anders verhält es sich mit der Aufhebung eines Vertrages durch Zahlung, Verzicht, gegenseitige Uebereinkunft. Diese Thatsachen stehen ausserhalb des Inhaltes des Vertrages und bedürfen daher keines schriftlichen Beweises. Doch muss in letzterer Beziehung unterschieden werden. Eine Uebereinkunft, durch welche ein bestehender Vertrag aufgehoben und ein neuer an dessen Stelle gesetzt wird (Novation), ist immerhin ein Vertrag, der eine Verpflichtung erzeugt, und muss daher schriftlieh errichtet werden. Dagegen eine Uebereinkunft, welche einen bestehenden Vertrag einfach auf hebt, ohne einen neuen Vertrag zu begründen, erzeugt keine Verbindlichkeit zu einer Leistung von gewissem Werthe, er ist lediglich eine Thatsache, die den Vertrag beendigt, gleich der Zahlung oder Verjährung; diese Uebereinkunft braucht daher nicht schriftlich zu sein, sie kann auch durch Zeugen, durch den Eid oder durch sonst zulässigen Beweis bekräftigt werden. Immerhin ist es rathsam, möglichst für schriftlichen Beweis auch in solchen Fällen zu sorgen, also für eine Zahlung, Quittung zu verlangen, ein Abgehen vom Vertrag schriftlich zu machen u. s. w.
Der Entwurf führt ausserdem noch 3 Fälle an, in welchen der schriftliche Beweis oder Gegenbeweis nicht erforderlich ist:
1) die Auslegung eines Vertrages kann durch jede Art von Beweis begründet werden. Was Handelsgebrauch ist, wie der Vertrag vernünftiger Weise unter Kaufleuten zu verstehen sei, darüber können auch Zeugen, Sachverständige etc. vernommen werden. Es ist klar, dass über solche Fragen eine schriftliche Willenserklärung der Parteien nicht stattfinden kann, sie beziehen sich auf Umstände, die gänzlich ausserhalb der freien Zustimmung der Parteien liegen ;
2) die Anfechtung eines Vertrages wegen Irrthums, Zwangs oder Betruges besteht gleichfalls in der Behauptung von Thatsachen, welche nicht den Inhalt der Willenserklärung der Parteien bilden können ;
3) solche Thatsachen, auf welche im Vertrage selbst Bezug genommen ist, bilden nur äusserlich einen Bestandtheil des Vertrages, soferne sie darin erwähnt sind, allein sie können kein Gegenstand der Willenserklärung sein, weil sich über Thatsachen nicht pactiren lässt, an Thatsachen eine Willensbethätigung nicht möglich ist. Ich kann den Willen haben, eine gewisse Verpflichtung auf mich zu nehmen, ich kann aber nicht durch meinen Willen eine Thatsache wahr oder falsch machen. Ein schriftlicher Vertrag ist also keine Beweisurkunde in dem Sinne, dass dadurch Thatsachen bewiesen werden könnten; sondern der Beweis oder Gegenbeweis von nackten Thatsachen muss dem gewöhnlichen Beweise durch verschiedenartige Beweismittel überlassen bleiben.
Dies gilt vor allem für künftige Thatsachen, die in einem Vertrage erwähnt werden. Wenn z. B. im Vertrag lautet: Lieferbar nach Ankunft des Schiffes, so kann die Ankunft des Schiffes durch jedes Beweismittel, nicht blos schriftlich bewiesen werden.
Es gilt aber auch von vergangenen Thatsachen. Wenn z. B. in einem Briefe gesagt ist: Ihre Offerte vom 18. d. M. nehmen wir an, so kann bewiesen werden, dass eine Offerte gar nicht gemacht wurde. Oder wenn ein Vertrag mit einer Frau geschlossen wird und es darin heisst, dass deren Ehemann zu ihrem Handelsbetrieb seine Zustimmung gegeben habe, oder dass sie unverheirathet sei, so kann das Gegentheil durch jeden anderen Beweis erhärtet werden.
Die Anführung von Thatsachen in einem Vertrage ist also nicht als beweiskräftiges Geständniss anzusehen; die schriftliche Erklärung darüber wird zwar insoweit nicht ganz wirkungslos sein, als sie eine gewisse Vermuthung ihrer Wahrheit begründet, allein ihr Beweis oder Gegenbeweis ist auf die blosse Schrift nicht beschränkt.
Anders verhält es sich, wenn die Behauptung einer Thatsache wesentlich eine Willenserklärung oder eine Dispositionshandlung enthält. Dies ist der Fall, wenn der Empfang einer Zahlung bestätigt wird, oder die Thatsache eines Verzichtes, eines Zugeständnisses u. dgl. Eine schriftliche Quittung ist bindend, denn sie ist zugleich eine Willenserklärung; nur kann sie freilich auch wieder als thatsächlich unrichtig, oder wegen Irrthums etc. angefochten werden.
Von selbst versteht es sich, dass die Fälschung eines Vertragsdocuments durch jedes zulässige Beweismittel bewiesen werden kann.
Die Vorschrift des Art. 324 bezieht sich auf den Beweis eines Vertrages, dessen Gegenstand den Werth von 50 Yen übersteigt. Verschieden davon ist der Gegenstand einer Klage oder eines jeweiligen Anspruches. Wenn aus einem Vertrage über 100 D. nur für 40 D. eingeklagt werden, so muss dies gleichwohl mittelst schriftlichen Beweises geschehen, weil der Anspruch aus einem Vertrage über 100 D. entspringt. Ebenso ist zu urtheilen, wenn die Klage später auf einen niedrigeren Betrag beschränkt wird. Cod. civ. Art. 1343.
Das Franz. Gesetz Art. 1341 lässt auch gegen solche Klagen, die schriftlich bewiesen werden, ohne dass das Gesetz es verlangt, nur schriftlichen Gegenbeweis zu. Dies ist eine unnöthige Verschärfung des Grundsatzes der Schriftlichkeit, welche im Entwurfe nicht adoptirt worden ist. Der Zeugenbeweis ist zwar immer etwas verdächtig und gegenüber dem Urkundenbeweis von geringerem Werth. Allein ein Privilegium des Urkundenbeweises auch in solchen Fällen, in denen das Gesetz ihn nicht vorschreibt, sondern der freien Wahl der Parteien überlässt, erscheint nicht gerechtfertigt. Dagegen muss es dem gerechten Ermessen des Richters überlassen bleiben, wie hoch er die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen einer tadellosen Urkunde gegenüber anschlagen, oder ob er im Gegensatz zu einer solchen eine Partei zum Eide zulassen will.
Art. 325. Es wurde bereits bemerkt, dass der Entwurf nicht ausdrücklich die Ungültigkeit der nicht schriftlichen Verträge ausspricht, und daraus ist zu folgern, dass sie nicht gänzlich ungültig sind, sondern freiwillig erfüllt werden können. Diese facultative Gültigkeit ist allerdings keine obligatorische, aber sie bewirkt doch, dass die Erfüllung bindend ist und nicht beliebig, wie im Falle der Zahlung einer Nichtschuld, zurückgefordert werden kann. Um nun jeden Zweifel über diesen Punkt auszuschliessen, spricht der Artikel die Erfüllbarkeit nicht schriftlicher Verträge ausdrücklich aus, derzufolge die Leistungen der einen oder anderen Seite nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Es muss jedoch ein zweiseitiger Vertrag von beiden Seiten erfüllt werden, denn nur die Erfüllung selbst kann als ein genügender Ersatz .der schriftlichen Willenserklärung angesehen werden. Der in Art. 328 ausgesprochene Satz kann auf Verträge, deren Errichtung eine schriftliche sein muss, nicht bezogen werden. Dass die thatsächliche Erfüllung der schriftlichen Zustimmung gleich stehen muss, verlangt die öffentliche Treue und Glauben. Wer einen Vertrag ohne Schrift abschliesst, kann sich immer darauf berufen, dass der Vertrag nicht ernstlich gemeint und nicht zur vollständigen Existenz gediehen sei. Wer aber einen solchen Vertrag auch noch freiwillig erfüllt, und dadurch das frühere Wort zur That macht, der muss offenbar ernstlich gehandelt haben und der Vertrag muss für ihn vollständig existirt haben. Es kann ihm daher nicht gestattet werden, nachher wiederum davon zurückzutreten unter dem Vorwande, dass die Form der Schriftlichkeit gemangelt habe. Diesen Mangel konnte er bis zum Augenblick der freiwilligen Erfüllung geltend machen, aber nicht später. Durch diese Erfüllung hat er auf den Einwand des Formmangels unzweideutig verzichtet, und es kann nicht zulässig sein, einen einmal gemachten Verzicht einseitig wieder aufzuheben.
Der Erfüllung steht das nachträgliche schriftliche Versprechen gleich; das Bewusstsein der Anfechtbarkeit des früheren Vertragen in beiden Fällen vorausgesetzt. Code civil Art. 1338. Dies wäre ohnehin ein neuer schriftlicher Vertrag von unzweifelhafter Gültigkeit ; seine Wirksamkeit besteht aber ausserdem noch darin, dass der frühere Vertrag confirmirt, mithin das schriftliche Versprechen auf den früheren Vertrag zurückbezogen wird, soferne nichts anderes verabredet wird. Die Gültigkeit und Verbindlichkeit eines solchen Vertrages datirt sodann nicht von dem Datum des späteren schriftlichen Versprechens, sondern von dem Datum der ursprünglichen Vertragsschliessung. Es ist ein nachträgliches Versprechen ungefähr gleich einer später folgenden Ratihabition zu beurtheilen. Das Versprechen muss schriftlich sein, weil eine mündliche oder stillschweigende Verabredung, auch wenn sie wiederholt wird, der Regel des Art. 322 gegenüber in allen Fällen wirkungslos bleiben muss. Das Versprechen ist nicht gerade buchstäblich zu nehmen, sondern es genügt jede Erklärung, in welcher sich die Absicht den Vertrag zu erfüllen, der Wille durch den Vertrag gebunden zu sein, deutlich ausspricht. Die blosse Anerkennung der Thatsache des früheren Vertrages würde nicht genügen, da diese Thatsache wirkungslos bleiben muss, wenn nicht die Absicht der Erfüllung nachher in der noth wendigen Form ausgesprochen wird. Ob in einer Erklärung das eine oder das andere enthalten ist, muss Sache der richterlichen Auslegung bleiben. Z. B. die Worte: Ich bekenne..........schuldig zu sein, würden als Erfüllungsversprechen, dagegen die Worte: Ich bekenne......gekauft zu haben, wohl in den meisten Fällen als blosses factisches Zugeständniss aufzufassen sein.
Art. 326. Nachdem in Art. 318 gesagt ist, dass Verträge auch stillschweigend geschlossen werden können, geht der Entwurf nunmehr zur näheren Feststellung der stillschweigenden Verträge über.
Es muss hier zuerst vorausgeschickt werden, dass im Rechte Stillschweigen nicht den Gegensatz zu hörbarem Sprechen, sondern zur directen Erklärung überhaupt bildet. Man kann daher auch seine Zustimmung, ausser durch mündliches Sprechen, direct auch durch Geberden, durch Zunicken, durch Schreiben u. dgl. ausdrücken; in allen diesen Fällen würde nicht ein stillschweigender, sondern ein ausdrücklicher Vertrag anzunehmen sein.
Ein stillschweigender Vertrag ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn Jemand zwar nichts erklärt, aber doch so handelt, dass seine Zustimmung zum Vertrage vernünftiger Weise angenommen werden muss.
Eine solche Handlung ist zunächst das Nicht-Antworten auf ein Vertrags-Anerbieten. Dies ist zwar nur eine Unterlassung, eine blosse negative Handlung, aber im Rechte wird jede Unterlassung, soferne sie rechtlich ins Gewicht fallt, als eine Handlung angesehen. Negative und positive Handlungen stehen in der Regel juristisch einander gleich. Wann Nicht-Antworten als Zustimmung anzusehen sei, wird im folgenden Artikel bestimmt.
Es gehört hieher aber auch jede andere Handlung oder Unterlassung, von welcher man vernünftiger Weise nur annehmen kann, dass sie in der ernstlichen Absicht geschehen sei ein obligatorisches Verhältniss, also ein Gläubiger- oder Schuldverhältniss zu erzeugen. Dies ist nicht auf unerlaubte Handlungen, Delicte zu beziehen, da deren Rechtsfolgen keine freiwilligen sind, sondern unter den Gesichtspunkt der Strafe fallen. Es bezieht sich vielmehr nur auf erlaubte Handlungen, deren Folgen man freiwillig auf sich nimmt und vernünftiger Weise selbst will. Diese Folgen sind im Rechte äusserst manichfaltig, ebenso wie die Handlungen selbst, sie betreffen aber meist eine Gegenleistung, eine Entschädigung, eine Zurückerstattung, eine Verantwortlichkeit für eigenes Thun u dgl., und beruhen im allgemeinen auf dem Grundsatz, dass sich Niemand rechtswidrig zum Schaden eines Anderen bereichern und dass Niemand einen Anderen rechtswidrig benachtheiligen darf.
Daher ist die Annahme einer Leistung eine Handlung, welche vernünftiger Weise zur Zurückerstattung oder zu einer Gegenleistung verpflichten muss, da man, namentlich im Handel, die Absicht etwas rein zu verschenken nicht vermuthen kann.
Im Handel ist das Capital zur Erzeugung von Profit bestimmt, daher derjenige, der das Capital eines Anderen annimmt oder in Händen behält, regelmässig auch ohne Verabredung, Zinsen dafür zu entrichten hat.
Im wirthschaftlichen Verkehr geschieht regelmässig nichts umsonst, daher jeder, der Kosten, Auslagen, Arbeiten im Interesse eines Anderen aufwendet, dafür Ersatz und Verzinsen zu beanspruchen hat.
Wer für Andere thätig ist, muss darauf diejenige Sorgfalt verwenden, die überhaupt ein Kaufmann anzuwenden pflegt, da der Handelsverkehr nothwendig auf gegenseitigem Vertrauen und persönlichem Zusammenwirken beruht.
Ueberhaupt muss Jeder die Folgen seiner Handlungen strenge vertreten und ebenso die Folgen der Handlungen Anderer, die er an seine Stelle gesetzt hat; daher Jeder durch die Handlungen von Stellvertretern unmittelbar berechtigt und verpflichtet wird.
Die stillschweigende Vertragsschliessung durch sog. concludente Handlungen, d. h. solche, von denen man nothwendig auf die Absicht eines vertragsmässigen Willens schliessen muss, ist äusserst vielgestaltig und verzweigt sich durch alle Gebiete des Verkehrslebens, wesshalb sie bei unzähligen Einzelfragen zu Grunde gelegt werden muss. Ein allgemeines daraus abzuleitendes Princip ist auch, dass der Handelsgebrauch oder das, was gewöhnlich geschieht, sei es von allen oder von einer besonderen Person, oder in einem besonderen Handelszweig, als stillschweigender Vertragsinhalt präsumirt werden muss, da man schliessen darf, dass die Parteien, wie immer, so auch in dem betreffenden einzelnen Fall, an nichts anderes gedacht haben können, widrigenfalls sie es ausdrücklich erklärt haben müssten.
Eine stillschweigende Verpflichtung von allgemeiner Bedeutung ist auch die, dass man schuldig ist, ein Geschäft das man für andere angefangen hat, auch ordentlich zu vollenden, da man mit den Interessen Anderer nicht willkürlich umspringen darf, ebenso dass man zurückgeben muss, was man von einem Anderen unrechtmässiger Weise im Irrthum erhalten hat.
Diese Materie ist im französ. Code civ. unter dem Titel der Quasi-Contracte, jedoch nur unvollständig behandelt; in dem englischen Recht unter dem Titel: implied contracts. Manche dehnen das Gebiet der implied contracts sogar auf Delictsschulden aus, was aber entschieden zu missbilligen ist.
Art. 327. Bei den Römern galt schon der Satz: Stillschweigen gilt für Zustimmung, qui tacet consentire videtur, jedoch nicht absolut, sondern nur dann, wenn man vernünftiger Weise aus dem Nicht- Antworten auf Zustimmung schliessen darf. Dieselbe Regel gilt auch in der modernen Jurisprudenz, daher es strenge genommen auf die Beurtheilung der Umstände und Personen in jedem einzelnen Falle ankommen müsste. Dies ist jedoch nicht ausreichend, da die Beurtheilung oft zweifelhaft sein kann, und es ist jedenfalls wünschenswerth, eine feste Regel aufzustellen, welche schwankende Meinungen beseitigt und dem richterlichen Urtheil einen festen sicheren Boden bietet.
Der Entwurf stellt desshalb in Art. 327 die Regel auf, dass Stillschweigen auf ein Vertrags- Anerbieten, ausgenommen in gewissen Fällen, als Ablehnung desselben zu betrachten ist. Diese Regel beruht darauf, dass man im Handel nicht verpflichtet sein kann, auf jede Geschäftsofferte eine ausdrückliche Antwort zu geben, da in einem Geschäftshause täglich hunderte von Anträgen einlaufen können, von Fremden, Unbekannten, weit entfernt Wohnenden, von Projectenmachern, Schwindlern etc. Das Princip kann also nur sein, Offerten die man nicht annimmt, müssen als abgelehnt gelten; denn dadurch wird im Handelsbetrieb unberechenbar an Zeit, Kosten, Schreibereien etc. gespart, und die Schnelligkeit und Bestimmtheit der Geschäftsführung gefördert. Jedes Eingehen auf eine Vertrags- Offerte bedingt einen bestimmten Capital- und Arbeitsaufwand, das Risiko von Verlusten, die Theilnahme an gewissen speculativen Tendenzen und Operationen; alles dies ist von solcher Wichtigkeit, dass die Vermuthung der stillschweigenden Annahme von Offerten unmöglich aufgestellt werden kann.
Die Ausnahmen von der Regel beruhen auf der Erwägung, dass in gewissen Fällen sehr wohl aus dem Nicht- Ablehnen eines Antrags auf dessen Annahme geschlossen werden kann. Dieser Schluss wird stets dann gerechtfertigt sein, wenn man eine bestimmte Antwort erwarten kann und das gegenseitige Verhältniss ein derartiges ist, dass die Ablehnung des Antrages als Ausnahme, und dessen Annahme als Regel betrachtet werden darf. Wenn für die Annahme oder Zustimmung die Vermuthung spricht, dann muss diese Vermuthung durch ausdrückliche Ablehnung entkräftet werden, widrigenfalls sie durch Stillschweigen bestätigt wird. Als Rechtfertigungsgründe für diese Vermuthung stellt nun der Entwurf folgende drei auf, und zwar zwei specielle und einen allgemeinen, nämlich :
1. die besondere gewerbliche Stellung desjenigen, dem ein Vertrags- Anerbieten gemacht wird. Wenn diese Stellung eine solche ist, dass voraussichtlich jeder Antrag angenommen wird, theils weil das Recht eine Verpflichtung hiezu aufstellt, theils weil die Offeraten ein Gewerbe daraus machen solche Anträge anzunehmen und insbesondere ihnen zugehende Aufträge auszuführen, dann wird man mit Sicherheit auf stillschweigende Annahme des Antrages rechnen dürfen. Solche Personen sind namentlich Bankiers, Agenten, Mäkler, Spediteure, Frachtunternehmer, Versicherungsunternehmer und alle Gewerbe, welche sich dem Publicum im allgemeinen zur Besorgung von Aufträgen anbieten, und zwar unter feststehenden Bedingungen und nach fixen Geschäftsregeln, so dass weitere Verhandlungen und Willenserklärungen meist nicht mehr erforderlich sind. Wo diese Voraussetzung fehlt und ein Antrag mit ganz ungewöhnlichen, abweichenden Bedingungen gestellt wird, da wird auch für dessen Annahme keine Vermuthung begründet sein. Daher wurden im Entwurfe die Worte „ der Regel nach ” hinzugefügt, weil trotzdem Ausnahmsfälle denkbar sind, in welchen Stillschweigen nicht als Zustimmung anzusehen ist.
2. die ständigen Geschäftsbeziehungen beider Theile fallen unter denselben Gesichtspunkt wie die besondere Gewerbestellung, nur dass sie nicht das Publicum im allgemeinen sondern nur die speciellen Personen betreffen, um welche im einzelnen Falle es sich handelt. Wenn jemand gewohnt oder sogar verpflichtet ist, die Anträge eines anderen anzunehmen, oder wenn diese Gewohnheit von beiden Seiten auf Grund laufender Rechnung oder auch dahin gehender Verabredung geübt wird, dann muss gleichfalls Stillschweigen als Zustimmung gelten. Hieher gehören namentlich auch Agenten, Commissionäre, Schiffer, Gehülfen n. a.
3. Es kann aber auch ausserdem noch viele Fälle geben, in welchen Stillschweigen als Zustimmung angenommen werden muss. Im allgemeinen wird schon die Form des Antrages dafür einen Anhaltspunkt geben, je nachdem derselbe mehr als Anfrage oder als Auftrag erscheint. Wo es üblich ist einen Auftrag zu ertheilen, wird man auf Annahme und folglich auch auf stillschweigende Annahme rechnen, wo man aber erst anfragen muss, wird die Antwort auch für den Fragenden ungewiss sein und Stillschweigen muss dann der Regel nach als Ablehnung betrachtet werden. Darüber entscheidet der Handelsgebrauch, und die Kaufleute unter sich müssen soviel Geschäftskenntniss und Erfahrung besitzen, dass sie wissen, wann die Regel oder die Ausnahme anzunehmen ist. Soweit aber der Geschäftsgebrauch keine Anhaltspunkt gibt, muss man auf die Pflicht der Ehrlichkeit, auf Treu und Glauben recurriren. Man ist verpflichtet ausdrücklich zu antworten, wenn Stillschweigen irreführend wäre, besonders wenn es sich um grosse Werthobjecte handelt. Wer sich ehrlicher Weise darauf berufen kann, dass er unter den vorliegenden Umständen Stillschweigen als Bejahung nehmen musste, der wird, wenn ihn sonst kein Verschulden trifft, in der Vermuthung der Annahme gerechtfertigt sein, und auf den anderen Theil wird der Vorwurf der Verschuldung fallen, indem er die Antwort vernachlässigte oder gar absichtlich unterliess.
Wenn die Vermuthung für die stillschweigende Annahme streitet, dann ist regelmässig die volle und unbedingte Annahme zu vermuthen, und ebenso ist zu vermuthen, dass der Antragsteller seinerseits sich den gewohnten und wahrscheinlich bekannten Bedingungen des anderen Theiles fügt, soferne darüber nichts ausgedrückt ist. Werden also von einer oder der anderen Seite Bedingungen und Modificationen beabsichtigt, so muss darüber ausdrücklich verhandelt werden, soferne nicht auch auf deren stillschweigende Annahme Seitens des Offerenten gerechnet werden darf.
Art. 328. Dieser Artikel handelt von den Fällen, wo nicht nur das Anerbieten zu einem Vertrag, sondern sogar die sofortige Leistung von der anderen Seite erfolgt. Wird diese Leistung von der einen Seite zurückgewiesen, dann kann selbstverständlich kein Vertrag daraus entspringen und der Leistende muss die Folgen seiner einseitigen Handlung selbst tragen. Ebenso wenn die Leistung zwar angenommen wird, aber nur unter Protest, und dem anderen Theile unter Verweigerung der Zustimmung die Leistung zur Verfügung gestellt wird. Wenn aber eine solche ausdrückliche Ablehnung nicht erfolgt und die Leistung trotzdem angenommen und resp. behalten wird, dann muss dies als Annahme des Antrages gelten, denn vernünftiger Weise kann man eine Leistung nur annehmen, wenn man sich zur schuldigen Gegenleistung dafür verpflichtet. In der Annahme der Leistung liegt mithin die stillschweigende Erklärung der Verpflichtung zur Gegenleistung und bez. Rückerstattung. Wer eine Sache käuflich annimmt, verpflichtet sich dadurch zur Entrichtung des Kaufpreises; wer einen Vorschuss erhält, zur dereinstigen Wiedererstattung und zur Verzinsung. Jedoch ist dies nur ein stillschweigendes, kein ausdrückliches Versprechen, und insbesondere kein schriftliches Versprechen. Wo die schriftliche Vertrags-schliessung vorgeschrieben ist, kann die stillschweigende Verpflichtung, obwohl an sich ganz unzweifelhaft, nicht genügen, und wer die Beobachtung der schriftlichen Form unterlässt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn der Vertrag anfechtbar bleibt. Dieses Erforderniss der Schriftlichkeit wird aber wegfallen, einmal wenn auch der andere Theil nachträglich thatsächlich erfüllt (Art. 325), und sodann wenn der Vertrag zu denen gehört, die ihrer Natur nach stillschweigend geschlossen werden müssen oder doch gewöhnlich stillschweigend geschlossen werden, wie in den Bemerkungen zu Art. 322 ausgeführt wurde.
Art. 329. Jede Entstehung einer Forderung auf Seiten des Gläubigers ist ein Erwerb für diesen und eine Veräusserung oder Verpflichtung für den Schuldner. Es ist nun ein allgemeines Rechtsprincip, dass ein Erwerb nicht schon durch Vornahme eines formellen Erwerbsactes gemacht werden kann, sondern dass er auch noch in einem reellen Erwerbsgrunde seine materielle Rechtfertigung finden muss. Man pflegt in dieser Beziehung zwischen Titel und Grund oder Form des Erwerbs zu unterscheiden, obwohl man, namentlich in der französ. Rechtssprache, unter Titre vorzugsweise die einen Erwerbsact beglaubigende Urkunde zu verstehen pflegt, ebenso wie auch die englische Bezeichnung title deed gebraucht wird. So wird das Eigenthum regelmässig durch Uebergabe, Tradition, erworben; allein die Tradition allein genügt nicht, um das Eigenthum auf den neuen Besitzer wirklich zu übertragen, es muss noch ein genügender Rechtsgrund der Uebergabe, justa causa traditionis, hinzutreten, z. B. Kauf, Schenkung oder dergl. Der Rechtsgrund ist also die Substanz eines Rechtsgeschäftes, welches durch den hinzutretenden Titel zum Vollzug gebracht wird, und dessen Existenz der Leistung des einen an den anderen rechtliche Gültigkeit verleiht.
Ganz dasselbe gilt auch von dem vertragsmässigen oder obligatorischen Erwerbe. Man kann hier die äusserliche Vertragsschliessung, oder die übereinstimmende Willenserklärung, insbesondere das Versprechen etwas leisten zu wollen, als Titel bezeichnen. Dieser Titel genügt aber niemals, um eine Verpflichtung zu erzeugen, es muss in allen Fällen ein genügender Rechtsgrund hinzutreten, d. h. ein im Rechte begründeter Umstand, durch dessen Existenz die Schulderklärung eine wirkliche Schuld bewirkt. Die blosse Erklärung, einer Person 100 D. schuldig zu sein, ist nicht genügend, um die Schuld von 100 D. zu begründen. An sich sind dies blosse Worte, die zu nichts verpflichten; erst wenn ein Kauf, ein Darlehen, eine Miethe, eine Auslage u. dgl. vorliegt, um eine wirkliche Schuld von 100 D. zu begründen, sind die Worte bindend, und kann der Schuldner gezwungen werden, sein Versprechen zu erfüllen.
Rechtsgrund wird hier genannt, was die französische Jurisprudenz mit cause licite (Code. civ. art. 1108. 1131.), und die englische mit consideration zu bezeichnen pflegt. Es ist darunter alles zu verstehen, was den Erwerb auf Seiten des Gläubigers, und die Verpflichtung auf Seiten des Schuldners im Rechte genügend zu rechtfertigen vermag. Der Erwerb- resp. Verpflichtungsgrund muss rechtmässig und ausreichend sein. Da jede Leistung in der Regel eine Gegenleistung irgend welcher Art voraussetzt, so wird der Rechtsgrund immer in einem Aequivalent, in einem Vortheil oder Nachtheile bestehen; und zwar in einem Vortheile auf Seite des Schuldners, oder in einem Nachtheile auf Seiten des Glaubigers, wofür der erstere etwas zu geben, und der letztere etwas zu erhalten hat, soferne beides, Leistung und Gegenwerth, durch den Vertragswillen beider Theile zu einander in causale Beziehung zu bringen ist.
Unter dieser Voraussetzung ist es gleichgültig, ob der Schuldner selbst den Vortheil hatte, wofür die Verpflichtung eingegangen wird, oder eine dritte Person, und ob der Gläubiger oder eine dritte Person den bezüglichen Nachtheil litt; da insbesondere im Handelsrecht Obligationen auch für dritte Personen hervorgebracht werden können.
In dem Worte liegt schon, dass der Rechtsgrund legal sein muss, also den Gesetzen und der öffentlichen Ordnung nicht widersprechen darf. In der Regel verbieten die Gesetze nur solche Verträge, die keinen genügenden rechtmässigen Grund haben, wie namentlich Spielschulden, oder unmotivirte Schenkungen, oder denen ein unsittliches Verhältniss zu Grund liegt. Was unsittlich ist, kann niemals rechtmässig sein. Wer sich also z. B. für eine unsittliche Handlung oder gar für ein strafbares Vergehen etwas versprechen lässt, kann dieses Versprechen niemals geltend machen; diesem Versprechen würde es an dem Rechtsgrund fehlen.
Dass der Rechtsgrund ausreichend sei, bezieht sich nicht auf die Höhe des Gegenwerths, welche durchaus der freien Vereinbarung der Parteien überlassen bleibt, sondern nur auf das wirkliche Vorhandensein eines im Rechte als genügend anerkannten Werthes überhaupt. Eine verjährte Forderung z. B. ist gänzlich erloschen, durch sie kann daher ein neues Versprechen nicht mehr genügend begründet werden. Dagegen wären zeitweiser Aufschub der Geltendmachung, oder die Umwandlung einer Schuld in eine neue genügende Rechtsgründe. Eine blos sittliche Verpflichtung ist keine rechtliche, sie kann daher keinen genügenden Rechtsgrund abgeben. Ebenso wäre ein Versprechen aus blosser Zuneigung kein bindendes; dagegen ist die Absicht der Schenkung allerdings ein genügender Rechtsgrund, der eben weil es im Grunde an einer äusserlich ersichtlichen Gegenleistung fehlt, auch äusserst laxe behandelt wird.
Der Artikel 329 stellt nur die Vorschrift auf, dass ein Rechtsgrund vorhanden, nicht auch, dass er in dem Vertrage, und namentlich in dem Vertragsdocumente, ausgedrückt sein muss. Daher sagt auch der Code civil art. 1132, dass ein Vertrag trotzdem gültig sei, auch wenn der Rechtsgrund nicht ausgedrückt wurde. In dieser Allgemeinheit ist die Vorschrift zwar richtig, aber es kommt darauf an, dass sie richtig verstanden werde. Der Rechtsgrund bildet immer einen Theil des Inhalts eines Vertrages, da dasjenige, wozu eine Partei sich verpflichtet, von dem wofür sie sich verpflichtet, gar nicht getrennt werden kann. Bei solchen Verträgen, deren Inhalt nur schriftlich bewiesen werden kann und die schriftlich errichtet werden müssen, kann mithin auch der Rechtsgrund nur schriftlich bewiesen werden, daher muss bei ihnen das Vertragsdocument auch den Rechtsgrund angeben, wenn der Vertrag bindendsein soll. Es gibt aber gewisse Vertrags- Documente, wie namentlich Wechsel und Ordrepapiere, bei welchen die Form des Papiers, also z. B. die Wechselform die Angabe des Rechtsgrundes ersetzt. Hier muss es mithin genügen, wenn nur ein wirklicher Rechtsgrund vorhanden ist, auch wenn er in dem Papier nicht ausgedrückt ist. Allein wenn in solchen Fällen ein Rechtsgrund überhaupt nicht vorhanden ist, kann der Vertrag aus diesem Grunde als ungültig angefochten werden.
Art. 330. Eine einem Vertrage beigefügte Bedingung ist eine derartige Beschränkung einer vertragsmässigen Willenserklärung, dass deren Verbindlichkeit ungewiss wird, indem sie von dem zwar möglichen, aber ungewissem Eintritt oder Nichteintritt eines gewissen Ereignisses abhängig gemacht wird. Eine Bedingung kann auf eine in der Macht des einen oder anderen Theiles liegende Handlung oder Unterlassung oder auch auf ein zufälliges Ereigniss gerichtet sein; es kann auch beides mit einander verbunden sein. Um Bedingungen richtig zu verstehen, muss man zwei Punkte nicht ausser Acht lassen, nämlich : 1, sie sind ein Bestandteil des Vertrages, und daher ganz den Vorschriften der Vertragsschliessung unterworfen; eine Folge davon ist, dass unmögliche, ungesetzliche oder unsittliche Bedingungen den Vertrag selbst nichtig machen ; 2, sie sind eine Beschränkung des Vertrages und werden daher nicht vermuthet, andererseits im Zweifel einschränkend ausgelegt, sie sind eine freiwillige Beschränkung, und von den Parteien dem an sich nothwendigen Inhalt des Vertrages mittelst freier Entschliessung hinzugefügt. Sie sind daher von dem nothwendigen gesetzlichen Inhalte eines Vertrages, insbesondere der zweiseitigen Verträge, bei welchen Leistung und Gegenleistung sich von selbst gegenseitig voraussetzen, und eine ohne die andere nicht denkbar ist und überhaupt von dem Rechtsgrund der Verträge strenge zu unterscheiden. Es gibt zwar auch Bedingungen, die das Gesetz selbst, und nicht erst der freie Wille der Parteien aufstellt—wie z. B. dass die Actienzeichnung Einzelner nur verbindend ist, wenn das Actiencapital voll gezeichnet wird—dies sind aber Ausnahmen, und in der Regel entspringt die Bedingung der freien Uebereinkunft der Parteien, indem dadurch einer Seite ein weiterer Vortheil zugesichert, oder der anderen Seite ein weiterer Nachtheil auferlegt werden soll.
Alle Bedingungen haben das Eigenthümlichen die dass sie Vertrags-Erfüllung oder Nichterfüllung vom Zufall oder vom freien Willen der Parteien abhängig machen. Da für den Zufall und für seinen freien Willen Niemand verantwortlich gemacht werden kann, so folgt, dass bei bedingten Verträgen Niemand für Nichterfüllung verantwortlich ist und daher irgend an Ersatz für die schuldige Leistung nicht gefordert werden kann, weder Werth- noch Schadensersatz (Art. 373). Die Folge einer Bedingung kann daher, wenn sich dieselbe nicht erfüllt, nur die einfache Auflösung des Vertrages sein, und zwar muss diese Auflösung von selbst eintreten, ohne dass eine Partei sie ausdrücklich geltend zu machen braucht, weil schon bei der Eingehung des Vertrages diese Wirkung im Voraus verabredet worden ist. Andererseits versteht es sich von selbst, dass im Fall der Erfüllung einer Bedingung der Vertrag von selbst Verbindlichkeit erlangt, und zwar wird die Verbindlichkeit regelmässig, soferne keine andere Absicht erklärt wird, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückbezogen.
Der Entwurf hat nicht die ganze Theorie der Bedingungen hier behandelt, sondern lediglich die beiden Hauptpunkte heraus gegriffen, dass die Nichterfüllung eines bedingten Vertrages dessen einfache Aufhebung ist, und dass diese Aufhebung von selbst eintritt und irgend ein weiteres Thun der Parteien nicht erfordert.
Für Zeitbestimmungen brauchte diese Wirkung nicht besonders ausgedrückt zu werden, da er sich von selbst versteht, dass wenn ein Vertrag nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkte dauern soll, er mit dem Eintritt dieses Zeitpunktes von selbst zu Ende ist.
Man kann noch die Frage aufwerfen, wie es gehalten werden soll, wenn die Nichterfüllung einer Bedingung von dem anderen Theile verursacht, also derjenige, welcher die Bedingung erfüllen sollte und auch wollte, daran von ihm gehindert wird. Die Beantwortung dieser Frage wird davon abhängen, ob dem anderen Theile in Betreff der Verhinderung ein Verschulden zur Last gelegt werden kann oder nicht. Das römische Recht betrachtet Bedingungen, die absichtlich verhindert werden, als erfüllt zum Nachtheil des Verhindernden. Ebenso ist es nach französ. Recht Cod. civ. art. 1178. Die Nichterfüllung einer Bedingung bedeutet die Nichterfüllung des Vertrages durch Verschulden des anderen Theiles, vorausgesetzt dass den, der zu erfüllen hatte, selbst kein Verschulden trifft. Der schuldige Theil ist daher nach allgemeinen Grundsätzen (Art. 380) dem anderen den durch sein Verschulden ihm verursachten Schaden zu ersetzen schuldig, und es braucht darüber eine besondere Bestimmung nicht ausgedrückt zu werden.
Art. 331. Bedingungen sind ein fremdartiger Zusatz zu einem Vertrage und verstehen sich daher, soweit nicht das Gesetz sie vorschreibt, nicht von selbst, sondern müssen unzweideutig erklärt und in den Vertrag aufgenommen werden. Als Bestandtheil des Vertrages unterliegen sie den gleichen Auslegungsregeln wie dieser selbst (Art. 320) und sind daher nach dem wahren und bestimmten Willen der Parteien zu erfüllen und bez. als erfüllt zu betrachten. Da nun die Bedingung sowohl hinsichtlich ihrer Existenz als ihrer Erfüllung gänzlich von dem Vertragswillen der Parteien abhängt, so kann darauf auch offenbar verzichtet werden, natürlich nur von dem, zu dessen Gunsten die Bedingung gemacht wurde. Allein ein Verzicht wird niemals vermuthet, und der Entwurf schreibt vor, dass ein solcher Verzicht überdies ausdrücklich erklärt werden soll, um gültig zu sein, um Zweifel und Streitigkeiten über diesen oft unsicheren Punkt zu verhüten. Diese Vorschrift ist übrigens vor dem Zeitpunkt der Erfüllung des anderen Theiles zu verstehen. Denn wer eine Erfüllung, obgleich sie wegen Nichterfüllung der Bedingung unvollständig ist, trotzdem ohne Protest annimmt, der nimmt sie ohne Zweifel als eine vollständinge an, er kann daher nicht später im Widerspruch mit dieser Annahme sich auf die Verletzung der Bedingung berufen. Die Annahme einer Leistung trotz nicht erfüllter Bedingung ist daher ohne Zweifel als stillschweigender Verzicht auf die Bedingung zu beurtheilen und insoferne gültig, als jeder über die ihm schuldige Erfüllung frei disponiren kann. Dies bedarf keiner besonderen Erwähnung, da es sich von selbst versteht, dass ein Gläubiger sich mit weniger zufrieden geben kann, als ihm von Rechtswegen gebührt.
Ganz das gleiche ist auch von Zeitbestimmungen anzunehmen (Art. 354).
Es gibt zwar auch stillschweigende Bedingungen oder Fristen, d. h. solche die zu Recht bestehen, obgleich sie nicht ausdrücklich dem Vertrage beigefügt wurden, aber durch unzweideutige Auslegung des Vertragswillens nach Art. 320 vorhanden angenommen werden müssen. Ist aber einmal ein solcher Vertrag unter einer Bedingung geschlossen, so wäre die Aufhebung der Bedingung oder Frist eine Vertragsänderung, und diese kann niemals aus der blossen Veränderung der Umstände u. dgl. mit Sicherheit angenommen werden. Obgleich nun ein stillschweigender Verzicht auf eine Bedingung allerdings denkbar ist, so muss er doch klar und unzweideutig vorliegen, und dies wird am besten erreicht dadurch, dass man die ausdrückliche Erklärung des Verzichtes zur Pflicht macht.
Eine einem schriftlich zu errichtenden Vertrage beigefügte Bedingung kann nur schriftlich aufgehoben werden, da sonst ein Theil des Vertrages schriftlich, und der andere nicht schriftlich wäre, was dem Zweck der Bestimmung des Art. 322 widerstreiten würde.
Dass ein erklärter Verzicht auf eine Bedingung von der anderen Seite angenommen werden muss, wenn er verbindlich sein soll, folgt von selbst daraus, dass der Verzicht eine Vertrags-Aenderung enthält, wozu der Consens beider Theile nothwendig ist.
Art. 332. Die Bestimmung des Art. 332, welche sich auch im Italien. H. Gesetzbuch Art. 90 und im Deutschen Art. 280 findet, entspricht den Interessen und Bedürfnissen des Handelsverkehrs, indem sie zur grösseren Sicherheit der Gläubiger dient und die oft lästige und nachtheilige Zersplitterung einer Forderung in eine Anzahl von Theilforderungen verhütet. Sie rechtfertigt sich dadurch, dass man annehmen darf, dass mehrere Personen, wenn sie gemeinschaftlich ein Handelsgeschäft eingehen, auch durch eine Gemeinschaft des Interesses an Gewinn oder' Verlust verbunden sein werden, so dass einer als Vertreter jedes anderen angesehen werden kann. Diese Gemeinschaft muss so lange vermuthet werden, als nicht das Gegentheil ausdrücklich erklärt ist.
Art. 333. Die gleichen Erwägungen sind auch auf den Fall der Verbürgung für Handelsschulden anzuwenden. Die Bürgschaftsschuld wird also nicht getheilt dadurch, dass mehrere Gläubiger oder Bürgen, resp. Verpflichtete vorhanden sind, und es kann die Forderung von jedem Gläubiger, und gegen jeden Bürgen ungetheilt im vollen Umfange geltend gemacht werden.
Uebrigens contrahirt der Bürge immer nur eine eventuelle Verbindlichkeit, nämlich für den Fall, dass der Hauptschuldner nicht zahlt. Es muss also, damit er in Anspruch genommen werden kann, die Schuld verfallen sein und der Hauptschuldner die Zahlung unterlassen haben. In Fällen, wo der Verfall erst durch eine an den Schuldner gerichtete Aufforderung zur Zahlung herbeigeführt wird (Art. 365), muss diese Aufforderung bez. die Ansetzung eines Verfalltages erfolgt sein, bevor der Bürge in Anspruch genommen werden kann. Ein weiteres Verfahren gegen den Schuldner, insbesondere die Anstellung und fruchtlose Durchführung einer Klage und Execution ist nicht erforderlich.
Art. 334. Da der Umfang oder auch die Entstehung von Verbindlichkeiten im Rechtsverkehr sehr häufig durch das Verschulden der Betheiligten bestimmt wird, so ist es wichtig, eine feste Regel dafür aufzustellen, was unter dem Verschulden zu verstehen sei. Ein Verschulden im civilrechtlichen Sinne begeht derjenige, welcher in Geschäften mit Anderen die ihm obliegende Sorgfalt unterlässt. Soferne Jeder verpflichtet ist, die bestehenden Gesetze zu beobachten, muss man zunächst sagen, dass wer den Gesetzen gemäss handelt, niemals ein Verschulden begehen kann; wer aber die Gesetze übertritt, schuldvoll handelt und für die Folgen, die Anderen daraus entstehen, verantwortlich zu halten ist. Die Pflicht eines Jeden geht aber nicht blos dahin, die Gesetze zu beobachten, sondern auch alles dasjenige zu thun, was man sonst billiger und üblicher Weise von ihm verlangen kann. Cod. civ. Art. 1135. Man kann von Jedem verlangen, dass er in jedem Falle den Grad von Einsicht und Fleiss anwende, welchen die Umstände des Falles billiger und üblicher Weise ihm zur Pflicht machen, und in Handelssachen wird Jeder soviel Einsicht und Fleiss zu bewähren haben, als man von einer bewanderten Handelsperson nach Billigkeit und Gebrauch verlangen kann. Wer mit dem erforderlichen Grade von Einsicht und Fleiss handelt, der bewährt die ihm obliegende Sorgfalt und kann für die daraus entstehenden Folgen nicht verantwortlich sein. Wer aber nicht mit dem erforderlichen Grade von Einsicht und Fleiss handelt, der unterlässt die ihm obliegende Sorgfalt und muss die daraus entstehenden Folgen tragen. Wer nicht sorgfältig ist, der ist entweder nachlässig oder böswillig; das Verschulden einer Person kann daher entweder in Nachlässigkeit oder in Böswilligkeit bestehen.
Auf Grund des röm. Rechts pflegt man von jeher grobe und geringe Nachlässigkeit zu unterscheiden, je nachdem man die Sorgfalt verletzt, die jedem Menschen unter allen Umständen, oder diejenige, welche nur von einem verständigen und ordentlichen Hauswirthe erwartet werden kann. Schon die Römer haben aber die sog. grobe Nachlässigkeit der Böswilligkeit gleichgestellt, und soweit keine rechtswidrige Absicht vorliegt, schon die Begehung geringer Nachlässigkeit, d. h. die Unterlassung der Sorgfalt eines tüchtigen und verständigen Wirthes, der Regel nach als verantwortliches Verschulden angesehen. Noch mehr geht in der neueren Jurisprudenz die Tendenz dahin, nur eine Art von schuldiger Sorgfalt oder verantwortlicher Nachlässigkeit anzunehmen, und zwar die Sorgfalt eines verständigen und fleissigen Mannes, in Handelssachen natürlich die eines verständigen und fleissigen Handelsmannes d. h. einer Person, welche die Pflichten und Regeln des Handelsverkehrs kennt und darnach zu handeln gewohnt ist. Deutsches H. Gesetzbuch Art. 282. Code civil Art. 1137. Kent, Comment. II. p. 561.
Die Sorgfalt geht am häufigsten darauf, den Gegenstand einer schuldigen Leistung derart zu bewahren und vor Schaden oder Untergang zu behüten, dass der Gläubiger in seinem rechtmässigen Anspruche auf diesen Gegenstand nicht verkürzt wird. Sie erstreckt sich aber überhaupt auf ein solches Verhalten des Schuldners, dass der Gläubiger nicht in Schaden kommen kann. Was der Schuldner demnach zu thun oder zu lassen hat, um nicht der Nachlässigkeit bezichtigt zu werden, ist durchaus relativ, je nach der Zeit, den Umständen, dem Orte und der Natur des Gegenstandes, um den es sich handelt. Z. B. eine leicht zerbrechliche Sache muss sorgfältiger verpackt werden, als eine unzerbrechliche; für eine Seereise besser, wie für blossen Landtransport, in der heissen lahreszeit anders, wie in der kalten u. s. f. Es bildet sich nun an jedem Orte und für alle Branchen des Handels eine bestimmte Regel des Verhaltens, welche auf Erfahrung und den Erwägungen und dem Pflichtgefühl eines tüchtigen und bewanderten Kaufmanns beruht, und diese Regel muss Jeder in Handelssachen einhalten, will er nicht der Nachlässigkeit beschuldigt werden.
Obgleich es demnach nur eine Art von Nachlässigkeit oder von Mangel an Sorgfalt gibt, so kann doch die Sorgfalt, die man sich gegenseitig schuldet, je nach der Verschiedenheit der Fälle und Umstände mehr oder minder weit ausgedehnt sein. Man ist bald zu grösserer bald zu geringerer Sorgfalt verpflichtet, und es ist eine, in Handelssachen von verständigen Handelspersonen zu beantwortende That-frage, was in jedem einzelnen Falle als Erfüllung der schuldigen Sorgfalt anzusehen ist, und was als schuldvolle Nachlässigkeit oder gar Böswilligkeit. Ein Verfahren, das sich sehr weit entfernt von der Grenze der schuldigen Sorgfalt, wird grobe Nachlässigkeit, und ein Verfahren, das sich nur wenig entfernt von dieser Grenze, wird geringe Fahrlässigkeit zu nennen sein. Regelmässig wird nun von Jedem der durchschnittliche und übliche Grad von Sorgfalt verlangt, es kann aber durch vertragsmässige oder gesetzliche Bestimmung ein anderer Grad von Sorgfalt zur Pflicht gemacht sein, und zwar entweder ein höherer oder ein niedrigerer Grad als gewöhnlich verlangt wird. Insoferne ist immer noch zwischen grober und geringer Nachlässigkeit zu unterscheiden, und zwischen geringer Nachlässigkeit und Verletzung der höchsten Sorgfalt. Die geringe Nachlässigkeit fällt practisch mit der gewöhnlichen, als Regel anzunehmenden Grenze der schuldigen Sorgfalt zusammen.
Z. B. ein Depositar hat gewöhnlich nur diejenige Sorgfalt auf die ihm zur Aufbewahrung anvertrauten fremden Sachen zu wenden, die er auf seine eigenen Sachen wendet. Diese Sorgfalt kann geringer sein als man sie gewöhnlich anwendet, für geringe Nachlässigkeit ist ein Depositar nicht haftbar, wohl aber für grobe Nachlässigkeit, wenn er sich sehr weit von der üblichen Sorgfalt entfernen würde. Es gibt leichtsinnige Menschen, die auch mit ihren eigenen Sachen leichtsinnig umgehen; allein ein hoher Grad von Leichtsinn kann niemals schuldlos sein, weil er den Anforderungen des menschlichen Verkehres widerstreitet und in vielen Fällen von Böswilligkeit nicht unterschieden werden kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn man trotz erhaltener Warnung oder sogar wiederholter Warnung die nöthige Vorsicht unterlässt.
Handelt es sich dagegen um sehr werthvolle Sachen z. B. Kunstsachen, die gar nicht wiederhergestellt werden können, so ist offenbar die höchste Sorgfalt Pflicht, namentlich wenn der Schuldner Vortheil von dem Contracte hat, wie wenn er Bezahlung für Arbeiten etc. daran erhält. In solchen Fällen wird ein höherer als der gewöhnliche Grad von Fleiss und Umsicht verlangt, und wer diese höchste Sorgfalt verletzt, kann dafür haftbar gemacht werden.
Art. 335. Im vorhergehenden Artikel wurde ausgesprochen, dass in der Regel Jeder für die übliche Sorgfalt eines verständigen und fleissigen Handelsmannes von selbst haftet, dass aber durch Gesetz oder Vertrag Ausnahmen davon bestimmt werden können. Namentlich muss es Jedem freistehen, durch besondere Uebereinkunft den Grad von Sorgfalt festzusetzen, die er auf eine Sache angewendet haben will, da der Werth, den man auf eine Sache legen will, in Jedermanns Belieben steht, um so mehr als die Gegenleistung für die aufzuwendende Sorgfalt je nach diesem Werth höher oder niedriger angesetzt werden kann. Indessen wird diesem Belieben eine Grenze dadurch gesetzt, dass auch durch ausdrücklichen Vertrag die Verantwortlichkeit für böswillige Absicht und für grobe Nachlässigkeit nicht aufgehoben werden kann. Eine solche Vereinbarung wäre gegen Treu und Glauben, und das Recht kann eine Dispensation hievon nicht zulassen, da unsittliche Vereinbarungen überhaupt nicht gestattet sind. Wer einem Anderen eine absichtliche Verletzung zufügt, muss dafür unter allen Umständen haften, denn das Gegentheil wäre unsittlich und gegen die Natur der Dinge. Ebenso aber haftet derjenige, welcher durch grobe Nachlässigkeit Jemanden beschädigt, d. h. durch eine Nachlässigkeit, welche so gross ist, dass sie den Verdacht der Absichtlichkeit erweckt, wenngleich keine wirkliche Absicht vorlag. Die Absichtlichkeit ist vorhanden, wenn Jemand die nachtheiligen Folgen seiner Handlung oder Unterlassung voraussah und dennoch die Handlung beging; der Verdacht der Absichtlichkeit, wenn Jemand die Folgen seiner Handlung voraussehen musste oder bei nur einiger Sorgfalt voraussehen konnte, er müsste denn in beiden Fällen geistesabwesend oder sonst unzurechnungsfähig gewesen sein. Eine grobe Nachlässigkeit ist eine solche, die unter allen Umständen keine Entschuldigung zulässt, weil man unter allen Umständen die nachtheiligen Folgen voraussehen musste. Wenn eine Sache gestohlen wird, so ist das an sich nur ein Zufall; wurde sie aber gestohlen, weil man sie frei auf offener Strasse liegen liess, so ist das grobe Nachlässigkeit, weil man den Diebstahl mit grösster Wahrscheinlichkeit voraussehen konnte. Ebenso wäre es grobe Nachlässigkeit, wenn ein Schiffer mit einem Dampfer ohne den nöthigen Kohlenvorrath in See gehen würde; denn ein Schiffer muss wissen, dass ein Dampfschiff ohne Kohlen nicht die Reise vollenden kann, und er könnte sich vernünftiger Weise nicht darauf berufen, dass er an die Kohlen nicht gedacht habe. In solchen Fällen läuft es auf dasselbe hinaus, ob der Handelnde die Absicht zu schaden wirklich hatte oder nicht. Denn Jeder muss sich die Folgen seiner gewollten Handlungen anrechnen lassen, sobald er diese Folgen kannte oder kennen musste. Anders wäre es, wenn der Kohlenvorrath nicht ausreichte, weil die Reise durch widrige Winde ungewöhnlich verlängert wurde, wenn diese Verlängerung nicht wohl vorauszusehen war, denn hier wäre der Kohlenmangel die Folge zufälliger Umstände, nicht der Unachtsamkeit des Schiffers. Gesetzt Jemand verkauft einen kupfernen Gegenstand für einen goldenen und bedingt sich dabei Freiheit von aller Haftung, so würde ihm dies nicht helfen, wenn er wusste, dass die Sache nur von Kupfer sei, denn dann hatte er den Käufer absichtlich betrogen. War aber der Verkäufer ein Goldarbeiter oder ein sonstiger Sachverständiger, so wurde er sich vergeblich auf seine Unkenntniss berufen, auch wenn er es nicht gewusst hätte, weil ein solcher Verkäufer nothwendig Gold und Kupfer muss unterscheiden können. Wäre aber ein solcher Mangel nur schwer zu entdecken, oder doch nur mittelst Anwendung der üblichen Sorgfalt, dann könnte man sich durch Vertrag von der Haftung befreien.
Da die Absicht und die grobe Nachlässigkeit practisch meist in einander laufen, und auch die Absicht meist nur aus den Umständen erkannt werden kann, so wird es in den meisten Fällen genügen, wenn ein solches Verhalten bewiesen wird, welches vernünftiger Weise nicht entschuldigt werden kann, äusser durch Mangel an Bewusstsein u dgl. Die Folgen solcher Handlungen muss Jeder tragen, auch wenn er sich vertragsmässig die Freiheit von Haftung bedungen hat. Wann ein solches Handeln anzunehmen ist, muss stets nach den Umständen beurtheilt werden, und wird manchmal nicht so leicht zu entscheiden sein. So kann z. B. in dem obigen Beispiele die Frage, ob der Kohlenvorrath offenbar ungenügend war, unter Umständen auf grosse Schwierigkeiten stossen. In solchen Fällen wird dann immer das, was gewöhnlich geschieht, und die Meinung erfahrener Sachverständiger den Ausschlag geben müssen.
Die Haftung für böse Absicht fällt natürlich weg, wenn die Handlung selbst keine rechtswidrige ist. Das Recht hindert nicht die Benachtheiligung Anderer in den Grenzen des eigenen Rechts. Nullus videtur dolo facere qui suo jure utitur. Qui suo jure utitur, neminem laedit. Dies findet namentlich Anwendung auf generelle und specielle Verbindlichkeiten. Wer einem Andern ein bestimmtes Pferd verkauft hat, haftet diesem für jeden durch sein Verschulden, gleichviel ob absichtlich oder nicht, zugefügten Schaden am Pferde. Wer aber nur ein Pferd im allgemeinen schuldet, kann das Pferd, das er im Stalle hat, tödten oder sonstwie verstümmeln, denn auf dieses specielle Pferd ging der Anspruch des Gläubigers nicht.
Mit dem Satz, dass die Haftung für Arglist oder grobe Nachlässigkeit nicht durch Vertrag beseitigt werden kann, ist nicht zu verwechseln der Erlass einer Haftung, nachdem sie eingetreten ist. Ein solcher Erlass ist gültig wie jeder andere Verzicht auf Rechte, die man gegenüber Anderen besitzt.
Art. 336. Die Haftung kann auch, durch Gesetz oder Vertrag, über das Mass der gewöhnlichen Sorgfalt hinaus erweitert werden. So haftet der Versicherer für jeden zufälligen, nicht selbst verschuldeten Schaden; ebenso der Transporteur für jeden zufälligen Schaden der nicht durch unwiderstehliche Uebergewalt verursacht wurde. Nach abgeschlossenem Kaufvertrag haftet der Käufer für zufälligen Verlust an der Sache; allein der Verkäufer kann mittelst ausdrücklicher Verabredung die Haftung auf sich nehmen.
Wenn nicht für Zufall, kann doch für eine höhere als die gewöhnlich übliche Sorgfalt die Haftung übernommen werden. In vielen Fällen wird dies mit der Haftung für den Zufall zusammenfallen, indem eben die nachtheiligen Folgen schlimmer Zufälle durch Anwendung höchster Sorgfalt abgewendet werden sollen. Doch ist dies nicht immer der Fall. Man kann für jeden zufälligen Schaden haften müssen, ohne weitere Rücksicht auf die Umstände, wie z. B. ein Schiffer; man kann aber auch von der Haftung für zufälligen Schaden frei sein, wenn man nachweisen kann, dass man alle nur mögliche Sorgfalt angewendet habe. Welchen Grad von Haftung man durch besondere Uebereinkunft übernimmt, muss durch den Vertrag im einzelnen Falle bestimmt werden.
Die Haftung kann auch zwischen mehreren Personen getheilt sein. Z. B. der Schiffer haftet für alle gewöhnlichen Gefahren des Seetransports, der Absender dagegen für den durch schlechte Verpackung entstandenen Schaden.
Wer für einen Schaden einzustehen hat, muss auch die Kosten tragen, welche zur Abwendung eines Schadens aufgewendet werden. Wenn z. B. der Verkäufer das Risiko der verkauften Sache übernimmt, muss er auf seine eigenen Kosten für die Erhaltung der Waare sorgen. Hieraus folgt, dass für die Uebernahme einer Gefahr keine besondere Vergütung verlangt werden kann, soweit sie nicht nach Handelsgebrauch üblich ist oder ausdrücklich bewilligt ist. Ein Commissionär kann für das Delcredere eine besondere Provision nach Handelsgebrauch anrechnen, dagegen kann der Schiffer nicht eine höhere Fracht fordern, wenn er während der Reise durch Eintritt von Seegefahr grössere Auslagen hatte. In der Regel wird beim Geschäftsabschluss die Vergütung nach Verhältniss der übernommenen Gefahr von selbst bemessen werden.
§ 2. Abschliessung der Verträge.
Art. 337. Mit dem Abschluss oder der Perfection eines Vertrages tritt die Verbindlichkeit einerseits, und das Recht der Forderung andererseits ins Leben, wenngleich die Ausübung des Rechts durch den Vertrag oder sonstwie noch hinausgeschoben werden kann.
Es ist daher wichtig, den Zeitpunkt der Perfection genau zu bestimmen. Zu jedem Vertrage gehört Consens beider Parteien und wenn der Consens eingetreten und gegenseitig erklärt ist, dann ist auch alles, was zur Existenz eines Vertrages nothwendig ist, erfüllt, es müssten denn vom Gesetz noch anderweitige Vorbedingungen in besonderen Fällen vorgeschrieben sein, wie z. B. bei der Gründung von Actiengesellschaften. Soweit dies aber nicht geschieht, ist das allgemeine Princip massgebend, dass die Uebereinstimmung und erforderliche Erklärung des beiderseitigen Vertragswillens den Vertrag unmittelbar zur Entstehung bringt. Bei Vertragen, die schriftlich errichtet werden müssen, ist der Abschluss erst mit der schriftlichen Erklärung erfolgt.
Der Consens muss ein vollständiger und in bindender Absicht, also mit dem Willen des Abschlusses erklärt sein. Eine Zustimmung mit Aenderungen, Zusätzen, Bedingungen u. dgl. ist keine reine Annahme des Anerbietens des anderen Theiles. Die bindende Absicht ist anzunehmen, wenn von keiner Seite ein weiterer Vorbehalt gemacht wird. Dieser Vorbehalt kann entweder den späteren definitiven Abschluss, oder das Hinzutreten einer gewissen Form, z. B. Schriftlichkeit, oder gerichtliche Beurkundung betreffen, gleichviel ob sie auf dem Gesetz oder auf der freiwilligen Vereinbarung der Parteien beruht. Daher sind blosse vorbereitende Verhandlungen, insbesondere eine vorläufige Uebereinkunft über den späteren Abschluss, oder die mündliche Einigung mit Vorbehalt späterer Schriftlichkeit, nicht verbindlich, wenn nicht der spätere definitive Abschluss oder die specielle Form des Abschlusses noch hinzutritt, es müsste denn im letzteren Fall das spätere Hinzutreten einer besonderen Form nicht als Vorbehalt des Abschlusses gemeint sein.
Bei stillschweigenden Verträgen muss die Consenserklärung durch das ersetzt werden, was sie vertritt (Art. 326). Also entweder durch das Ausbleiben einer ablehnenden Antwort, oder durch die Vornahme derjenigen Handlung, an welche sich eine Forderung oder eine Verbindlichkeit von selbst knüpft. Dies folgt aus Art. 326 von selbst, und braucht hier nicht weiter erwähnt zu werden.
Art. 338. Wenn eine Vertragsofferte abgelehnt ist, kann sie nach Belieben zurückgenommen oder einem Anderen gemacht werden. Bis zum Augenblicke der Ablehnung muss sie aber für den Offerenten selbst bindend sein, sonst wäre sie nicht ernstlich und die Annahme auf Seiten des Offeraten wäre vergeblich. Der Artikel bestimmt daher, was als Ablehnung einer Offerte anzusehen sei. Die Ablehnung kann entweder ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen, letzteres dadurch dass die Annahme der Offerte nicht erklärt wird. Nach Art. 327 ist in der Regel Stillschweigen als Ablehnung zu betrachten. Art. 338 bestimmt nun weiterhin, dass der Offerent ein Recht auf sofortige Erklärung der Annahme oder Ablehnung hat, soferne er dem Offerenten nicht eine Frist hiefür gewährt hat. An diese Frist er gebunden, die Annahme ist mithin verbindlich, wenn sie noch innerhalb der Frist erklärt wird. Ebenso ist die Erklärung der Ablehnung in dieser Frist gültig. Ist aber keine solche Frist gewährt, dann muss die Erklärung unmittelbar erfolgen, und es gilt mithin in allen diesen Fällen der Vertrag als abgelehnt, wenn er nicht sofort angenommen wird.
Art. 339. Dieser Artikel enthält eine ausdrückliche Bestimmung für den gegentheiligen Fall, wenn nämlich das Stillschweigen auf einen Antrag nicht als Ablehnung, sondern als Zustimmung aufzufassen ist. Hier muss offenbar die Ablehnung ausdrücklich erfolgen, wenn sie gültig sein soll, und sie muss wiederum entweder unmittelbar oder innerhalb der etwa eröffneten Frist erfolgen.
Art. 340. Die in den vorausgehenden Artikeln ausgesprochenen Grundsätze gelten unbeschränkt, wenn ein Vertrag zwischen Personen, die sich an demselben Orte befinden, verhandelt wird. Nicht minder sind sie auf die Vertragsschliessung zwischen Abwesenden anzuwenden, jedoch macht hier der Umstand, dass zwischen Antrag und Annahme nothwendig eine gewisse Zeit verfliessen muss, und eine an einem Orte abgegebene Erklärung nicht auch sofort an dem anderen Orte vernommen wird, einige nähere Bestimmungen über diese Art des Abschlusses nothwendig. Es handelt sich nämlich um die Verbindlichkeit oder Widerruflichkeit einer Erklärung, solange sie auf dem Wege zwischen beiden Theilen und dem anderen Theile unbekannt ist. Der Zeitablauf zwischen der Abgabe und dem Eintreffen der Erklärung beim anderen Theile darf offenbar nicht unbilliger Weise gemissbraucht werden. Es wird daher in Uebereinstimmung mit der englischen Jurisprudenz und mit den allgemeinen Principien im Fntwurfe bestimmt, 1, dass die Absendung einer Annahme-Erklärung der persönlichen Erklärung an den Offerenten gleichsteht, und 2, dass die Annahme als unmittelbar erfolgt gelten soll, wenn die Absendung derselben spätestens bis zum Mittag des nächst folgenden Tages erfolgt. Das „ unmittelbar ” kann hier nicht buchstäblich, etwa mit umgehender Post, angenommen werden, es ist möglich, dass die Offerte erst am Abend, mit der letzten Post, oder nach Schluss der Geschäftsstunden eintrifft. Auch muss immerhin einige Zeit zur Ueberlegung gegeben werden, die ja auch zwischen Anwesenden mündlich gefordert werden kann, aber für schriftliche Verhandlungen in der Regel sich von selbst verstehen muss. Daher wurde der nächste halbe Tag als Minimum der Frist zur Annahme unter Abwesenden ein für allemal festgesetzt, soferne nicht eine andere Frist, länger oder kürzer, insbesondere auch etwa umgehende Antwort ausdrücklich bewilligt oder zur Bedingung gemacht wurde. Dass eine solche andere Frist statthaft ist, folgt von selbst aus dem Art. 338, der nicht blos auf Anwesende anzuwenden ist.
Die Absendung erfolgt, wie auch sonst, immer auf Gefahr des Adressaten, wenn die Absendung auf dessen Willen hin geschehen ist. Kommt also der die Annahme enthaltende Brief nicht oder nur verspätet in die Hände des Offerenten, so ist sie trotzdem gültig, und er kann nicht etwa mit Berufung auf Art. 338 sich von der Verbindlichkeit seiner Offerte befreit ansehen.
Die Absendung gilt als erfolgt mit der Aufgabe der Antwort an die regelmässige Beförderungsanstalt, Post oder Telegraph. Ist keine besondere Art der Antwort bedungen, so hat man die freie Wahl zwischen beiden. Die Post etc. ist hinsichtlich der Beförderung als Vertreterin des Adressaten anzusehen; sobald die Antwort in den Händen der Post sich befindet, ist sie bindend und unwiderruflich.
Die Sendung einer Offerte muss dagegen auf Gefahr des Offerenten, nämlich des Absenders, erfolgen, da der Offerat sie nicht veranlasst hat und meist nicht einmal etwas davon wissen wird. Die Verpflichtung des Offeraten kann daher nur von dem wirklichen Empfang einer Offerte an gerechnet werden, nicht von dem Augenblicke, wo er sie hätte empfangen können oder sollen. Die Folgen der Verspätung oder des Ausbleibens einer Offerte können nur den Offerenten treffen. Der Vertrag ist daher für beide Theile bindend, wenn die Absendung der Annahme gehörig erfolgt ist, gleichviel ob die Offerte verspätet an ihn oder die Annahme verspätet an den Offerenten gelangte.
Die etwas verschiedenen Bestimmungen des deutschen H. Gesetzbuches Art. 319, welche nicht auf die Absendung, sondern die Ankunft der Briefe etc. das entscheidende Gewicht legen, sind weder mit den allgemeinen Principien, noch mit den Bedürfnissen des Geschäftsverkehrs in Einklang. Durch diese Bestimmungen werden die Nachtheile der unregelmässigen Beförderung auf den Offeraten gelegt, was durchaus nicht zu billigen ist.
Art. 341. Es wurde bereits bemerkt, dass nur die reine Annahme als Consens gelten kann, und jede Annahme unter Bedingungen oder irgend einer Veränderung, selbst in Nebenpunkten, als Ablehnung anzusehen ist. Es entsteht nun die Frage, wie es mit einer solchen modificirten Antwort zu halten sei. Man kann sie als einfache Ablehnung oder auch als neues Anerbieten des Offeraten, der nun insoferne Offerent wird, auffassen. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil ein neues Anerbieten auch eine neue Antwort nach sich zieht, und desshalb die Möglichkeit der Annahme einer stillschweigenden Zustimmung entsteht. Würde nun statt reiner Zustimmung wieder eine Gegenproposition gemacht, so würde dies wieder eine neue Antwort nach sich ziehen, und so fort ins Unendliche. Um dies zu vermeiden, also einen kurzen und bündigen Abschluss der Verhandlungen herbeizuführen, scheint es zweckmässiger, wenn es dem Offerenten freigestellt wird, ob er die modifizirte Antwort als neuen Antrag betrachten will oder nicht. Will er sie nur als Ablehnung betrachten, so ist damit die Sache zu Ende und er braucht nicht weiter seinerseits zu antworten. Will er sie aber zugleich als neuen Antrag betrachten, so kann er diesen Antrag annehmen oder ablehnen oder, wenn er will, neue Gegenvorschläge machen. Dadurch ist mithin alles unnütze und verschleppende Verhandeln, Briefschreiben etc. abgeschnitten und jeder Theil erhält mit der ersten Antwort seine volle Dispositionsfreiheit zurück.
Die einzige Schwierigkeit entsteht hiebei insoferne, als in Fällen, wo die stillschweigende Annahme zulässig ist (Art. 327), Stillsch weigen sowohl Ablehnung als Annahme bedeuten kann, und der ursprüngliche Offerat und nunmehrige Offerent, wenn der Andere nichts antwortet, nicht wissen wird, ob er dieses Stillschweigen als Annahme oder als Ablehnung auslegen soll. Solche Missverständnisse können allerdings entstehen, sie müssen aber durch die Beobachtung des Handelsgebrauches und der Rücksichten auf Treu und Glauben vermieden werden. Die Regel, dass Stillschweigen als Ablehnung zu betrachten ist, gilt auch hier, und stillschweigende Zustimmung ist immer nur da zulässig, wo über die Bedeutung des Stillschweigens nicht leicht Zweifel entstehen kann.
Art. 342. 343. Es wurde bereits bemerkt, dass der Offerent an seine Offerte gebunden ist bis zu dem Zeitpunkte der Annahme, Erklärung oder Ablehnung Seitens des Offeraten, und der letztere an seine Annahme, sobald die Erklärung derselben rechtzeitig abgegeben ist. Die zwischen der Absendung und dem Eintreffen unter Abwesenden verlaufende Zeit wird daher in rechtlicher Hinsicht als in einen einzigen Augenblick zusammengezogen angesehen, und dies ist nothwendig, weil sonst zwischen Abwesenden keine Bestimmtheit der Willenserklärung angenommen werden könnte. Wer also eine Vertragsofferte in Händen hat, der muss sie als bindend ansehen können, und es darf für ihn nicht in Frage kommen, ob etwa der Offerent inzwischen anderen Sinnes geworden ist. Das gleiche gilt von der Annahme einer Offerte, sobald sie abgegeben ist, obgleich sie noch nicht in die Hände des Offerenten gekommen ist, da die Post etc. insoweit als Stellvertreter desselben behandelt werden muss. Diese Consequenz darf jedoch nicht zu weit getrieben werden, um dem freien Willen der Parteien keinen unnöthigen Zwang anzuthun. Es wird daher auf die durch die Beförderung verursachte Zwischenzeit insoweit Rücksicht genommen, dass eine Erklärung bis zum Zeitpunkt des Eintreffens bei dem anderen Theil zurückgenommen oder rectificirt werden kann, wenngleich die Zurücknahme oder Rectificirung von späterem Datum ist, als die Erklärung selbst. Diese Vergünstigung ist in Art. 342 in Bezug auf den Offerenten, und in Art. 343 in Bezug auf den Offeraten ausgesprochen.
Art. 344. Zwischen Abwesenden können durch Verspätung oder sonstige Versehen z. B. falsche Briefabgabe, unrichtige Briefe oder Telegramme etc. leicht Irrungen und Missverständnisse entstehen. Es fragt sich, wer den daraus entstehenden Schaden zu tragen hat? Unzweifelhaft derjenige Theil, welcher ein solches Versehen persönlich oder durch seine Gehülfen, Diener etc. verschuldet hat; und zwar hat nach Art. 334 jeder Theil für diejenige Sorgfalt einzustehen, die man üblicher Weise von jedem umsichtigen und fleissigen Kaufmann erwarten kann.
Wird aber das Versehen Von der Post etc. begangen, so ist daran keiner der Betheiligten Schuld, und die Verantwortlichkeit müsste consequenter Massen auf die Post etc. fallen. Indessen leisten nach feststehenden Grundsätzen die Post- und Telegraphen-Verwaltungen meist keinen oder nur ungenügenden E:satz, und der Schaden bleibt meist auf den davon Betroffenen sitzen. Desshalb entsteht die Frage, wie ein durch die Post etc. verursachter Schaden zwischen den Contrahenten zu vertheilen ist ? Die richtigste Antwort ist nun die, dass nicht der thatsächliche Absender oder Adressat den Schaden zu tragen hat, sondern derjenige, in dessen Interesse die Sendung erfolgte.
Dies wird regelmässig der Offerent sein bezüglich der Offerte, weil sie ganz und gar von ihm allein abhängt und ausgeht, bezüglich der Annahme oder Ablehnung, weil diese durch die Offerte veranlasst ist und nach allgemeinen Principien jede Sendung auf Gefahr des Adressaten erfolgt. Soweit der Offerat selbst einen Antrag stellt, ist er insoweit gleichfalls als Offerent anzusehen und trägt mithin den in Betreff seines Antrages entstandenen Schaden. Soweit als eine Erklärung nichts als eine Antwort enthält und keinen selbständigen neuen Inhalt, ist sie lediglich als die andere Seite der Anfrage aufzufassen und liegt nur im Interesse des Anfragenden. Dies ist unzweifelhaft der Fall, wenn die Antwort nur eine Ablehnung enthält, denn dann ist der Antwortende an der Sache überhaupt nicht interessirt. Findet aber eine Annahme statt, dann könnte man allerdings sagen, der Antwortende habe nur in seinem Interesse gehandelt, da er sonst die Offerte nicht angenommen haben würde. Gleichwohl kann die Verschiedenheit der Rollen nicht ohne Einfluss auf die Verantwortlichkeit sein; die des Antwortenden ist offenbar rein passiv und ausschliesslich durch die vorausgegangene Anfrage veranlasst. Daher muss der Offerent auch als intellectueller Urheber der Antwort angesehen werden und dafür die Verantwortlichkeit übernehmen. Macht aber jeder Theil dem anderen neue Propositionen, so ist jeder in Bezug auf seine Propositionen als Urheber und verantwortlicher Interessent zu behandeln.
Art. 345. Dieser Artikel bestimmt, wie es mit Zusendungen gehalten werden soll, welche häufig Vertrags-Offerten begleiten oder auch abgesondert gemacht werden. Es wird unterschieden zwischen blossen Mustern, Schriften u. dgl., und zwischen eigentlichen Waaren. Die ersteren bilden keinen Gegenstand des Vertrages und dienen nur zur Empfehlung oder Anregung künftiger Geschäfte. Ihre Zurückgabe wird nach Handelsgebrauch nicht erwartet, sie verbleiben daher dem Adressaten, gleichviel ob ein Vertrag zu Stande kommt oder nicht. Die Kosten, welche durch solche Mustersendungen u. dgl. entstehen, fallen unter die allgemeinen Geschäftskosten und müssen gegen die erzielten Geschäftsgewinne compensirt werden. Eigentliche Waaren dagegen bilden den Gegenstand des proponirten Vertrages und müssen nach Inhalt der Vertragsbestimmungen behandelt werden, wenn ein solcher zu Stande kommt. Wenn es nicht zum Vertragsabschlusse kommt, so gehören sie offenbar dem Absender, dem sie daher zurückgegeben werden müssen, oder der anderweitig darüber verfügen kann. Diese Verfügung muss der ablehnende Offerat respectiren. Da aber solche Zusendungen dem Geschäftsgebrauche entsprechen, so kann der Empfänger nicht beliebig mit ihnen verfahren, sondern er muss sich in Bezug auf sie als Vertrauensmann des Absenders betrachten. Er muss daher solche Waaren mit gleicher Sorgfalt wie seine eigenen bewahren und darf sie nicht durch Nachlässigkeit verderben oder umkommen lassen. Für die ihm hiedurch entstandenen Kosten kann er Ersatz fordern, nöthigenfalls durch Verkauf der Waaren auf Rechnung des Absenders. Kann oder will er sie nicht in seinen eigenen Räumen aufbewahren, so steht es ihm frei, sie anderswo, namentlich in öffentlichen Lagerhäusern u. dgl. unterzubringen. Mäkler und andere Personen, welchen für ihre Mühewaltung im Interesse Anderer Provision gebührt, können hiefür auch die übliche Provision anrechnen. Eine Genehmigung des Gerichts (D. H. G. Art. 323) zu solchen Handlungen erscheint nicht erforderlich.
Art. 346. Ein Aufgeld (Arrha) kann als eine Extra-Vergütung, gleich einem Trinkgeld, oder auch als Reugeld aufgefasst werden, so dass derjenige, der von einem Vertrage zurücktritt, dasselbe verlieren soll, dadurch aber das Recht des beliebigen Rücktritts erlangt. Dies sind jedoch veraltete Vorstellungen, die der heutigen Geschäftsweise nicht mehr entsprechen und auch überhaupt nicht zu begünstigen sind.
Das richtige ist, eine solche Leistung als vorläufige oder Abschlagszahlung zu behandeln, wodurch die ernstliche Absicht des Vertragsabschlusses bekräftigt werden soll. Daraus folgt, dass sie auf die schuldige Leistung anzurechnen und wenn der Vertrag rückgängig wird, zurüekzugeben ist.
Nach französ. Recht Code civ. Art. 1590 ist das Aufgeld als Reugeld zu behandeln, wenn die Einigung nur vorläufig ist und sich auf einen künftigen V erkauf bezieht. Das dem definitiven Kauf gleichstehende Versprechen, eine Sache künftig verkaufen zu wollen, kann also durch eine Arrha nicht bindend gemacht werden, nur verliert derjenige, der es nicht erfüllt, den Betrag, bez. das doppelte der Arrha. Bei einem sofort definitiv bindenden Kaufvertrag ist die Arrha als Abschlagszahlung (a compte) oder als Pfand anzusehen, und daher auf den Preis anzurechnen oder zurüekzugeben.
Nach englischem Rechte gilt das Aufgeld (earnest) nur als ein zur Bekräftigung des Vertrags vorausbezahlter Theil des Kaufpreises und ist daher auf diesen anzurechnen als part payment, d. i. theilweise Zahlung. Das Eigenthümliche ist hier noch nach dem Statute of Frauds geblieben, dass durch ein solches Aufgeld, eben weil es theilweise Zahlung ist, die schriftliche Vertragsschliessung ersetzt werden kann.
Das Deutsche H. G. Buch Art. 285 hat bereits die moderne Auffassung zur Regel erhoben, dass die Arrha als eine zur Bekräftigung dienende Abschlagszahlung zu behandeln sei; jedoch die Behandlung als Reugeld ausnahmsweise bei ausdrücklicher Vereinbarung oder bestehendem Ortsgebrauch zugelassen. Ebenso im Spanischen H. G. Buch Art. 379. Indessen ist für diese Abmachungen die Zulässigkeit einer Conventionalstrafe ausreichend, und es ist mit den modernen Handelszuständen nicht wohl zu vereinbaren, dass Jemand, der einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, davon soll nach Belieben wieder zurücktreten dürfen. Der moderne Handel liebt klare, feste und bestimmte Rechtsverhältnisse.
Art. 347. Ein Vertrag muss bindend sein, wenn er rechtsgültig abgeschlossen, also die erforderliche Willenserklärung in gehöriger Form abgegeben ist. Ob ein Theil dabei gewinnt oder verliert, ob er überhaupt seine Rechnung dabei findet und den hiebei gewollten Zweck erreicht, ist hiefür ganz und. gar gleichgültig. Das Recht überlässt den Abschluss von Verträgen der freien Entschliessung jedes Einzelnen, aber eben desshalb übernimmt er auch keine Versicherung oder Bürgschaft gegen falsche Berechnungen und vereitelte Absichten. Daher kann insbesondere ein Vertrag nicht wegen ungenügender Gegenleistung, namentlich wegen zu niedrigen oder zu hohen Preises angefochten werden.
Dieser Anfechtungsgrund, wegen übermässiger Verletzung, ist aus dem altrömischen Rechte auch in die modernen Gesetzbücher übergegangen, jedoch neuerdings wenigstens für das Handelsrecht aufgehoben worden, so z. B. im spanischen Code Art. 378 und im Deutschen Art. 286. Im französ. Code civil Art. 1674 ist diese Anfechtung nur noch beim Verkauf von Grundstücken gestattet, wenn der Verkäufer im Preise um mehr als 7/12 des wahren Werthes verkürzt worden ist, jedoch nur bis zum Ablaufe von 2 Jahren. Auf Handelsgeschäfte hat diese Bestimmung ohnehin keine Anwendung.
Dagegen ist es ein überall anerkanntes, aus dem gewöhnlichen Civilrechte herübergenommenes Princip, dass jeder Vertrag wegen Irrthums, Zwangs oder Betruges angefochten werden kann. Hierüber wurde bereits oben zu Art. 320 gehandelt, lieber die Bedeutung des Zwangs, worunter man sowohl physische als moralische Nöthigung (Drohung) zu verstehen hat, kann im allgemeinen kein Zweifel bestehen. Es muss jedoch immer ein Zwang sein, dem man vernünftiger Weise, ohne grosse und ernstliche Gefahr, nicht widerstehen kann. Eine nicht durch solche Drohungen erzeugte Furcht, oder die blosse Furchtsamkeit eines ängstlichen und schwachen Menschen, ist nicht genügend. Der Zwang kann gegenüber Jedermann, nicht blos gegenüber dem Zwingenden, geltend gemacht werden, da die Gerechtigkeit verlangt, dass der freie Wille der Menschen unter einander aufrecht erhalten und beschützt werde.
In Bezug auf Irrthum und Betrug ist die Grenze wichtig zwischen erlaubt und unerlaubt, insbesondere im Handel, wo Gewinn das allseitige Motiv aller Geschäfte bildet und der Speculation und manichfachen Machinationen freies Spiel gelassen zu werden pflegt. Ein Betrug, der dem Handelsgebrauch widerspricht und absolut unsittlich ist, kann auch im Handel nicht gestattet werden. Dagegen blosse Uebervortheilung durch Anwendung der im Handel üblichen und als erlaubt angesehenen Kniffe und Pfiffe macht einen Vertrag nicht anfechtbar. Ob der andere Theil den Betrug vorher erkannte oder doch vermuthete oder nicht, ist in solchen Fällen gleichgültig, wo aus öffentlichen Rücksichten das Geschäft für ungültig erklärt oder vielleicht noch überdies bestraft wird, wie bei gesundheitsschädlichen, absolut gefälschten Waaren. In anderen Fällen, wo durch stillschweigende Billigung der Betrug legalisirt wird, kann nachträgliche Anfechtung nicht mehr gewählt werden, hier ist daher Irrthum zur Anfechtung erforderlich. Ein durch Betrug erzeugter Irrthum macht ein Geschäft in der Regel anfechtbar, ohne Rücksicht auf die Grösse des dem Betrogenen zugefügten Schadens oder die Art des Betruges, sofern dieser die Grenze der erlaubten Geschäftskünste überschreitet; ein nicht von Betrug herrührender Irrthum nur dann, wenn er nicht von dem Irrenden selbst verschuldet ist. Da der Freiheit des Entschlusses auch die Pflicht der Wachsamkeit und Besonnenheit entspricht, so wird ein Irrthum nicht entschuldbar sein, der bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt vermieden werden konnte. Non stultis, sed errantibus succurritur. Nur bei einem Irrthum, welcher die Identität der Person oder der Sache betrifft, kommt es auf die thatsächliche Entschuldbarkeit nicht an, weil hier der wirkliche Vertragswille absolut fehlt. Die Identität der Sache fehlt, wenn etwas ganz anderes gemeint war, z. B. Wein für Bier oder Essig, Gold statt Silber u. dgl. Dieser Irrthum ist also immer entschuldbar, auch wenn er hätte vermieden werden können. In diesem doppelten Sinn ist der Ausdruck im Art. 347 zu verstehen.
Art. 348. Dieser Artikel ist dem Art. 294 des Deutschen H. G. Buches nachgebildet. Es handelt sich hier nicht um die Gültigkeit oder Verbindlichkeit der Geschäfte selbst, sondern um die blosse Berechnung, also nur um Zahlen. Während sonst Irrthum und Betrug in der Regel durch Anerkennung gutgemacht werden kann, soll dies bei blossen Rechnungsfehlern nicht der Fall sein, theils weil Rechnungsfehler Jedem leicht begegnen können, und manchmal selbst bei äusserster Sorgfalt nicht, dagegen manchmal wie zufällig, auf den ersten Blick entdeckt werden, theils weil die Rechnung kein Gegenstand der Willensfreiheit ist, sondern unter unwandelbaren mathematischen Gesetzen steht. Auf das Einmaleins kann kein Mensch verzichten, weder ausdrücklich noch stillschweigend. Die Anfechtung „ zu jeder Zeit” soll den Lauf der gewöhnlichen Verjährung auch solcher Ansprüche nicht ausschliessen, sondern nur im Gegensatz zu irgend einer etwa für die Anerkennung oder nach der Zahlung gesetzten Frist verstanden werden.
§ 3. Erfüllung der Verträge.
Art. 349. Zur Erfüllung eines Vertrages gehört zweierlei: 1, sie muss dem Vertrag entsprechen, also genau dasselbe sein, was der eine Theil versprochen und der andere Theil acceptirt hat; und 2, sie muss vollständig sein. Ein anderer Gegenstand, als der vertragsmässige, oder ein blosser Theil des vertragsmässigen Gegenstandes, so eine kleinere Geld- Summe, oder ein Theil der geschuldeten Quantität, oder eine Sache von geringerer Qualität, wäre keine vertragsmässige Leistung und folglich keine Erfüllung. Eine nicht vertragsgemässe oder unvollständige Leistung wird im Recht einfach als Nicht-Erfüllung angesehen, soferne nicht der Gläubiger freiwillig sich damit zufrieden gibt. Nur durch Erfüllung wird der Vertrag aufgehoben, also der Schuldner von seiner Verbindlichkeit frei. Durch Nicht-Erfüllung, gleichviel was der Schuldner dafür anbietet, kann niemals Aufhebung des Vertrags bewirkt werden; bis zur vollständigen, vertragsgemässen Leistung besteht also die Verbindlichkeit des Schuldners im vollen Umfange fort, sie müsste denn durch Verjährung oder auf andere zulässige Weise erlöschen.
Art. 350. Soll eine Leistung Erfüllung sein, so muss sie vollständig und vertragsgemäss sein auch hinsichtlich der Person, an welche sie erfolgt. Sie darf nur an die im Vertrage bezeichnete Person erfolgen, gleichviel ob sie ausdrücklich in dem Vertrage bezeichnet ist oder nur stillschweigend. Im letzteren Falle fällt sie mit der Person des Gläubigers, d. h. dessen, der durch den Vertrag das Recht der Forderung gegen den Schuldner erlangt hat, regelmässig zusammen.
Es können aber auch Verträge zu Gunsten dritter Personen mit voller Gültigkeit eingegangen werden. Dies kann auf mancherlei Weise geschehen: 1, im Weg der Stellvertretung, durch Gehülfen, Procuristen, Mäkler, Agenten und andere Bevollmächtigte ; 2, mittelst nachfolgender Ratification, deren Wirkung einem vorausgegangenen Mandat gleichkommt; 3, auch ohne vorheriges oder nachfolgendes Mandat kann bedungen werden, dass die Leistung an eine andere Person erfolgen soll als diejenige, welche den Vertrag abgeschlossen hat. Und hier ist wieder ein doppelter Fall möglich. Entweder wird die dritte Person nur zum Zahlungsempfang ermächtigt, während derjenige, welcher den Vertrag abschliesst, de jure Gläubiger bleibt, z. B. wenn die Zahlung an eine Bank, oder an einen Notar etc. stattfinden soll. Oder der Dritte soll wirklich allein berechtigter Gläubiger sein, so dass der, welcher den Vertrag abschliesst, kein Forderungsrecht aus dem Vertrag erwirbt. Auch hier sind wieder verschiedene Fälle möglich. Entweder erlangt der ursprüngliche Gläubiger das Recht, einen anderen Gläubiger zu bezeichnen oder überhaupt zu substituiren, dies ist der Fall beim Indossament von Ordrepapieren, bei der Uebergabe Von Inhaberpapieren etc. Oder es wird von Anfang an ein Dritter als Gläubiger bezeichnet, wie z. B. mittelst (Konsignation von Frachtgütern durch Versicherung für Rechnung Dritter u dgl.
Die Möglichkeit zu Gunsten dritter Personen zu contrahiren liegt in den Bedürfnissen des Handelsverkehrs, welcher verlangt, dass Forderungen als objectives, möglichst verkehrsfähiges Vermögen behandelt werden, wobei die ältere Auffassung der Obligation als persönliche Gebundenheit zwischen den ursprünglichen (Kontrahenten nicht mehr fortbestehen kann.
Welche Rechte dem Dritten aus einem solchen Vertrage zustehen sollen, hängt ganz und gar von dem Inhalt des Vertrages ab, und ist im Zweifel nach der vermuthlichen Absicht der Parteien und den Umständen des Falles zu beurtheilen. Wer nur zum Zahlungsempfang bestellt ist, kann zwar die Zahlung in Empfang nehmen und darüber quittiren, allein die Forderung selbst nicht geltend machen, weder durch Klage noch auf andere Weise.
Dass umgekehrt, auch ohne vertragsmässige Ermächtigung, für den eigentlichen Schuldner jeder Dritte, innerhalb gewisser Grenzen, die Erfüllung rechtsgültig leisten kann, ausgenommen sobald ein Interesse des Gläubigers dadurch verletzt wird, ist ein allgemein anerkannter Satz des Civilrechts (Code civ, Art. 1236. 1237), der auch für das Handelsrecht gilt, und braucht daher nicht besonders ausgedrückt zu werden.
Dass jede nicht vertragsmässige oder gesetzliche Aenderung in den Personen zulässig ist, wenn sie nachträglich genehmigt wird, bedarf gleichfalls keiner weiteren Erwähnung. Das gleiche gilt als selbstverständlich von der Zahlung an oder von Personen, welche nur die eigentlich berechtigte oder verpflichtete Person repräsentiren, wie Cassirer, unter gewissen Umständen, die Hausgenossen ete.
Art. 351. Die Rechtfertigung dieses Artikels liegt bereits in den Bemerkungen zu Art. 349. Die Annahme an Zahlungsstatt kann entweder ausdrücklich oder stillschweigend sein, letzteres z. B. wenn man eine Sache empfängt und nicht binnen angemessener Frist zurückgibt, wenn man sie gebraucht oder weiter veräussert etc. In beiden Fällen ist die Annahme unwiderruflich, sie wäre denn mit Vorbehalt geschehen. In manchen Fällen ist die Annahme ohne weiteres bindend, z. B. wenn man Papiergeld oder Banknoten annimmt, obgleich man Zahlung in Metall fordern könnte. Der Einwand, dass man die Mängel der Sache erst später entdeckt habe, kann durch ausdrückliche Bedingung abgeschnitten werden, wenn sofortige Untersuchung bei der Annahme zur Pflicht gemacht ist. Abgesehen hievon ist er nur zulässig, wenn die Untersuchung nicht ungebührlich verzögert wurde. Reclamationen müssen also spätestens bis zu dem Zeitpunkt erhoben werden, wo die Untersuchung stattfinden konnte, d. h. regelmässig unmittelbar nach Empfang.
Art. 352. Der in diesem Artikel ausgesprochene Grundsatz entspricht der allgemeinen Regel, dass in allem, was die Erfüllung betrifft, das Recht des Erfüllungsortes entscheidet, ebenso wie in allem, was die Eingehung betrifft, das Recht des Ortes entscheidet, wo der Vertrag abgeschlossen wurde. Der Grundsatz gilt nicht blos von eigentlichen Rechtssätzen, sondern auch von Handelsgebräuchen und von allem, wornach der Gegenstand und die näheren Modalitäten der Erfüllung zu beurtheilen sind (Art, 370). Als Erfüllungsort ist derjenige Ort anzusehen, an welchem die Uebergabe an den Gläubiger erfolgt, wenngleich die Absendung auf dessen Gefahr an einem anderen Orte erfolgt (Art. 367), also regelmässig der Wohnort des Gläubigers. Denn der in Art. 367 ausgesprochene Satz betrifft nur die specielle Frage der Versendung, nicht die nothwendigen Eigenschaft des versendeten Gegenstandes. Eine Consequenz hievon ist namentlich, dass, wenn die Handelsqualität einer Waare in Frage steht, die am Erfüllungsorte geltende Handelsqualität den Ausschlag gibt. Werden Waaren aus Europa nach Japan gesandt, so kann sie der Empfänger zurückweisen, wenn sie nicht die in Japan übliche Qualität der betreffenden Handelswaare besitzen. Dies kann sich auch auf äussere Nebendinge erstrecken, z. B. die Benützung gewisser Flaschen, Cartons u. dgl. Auch wenn darüber im Vertrage nichts besonderes gesagt ist, muss der Vertrag doch so erfüllt werden, wie die Verpflichtung stillschweigend lautet. Es ist aber nicht zu denken, dass der Gläubiger etwas als Handelswaare annehmen sollte, was für ihn keine Handelswaare ist.
Art. 353. Durch gehörige Erfüllung wird der Schuldner von seiner Verbindlichkeit frei. Wird nun die Erfüllung von dem Gläubiger verhindert, dadurch dass dieser die Annahme der gehörigen Erfüllung trotz des Angebots verweigert, so wird die Verbindlichkeit des Schuldners zwar nicht ohne weiteres aufgehoben, allein er wird von aller weiteren Verantwortlichkeit dafür frei, soweit man sich überhaupt der rechtlichen Verantwortlichkeit gegen Andere entledigen kann. Der Gläubiger wird als Eigenthümer des zurückgewiesenen Gegenstandes angesehen, und muss allen daran in der Folge entstehenden Schaden tragen, der nicht böswillig oder durch grobe Nachlässigkeit von dem Schuldner verursacht wurde. Unter dieser Voraussetzung wird also der Schuldner gänzlich frei, wenn die Sache etwa gestohlen oder durch Brand oder sonst wie zerstört wurde; ebenso trägt der Gläubiger den Schaden, wenn sie verdirbt oder irgendwie verschlechtert wird. Wenn der Schuldner die Sache aufbewahrt, kann er dafür den Ersatz seiner etwaigen Kosten und Auslagen verlangen. Bei Geldschulden hört die Verpflichtung Zinsen zu zahlen auf.
Uebrigens ist zwischen Geldschulden oder anderen generellen Schulden, und zwischen speciellen Schulden zu unterscheiden. Eine specielle Schuld geht immer auf einen speciellen Gegenstand, der untergehen oder verderben kann. Diese Gefahr trifft den Gläubiger, soweit nicht der Schuldner ein Verschulden begeht. Bei Geld etc. kann ein Untergang etc. nicht eintreten, weil es sich hier nicht um bestimmte Geldstücke handelt. Wenn also der Schuldner später die angebotene Geldsumme etc. verliert oder sonstwie darum kommt, so wird er dadurch von seiner Schuld nicht befreit. Ebenso wenn z. B. ein Centner Mehl oder dergl. angeboten wurde, und das Mehl etc. später wieder mit den übrigen Vorräthen des Schuldners vermischt wurde. Doch bleibt es dem Schuldner unbenommen, eine generelle Schuld in eine specielle zu verwandeln, wenn er nämlich den angebotenen Gegenstand ausgeschieden lässt, und als dem Gläubiger gehörige Sache bezeichnet und behandelt. Wurde also z. B. eine angebotene Geldsumme versiegelt oder wenigstens bei Seite gelegt, und später gestohlen, so träfe der Verlust unzweifelhaft den Gläubiger, woferne dieser unmittelbar von diesem Verfahren benachrichtigt worden wäre.
Was zu einem rechtmässigen Angebot (legal tender) gehört, ist nach den Grundsätzen über Erfüllung zu beurtheilen. Würde Zahlung in Banknoten angeboten, aber vom Gläubiger nicht aus diesem Grunde zurückgewiesen, so wäre das Angebot als rechtmässig anzusehen, wenn nur Banknoten am Erfüllungsorte coursiren und regelmässig angenommen werden. Ein Angebot in blossen Worten genügt nicht, sondern es muss die Sache selbst so angeboten werden, dass der Gläubiger sie nur in Empfang zu nehmen braucht.
Ist der Gläubiger verpflichtet, die geschuldete Sache beim Schuldner selbst abzuholen, so würde die blosse Anzeige des letzteren, dass die Sache zur Abholung bereit liege, allerdings genügen und sie müsste dem Gläubiger nicht ins Haus gebracht werden. Jedoch wäre die blosse Anzeige wirkungslos, wenn die Sache nicht derart zum Empfang fertig gestellt wäre, dass der Gläubiger lediglich zu kommen und sie zu holen brauchte.
Art. 354. Unter theilweiser Erfüllung ist nicht die Leistung von Theilzahlungen zu verstehen, welche zwischen beiden Theilen verabredet wurden. Solche Theilzahlungen sind natürlich gültig, wenn der Schuldner das Recht erlangt hat, stückweise zu erfüllen; ebenso wie eine Zahlung keine verspätete ist, wenn der Verfalltag hinausgeschoben wurde. Unter einer theilweisen Zahlung ist vielmehr zu verstehen, dass der Schuldner nur einen Theil der fällig gewordenen Schuld zahlt, gleichviel ob vor oder erst am Verfalltage. Wenn z. B. am 1. April eine Schuld von 100 D. fällig wäre, und der Schuldner erböte sich, 50 D. am 1. März und 50 D. am 1. April zu zahlen, oder
50 D. am 1. April und 50 D. am 1. Mai, so wären das theilweise und bez. verspätete Zahlungen, die der Gläubiger gegen seinen Willen nicht anzunehmen braucht. Ebenso sind Waarenlieferungen am Verfalltage vollständig zu leisten, soferne nicht theilweise Lieferung, in verschiedenen Absätzen, vereinbart oder stillschweigend genehmigt ist. Dies ist selbst dann zu beobachten, wenn die Erfüllung während des Laufes einer längeren Frist erfolgen kann; auch hier ist der Gläubiger nicht verpflichtet, bald ein Stück der Lieferung, und bald ein anderes anzunehmen, auch wenn die Frist innegehalten wird. Denn es kann dem Schuldner nicht gestattet sein, einseitig den Vertrag zu ändern, und aus einer Leistung mehrere zu machen.
Indessen können theilweise Zahlungen auch ohne ausdrückliche Vereinbarung zulässig sein, wenn sie der Natur der Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Theilen gemäss und üblich sind. Code de comm. Art. 156. Dies ist namentlich der Fall, wenn zwischen beiden Theilen laufende Rechnung besteht, insbesondere mit Banken, von denen man annehmen kann, dass sie für Geld beständig Verwendung haben, und daher zur Annahme jeder Summe bis zu einem gewissen Minimalbetrag herab jederzeit bereit sind; die daher auch Einzahlungen a conto ohne Rücksicht auf bestehende Forderungen annehmen.
Art. 355. Der Verfalltag bezeichnet den Zeitpunkt, an welchem eine Schuld fällig ist, mithin die Erfüllung geschehen muss. Ein Tag ist juristisch fast immer ein einheitlicher Zeitpunkt, so dass Anfang und Ende, und die ganze dazwischen liegende Zeit, als völlig gleich gelten. Da man auf den Tag 24 Stunden rechnet, so könnte an sich die Erfüllung in jedem Augenblick innerhalb solcher 24 Stunden erfolgen, von Mitternacht zu Mitternacht. In Handelsgeschäften pflegt man jedoch als untheilbare Tageszeit nur die ortsüblichen Geschäftsstunden zu rechnen, so dass der Tag mit diesen beginnt und endigt, Wenn nun die Erfüllung nicht bis zum Ende des Verfalltages erfolgt, so treten die Folgen der Verspätung oder des Verzuges ein, d. h. es wird der Schuldner von nun an so angesehen, als habe er nicht geleistet.
Art. 356. Der Verfalltag ist unmittelbar bestimmt, wenn er selbst direct bezeichnet wird ;z. B. Zahlung soll erfolgen am 1. April, zu Neujahr, am Tag der Ankunft des Schiffes, am Geburtstage u.s. w. Mittelst einer Frist wird er bestimmt, wenn er sich erst durch Berechnung eines dazwischen liegenden Zeitraumes ergibt, z. B. nach 20
Tagen, nach 4 Wochen, nach 1/2 Jahr, binnen 3 Jahren, nach 6 Monaten, nach 1/2 Monat etc. etc. Welchen Ausdruck die Parteien wollen, steht natürlich in ihrem Belieben.
Art. 357. 358. Soll die Zahlung binnen 4 Tagen erfolgen, so ist der vierte Tag von dem Tag des Vertragsabschlusses an gerechnet, der Verfalltag; wenn binnen 20 Tagen, der zwanzigste und so weiter. Wird also z. B. am 1. Mai abgeschlossen, so ist in dem einen Falle der fünfte und in dem anderen Falle der ein und zwanzigste Mai der Verfalltag. Der 1. Mai wird überall nicht mitgerechnet, da er nur als einheitlicher Zeitraum gilt, somit die Rechnung erst vom nächsten Tage beginnen kann.
Diese Art der Berechnung ist auch in den übrigen Gesetzgebungen die Regel. Span. Code Art. 257. Deutsch. H. G. B. Art. 328. Code civil Art. 1186. 1187. Kent Comment .IV. p 95 note b.
Die Berechnung von Tag zu Tag, sog. Civilcomputation, bei welcher der Tag den kleinsten Zeitabschnitt bildet, ist sowohl im Civilals im Handelsrechte die Regel. Die sog. Naturalcomputation, bei welcher nach kleineren Zeitabschnitten, wie Stunden etc., gerechnet wird, kommt auch im Civilrechte nur ganz ausnahmsweise vor, und kann im Handelsrechte nur durch ganz unzweideutige, ausdrückliche Vereinbarung vorgeschrieben werden.
Wenn nach Wochen etc. gerechnet wird, so ist der correspondirende Tag der letzten Woche etc. der Verfalltag. Z. B. Der Abschluss findet statt Mittwoch den 1. Juli 1880; Zahlung soll erfolgen nach 4 Wochen, dann ist der Mittwoch der vierten darauf folgenden Woche Verfalltag; wenn nach 1 Monat, dann. der 1. August, wenn nach 6 Monaten, dann der 1. December; wenn nach 3 Jahren, dann der 1. Juli 1883 der Verfalltag.
Art. 359. Die Bestimmung dieses Artikels, die sich auch im deutschen H. G. B. Art. 328 findet, soll dazu dienen die ungleiche Berechnung nach Calender-Monaten zu beseitigen. Bei der Berechnung nach ganzen Monaten macht die ungleiche Dauer der Calendermonate, bald 30 oder 28, bald 31 Tage, keine Schwierigkeit, da die Monate hier voll zu nehmen sind, wie sie eben treffen. Dagegen bei halben Monaten, kann die Frist bald 15, bald 15 1/2 Tage, bald sogar nur 14 Tage ausmachen, wenn man sie buchstäblich nimmt, und es wären dies nicht nur ungleiche Fristen, sondern man müsste auch nach halben Tagen rechnen, was der allgemeinen Regel widerspricht. Daher empfiehlt es sich, den halben Monat ein für allemal auf die runde Zahl von 15 Tagen zu fixiren.
Im gewöhnlichen Leben werden häufig 4 Wochen gleich einem Monate, 8 Tage gleich einer Woche, 14 Tage gleich 1/2 Monat genommen. Dies ist aber der juristischen Berechnung nicht entsprechend, und es ist jede Frist so zu nehmen, wie sie ausgedrückt ist.
Art. 360. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht der überall geltenden Regel, dass an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen die Geschäfte ruhen und mithin Geschäftshandlungen nicht vorgenommen, sondern auf den nächstfolgenden Geschäftstag verlegt werden. Was ein allgemeiner Feiertag sei, ist nach den jeweiligen Umständen zu bestimmen. Es können sowohl religiöse, als politische Feiertage sein. Wenn dieselben für beide Theile nicht gleich sind, kann jeder Theil sich auf seinen Feiertag berufen, mithin ein Christ auf christliche Feiertage, ein Japaner auf japanische, ein Franzose auf französische u. s. w. Zu den allgemeinen Feiertagen gehören auch die Bank-Feiertage. In allen Fällen macht es keinen Unterschied, ob die Feiertage gewöhnliche oder ausserordentliche sind, ein für allemal feststehen oder besonders vorgeschrieben werden müssen, u. s. w. Wenn die Feier sich über mehrere Tage erstreckt, ist der dem letzten Feiertag folgende Wochentag der Geschäftstag.
Art. 361. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht dem überall geltenden Handelsgebrauche. Wenn der Kaufmann sein Geschäftslocal schliesst und seine Geschäftsthätigkeit unterbricht, ist für ihn der Tag geschäftlich zu Ende, und dies wird allgemein und gegenseitig unter Geschäftsleuten beobachtet. Auch solche, die nicht Geschäftsleute sind, müssen sich im Verkehr mit Geschäftsleuten darnach richten. Jedoch ist dies immerhin nur eine Convenienz, von der man ausnahmsweise aus besonderen Gründen auch abgehen kann, wenn keine Chicane und kein besonderes Verschulden vorliegt, und die Anwendung der Regel bedeutende Nachtheile nach sich ziehen würde. Es kann mithin unter diesen Voraussetzungen eine Zahlung noch am Abend des Verfalltages geleistet werden. Nöthigenfalls muss darüber nach Billigkeit der Richter entscheiden.
Art. 362. In den vorausgehenden Artikeln wurde der Verfalltag als derjenige Tag verstanden, an welchem die Erfüllung erfolgen und vom Gläubiger gefordert werden kann. Da der Verfall ein untheilbarer Zeitabschnitt ist, so stehen sich Anfang, Mitte und Ende gleich, und der Gläubiger kann sowohl am Morgen, als am Nachmittag fordern, bez. der Schuldner zahlen. Jedoch nur an diesem Tage selbst, wenigstens der Regel nach.
Es kann aber eine Frist auch so gemeint sein, dass während ihrer ganzen Dauer die Erfüllung geschehen kann, also, wenn die Frist einen Monat beträgt, an allen Tagen dieses Monats u. s. w. Auch hier sind nur Geschäftstage gemeint, soferne es sich um Zahlung handelt, und die Folge davon ist, dass eine solche Frist mit dem letzten auf sie fallenden Geschäftstag endigt, also wenn sie an einem Sonntag zu Ende ginge, muss die Zahlung spätestens am vorhergehenden Samstag geleistet werden.
Im Zweifel ist eine Fristbestimmung immer in dem ersteren Sinne auszulegen, weil die letztere weit seltener gebraucht wird. Z. B. die Bestimmung 4 Monate a dato, bedeutet nicht Zahlung während der folgenden 4 Monate, sondern nach Ablauf derselben. Lieferung einer Waare binnen 6 Monaten bedeutet, dass die Ablieferung am Schluss des halbjährigen Zeitraums erfolgen soll. Wenn nun die Ausdrücke des Vertrages keine unmittelbare Erklärung geben, muss der Wille der Parteien nach Art. 320 erforscht werden.
Art. 363. Wenn eine Frist im Sinne des Art. 362 gemeint ist, kann die Erfüllung möglicher Weise an vielen verschiedenen Tagen erfolgen, und es kann darüber zwischen Gläubiger und Schuldner Zwiespalt entstehen. Hier entsteht die Frage, wessen Meinung in einem solchen Falle befolgt werden soll, die des Gläubigers oder die des Schuldners. Es ist zunächst zu entscheiden, in welchem speciellen Sinne die Frist gemeint ist. Nämlich entweder in dem Sinne, dass den Parteien jeder Tag innerhalb der Frist genehm ist, jedoch im Interesse des einen oder des anderen Theiles eine unbestimmte Erfüllungszeit vereinbart wurde, um eine spätere Wahl frei zu lassen. Oder in dem Sinne, dass eine freie Wahl nicht gelassen werden soll, sondern nur die Erfüllung wegen Ungewissheit der Umstände über einen längeren Zeitraum erstreckt wird.
Ersteres findet statt, wenn z. B. der Gläubiger als Verkäufer jederzeit liefern will, aber der Käufer sich den Termin der Abnahme vorbehält, oder umgekehrt der Käufer jederzeit annimmt, dagegen der Verkäufer den Tag der Lieferung sich frei hält.
Letzteres, wenn die Meinung beider ist, dass die Lieferung unmittelbar nach Ankunft eines Schiffes erfolgen soll, allein wegen Ungewiss heit der Ankunft desselben ein längerer Zeitraum däfür gewährt wird. Kommt nun das Schilf vor dem Ablauf der Frist an, so soll kein weiterer Aufschub der Lieferung stattfinden; wenn nach dem Ablauf der Frist, dann ist der Contract als nicht erfüllt anzusehen.
Ob das eine oder das andere die Absicht der Parteien ist, hängt von dem Inhalte und der Auslegung des Vertrages ab. Hiebei ist zu erwägen, dass eine Frist immer ein Aufschub ist, welcher im Interesse und zum Vortheil einer oder auch beider Theile gewährt wird. Da nun durch jeden Vertrag jede Partei ihren Vortheil geltend zu machen berechtigt wird und die andere Partei damit sich einverstanden erklärt hat, so ist jede Frist zum Vortheil derjenigen Partei auszulegen, in deren Interesse sie gewährt wurde; oder wenn beide Theile dabei interessirt zu sein behaupten, zum Vortheil derjenigen Partei, deren Interesse das überwiegende ist und verhältnissmässig besser motivirt erscheint. Bleiben aber trotzdem Zweifel, so soll immer das Interesse desjenigen, der Waaren abzunehmen oder der eine Geldschuld zu entrichten hat, vorangestellt, also zu seinem Vortheile dazwischen beiden Theilen streitige Zeitpunkt der Erfüllung bestimmt werden.
Die Bevorzugung des Käufers entspricht schon dem Standpunkt des römischen Rechtes, welches annahm, dass der Verkäufer es in seiner Macht habe, die Vertragsbestimmungen soweit zu fixiren, als er es wünsche, wesshalb von jeder Unbestimmtheit der Käufer profitiren müsse. Nach heutiger Auffassung ist Geld der eigentliche Kernpunkt aller Geschäfte, und man nimmt an, dass Geld im allgemeinen schwieriger zu beschaffen ist, als Waaren. Daher ist die Geldschuld eine verhältnissmässig grössere Last, und dies passt auch auf den Käufer oder sonstigen Abnehmer von Waaren, da er Geld dafür zahlen muss. Da nun im Zweifel immer das weniger belästigende anzunehmen, also zum Vortheil dessen zu interpretiren ist, der die grössere Last zu tragen hat, so erklärt sich hierdurch die Vorschrift des Art. 363, zu Gunsten des Käufers und Geldschuldners,
Es wäre unrichtig anzunehmen, dass man sich wohl wegen zu später, aber nie wegen zu früher Lieferung beklagen könne, dass folglich der Käufer immer annehmen müsse, wenn nur der Verkäufer zu liefern bereit sei. Diese Annahme kann zutreffen, wenn der oben erörterte zweite Fall gemeint ist; aber dies hängt ganz von der Absicht der Parteien und von den Umständen ab. Wo das Geschäft nur Comptant-Geschäft und der Käufer nicht im Stande ist, grössere Waarenlager aufzuhäufen, kann spätere Lieferung für ihn ein sehr begründetes Interesse sein und wenn er sich die Abnahme während eines längeren Zeitraumes vorbehalten hat, kann der Käufer ihn nicht beliebig zur Abnahme vor seiner Wahl zwingen.
Wenn ich mir einen Anzug bestelle und der Schneider verspricht, ihn binnen 8 Tagen fertig zu liefern, so ist die Frist offenbar im Interesse des Schneiders bestimmt, und derselbe erlangt das Recht an jedem Tage innerhalb der folgenden 8 Tage den Anzug zu liefern und seine Bezahlung zu verlangen. Hier würde man daher nicht sagen können, dass der Käufer den Tag der Annahme des Anzuges bestimmen könne. Wäre aber zugleich bestimmt, dass die Zahlung binnen 4 Wochen nach der Annahme erfolgen soll, so hätte innerhalb der 4 Wochen der Schuldner die Wahl des Zahlungstages, weil es sich hier um eine Geldschuld handelte.
Art. 364. Diese Bestimmung findet sich ausdrücklich auch im D. H. G. B. Art. 333. Es ist dies eigentlich eine Auslegungsregel. Jede Fristverlängerung ist so zu verstehen, wie die Parteien gemeint haben. Ist darüber aber nichts gesagt oder sonst aus den Umständen zu entnehmen, so ist die Annahme gerechtfertigt, dass die neue Frist nach dem Ablaufe der alten gemeint sei. Z B. die erste Frist läuft am 1. Mai ab, wird aber am 20. April „um 1 Monat verlängert,” oder „um einen weiteren Monat verlängert,” hier ist wohl kein Zweifel, dass die neue Frist erst vom 1. Mai, nicht schon vom 20. April anläuft, und daher am 1. Juni zu Ende ist.
Wäre aber gesagt oder beabsichtigt: die Frist von 1 Monat wird auf 2 Monate verlängert, oder der zunächst auf 6 Jahre geschlossene Vertrag wird auf 8 Jahre erstreckt, so wäre offenbar die neue Frist an die Stelle der alten getreten, mithin die neue Frist von dem Anfang der alten an zu datiren, da sonst die Vertragsdauer 14 Jahre betragen würde, was nicht die Absicht war.
Art. 365. Ist kein bestimmter Zeitpunkt der Erfüllung angesetzt, so ist dies eine Frist ohne Ende; es müssen daher zunächst ganz die gleichen Grundsätze wie sie in den Art. 362 und 363 enthalten sind, angewendet werden, nur mit dem Unterschied, dass die Erfüllung nicht beliebig hinausgeschoben werden darf, da hiedurch das Recht des Gläubigers illusorisch gemacht würde. Der Regel nach ist auch hier die Frist im Interesse des Schuldners zu interpretiren; er kann also zunächst den Zahlungstag wählen. Allein wenn er dies nicht thut, dann tritt das Recht des Gläubigers entgegen und dieser kann nunmehr den Verfalltag festsetzen. Mit anderen Worten statt einer unbestimmten und endlosen Frist kann der Gläubiger eine begrenzte Frist setzen, wenn der Schuldner die Zahlung unangemessen verzögert. Was unangemessene Verzögerung sei, ist nach den Umständen zu interpretiren. Wenn für einen bestimmten Zweck Geld geliehen wurde, so kann die Rückgabe wohl kaum vor Erreichung des Zweckes erfolgen. Wurde ein Kaufpreis creditirt, so muss die übliche Frist als die angemessene gelten. Kann aber der Schuldner keinen angemessenen Grund für Aufschub darlegen, so kann der Gläubiger jederzeit den Verfalltag bestimmen, bez. die Schuld aufkündigen. Anders in Span. Code Art. 260. S. Deutsch. H. G. B. Art. 326.
Art. 366. Nächst der Zeit ist der Ort der Erfüllung ein Punkt von allgemeiner Wichtigkeit. Darüber herrscht kein Zweifel, dass die Erfüllung immer an dem Orte geschehen muss, der im Vertrage ausdrücklich bezeichnet ist oder sonst aus der Natur der Leistung und den Umständen jedes Falles als beabsichtigt anzunehmen ist. Wenn z. B. Holz auf dem Stamme im Walde gekauft ist, so kann die Uebergabe nur im Walde erfolgen, wenn etwas in einem Laden gekauft ist, so erfolgt in der Regel die Uebergabe im Laden, sollen Waaren per Schiff transportirt werden, so erfolgt die Uebergabe am Ladungsorte u. s. w.
Dagegen sind die Gesetzgebungen über dem Falle uneinig, wenn kein Ort bestimmt oder zu vermuthen ist. Die ältere, aus dem römischen Recht stammende, noch im französ. Code civ. Art. 1247 und im deutschen H. G. B. Art. 324 beibehaltene Meinung geht dahin, dass im Zweifel am Wohnort des Schuldners zu leisten sei, jedoch mit der Modification, individuell bestimmte Sachen an dem Orte, wo sie sich zur Zeit der Vertragsabschlusses befanden. Der Wohnort des Schuldners wird damit erklärt, dass an diesem Orte auch die Klage anzustellen, also eventuell die Leistung auch zu erzwingen wäre.
Nach engl. und amerikan. Recht ist die vorwiegende Meinung die, dass im Zweifel der Gläubiger den Ort der Erfüllung bestimmen kann, und wenn er dies nicht thut, beim Gläubiger, also an dessen Wohnort zu erfüllen ist.
Diese Meinung, welche auch sonst schon allgemein von Geldzahlungen gilt, D. H. G. B. Art. 325, ist die allein practische und den heutigen Zuständen des Handelsverkehres angemessene. Der Handel müsste geradezu stillstehen, wenn nicht der Schuldner den Gegenstand der Leistung dem Gläubiger zuzusenden verpflichtet wäre. Jeder Contract verpflichtet den Schuldner zu einer Leistung, nicht blos zu einem Geschehenlassen und wer einem etwas schuldet, muss es ihm geben, mithin kann principiell die Leistung nur erfolgen, wo die Uebergabe erfolgen kann d. i. an dem Orte, wo die Person des Gläubigers ist.
Die Erfüllung ist ein Recht des Gläubigers, sie ist daher, soweit der Vertrag nicht sonst bestimmt, durch das Recht und die Person des Gläubigers zu bestimmen, um so mehr, als nicht blos ein anderer Gegenstand, sondern auch ein anderer Ort der Leistung diese für den Gläubiger werthlos machen kann, während der Ort der Leistung für den Schuldner gleichgültig sein kann. Hiedurch wird die Bestimmung über den Ort mit der über die Zeit in Art. 365 völlig übereinstimmend, soweit Uebereinstimmung überhaupt bestehen kann.
Art. 367. Die practische Folge des Art. 366 ist, dass dem Schuldner regelmässig die Versendung der Waare oder des Geldes an den Gläubiger etc. obliegt nach dem Orte, wo er wohnt oder den er bestimmt hat. Für diese Versendung und für alles, was dazu gehört, Verpackung, Versicherung, Auswahl eines passenden Schiffes etc. trägt der Schuldner die Verantwortlichkeit, soweit ihm ein Verschulden zur Last gelegt werden kann; ebenso wie er bei generellen Leistungen die Waare auswählen, vermessen, wiegen etc. muss. Allein es liegt ihm nichts weiter ob, als die sorgfältige Bewerkstelligung der Versendung. Er hat seinerseits erfüllt, wenn er mit Sorgfalt und rechtzeitig die Versendung besorgte. Wie überhaupt die Gefahr der Sache nach dem Abschluss des Vertrags der Gläubiger trägt, so auch alle Gefahr der Versendung. Diese Regel gilt in allen Fällen, gleichviel ob der Ort der Zusendung im Vertrage benannt oder erst vom Gläubiger bezeichnet wird.
Art. 368. Wohnen beide Theile an demselben Orte, so gilt zwar gleichfalls im allgemeinen die Regel, dass der Schuldner die Sache dem Gläubiger zu überliefern hat. Indessen kommen in diesem Falle häufig Abweichungen vor, so dass der Gläubiger die Sache vom Schuldner abzuholen, also im Local des Schuldners zu übernehmen hat. Dies kann ausdrücklich verabredet werden, oder es ist nach Ortsgebrauch üblich. Post- und Eisenbahnsendungen werden dem Adressaten meist ins Haus gebracht; es kann aber auch die Abholung durch den letzteren, wenigstens in gewissen Fällen, bestimmt sein. Im Detailverkauf werden die Waaren dem Käufer meist nur auf besonderes Verlangen zugesendet; im Grosshandel ist die Zusendung durch den Verkäufer häufig stillschweigende Bedingung. Eine feste Regel lässt sich darüber nicht aufstellen, und es muss im Zweifel auf das, was gewöhnlich geschieht, oder auf die Natur des Geschäfts gesehen werden. Bei Sachen, die erst producirt werden, liegt meist die Zusendung dem Fabrikanten ob, da von diesem dann auch die Zeit der Absendung abhängt.
Art. 369. Die Rechtfertigung dieses Artikels ist bereits in den Bemerkungen zu Art. 367 enthalten. Der Absender haftet nur für die ordentliche Absendung und deren Folgen; die Gefahr des Transports selbst trifft den Gläubiger. Dies ist die Regel ; Ausnahmen können jedoch statt finden, abgesehen von speciellen Vertragsbestimmungen, wegen der besonderen Natur gewisser Verträge, wie z. B. beim Lieferungsvertrag Art. 613. 615.
Darüber wer die Kosten der Zusendung zu tragen hat, lässt sich keine allgemeine Regel aufstellen. Häufig trägt sie der Absender auf eigene Rechnung, oder dieser legt sie aus und stellt sie dem Empfänger in Rechnung. Es können auch die Kosten zwischen beiden Parteien getheilt werden. Im Zweifel wird aber dem Empfänger auch die Tragung der Transportkosten obliegen.
Art. 370. Die Bestimmung dieses Artikels ist nur eine Anwendung des im Art. 352 ausgesprochenen Princips auf die wichtigsten Besonderheiten der Erfüllung.
Art. 371. Dieser Artikel bezieht sich auf Geldschulden, deren Bezahlung nicht ausdrücklich in effectiver Münze, Silber oder Gold, zu leisten ist, deren Summe vielmehr ohne jede nähere Bestimmung genannt ist. Denn wenn Metallzahlung ausdrücklich versprochen ist, so kann kein Zweifel mehr bestehen über den Gegenstand der Verpflichtung des Schuldners, und dieser kann nichts anderes leisten, wenn nicht der Gläubiger es freiwillig annimmt. Art. 351.
Ist aber die Geldsorte, in der zu zahlen ist, im Vertrag unbestimmt gelassen, und coursiren an dem Erfüllungsorte mehrere Geldsorten, nämlich Münze und Papiergeld, so fragt es sich, wenn beide Theile sich nicht gutwillig einigen wollen, wem das Recht der Wahl der Geldsorte zustehen soll, dem Gläubiger oder dem Schuldner. Hier muss nun offenbar die allgemeine Regel angewendet werden, dass im Zweifel und namentlich bei Geldschulden, das Interesse des Schuldners den Vorzug hat. Der Schuldner kann mithin bei unbestimmt gelassenen Geldsorten diejenige wählen, die ihm convenirt, und der Gläubiger kann nicht beliebig eine andere Wahl treffen. Indessen hat dieses Wahlrecht des Schuldners eine Grenze; er darf nämlich den Gläubiger nicht in Nachtheil bringen, so dass dieser zwar nicht nominell, aber doch reell weniger erhielte, als ihm gebührt. Dollars dürfen, ebenso wenig wie in Kupfermünzen, ebenso auch nicht in entwerthetem Papiergeld gezahlt werden. Dies versteht sich ohne Anrechnung des Cours Unterschiedes von selbst. Allein auch mit Anrechnung und Vergütung des Courses braucht der Gläubiger nicht entwerthetes Papiergeld anzunehmen, weil solches Papiergeld immer weniger weith ist als Münze, und der Gläubiger bei weiterer Umwechselung Coursverlusten, und mindestens Zeitverlust und anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt wäre. Papiergeld steht mithin nur dann dem Metallgelde gleich, wenn es nicht nur allgemein coursirt, also von Jedermann ohne Bedenken angenommen wird, sondern auch vollen Cours hat. Und Banknoten sind in dieser Beziehung ebenso wie Staats- Papiergeld zu behandeln. Vergl. Engi. Gesetz 3 & 4 Will. 4 c. 98 s. 6. 7 & 8 Vict. c. 32. Smith merc. Law p. 529. Früher schon Gesetze von 1810 & 1819. Belg. Gesetz vom 20. Juli 1873 Art. 6. In diesen Gesetzen ist die Zahlbarkeit auf jedesmaliges Verlangen als Criterium hingestellt, was aber practisch auf die Cirkulation zum vollen Werthe in den meisten Gesetzen hinausläuft.
Diese Regel erleidet aber eine Ausnahme, wenn Papiergeld oder Banknoten Zwangscours erhalten haben d. h. Jeder kraft gesetzlicher Vorschrift zu ihrer Annahme unweigerlich verpflichtet ist wie z. B. die Noten der Bank von Frankreich nach dem Gesetze vom 12. August 1817 und die Noten der Englischen Bank nach den angeführten älteren Gesetzen. Hier werden die natürlichen Bedingungen des allgemeinen Umlaufes durch das Zwangsgebot ersetzt. Solches Papiergeld muss Jeder annehmen, auch wenn es niedriger im Cours steht als Metallgeld. Jedoch können auch hier die auf effective Münze lautenden Verbindlichkeiten nicht in Papiergeld oder Banknoten getilgt werden.
In der Thorie herrscht gewöhnlich die Lehre, dass auch vollwerthiges Papiergeld etc., wenn es keinen Zwangscours hat, der Gläubiger nicht gegen seinen Willen anzunehmen braucht. Diese Lehre beruht auf der veralteten Vorstellung, als sei nur Metallgeld wirkliches Geld, dagegen Creditzeichen nur ein nomineller Repräsentant des Geldes. In der Praxis wird vernünftiger Weise unter den angegebenen Voraussetzungen zwischen Metall- und Papiergeld kein Unterschied gemacht, ja es wird vielfach das Papiergeld aus verschiedenen Gründen vorgezogen.
Auch zwischen verschiedenen Papiergeld- und Banknoten-Sorten hat der Schuldner unter gleichen Voraussetzungen die Wahl.
Art. 372. Dieser Artikel folgt aus demselben allgemeinen Princip wie der vorhergehende. Generelle Schulden können in den verschiedensten speciellen oder individuellen Gegenständen entrichtet werden ; alternative in dem einen oder dem anderen Gegenstande, welchen man wählen will. Alternative Schulden unterscheiden sich dadurch von generellen, dass bei letzteren nie eine Unmöglichkeit der Leistung durch Untergang der Sache eintreten kann, wohl aber bei ersteren, indem zwei specielle Sachen sehr wohl beide zu Grund gehen können. Der Schuldner hat in beiden Fällen im Zweifel die Wahl; nur darf er nicht seinen Gegenstand wählen, der nicht mehr existirt und sich dadurch von seiner Verbindlichkeit frei machen. Dies wäre gegen Treu und Glauben. Code civil Art. 1190.
Andere ungewisse Verbindlichkeiten können entstehen, wenn z. B. Ort oder Zeit der Erfüllung ungewiss gelassen sind, so dass einer wählen muss; hier steht gleichfalls die Wahl beim Schuldner. Ebenso wenn zwischen mehreren Gerichtsständen oder Schiedsmännern die Wahl gelassen wäre etc.
Uebrigens muss der Schuldner sein Wahlrecht ehrlich und vernünftig ausüben, und nicht durch Verzögerung den Anspruch des Gläubigers zu vereiteln suchen, dies hätte die Folge, dass das Wahlrecht auf den Gläubiger überginge.
Mit Ungewissheit der Leistung ist die Unbestimmtheit, Dunkelheit oder Zweideutigkeit nicht zu verwechseln. Dunkle Bestimmungen werden zum Theil nach anderen Regeln entschieden. So z. B. geht die Auslegung eines dunklen Kaufvertrags in der Regel zum Nachtheil des Verkäufers, obgleich er in Bezug auf die Lieferung der Waare Schuldner ist.
Durch Verzug oder Klage geht das Wahlrecht des Schuldners nicht verloren; er kann also dasselbe auch in Bezug auf den dem Gläubiger zu leistenden Werthersatz ausüben.
Durch ausdrückliche Bestimmung kann bei allen diesen Verbindlichkeiten das Wahlrecht auf den Gläubiger übertragen werden.
§ 4. Werth-und Schadensersatz. Disconto.
Art. 373. Die Bestimmung der Folgen, welche den Schuldner für die Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit treffen, gehört zu den schwierigsten und verwickeltsten Rechtsfragen, und sowohl die Gesetzgebung der verschiedenen Länder, als deren Gerichtspraxis sind in dieser Beziehung weder unter einander, noch auch nur mit sich selbst übereinstimmend. So ist z. B. der über diese Fragen handelnde Abschnitt des französ. Code civil Art. 1146 ff. eine Reihe von Vorschriften, von denen immer eine die andere wieder aufhebt oder beschränkt. Aehnlich verhält es sich, wenn man die Ansichten der Juristen anderer Länder über diesen Punkt untersucht (Kent, Comment. II. p. 480. Stephen, Comm. II. p. 64. 143.)
Das allgemeine Princip ist, dass der Schuldner, der seinerseits den Vertrag nicht erfüllt, den Gläubiger dafür entschädigen muss. Dies ist ein natürliches und gerechtes Princip und auch überall anerkannt. Die Schwierigkeit beginnt erst bei der Frage, worin die Entschädigung bestehen, und unter welchen näheren Voraussetzungen sie gefordert werden kann.
In ersterer Beziehung geht die neueste Richtung, die übrigens auch schon, nur nicht ganz klar und bestimmt, den Bestimmungen des französ ischen Code civil und anderer Gesetzgebungen zu Grunde liegt, dahin, zwischen einfacher und verschuldeter Nichterfüllung zu unterscheiden. Die Nichterfüllung kann die verschiedensten Ursachen haben, Zufälle, widrige Ereignisse, unerfüllte Verpflichtungen anderer Personen, Mangel an der nöthigen Geschicklichkeit und Befähigung, ohne dass darin gerade eine Schuld liegt u. dgl. Z. B. es übernimmt Jemand eine Tuchlieferung; seine Arbeiter lassen ihn im Stich oder die rohe Wolle kann nicht rechtzeitig beigeschafft werden. Es hat Jemand eine Geldsumme als Kaufpreis zu entrichten; sein eigener Schuldner zahlt ihn nicht, und so kann er auch nicht zahlen. Es ist eine Waarenlieferung bis zu einem gewissen Termine versprochen, allein das Schiff bleibt über diesen Termin aus. In allen diesen Fällen handelt es sich einfach um Nichterfüllung. Die Thatsache steht fest, dass der Schuldner nicht erfüllt hat, und die Folge davon muss sein, dass der auf seinem vertragsmässigen Recht bestehende Gläubiger den Schuldner dafür verantwortlich macht, denn er hat durch den Vertrag sich dem Gläubiger zu dieser Verantwortlichkeit verpflichtet. Ein Vertrag wäre etwas ganz nutzloses und vergebliches, wenn der Schuldner, statt zu erfüllen, einfach erklären könnte, ich kann nicht erfüllen, oder will unter den jetzigen Umständen nicht erfüllen. Der Schuldner ist durch den Vertrag gebunden, soweit seine Verantwortlichkeit reicht. Wenn er nun nicht erfüllt, so muss er dafür dem Gläubiger ein Aequivalent leisten, welches für den Gläubiger der wirklichen Erfüllung gleich kommt. Der Gläubiger muss durch dieses Aequivalent ebenso viel in Geld bekommen, als er bekommen hätte oder hätte bekommen können, wenn der Schuldner wirklich erfüllt hätte. Dies ist der dem Schuldner im Falle der Nicht—Erfüllung obliegende Werthersatz, der in der englischen Sprache häufig general damage (allgemeine Entschädigung) oder indemnity, auch compensation, compensatary damage genannt wird. Ebenso unterscheidet der französ. Code civil Art. 1147, ob dem Schuldner irgend ein Verschulden (mauvaise foi) zur Last gelegt werden kann oder nicht, und bestimmt den Schadensersatz darnach grösser oder kleiner.
Hat aber der Schuldner nicht blos einfach nicht erfüllt, sondern zugleich ein Verschulden auf sich geladen durch bösliche Absicht oder Fahrlässigkeit, so kann der Gläubiger den ihm hiedurch verursachten Schaden im vollen Umfange in Anspruch nehmen, also auch Entschädigung für allen Nachtheil verlangen, der ihm ausser der einfachen Nichterfüllung zugefügt wurde. In diesen Fällen kann mithin Schadensersatz gefordert werden, im ersten Falle blos Werthersatz.
Der Schadensersatz in diesem Sinne wird in der englischen Jurisprudenz special, oder punitive, vindictive damage genannt (Kent, Comment. II. p. 15.)
Diese Unterscheidung ist in der Natur der Dinge gegründet, und desshalb im Entwurfe adoptirt worden. Sie ist auch bereits im römischen Recht enthalten, indem dasselbe den eigentlichen Werth des geschuldeten Gegenstandes (aestimatio rei, verum rei pretium) von dem gesammten Schaden des Gläubigers (ästimatio ejus quod interest; Interesse; dammnum et lucrum) unterschied. Die Regel lässt sich demnach einfach so aufstellen: der Schuldner, der den Vertrag nicht erfüllt, muss dem Gläubiger dafür Ersatz leisten 1, mit dem Werth der Sache, wenn ihn kein Verschulden, und 2, mit dem Betrag des ganzen Schadens, wenn ihn dabei ein Verschulden trifft.
Der Gläubiger kann übrigens, anstatt Ersatz zu fordern, auch den Vertrag einfach auf heben. Dieses Recht muss man ihm zugestehen, um ihn mit dem Schuldner auf gleichen Fuss zu setzen. Denn wenn der Schuldner factisch durch Nichterfüllung vom Vertrage zurücktritt, muss dem Gläubiger dasselbe Recht zustehen. Diesen Weg wird der Gläubiger am besten dann wählen, wenn er seinerseits zu leisten hätte, und keinen besonderen Ersatz nachweisen kann oder will. Dieses Recht der Aufhebung kann in manchen Fällen von grosser Wichtigkeit sein ; wenn z. B. ein Darlehensschuldner nicht pünktlich seine Zinsen zahlt, kann ihm das Darlehen selbst gekündigt werden. Wenn ein Käufer den Kaufpreis nicht zahlt, kann der Verkäufer einfach die Sache zurück behalten oder zurückfordern.
Ausserdem kann der Gläubiger aber auch die wirkliche Erfüllung des Vertrages fordern, denn durch die Nichterfüllung von einer Seite wird der Vertrag an sich nicht aufgehoben, so lange der andere Theil nicht in die Aufhebung willigt. Dies versteht sich von selbst, und ist in den Grundsätzen des Civilrechts auch unzweideutig enthalten, so dass es hier nicht besonders erwähnt zu werden braucht. Dieses Recht des Gläubigers ist jedoch etwas ungewisses, da der Schuldner in den meisten Fällen nicht erfüllen kann oder doch zur Erfüllung gegen seinen Willen nicht gezwungen werden kann. Der Anspruch des Gläubigers wird daher meist so lauten müssen: Erfüllung oder eventuell Ersatz. Natürlich kann Erfüllung und Ersatz zugleich gefordert werden, wenn durch die nachträgliche Erfüllung ein bereits vorher entstandener Verlust oder Schaden nicht von selbst gutgemacht wird. So kann namentlich zugleich mit den Verzugszinsen auch die Heimzahlung des Capitals selbst verlangt werden, oder mit der nachträglichen Lieferung einer Waare der Ersatz der durch den Verzug veranlassten Kosten und Verluste.
Wenn die Nicht—Erfüllung nur eine theilweise ist, so müssen an sich die gleichen Grundsätze gelten, denn die theilweise Erfüllung steht juristisch immer der vollen Nichterfüllung gleich und der Gläubiger kann gegen seinen Willen nicht gezwungen werden, eine theilweise Leistung anzunehmen (Art. 354). Es kann aber der Gläubiger theilweise Erfüllung annehmen; dann kann er selbstverständlich auch nur den Vertrag theilweise aufheben oder theilweisen, correspondirenden Ersatz verlangen. Bei zweiseitigen Verträgen kann das Interesse des Gläubigers bei nur theilweiser Leistung darin bestehen, dass auch seine Verbindlichkeit gemindert werde; er kann z. B. Herabsetzung des Preises verlangen, wenn ihm Waare von geringerer Qualität als versprochen geliefert wurde.
Art. 374. Dieser Artikel bestimmt den Werthersatz dahin: 1, bei Geldschulden hat der säumige Schuldner Verzugszinsen zu zahlen, 2, bei anderen Schulden den höchsten Werth zu ersetzen, den der geschuldete Gegenstand seit dem Verfalltage hatte, oder, wenn der Gläubiger dies vorzieht, den Werth am Verfalltage selbst. Auch von dieser Werthsumme sind in dem Falle Verzugszinsen zu entrichten.
Diese Bestimmungen rechtfertigen sich von selbst durch die Natur des Handelsverkehrs, der in der Verwendung von Capital für Gewinnzwecke und in dem Ankauf von Waaren nicht für das eigene Bedürfniss, sondern für den Wiederverkauf oder den Umlauf. Eine Geldsumme ist ein Capital, von dem man jederzeit Zinsen beziehen kann; eine Waare ist ein Handelsgegenstand, der jederzeit zum jeweiligen Marktwerth oder Cours verkauft werden kann, wenn daher der Schuldner nicht erfüllt, muss er dem Gläubiger den Ersatz leisten, den der Besitz der Geldsumme oder der Verkauf der Waare ihm unter allen Umständen bringen musste.
Dem Gläubiger wird die Wahl zwischen dem Werth am Verfalltage oder einem darauf folgenden Tage gelassen, weil er an jedem dieser Tage verkaufen konnte und man annehmen darf, dass er zum höchstmöglichen Preise verkauft haben würde. Umgekehrt wenn die Waare bereits an einen anderen verkauft war und nun wegen Nichterfüllung anderweitig angeschafft werden musste, ist der Gläubiger für den höchsten Preis zu entschädigen, den er allenfalls zur Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeit aufwenden musste.
Diese Ersatzsummen müssen gleichfalls verzinst werden, weil sie eine Geldschuld darstellen, fällig von dem Zeitpunkt an, wo der Gläubiger die zu liefernde Waare hätte verkaufen können. Sie sind verzinslich gleich jedem fälligen Kaufpreise.
Uebrigens kann sich die Ausübung des dem Gläubiger zustehenden Ersatzanspruches durch die Verbindung mit anderen Befugnissen modifiziren. Wenn z. B. der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises im Rückstand bleibt, kann der Verkäufer sein Retentionsrecht oder ein etwaiges Pfandrecht ausüben und sich durch den Verkauf der Sache auf Rechnung des Schuldners bezahlt machen. Wird dann ein geringerer Kaufpreis erzielt, so kann er immer noch die Differenz gegen den Schuldner als Ersatz geltend machen.
Art. 375. Der Anspruch des Gläubigers auf einfachen Werthersatz ist nur bedingt durch den Verzug des Schuldners, d. i. durch die Unterlassung der rechtzeitigen Erfüllung. Er braucht weder einen besonderen Schaden, noch ein Verschulden auf Seiten des Schuldners nachzuweisen, denn dies sind zwar nothwendige Voraussetzungen des Anspruches auf Schadensersatz, nicht aber auf Werthersatz.
Nur die Bedingung wird erfordert, dass der Schuldner rechtlich die Verantwortlichkeit für die Nichterfüllung zu übernehmen hat. Eine solche Verantwortlichkeit trifft ihn nicht, wenn er durch eingetretene Unmöglichkeit der Erfüllung frei wird, so namentlich durch den Untergang der Sache, wenn der Gläubiger diese Gefahr zu tragen hat. Hätte aber der Schuldner die Gefahr auf sich übernommen, dann würde er auch durch den Untergang der Sache nicht frei werden. Dies hängt von der Natur und dem Umfange der übernommenen Verbindlichkeit ab. Ein Transport-Unternehmer haftet für jede Gefahr, die nicht durch unwiderstehliche Gewalt verursacht oder besonders ausgenommen ist. Der Käufer haftet für den Untergang der Sache, auch wenn sie noch in Händen des Verkäufers ist. Diese Bestimmungen beziehen sich jedoch nur auf specielle Sachen ; anders bei generellen und namentlich bei Geldschulden.
Art. 376. Die Rechtfertigung dieses Artikels ist bereits in den Bemerkungen zu Art. 374 enthalten. In Handelssachen kommt nie der individuelle Werth, sondern immer nur der gemeine Verkaufswerth oder Cours in Betracht. Die Anwendung dieser Regel ist leicht, wenn es sich nur um die Lieferung von Waaren handelt. Besteht dagegen die schuldige Leistung in einer Handlung, so können sich Schwierigkeiten der Werthbemessung ergeben. Stets ist auch hier derjenige Werth zu bemessen, den die Handlung für den Gläubiger nach Handelsrücksichten hat. Kann ein solcher Werth nicht sicher ermittelt werden, so müssen die Parteien dies wissen und im Voraus ihr Interesse durch Stipulirung einer Ersatzsumme oder auch Conventionalstrafe sichern. Wird eine Accordarbeit, z. B. ein Eisenbahnbau, oder ein Schiff etc. nicht rechtzeitig vollendet, so kann eine Strafe für jeden Tag des Verzugs vorher vereinbart werden. Ist dies nicht geschehen, so muss der Werth durch billiges Ermessen des Richters ermittelt werden. Aeussersten Falls bleibt dem Gläubiger nichts übrig, als vom Vertrage zurückzutreten.
Zum Betrage des zu leistenden Werthersatzes sollen ausserdem noch die dem Gläubiger durch den Verzug verursachten Kosten und Auslagen hinzugerechnet werden. Dies ist nicht mehr wie billig. Denn was der Gläubiger aus seiner Tasche darauf zahlen muss, um den Nachtheil des Verzuges wieder gut zu machen, muss ihm ebenso ersetzt werden, als der Werth der nicht gelieferten Sache selbst. Solcher Art sind z. B. Mäklergebühren, Commissionsgebühren, Lagergelder und andere Aufbewahrungskosten; Zollstrafen n. dgl.
Art. 377. Bereits oben zu Art. 353 wurde dargelegt, dass der Gläubiger, wenn er die ihm angebotene Erfüllung grundlos zurück-weist, als Eigenthümer der Sache anzusehen ist, und nicht nur die Gefahr des Untergangs oder der Beschädigung, sondern alle auf die Sache nothwendiger Weise verwendeten Kosten und Auslagen zu tragen hat. Es hat also der nicht säumige Schuldner auch gegenüber dem säumigen Gläubiger vollen Werthersatz zu fordern.
Art. 378. Es ist ein allgemeiner Grundsatz des Handelsrechts, dass für fällige Geldschulden Verzugszinsen zu entrichten sind. Dieser Grundsatz wird nun der bestehenden Uebung gemäss auf alle Ersatzansprüche angewandt, die Jemand gegen einen Anderen desshalb hat, weil er sein eigenes Geld zu seinem Nutzen oder doch seinetwegen ausgegeben hat. Das besondere daran ist nur dies, dass solche Forderungen als fällig angesehen werden, ohne dass ein bestimmter Verfalltag festgesetzt wäre, und dass sie in den meisten Fällen stillschweigend entstehen, also ein ausdrückliches Versprechen des andern Theiles nicht erfordern. Ihre Fälligkeit beginnt in der Regel sofort mit ihrer Entstehung; wer also für Andere sein Geld ausgibt, kann vom Tage der Ausgabe an nicht blos Rückersatz fordern, sondern auch Zinsen bis zum Zeitpunkt der Zurückzahlung anrechnen. Dieses Princip gilt namentlich auch für die in den Art. 376 und 377 bezeichneten Ersatzforderungen; es wird aber auch auf jede Schadensersatzforderung ausgedehnt, da der Gläubiger, wenn er sein Geld im Augenblick des begangenen Schadens erhalten hätte, dafür mindestens die gewöhnlichen Zinsen hätte einnehmen können.
Art. 379. Die Festsetzung eines gesetzlichen Zinsfusses zu 7 procent entspricht der in diesem Lande üblichen mässigen Zinsenhöhe.
Art. 380. Bereits oben zu den Art. 334—336 wurde die Bedeutung des civilrechtlichen Verschuldens auseinandergesetzt, und dieselbe entweder in böswilliger Absicht oder in Nachlässigkeit, d. h. in Unterlassung der schuldigen Sorgfalt gefunden. Jedermann ist für den Schaden verantwortlich, den er durch solches Verschulden Anderen zufügt, soferne er nicht durch zulässige Vereinbarung von der Verantwortlichkeit befreit ist. Die Benachtheiligung muss aber eine rechtswidrige sein, und setzt daher irgend eine rechtliche Beziehung oder Verpflichtung zwischen dem Beschädigten und dem Beschädiger voraus. Eine solche rechtliche Beziehung wird im allgemeinen schon durch das Eigenthum geschaffen, da Jedermann verpflichtet ist, das Eigenthum Anderer zu respectiren und Beschädigungen dieses Eigenthums zu unterlassen. Wer fremdes Eigenthum schuldvoller Weise zerstört oder beschädigt, ist daher unzweifelhaft zum Schadensersatz verpflichtet. Ausserdem wird aber eine solche rechtliche Beziehung durch Vertrag geschaffen, indem hiedurch der Schuldner freiwillig eine Verbindlichkeit gegen den Gläubiger übernimmt, die er erfüllen muss. Wer nun schuldvoller Weise, sei es absichtlich oder nur fahrlässiger Weise, seine Verbindlichkeit nicht erfüllt, der beschädigt den Gläubiger in seinem Vermögen, und er wird ebenso angesehen, wie derjenige, welcher fremdes Eigenthum zerstört oder beschädigt. Er muss daher gleichfalls vollen Schadensersatz leisten. Dieses Verschulden unterscheidet sich von dem Verzug, der einfach in der Nicht—Erfüllung besteht, ohne dass dem Schuldner desshalb ein Vorwurf gemacht werden könnte. Auch ein absichtlicher Verzug ist noch kein Verschulden, da der Schuldner die Schuld bestreiten oder sonst Gründe haben kann, die Erfüllung zu unterlassen. Sondern es muss eine bestimmte Handlung vorliegen, durch welche der Schuldner seine Verpflichtung verletzt und die dem Gläubiger schuldige Sorgfalt unterlässt. Z. B. wenn ein Fleischlieferant die Lieferungszeit nicht einhält, kann er nur wegen Verzug belangt werden; wenn er aber gesundheitsschädliches Fleisch liefert, muss er den dadurch entstandenen Schaden ersetzen. Wenn ein Haus durch Schuld des Baumeisters so schlecht gebaut ist, dass es einstürzt, muss er den Werth des Hauses etc. ersetzen. Der Anspruch auf Schadensersatz entspringt also nicht blos wegen unterlassener Leistung, sondern weit häufiger wegen fehlerhafter oder mangelhafter Leistung, soweit solche Fehler etc. durch gehörige Sorgfalt hätten vermieden werden können. Die englische Jurisprudenz nennt dieses Verschulden gewöhnlich frand, malice, wilful negligence or oppression; die französische dol und mauvaise foi.
Der practische Unterschied beider Fälle liegt nun darin, dass wer blos Werthersatz, mit Einschluss der in Art. 376 bezeichneten Kosten, beansprucht, nichts weiter zu beweisen hat, als das Forderungsrecht selbst; wer dagegen vollen Schadensersatz verlangt, muss noch ausserdem die besondere Handlung des Schadens oder den besonderen Umstand nachweisen, in dem ein Verschulden des letzteren enthalten ist.
Von selbst versteht es sich, dass Niemand für seine eigene Schuld Schadensersatz verlangen kann. Ist eine Schuld auf beiden Seiten begangen, so compensirt sie sich und keiner hat einen Ersatzanspruch, es müsste denn das Versehen des einen durch Schuld des anderen verursacht worden sein.
Art. 381. Der volle Schadensersatz begreift in sich 1, einen Verlust oder eine Verminderung bereits vorhandenen Vermögens, und 2, den Entgang einer Vermehrung des Vermögens, welche ohne das beschädigende Ereigniss stattgefunden hätte.
Wenn eine Fabrik einstürzt, so ist die Zerstörung des Gebäudes und alles darin befindlichen entstandener Verlust, denn man kann nur verlieren, was man schon hat; wenn aber die Fabrik stille steht und der tägliche Fabrikationsgewinn entgeht, so ist das entgangener Gewinn, da man nur gewinnen kann, was man noch nicht hat. Der volle Schadensersatz begreift also Entschädigung für das, was man bereits hatte, aber durch die Schuld des anderen verlor, und für das, was man ohne dieses Verschulden gewonnen oder erworben hätte. Der Ausdruck Vermögens-interesse wäre für den Gegenstand dieser weitgehenden Entschädigung passender, allein der Ausdruck Schadensersatz (dommage et intérêt, damages) ist hiefür bereits eingebürgert.
Darin, dass der volle Schadensersatz sowohl Verlust als Gewinn begreift, stimmen die Gesetzgebungen durchweg überein. D.H.G.B. Art. 283. Code civ. Art. 1149.
Dies erklärt sich dadurch, dass die Nichterfüllung an und für sich keine schuldvolle Handlung ist, da sie durch die manichfachsten Umstände herbeigeführt werden kann, die meist nicht dem Willen des Schuldners unterliegen. Die Nichterfüllung ist an sich eine rein objective Thatsache, und da man im Rechte die Rechtschaffenheit der Menschen als Regel annimmt, so darf man auch annehmen, dass in der Regel jeder seine Verbindlichkeiten erfüllt, wenn er dies kann und wenn er sie nicht bestreitet. Dass hie und da Jemand aus blosser Chicane nicht zahlt, ist jedenfalls Ausnahme und kann nicht weiter in Betracht kommen. Dagegen die Verübung einer absichtlichen oder fahrlässigen Beschädigung ist eine subjective Willensäusserung, denn ohne den schuldvollen Willen kann eine solche Beschädigung nicht eintreten. Mit anderen Worten: Die böse Absicht oder Nachlässigkeit ist ein Unrecht, während die Nichterfüllung kein Unrecht ist. Daher wird in dem einen Falle dem Gläubiger blos der Werth der schuldigen Leistung in Geld vergütet, in dem anderen Falle dagegen der volle Schaden, der ihm durch jenes Unrecht zugefügt worden ist. Nur das kann Gegenstand der Zurechnung und folglich auch der Schadensberechnung sein, was dem unrechten Willen zur Last gelegt werden kann.
Art. 382. Während der Verlust bereits vorhandenen Vermögens leicht nachzuweisen ist, kann über künftigen Erwerb grosse Verschiedenheit der Meinungen sein. Der Entwurf stellt folgende wesentliche Momente auf:
1) Der Schaden muss durch das Unrecht des anderen Theiles unmittelbar oder mittelbar verursacht worden sein; es müsste also der Gewinn oder Erwerb eingetreten sein, wenn das Unrecht nicht begangen worden wäre. Ob der Schuldner den Schaden voraussehen konnte oder voraussah, wie der Franz. Code civ. Art. 1150 vorschreibt, muss hiefür gleichgültig sein; denn der Gläubiger braucht den Schuldner nicht in seine besonderen Verhältnisse einzuweihen, und es braucht der Schuldner auch nicht im voraus zu wissen, wie gross der entstandene Schaden sein werde.
2) Der Schaden muss erweislich sein; der Gläubiger muss also durch Thatsachen beweisen, dass ihm ein Gewinn durch das Unrecht des Schuldners wirklich entgangen ist.
3) Unter diesen beiden Voraussetzungen ist es gleichgültig, ob der Schaden voraussichtlich oder gewöhnlich war oder nicht. Beides wird meist zusammenfallen, da das gewöhnliche sich auch in der Regel leichter voraussehen lässt. Wer schlechtes Bauholz liefert, so dass das Haus einstürzt, muss den Schaden bezahlen, gleichviel ob das Haus ungewöhnlich werthvoll war oder nicht, oder ob er den hohen Werth des Hauses kannte oder nicht. Würde also der Schuldner einwenden, ja an diesen Schaden habe er nicht gedacht oder nicht denken können, so würde man ihm erwiedern, dass sein Unrecht immerhin besteht, und dass er durch ungewöhnlichen Schaden nicht entschuldigt werden kann.
Auf individuelle Neigungen und Liebhabereien wird bei der Berechnung des Schadens keine Rüksicht genommen. Auch empfiehlt sich die Regel des römischen Rechts, dass bei allen Schadensberechnungen ein anständiges, ehrliches Mass einzuhalten ist, und insbesondere kein Ersatz für Nachtheile begehrt werden kann, die ihren Grund in übermässigem Luxus, oder gar in Unehrenhaftigkeit haben.
Art.383. Aus den Bermerkungen zu Art. 382 folgt von selbst die Rechtfertigung der in diesem Artikel weiter bezeichneten negativen Erfordernisse der Schadensleistung.
Der blos mögliche Gewinn oder Verlust kann nicht angerechnet werden, weil derselbe nie nachweisbar ist, denn er kann auch ausbleiben. Dasgleiche gilt von der blossen Wahrscheinlichkeit. Auf dergleichen Hoffnungen, Vermuthungen, Möglichkeiten wird keine Rücksicht genommen. Gesetzt es hätte Jemand Ersatz für Carbolsäure zu beanspruchen, und wollte einen besonders hohen Preis berechnen als entgangenen Gewinn, desshalb weil möglicher Weise in demselben Sommer die Cholera ausbrechen könnte; so wäre dies unstatthaft. Wäre aber die Cholera wirklich ausgebrochen und der Preis des Artikels wirklich ungewöhnlich hochgestiegen, so könnte dieser hohe Preis als Gewinn angerechnet werden, obgleich der Ausbruch der Epidemie nicht vorauszusehen und vielleicht auch ganz aussergewöhnlich war.
Unter zukünftigem Gewinn ist ein solcher zu verstehen, der erst in späterer Folgezeit eintreten wird, wenn auch vielleicht ganz sicher und nothwendig. Wenn es sich um den Werth eines Hauses handelt, muss der gegenwärtige Werth, nicht der Werth nach 10 oder 20 Jahren angerechnet werden.
Der Schaden, der erst durch das Hinzutreten anderer Umstände bedingt wird, ist ein zufälliger, denn diese anderen Umstände können auch ausbleiben. Damit ist der mittelbare Schaden nicht zu verwechseln, der durch die Verkettung von Ursache und Wirkung entsteht, und durch die beschädigende Handlung ebenso wie der unmittelbare Schaden, wenn auch nur folgeweise verschuldet wird. Der mittelbare Schaden kann zufälliger Weise ausbleiben, wenn andere Umstände dazwischen treten; der zufällige Schaden dagegen wird erst durch solche andere Umstände herbeigeführt.
Wer krankes Vieh verkauft, muss nicht nur dieses selbst ersetzen, sondern auch das andere, welches durch das verkaufte Vieh im Stalle angesteckt wurde. Dies ist mittelbarer Schaden; wäre zufällig kein anderes Vieh im Stalle gewesen, so wäre die Ansteckung nicht erfolgt, allein der mittelbare Schaden ist wirklich eingetreten und so muss ihm der Schuldige ersetzen. Würde aber der Käufer des Viehs einen weiteren Schaden haben desshalb, weil er zufällig dasselbe an Andere verkauft hätte und nun nicht abliefern könnte, so wäre dies ein zufälliger Schaden, denn der Abschluss eines anderen Vertrages liegt gänzlich dem zwischen beiden Theilen abgeschlossenen Geschäfte ferne.
Art. 384. Dass die Parteien die etwaige Ersatzleistung auch im voraus unter einander vereinbaren können, ist allgemein anerkannt. Code civ. Art. 1152. Williams, Personal Property ch.II p. 71. Nach Englischem Rechte soll allerdings, soferne der Contract nicht ausdrücklich den Schadensersatz absolut festsetzt, nur ein verhältnissmässiger Schaden eingeklagt werden können. Und dies ist auch zuzugeben für den Fall, dass nur ein theilweiser Schaden eintrat, oder dass die Schadenssumme so unmässig hoch oder niedrig wäre, dass darin eine Verletzung der Ehrlichkeit und Redlichkeit läge. Abgesehen aber von solchen Ausnahmen, muss die von den Parteien im voraus vereinbarte Schadensberechnung ebenso wie jede andere Vertragsbestimmung bindend bleiben.
Art. 385. Im Gegensatz zur verspäteten steht die verfrühte Erfüllung, vor dem Zeitpunkt der Fälligkeit, wenngleich innerhalb des Laufes der Zahlungsfrist. Ist keine längere Zahlungsfrist anberaumt, sondern ein bestimmter Verfalltag, so braucht der Gläubiger die verfrühte Zahlung überhaupt nicht anzunehmen, und wenn er sie freiwillig annimmt, so kann er nach seinem Gutdünken dies gegen, ohne oder mit Vergütung eines Disconto thun. Dieser Fall wird von dem Art. 385 nicht berührt, da hier alles auf den freien Willen des Gläubigers ankommt. Dagegen liegt die Sache anders, wenn der Schuldner vor dem Verfalltage zu zahlen berechtigt ist, also der Gläubiger die frühe Zahlung annehmen muss. Der Gläubiger kann aus dieser frühen Zahlung Vortheil ziehen, indem er bis zum Verfalltage Zinsen beziehen kann, während der Schuldner diese Zinsen verliert. Es fragt sich nun, ob für solchen Vortheil und bez. Verlust eine Compensation gefordert werden kann. Diese Compensation liegt im sog. Disconto, indem der genannte Zinsbetrag von der Schuldsumme abgezogen wird, wodurch der Schuldner seinen Zinsverlust compensirt. Der Entwurf setzt nun übereinstimmend mit dem D. H. G. B. Art. 334 fest, dass ein Disconto an sich nicht von selbst gefordert werden kann, sondern nur wenn der Gläubiger dazu sich verpflichtete oder der Handelsgebrauch es erlaubt. In allen anderen Fällen muss, wer vorzeitig eine Schuld bezahlt, gleichwohl den vollen Betrag entrichten, denn es stände ihm ja völlig frei, bis zum Verfalltag zu warten.
Art. 386. Der Gläubiger hat nach Art. 373 auch das Recht, im Falle der Nichterfüllung den Vertrag rückgängig zu machen, gleichviel ob er sich dieses Recht ausdrücklich vorbehielt oder nicht. Dieses Princip ist im Civilrechte nicht durchgängig in gleicher Allgemeinheit geltend, es muss aber für das Handelsrecht als ein entschiedenes Bedürfniss hingestellt werden, da der Anspruch auf nachträgliche Erfüllung oder auf Ersatzleistung in vielen Fällen dem Gläubiger nicht genügen wird. Wird nun ein Vertrag aus diesem Grunde aufgelöst, so muss derselbe als nicht geschlossen angesehen und alles in seinen früheren Zustand, wie er vorher war, zurückgebracht werden. Jeder Theil muss daher das, was er etwa auf Grund des Vertrages bereits von dem anderen Theil erhalten hat, diesem wieder zurückerstatten.
Hier ist aber ein Unterschied zu machen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner. Der erstere trägt keine Verantwortlichkeit für das was er erhalten hat, ausgenommen für böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit, für welche Jeder unter allen Umständen haften muss, da ihn bezüglich der Auflösung des Vertrages keine Schuld trifft. Er hat also dem Schuldner keinen Schaden zu ersetzen, der inzwischen an der Sache sich ereignet hat, er gibt die Sache zurück so wie sie ist. Nur wenn er die Sache etwa bereits ganz oder theilweise zu seinem Nutzen verbraucht hätte, müsste er dafür Ersatz leisten, da sich Niemand ohne Grund zum Nachtheil eines Anderen bereichern darf.
Der Schuldner dagegen, weil er die Auflösung des Vertrages verschuldete, muss die volle Verantwortlichkeit für das was er erhalten hat, tragen. Code civ. Art. 1184. In diesem Falle haftet der Schuldner auch für den blossen Zufall. Wenn also z. B. der Käufer die Sache bereits erhalten hat, aber nicht den Kaufpreis zahlt, so kann der Verkäufer die Sache wieder zurückverlangen. Wäre diese inzwischen untergegangen oder gestohlen worden, so müsste er ihren vollen Werth ersetzen. Der zufällige Untergang der Sache kann ihn von dieser Verpflichtung nicht befreien, da er für die Zwischenzeit Eigentümer geworden ist und jeder Eigentümer die Gefahr der Sache trägt.
Nach diesen Grundsätzen hat im Fall eines Kaufes der Verkäufer, wenn der Käufer nicht zahlt, die Wahl, ob er den Kaufpreis mit Zinsen einklagen oder die Sache resp. wenn diese inzwischen untergegangen ist, deren vollen nunmehrigen Werth verlangen will, letzteren gleichfalls mit Zinsen vom Verfalltage an.
Es können jedoch auch die Umstände so liegen, dass der Vertrag nicht mehr rückgängig gemacht werden kann; dann kann der Gläubiger nur Erfüllung oder Schadensersatz verlangen z. B. wenn ein Transport bereits vollendet, aber die Sache in verdorbenem Zustande abgeliefert worden ist; oder wenn ein Handlungsgehülfe wegen Unfleiss entlassen wird u. dgl. In Fällen der letzteren Art wird einfach die Beendigung des Vertrages und die Sistirung der Gegenleistung stattfinden.
§ 5. Conventionalstrafe.
Art. 387. Die Strafe unterscheidet sich vom Schadensersatz dadurch, dass sie nicht zur Entschädigung für Vermögensverluste, sondern zur Verhütung und Züchtigung von Rechtsverletzungen dient. Wer also einen Vertrag bricht, kann dafür Strafe zahlen müssen, ganz abgesehen von dem Ersatz des dadurch zugefügten Schadens; ebenso wie ein Dieb für den Diebstahl bestraft wird, und daneben noch den Eigenthümer der gestohlenen Sache entschädigen muss. Eine Strafe für Vertragsbruch kann nun nur durch ausdrücklichen Vertrag festgesetzt werden, sie wird niemals von selbst verwirkt. Die Strafe dient hauptsächlich als ein Mittel der Sicherung der Erfüllung, und sie ist ohne weiteres verwirkt, wenn der Vertrag nicht erfüllt wird. Sehr häufig wird namentlich eine Conventionalstrafe ausgemacht für den Fall, dass die Frist für die Erfüllung eines Vertrages nicht eingehalten wird.
Art. 388. Durch eine Strafbestimmung wird an den übrigen Vertragsrechten des Gläubigers nichts geändert. Er kann daher neben der Strafe auch auf Erfüllung oder auf Ersatz klagen, und zwar auf Werth- oder Schadensersatz, auf letzteren jedoch nur wenn die Voraussetzungen eines solchen Anspruches vorhanden sind (Art. 380). Indessen ist nicht zu läugnen, dass in des Absicht der Parteien die Strafe gewöhnlich zugleich als conventioneller Schadensersatz gemeint ist (Art. 384). Soll also der Gläubiger beides zugleich zu fordern berechtigt sein, so muss ihm dies ausdrücklich im Vertrage zugesichert oder doch sonst unzweideutig in der Absicht der Parteien gelegen sein. Besteht darüber Zweifel, so soll, um übermässige Härte gegen den Schuldner zu verhüten, die Strafsumme zugleich als Schadenssumme behandelt werden. Dies soll aber nur für den Schadens-, nicht auch für den Werthersatz gelten. Der Gläubiger kann unzweifelhaft neben der Strafe auch auf Erfüllung klagen. Ist diese nicht mehr möglich, oder ihm nicht genehm, so kann er dafür Werthersatz fordern. Im Zweifel schliessen sich also nur Strafe und Schadensersatz, nicht Strafe und Werthersatz gegenseitig aus. Ebenso kann die Strafe gefordert werden, wenn der Gläubiger wegen Nichterfüllung den Vertrag aufhebt.
Art. 389. Dieser Artikel dient als Ergänzung zu Artikel 384. Die zwischen den Parteien vereinbarte Schadenssumme soll nämlich der Regel nach bindend und unabänderlich sein. Wenn nun im Zweifel die Strafsumme zugleich als Schadensersatzsumme aufzufassen ist, so hätte der Schuldner es in seiner Macht, den Gläubiger beliebig zu schädigen, und er hätte in keinem Falle mehr als die Strafsumme zu entrichten. Um dies zu verhüten, soll der Gläubiger in allen Fällen das Recht haben, ausser der Strafe noch den Mehrbetrag des ihm zugefügten Schadens zu verlangen. Durch diese Bestimmung soll der Gläubiger gegen unehrliches und unverhältnissmässiges Verschulden des Schuldners geschützt werden.
Art. 390. Durch diese Bestimmung soll die Natur der Strafe als Bestärkung der bindenden Kraft der Verträge gewahrt werden. Der Schuldner soll nicht befugt sein, nach seinem Belieben seine Verbindlichkeit in eine alternative zu verwandeln.
Art. 391. Es besteht kein Grund, die Vertragsfreiheit in Bezug auf die Strafe zu hindern; und es muss den Parteien überlassen bleiben, das Interesse an der Vertragserfüllung nach eigener Schätzung zu bestimmen. Dieser Grundsatz ist namentlich auch auf Differenzgeschäfte anwendbar.
Art. 392. Ein Differenzgeschäft ist vorhanden, wenn durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung das Recht auf Lieferung der Waare gegen Zahlung des Kaufpreises ausgeschlossen ist, und nur der verlierende Theil den Betrag der Preisdifferenz auszuzahlen hat. Ein Spiel- oder Wettegeschäft besteht darin, dass je nach dem Ausgang des Spieles oder der Wette der verlierende Theil eine gewisse Summe zu zahlen hat oder verwirkt. Solche Geschäfte sind ungültig, da es bei ihnen an dem ordentlichen Rechtsgrund, oder an der lawful and sufficient consideration fehlt. Art. 329. Werden nun solche Geschäfte in die Form der Vereinbarung einer Conventionalstrafe eingekleidet, so sind sie trotzdem ungültig. Es kann also, wenn ein solches Geschäft abgeschlossen ist, der Spiel- oder Differenzgewinn auch nicht im Sinne einer Conventionalstrafe eingeklagt werden. Mit anderen Worten, der Vertrag ist ungültig, wenn der Rechtsgrund in einem Differenzgeschäft oder in unerlaubtem Spiel oder Wette besteht.
Art. 393. Diese Bestimmung hat nicht blos auf die im Art. 392 genannten, sondern auf alle Verträge ohne Ausnahme Anwendung. Niemand kann zur Entrichtung einer Strafe verpflichtet sein, wenn er zur Erfüllung des dadurch zu sichernden Vertrages überhaupt nicht verpflichtet ist.
§ 6. Stellvertretung.
Art. 394. Die nachfolgenden Artikel handeln von der Stellvertretung in Handelsgeschäften im Allgemeinen, im Unterschied von der Stellvertretung durch Procuristen und Gehülfen (Titel V.), und von der gewerbsmässigen Stellvertretung durch besondere Classen von Handelspersonen, als Agenten, Mäkler etc. (Titel VIII.) Die Bestimmungen des gegenwärtigen Paragraphen finden daher auf alle Fälle von commercieller Stellvertretung Anwendung, soweit nicht in den beiden genannten Titeln für diese speciellen Arten von Stellvertretern andere Regeln aufgestellt sind. Es findet dieser Paragraph namentlich Anwendung auf die Stellvertretung in einzelnen Handelsgeschäften und es ist dieselbe als eine besondere Methode des Abschlusses von Handelsgeschäften anzusehen, durch welche der Kreis der commerciellen Thätigkeit für Jeden unbegrenzt erweitert wird. Denn was Jemand, wegen Mangels an Zeit, an Kraft, wegen Verschiedenheit des Orts, der Sprache etc. selbst nicht vornehmen kann, das kann er mittelst der Stellvertretung durch einen Anderen ausführen. Wegen dieser vortheilhaften Wirkungen auf die Ausdehnung der commerciellen Geschäftsthätigkeit ist die Stellvertretung durch das Gesetz möglichst zu begünstigen.
Art. 394 bestimmt zunächst, dass in dem Auftrag eines Handelsgeschäfts, gleichviel ob der Auftrag generell oder speciell ist, immer zugleich eine Vollmacht liegen soll, soweit nicht das Gegentheil ausdrücklich festgesetzt wird. Ein Auftrag ist an sich nichts weiter als die Aufforderung, etwas zu thun; der Beauftragte ist insoweit nicht mehr, als ein Werkzeug des Auftraggebers, dessen Willensäusserung und schliessliche Entscheidung allein den Ausschlag gibt. Es kann daher Auftrag zu vielen Handlungen ertheilt werden, die gar keine Rechtsgeschäfte sind, z. B. eine Abschrift zu fertigen, eine Rechnung zu machen, einen Brief auf die Post zu geben, ein Telegramm abzuschicken etc. etc. Soferne aber Auftrag zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes gegeben wird, kann dies in doppelter Weise geschehen, nämlich entweder ohne Vollmacht oder mit Vollmacht. Die Vollmacht ertheilt im voraus die Genehmigung zu der Handlung des Stellvertreters in den Grenzen des Auftrages, mit der gleichen Wirkung, als hätte der Auftraggeber die fragliche Handlung selbst vorgenommen. Z. B. ich beauftrage Jemanden, für mich Wein zu kaufen, und gebe ihm auch das nöthige Geld dazu. Wenn ich damit keine Vollmacht verbinde, so kann ich den gekauften Wein jederzeit zurückweisen, weil der von dem Beauftragten vorgenommene Kauf mich nicht im mindesten bindet, wenn der Wein mir nicht convenirt. Der Beauftragte müsste also dem Verkäufer im voraus ausdrücklich erklären, dass er keine Vollmacht habe den Kauf abzuschliessen, und nur als Werkzeug für den Auftraggeber fungire. Wenn er dies unterlässt, dann bleibt der Kauf auf ihm sitzen, soferne der Auftraggeber ihn nicht nachträglich genehmigt. Er kann allerdings sich darauf berufen, dass er nur dem Auftrag gemäss gehandelt habe, und daher der Auftraggeber den Kauf anerkennen müsse. Allein darauf kann ihm erwiedert werden, dass er keine Vollmacht erhielt und daher nicht bindend für den Auftraggeber handeln konnte. Selbst wenn der Beauftragte dem Auftrag vollkommen gemäss handelte, kann ja der Auftraggeber seine Meinung nachher ändern, und der Beauftragte kann nichts weiter verlangen, als dass er für seine Mühewaltung bezahlt wird. So kann man Jemandem den Auftrag ertheilen, ein Tuch blau und später es schwarz zu färben. Wenn nur der Vollzug des Auftrages in beiden Fällen vergütet wird, hat der Beauftragte dagegen kein Recht des Widerspruches. Bei jedem Auftrage ist also die factische Handlung und die Rechtswirkung derselben zu unterscheiden. Mit dem Auftrage zur Vornahme von Rechtsgeschäften ist an und für sich noch nicht die Anerkennung der Rechtswirkung für die Person des Auftraggebers verbunden. Sie kann daher vorbehalten werden. Allein man begreift leicht, dass dies mit Störungen und Verwicklungen verbunden sein wird, und im allgemeinen zur Unsicherheit aller von Beauftragten vorgenommenen Rechtsgeschäfte führen würde. Daher galt schon im röm. Rechte der Grundsatz, dass mit einem Mandat auch regelmässig eine Vollmacht verbunden sein muss. Und dies ist auch für das moderne Recht als geltendes Recht anzusehen. Im Franz. C. civ. Art. 1984 ist sogar das Mandat ausdrücklich nur als Vollmachtsertheilung erklärt. Im Deutschen H. G. B. Art. 297 werden jedoch Auftrag und Vollmacht noch unterschieden. Auch in der Englischen Jurisprudenz wird die Stellvertretung (agency) wesentlich als Vollmachtsertheilung, als Uebertragung von power and authority, etwas im Namen eines Anderen zu thun, aufgefasst. Allein es ist zwischen Auftrag und Vollmacht zu unterscheiden. Der Auftrag, wenn angenommen, verpflichtet zur Vornahme der aufgetragenen Handlung, und berechtigt zur Schadloshaltung, insbesondere Vergütung für die dadurch veranlasste Mühe und Kosten; die Vollmacht enthält die Genehmigung der Handlung in rechtlicher Hinsicht. Diese Genehmigung kann auch zu einem ohne vorherigen Auftrag vorgenommenen Geschäfte ertheilt werden, und wird dann gewöhnlich Ratihabition genannt. Sie kann aber auch bei vorherigem Auftrage vorbehalten werden und heisst dann meist Ratification. Bei Staatsverträgen ist die nachherige Ratification immer selbstverständlich. Bei Handelsgeschäften muss sie dagegen ausdrücklich vorbehalten werden.
Art. 395. Die V oll macht kann in doppelter Weise wirken, entweder nur zwischen Principal und Stellvertreter, oder auch zwischen dem Principal und dem dritten Contrahenten, mit dem der Stellvertreter das Geschäft abschloss. Im ersten Falle wird der Stellvertreter allein berechtigt oder verpflichtet, er muss jedoch seine Rechte an den Principal abtreten und dieser muss dafür auch die entsprechenden Verbindlichkeiten aus dem Geschäfte übernehmen. Im zweiten Fall wird der Principal allein und unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Letzteres ist heutzutage, namentlich im Handelsverkehr, die Regel; doch kommt auch das erstere noch ausnahmsweise vor, wenigstens in gewissen Grenzen, so beim Commissionär. Ob der Stellvertreter ausdrücklich im Namen des Principals handelte oder nicht, ist gleichgültig, wenn nur der Dritte wusste oder wissen musste, dass das Geschäft für den Principal gelten sollte. Denn dann hat er in Wirklichkeit den Vertrag mit dem Principal geschlossen, oder es ist seine Schuld, wenn er dies nicht that. Dies ist im heutigen Recht allgemein anerkannt.
Der Principal wird in solchem Falle nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet; die Handlung des Stell Vertreters wird als seine eigene angesehen. Dies gilt auch von dem etwaigen Verschulden des Stellvertreters, dolus oder culpa. Für dieses ist der Principal gleichfalls unmittelbar verantwortlich. Denn der Stellvertreter ist ein Vertrauensmann des Principals, und wird dieses Vertrauen, absichtlich oder fahrlässig, getäuscht, so muss der Principal die Folgen tragen, denn er hat den Stellvertreter erwählt, nicht der Dritte. Ein solches Verschulden kann auch durch Ueberschreitung eines Auftrages begangen werden.
Während alles dies klar und unbestritten ist, entsteht eine grosse Schwierigkeit insoferne, als möglicher Weise der Dritte keine Kenntniss von dem Principal haben kann. Es kommt im Handel sehr häufig vor, dass Aufträge gegeben werden, jedoch der Principal um des Geschäftsgeheimnisses willen nicht genannt sein will. Es ist nun die Frage, ob die Wirkungen eines für einen Anderen abgeschlossenen Geschäfts sich auch auf den ungenannten Principal (undisclosed principal) erstrecken ? Hier ist nun zu unterscheiden :
1) Der Dritte weiss, dass das Geschäft für einen Principal ist, aber er kennt nicht dessen Namen. Z. B. es wird eine Versicherung oder ein Kauf abgeschlossen „für Rechnung wen es angeht”. Hier tritt der Grundsatz des Art. 395 unbeschränkt in Geltung. Denn wenn er die Thatsache der Stellvertretung kannte, so ist es seine eigene Sache, sich auch um den Namen des Principals zu bekümmern. Thut er dies nicht, so muss er trotzdem das Geschäft für den Principal gelten lassen. Dass ein Geschäft mit einer unbekannten Person abgeschlossen werden kann, steht nach moderner Auffassung ausser Zweifel.
2) Der Dritte weiss nichts von der Thatsache der Stellvertretung überhaupt, und glaubt das Geschäft mit dem Stellvertreter allein abzuschliessen. Strenge genommen, ist hier gar kein Vertrag zu Stande gekommen, weil die erforderliche Willensübereinstimmung, hinsichtlich der Personen, nicht vorhanden ist. Hier hätte der Principal kein Recht erworben, weil der Contract nicht auf ihn ging; und der Stellvertreter ebensowenig, weil er nicht für sich erwerben wollte. Der Dritte könnte sogar von dem Stellvertreter Schadloshaltung verlangen, weil durch seine Schuld der Vertrag vereitelt wurde. Indessen pflegt man doch auch solche Geschäfte im Handel zuzulassen, wenn sie beiderseits in gutem Glauben vorgenommen werden. Es kann also der Principal auch dann nachträglich enthüllt werden, wenn anfangs von einer Vertretung gar keine Rede war. Indessen kann der Vertreter, wenn ihm irgend ein Verschulden zur Last fallt, und der Dritte dadurch in Schaden kommt, unzweifelhaft dafür zur Rechenschaft gezogen werden (Art. 399.). Ebenso kann in solchen Fällen eine etwaige Compensationsforderung, die der Dritte gegen den Vertreter hatte, auch gegen den Principal geltend gemacht werden.
Der in Art. 395 aufgestellte Grundsatz gilt mithin auch in dem zweiten Falle, jedoch muss hier die natürliche Gerechtigkeit und Billigkeit so weit berücksichtigt werden, dass der Dritte nicht aus seiner unverschuldeten Unkenntniss unverdienten Schaden leidet.
Die Engliehe Jurisprudenz (Smith merc. law p. 158) ist in solchen Fällen der Meinung, dass der Dritte sich zwar auch an den undisclosed principal halten kann, aber der Vertreter prima facie verantwortlich bleibt. Indessen ist es nicht consequent, dem Agenten die Rechte aus einem solchen Contract zu versagen, und ihm nur die Pflichten zuzuwenden. Es erscheint nach allem zweckmässiger, direct den Vertrag nur für den Principal gelten zu lassen, dagegen dem Dritten einen Entschädigungsanspruch zu geben, wenn er durch Schuld des Vertreters Schaden erleidet. Es wäre z. B. ein offenbares Verschulden, für einen Principal etwas zu kaufen, was dieser voraussichtlich nicht zu bezahlen im Stande ist.
Art. 396. Im vorhergehenden Art. wurde der Fall behandelt, dass auf Grund wirklichen Auftrages ein Geschäft für einen Dritten abgeschlossen wird. Dieses geht immer auf Rechnung des Principals, auch wenn der Vertreter treulos ist und seine Vollmacht überschreitet. Im gegenwärtigen Artikel handelt es sich um den Fall, wo es an Auftrag resp. Vollmacht fehlt und das Geschäft auch nicht nachträglich genehmigt wird. Ein unter solchen Umständen von einem Vertreter abgeschlossenes Geschäft kann den Dritten niemals binden, denn Niemand braucht Geschäfte anzuerkennen, die ein Anderer ohne Ermächtigung für ihn abschliesst. Hier bleibt mithin der Vertreter allein verantwortlich, gleichviel ob ein Principal genannt wurde oder nicht. Jedoch besteht hier die selbstverständliche Voraussetzung, dass der andere Contrahent nicht von dem Mangel des Auftrages etc. wusste. Hatte er diese Kenntniss und contrahirte trotzdem, so thut er dies auf seine eigene Gefahr, wie im Fall eines Procuristen (Art. 50). Wenn also zwei Personen im Einverständniss auf Rechnung eines Anderen ein Geschäft abschliessen, so ist dieses ungültig, wenn es am Auftrag fehlte oder wenn es nicht nachträglich genehmigt wird. Denn dann handeln beide im Verschulden und müssen dies gegenseitig compensiren.
Art. 397. Dieser Art. ist nur eine Anwendung des zuletzt erörterten Grundsatzes auf blosse Vollmachtsüberschreitungen, jedoch mit dem Unterschied, dass wenn der Andere von der Ueberschreitung des Auftrages unschuldiger Weise keine Kenntniss hat, das Geschäft gegenüber dem Principal völlig wirksam ist, aber dieser den Vertreter zur Rechenschaft ziehen kann, wenn er sie nicht genehmigen will.
Die hievon etwas abweichende Bestimmung in Art. 50, wornach im Falle der Ueberschreitung einer Procura sowohl der Procurist als auch der Principal haften sollen, wenn der Dritte von der Beschränkung der Vollmacht nichts wusste, rechtfertigt sich durch die grössere Verantwortlichkeit und den grösseren Umfang einer Procura, gegen deren leichtsinnige Ueberschreitung einiger Schutz geben werden muss.
Uebrigens ist mit Ueberschreitung einer Vollmacht nicht deren wesentliche Aenderung oder Nichtbeachtung zu verwechseln. Letztere würde gleich stehen einem Handeln ohne Auftrag und der Anwendung des Art. 396 unterliegen, somit ausschliesslich den Stellvertreter binden. Wer den Auftrag erhält, 1 Pferd zu kaufen, und kauft deren 100; oder wer anstatt zu kaufen, verkaufen würde u. dgl. überschreitet nicht blos seinen Auftrag, sondern verletzt ihn ganz und gar, Hiefür kann der Principal nicht haftbar gemacht werden, sonst liefe man durch den kleinsten Auftrag Gefahr, sein ganzes Vermögen zu verlieren, Es muss daher zwischen blosser Ueberschreitung und gänzlicher Missachtung oder Verletzung eines Auftrages eine vernünstige und den Umständen angemessene Grenze gezogen werden.
Auch ist noch zu erwähnen, dass eine Ueberschreitung des Auftrages in manchen Fällen gerechtfertigt sein und dann auch der Vertreter deshalb nicht in Anspruch genommen werden kann. Wenn eine gewisse Modification des Auftrages dem Interesse des Principals selbst entspricht, wenn sie unvermeidlich war, um schlimmeres zu verhüten, wenn der Auftrag im buchstäblichen Sinne unausführbar war, wenn sich der Principal in einem Irrthum befand, in allen dergleichen Fällen kann der Vertreter vom Auftrag nach vernünftigem und ehrlichem Ermessen abweichen, und ist der Principal zur nachträglichen Genehmigung verpflichtet.
Art. 398. Die Bestimmung dieses Art. folgt aus dem allgemeinen Princip, dass sich Niemand grundlos zum Nachtheil eines Anderen bereichern darf. Wenn der Principal aus einem Geschäfte nicht haftet, kann er andererseits auch nicht fremdes Vermögen behalten, das in Veranlassung solchen Geschäftes an ihn gekommen ist. Zunächst würde freilich nur der Stellvertreter zur Rückforderung berechtigt sein, weil dieser aus dem Geschäfte haftet; allein es dient zum besseren Schutze gegen leichtsinnige und untreue Vertreter, wenn dem Dritten ein unmittelbarer Anspruch gegen den Principal eingeräumt wird. Dies gilt sowohl von Geldsummen, als auch von anderen Gegenständen.
Art. 399. Der Inhalt dieses Art. wurde bereits in den Bemerkungen zu Art. 395 über den Fall eines ungenannten (undisclosed) Principals näher erläutert und gerechtfertigt. Es ist aber nicht zu vergessen, dass jeder Schadensersatz ein von dem Ersatzpflichtigen begangenes Verschulden, und den Nachweis einer gewissen Grösse des Schadens voraussetzt. Der Anspruch auf blossen Werthersatz kann nur gegen den wirklichen Schuldner geltend gemacht werden-Würde also der Vertrag nicht erfüllt aus Gründen, an welchen der Vertreter keine Schuld hätte, so wäre dies ein Zufall, den der andere Contrahent tragen müsste, z. B. wenn der Principal inzwischen unvermutheter Weise bankerott würde. Dieses Risico muss aber jeder Contrahent auch bei Verträgen ohne Vertreter laufen. Wenn dagegen der Principal nicht erfüllen will, obgleich er kann, so ist er vertragsbrüchig und muss zur Erfüllung gerichtlich angehalten werden.
Art. 400. Im Civilrecht gilt die Regel, dass ein Mandat durch den Tod eines der beiden Theile sich endigt (Code civ. Art. 2003), jedoch mit dem Zusatze, dass bei Unkenntniss des Todes die nach demselben in gutem Glauben eingegangenen Geschäfte nicht ungültig sein sollen. Art. 2008. 2009. Jedessen wird schon im D. H. G. B. Art. 297 das Gegentheil vorgeschrieben, und dieser Meinung folgt der Entwurf, da in Handelssachen kein Grund besteht, ein Mandat durch den Tod erlöschen zu lassen, wenn das Gewerbe fortgeführt wird und ans der Fortführung und Durchführung eines ertheilten Mandate das grösste Interesse bestehen kann. Allerdings ist der Grund, dass das in einem Mandat liegende Vertrauen unübertragbar sei, also durch den Tod erlöschen müsse, an sich richtig. Aber in Handelssachen bezieht sich das Vertrauen weniger auf einzelne Personen, als auf das ganze Etablissement und nur wenn dieses aufgelöst wird, wie z. B. durch Bankerott, kann man mit Recht auch den Wegfall des Mandats annehmen. Wenn also der Todesfall die Auflösung des Gewerbs nach sich zieht, wird damit auch das Mandat von selbst erlöschen, weil die Person des Mandanten oder des Mandatars in commerciellem Sinne hinweggefallen ist.
In Bezug auf die übrigen Erlöschungsgründe des Mandate gelten die gewöhnlichen Grundsätze des Civilrechte, nämlich Revocation, Aufkündigung, Erfüllung des Auftrages. Immer aber sind die Handelsgewohnheiten in solchen Fällen zu Grunde zu legen.
Art. 401. Der Beauftragte kann die ihm ertheilte Vollmacht nicht auf einen Anderen übertragen, weil darin eine Aenderung des Auftrages läge, zu welcher er nur berechtigt ist, wenn seine Vollmacht sich darauf erstreckt. Die Befugniss hiezu kann ausdrücklich ertheitl werden; sie kann aber auch von selbst begründet sein, wenn eine solche Uebertragung üblich ist oder ausserdem der Auftrag nicht ausgeführt werden könnte. In allen dergleichen Fällen erstreckt sich aber die Verpflichtung des Vertreters zur Treue und Sorgfalt auch auf die Auswahl eines geeigneten Substituten. Smith, merc. law p. 105.
Art. 402. Dass der Principal seinen Vertreter für die ihm durch die Erfüllung des Auftrages verursachten Kosten und Auslagen Ersatz leisten, und ihm auch das etwa zugesagte Honorar entrichten muss, folgt schon aus dem gewöhnlichen Civilrechte ; ebensowie dass er für erhaltene Vorschüsse auch Zinsen vergüten muss. Dem Handelsrechte ist jedoch fernerhin eigenthümlich, dass der Stellvertreter die übliche Vergütung für seine Dienstleistung auch ohne besonderes Versprechen beanspruchen kann. Diese Gebühren bestehen gewöhnlich in Procenten des Bruttobetrages der aufgetragenen und ausgeführten Geschäfte, deren Höhe von ausdrücklicher Vereinbarung oder dem Handelsgebrauch abhängt. In Europa ist der Betrag meist 2—5 procent. Gleichgültig ist es für diesen Anspruch des Vertreters, ob der Principal dabei Gewinn oder Verlust hat. Aber das Geschäft muss zu Stande gekommen sein, soweit der Vertreter dabei zu thun hatte, und derselbe muss mit Sorgfalt und Geschick gehandelt haben. Durch absichtliche Machinationen des Principals, wie z. B. bei Seiteschiebung des Vertreters vor dem definitiven Abschluss, kann derselbe nicht um die ihm gebührende Remuneration gebracht werden.
§. 7. Verjährung.
Art. 403. Die Verjährungsfrist für Forderungen in Handelssachen wurde nach dem Vorbild des Englischen Statute of limitations der Regel nach auf 6 Jahre festgesetzt. Diese Frist erscheint für die Verhältnisse des Handels vollkommen ausreichend, da Handelsförderungen rasch abgewickelt werden und Jeder nach möglichst freier Disposition über sein Capital trachten muss. Der freiwillige Credit beträgt im Handel meist nur einige Monate und es liegt im Interesse beider Theile, Forderungen nicht für einen langen Zeitraum in der Schwebe zu lassen. Zweck der Verjährung ist, dass nach dem Ablaufe einer gewissen Zeit völlige Gewissheit des Besitzes eintreten soll; dies würde nicht erreicht, wenn nach langer Zeit noch Forderungen geltend gemacht werden könnten, an die man längst nicht mehr gedacht hat, und die der Gläubiger durch stillschweigenden Verzicht erlassen hat. Sechs Jahre sind eine hinreichend lange Zeit, um jede Unbilligkeit zu verhüten und etwaige Versehen und Irrthümer wieder gut zu machen. Ein Handelsmann, der in dieser Zeit seine ausstehenden Forderungen nicht irgendwie geltend macht, führt ohne Zweifel eine nachlässige, unordentliche Wirthschaft nnd diese soll vom Gesetze nicht begründet werden.
Der Franz. Code civil Art. 2262 hat noch die aus dem röm. Rechte stammende Verjährungsfrist von 30 Jahren, doch sind für manche Handelsforderungen kürzere Fristen, z. B. von Gastwirthen, 6 Monate, von Kaufleuten gegenüber Nichtkaufleuten 12 Monate festgesetzt. Das D. H. G. B. hat für Handelssachen keine besondere Verjährungsfrist im allgemeinen festgesetzt, ebenso das Italienische. Das Spanische Art. 263. 581 verweist im allgemeinen auf die Vorschriften des Civilrechts.
Die Vorschrift dieses Art. bezieht sich nur auf Forderungen, die aus Handelsgeschäften entstehen oder Handelssachen betreffen; sie schliesst also auch Forderungen aus nunerlaubten Handlungen und dergleichen Ansprüche ein. Dagegen erstreckt sie sich nicht auf dingliche Klagen, soweit diese nicht, wie z. B. die Pfandklage, nur zu einer Forderung als Nebensache gehören. Ebenso ist die Verjährung nicht zu verwechseln mit der Ersitzung, durch welche nach Ablauf einer gewissen Zeit das Eigenthum an Sachen erworben wird. Die Voraussetzungen der Ersitzung, wie guter Glaube, ein genügender Erwerbstitel u. dgl. sind daher bei der Verjährung nich erforderlich.
Die Frist läuft von dem Tage, an welchem sie Erfüllung spätestens erfolgen sollte. Das ist, bei Eorderungen für deren Erfüllung eine Frist gesetzt ist, der Verfalltag, bei anderen Forderungen der Tag ihrer Entstehung. Bei solchen kann zwar der Gläubiger einen Verfalltag festsetzen (Art. 365); wenn er dies aber unterlässt, versäumt er ihre Geltendmachung und muss es sich gefallen lassen, dass die Verjährungsfrist von der Entstehung der Forderungen an läuft. Solche Forderungen entstehen bei Verträgen von Tag des Abschlusses an, bei unerlaubten Handlungen vom Tag ihrer Begehung an. Der Tag der Entstehung resp. Verfalltag wird nach allgemeinen Regeln (Art. 358) bei Berechnung der Frist nicht mit gezählt; dagegen ist die Verjährung erst vollendet, wenn der letzte Tag völlig abgelaufen ist, da es sieh nicht um der Erwerb, sondern um den Verlust eines Rechtes handelt. Die Frist selbst wird nur nach Tagen nach den in § 3 dieses Titels enthaltenen Vorschriften berechnet.
Für manche Fälle kann vom Gesetze eine andere, namentlich kürzere Verjährungsfrist bestimmt sein, wie z. B. in Art. 139 und 153. Dann ist die in Art. 403 angeordnete allgemeine Verjährungsfrist nicht anwendbar.
Art. 404. Es ist ein allgemeiner Grundsatz, dass jede Verjährung unterbrochen, also der bereits abgelaufene Theil der Frist unwirksam gemacht werden kann; und zwar sowohl durch den Gläubiger, wie durch den Schuldner. Die Unterbrechung wird durch den Gläubiger bewirkt mittelst Geltendmachung seines Rechts, nämlich durch Mahnung, Klage, Erwerb eines Pfandrechts, Geltendmachung eines Retentionsrechts, Novation u. dgl. m. Der Schuldner bewirkt die Unterbrechung, durch ein schriftliches Zahlungsversprechen, oder durch Zahlung eines Theiles der Schuld, gleichviel ob in Capital oder Zinsen; denn dies sind Thatsachen, welche die Annahme einer Versäumniss, oder eines stillschweigenden Verzichtes auschliessen. Dagegen würde nicht genügen die blosse Anerkennung der Schuld durch den Schuldner, ohne hinzutretendes Zahlungsversprechen, denn diese würde nur ein Beweismittel gegen ihn abgeben, aber über die Absicht des Gläubigers seine Forderung geltend zu machen, oder des Schuldners zu zahlen, nicht entscheiden. Auch erscheint es zweckmässig, ein schriftliches Versprechen vorzuschreiben, da eine blos mündliche oder stillschweigende Anerkennung nicht ernstlich genug ist. Dies ist auch das geltende Recht in England, nach dem sog. „Lord Tenterden's Act.” Nach Franz. Recht wird die Verjährung in der Regel schon durch die blosse Anerkennung unterbrochen, in den Fällen der kürzeren Verjährung jedoch nur durch Ausstellung einer Anerkennungsurkunde (Code civil Art. 2248. 2274)
Die Form der schriftlichen Anerkennung ist gleichgültig, sie kann also auch brieflich oder sonstwie gemacht werden.
Ebenso ist es gleichgültig, ob der Gläubiger bez. der Schuldner selbst oder deren Vertreter einen Act der Unterbrechung vornehmen, vorausgesetzt dass der Vertreter hiezu genügende Vollmacht hatte.
Art. 405. Die blosse Zusendung einer Rechnung ist nicht als Act der Unterbrechung anzusehen, weil damit auf Seiten des Gläubigers nicht die Aufforderung zur Zahlung verbunden ist, und ebensowenig irgend ein Verfalltag bezeichnet wird. Die Zusendung einer Rechnung bedeutet an sich nichts weiter als die Mittheilung des Schuldbetrages, gleichviel ob sie mit Uebersendung der Waare oder später erfolgt. Auf Seiten des Schuldners liegt in der Annahme einer Rechnung höchstens eine stillschweigende Anerkennung der Schuld, die nach Art. 404 nicht genügend wäre.
Dieser Grundsatz ist auch im D. H. G. B. Art. 288 ausdrücklich ausgesprochen.
Art. 406. Die Unterbrechung bewirkt nicht den Stillstand der Verjährung, sonst würde von diesem Zeitpunkt an überhaupt nicht mehr verjährt werden können. Der Act der Unterbrechung kann offenbar keine grössere Wirkung haben, als der Act der Entstehung selbst. Daher ist die Wirkung nur die, dass die Verjährung wieder von neuem beginnen muss. Auch jede folgende Verjährungsfrist kann natürlich in gleicher Weise wie die erste unterbrochen werden.
Art. 407. Die Wirkung der vollendeten Verjährung ist die gänzliche und definitive Befreiung des Schuldners von seiner Schuld. Sie erlischt in Haupt-u. Nebensache, also auch mit allen Nebenrechten, als Pfandrecht, Retentionsrecht. Sie kann weder durch Klage, noch durch Einrede, Compensation, Novation u. dgl. mehr geltend gemacht werden. Auch kann es gegen die Verjährung kein weiteres Rechtsmittel mehr geben, wie z. B. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Auch eine neue Anerkennung mittelst ausdrücklichen, schriftlichen Zahlungsversprechens wäre wirkungslos, da es einem solchen Versprechen am Rechtsgrunde (consideration) Art. 329 fehlen würde. Der Schuldner könnte höchstens noch moralisch verpflichtet sein, obwohl auch darüber Zweifel berechtigt wäre; allein eine sittliche Verpflichtung ist kein genügender Grund für eine Rechtsverbindlich keit.
Nur in einer Beziehung dauert eine verjährte Forderung noch fort, insoferne sie nämlich rechtsgültig gezahlt werden kann. Wenn die Zahlung freiwillig und wissentlich, ohne Irrthum, geleistet wird, so kann diese Zahlung später mit Berufung auf die bereits vorher vollendete Verjährung nicht mehr zurückgefordert werden. Wird nur ein Theil der Schuld gezahlt, so ist zwar diese Theilzahlung gültig, allein eine Verpflichtung auch den Rest zu bezahlen, kann daraus nicht abgeleitet werden; die Theilzahlung würde eine solche Verpflichtung weder als Anerkennung noch als stillschweigendes Zahlungsversprechen nach sich ziehen, da sogar ein ausdrückliches und schriftliches Zahlungsversprechen nach vollendeter Verjährung unwirksam wäre. Die Rechtfertigung hiefür liegt darin, dass es Keinem verwehrt werden kann, aus Generosität etc. eine nicht mehr rechtlich bestehende Schuld zu zahlen, das läuft am Ende auf eine motivirte Schenkung hinaus; dass aber eine durch das Gesetz aus Gründen des öffentlichen Interesses vernichtete Forderung nicht aus privaten Rücksichten wiederhergestellt werden kann. Ehrgefühl, Mitleid, Sorglosigkeit etc. mögen wohl hinreichen, um eine wirkliche Zahlung zu motiviren, aber sie reichen nicht aus, um den Rechtsgrund eines Vertrages zu ersetzen.
In der älteren Gesetzgebung wird meist, nach dem Vorgang des röm. Rechts, wiewohl dieses vielfach missverstanden wird, der Verjährung eine geringere Wirkung beigelegt. Häufig betrachtet man die Verjährung nur als Aufhebung des Klagrechts, während alle übrigen Beziehungen bei dauerndem Bestand bleiben sollen. Dies ist namentlich der Standpunkt der Englischen Gesetzgebung und auch die Auffassung eines Theiles der Deutschen Jurisprudenz. Hiebei ist aber zu beachten, dass diese Auffassung der älteren Zeit angehört und jetzt veraltet ist. Das Engi. Statute of limitations datirt aus dem Jahre 1623 und auch der genannte Lord Tenterden's Act noch aus dem Jahre 1827. Hier herrscht der Standpunkt vor, dass was einmal Recht sei, immer Recht bleiben müsse, und daher alles was die Aufhebung solchen Rechtes bewirke, möglichst enge ausgelegt werden müsse. Allein dieser Standpunkt ist nicht richtig. Die Verjährung ist eine öffentliche Einrichtung, um die Rechtssicherheit zu fördern und um den Druck der Schuldverhältnisse nicht zu lange andauern oder zu einem Mittel der Chicane und Unterdrückung werden zu lassen. Die Zeit ist in sehr vielen Beziehungen eine Ursache des Verlustes oder Erwerbs von Rechten; sie kann daher sehr wohl auch eine Befreiung von Schulden herbeiführen. Ueberdies erscheint es nachlässig und beinahe unehrlich, mit einem Anspruch nach langer Zeit hervorzutreten, nachdem alle Verhältnisse sich geändert haben und Zahlungs und Beweismittel längst verloren sein können. Dass ein Recht durch Nichtgebrauch untergehe, ist ein durchgängig geltendes Princip, das gerade auf Schuldverhältnisse, und zumal im Handel, mit vollstem Rechte angewendet werden muss.
Schon die Franz. Gesetzgebung, Code civ. Art. 2219, hat die Verjährung als eine Befreiung des Schuldners erklärt, obwohl dies nicht ganz strenge durchgeführt wurde. Diese Unentschiedenheit ist auch in andere nach seinem Vorbilde gefasste Gesetzbücher übergegangen, z. B. den Egyptischen Code civil Art. 263, wo es buchstäblich heisst: „die Verjährung tilgt das Forderungsrecht und lässt die Befreiung vermuthen”, zwei Ausdrücke, die sich geradezu widersprechen. So ist auch im Franz. Code civ. Art. 2275 die Verjährung, in den Fällen einer kürzeren Frist, nur als Vermuthung der Zahlung angenommen, die auf Verlangen des Gläubigers durch den Eid des Schuldners unterstützt werden muss, widrigenfalls sie wirkungslos ist. Diese hin und her schwankende Behandlung der Verjährung verdient keine Nachahmung.
Es muss schliesslich bemerkt werden, dass, wie auch schon das Engi. Statute of limitations ausgesprochen hat, die Verjährung auf Forderungen und Schulden in laufender Rechnung keine Anwendung findet, wobei die in diesem Gesetze gemachte Beschränkung auf Kaufleute und wegen Lieferung von Handelswaaren jetzt nicht mehr in Betracht kommen kann, da das Handelsrecht nicht blos für Kaufleute als Berufsstand, sondern für alle Handelsverhältnisse gilt. Der Grund dieser Ausnahme liegt darin, dass Schuldposten in laufender Rechnung als Ganzes zusammengefasst und durch fortlaufende gegenseitige Abrechnung getilgt werden. Abrechnung oder Compensation ist aber eine Art der Zahlung, und es folgt daraus, dass Schuldposten in laufender Rechnung in fortlaufender Zahlung sich befinden. Forderungen aber, die fortwährend gezahlt werden, können offenbar nicht verjähren. Die Verjährung ist nur möglich, entweder wenn das Verhältniss der laufenden Rechnung überhaupt aufhört oder wenn die einzelnen Saldi daraus weggenommen und der gewöhnlichen Zahlung wieder unterworfen werden.
§ 8. Laufende Rechnung.
Art. 408. Man kann laufende Rechnung (compte courant; current account) in verschiedenem Sinne verstehen. Im eigentlichen und gewöhnlichen Sinne bedeutet es die gegenseitige Eröffnung eines Conto von Soll und Haben, Debet und Credit, zwischen mehreren Personen, die zu einander in ständigen Geschäftsbeziehungen stehen, um diesen Conto von Zeit zu Zeit abzuschliessen und das Ergebniss zu Gunsten des einen oder des anderen zu realisiren. Das Soll und Debet bezieht sich auf den Schuldner und bedeutet was dieser schuldet für empfangene Waaren oder sonstwie ; das Haben oder Credit bezieht sich gleichfalls auf diese Person, aber als Gläubiger, und bedeutet was diesem für gelieferte Waaren geschuldet wird oder was man sonst von ihm empfangen hat. Ein Conto des Hr. Schmidt in Bezug auf Hr. Maier kann z. B. abgekürzt lauten:
Debet Saldo D. 100 3. Januar für Tuchlieferung 1000 6. März „ „ 500 7. April „ „ 600 9. Mai „ „ 300 Credit Saldo — 20. Januar für Thee D. 300 25. „ „ „ 600 30. März ,, ,, Wechsel 1000 6. April baargezahlt 1000
Summa D. 2500 Summa D. 2900
Das Ergebniss einer halbjährigen Geschäftsbeziehung war hier, dass Maier im Ganzen an Schmidt 2500 D. schuldet für Saldo des Vorjahres und für verschiedene Tuchlieferungen; dagegen Schmidt an Maier für verschiedenen Theelieferungen und Zahlungen im Ganzen die Summe von 2900 D. schuldet oder mit Anderen diese Summe baar oder in Waaren von ihm erhalten hat. Die Schuld des Schmidt ist in dem genannten Halbjahre um 400 D. grösser, als die des Maier. Dieser Ueberschuss ist der Saldo, der dem Maier entweder ausbezahlt oder wiederum gutgerechnet werden muss. Im nächsten Jahre würde, wenn letzteres geschieht, mithin die Summe von 400 D. auf das Credit des Maier zu setzen sein.
Zum Verhältniss laufender Rechnung wird daher erfordert:
1) ständige Geschäftsbeziehungen, aus welchen gegenseitig Forderungen und Schulden für die Betheiligten entspringen, so dass Jeder von beiden zugleich Gläubiger und Schuldner des Anderen wird;
2) die Zusammenfassung der einzelnen Forderungen und Schulden auf jeder Seite als ein Ganzes unter Festsetzung einer Abrechnungsfrist, so dass nur das Ganze zwischen beiden als realisirbarer Schuldposten behandelt werden soll.
3) die Tilgung aller einzelnen Schuldposten durch diese gegenseitige Abrechnung.
4) die Uebereinstimmung der einzelnen Rechnungsposten in dem Conto eines Jeden, aber in umgekehrter Bedeutung. Was nämlich für den einen Debet ist, das ist für den anderen Credit. Was also Schmidt in sein Debet schreibt, wird Maier in sein Credit schreiben, und was Schmidt in sein Credit schreibt, wird Maier in sein Debet schreiben.
5) die Ansetzung einer Frist, binnen welcher die Abrechnung zwischen beiden stattfinden soll. Diese Frist kann immer wieder von neuem beobachtet werden, so lange als es beiden gefallt.
Art. 409. Der Conto Corrent entsteht nur durch den freien Willen beider Theile. Es ist ein Vertragsverhältniss, das wie jedes anderes nur durch Consens hervorgebracht werden kann. Obgleich die gegenseitige Abrechnung unter den allgemeinen Begriff der Compensation fallt, und die Compensation gewöhnlich von der Zustimmung des anderen Theiles unabhängig ist, ist doch der Conto Corrent etwas besonderes, das nicht einseitig angeordnet werden kann. Denn die Art und Weise wie compensirt werden soll, wird hier ein für allemal vereinbart und Jeder ist daran gebunden. Der Conto Corrent ist eine gegenseitige Compensation, und zwar eine Verpflichtung zur gegenseitigen Compensation. Hiezu ist ohne Zweifel Consens beider Parteien erforderlich. Derselbe kann sowohl ausdrücklich als stillschweigend erfolgen. Eine schriftliche Vereinbarung ist darüber nicht erforderlich, da es sich nur um eine gewisse rechnerische Behandlung der Forderungen handelt, nicht um deren Entstehung selbst. Verpflichtungen, die in laufende Rechnung genommen werden, müssen an sich rechtsgültig entstanden sein; allein wenn sie dies sind, wird zu ihrer Behandlung in laufender Rechnung nicht ein neuer schriftlicher Vertrag erfordert. Aus längerem Creditgeben kann die Absicht der laufenden Rechnung nocht nicht gefolgert werden, da in dem Creditgeben weder eine Compensation, noch insbesondere eine gegenseitige Compensation liegt. Der Vertrag über laufende Rechnung ist kein selbständiger Vertrag, da er durchaus keinen selbständigen Gegenstand hat, auf welchen Art. 322 bezogen werden könnte. Er ist nur eine Uebereinkunft über den Zahlungsmodus, und lässt den Gegenstand der Zahlung oder den Betrag und die Natur der Schuld unverändert.
Art. 410. 411. Obwohl die einzelnen Posten des Debet und Credit in jedem Conto sich beständig von selbst tilgen, muss doch von Zeit zu Zeit Abrechnung gehalten und das Facit gezogen werden, damit man klar und übereinstimmend sehen kann, wie die Rechnung steht, und wie das Ergebniss für beide Theile sich gestaltet hat. Die Posten können auf beiden Seiten rein aufgehen, oder es kann der eine ein grösseres Guthaben bez. eine grössere Schuld im Ganzen haben als der andere. Im letzteren Falle ergiebt sich aus der Rechnung ein Ueberschuss zum Vortheil des einen und zum Nachtheil des anderen, welcher Saldo genannt wird. Daher muss bei jeder laufenden Rechnung eine Abrechnungsfrist festgesetzt werden, damit der Saldo von Zeit zu Zeit erkannt werden kann. Den Parteien steht es frei, diese Frist nach ihrem Belieben zu bestimmen. Doch darf sie nicht über ein Jahr ausgedehnt werden, und diese Jahresfrist ist das vom Gesetze vorgeschriebene Maximum, welches dann zu beobachten ist, wenn die Parteien keine kürzere Frist ausdrücklich oder stillschweigend unter sich vereinbart haben. Diese Vorschrift empfiehlt sich, weil in jedem Jahre überhaupt die Rechnungen abzuschliessen sind und die allgemeine Geschäftsbilanz gezogen werden muss (Art. 33). Eine längere Frist würde der unordentlichen Wirth-schaftsführung Vorschub leisten und namentlich zu schrankenlosem, leichtsinnigem Creditgeben verleiten. Auch genügt es nicht blos, dass die Rechnung abgeschlossen wird; sie muss auch dem anderen Theile mitgetheilt werden, damit die Uebereinstimmung hergestellt und etwaige Irrthümer und Anstände beseitigt werden können. Daher ist jeder Theil von selbst verpflichtet, sich über die von dem Anderen zugesandte Rechnung zu äussern.
Art. 412. Dass die Rechnung stillschweigend anerkannt werden kann, insbesondere auch durch einfache Fortsetzung des Conto Corrents, folgt daraus, dass hier ein Fall vorliegt, in welchem jeder Theil zur Erklärung verpflichtet ist (Art. 327). Nicht nur stehen beide Theile in ständigen Geschäftsbeziehungen zu einander und sind sich daher besondere Rücksichten schuldig, sondern es ist auch die Rechnung eine für beide Theile gemeinsame Sache, und die Handlung des einen muss für den anderen bindend sein, wenn er keine Einwendung dagegen erhebt. Uebrigens kann nach Art. 348 eine ausdrücklich oder stillschweigend anerkannte Rechnung später immer noch wegen Rechnungsfehler beanstandet werden. Durch die Anerkennung wird nur die Anfechtung der betreffenden Schuldposten selbst benommen aus solchen Gründen, aus welchen überhaupt ein Rechtsstreit über eine Schuldforderung erhoben werden kann.
Es kommt vor, namentlich zwischen Privatpersonen und einem Bankier oder einem ähnlichen Institut, dass nur der letztere Theil die Rechnung macht und dem Anderen zuschickt. Diesem Gebrauch, wo er feststeht, soll durch das Gesetz nicht entgegengetreten werden, indem die stillschweigende Zustimmung sich auch auf die Anfertigung der Rechnung erstrecken kann.
Art. 413. Die Bestimmung dieses Art. entspricht der bereits zu Art. 408 erörterten Natur der laufenden Rechnung. Diese besteht darin, dass die auf jede Rechnungsfrist treffenden Schuldposten als ein Ganzes behandelt und nur die aus der Vergleichung der beiderseitigen Totalsummen resultirende Differenz, der Saldo, geltend gemacht wird. Die einzelnen Rechnungsposten gehen daher in dem Ganzen unter; sie können für sich nicht geltend gemacht werden, da ihre Tilgung durch beiderseitige fortlaufende Compensation erfolgen soll. Daraus folgt nothwendig, dass sie nur nach Aufhebung des Rechnungsverhältnisses geltend gemacht werden können. Denn diese Rechnung ist die vertragsmässig festgesetzte Art ihrer Geltendmachung, es kann daher später nicht eine andere Art einseitig gewählt werden. Der Aufhebung des Rechnungsverhältnisses steht gleich die Bestreitung der Rechnung, vorausgesetzt, dass keine gütliche Einigung erzielt wird. Denn das Rechnungsverhältniss hat nur den Zweck, eine gewisse Art der Zahlung feststehender Schulden herbeizuführen, keineswegs aber den, die eine Partei zum eigenen Richter über ihre Forderungen gegen den anderen Theil zu machen. Werden die erhobenen Forderungen bestritten, so muss das Rechnungsverhältniss wenigstens in Bezug auf diese aufhören, und jeder Theil tritt zurück in die natürliche Freiheit seiner Disposition. Die Wirkung der laufenden Rechnung hat also stets die friedliche Vergleichung beider Theile zur Voraussetzung.
Art. 414. Im Saldo concentriren sich die Forderungen der einen Seite, und sie werden nur insofern als realisirbar angesehen, als ein solcher Saldo schliesslich zum Vorschein kommt. Der Saldo repräsentirt daher sämmtliche Schuldposten der laufenden Frist, aber alle zusammen ungetheilt, und keinen einzelnen von ihnen speciell. Daraus folgt, dass der Saldo nur als solcher geltend zu machen ist, nicht als unbezahlt gebliebener Rest einer einzelnen Forderung. Der Saldo ist immer nur Ueberschuss des Ganzen, und das ganze Resultat gibt den Schuldtitel dafür. Diese Bestimmung dient einmal zur Bequemlichkeit, indem eine etwaige Klage durch blosse Vorlegung der anerkannten Rechnung begründet werden kann, sodann soll sie Chicanen entgegentreten, insoferne der Gläubiger einzelne Forderungen herausgreifen und die Lage des Schuldners, in Bezug auf Beweis, Einreden etc. verschlechtern könnte. Man muss, um vollkommen klar zu sehen, die sämmtlichen Schuldposten einer Rechnung in ihrem vollen Betrage als getilgt und folglich als nicht mehr vorhanden ansehen; nur der Saldo ist als etwas neues, wenngleich als Resultat sämmtlicher Rechnungsposten, stehen geblieben. Dies zeigt sich am deutlichsten, wenn der Saldo einfach in die neue Periode übertragen wird. Denn dann gelten alle Forderungen und Schulden der vorhergehenden Periode für völlig getilgt, von der Zahlung einer einzelnen unter ihnen, oder eines Theilbetrages, kann keine Rede mehr sein. Die Folge ist einfach die, dass die neue Rechnung mit einem Creditposten des anderen Theiles eröffnet wird.
Art. 415. Es besteht durchaus keine Nothwendigkeit, dass der Saldo jeder Periode unmittelbar berichtigt werde. Denn er ist nichts als ein neuer Creditposten zu Gunsten des Gläubigers, entspringend aus dem Abschluss der vorigen Rechnung, und die sämmtlichen Posten derselben ungetheilt repräsentirend. So gut, wie diese, kann daher auch der Saldo von neuem creditirt werden, und es bildet dies in den meisten Fällen die Regel. Indessen bleibt es den Parteien unbenommen die Auszahlung jedes Saldos zu vereinbaren. Doch muss dies ausdrücklich geschehen und wird nicht vermuthet. Wird also die laufende Rechnung stillschweigend eingegangen (Art. 409), so erstreckt sie sich auch immer auf jeden Saldo.
Art. 416. Gegenstand der laufenden Rechnung können nur Forderungen aus Handelsgeschäften sein, weil nur bei diesen sich ständige Geschäftsbeziehungen und eine fortlaufende Reihe gegenseitiger Schuldposten, wie sie die Voraussetzung dafür bilden (Art. 408), denken lassen. Es lässt sich aber die Frage aufstellen, ob alle Handelsforderungen irgend welcher Art in Conto Corrent genommen werden können. Man könnte nämlich, und so hat man es in der deutschen Jurisprudenz angesehen (Basch, Anm. 4. 5. zu Art. 291), Wechselforderungen und dergleichen indossable Forderungen davon auschliessen wollen, da die Erfüllung derselben nicht an den ursprünglichen Gläubiger, sondern an den folgenden Indossatar erfolgen soll, und das zwischen dem ersten Gläubiger und dem Schuldner bestehende Rechtsverhältniss auf den Indossatar nicht übertragen werden kann. Dies gilt namentlich von der Compensationseinrede, welche einem nachfolgenden Indossatar überhaupt nicht, dem ursprünglichen Gläubiger aber wegen der Wechselform nicht, entgegengehalten werden kann. Da nun die laufende Rechnung ihrem Wesen nach Compensation ist, so scheinen die indossablen oder nicht compensirbaren Forderungen davon ausgenommen werden zu müssen. Allein hiegegen ist zu erinnern: 1, dass die einzelnen Posten einer Rechnung nur als Ziffern in Betracht kommen und einzeln für sich gar nicht geltend gemacht werden können (Art. 413), wesshalb auch ihre rechtliche Natur völlig gleichgültig ist. 2, die Erfüllung an den Gläubiger liegt bei indossablen Forderungen in der Indossirung, zu der ihn der Schuldner ermächtigt; denn für die Indossirung muss der Indossant nothwendig eine Valuta, d. h. einen Gegenwerth empfangen. Wer einen Wechsel erhält und weiter begibt, its anzusehen wie Iemand, der eine Geldsumme empfängt, die er aber erst noch umwechseln lassen will. Da er aber den Betrag der Geldsumme wirklich erhielt, so ist das, was weiterhin damit geschieht, unerheblich.
Demnach können auch indossable Forderungen in Conto-Corrent genommen werden und es ist den Betheiligten zu überlassen, ausdrücklich festzusetzen, wenn sie Ausnahmen machen wollen. Allerdings sind Wechsel etc. insoferne bedenklich, als Regressansprüche wegen Mangels an Zahlung später entstehen können, welche dann durch die bereits erfolgte Anerkennung der Rechnung ausgeschlossen wären. Allein hiegegen kann durch geeignete Normirung der Rechnungsfrist, und durch Vorbehalte bei der Anerkennung geholfen werden.
Art. 417. Der eigentliche Conto- Corrent (Art. 408) setzt ein beiderseitiges Gläubiger- und Schuldnerverhältniss der Betheiligten voraus, da nur dann gegenseitige Abrechnung an Stelle der Zahlung denkbar ist. Es kann aber der practische Effect des Conto- Corrents, nämlich die Zusammenfassung aller einzelnen Posten zu einem Ganzen, auch bei einseitigem Forderungsverhältniss erreicht werden, wo der eine nur Gläubiger und der andere nur Schuldner ist, folglich der eine nur zu empfangen und der andere nur zu bezahlen hat. Dies wird namentlich häufig bei den sog. zweiseitigen Verträgen vorkommen, die daher mit diesem beiderseitigen Forderungsverhältniss nicht verwechselt werden dürfen. Es ist z. B. Jemand ein ständiger Kunde eines Kaufmanns und bezieht von ihm im Laufe eines Jahres regelmässig und zu verschiedenen Zeiten Waaren. Hierdurch wird nur der Verkäufer Gläubiger, und der Käufer nur Schuldner. Wird nun zwischen beiden vereinbart, dass keine Lieferung besonders bezahlt werden soll, dagegen der Käufer nach Belieben während des Jahres Zahlungen machen könne, die dann auf die Waarenforderung abzurechnen seien, und dass am Schluss jedes Jahres Abrechnung gehalten und der etwa verbleibende Saldo in das nächste Jahr übertragen werden solle, so ist ein uneigentlicher Conto-Corrent vorhanden. Uebrigens unterscheidet sich dieser nur wenig von dem eigentlichen, da man solche Einzahlungen a conto auch als Depositen ansehen kann, die dem Deponenten seinerseits ein Forderungsrecht verleihen. Dies wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Rückforderung der Depositen absolut nicht beabsichtigt wäre, mithin lediglich Zahlung im Sinne beider Theile läge. Dann wäre aber der a conto Zahlende auch nicht als Gläubiger anzusehen, und Art. 418 würde auf ihn keine Anwendung finden.
Art. 418. Wer einem Anderen eine Summe in das Credit schreibt, bekennt dadurch Geld von ihm zur eigenen Verwendung erhalten zu haben, er muss daher dafür nach Art. 378 Zinsen vergüten, soweit nicht das Gegentheil verabredet wird. Es werden z. B. zuweilen für täglich fällige Depositen Zinsen ausgeschlossen, allein wenn dies nicht geschieht, muss Verzinsung geleistet werden. Ueber die Höhe der Verzinsung wird keine ausdrückliche Vorschrift gemacht, da sie nach den Umständen und dem Handelsgebrauch sich richten muss. Die gewöhnliche Höhe der gesetzlichen Zinsen (Art. 379) passt hier nicht überall, da der Umfang des gegebenen Credits entscheiden muss; daher hat man den Ausdruck angemessene Verzinsung gewählt; cs wird übrig dieser wichtige Punkt in allen Fällen von selbst durch den Gebrauch oder durch ausdrückliche Vereinbarung genügend festgestellt.
Gegen diese Verzinsung kann man nicht einwenden, dass dem Credit stets ein Debet gegenüber steht, mithin eine fortlaufende Tilgung durch Compensation stattfindet, somit Zinsen nicht mehr zulässig seien, um so mehr als ein Verfalltag für die einzelnen Posten nicht bezeichnet werden könne. Allein dieses Debet ist für den anderen Theil ein Credit, wofür dieser wiederum Zinsen zu zahlen hat. Die Zinsen können sich aber nicht von selbst compensiren, da die Posten des Debet und Credit zu ganz verschiedenen Zeiten und in ganz verschiedenen Beträgen entstehen können. Gesetzt die Frist wäre ein Jahr, und der eine würde Schuldner auf 1000 D. im Januar und Gläubiger auf 1000 D. am letzten December, so können wohl die 1000 D. gegenseitig aufgerechnet werden, nicht aber auch die Zinsen ; denn der erste hätte Zinsen für das ganze Jahr zu entrichten, der zweite aber wäre gar keine Zinsen schuldig. Um nun Keinem Unrecht zu thun, muss Jeder als Gläubiger Zinsen beanspruchen dürfen; es versteht sich aber von selbst, dass auch die Zinsen auf beiden abgerechnet, und nicht selbständig ausgezahlt werden, soferne nichts anderes bestimmt wird.
Art. 419. Der Saldo ist Repräsentant aller einzelnen Rechnungsposten, daher die vereinbarte Rechnungsfrist als Zahlungsfrist in Bezug auf ihn anzusehen und nach Art. 357 der letzte Tag der Frist der Verfalltag ist. Von diesem Tage an laufen mithin weitere Zinsen, gleichviel ob der Saldo zur Auszahlung, oder zum Uebertrag in die neue Rechnung bestimmt ist.
Art. 420. Der Conto-Corrent ist nur ein Rechnungsverhältniss zwischen den Betheiligten; es kann aber nicht dazu benützt werden, um die Lage dritter Personen zu verschlechtern und ihnen ihre rechtmässig gebührenden Ansprüche zu schmälern. Z. B. wenn ein Wechsel in Conto-Corrent remittirt und von da aus an einen Dritten indossirt wurde, so kann dieser Dritte seine Wechselforderung im vollen Umfang geltend machen, ohne dass ihm der Conto-Corrent mit dem ersten Remittenten (Indossant) entgegengesetzt werden könnte. Oder, wenn zwischen Principal und (Kommissionär ein Abrechnungsverhältniss besteht, so kann die dritte Person dessenungeachtet ihre etwaige Forderung gegen den Principal geltend machen, falls es dazu kommen sollte.
Art. 421. Das Conto-Correntverhältniss ist ein ganz besonderes Vertrauensverhältniss, da es sich über eine grosse Zahl einzelner Forderungen und über längere Zeiträume erstreckt. Darin liegt eine gewisse Gefahr, die durch die leichte Lösbarkeit des Verhältnisses gemildert werden muss. Daher muss der freie Rücktritt jederzeit, auch innerhalb einer Rechnungsperiode, freistehen. Ebenso muss es durch Tod aufgelöst werden; von selbst versteht es sich, wenn der eine oder andere Theil aus der Geschäftsbeziehung heraustritt, z. B. die Firma veräussert. Denn das Verhältniss ist ein rein persönliches, es kann auf die Firma nicht von selbst ausgedehnt werden. Durch den Bankerott wird das Verhältniss nothwendig aufgelöst, weil dadurch der Bankerotteur die freie Verfügung über sein Vermögen verliert und dasselbe allen Gläubigern gemeinschaftlich zur Befriedigung übermittelt wird. Die Wirkung des Conto-Corrents dauert jedoch fort bis zum Eintritt des Bankerotts, bez., bis zu dem Zeitpunkt, wo der andere Theil davon Kenntniss erhält. Bleibt ein Saldo gegen den Bankerotteur, so muss dieser auf dem gewöhnlichen Wege gegen die Konkursmasse geltend gemacht werden; wenn für den Bankerotteur, dann ist nur dieser Betrag zur Masse einzuzahlen. Etwas ähnliches ist es mit dem Pfand- oder Retentionsrecht, obgleich diese Rechte unmittelbar auf bestimmte Sachen gehen. Engl. Bankerottgesetz 32 und 33 Vict. c. 71. s. 39. Deutsches Concursgesetz vom 10. Febr. 1877 § 46—48.
§ 9. Pfandrecht.
Art. 422. Ein Pfand ist eine zur Sicherung einer Forderung bestimmte Sache; das Recht des Gläubigers, diese Sache zur Befriedigung seiner Forderung zu verwenden, ist das Pfandrecht. Ursprünglich diente das Pfand nur als indirecte Nöthigung des Schuldners zur Zahlung, weil er nur dann die Sache wieder zurück bekommen konnte. Allein dies ist nicht ausreichend, wenn der Schuldner trotzdem nicht zahlt; daher gibt das Pfandrecht dem Gläubiger die Befugniss, sich selbst aus dem Werth des Pfandes bezahlt zu machen, und zwar mit Ausschluss oder doch im Vorgang vor den übrigen Gläubigern des Schuldners.
Das Pfandrecht entsteht durch Vertrag. Der Entwurf schreibt hiefür nach dem Princip des Art. 322 und nach dem Muster der Franz. Gesetzgebung (Code civil Art. 2074. 2075. Code de comm. Art. 109. Gesetz vom 23. Mai 1863) schriftlichen Vertrag vor, und zwar ohne Beschränkung auf eine bestimmte, höhere Summe, wie noch im Code civil und im Ital. Code Art. 188 geschehen ist, da es sich hier nicht blos um die Ernstlichkeit und überlegte Bestimmtheit des Vertragswillens handelt, sondern auch um die Verhütung von Missbräuchen und Betrug gegenüber den übrigen Gläubigern. Denn durch eine Pfandbestellung wird die Sache den letzteren entzogen, und wenn die Pfandbestellung unredlicher Weise und zum Schein erfolgt, so liegt darin ein Mittel für unehrliche Schuldner, ihr Vermögen bei Seite zu schaffen und straflos Schulden anzuhäufen. Daher soll die Schriftlichkeit namentlich dazu dienen, einmal die Forderung, wofür, und zweitens die Sache, welche in Pfand gegeben wird, genau zu bezeichnen, so dass nicht leicht Betrug und Verwirrung stattfinden kann. Und es liegt dieser Vorschrift die gewiss begründete Annahme zu Grunde, dass eine Pfandbestellung, bei welcher die Forderung und die Pfandgegenstände nicht genau bezeichnet werden können, nicht als ernstlich und wirksam gelten kann. Insbesondere muss auch der Betrag der zu sichernden Forderung, sowie das Datum speciell angegeben werden, damit man nicht in dem schriftlichen Document willkürliche und erfundene Thatsachen verzeichnen kann.
Uebrigens ist die Vertragschliessung zur Entstehung des Pfandrechts hinreichend, und die Uebertragung des Besitzes muss an sich nicht sogleich erfolgen; der Vertrag gibt dem Gläubiger jedoch ein Recht, die Herausgabe des Besitzes zum Zweck seiner Befriedigung zu verlangen. Nur zur Ausübung des Pfandrechts ist der Besitz der Sache nothwendig (Art. 423).
Nach dem D. H. G. B. Art. 309 wird für die Gültigkeit des Pfandcontracts keine besondere Form des Abschlusses, jedoch Besitzübertragung der Sache vorgeschrieben. Diese Vorschrift ist nach beiden Seiten nicht zu empfehlen, da sie jeder betrügerischen Manipulation die Thüre öffnet, und andererseits den Schuldner zu sehr benach -theiligt, indem er nothwendig den Besitz der Sache verliert, was insbesondere für den Handelsmann in seinen Geschäften oft sehr störend und nachtheilig wirkt. Diese Bestimmung wird daher in vielen Fällen nicht erfüllt oder umgangen.
Die Auffassung, dass der Pfandvertrag an sich als ein bindender Vertrag (executory contract) gültig sei, auch ohne unmittelbare Aushändigung der Sache, herrscht in der Engi, und Amerik. Jurisprudenz, sowie in Code civ. Art. 2074; und dies wird auch in der Praxis des Handels so beobachtet . Der Vertrag trägt auf den Pfandgläubiger das Recht auf den Besitz ebenso über, wie ein Kaufvertrag auf den Käufer. Behält daher der Verpfänder die Sache einstweilen in seinem Besitz, so ist dies nur ein äusserliches Innehaben an Stelle des G läubigers, gleich einem Depositar, und der Gläubiger kann jederzeit die Herausgabe verlangen. Diese Praxis wird insbesondere Banken gegenüber beobachtet, denen wohl am häufigsten Waaren von Kaufleuten verpfändet werden. Natürlich kann der Pfandgläubiger sofortige Herausgabe des Besitzes verlangen. Allein wenn er dem Kaufmann traut und ihn in seinen Geschäften nicht stören will, lässt er die Waaren in dessen Verschluss, behält sich aber vor, sein Recht auf Herausgabe jederzeit geltend zu machen.
Es gibt übrigens auch Handelsleute, die nur auf Faustpfand d. h. gegen Aushändigung des Pfandes leihen, wie die gewerbsmässigen Pfandverleiher. Auch diesen ist es jedoch unbenommen, die Sache in den Händen ihres Schuldners einstweilen zu belassen.
Es ist hier nur von beweglichen Sachen als Gegenständen des Pfandrechts die Rede, nicht von Grundstücken, an denen Hypotheken bestellt werden. Unter beweglichen Sachen ist alles zu verstehen, was nicht zu dem unbeweglichen Eigenthum gehört, da das Handelsrecht sich auf Rechte an Grundstücken nicht erstreckt. Verpfändet können alle beweglichen Sachen werden, soferne sie verkäuflich sind, da der Verkauf dem Gläubiger die schliessliche Befriedigung verschaf fen soll, nicht blos Sachen, sondern auch Rechte, insbesondere Forderungen (Art. 442).
Da das Pfandrecht nur zur Sicherung einer Forderung dient, also keine selbständige Bedeutung hat, so ist es ungültig, wenn eine solche Forderung nicht besteht; und zwar von selbst, gleichviel ob die Forderung von Anfang an nicht bestand oder später getilgt wurde. Ein an sich gültiges Pfandrecht erlischt mithin von selbst durch die Bezahlung oder durch jede andere Tilgung der Schuld, z. B. auch durch Verjährung. Nur muss die Verjährungsfrist auch hinsichtlich des Pfandrechts vollendet sein, weil die Bestellung eines solchen nach Art. 404 die Verjährung unterbricht.
Art. 423. Das Pfand soll durch Verkauf dem Gläubiger die Mittel seiner Befriedigung gewähren; nicht durch den eigenen Gebrauch oder Verbrauch, durch Vermiethung, Verleihung und sonstige Verwerthung. Diese Mittel der Befriedigung sind daher dem Gläubiger nicht gestattet, denn er darf sich nicht zugleich als Eigenthümer der Sache und als Gläubiger betragen. Indessen ist ein mässiger Gebrauch der Sache, der ihr nicht schadet, oder vielleicht sogar nur nützt, nicht verwehrt, insbesondere wenn etwa der Gläubiger Kosten von der Aufbewahrung hat. Dahin gehört z. B. das mässige Reiten eines verpfändeten Reitpferdes, das Melken einer verpfändeten Kuh etc., schon als Vergütung für die ihm obliegende Fütterung, da ausserdem diese Kosten aus dem Erlös des Pfandes gedeckt werden müssten.
Das Verkaufsrecht ist zugleich ein Vorrecht, in dem der Pfandgläubiger vor allen anderen Gläubigern aus der verpfändeten Sache befriedigt werden soll. Es wird daher das Recht des Gläubigers im Code civil ein privilège genannt (Art. 2074. 2076) und von dem gage oder dem blossen Recht aus dem Pfandvertrag unterschieden. In dieser Eigenschaft eines Vorrechts liegt die Nothwendigkeit des Besitzes als Voraussetzung des Verkaufsrechts begründet. Denn der Besitz macht das Recht öffentlich oder doch äusserlich sichtbar, und warnt die übrigen Gläubiger vor sorgloser Vernachlässigung ihrer eigenen Ansprüche. Auch kann nur derjenige, welcher eine Sache besitzt, als zum Verkauf befugt angesehen werden, da bei beweglichen Sachen der Besitz einem Rechtstitel gleich steht (possession vaut titre.)
Unter Besitzübertragung ist die körperliche Aushändigung zu verstehen, mit der in Art. 424 enthaltenen Modification, so dass der Gläubiger die Sache in seine Gewalt bekommt und auch thatsächlich darüber verfügen, insbesondere sie dem späteren Käufer aushändigen kann. Es genügt aber auch die blosse Tradition brevi manu, d. h. wenn der Gläubiger die Sache bereits vorher in Händen hatte und sie nun auf seinen Namen als Pfandgläubiger behält. Dagegen die unkörperliche Besitzübertragung, also die blosse Bethätigung des Besitzwillens (animus possidendi), wobei aber die Sache bei dem bisherigen oder einem anderen Besitzer verbliebe, genügt nicht; mithin auch nicht das sog. constitutum possessorium, wobei der bisherige Besitzer für den neuen Erwerber, oder in dessen Namen, weiter die Sache behält; es müsste denn der Andere ein Vertreter des Pfandgläubigers sein. Allein der Verpfänder selbst kann in dieser Beziehung nicht wohl als Stellvertreter des Pfandgläubigers auftreten, weil dies nur zu Betrügereien und zur Unsicherheit des Pfandrechts führen würde. Dies war zwar im alten röm. Rechte zulässig, ist aber in der neueren Jurisprudenz mit Recht verworfen worden.
Wenn der Gläubiger den Besitz des Pfandes erhielt, aber es später wieder an den Verpfänder zurückgibt, so hört dadurch zwar das Pfandrecht selbst nicht auf, es müsste denn die Rückgabe gerade in dieser Absicht erfolgt sein ; aber ein Verkaufsrecht kann der Verpfänder insolange nicht geltend machen, als er nicht wieder in den Besitz gekommen ist. Wenn nun der Verpfänder dieselbe Sache einem Anderen verpfändet und übergibt, so hat dieser letztere das Vorzugsrecht.
Art. 424. Eine Sache kann entweder unmittelbar ausgehändigt werden, oder mittelbar, durch Aushändigung und Indossirung gewisser Papiere, welche die Verfügung darüber auf den Empfänger übertragen. Solche Papiere sind Connossamente u. a. Bei ihrer Ausstellung waltet die Absicht vor, dass der rechtmässige Inhaber sie in Besitz erhalten soll. In ähnlicher Weise werden Waaren auch verkauft und übergeben werden durch Uebergabe der darüber ausgestellten Verfügungspapiere. Dies ist in dem Franz. Gesetze vom 23. Mai 1863 und D. H. G. B. Art. 302 ausdrücklich ausgesprochen ; und die gleiche Anschauung herrscht in der Engl. und Amerik. Jurisprudenz. Smith, Merc. Law p. 300. Kent, Comment. II. p. 549. 581.
Art. 425. Wenn nicht Waaren, sondern Forderungen, Obligationen, Wechsel u. dgl. verpfändet werden, so kann nicht ein eigentlicher Besitz, sondern nur die Ausübung des Forderungsrechts an Stelle des Gläubigers auf den Pfandgläubiger übertragen werden. Dies geschieht im allgemeinen durch Uebergabe des Schuldscheins.
Bei Inhaberpapieren genügt die blosse Uebergabe ebenso wie bei gewöhnlichen Waaren. Bei Ordrepapieren muss aber die Indossirung hinzukommen, weil nur dadurch das Recht des Gläubigers auf einen Anderen übertragen werden kann. Die Indossirung muss mit einem das Pfandverhältniss anzeigenden Zusatze vorgenommen werden, weil der Pfandgläubiger das Papier nur zur Sicherung seiner Forderung erhält und nicht in das volle Recht des Gläubigers gleich einem Käufer oder sonstigen Nachfolger eintritt. Ital. Code Art. 189. Franz. Gesetz vom 23. Mai 1863. Unten Art. 792.
In Bezug auf Actien und andere Antheilsscheine an einer Gesellschaft oder einem mercantilen Unternehmen ist zuweilen vorgeschrieben, dass dieselben in den Büchern der Gesellschaft auf den Namen des Pfandgläubigers umzuschreiben sind. Dies erscheint aber bedenklich, da der Pfandgläubiger nicht die wirkliche Eigenschaft und vollen Rechte eines Actionärs erlangt, mithin nicht in die Liste der Actionäre eingetragen werden kann. Auch würde dadurch der Verpfänder gehindert, in der Zwischenzeit seine Rechte als Actionär auszuüben; und die Gesellschaft kann nicht verpflichtet sein, die manchfachen Rechte, die durch den Verkehr an Actien erzeugt werden können, zu berücksichtigen und Verzeichnisse dafür anzulegen. Dies ist auch in dem Engi. Joint Stock Companies Act (25 und 26 Vict. c. 89. s. 30.) ausdrücklich ausgesprochen. Für den Pfand-gläubiger liegt eine genügende Sicherheit in der Indossirung und im Besitze der Actien.
Art. 426. 427. In Frankreich nach dem Code civil Art. 2078 kann der Verkauf des Pfandes nur auf Grund eines gerichtlichen Decrets erwirkt werden. Ebenso im Italien. Code comm. Art. 192. In England und den Vereinigten Staaten, abgesehen von der Gesetzgebung einzelner Staaten, kommt ein gerichtliches Ermächtigungsdecret zwar auch vor, ist jedoch nicht absolut nothwendig; sondern es genügt, wenn dem Verpfänder Nachricht von dem beabsichtigten Verkauf gegeben wird. Dies ist neuerdings auch in Frankreich Regel geworden durch das Gesetz vom 23. Mai 1863. In dem Deutschen H. G. Buch Art. 310. 311 wird zwar die gerichtliche Ermächtigung zum Verkauf als Regel vorgeschrieben, es kann dieselbe aber im Falle ausdrücklicher Vereinbarung hierüber unterbleiben. Eine formelle Klage, um eine gerichtliche Anerkennung der Schuld zu erwirken, wird nirgends erfordert.
Der Entwurf ist diesen letzteren Bestimmungen gefolgt, da der Verkauf eines Pfandes immer eine Art Execution in das Vermögen des Schuldners ist und Zwangsvollstreckung der Regel nach nur durch die gerichtliche Autorität verfügt werden kann; da es ferner immerhin möglich ist, dass der Schuldner gegründete Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verkaufes vorbringen kann, worüber richterlich entschieden werden muss (Art. 440).
Indessen ist dies immerhin ein Verfahren, das Zeitverlust und weitere Kosten verursacht, und insbesondere den Bedürfnissen des Handels nach rascher und einfacher Abwicklung der Geschäfte nicht genügt. Daher wurde bestimmt, dass auf das gerichtliche Verfahren auch verzichtet werden kann. Dies empfiehlt sich auch desshalb, weil es den Credit erleichtert und befördert.
Nur in dem Falle, wenn Ordrepapiere den Gegenstand des Pfandrechts bilden, soll das gerichtliche Verfahren auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Schuldners unterbleiben können. Denn solche Papiere sind eigentliche Handelseffecten, und durch die Indossirung erlangt der Indossatar ein specielles Eigenthum daran, indem er in die Rechte des Indossanten eintritt. Hier darf man daher die stillschweigende Einwilligung des Verpfänders ohne weiteres voraussetzen.
Art. 428. Die Bestimmungen dieses Artikels finden sich gleicher Weise auch in allen übrigen modernen Gesetzgebungen. Der Verkauf eines Pfandes muss öffentlich sein und durch öffentliche Verkäufer erfolgen; und der Schuldner muss mindestens 8 Tage vor dem Verkaufstermine Nachricht erhalten. Diese Bestimmungen dienen dazu, das Interesse des Schuldners zu wahren, ihm Gelegenheit zur anderweitigen Befriedigung des Gläubigers zu geben und dem Käufer möglichste Sicherheit für die Rechtsgültigkeit des Kaufes zu gewähren. Auch wird nur dadurch Sicherheit erlangt, dass die Sache zu ihrem wirklichen oder doch zum möglichst hohen Preise verkauft wird. Franz. Gesetz vom 23. Mai 1863. D. H. G. B. Art. 311. Ital. H. G.B. Art. 192.
Art. 429. Dem Schuldner muss man billiger Weise bis zum letzten Augenblick die Möglichkeit belassen, das Pfand durch Befriedigung des Gläubigers einzulösen. So lange daher der Verkauf nicht stattgefunden hat, muss der Schuldner berechtigt sein, dem Gläubiger Zahlung zu offeriren. Dieses Recht hört aber unwiderruflich auf, wenn der Verkauf wirklich stattgefunden hat. Gegenüber dem Käufer des Pfandes kann dieses Recht nicht mehr geltend gemacht werden. Wenn die Sache keinen anderen Käufer findet, kann es dem Gläubiger nicht verwehrt sein, selbst die Sache zum angemessenen Preise zu übernehmen. Jedoch darf dies nicht betrüglicher Weise und zum Nachtheil des Schuldners geschehen, widrigenfalls der Antrag auf Schutz desselben an das Gericht gestellt werden kann.
Art. 430. Das Pfand haftet mit seinem vollen Werthe für alles, was der Gläubiger auf Rechnung der dadurch gesicherten Forderung vom Schuldner beanspruchen kann. Also nicht blos für den Betrag der Schuld selbst, sondern auch für Zinsen, für die Kosten des Verkaufes, für etwaige Kosten der Aufbewahrung etc. Der Gläubiger kann aber nur nothwendige Auslagen berechnen von angemessener Höhe ; zu blos nützlichen oder gar willkürlichen Ausgaben ist er ohne Einwilligung des Schuldners nicht befugt, da er über die Sache nicht weiter verfügen kann, als zur Sicherheit seiner Forderung unumgänglich nothwendig ist, und nicht befugt sein kann, den Schuldner noch in weitere Kosten zu stürzen.
Art. 431. Der Pfandgläubiger hat kein ausschliessliches Verkaufsrecht am Pfande, und das Eigenthum des Schuldners wird daran an sich nicht aufgehoben oder verändert, ausser soweit der Sicherheitsanspruch des Gläubigers dadurch nicht beeinträchtigt wird. Daher kann man dem Schuldner nicht verwehren, seine Sache anderweit zu veräussern und dies ist auch insoferne billig, als er vielfach zum möglichst vortheilhaften Verkauf befähigt sein wird. Indessen findet dieses Recht seine nothwendige Grenze an dem entgegenstehenden Recht des Gläubigers. Ist dieser im Besitz der Sache, so braucht er die Sache nicht herauszugeben, bevor er volle Befriedigung erlangt hat. Er ist also in der Lage, den vom Schuldner vorgenommenen Verkauf unwirksam zu machen, er muss aber auch die Sache herausgeben, wenn ihm volle Zahlung offerirt wird. Ist er nicht im Besitze, so hat er wenigstens ein Vorzugsrecht in Bezug auf den Preis der Sache und der Schuldner ist verpflichtet, an ihn den Preis bis zum vollen Betrage der Schuld hinauszuzahlen. Wenn er dies nicht thut, kann der Gläubiger allerdings Schaden erleiden, aber er hat diesen sich selbst zuzuschreiben, da er den Schuldner im Besitz des Pfandes liess. Indessen wird der Schuldner durch Androhung einer Criminalstrafe wegen Unterschlagung zur ehrlichen Befriedigung des Gläubigers angehalten. Denn er konnte die Sache offenbar nur im Vertrauen des Gläubigers behalten und im Fall eines Verkaufes tritt das Kaufgeld an die Stelle der Sache; er veruntreut daher offenbar anvertrautes Gut. Wird der Kaufpreis etwa wegen laufender Rechnung oder aus sonstigen Gründen nicht ausbezahlt, so kann dies den Rechten des Pfandgläubigers nicht schaden (Art. 420). Der letztere hat also unter allen Umständen Anspruch auf Ausbezahlung des Kaufpreises.
Art. 432. Die Bestimmung dieses Artikels ist nur eine weitere Consequenz der zum vorhergehenden Artikel entwickelten Grundsätze. Denn der Käufer des Pfandes würde gleichfalls unehrlich handeln, wenn er den Kaufpreis für eine verpfändete Sache nicht an den Pfandgläubiger aushändigen würde. Die nothwendige Voraussetzung ist aber hier, dass der Käufer von der Existenz des Pfandrechts Kenntniss hatte.
Aus den beiden vorhergehenden Artikeln ergibt sich, dass der Pfandgläubiger immerhin Gefahr für seine Forderung läuft, wenn er unterlässt, sich in den Besitz des Pfandes zu setzen. Diese Bestimmungen sollen zugleich dazu dienen, das Vorkommen von Pfandrechten ohne Besitz möglichst zu verhindern.
Nach dem in Deutschland geltenden röm. Recht konnte die Veräusserungsbefugniss des Schuldners vertragsmässig aufgehoben werden und war in diesem Falle der trotzdem vorgenommene Verkauf ungültig. Auch wurde ein Verkauf in betrügerischer Absicht als Diebstahl angesehen. Jenes vertragsmässige Veräusserungsverbot würde aber nach heutiger Auffassung ein bestimmtes Interesse auf Seiten des Gläubigers voraussetzen, um gültig zu sein, und auf bestimmte Grenzen und Bedingungen zu beschränken sein. Ein allgemeines Veräusserungsverbot kann durch Vertrag nicht bewirkt werden, da hierin ein Eingriff in das Recht des Eigenthums läge.
Art. 433. Das Pfandrecht wird nach Art. 422 an und für sich durch Vertrag geschaffen, es kann daher eine und dieselbe Sache sehr wohl mehreren verpfändet werden, zumal wenn ihr Totalwerth für die Befriedigung der sämmtlichen Gläubiger hinreicht. Bei Hypotheken entscheidet in solchem Falle die Priorität der Zeit, so dass derjenige, dessen Pfandrecht das älteste ist, allen übrigen vorgeht, und so fort. Die Zeit kann hier den Vorrang entscheiden, weil Besitz des Pfandes für den Gläubiger nicht erforderlich ist. Allein das Pfandrecht an beweglichen Sachen kann nur von dem ausgeübt werden, der sie besitzt (Art. 423). Von mehreren Pfandgläubigern in Bezug auf dieselbe Sache kann daher nur der sein Verkaufsrecht ausüben, der sie besitzt; und da mehrere niemals gleichzeitig dieselbe Sache besitzen können, so kann in dieser Hinsicht auch niemals ein Zweifel aufkommen. Nur in einer Beziehung wird der Besitz nicht anerkannt, wenn er nämlich nicht auf rechtmässige Weise erworben oder festgehalten wird. Man pflegt drei Arten unrechtmässigen Besitzes zu unterscheiden, nämlich den gewaltsam, oder heimlich, oder bittweise, d. h. nur widerruflich erlangten Besitz. Ein solcher Besitz wird im Rechte nicht anerkannt, und es bekommt derjenige den Vorzug, zu dessen Nachtheil ein solcher fehlerhafter Besitz erlangt wurde. Wird diesem der Besitz der Sache nicht gutwillig zurückgegeben, so kann er desshalb eine Besitzklage anstellen. Diese Klage kann sowohl gegen einen anderen Gläubiger, als auch gegen den Schuldner, wie überhaupt gegen Jedermann angestellt werden. Denn der Besitz ist gleich dem Eigenthum ein Recht, das gegen Jedermann vertheidigt oder geltend gemacht werden kann.
Art. 434. Vorhin wurde bemerkt, dass niemals mehrere Personen gleichzeitig eine Sache besitzen können, ebensowenig als zwei Personen zugleich auf derselben Stelle stehen können. Der Besitz ist immer eine Thatsache, welche in die Sinne fällt und nur in einer bestimmten Person eintreten kann. Daher können niemals mehrere Pfandgläubiger zusammen das Recht des Verkaufs haben, sondern immer nur einer. Von dieser Regel findet jedoch eine Ausnahme statt, insoferne als der Besitz auch durch Aushändigung der Verfügungspapiere übertragen werden kann (Art. 424) und es möglich ist, dass einer diese Papiere, und ein anderer die Sachen selbst empfängt. In diesem Falle ist in der That ein doppelter Besitz mehrerer Personen eingetreten, und es fragt sich, wer von ihnen den Vorrang haben soll. Da unter mehreren Pfandrechten stets im allgemeinen die Priorität der Zeit entscheidet, aber nicht der Pfandvertrag selbst, sondern erst der Besitz des Pfandes das Recht des Verkaufes verleiht, so kann kein Zweifel darüber sein, dass derjenige, der zuerst, vor dem anderen, seinen Besitz erlangt hat, auch das Vorrecht des Verkaufes haben muss.
Art. 435. Drei Classen von Personen werden genannt, welche ein Pfandrecht an beweglichen Sachen gültig bestellen können: 1, der Eigenthümer; 2, dessen Stellvertreter, jedoch nicht jeder Stellvertreter, sondern nur derjenige, dem der Eigenthümer die Sache mit dem Rechte der Verfügung anvertraut hat; und 3, jeder, der den Besitz an den verpfändeten Sachen seinerseits auf redliche Weise erlangte, soferne die Sachen nicht gestohlen oder verloren waren.
Da die Bestellung eines Pfandrechts unter den allgemeinen Begriff der Veräusserung fällt, so kann man die Regel aufstellen, dass wer das Recht hat eine Sache zu veräussern, sie auch gültig verpfänden kann. Diese Regel gilt zunächst vom Eigenthümer, aber auch von allen denen, die an Stelle des Eigenthümers über eine Sache verfügen können. Das Verfügungsrecht muss sich vom Eigenthümer ableiten, unmittelbar oder mittelbar; es kann nicht von Jemandem abgeleitet werden, von dem man weiss, dass er nicht Eigenthümer ist; es darf nicht auf eine specielle Art der Verfügung beschränkt sein. Ein specieller Auftrag zu verkaufen, überträgt nicht auch das Recht zu verpfänden ; noch weniger die Anvertrauung zum Zweck des Transports, der Lagerung, oder zu anderen speciellen Zwecken. Dagegen die Anvertrauung einer Sache zu dem Zweck darüber handelsmässig zu verfügen, enthält auch das Recht der Verpfandung. Dieses Recht steht daher hauptsächlich dem Commissionär und dem Agenten zu, nicht aber dem Mäkler oder dem Spediteur. Ob der Vertreter dabei ehrlich oder unehrlich gegen den Principal handelt, ist gleichgültig, so lange der Pfandgläubiger davon keine Kenntniss hat. Nothwendig ist aber, dass der Stellvertreter die Sache, die er verpfändet, besitzt, wenn auch nur in dem Sinne des Art. 424, weil nur der Besitz ihn gegenüber anderen als berechtigten Disponenten über die Sachen legitimiren kann.
Während der Commissionär etc. sein Verpfändungsrecht von dem Eigenthümer ableitet, ist das des redlichen Besitzers ein selbständiges Recht gleich dem des Eigenthümers selbst und kann daher von diesem nicht beschränkt werden. Zum redlichen Erwerb gehört ein rechtmässiger Erwerbsgrund und die Unkenntniss des Umstandes, dass trotzdessen kein wirkliches Eigenthum erlangt wurde, hauptsächlich desshalb, weil der Veräusserer selbst nicht Eigenthümer war. An und für sich kann zwar Jeder sein Eigenthum holen, wo er es findet, auch wenn der jeweilige Besitzer es redlich erworben hat. Allein bei beweglichen Sachen und namentlich im Handelsverkehr kann dieser Grundsatz nicht durchgeführt werden, weil man unmöglich nachforschen kann, ob der einzelne an den Waaren, die er in seinem Laden oder auf Lager hat, oder die er sonst verkauft, auch wirkliches Eigenthum hat. Hier muss der Besitz dem Rechtstitel gleich stehen; der rechtliche Erwerb muss das gleiche Verfügungs-recht geben wie das Eigenthum selbst. Als redlicher Erwerber ist zunächst Jeder anzusehen, der die Sachen in seinem Besitz hat oder die handelsmässigen Verfügungspapiere darüber besitzt; unter Besitz ist auch der Gewahrsam in einem Lagerhause, Zollhause etc. zu verstehen. Der redliche Erwerb wird vermuthet. Wer das von einem solchen bestellte Pfandrecht anfechten will, muss beweisen, dass derselbe das Bewusstsein eines unredlichen Erwerbs hatte.
Diese Grundsätze sind in neuerer Zeit namentlich in der Englischen und Amerikanischen Gesetzgebung zur Anerkennung gelangt und es ist besonders der Englische Factor's Act (5 & 6 AGct. c. 39.) hiefür massgebend. Deutsches H. G. B. Art. 306.
Von selbst versteht es sich, dass der Pfandgläubiger dabei in gutem Glauben war. Denn wenn er wusste, dass der Factor oder Agent oder der jeweilige Besitzer zur Verpfändung nicht berechtigt war, so kann er auch kein gültiges Pfandrecht erwerben. Es ist jedoch nothwendig, dass der Pfandgläubiger entweder specielle Mittheilung erhielt, oder doch sonst Kenntniss von solchen Umständen hatte, aus denen er vernünftiger und ehrlicher Weise schliessen musste, dass der Verpfänder zur Bestellung des Pfandes nicht berechtigt war. Ein blosser Verdacht oder eine unbestimmte Vermuthung würde hiefür nicht genügen.
Diese Begünstigungen haben zum Zweck die Sicherheit und den ungestörten Fortgang des offenen und ehrlichen Handelsbetriebs. Da dieser sehr häufig durch viele Mittelspersonen vor sich geht, so sind dieselben nothwendig, um dem Credit auf Handelswaaren möglichst freie Entfaltung zu gewähren. Der herrschende Gesichtspunkt hiebei ist möglichst freie Circulation der Waaren, soferne sie unmittelbar oder mittelbar auf dem Willen des Eigenthümers beruht. Auf gestohlene oder sonst ohne Zuthun des Eigenthümers abhanden gekommene Waaren werden diese Begünstigungen nicht ausgedehnt. Durch Diebstahl etc. wird die handelsmässige Circulation unterbrochen, und die Vermuthung des ehrlichen Erwerbs ein für allemal aufgehoben, auch wenn sie später wieder in ehrlichen Handel gebracht werden. Solche Sachen können daher auch dem ehrlichen Erwerber wieder abgefordert werden. Diese Bestimmung, die ausdrücklich im Deutschen H. G. B. Art. 306 enthalten ist, empfiehlt sich, um dem Diebe etc. die Möglichkeit des Absatzes gestohlenen Gutes zu benehmen.
Art. 436. Die Bestimmung dieses Artikels soll die im vorher gehenden Artikel etwa enthaltenen Härten gegen den wahren Eigen-thümer möglichst mildern. Es kann dem Eigenthümer sehr viel daran gelegen sein, seine Sache zurückzuerhalten, während der Pfandgläubiger nichts verliert, wenn er volle Befriedigung auf seine Forderung erhält. Auch diese Bestimmung, welche übrigens auf gestohlene und verlorene Sachen keine Anwendung findet, ist ausdrücklich in dem Englischen Factor's Acte enthalten.
Art. 437. Wird eine vom wahren Eigenthümer verpfändete Sache verkauft, so folgt von selbst, dass nunmehr dessen Eigenthum daran erlischt, und dass er die Sache auch gegen Erlegung des Kaufpreises nicht mehr zurückfordern kann. Ein solcher Verkauf ist definitiv, wie jeder andere Verkauf, denn der Pfandgläubiger hatte dazu vom Eigenthümer durch die Bestellung des Pfandrechts Ermächtigung erhalten. Die gleiche Wirkung muss aber jeder Verkauf eines Pfandes haben, wenn die Verpfändung von dem Eigenthümer selbst gestattet war oder doch von ihm nicht angefochten werden kann (Art. 435). Der Eigenthümer verliert dadurch sein Eigenthum, und kann höchstens Schadloshaltung fordern von demjenigen, der ihm hiezu nach allgemeinen Grundsätzen verpflichtet ist (Art. 380); wenn z. B. ein Agent seine Vollmacht überschritt, ohne dass der Pfandgläubiger davon Kenntniss hatte (Art. 397). Ebenso muss auch jedes früher etwa an der Sache bestellte Pfandrecht, erlöschen. Denn der Käufer erwirbt die Sache gegen Entrichtung ihres Preises, und ein früheres Pfandrecht müsste immer, mittelbar oder unmittelbar, auf ein Eigenthumsrecht gegründet werden ; mithin muss erlöschen, wenn dieses selbst nicht mehr geltend gemacht werden kann. Diese Grundsätze gelten, wenn das Pfand vom Pfandgläubiger verkauft wird; wenn der Schuldner selbst verkauft, erlischt zwar auch das Pfandrecht, soferne der Pfandgläubiger die Sache nicht in seinem Besitze hat, es sind aber alsdann die Bestimmungen in Art. 431 und 432 anzuwenden.
Die Erlegung des Kaufpreises muss erfolgen, weil nach allgemeinen Grundsätzen das Eigenthum einer gekauften Sache erst unter dieser Bedingung auf den Käufer übergeht.
Art. 438. Diese Bestimmung ist analog derjenigen, dass eine Schuld auch von einem Dritten bezahlt werden kann. Cod. civ. Art. 2077.
Art. 439. Die Bestellung eines Pfandrechts für eine nicht existirende Schuld ist gänzlich nichtig; für künftig etwa entstehende Schulden hat sie etwas wuchermässiges und soll vom Gesetze nicht begünstigt werden. Das französ. Recht (Code civ. Art. 2082) hat die schon im röm. Recht enthaltene Bestimmung beibehalten, dass an einem für eine andere Schuld gegebenen Pfande wegen einer später entstandenen und fällig gewordenen Forderung ein Retentionsrecht ausgeübt werden könne. Auch dies ist den exacten und coulanten Bedürfnissen des heutigen Handels nicht angemessen. Für eine bedingte Schuld kann übrigens ein Pfandrecht bestellt werden, obwohl erst in der Zukunft die Existenz der Schuld sich entscheidet; denn in diesem Falle wird die Schuld nach Eintritt der Bedingung auf den Zeitpunkt des Abschlusses zurückdatirt.
Auch ein derart bedingtes Pfandrecht, welches nämlich unter der Bedingung einer künftig entstehenden Schuld gültig sein soll, kann nicht bestellt werden, soweit nicht bereits ein eventuelles Creditinteresse vorliegt, z. B. für einen Kaufpreis, der aber erst nach Lieferbarkeit der Waare fällig werden soll.
Von diesem Standpunkte aus muss auch die Bestellung eines Pfandes für die Eröffnung laufenden Credits oder laufender Rechnung zulässig erscheinen, obwohl die einzelnen Creditposten und Saldi erst später contrahirt werden.
Art. 440. Wer seinem Gläubiger ein Pfand in die Hände gibt, um sich damit selbst für eine Forderung bezahlt zu machen, begibt sich damit freiwillig in das Stadium der Zwangsvollstreckung und er ist nicht mehr in der Lage, die Schuld selbst zu bestreiten. Es können daher auch nur solche Einwendungen geltend gemacht werden, die nach abgeurtheilter Sache noch im Executionsverfahren zulässig sind. Nichts als Zahlung oder sonstige Befriedigung des Gläubigers kann das Pfand befreien. Der Antrag auf Sistirung des Verkaufes kann gestellt werden, gleichviel ob derselbe auf Grund richterlicher Verfügung oder ohne solche stattfinden soll.
Art. 441. Die Bestimmung dieses Artikels folgt daraus, dass der Pfandgläubiger zwar in seinem Interesse, aber auf Grund eines Vertrages besitzt und eventuell zur Rückgabe des Pfandes verpflichtet ist. Für die Erfüllung dieser Verpflichtung haftet er nach Art. 380.
Art. 442. Wird eine Forderung verpfändet, so muss die sonst nothwendige Uebergabe der Sache durch die Abtretung des Forderungsrechts an den Pfandgläubiger ersetzt werden. Diese Abtretung ist aber dem dritten Schuldner gegenüber nur wirksam, wenn er von der Abtretung specielle Mittheilung erhält; da er ohne solche Mittheilung fortwährend befugt sein würde, an seinen ursprünglichen Gläubiger zu zahlen. Die Mittheilung kann durch den Pfandgläubiger (Cessionar) oder den Cedenten erfolgen; eine auf ändere Weise erlangte Kenntniss wäre für den Schuldner nicht bindend. Um grösserer Sicherheit willen wird der Cessionar die Notification am besten selbst vornehmen. Die Vorschrift der schriftlichen Cession empfiehlt sieh aus den zu Art. 422 gemachten Bemerkungen und zwar ohne Unterschied des Betrages der abgetretenen Schuld.
Durch die Abtretung erlangt der Pfandgläubiger die Rechte des Gläubigers ; er kann also auch die Forderung selbst eintreiben und sich auf diese Weise unmittelbar bezahlt machen. Ist aber die Forderung keine Geldförderung, so darf der Pfandgläubiger die Sache nicht einfach behalten, sondern sie ist gleich einem gewöhnlichen Pfande zu behandeln. Mithin muss in diesem Falle noch der Verkauf nach den bereits früher gegebenen Regeln erfolgen.
Auch ein Pfandrecht kann weiterhin verpfändet werden, da es gleichfalls durch Vertrag entsteht. Hier übt sodann der zweite Pfandgläubiger die Rechte des ersteren ganz nach den allgemeinen Grundsätzen aus. Diese Weiterverpfändung bliebe gleichfalls unwirksam, wenn dem Gläubiger nicht der Besitz der Pfandsache ausgehändigt oder wenn er ihn wieder verlieren würde.
Art. 443. Besondere Pfandprivilegien, die durch specielle Gesetze oder Concessionen öffentlichen Instituten oder dem Staate eingeräumt sind oder werden, bleiben von den vorstehenden Gesetzesbestimmungen unberührt, nach Art. 3 dieses Gesetzbuches. Sb ist z. B. häufig bestimmt, dass die einer Bank gegebenen Pfänder für die gesammte Bankfordterung haften, dass Bankforderungcrr ein absolutes Vorzugsrecht haben sollen u dgl. Es sind jedoch die früher den Banken eingeräumten Privilegien als solche jetzt meist hinweggefallen, dadurch dass sie durch die moderne Gesetzgebung auf den Handel überhaupt als gemeines Recht ausgedehnt wurden.
§ 10. Retentionsrecht.
Art. 444. Das Retentionsrecht ist ein Recht, fremdes Vermögen zurückzubehalten, bis eine gewisse Schuld dem Berechtigten gezahlt ist. Es ist mithin dem Pfandrecht verwandt, nur dass es von vertragsmässiger Entstehung unabhängig und überdies auf gewisse Sachen oder Schulden beschränkt ist. Man unterscheidet ein doppeltes Retentionsrecht, nämlich ein besonderes und allgemeines. Das erstere besteht nur an den Sachen, wegen deren die Schuld entstanden ist; das zweite an allen Sachen des Schuldners, die der Gläubiger in Händen hat. Im allgemeinen widerspricht das letztere Retentionsrecht dem Rechtsgrundsatze, dass Niemand sich selbst aus dem Vermögen seines Schuldners bezahlt machen kann. Die Zahlung ist ein freier Act des Schuldners, und wenn dieser nicht zahlt, bleibt nichts übrig, als nach Vorschrift des Gesetzes den Schuldner zur Zahlung oder zur Entschädigung dafür anzuhalten ( Art. 373 ff.). Niemand ist berechtigt, dem Schuldner Geld oder Sachen wegzunehmen, um sich dadurch für eine Forderung gegen ihn bezahlt zu machen. Das wäre Selbsthülfe, die im Rechte verboten ist und verboten sein muss, denn wenn sie gestattet wäre, so würde allgemeine Rechtsunsicherheit die Folge sein und Niemand wäre sicher vor Unterdrückung durch Gewalt und Uebermacht. Dieses Princip gilt auch für Sachen, die ein Gläubiger in seinem Besitze hat, die aber dem Schuldner gehören. Denn es ist an und für sich gleichgültig, ob man einem Anderen sein Eigenthum wegnimmt oder vorenthält. Allein in dem letzteren Falle werden aus Gründen der Billigkeit Ausnahmen von dem Verbot der eigenmächtigen Vollstreckung einer Forderung gemacht, und in diesen Ausnahmen liegt eben das Retentionsrecht (privilège, lien.).
Das besondere Retentionsrecht hat folgende Voraussetzungen.
1) die Sache muss im Wege des Handels, also mittelst eines Handelsgeschäftes, jedoch nicht gerade mit dem Schuldner selbst, oder durch Fund in die Hände des Gläubigers gekommen sein;
2) die Sache muss fremdes Eigenthum sein; ob sie dem Schuldner oder einem Dritten gehört, ist gleichgültig;
3) die Forderung muss entstanden sein durch Verwendung von Arbeit oder Capital auf die Sache zum Nutzen des Schuldners; ob in dessen Auftrag oder nicht, ist gleichgültig, wenn er nur zur Anerkennung der Forderung verpflichtet ist, obgleich er nicht nothwendig die Schuld auch zu bezahlen braucht. Z. B. man braucht Fütterungskosten nicht zu bezahlen, wenn man einen gefundenen Hund von dem Finder nicht zurückverlangen will. Unter Arbeit ist nicht blos technische oder Handwerksarbeit zu verstehen, sondern jede Dienstleistung, also auch die des Agenten, Mäklers, Schiffers, Matrosen, Gastwirthes u. s. w. Das gleiche gilt auch vom Capitalauf-wande, der in irgend einer Weise geleistet worden sein kann;
4) die Forderung muss fällig, also ihre Zahlung nicht durch eine Bedingung oder Frist weiter hinausgeschoben sein.
Das Retentionsrecht soll dem Gläubiger offenbar zur sicheren und prompten Bezahlung verhelfen, ist also namentlich dann am Platze, wenn Jemand mit Unbekannten zu thun hat, denen er keinen Credit geben will, und die er doch nicht zurückweisen kann. Dies passt hauptsächlich für Wirthe, Frachtführer, und für alle Arten des handwerksmässigen oder gewerblichen Erwerbs. Wo diese Erwägung Platz greift, wird auch die Forderung selbst nicht zu strenge abgegrenzt; so hat ein Gastwirth ein Retentionsrecht am Reisegepäck seiner Gäste wegen der ganzen Wirthsrechnung; oder ein Schiffscapitain am Passagiergut der Passagiere auch wegen der persönlichen Reisekosten, Verköstigung etc. Der Zweck des Retentionsrechts ist mithin der, dem Gläubiger Sicherheit zu geben in Fällen, wo er sich die Sicherheit nicht selbst verschaffen könnte oder das Geschäft aufgeben müsste. Diese Sicherheit ist aber besonders nothwendig für Arbeiten und Auslagen, die man zum Nutzen Anderer verwendet.
In diesem Sinne besteht das Retentionsrecht auch in der Französischen und Englischen Gesetzgebung. Code de com. Art. 93. 190. 271. 307 ff. Smith, mercant. law p. 553 ff.
Nach dem Deutschen H. G. Buch Art. 313 ist das Retentionsrecht viel ausgedehnter, indem die Connexität zwischen der Sache und der zu sichernden Forderung aufgegeben und nichts weiter verlangt ist, als dass die Sache durch ein Handelsgeschäft in die Hände des Gläubigers kam und dessen Forderung aus einem Handelsgeschäft entstand. Es ist jedoch nur auf Kaufleute beschränkt. Hier ist das besondere Retentionsrecht gänzlich als solches beseitigt und in dem allgemeinen untergegangen; dieses letztere aber von irgend einer weiteren Voraussetzung nicht abhängig gemacht.
In dieser Unbeschränktheit ist das Retentionsrecht jedoch nicht zu billigen. Ein so allgemeiner und von seinen wesentlichen Voraussetzungen abgelöster Credit, wie er hiedurch gesichert werden soll, liegt nicht in dem Bedürfniss des soliden Handels; ein Retentionsrecht dieser Art ist nichts anderes als ein unfreiwilliges Pfandrecht an dem gesammten Vermögen des Schuldners, soweit man es in Händen hat, und kann auf innere Begründung wohl kaum einen Anspruch erheben. Ein Pfandrecht in allen Fällen zu präsumiren, wo es nicht wirklich bestellt wurde, ist eine ungeheuerliche, durch nichts zu rechtfertigende Idee, welche auch durch die Rücksicht auf das Zartgefühl des Gläubigers, der sonst die Bestellung eines Pfandrechts verlangt haben würde, nicht begründet werden kann.
Das Retentionsrecht geht unter, wenn es seinen Zweck verloren hat. Ist der Gläubiger bezahlt oder sonst befriedigt, oder hat er Credit gegeben, oder ein Pfand angenommen u. dgl., so kann das Retentionsrecht nicht weiter ausgeübt werden. Das gleiche ist zu sagen, wenn der Gläubiger ein ordentliches Zahlungsangebot zurückweist (Art. 353). Denn in diesem Falle wird der Gläubiger als befriedigt angesehen, und der Schuldner bleibt ihm nur gleich einem Depositar für den Schuldgegenstand verantwortlich. Ja durch gerichtliche Deposition der Zahlung kann die Schuld völlig aufgehoben werden.
Art. 445. Das. allgemeine Retentionsrecht ist nicht auf gewisse Sachen des Schuldners beschränkt, sondern kann an allen Sachen desselben ausgeübt werden, und zwar auch für noch nicht fällige Forderungen, da hier das Motiv der Gewährung des Rechtes ein anderes ist. Das besondere Retentionsrecht findet seinen Grund in der Absicht, die Gefahr unfreiwilligen oder unvermeidlichen Credits zu beseitigen. Das allgemeine dagegen lässt sich theils auf stillschweigende Zustimmung des Schuldners, theils auf Billigkeit zurückführen. Erstere ist insbesondere für den Fall der laufenden Rechnung anzunehmen, und es liegt darin ein Aequivalent für die Einräumung der darin enthaltenen weiten Creditgewährung. Ein solches Recht steht von selbst zu in allen Fällen, wo laufende Rechnung, sei es durch den Gebrauch, sei es durch besonderen Vertrag, beobachtet wird und braucht nicht ausdrücklich vereinbart zu werden.
Uebrigens kann dieses Recht nur an Sachen ausgeübt werden, deren Besitz man ehrlicher Weise erlangt hat, wenngleich nicht durch ein Geschäft unmittelbar mit dem Schuldner. Es ist mithin nicht statthaft, dem Schuldner Sachen gewaltsam oder arglistig abzunehmen, um daran ein Retentionsrecht auszuüben. Auch wäre es nicht ehrlich, an gefundenen Sachen dasselbe geltend zu machen, denn gefundene Sachen gibt jeder ehrliche Mensch dem Eigenthümer zurück, ohne vom Zufall profitiren zu wollen.
In der Englischen Jurisprudenz wird gewöhnlich der Satz aufgestellt, dass ein Retentionsrecht auch nach Belieben durch Vertrag begründet werden könne. Allein in dieser Allgemeinheit ist der Satz nicht zu billigen. Durch Vertrag kann ein beliebiges Pfandrecht bestellt werden, allein das Pfandrecht hat immer nur eine bestimmte Sache und eine bestimmte Forderung zum Gegenstand. Das Retentionsrecht dagegen hat einen viel weiteren Inhalt, soferne es ein allgemeines ist; und einen engeren, soferne es ein besonderes ist. Ein besonderes Retentionsrecht bedarf keines Vertrages, da es von selbst entsteht; das allgemeine Retentionsrecht beruht auf speciellen Erwägungen, die durch Vertrag nicht willkürlich ergänzt werden können. Das Verbot der Selbsthülfe im Rechtsverkehr gehört dem öffentlichen Rechte an und kann durch privaten Vertrag nicht umgestossen werden. Aus diesen Gründen wurde der Satz, dass, abgesehen von gesetzlicher Ermächtigung, ein Retentionsrecht auch durch beliebigen Vertrag geschaffen werden können, in den Entwurf nicht aufgenommen.
Art. 446. Der Besitz ist die nothwendige Voraussetzung des Retentionsrechts wie des Pfandrechts; mit dem Unterschiede jedoch, dass ersteres durch den Verlust des Besitzes selbst untergeht, während letzteres auch ohne Besitz noch fortdauern kann. Denn das Pfandrecht entsteht durch Vertrag, das Retentionsrecht dagegen ist vom Besitze unzertrennlich. Ob der Besitz körperlich ist oder constructiv, macht an sich keinen Unterschied, so lange man nur die actuelle Verfügung über die Sachen behält. Daher ist der Besitz der Verfügungspapiere (Art. 424) ausreichend. Wenn man Waaren in einem Lagerhause oder Zollhause etc. hinterlegt, behält man den Besitz fort. In der Herausgabe des Besitzes liegt ein Verzicht auf das Retentionsrecht, gleichviel ob man die Sachen dem Schuldner oder einem Anderen herausgibt. Wo nun ein solcher Verzicht nicht angenommen werden kann, wird auch das Recht nicht verloren; so wenn man die Sache einem Anderen zur Aufbewahrung, zur Reparatur etc. übergibt. Ebenso wenn der zum Verkauf berechtigte Agent oder Mäkler die Sachen einem Anderen verkauft und übergibt. In solchen Fällen wird übrigens das Retentionsrecht auf den Kaufpreis übertragen. Indessen ist, um die Annahme des Verzichtes auszuschliessen, die ausdrückliche Notification an den neuen Inhaber erforderlich.
Art. 447. Obgleich das Retentionsrecht an der Gesammtheit der betreffenden Sachen haftet, dient es doch nur zur Sicherung eines bestimmten Schuldbetrages, und man könnte daraus schliessen, dass jeder Theil für einen entsprechenden Theil der Schuld haften soll, dass also, wer die Hälfte der Sachen herausgibt, die andere Hälfte auch nur zur Sicherung der übrig bleibenden Hälfte der Schuld dienen darf. Diese Schlussfolgerung wird im Entwurfe zurückgewiesen, da die Sachen ungetheilt für die ganze Schuld haften. Es muss dem Gläubiger freistehen, sein Recht in dem ihm nöthig scheinenden Umfange auszuüben, und er kann nicht gezwungen werden, soviel von den Sachen zurückzuhalten, als deren Werth nach zur Sicherung seiner Forderung genügen würde. Gibt er nun einen Theil freiwillig heraus, so geht zwar in Bezug auf diesen Theil sein Recht unter, aber in Bezug auf den anderen Theil dauert es für den ganzen Betrag der unbezahlten Forderung fort.
Art. 448. Man kann im voraus oder später auf die Geltendmachung des Retentionsrechtes ganz oder theilweise verzichten. Ein stillschweigender Verzicht liegt z. B. in der Gewährung von Credit, in der Annahme eines Pfandes; ebenso in der Veränderung des Grundes für den Besitz des Berechtigten, z. B. wenn dieser die Sachen selbst kaufen würde, dass er von da an als Käufer, und nicht mehr als Gläubiger besässe; ferner wenn die Herausgabe des Kaufpreises für die Sache ausdrücklich versprochen würde.
Art. 449. Das Retentionsrecht kann nur so lange dauern, als das Forderungsrecht selbst; es erlischt daher nicht blos durch Zahlung und jede andere Befriedigung des Gläubigers (Art. 444), sondern durch jede Aufhebung des Forderungsrechtes, also durch Erlass, Vergleich oder Novation. Nach Englischem Rechte dauert das Retentionsrecht in Bezug auf eine verjährte Forderung noch fort, dies ist jedoch mit dem in dem Entwurfe angenommenen Grundsatze, dass durch Verjährung eine Schuld vollständig erlischt, unvereinbar.
Ohne Einfluss auf den Fortbestand des Retentionsrechtes ist die Veränderung des Eigenthums in der Person des Schuldners. Dies ist bei freiwilliger Veräusserung selbstverständlich, da sonst das Recht des Gläubigers willkürlich vom Schuldner vereitelt werden könnte. Allein dasselbe muss auch für den Fall unfreiwilliger Veräusserung gelten, z. B. mittelst Execution, oder bei Erbschaft u. dgl. Das Retentionsrecht ist ein auf dem Besitze ruhendes Vorzugsrecht an der Sache selbst, mithin dinglicher Natur, gleich dem Pfandrecht, und der Gläubiger ist nur verpflichtet, gegen Befriedigung seiner Forderung die Sache herauszugeben.
Art. 450. Das Retentionsrecht ist ein persönliches Recht, welches in der Sicherung gewisser Schuldverhätnisse seinen Grund findet; und es hat einen ganz speciellen Zweck, der nur in der Person des Gläubigers erreicht werden kann. Daher kann es auch mit der Forderung, zu deren Sicherung es dient, nicht veräussert werden; es muss mithin in Folge einer Abtretung der Forderung erlöschen, da das persönliche Verhältniss zwischen Gläubiger und Schuldner, aus welchem es entsprungen ist, auf andere Personen nicht übertragen werden kann. Der Gläubiger kann daher wohl sein Forderungsrecht auf Andere übertragen, allein nicht auch das Retentionsrecht, um so mehr als man annehmen muss, dass durch die Abtretung der Gläubiger Befriedigung erhält, oder doch nunmehr einer anderen Person Credit geben will.
Art. 451. Das Retentionsrecht ist zunächst nur ein Recht, eine gewisse Sache bis zur Bezahlung einer Schuld zurückzubehalten, und es entsteht von selbst mit dem Eintritt seiner gesetzlichen Voraussetzungen, mithin ohne eine ausdrückliche Behauptung oder sonstige Kundgebung einer darauf gerichteten Absicht. Man kann jedoch einem Gläubiger nicht zumuthen, die Sache einfach zu behalten, und gegenüber einem renitenten oder zahlungsunfähigen Schuldner ins Unbestimmte zu warten. Daher hat schon das Deutsche H. G. B. Art. 315 dem Gläubiger das Recht eingeräumt, die Sache gleich einem Pfandgläubiger zu verkaufen, dasselbe gilt auch im Amerikanischen Rechte (Kent II. p. 639). Diese Bestimmung ist durchaus zweckmässig, weil in den meisten Fällen die Fortdauer des Besitzes eine Last für den Gläubiger sein würde, zumal im Lauf einiger Zeit sich viele Sachen bei ihm auf häufen könnten. Der Verkauf muss nach den Vorschriften des Art. 428, also öffentlich erfolgen; die Erwirkung eines gerichtlichen Verkaufsdecrets wird nicht erfordert, was ohnehin bei vielen Sachen von geringem Werthe, wie bei Handwerkern etc. kaum durchzuführen wäre. Dagegen ist auch hier in allen Fällen vorherige Benachrichtigung des Schuldners nöthig, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Sache noch vorher einzulösen. Der etwaige Ueberschuss des Erlöses ist dem Schuldner nach Abzug aller Kosten, Zinsen etc. hinauszugeben.
Dieses Verkaufsrecht ist nur insoferne etwas beschränkt, als dem Schuldner angemessene Zeit zur Entrichtung der Schuld gelassen werden muss. Dies ist nach den Umständen billiger Weise zu beurtheilen, und darf der Schuldner nicht boshafter Weise in Verlust gebracht werden. Daher muss z. B. ein Gastwirth oder Handwerker immerhin einige Zeit mit dem Verkauf warten und darf nicht unmittelbar dazu schreiten, sobald er nur seine Rechnung vorlegt. Für Verletzung dieser Pflicht wäre er verantwortlich, wenn dem Schuldner dadurch Schaden zugefügt würde, auch z. B. durch Verkauf eines unverhältnissmässig werthvollen Objectes, oder für eine ganz geringfügige Forderung.
Art. 452. Wer eine Forderung aus einem zweiseitigen Vertrage erhebt, muss gleichzeitig beweisen, dass er seiner Seits die ihm obliegende Leistung erfüllt habe oder zu erfüllen bereit sei, widrigenfalls der andere Theil seine Leistung zurückzuhalten berechtigt ist. Wer z. B. den Preis aus einem Kaufverträge einfordert, muss die verkaufte Sache dem Käufer übergeben haben, oder doch zu übergeben bereit sein, sobald ihm der Preis gezahlt wird. Dieser, in der Deutschen Jurisprudenz als Einrede des nicht erfüllten Vertrages bezeichnete Einwand, kann als eine Retentionsrecht im weiteren Sinne angesehen werden, da der practische Effect auf Retention gerichtet ist, obwohl diese nur an der eigenen, nicht an der fremden Sache stattfindet. Der Französ. Code civ. Art. 1184 stellt diesen Fall unter den Gesichtspunkt der auflösenden Bedingung, indem die Gegenleistung als Bedingung der Fortdauer der Gültigkeit des Contracts angesehen werden kann. Allein der Berechtigte kann auch die Erfüllung der Gegenleistung oder Schadensersatz fordern, so dass die Aufhebung des Vertrags nicht die nothwendige Folge der Nichtleistung ist. Dieses Retentionsrecht beruht auf offenbarer Billigkeit, da es unehrlich wäre, von dem anderen Theile Erfüllung zu verlangen, ohne diesem zu geben, was ihm gebührt aus dem Vertrage. Dasselbe ist insbesondere für den Verkäufer wichtig, welcher dadurch die Gelegenheit erlangt, entweder die Sache zu behalten oder anderweitig nach Art. 451 auf Rechnung des Käufers zu verkaufen, und auf diese Weise zum Kaufpreis zu kommen.
Dieses Retentionsrecht kann jedoch durch eine gegentheilige Vertragsbestimmung oder Handelsgewohnheit aufgehoben werden. So wenn dem einen Theil für die Erfüllung eine Frist gelassen ist, dagegen dem anderen nicht; oder wenn für den Fall der Nichterfüllung eine Aenderung des Contractes, oder bei theilweiser Nichterfüllung eine Minderung der Gegenleistung vereinbart wurde. Durch den Handelsgebrauch kann für die Bezahlung des Preises eine Frist gesteckt sein. Es kann auch namentlich der Handelsgebrauch dahin gehen, dass wenn die Nichterfüllung nur eine theilweise ist, und nicht von wesentlicher Bedeutung, der andere Theil nur Herabminderung des Preises verlangen kann. Solange aber kein entschiedener Handelsgebrauch nachgewiesen wird, muss dem Käufer die Wahl freistehen, ob er auch wegen theilweiser Nichterfüllung retiniren oder Minderung seiner Leistung verlangen will, im ersteren Fall muss er aber zugleich zur Zurückgabe der theilweisen Leistung bereit sein.
§ 11. Ordre- und Inhaberpapiere.
Art. 453. Ein Ordre- oder Umsatz- Umlaufspapier (negotiable instrument) ist ein über die Existenz einer Forderung ausgestelltes Document, welches die besondere Eigenschaft hat, dass es, und damit auch das volle Forderungsrecht, ohne weitere Förmlichkeiten oder Bedingungen auf jede andere Person, und zwar in unbegrenzter Reihenfolge übertragen werden kann. Diese Eigenschaft hat man ihnen gegeben, weil sie für den Verkehr bestimmt sind und die commercielle Circulation von Waaren oder von Geld in hohem Grade erleichtern. Die Uebertragung ist einfacher als die gewöhnliche Cession einer Forderung, welche strenge genommen das Recht des ursprünglichen Gläubigers nicht aufhebt, und nur von Wirkung ist, wenn der Schuldner davon Nachricht erhalten oder den neuen Gläubiger ausdrücklich acceptirt hat. Die Uebertragung von Ordrepapieren ist von der späteren Genehmigung des Schuldners, da sie ein für allemal durch die Ausstellung eines solchen ertheilt wird, unabhängig, und wird durch die blosse Uebertragung des Papiers effectuirt, indem man annimmt, dass derartige Forderungen ausserhalb des über sie ausgestellten Documents nicht existiren und der Inhaber des Papiers auch immer der Inhaber der Forderung selbst ist.
Zu den Ordrepapieren gehörten ursprünglich blos Wechsel und Ordrebillets, und die Indossirung war als ein besonderes Rechtsgeschäft auf diese Documente beschränkt. Man hat aber in neuerer Zeit das Princip der Indossirung mehr und mehr auch auf andere Papiere angewandt, und desshalb musste dieselbe in den Zusammenhang der allgemeinen Grundsätze über commercielle Vertragsschliessung mit aufgenommen werden. Solche Papiere sind insbesondere auch noch Connossemente der Seeschiffer und andere Fracht- oder Ladescheine (bills of lading, receipts), Depositenscheine oder Recepisses von Banken, öffentlichen Magazinen, Niederlagen, Kornhallen, Cheques, Creditbriefe, Versicherungspolicen, Obligationen mit oder ohne Coupons. Sehr häufig werden diese und andere, wie z.B. Fahrbillets und andere Billets, einfach auf den Inhaber ausgestellt, dann ist zur Uebertragung nicht einmal Indossament erforderlich, sondern es genügt die blosse Uebergabe.
Es ist nicht nöthig, die einzelnen unter den Begriff des Ordrepapiers fallenden Verpflichtungsscheine speciell aufzuzählen, weil der Handelsbetrieb selbst über ihren Gebrauch und Verkehr entscheiden muss und ihre Zahl durch die Fortschritte des Handelsverkehrs fortwährend vermehrt werden kann. Der Entwurf stellt nur folgende Erfordernisse dafür auf:
1) der Vertrag an Ordre muss immer schriftlich sein.
2) Es muss immer ein Verpflichtungsschein des Verpflichteten selbst ausgestellt sein; Anweisungen an einen Dritten, die erst von diesem acceptirt werden müssten, werden in dieser Allgemeinheit, soweit sie nämlich nicht unter das Wechselrecht fallen, nicht zugelassen, da ihre Erfüllung zu ungewiss wäre. Solche Verpflichtungsscheine an Ordre können aber nur dann mit Sicherheit circuliren, wenn ihre Erfüllung sicher zu erwarten ist.
3) der Aussteller des Scheins muss denselben ausdrücklich als „ an Ordre ” erklärt haben, oder er muss doch nach Handelsgebrauch unzweifelhaft als Ordrepapier gelten.
4) der Schein muss auf eine bestimmte Geldsumme, mit oder ohne Zinsen, oder auf bestimmte Waaren lauten, zu deren Herausgabe an den rechtmässigen Inhaber des Scheins der Aussteller sich verpflichtet. Die Waaren können generell oder speciell bestimmt sein; im ersteren Falle darf über Quantität und Qualität kein Zweifel sein, z. B. so und so viele Gentner Reis oder Thee einer bestimmten Sorte. Im letzteren Falle können die Waaren namentlich durch ihre Bezeichnung in Kisten, Fässern etc. bestimmt werden. Die Verpflichtung geht an sich auf nichts weiter als auf die Herausgabe an den Berechtigten, doch schliesst diese Verpflichtung alles dasjenige ein, was der Schuldner thun muss, um die Herausgabe ordentlich und rechtzeitig bewerkstelligen zu können, z. B. den gehörigen Transport, die sorgfältige Aufbewahrung etc. Auf Leistungen anderer Art, insbesondere rein persönliche Handlungen, kann ein Ordrepapier nicht wohl gestellt werden, da das Interesse an ihrer Erfüllung zu unbestimmt ist und von den persönlichen Verhältnissen der Contrahenten durchaus unabhängig sein wird, so dass Dritte nicht wohl in ein solches Vertragsverhältniss eintreten können.
Es gibt zwar negotiable Scheine, selbst in der Form als Inhaberpapiere, über dergleichen persönliche Leistungen z. B. Theaterbillets, Eisenbahnbillets u dgl. m. Allein die Verpflichtung aus solchen Scheinen oder Billets ist durchaus unbestimmt und kann nicht absolut gefordert werden, daher im Falle der Nichterfüllung in der Regel nur das bezahlte Eintrittsgeld etc. zurückerstattet wird. Unbestimmte Verpflichtungen dieser Art eignen sich nicht zur Ausstellung von Ordrepapieren, wie sie der Handel benützt. Auch können Inhaberpapiere, Billets etc. nach feststehenden Grundsätzen nur vom Staate oder vom öffentlichen Anstalten und Unternehmungen ausgegeben werden, und es ist der in dem Billet etc. liegende Anspruch nach feststehendem Usus oder nach den Bestimmungen der etwaigen Concessionsurkunde zu beurtheilen. Allgemeine Grundsätze lassen sich hierüber nicht weiter aufstellen, als in Art. 463 geschehen ist.
Wer ein Ordrepapier ausstellt, erklärt dadurch, dass er entweder an den ursprünglichen Gläubiger oder an eine andere von diesem zu bezeichnende Person leisten wolle. Der Indossatar hat wiederum für sich das Recht der Weiterbegebung, so dass der Schein eine ganze Reihe von Personen durchlaufen kann, ehe er zur schliesslichen Erfüllung präsentirt wird. Es liegt darin eine Anwendung des bereits oben in Art. 350 enthaltenen Grundsatzes, dass Verträge auch zu Gunsten dritter Personen geschlossen werden können. Der Vertrag geht ganz stricte auf die Herausgabe einer Geldsumme oder gewisser Waaren, und auf nichts weiter, so dass der ursprüngliche Vertrag fortbestehen bleiben kann, soferne er nicht in dieser Herausgabe gänzlich aufgeht; die Herausgabe des Geldes oder der Waaren wird dadurch von den übrigen Bestandtheilen des Vertrages losgelöst und selbständig gemacht, wobei indessen die in Art. 458 enthaltenen Bestimmungen über etwaige Gegenansprüche nicht zu übersehen sind. Würde also z. B. ein Käufer dem Verkäufer ein Ordrepapier über Bezahlung des Kaufpreises ausstellen, so müsste er dem Inhaber desselben auf alle Fälle die Geldsumme auszahlen; wegen Ueberlieferung der gekauften Waare aber könnte er sich nur an den Verkäufer halten. Es ist also wohl zu beachten, dass nicht das gesammte Forderungsrecht aus dem Vertrage auf den Indossatar übergeht, sondern nur das schriftlich bezeichnete Forderungsrecht auf Herausgabe des Geldes oder der Waaren. Da hiernach die Herausgabe in der Hauptsache mit Berufung auf anderweitige Vertragsbestimmungen nicht verweigert werden kann, so ist der Besitz des Papieres practisch dem des Geldes oder der Waaren selbst nahezu gleichzuachten, und dadurch werden solche Papiere zu sog. Verfügungspapieren (Art. 424), indem ihr Inhaber die Herausgabe ohne weiteres zu verlangen berechtigt ist. Daraus folgt, dass solche Ordrepapiere nicht beliebig von Jedem im Handelsverkehr ausgestellt werden können, sondern nur von solchen, die festes und allgemeines Vertrauen geniessen, oder wenn das Handelsbedürfniss es nothwendig verlangt, wie beim Seetransport.
Die Indossirung ist der Act der Uebertragung, es muss die Uebergabe des Papieres nothwendig hinzutreten; wo von Indossament gesprochen wird, schliesst dies immer stillschweigend die Uebertragung des Papiers mit ein. Ohne diese Uebergabe wäre die Indossirung unvollständig. Für die Indossirung ist abgesehen von Art. 455 weiter keine Form vorgeschrieben, als dass sie schriftlich sein muss. Sie kann in beliebigen Worten geschehen, auf dem Papiere selbst oder auf einem Anhängsel dazu. Das Indossament ist aber von dem Ordrepapiere selbst unzertrennlich, und ohne dasselbe ganz und gar wirkungslos.
Ordrepapiere können frei circuliren, wie das Geld oder die Waaren selbst, und ihre Circulation kann in vielen Fällen die Circulation der Waaren vertreten.
Art. 454. Die Ausstellung eines Ordrepapieres hängt von dem freien Willen des Schuldners ab, auch in den Fällen, wo das Papier nach Handelsgebrauch gewöhnlich an Ordre gemeint ist Daher kann es der Aussteller auch unübertragbar machen; dies muss aber durch eine ausdrückliche Bemerkung auf dem Papiere selbst geschehen. Auf gedrukten Formularen genügt auch das blosse Ausstreichen der Worte „ an Ordre ”. Bei Papieren, die gewöhnlich an Ordre lauten, ist dieser ausdrückliche Vermerk unerlässlich. Bei anderen Papieren hat natürlich das einfache Weglassen der Worte „an Ordre” dieselbe Wirkung.
Art. 455. Abgesehen von der Bezeichnung der Geldsumme oder der Waaren muss das Ordrepapier auch ein festes Datum und die Unterschrift des Ausstellers resp. Indossanten enthalten. Dies ist nothwendig, um dem Anspruch jede Unbestimmtheit zu benehmen, namentlich gegenüber nachfolgenden Indossataren. Es kann auch ein bestimmter Verfalltag angegeben werden. Ist dies nicht geschehen, so kann die Erfüllung von dem Datum der Ausstellung an gefordert werden, soferne nicht ein gewisser Aufschub in der Natur des Contractes liegt, wie bei Frachtscheinen, die selbstverständlich erst nach dem Ablauf der ordentlichen Transportzeit fällig werden.
Art. 456. Die Bestimmung dieses Artikels folgt aus den Bemerkungen zu Art. 453, indem die Verpflichtung zur Herausgabe des Geldes oder der Waaren von den anderweitigen Vertragsbestimmungen losgelöst und auf ihre eigenen Füsse gestellt wird. Es ist zwar auch ein Ordrepapier anfechtbar wegen mangelnden Rechtsgrundes, denn die in Art. 329 aufgestellte Regel ist von absoluter Geltung für alle Verträge. Allein dem Ordrepapier an sich wohnt ein Rechtsgrund von selbst inne, und der Mangel desselben kann nicht gegen den jeweiligen Inhaber, sondern nur gegen den ursprünglichen Contrahenten geltend gemacht werden. Ein Ordrepapier enthält also immer eine absolute Verpflichtung, soweit nicht Ausnahmen nach Massgabe der folgenden Artikel begründet sind.
Eine Ausnahme wird bereits in diesem Artikel selbst zugelassen, nämlich für die Verpfandung von Ordrepapieren, weil es wünschenswerth erscheint, dass das Recht des Pfandgläubigers auf das Pfandobject unzweideutig kundgemacht werde, damit es nicht zum Nachtheil des Pfandschuldners gemissbraucht werden kann.
Art. 457. Die Ausstellung oder Indossirung in blanco bedeutet, dass der Name des Gläubigers oder Indossatars auf dem Papiere nicht genannt wird. Derselbe erlangt dadurch das Recht, das Papier weiter zu übertragen, ohne dass seine Unterschrift auf dem Papiere erscheint. Seine persönliche Verantwortlichkeit aus dem Papiere selbst wird dadurch beseitigt, und dies ist ein häufig angewandtes Mittel, um die Annahme oder weitere Begebung eines Papieres zu erleichtern. Am weitesten ist diese Möglichkeit getrieben bei Inhaberpapieren, auf denen überhaupt nur der Name des Schuldners erscheint. Insbesondere dient diese Blanco-Ausstellung dazu, den Namen des schliesslichen Berechtigten nach Belieben zu irgend einer späteren Zeit einzusetzen, da er sehr häufig zur Zeit der Ausstellung des Papiers noch nicht bekannt ist, wenn z. B. gewisse Waaren erst später einen Käufer finden können, mithin eine zur Empfangnahme berechtigte Person zur Zeit noch gar nicht vorhanden ist.
Art. 458. Wer ein Ordrepapier ausstellt, verpflichtet sich dadurch zur Erfüllung der darin benannten Leistung an Jedermann, also nicht blos an den ursprünglichen Gläubiger, und darin liegt von selbst die weitere Erklärung, dass diese Erfüllung von dem mit dem letzteren abgeschlossenen Contracte unabhängig sein soll. Das Ordrepapier ist zur Circulation bestimmt, es vertritt in gewissem Grade die Circulation der darin genannten Waaren selbst, der mit dem ursprünglichen Gläubiger geschlossene Contract geht bei dieser Circulation auf die nachfolgenden Gläubiger ebenso wenig über, als bei der unmittelbaren Circulation der Waaren. Indossable Papiere vertreten im Verkehr die Gegenstände, worüber sie ausgestellt werden, ähnlich wie Banknoten oder Wechsel eine gewisse Summe baaren Geldes vertreten. Daraus folgt, dass der Schuldner sich auf etwaige contractliche Gegenforderungen, die aus dem Vertrage mit dem ursprünglichen Gläubiger entspringen, gegen einen späteren Inhaber des Papieres nicht mehr berufen kann, sobald es einmal durch Indossament in den Verkehr gekommen ist, und dass solche Gegenforderungen nur gegen den ursprünglichen Gläubiger geltend gemacht werden können. Denn der mit diesem letzteren abgeschlossene Contract bleibt bestehen, und die Ausstellung des Ordrepapiers muss als ein Versprechen angesehen werden, denselben hinsichtlich der Herausgabe der darin benannten Gegenstände absolut vollziehbar zu machen. Wenn also etwa der Verkäufer von Waaren über dieselben einen indossablen Auslieferungsschein ausstellt, so kann die Auslieferung an einen nachfolgenden Indossatar von der Entrichtung des Kaufpreises durch diesen nicht abhängig gemacht werden, denn der Kaufpreis ist eine Sache, welche lediglich den ursprünglichen Käufer angeht. Die Verpflichtung des ursprünglichen Inhabers des Scheines gegen den Aussteller geht also auf den späteren Inhaber nicht mit über. Dieser letztere hat blos solche Verpflichtungen, die aus dem Ordrepapier selbst erhellen, insoferne sie darauf ausdrücklich verzeichnet sind oder welche das besondere Retentionsrecht jedes Schuldners mit sich bringt. Frachtgüter sind also nur gegen Bezahlung der Fracht, Lagergüter nur gegen Bezahlung der Lagergebühren etc. herauszugeben. Ebenso ist es eine selbstverständliche Vorschrift, dass der Inhaber des Scheines nur gegen Aushändigung und Quittirung des Papieres die Herausgabe der Sachen verlangen kann, da der Contract, was die Herausgabe betrifft, absolut an das Papier geknüpft ist.
Eine vorherige Acceptation durch den Aussteller ist nicht erforderlich, auch keine vorhergehende Benachrichtigung desselben; diese Bedingungen gelten nur für die gewöhnliche Cession, nicht aber für die Indossirung. Eine Acceptation wäre ein wiederholtes Versprechen der Herausgabe, das aus keinem Grunde als erforderlich angesehen werden kann.
Der Aussteller ist nur zur Anerkennung wirklich von ihm ausgestellter Scheine verpflichtet; auf gefälschte Papiere braucht er keine Zahlung zu leisten. Solche Fälschung wäre ein Betrug des Fälschers an dem jeweiligen Inhaber, für welchen der angebliche Aussteller unmöglich verantwortlich gemacht werden kann. Ebenso, wenn ein Ordrepapier theilweise gefälscht wäre, z. B. in der Ziffer der Geldsumme, oder im Datum u. dgl. Dagegen unwesentliche Fälschungen, welche die Verpflichtung der Herausgabe an sich selbst nicht veränderten, würden auf die fortdauernde Gültigkeit des Papieres keinen Einfluss haben können.
Art. 459. Die Bestimmungen dieses Artikels entsprechen den gewöhnlichen Regeln über die Behandlung verkehrsfähiger Papiere. Ob der Inhaber auch wirklich die auf dem Papiere genannte Person, ob seine Unterschrift ächt ist, ob er etwa als berechtigter Stellvertreter oder Bote auftritt, diese Umstände braucht der Aussteller nicht zu untersuchen, da er die betreffenden Individuen persönlich zu kennen nicht verpflichtet ist. Betrügereien und Irrthümer, die mit Umlaufspapieren vorfallen, treffen den Inhaber, und dieser ist daher auf seine Gefahr verpflichtet, sie sorgfältig zu bewahren und vor Diebstahl etc. zu behüten. Andererseits kann der Aussteller seinerseits gleichfalls Solgfalt üben und wenn er irgend Verdacht schöpft aus besonderen Umständen, so ist er dazu nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet. Diejenige Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, die jeder Mensch dem anderen im Rechtsverkehre schuldet, und deren man sich auch nicht durch Vertrag entledigen kann (Art. 335) muss der Aussteller in allen Fällen beobachten. Wenn also die Unterschrift ersichtlich gefälscht, wenn der Abholende ein ganz neues unbekanntes Individuum wäre und Verdacht eines Betruges vorläge, wenn etwa Nachricht eines Diebstahls gegeben wäre, wenn die Zusendung per Post erfolgte und Unregelmässigkeiten bemerkbar wären, in allen solchen Fällen muss der Aussteller auch im Interesse des wirklich Berechtigten Sorgfalt und Wachsamkeit bethätigen.
Art. 460. Der Inhalt dieses Artikels findet seine Rechtfertigung in den Bemerkungen zu Art. 458 und 459. Ein Ordrepapier enthält eine absolute Verpflichtung gegenüber jedem berechtigten Inhaber des Papiers, da es die Herausgabe des Geldes oder der Waaren selbst vertritt, und deren unkörperliche Circulation ermöglichen soll. Es muss mithin ein solches Papier circuliren wie die Waaren selbst, d. h. unabhängig von etwaigen contractlichen Bestimmungen zwischen einzelnen Personen. Ausnahmen von dieser absoluten Verkehrsnatur der Ordrepapiere finden nur statt, soweit die allgemeinen Regeln des Verkehres und die nothwendige Sicherung gegen missbräuchliche Störungen diese verlangen. Dem Inhaber eines Scheines können Einreden, die mir gegen den ursprünglichen Gläubiger zulässig wären, also auf besonderen Vereinbarungen mit diesem beruhen, nicht opponirt werden, sondern nur solche, die gegen jeden Inhaber des Scheines begründet sind. Dies ist dann der Fall, wenn sie auf dem Schein selbst ausdrücklich namhaft gemacht sind oder aus der Natur und Bedeutung des Scheines von selbst hervorgehen. Es kann z. B. eine Frist für die Erfüllung ausdrücklich genannt sein, oder von selbst aus dem Papier folgen, wie bei Frachtseheinen, wo sich die Herausgabe der Waaren erst nach Beendigung der Reise versteht, oder bei zollpflichtigen Sachen Herausgabe nur nach Erfüllung der Zollvorschriften u dgl. m.
Art. 461. Eine andere Frage ist, welche Stellung der Indossatar gegenüber dem Indossanten einnimmt? In dieser Beziehung kann offenbar nur der zwischen beiden Theilen abgeschlossene Vertrag entscheiden. Im allgemeinen kann der Indossatar ein Stellvertreter oder Auftraggeber des Indossanten, oder ein Rechtsnachfolger desselben sein. Gegenüber dem Aussteller ist der Indossatar zur selbständigen Empfangnahme und Quittirung der Sachen berechtigt; gegenüber dem Indossanten aber ist er zur Erfüllung etwaiger Verpflichtungen unzweifelhaft verbunden. Diese Verpflichtung kann dahin gehen, die Sachen für den Indossanten aufzubewahren, sie ihm auszuhändigen, sie weiter zu verkaufen, oder im Falle eines Kaufvertrages den Kaufvertrag dafür zu bezahlen etc.
Ebenso entscheidet das zwischen beiden bestehende Rechtsverhältniss über etwaige Regressansprüche gegen den Indossanten, wenn der Aussteller des Ordrepapiers die Herausgabe nicht oder nicht ordentlich leistet. Bei Wechseln hat jeder Indossatar einen Regressanspruch gegen alle vorhergehenden Indossanten, wenn die Zahlung am Verfalltage nicht erfolgt. Diese Regel kann bei den hier behandelten Ordrepapieren nicht zur Anwendung kommen, da sie nicht so absolut einer Geldsumme gleichgesetzt werden sollen wie die Wechsel, und da sie vielfach auf Herausgabe von Waaren gehen, wofür ein Eintreten der Indossanten meist ganz undenkbar wäre. Zur Herausgabe einer Summe Geldes kann sich Jeder verpflichten, dagegen zur Herausgabe von Fracht- oder Lagergütern nur der Schiffer oder Lagerhalter u. s. w. Auch wenn sie auf eine blosse Geldsumme lauten, benützt man doch solche Ordrepapiere nur in Fällen, wo gewisse contractliche Beziehungen nebenhergehen, z. B. bei Creditbriefen, oder Actien, Coupons etc. Die Regel ist demnach, dass für die Erfüllung der in dem Ordrepapiere benannten Leistung dem Inhaber nur der Aussteller haftet, nicht aber auch der Indossant, und dass gegen letzteren im Falle der Nichterfüllung etwaige Ersatzansprüche nur nach den allgemeinen Regeln der Contractserfüllung erhoben werden können.
Art. 462. Die Amortisirung besteht in der Ungültigkeitserklärung von Urkunden, nachdem sie öffentlich aufgerufen und etwaige spätere Erwerber dagegen gewarnt wurden. Auch ist dem Aussteller in allen Fällen rechtzeitig Kenntniss zu geben. Ob die öffentliche Erklärung durch den betreffenden Inhaber oder durch Vermittlung des Gerichts erfolgt, ist an sich gleichgültig. Indessen kann einem etwaigen Rechtsstreite nur durch ein gerichtliches Ungültigkeits-Erkenntniss vorgebeugt werden (Vgl. Art. 253).
Art. 463. Papiere auf den Inhaber sind im allgemeinen den Ordrepapieren gleich zu behandeln, nur mit dem Unterschiede, dass ihre Uebertragung, nicht durch Indossirung, sondern durch körperliche Uebergabe erfolgt. Jeder Inhaber ist daher berechtigt, die in dem Papiere enthaltene Forderung geltend zu machen, was aber die analoge Anwendung der in Art. 458, 459 ff. enthaltenen Bestimmungen ebensowenig ausschliesst, wie die Amortisation im Fall eines Verlustes und die Vindikation oder anderweitige Zurückforderung gegen den unberechtigten oder unredlichen Inhaber. Art. 463 ist daher in dem Sinne zu verstehen, dass auf Inhaberpapiere im allgemeinen die gleichen Grundsätze wie auf Ordrepapiere anzuwenden sind, mit Ausnahme der in dem Artikel hervorgehobenen beiden Punkte. Die Emission vor Inhaberpapieren beruht entweder auf specieller Concession oder auf besonderen Gesetzen, und dann entscheiden diese über die Verpflichtungen des Ausstellers gegen den Inhaber; oder es ist eine besondere Ermächtigung durch Gesetz oder Concession nicht erforderlich, wie z. B. bei Theater-, Concertbillets etc., dann muss das Herkommen entscheiden, denn nur dieses, oder der Handelsgebrauch kann Aufschluss geben, wie man die von dem Aussteller übernommene Verpflichtung zu verstehen hat. Sind diese Verpflichtungen etwa in irgend einer Weise auf dem Papier selbst angegeben, so hat es daher sein Bewenden; doch wären solche Angaben ungültig, wenn sie bestehenden Rechtsgrundsätzen widersprächen, da diese nicht einseitig zum Nachtheil des Berechtigten umgestossen werden können, soferne sie nicht ausdrücklich acceptirt sind, wenn sie acceptirt werden können, also nicht etwa gegen Art. 335 verstossen. Dies folgt von selbst aus dem allgemeinen Princip, dass ungesetzliche Vertragsclauseln nicht verbindlich sind.
Titel VIII. Agenten, Mäkler, Commissionäre, Spediteure und Frachtführer.
§ 1. Allgemeine Bestimmung.
Art. 464. Die in diesem Artikel genannten 5 Classen von Handelspersonen haben sämmtlich das gemeinsame, dass sie zwar selbständige Gewerbtreibende sind, aber ihr Gewerbe nur im Auftrage Anderer ausüben, also diesen die Benützung ihrer Arbeitskraft und ihres Capitals zur Verfügung stellen. Als selbständige Gewerbtreibende unterscheiden sie sich von den blossen Handlungsgehülfen, welche in einem Dienstverhältniss zum Principal stehen, obwohl sie factisch vielfach nur solche Handelsverrichtungen übernehmen, welche an sich auch von Gehülfen übernommen werden können und oft übernommen werden. Bei der Ausübung ihres Gewerbebetriebs kommt neben dem des Principals oder Auftraggebers auch ihr eigenes Handelsinteresse in Betracht, was bei Handelsgehülfen nicht der Fall sein kann. Das Interesse der letzteren beschränkt sich auf den bedungenen Lohn, während jene im Verhältniss ihres Capitals und ihrer persönlichen Leistungen selbständig erwerben und gewinnen wollen. Nach dem Vorgange aller übrigen Gesetzgebungen sind daher besondere Bestimmungen nothwendig, um das beiderseits selbständige Handelsinteresse der Auftraggeber und Beauftragten angemessen auszugleichen und nach gemeinsamen Gesichtspunkten zu regeln.
Daraus, dass die genannten Classen von Gewerbtreibenden im Auftrage anderer Personen thätig sind, folgt, dass sie sämmtlich als deren Stellvertreter und Bevollmächtigte angesehen werden müssen. Denn die ihnen ertheilten Aufträge sind in der Hauptsache auf die Vornahme und Abschliessung von Handelsgeschäften gerichtet, d. i. von Rechtsgeschäften, die der Handelsbetrieb mit sich bringt: Einleitung, Verhandlung, Abschiessung, Erfüllung von Verträgen und Vollziehung anderer Geschäfte mit rechtlicher Wirkung. Die allgemeinen Grundsätze über Stellvertretung in Handelssachen sind daher auch auf diese Classen von Gewerbspersonen anwendbar; sie müssen je nach der besonderen Natur der Aufträge, die sie ausführen, und mit Rücksicht auf ihr eigenes Handelsinteresse, das sie bei der Ausübung ihres Berufes verfolgen, theils erweitert und speciell im einzelnen dargelegt, theils auch in mancher Hinsicht modificirt werden. So haben z. B. Mäkler die verhältnissmässig beschränkteste Vertretungsbefugniss, können aber als Vertreter beider Theile bei einem Handelsgeschäfte fungiren; die Befugnisse der Commissionäre sind umfassender, wie die der Agenten, und Spediteure kommen nicht mehr als blosse Vertreter, sondern zugleich als Gegenpartei in Betracht ; letzteres gilt in gewissen Fällen auch von Commissionären.
Frachtführer und andere Transportunternehmer — mit Ausschluss des Seetransports — stehen den vier anderen Classen von Gewerbspersonen insoferne gleich, als sie ihr Gewerbe nur im Auftrage Anderer ausüben, insoferne sie regelmässig nicht ihre eigenen Waaren transportiren. Sie unterscheiden sich aber von ihnen insoferne, als der ihnen ertheilte Auftrag nicht auf die Vornahme von Rechtsgeschäften, sondern von mechanischen Leistungen geht. Der Transportvertrag ist zwar ein Rechtsgeschäft, zu dessen Eingehung für Andere eine Vollmacht nothwendig ist; nicht aber der Transport selbst, der nur in äusserlicher, physischer Kraftanwendung besteht. Um die Ausführung eines Transports zu ermöglichen, sind zwar manchfache Rechtsgeschäfte nöthig, als Ankauf von Fuhrwerken, Zugthieren, Anstellung von Dienstpersonal u. s. w. Allein in Bezug auf diese Rechtsgeschäfte ist der Transportunternehmer nicht Vertreter, sondern Principal und steht dem Auftraggeber nicht anders gegenüber wie der Verkäufer oder Vermiether von Waaren. Es besteht zwar in der Handelswelt die Neigung, auch bei dem gewöhnlichen Kauf oder der Bestellung von Waaren von „Aufträgen” zu sprechen; dies ist aber nur Courtoisie der commerciellen Geschäftssprache und nicht im juristischen Sinne zu nehmen. Der Verkäufer oder Lieferant ist niemals ein Mandatar des Käufers oder Bestellers, er geht mit ihm ein vollständig unabhängiges Vertragsverhältniss ein. Der Transport dagegen ist die Ausführung eines Auftrages, da er nur im Interesse Anderer erfolgt und zu den Hülfsverrichtungen des Handels gehört, die dem Hauptzweck des Handels, dem Waaren-und Personenverkehr, untergeordnet sein müssen. Der Transport ist aber, wie bemerkt, eine rein mechanische Leistung und schliesst daher eine Vollmacht nicht in sich. Daher können auf das Transportgewerbe die allgemeinen Bestimmungen über Stellvertretung nicht in der Weise anwendbar sein, wie auf die vier anderen in diesem Titel behandelten Gewerbszweige. Gleichwohl steht auch der Transportunternehmer in gewisser Hinsicht einem Mandatar gleich oder doch nahe. Ein Transportauftrag kann einseitig zurückgenommen werden (Art. 567); der Transportunternehmer ist den Anweisungen des Versenders unterworfen und hat auch ohne besondere Anweisung das Interesse desselben gleich einem Agenten zu vertreten (Art. 565). Aus diesem Grunde und weil die Verhältnisse eines Frachtführers vielfach mit denen eines Spediteurs zusammenfallen, erschien es angemessen, das Frachtgeschäft in dem Zusammenhange des gegenwärtigen Titels zu behandeln, wie es auch im Französischen Code de commerce und in den meisten übrigen Gesetzgebungen geschehen ist.
Sämmtliche in diesem Titel genannte Personen sind Vertrauenspersonen, insoferne ihnen Güter oder Personen, oder gewisse Rechte der Verfügung über Güter für Handelszwecke anvertraut werden. Ausserdem sind sie äusserst wichtige Hülfspersonen des Handels, von deren eifriger und sachkundiger Thätigkeit das Gedeihen und der Aufschwung des Handels in hohem Grade abhängt. Insbesondere ist der ehrliche und gewissenhafte Betrieb dieser Gewerbszweige eine unerlässliche Bedingung für die Erfolge der Handelswelt überhaupt. Die strenge, aber gerechte Regulirung ihrer Rechtsverhältnisse ist daher absolut nothwendig. Ihre Verpflichtungen sind scharf und weit zu bestimmen; andererseits aber auch ihre Rechte derart, dass ihre Thätigkeit lohnend und unabhängig bleibt. Da diese Gewerbszweige für Japan verhältnissmässig neu oder doch wenig entwickelt sind, erschien es zweckmässig, die auf sie bezüglichen Rechtsgrundsätze ausführlicher als in den älteren Gesetzbüchern auseinander zu setzen.
§ 2. Agenten.
Art. 465. Der Artikel stellt 3 Erfordernisse auf für den Begriff eines Agenten. Er muss 1, eine Handelsperson sein; 2, andere Personen in Handelssachen vertreten; und 3, aus dieser Vertretung ein Gewerbe machen. Das erste und dritte Erforderniss können zusammenfallen, d. h. es kann Jemand gerade durch den Betrieb der Agentur eine Handelsperson sein; denn Handelsperson ist Jeder, der Handelsgeschäfte nicht vereinzelt, sondern ständig treibt; die Vertretung in Handelssachen gehört aber nach Art. 6 zu den Handelsgeschäften. Daher muss ein Agent die Fähigkeit zum selbständigen Handelsbetrieb haben, was in Bezug auf Ehefrauen und Minderjährige zu beachten ist. Ein Agent kann aber neben seiner Agentur möglicherweise noch anderweitig Handel treiben, und er braucht nicht ausschliesslich Handelsperson zu sein. Es kann also auch ein Advokat oder Lehrer etc. Agent sein; nur sind öffentliche Beamte von der Agentur ausgeschlossen, da sie kein Handelsgewerbe betreiben dürfen. Ferner besteht die Agentur in dem Betrieb eines Handelsgewerbes ; mithin sind Advokaten, welche Andere in Handelsangelegenheiten vor Gericht vertreten, als solche keine Agenten, da die Advokatur kein Handelsgeschäft ist, sondern ein gelehrter Beruf. Agenten unterliegen daher den gleichen Bestimmungen wie Handelsleute überhaupt, hinsichtlich ihrer Firma, der Führung von Handelsbüchern ; sie können Procuristen und Gehülfen anstellen, und ihr Gewerbe in Gesellschaft betreiben. Im letzteren Falle unterliegt die Begründung und der Betrieb einer Agentur den Bestimmungen über Handelsgesellschaften.
Die Vertretung, welche ein Agent übernimmt, kann sich auf alle Arten von Geschäften erstrecken, wie sie im Handel vorkommen. Sie kann mit den Obliegenheiten eines gewöhnlichen Gehülfen zusammenfallen, oder mehr oder minder eine Vertretung des Principals selbst sein. Immer aber liegt in der Vertretung zugleich eine Vollmacht, so dass, was der Agent thut oder unterlässt, als Handlung oder Unterlassung des Principals anzusehen ist. Nur kann ein Agent kein Procurist sein, da der Procurist kein selbständiges Gewerbe als solcher betreiben kann, sondern in dem Gewerbe des Principals diesem gleichsteht. Der Agent kann also nie die Firma des Principals, sondern nur seine eigene zeichnen.
Die repräsentative Stellung eines Agenten ist demnach einerseits zwar sehr ausgedehnt und unbeschränkt, andererseits aber auch innerlich unbestimmt und gänzlich von der jeweiligen Bestimmung des Principals abhängig. Der Principal kann den Agenten gebrauchen wozu er will, und wozu sich dieser gebrauchen lassen will. Daraus entspringt die Nothwendigkeit, gewisse feste Regeln aufzustellen, als Hülfsmittel für die rechtliche Beurtheilung der Stellung eines Agenten, welche den Principal vor Missbrauch seiner Aufträge schützen, dem Agenten aber die einem selbständigen Gewerbtreibenden nothwendige Freiheit der Geschäftsthätigkeit sichern sollen. Von diesem Gesichtspunkte aus sind die nachfolgenden Bestimmungen hauptsächlich zu erklären.
Art. 466. Die Bestimmungen dieses Artikels rechtfertigen sich dadurch, dass der Agent nicht im Dienste eines einzelnen Principals steht, sondern ein selbständiges Geschäft treibt, um Erwerb zu machen; er kann also an die möglicherweise ganz ungenügenden und ihn nicht voll beschäftigenden Aufträge eines Einzelnen nicht gebunden sein. Will ein Principal Jemanden ausschliesslich in seinem Interesse verwenden, so muss er ihn in Dienst nehmen und ihm ein entsprechendes Salair entrichten. Ein Agent ist aber ein unabhängiger Geschäftsmann und kann so viele Aufträge annehmen, als ihm auszuführen möglich ist. Indessen kann diese Freiheit der gewerblichen Beschäftigung des Agenten durch ausdrücklichen Vertrag beschränkt werden, wenn ein genügender Rechtsgrund vorliegt, also namentlich eine angemessene Entschädigung dafür gegeben wird. Eine solche theilweise Beschränkung der Gewerbsberechtigung ist gültig, wenn es um eines gesetzlich erlaubten Zweckes willen geschieht und zum Schutze rechtmässiger Interessen. Eine Beschränkung ist, auch ohne besonderen Vertrag, von selbst darin gelegen, dass der Agent in einer und derselben Sache nur einer Partei dienen darf, und nicht beiden Theilen; denn er kann bei entgegenstehenden Interessen nicht Vertrauensmann beider Theile sein, und muss seine Stellung rein und frei von Verdacht erhalten. Würde ein Agent diese Pflicht verletzen, so wäre zwar das betreffende Geschäft nicht von selbst ungültig, allein es würde nach Art. 476 anfechtbar werden. Daraus folgt, dass mit Zustimmung des Principals und wenn es in dessen Interesse liegt, in ganz unverfänglichen Dingen auch für die Gegenpartei einen Auftrag übernehmen kann, z. B. Mittheilungen oder Erklärungen übermitteln, Gelder umwechseln, Auskunft ertheilen etc.
Art. 467. Die Bestimmungen dieses Artikels erklären sich yon selbst als weitere Folgerung aus dem zu Art. 465 erörterten Princip. Insbesondere unterscheidet man ständige und nicht ständige Agenten, je nachdem sie dauernd oder nur vorübergehend, für vereinzelte Geschäfte, Andere in Handelssachen vertreten. Der ständige Agent steht natürlich in einem engeren Vertrauensverhältniss zum Auftraggeber und ist daher auch zu strengerer Beobachtung seiner Pflichten gegen ihn verbunden. Ein ständiger Agent ist zur Annahme der ihm zugehenden Aufträge verbunden, so weit er keinen gesetzlichen Grund hat, ihn abzulehnen, soweit der bestehende Vertrag und seine Pflicht für das Interesse des Principals zu sorgen, ihn verantwortlich macht. Nichtständige Agenten haben an sich keine Verpflichtung, einzelne Aufträge anzunehmen, doch kommt alsdann die Vorschrift des Art. 327 über die Pflicht ausdrücklicher, und zwar ungesäumter, Ablehnung zur Anwendung. Immerhin aber ist zu bedenken, dass Agenten regelmässig bei der Eröffnung ihres Gewerbs durch Circulare, Briefe, Inserate etc. ihre Dienste öffentlich und Jedermann anbieten, daher sie eine begründete Vermuthung für die Annahme der ihnen zugehenden Aufträge erwecken und wenn sie ohne Grund einen Auftrag ablehnen, ein Verschulden begehen, welches sie zur Entschädigung verpflichten würde, wenn ihre unbegründete Weigerung Anderen Verlust zugefügt hätte. Der gleiche Grundsatz, wie für die Annahme, gilt auch für die Aufkündigung eines übernommenen Mandats. An sich steht diese Aufkündigung jedem Agenten frei, aber unter der Voraussetzung, dass dem Principal dadurch kein Schaden zugefügt wird. Er darf also ein angefangenes Geschäft nicht unvollendet liegen lassen, und darf überhaupt durch seinen Rücktritt den Principal nicht absichtlich in Schaden bringen oder für sich selbst einen unerlaubten Vortheil erlangen wollen. Auch muss er dem Principal Zeit lassen, nöthigenfalls einen anderen Agenten zu bestellen. Ebenso wenig ist die Berufung auf die eigenen Gewerbsinteressen des Agenten ein genügender Grund, dem Principal ohne weiteres den Dienst zu versagen. Ein Agent muss mithin im Falle eines Interessenconflictes den Interessen des Principals den Vorrang einräumen; sonst würde es rein von dem guten Willen des Agenten abhängen, ob er dem Principal nützlich sein will oder nicht. Die Ablehnung oder spätere Kündigung eines Auftrags sind mithin ganz gleich zu beurtheilen ; zu beiden ist der Agent berechtigt, jedoch darf er dadurch den Principal nicht in Schaden bringen.
Der Principal kann seinerseits gleichfalls jederzeit das Agenturverhältniss auflösen, und zwar ohne Rücksicht auf entgegenstehende Interessen des Agenten, da er dessen Dienste benützt, und nicht der Agent die seinigen. Allein er ist nicht befugt, einen etwa mit dem Agenten, z. B. auf eine gewisse Zeit geschlossenen Vertrag ohne rechtmässigen Grund aufzuheben und bleibt mithin dem Agenten zur Entschädigung in solchem Falle verpflichtet, soweit nicht etwa der Agent seinerseits den Vertrag durch nachlässige Dienstleistung etc. gebrochen hätte. Ist der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen, so kann der Principal jederzeit davon zurücktreten, ohne einen Vertragsbruch des Agenten nach weisen zu müssen und seine Gebundenheit an den Vertrag resp. Entschädigungspflicht würde sich nur auf bereits angefangene Geschäfte beziehen.
Art. 468. Der Agent hat zwar an sich nur das zu verrichten, wozu er aufgestellt wurde, und braucht seine Dienstleistungen, selbst wenn er dafür besonders bezahlt würde, darüber hinaus ohne vertragsmässige Verpflichtung ebensowenig auszudehnen, wie ein Handlungsgehülfe oder ein gewöhnlicher Diener. Allein seine Pflichten sind nicht auf den ausdrücklichen Inhalt eines Auftrages beschränkt; er muss vielmehr, in den Grenzen dieses Auftrages, auch ohne specielle Aufforderung für das Interesse des Principals einstehen. Dies folgt im Grunde schon aus der Vorschrift des Art. 394 und gilt für alle Vertreter überhaupt ohne Unterschied ihrer Gattung. Es wurde aber hier besonders ausgedrückt, da die anderen Classen von Stellvertretern mehr nur für gewisse bestimmte Arten von Handelsoperationen oder Dienstleistungen benützt werden, während die Stellung der Agenten an sich unbestimmt und schwankend ist. Der Agent muss also höchste Sorgfalt anwenden, nicht blos die durchschnittliche Sorgfalt eines verständigen Handelsmannes, Er muss also besonders wachsam und eifrig sein, unter Umständen auch ausserhalb der gewöhnlichen Geschäftsstunden arbeiten, und in Bezug auf Waarenkunde, auf die Ergebnisse des Marktes, auf den Credit und die Geschäftslage den Kunden etc. etc. alle ihm nur mögliche Sorgfalt betätigen. In der römischen Jurisprudenz, wo bereits dieser Grundsatz galt, hiess dies: jede Sorgfalt leisten, oder in der Englischen Rechtssprache : all due diligence.
Der Code Nap. Art. 1992 erklärt, dass die Verpflichtung remunerirter Mandatare strenger zu nehmen sei, als die nichtremunerirter. Da im Handel die Agenten ein Recht der Remuneration haben, so folgt auch hier, dass die Verantwortlichkeit der Agenten grösser ist, als die gewöhnlichen Mandatare.
Der Agent ist nicht blos für den Besitz und die Anwendung der für seine Dienstleistungen nothwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verantwortlich, sondern er muss auch die Aufträge so ausführen, wie es das wahre Interesse des Principals erfordert, und diesem auch durch die erforderlichen Mittheilungen insoferne entgegen kommen, dass er ihn in den Stand setzt, ihm die zu erwartenden Aufträge zu ertheilen. Er muss also auch von selbst in Thätigkeit für den Principal treten, soweit das bestehende Agenturverhältniss dies mit sich bringt.
Dagegen kann der Agent für seine Mühewaltung die übliche Entschädigung verlangen, wie jeder Vertreter (Art. 402), und er ist nicht verpflichtet, dem Principal Credit zu geben; wenn also eine fällige Remuneration, d. i. nach Beendigung des aufgetragenen Geschäfts, oder im Falle besonderer Zahlungs- oder Rechnungsfristen, nach deren Ablauf nicht berichtigt wird, kann er weitere Dienstleistungen ablehnen. Der Credit ist immer freiwillig, und namentlich ein Agent kann nicht zum Creditiren gezwungen werden, da er oft nur von persönlicher Dienstleistung lebt und wenig Capitalprofit bezieht. Hat aber ein Agent Deckung in Händen, womit er sich selbst bezahlt machen kann, so würde dieser Einwand nicht Platz greifen.
Art. 469. Dieser Artikel ist nur eine weitere Consequenz der bereits vorausgeschickten Erörterungen. Der Agent kann nur nach Auftrag handeln und nie über diesen hinausgehen ; denn seine Thätigkeit beruht ganz und gar auf der Anweisung des Principals. Indessen steht dem Auftrag die nachträgliche Genehmigung gleich ; der Agent ist also für keine Ueberschreitung des Auftrags verantwortlich, zu welcher der Principal seine Zustimmung gab, gleichviel ob ausdrücklich oder stillschweigend. Auch ist der Agent kein blindes Werkzeug des Principals, sondern er muss selbst urtheilen und an Stelle des Principals aus eigenem Antrieb handeln, wenn dieser aus Unkenntniss oder wegen veränderter Umstände etc. nicht ausdrückliche Vorschriften geben kann. Mithin kann der Principal auch verpflichtet sein, seine Genehmigung zu ertheilen ; d. h. der Agent ist von aller Verantwortlichkeit frei, wenn er seine Handlung im Interesse des Principals genügend rechtfertigen kann. Eine Genehmigung wirkt auch für spätere Aufträge fort, wenn dies nicht ausdrücklich widersprochen oder durch die Umstände widerlegt wird. Mithin kann ein Agent, so wie er bisher mit Wissen und unter stillschweigender Billigung des Principals zu handeln oder sich zu verhalten pflegte, auch in der Zukunft fortfahren zu handeln.
Uebrigens ist die stillschweigende Genehmigung immer nur den Umständen gemäss auszulegen und daher nicht in allen Fällen als fortdauernder Auftrag aufzufassen. Der Principal kann sehr wohl einmal einen Fall genehmigen, ohne dass dies für alle späteren Fälle Geltung haben müsste. Wenn z. B. der Principal gegen eine von einem Käufer an den Agenten geleistete Zahlung nicht protestirt, dann folgt daraus noch nicht von selbst, dass der Agent in allen anderen Fällen, in Bezug auf dergleichen Käufer, zum Incasso befugt sei. Andererseits kann die gewohnte Handlungsweise eines Agenten demselben Principal gegenüber auch von anderen Agenten adoptirt werden. In den nachfolgenden Artikeln werden nun über die hauptsächlichsten Fälle einige Interpretationsregeln hinsichtlich des Umfanges der Vertretungsbefugniss des Agenten aufgestellt.
Art. 470. Eine besonders wichtige Regel ist, dass der Agent zum rechtsgültigen Abschluss von Verträgen einer ausdrücklichen Vollmacht bedarf. Dieselbe kann nicht vermuthet werden, da sie nicht das Minimum der den Agenten zustehenden Befugnisse ausmacht. Agenten werden sehr häufig nur dazu bestellt, Käufer und Kunden ausfindig zu machen, dem Principal Nachrichten zu geben, Muster zu verabfolgen, Waarenlager zu halten, für den Absatz von Waaren im Allgemeinen zu wirken u. dgl. Die Vollmacht zum Abschluss kann auch dann nicht vermuthet werden, wenn der Agent die Waaren in Händen hat, da sie ihm sehr wohl zu anderen Zwecken anvertraut sein können. Hierin liegt mithin ein sehr bestimmter Unterschied des Agenten vom Commissionär. Die gleiche Regel findet auch auf Versicherungsagenten, Schiffsagenten etc. Anwendung. Uebrigens liegt es im eigenen Interesse des Principals, namentlich weit entfernten Agenten die Abschlussvollmacht zu ertheilen, damit sie überhaupt eine Wirksamkeit entfalten können. Manchmal ist die Vollmacht auch nur bis zu einer gewissen Grenze ertheilt, oder es werden davon gewisse Fälle ausgenommen u. s. w. Es liegt stets in dem Belieben des Principals, wieweit er Vollmacht ertheilen will oder nicht.
Diese Grundsätze gelten zunächst nur für das Verhältniss zwischen Principal und Agent, d. h. der Agent ist diesem verantwortlich, wenn er ohne ausdrückliche Vollmacht abschliesst und nicht nachträgliche Genehmigung erlangt. In Betreff dritter Personen kommt hier, wie in allen anderen Fällen, die Regel des Art. 475 zur Anwendung.
Art. 471. Ist ein Geschäft rechtsgültig durch den Agenten abgeschlossen, so wird daraus nur der Principal berechtigt und verpflichtet. Alle Rechte und Verbindlichkeiten daraus können daher nur von ihm und gegen ihn geltend gemacht werden; der Agent hat damit weiter nichts zu thun. Denn die Vollmacht eines Agenten, da sie eine ganz willkürliche ist, muss immer enge und genau ausgelegt werden. Wie der Agent aus dem Vertrage nicht zur Auslieferung der Waaren verpflichtet ist, so kann auch an ihn nicht Zahlung geleistet werden. Wenn der Käufer in solchem Falle an den Agenten zahlt, that er es auf eigene Gefahr. Ebenso können dem Agenten nicht Waaren zurückgestellt werden, wenn dieselben etwa dem Muster nicht entsprechen oder wenn sonst der Vertrag rückgängig wird. Strenge genommen, müsste diese Regel auch für die etwaige spätere Anfechtung des Vertrages, Erhebung von Gegenansprüchen, und andere Reclamationen gelten. Denn ein zum Abschluss ermächtigter Agent ist noch nicht zur späteren Aufhebung oder Abänderung des Vertrages, oder selbst zu blossen Verhandlungen darüber ermächtigt. Indessen ist hier aus Zweckmässigkeitsgründen von der strengen Regel eine gewisse Abweichung zu gestatten. Der Agent kann zwar Reclamationen nicht genehmigen, weil dies eine Abänderung des Vertrages bedeuten würde. Er kann jedoch Reclamationen annehmen, zu dem Zweck, um sie dem Principal zu übermitteln. Zu solchen Zwischendiensten muss ein Agent immer als bevollmächtigt angesehen werden, weil sie ganz äusserlicher Natur sind und den Rechten des Principals keinen Abbruch thun. Auch ist es möglich, dass der Agent solche Reclamationen an Ort und Stelle gütlich erledigen kann, soweit der Principal dadurch nichts verliert; durch Vergleichung mit Mustern, Berichtigung von Irrthü-mern u. dgl.
Art. 472. Diese Bestimmung erklärt sich von selbst aus den Bemerkungen zum vorhergehenden Artikel. Ein Vergleich invol-virt immer einen Nachlass an Rechten, und ein Prozess eine Disposition über Rechte und Pflichten. Zu beidem kann der Agent ohne besonderen Auftrag nicht befugt sein.
Art. 473. Ein Verkaufsagent hat an sich nur Verkaufsverträge abzuschliessen, die Vollziehung der Verträge ist Sache des Principals. Hat dieser aber dem Agenten auch die Ablieferung der verkauften Waaren übertragen, so muss man schliessen, dass er auch die Zahlung dafür rechtsgültig annehmen und, was von selbst weiter folgt, auch darüber quittiren darf. Denn wenn der Principal dem Agenten seine Waaren anvertraut zum Verkaufe, so wird er ihm auch die Kaufgelder darüber anvertrauen. Diese Schlussfolgerung kann aber durch eine ausdrückliche Gegenerklärung des Principals entkräftet werden.
Die gleichen Grundsätze werden umgekehrt auch auf den Einkaufsagenten anzuwenden sein. Der zum Abschluss ermächtigte Einkaufsagent ist an sich zum Empfang der von ihm eingekauften Waaren nicht ermächtigt; wenn er aber diese Ermächtigung hat, muss er auch zur Zahlung dafür ermächtigt sein, schon desshalb, da der Verkäufer nicht verpflichtet ist, die Waaren ohne Zahlung des Preises abzugeben. Allein auch hier kann das Gegentheil vom Principal angeordnet sein. Ausserdem können auch die Umstände dagegen sprechen; wenn z. B. der Verkäufer zum Principal in anderweitigen Abrechungsbeziehungen steht oder wenn Credit gegeben ist u. s. w. Eine Ermächtigung zur Zahlung wird in der Regel dann anzunehmen sein, wenn der Principal dazu dem Agenten die erforderlichen Summen zur Verfügung stellt oder sie in seinen Händen lässt, ohne andere Verfügung darüber zu treffen.
Art. 474. Die Geschäfte des Agenten gehen auf Namen und Rechnung des Principals und der Agent ist nicht verpflichtet, das Risiko derselben zu tragen. Wenn sie dem Principal Verlust bringen, muss ihn dieser selbst tragen, denn der Agent hat nur seine Aufträge ausgeführt. Allein davon ist eine Ausnahme zu machen, wenn der Agent selbst die Haftung übernommen hat; dann haftet er als Bürge und kann unmittelbar von dem Principal in Anspruch genommen werden, ohne dass erst der dritte Schuldner angegangen werden müsste. In diesem Falle wird sodann der Agent Gläubiger gegen den letzteren an Stelle des Principals. Ausserdem haftet der Agent aber auch, wenn er mit Zahlungsunfähigen Geschäfte macht, jedoch nur dann, wenn ihm desfalls ein Verschulden zur Last liegt, wenn er also nicht die nöthige Sorgfalt anwandte. Wird ein Käufer nach abgeschlossenem Kaufe bankerott, so ist dies noch kein Grund für die Haftung des Agenten, sondern nur dann, wenn er von dem bevorstehenden Bankerott hätte wissen müssen oder wusste. In dieser Beziehung ist auf die zu Art. 468 erörterten Verpflichtungen des Agenten zu verweisen.
Art. 475. Die vorstehend aufgestellten Regeln gelten an sich nur für das Verhältniss zwischen Principal und Agent, nicht auch gegenüber dritten Personen. In letzterer Beziehung ist die allgemeine Regel nach Art. 396 und 397 die, dass der Principal gar nicht haftet, wenn der Agent ohne allen Auftrag handelt; dass er jedoch für blosse Uebersehreitung eines Auftrages haftet, wenn die dritte Person sich in gutem Glauben befand. Diese Regel wurde auch für Agenten beibehalten, die nur vereinzelte Aufträge ausführen. Es schien aber zweckmässig, sie für den Fall ständiger Agenten zu erweitern, da man solchen im allgemeinen grössere Befugnisse zutrauen darf und ein Principal, der sich ständige Agenten hält, auch eine grössere Verantwortlichkeit für dieselben zu übernehmen bereit sein muss. Ständige Agenten stehen in vielen Beziehungen angestellten Gehülfen gleich, sie müssen sogar, da sie in der Regel an anderen Orten fungiren, regelmässig mit grösseren Befugnissen ausgestattet werden. Daher wurde die Haftung eines Principals für ständige Agenten gegenüber dritten Personen nach Analogie der Haftung für Gehülfen festgestellt (Art. 52—54). Auch hier wird in allen Fällen guter Glaube vorausgesetzt, d. h. der Dritte darf nicht wissen oder wissen müssen, dass der Agent gegen oder ohne Auftrag handelte. Unter dieser Voraussetzung aber haftet der Principal, wenn der Agent seine Ermächtigung ausdrücklich behauptete oder wenn das Geschäft in den gewöhnlichen Rahmen des dem Agenten ertheilten Auftrages fällt. Der Dritte kann nicht wissen, welchen Auftrag dieser im speciellen Falle hat. Der Agent vertritt den Principal, er muss also auch für ihn bindende Erklärungen abgeben können. Aber auch ohne solche Erklärung kann man von dem Dritten nur Kenntniss darüber verlangen, wofür der Agent im allgemeinen bestellt ist, nicht aber auch, ob der Principal den Auftrag speciell beschränkte. Vollmachten werden häufig nur stillschweigend ertheilt, oder aus anderen Umständen interpretirt. Daher kann der Dritte nicht leicht die Vorzeigung einer schriftlichen Vollmacht verlangen. Er muss nach den Umständen urtheilen und nach dem, was gewöhnlich geschieht und üblich ist. Wenn er hiernach eine gewisse Ermächtigung in gutem Glauben anzunehmen berechtigt ist, so kann er auch darauf hin rechtsgültig handeln, und es ist die Schuld des Principals, wenn er ihn nicht vom Gegentheil in Kenntniss setzte. Die zweite Ausnahme des Art. 475 fällt also unter den allgemeinen Grundsatz, dass Ausnahmen nicht vermuthet werden. Der mündlichen Erklärung des Agenten auf Befragen muss übrigens dessen Erklärung in Zeitungsinseraten oder Geschäftsbriefen und anderen Avertissements gleich stehen, wenn sie vom Principal nicht widerrufen werden.
Art. 476. Die Bestimmung dieses Artikels rechtfertigt sich dadurch, dass jede Uebervortheilung des Principals durch Bestechung des Agenten strenge verhütet werden muss. Der Agent kann nicht beiden Principalen zugleich dienen, er hat mithin keinen Rechtstitel auf irgend eine Remuneration der anderen Seite. Was der andere Theil leistet, gehört von Rechtswegen dem Principal; er selbst kann von diesem nur Remuneration nach Art. 402 fordern. Wenn der Agent seiner Pflicht nicht nachkommt, betrügt er im Einverständniss mit dem Dritten den Principal, daher muss diesem das Recht zugestanden werden, das ganze Geschäft rückgängig zu machen.
Art. 477. Obwohl das Mandat nach den Grundsätzen des Civilrechts in der Regel unentgeltlich ist, kann doch diese Regel im Handelsrecht nicht angewendet werden, da Erwerb und Gewinn, und gegenseitige Abmessung der Werthe und Dienste hier alle Verhältnisse beherrscht, und am wenigsten bei den Gewerbtreibenden dieses Titels, da deren Thätigkeit für Andere möglicher Weise ihren einzigen Erwerb ausmacht. Daher findet die Regel des Art. 402 auf Agenten volle Anwendung. Der Agent kann den Preis für seine Dienste nach freiem Willen festsetzen, vorausgesetzt, dass der andere Theil zustimmt. In der Regel wird aber über die Remuneration des Agenten nichts besonderes vereinbart, sondern deren Höhe stillschweigend nach dem Handelsgebrauch bestimmt. Es besteht mithin ein fester Satz für die verschiedenen Arten der Agentur, meist in Procenten vom Bruttobetrage der vom Agenten ausgeführten Geschäfte. Dass der Principal den Agenten nicht arglistig um seinen gerechten Verdienst bringen darf, dadurch dass er den Agenten, nachdem er ihn bis zu einem gewissen Punkte benützt hat, bei Seite schiebt, versteht sich von selbst. Andererseits braucht der Principal regelmässig nur für solche Geschäfte zu belohnen, die mit Hülfe des Agenten wirklich zu Stande gekommen sind, sonst wäre er willkürlichen Anforderungen des letzteren preisgegeben.
Hinsichtlich der Kosten und Auslagen ist vor allem zu bemerken, dass der Agent nur solche anrechnen darf, die er wirklich gemacht hat. Die Berechnung fictiver Kosten wäre nicht nur unehrlich, sondern auch eine indirecte Erhöhung der Agenturgebühr, welche der Principal nicht hinzunehmen verpflichtet ist. Aber der Agent kann auch nicht willkürlich den Principal in Kosten versetzen, sondern er ist nur zu solchen Ausgaben befugt, die entweder nothwendig oder doch nützlich für den Principal sind, und von denen er annehmen darf, dass sie der Principal an seiner Stelle selbst gemacht haben würde oder hätte machen müssen. Regelmässig gibt der Handelsgebrauch hiefür einen Massstab ; solche Auslagen, die der Handelsgebrauch billigt, braucht er mithin nicht erst besonders zu rechtfertigen. Dagegen bei ausserordentlichen Ausgaben, für die sich im Handelsgebrauch keine Rechtfertigung ein für allemal findet, muss der Agent auf Verlangen beweisen, dass sie in der That nothwendig oder nützlich für den Principal waren.
Uebrigens kann der Agent nicht diejenigen Kosten anrechnen, welche der Betrieb seines Gewerbs als Agent ihm selbst verursacht; also (Korrespondenzkosten, Comptoirmiethe, Salair seiner Gehülfen etc. Diese Kosten muss er von seinen Gewerbseinnahmen, also von seiner Agenturgebühr bestreiten. Nur die besonderen Kosten und Auslagen, die durch die Aufträge des Principals oder verschiedener Principale unabhängig von der Geschäftsführung an sich verursacht werden, kann er in Anrechnung bringen ; z. B. Miethe und Versicherung für ein Waarenlager, Transportkosten für ihm anvertraute Waaren, Reisekosten u. s. w.
§ 3. Mäkler.
Art. 478. Mäkler unterscheiden sich von den Agenten dadurch, dass sie nicht ausschliesslich dem Interesse eines Principals dienen und nicht von Principalen bestellt werden. Mäkler werden in der Regel öffentlich ernannt, da sie Personen von anerkannter Geschicklichkeit und Respectabilität, und von absoluter Vertrauenswürdigkeit sein müssen. Man bezeichnet die Mäkler (brokers, courtiers, agents) gewöhnlich als Vermittler von Handelsgeschäften, agents intermédiaires. Als solche würden sie sich kaum von Agenten unterscheiden. Die Mäkler haben die Vermittlung von Handelsgeschäften unter ganz besonderen Umständen zur Aufgabe. Sie sollen Personen von öffentlicher Glaubwürdigkeit sein. Ihren Angaben und Zusicherungen muss Jeder unbedingt trauen können. Sie sind Beamte der Handelswelt und zur Beobachtung gewisser Regeln bei den von ihnen vermittelten Geschäften verpflichtet. Durch ihre Vermittlung kann man mit völlig unbekannten Personen Geschäfte machen, so sicher wie mit dem nächsten Nachbarn. Die Mäkler sind eine Institution, welche für jeden Verkäufer die Gesammtheit der Käufer an einem Platze repräsentiren, ohne dass er sie zu kennen oder weiter über sie nachzuforschen braucht. Durch Vermittlung der Mäkler werden die zweiseitigen Handelsgeschäfte gewissermassen einseitige, indem der Mäkler für die zweite Person eintritt. Man erklärt dem Mäkler: Ich kaufe um so viel, und der Kauf ist abgeschlossen; der Mäkler hat seinerseits den Verkäufer in der Tasche. Ebenso ist es umgekehrt für den Verkäufer. Ausserdem ist die Feststellung und Bekanntmachung der Course und die sichere Auskunftsertheilung darüber eine wichtige Function der Mäkler. Auch bei Handelsgeschäften zwischen Fremden, mit Ausländern, können sie als Vertrauenspersonen beider Theile eine unschätzbare Rolle spielen. So sind namentlich Schiffsmakler für Schiffer an fremden Häfen unentbehrlich. Ferner für den Handel in Gegenständen, an welche sich ein polizeiliches oder politisches Interesse knüpft, wie im Handel mit Getreide, Reis, Vieh, Staatsobligationen etc. Daher werden Mäkler fast überall öffentlich ernannt. So nach dem Code de comm. Art. 75 durch den Souverain. Diese Bestimmung ist zwar durch das Gesetz vom 18. Juli 1866 für die Waarenmäkler— im Unterschied von den agents de change — aufgehoben ; allein es werden auch nach diesem Gesetze noch „ inscribirte ” Agenten mit besonderen Vorrechten aufgestellt, welche von amtlich ernannten sich wenig unterscheiden. In Deutchland werden die Mäkler theils von der Regierung, theils von der Handelskammer des Platzes ernannt und resp. bestätigt. In England bestand das Erforderniss der amtlichen Ernennung nur für die Stadt London; es ist jedoch neuerdings auch hier in Wegfall gekommen. 33 und 34 Vict. c. 60. Indessen bieten für die an der Stockbörse fungirenden Mäkler die Rechte des Vorstandes dieser Börse einen Ersatz. Nach dem Holland. H. G. Buch Art. 62 werden die Mäkler von den Localbehörden ernannt; nach dem Spanischen Art. 71 vom König, auf Vorschlag einer Liste von 3 Candidaten durch die Intendanten, welche vorher das Handelsgericht und den Vorstand der Mäklercorporation zu befragen haben. Nach dem Ital. H. G. B. Art. 32 ist die Ernennung der Mäkler den Vorschriften eines besonderen Gesetzes überlassen : dieses Gesetz, vom 23. Dec. 1865, Art. 5, bestimmt die Eintragung der Mäkler in eine öffentliche Liste durch die Handelskammer nach Anhörung des Vorstandes der Mäklercorporation. In Spanien ist durch das Gesetz vom 8. Febr. 1854 und Reglement vom 11. März 1854 das Mäklerwesen genau regulirt worden. Vorübergehend waren zwar durch die Decrete vom 30. Nov. 1868 und 12. Januar 1869 das Mäklergewerbe und die Errichtung von Börsen völlig freigegeben worden; es ist indessen wegen der üblen Erfahrungen, die man damit machte, durch Decrete vom 10. Juli 1874 die Gesetzgebung von 1854 wiederhergestellt worden.
Die völlige Freigebung des Mäklergewerbes kann, da die Mäkler Autorität und öffentliche Glaubwürdigkeit besitzen müssen, nicht befürwortet werden. Andererseits ist deren Ernennung durch die Staatsgewalt an sich nicht nothwendig, da die Mäkler keine Beamten des Staates sind, von der Regierung keinen Gehalt beziehen, und nichts weiter als Kaufleute sind, welche einer gewissen Art des Handelsbetriebs sich ausschliesslich widmen. Zum Mäkler ist nur erforderlich, dass er sein Gewerbe gründlich versteht, unbedingt rechtschaffen und zuverlässig ist, und dass er namentlich das Vertrauen der Handelswelt geniesst. Die Mäkler sind im Grunde Beamte des Handelsstandes, jedoch mit der einem jeden Kaufmann zustehenden Freiheit des Gewerbebetriebs. Daher erscheint die Ernennung durch den Handelsstand oder dessen Organe als das logisch richtige, und es ist mehr eine Bestätigung als eine Ernennung, da der Zutritt zum Mäklergewerbe jedem dazu Befähigten offen steht und überdies ein schon bestehendes Mäklergewerbe käuflich übernommen werden kann. Die Bestätigung durch die Handelskammer würde hienach sich am meisten empfehlen, wo aber Handelskammern nicht bestehen, die Bestätigung durch die Localbehörden oder Districts- Gouverneure. Diese Frage wurde im Entwurfe noch offen gelassen, da ihre Entscheidung wesentlich von der Organisation der Administrativ-Behörden abhängt. Es wird ohnehin nöthig werden, die Verhältnisse der Mäkler und Börsen durch ein besonderes Gesetz zu regeln. Bis zum Erlasse eines solchen würde der Gang der sein, dass ein Mäkler sein Gesuch um Bestätigung dem Gouverneur des Districts vorzulegen hat, und es würde von den allgemeinen Bestimmungen über dessen Amtsbefugnisse abhängen, ob er über das Gesuch selbständig entscheiden oder dasselbe der Centralregierung vorzulegen hätte. Die Handelskammer würde dabei jedenfalls mit ihrem Gutachten zu vernehmen sein ; wo aber eine solche nicht besteht, eine Anzahl der hervorragendsten Handelspersonen des betreffenden Ortes.
Art. 479. Es gibt Mäkler für den Handel im allgemeinen, oder für besondere Zweige desselben, als Wechselmäkler, Schiffsmäkler, Versicherungsmäkler u. dgl. Es würde auch nichts im Wege stehen, für einzelne wichtige Handelsobjecte, wie für den Thee-Reis- oder Seidenhandel, besondere Mäkler zu bestätigen. Je mehr der Handel sich entwickelt, desto mehr kann auch die Specialisirung des Mäklergewerbes Platz greifen. Soweit die Bestätigung nicht auf einen bestimmten Handelszweig ausschliesslich lautet, würde ein Mäkler für alle Handelsgeschäfte ohne Unterschied befugt sein.
Art. 480. Die in diesem Artikel aufgestellten Erfordernisse rechtfertigen sich durch die Bemerkungen zu Art. 478. Ein gewisses Alter ist erforderlich, damit der mäkler die nöthige Reife und Geschäftserfahrung erlangt haben kann. Auch soll durch diese Bestimmungen verhütet werden, dass zweifelhafte Subjecte von verfehltem Beruf sich zu dem Mäklergewerbe wenden, da zum Betrieb desselben verhältnissmässig wenig eigenes Capital erforderlich ist. Der Mäkler muss in commercieller Hinsicht von untadelhaftem Ruf sein. Daher kann ein Bankerotteur nur Mäkler werden, wenn er vollständige Rehabilitation erlangt hat, diese aber wird nur ertheilt, nachdem er alle seine Gläubiger befriedigt hat.
Art. 481. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Fränzös. Code de comm. Art. 90, nach dem Gesetze vom 2. Juli 1862; und im Span.H.G. Buch Art. 80; sowie im Italien. Gesetze vom 23. Dec. 1865 Art. 9 ff. Nach anderen Gesetzen muss der Mäkler nur einen Eid leisten über die gewissenhafte Ausübung seiner Functionen; doch erscheint letzteren gegenüber einem Kaufmann überflüssig und würde auch verhältnissmässig wenig Sicherheit bieten.
Die Caution soll einen Fond gewähren für die Einziehung etwaiger Geldstrafen, zu denen ein Mäkler etwa wegen Vergehens verurtheilt wird, und für die Sicherung von Forderungen derjenigen, welchen die Mäkler in Ausübung ihres Gewerbs verantwortlich werden. Sie dient auch zugleich dazu, zu verhüten, dass nicht gänzlich mittellose Personen das verantwortliche Gewerbe eines Mäklers ergreifen.
Im Französ. Gesetze ist das Maximum der Mäkler—Caution auf 250000 fr. festgesetzt. Im Spanischen Gesetze ist deren Höhe in drei Sätzen abgestuft, für Handelsplätze der 1. 2. und 3 Classe, und beträgt 40000, 25000 und 12000 Realen. Die Bestimmung derselben ist im Entwurfe einer besonderen Verordnung überlassen, da sie unmöglich ein für allemal festgesetzt werden kann. Ein Maximum von 10000 Yen in Silber, um sie von den Schwankungen des Papier-courses unabhängig zu erhalten, dürfte sich für die Verhältnisse des Japanischen Handels empfehlen; sie kann jedoch für kleine Orte gringer bemessen werden. Eine Abstufung in drei Classen, je nach der Bevölkerung und Handelsbedeutung jedes Platzes, würde gleichfalls zweckmässig sein.
Art. 482. Diese Bestimmung, welche sich auch im Spanischen Code Art. 70 findet, hat zum Zwecke, eine ungesunde Concurrenz unter den Mäklern eines Platzes zu verhüten und Jedem einen gewissen Umfang lohnender Erwerbsthätigkeit zu sichern. Da Mäkler ausschliesslich auf ihre Gebühr angewiesen sind, muss ein gewisses Quantum jährlicher Geschäfte ihnen sicher sein. Die Zahl ist nach dem Bedürfnisse zu bestimmen, so dass andererseits den Anforderungen des Handelsstandes vollkommen genügt wird. Die völlige Freiheit der Copcurrenz wäre bei einem so verantwortlichen Gewerbe nicht rathsam. Solange jedoch eine gesetzliche Zahl nicht vorgeschrieben wird, ist allerdings Jeder, der sonst den Anforderungen genügt und die amtliche Bestätigung erlangt, zur Ausübung des Mäklergewerbes zuzulassen.
Art. 483. Diese auch in anderen, so namentlich in der Französischen und Spanischen Gesetzgebung enthaltene Bestimmung ergibt sich daraus, dass der Mäkler ein Kaufmann ist und zur Veräusserung seines Gewerbs berechtigt sein muss. Das Mäklergewerbe ist wie jedes andere, eine Art Privateigenthum, welches auch vererblich sein muss, jedoch unter der Bedingung, dass die übrigen gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Die Mäklerconcession ist an sich rein persönlich, jeder Nachfolger muss sie für seine Person aufs Neue erwerben. Nach dem Französ. Gesetze vom 24. April 1816 kann der Veräusserer einer Stelle, oder im Falle des Todes dessen Erben, den Nachfolger zur Bestätigung vorschlagen, und es muss der Veräusserungsvertrag mit vorgelegt werden, um jede Veräusserung über oder unter dem wahren Werth zu verhüten. Die Aufnahme solcher Bestimmungen in den Entwurf empfiehlt sich nicht, da sie sich theils von selbst verstehen, theils eine unnöthige Ueberwachung enthalten. Im Falle die Erben eines Mäklers persönlich unfähig sind, können sie das Gewerbe anderweitig veräussern, wie jedes Eigenthum. Die in Art. 480 aufgestellten persönlichen Erfordernisse müssen regelmässig durch Zeugnisse angesehener Kaufleute beglaubigt werden.
Zu Art. 481 ist hier noch nachzutragen, dass, wenn eine Caution durch Strafen oder Verurtheilungen gemindert ist, der Mäkler sie selbstverständlich wieder bis zum vollen gesetzlichen Betrage zu ergänzen hat, widrigenfalls er zur ferneren Ausübung des Gewerbes nicht berechtigt wäre.
Art. 484. Die Mäkler können oder müssen auch in anderen Gesetzgebungen eine Corporation (chambre syndicale, Syndicat) bilden. So in Frankreich nach dem Gesetze vom 18. Juli 1866 Art. 3. In Italien nach dem Gesetze vom 23. Dec. 1865 Art. 16 ff. In Spanien nach dem Handels-Gesetzbuch Art. 111 ff. Sie haben die Aufsicht über die Mitglieder und die Verwaltung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten; nach dem Französ. Gesetz steht den Syndicats-kammern sogar eine disciplinäre Strafgewalt über die inscribirten Mäkler zu, die bis zur Absetzung geht, jedoch unter Berufung an das Handelsgericht. Die corporative Einigung soll vor allem dazu dienen, den Geist der Gemeinschaft unter ihnen zu pflegen, um ihnen grössere Verantwortlichkeit unter einander aufzulegen, und dadurch ihren Gewerbebetrieb unter ihre gemeinsame Ueberwachung zu stellen, und sie.zur Aufstellung gemeinsamer bindender Regeln für ihren Gewerbebetrieb zu befähigen. Daher können sich auch die für einen speciellen Handelszweig dienenden Mäkler corporativ verbinden, ebenso wie sämmtliche Mäkler eines Ortes. Eine Minimalzahl von 10 wurde als Erforderniss festgesetzt, nach dem Vorbilde der Spanischen Gesetzgebung, da bei einer geringen Zahl von Mitgliedern ein corporatives Zusammenwirken sich nicht entwickeln kann. An manchen Orten gibt es vielleicht nur 1 oder 2—3 Mäkler u. s. f. und es ist klar, dass so venige Personen keine über den einzelnen Individuen stehende Gemeinschaft bilden können. Die Zahl könnte vielleicht noch etwas weiter, etwa auf 7, herabgesetzt werden, wenn sich ergeben sollte, dass an vielen Orten die Zahl von 10 Mäklern regelmässig nicht erreicht wird. Ist nun an einem Orte die Zahl der Mäkler zu gering, so können sie sich nicht corporativ verbinden, und jeder einzelne ist in Bezug auf seine Geschäftsführung von den anderen unabhängig. Dann können sie nur unter der Aufsicht der Behörden und Gerichte stehen, wie im Französ. Gesetze von 1866 Art. 3 ausdrücklich erklärt ist. Diese Aufsicht kann dann aber nur auf Grund der bestehenden Gesetze und Reglements geführt werden; specielle Geschäftsregeln einzelnen Mäklern vorzuschreiben, wäre nicht Sache der Behörden.
Die Genehmigung der Regierung zur Errichtung einer Mäklercorporation oder eines Syndicats ist in allen oben genannten Gesetzen gleichmässig vorgeschrieben. Dieselbe dient dazu, das Vorhandensein der gesetzlichen Erfordernisse zu constatiren; auch wird damit in der Regel die Genehmigung der Mäklerstatuten zn verbinden sein. Denn jede Corporation muss gemeinsame Grundsätze haben, die für jedes Mitglied verpflichtend sind und nach welchen auch der Vorstand der Corporation sich richten muss. Diese Statuten werden sich auch auf die Aufnahme neuer Mitglieder, die Bestrafung von solchen und die gemeinsame Haftung für jeden einzelnen unter ihnen erstrecken.
Die Mitgliedschaft in der Corporation ist für jeden Mäkler als obligatorisch erklärt, wie auch in den anderen Gesetzgebungen für die inscribirten oder öffentlichen Mäkler, als welche nach dem Entwurf alle Mäkler ohne Ausnahme zu betrachten sind. Daher ist auch keinem Mäkler der Austritt gestattet. Diese Bestimmung erscheint nothwendig, um der Corporation die nöthige Autorität, Beständigkeit und Einheit zu gewähren. Facultative Corporationen haben, wie die Erfahrung überall lehrt, keinen grossen Werth, da sich die Mitglieder ihrer Gewalt nach Belieben entziehen können und die Ueberzeugung der Nothwendigkeit ihnen fehlt. Da nach dem Entwurf alle Mäkler amtlich bestätigt werden müssen, so kann es freie oder Winkelmäkler (courtiers marrons) nicht geben, und die einheitliche und strenge Ausbildung des Mäklerwesens in Japan ist hierdurch gesichert. Da es zum Wesen einer Corporation gehört, ihre Mitglieder selbst aufzunehmen, so muss ihr auch hinsichtlich der Ernennung neuer Mäkler eine gewisse Stimme zukommen, wenngleich diese Stimme keine entscheidende sein kann, da Brodneid und unberechtigter Egoismus bei derartigen Verbindungen nur zu leicht sieh geltend machen.
Art. 485. Die Bestimmung, dass die Mäkler unter sich zwar eine Corporation, aber keine Gesellschaft, also Gemeinschaft des Gewinnes und Verlustes, eingehen können, ist allen Gesetzgebungen gemeinsam. Sie folgt nach der Französ. Gesetzgebung insbesondere daraus, dass die Mäkler von der Regierung ernannt werden und als öffentliche Beamte angesehen werden. Die Function eines Mäklers ist in der That eine rein persönliche, und kann nicht in Gesellschaft betrieben werden. Span. H. G. B. Art. 99. Deutsch. H. G. B. Art. 69 Nr. 3. Italien. Code Art. 55. Ein Mäkler darf keinen Stellvertreter haben, sondern muss alles unter eigener Verantwortlichkeit besorgen, und steht in einer Vertrauensstellung zu denen, welche seine Dienste in Anspruch nehmen. Würden die Mäkler eines Ortes zugleich eine Handelsgesellschaft bilden, so hätten sie das Monopol ihres Gewerbs unter sich getheilt, und jeder Mäkler wäre an den Geschäften aller übrigen mitbetheiligt. Dies würde die Unparteilichkeit ihrer Functionen aufheben, und für Personen mit entgegenstehenden Interessen, wie Käufer und Verkäufer, den Vortheil der Auswahl unter mehreren Mäklern und der Bewahrung des Geschäftsgeheimnisses hinwegnehmen. Ueberhaupt würden die Grundsätze einer Handelsgesellschaft auf mehrere Mäkler eines Ortes kaum anwendbar sein, schon mit Rücksicht auf die gemeinschaftliche Firma, deren sich die Mäkler dann zu bedienen hätten.
In dem Deutschen und Ital. H. G. Buch ist mehreren Mäklern, höchstens 3 nach dem letzteren, gestattet, in Bezug auf einzelne specielle Geschäfte, und mit Vorwissen ihrer Auftraggeber, eine Gesellschaft unter sich einzugehen. Die Nothwendigkeit einer solchen Ausnahme ist jedoch nicht ersichtlich, und es erscheint die völlige Reinheit und Unabhängigkeit des Mäklergewerbes von fremdartigen Interessen in jeder Hinsicht zweckmässiger.
Verschieden von der Gesellschaft der Mäkler unter sich ist die Gesellschaft einzelner Mäkler mit anderen Personen, welche dann zwar nicht bei der persönlichen Ausübung der Mäklerfunctionen mitwirken, aber einen Theil des Geschäftscapitals liefern und im Verhältniss desselben an dem Mäklergewinn oder Verlust theilnehmen. Eine solche Gesellschaft könnte hauptsächlich eine stille Gesellschaft sein. Das Französ. Gesetz vom 2. Juli 1862 erlaubt diese Gemeinschaft an den grösseren Börsen, die ein Parquet haben, jedoch nur bis zu 3/4 des Geschäftscapitals; das letzte Viertel sowie die Caution muss immer Eigenthum des Mäklers selbst sein. Gegen eine solche Gemeinschaft ist nichts zu erinnern, und der Entwurf lässt sie stillschweigend zu, indem er darüber keine ausdrückliche Bestimmung trifft.
Auch ist es den Mitgliedern einer Mäklercorporation nicht verwehrt, insgesammt die Garantie für die Verbindlichkeiten ihrer einzelnen Mitglieder zu übernehmen. Diese Einrichtung besteht namentlich in Paris und London, und wohl auch an anderen Plätzen, für die Wechselagenten oder Mitglieder der Stockbörse. Sie ist im Interesse der Mäkler selbst gelegen, weil sie das Vertrauen des Publicums zu jedem einzelnen Mäkler erhöht und für jedes mit einem Mäkler abgeschlossene Geschäft unbedingte Sicherheit bietet. Sie ist auch eine Art Gegenleistung dafür, das jeder Mäkler sich den gemeinsamen Vorschriften und der Ueberwachung der Corporation unterwirft. Um sie durchzuführen, müsste jeder Mäkler sich verpflichten, ein gewisses Capital der Corporation zu übergeben, um einen Fond für die Leistung dieser Bürgschaft zu schaffen. Diese Einrichtung kann nur eine freiwillige sein, aber jedes neu eintretende Mitglied ist, wenn sie einmal besteht, daran gebunden.
Art. 486. In den Staaten des Europ. Continents sind die Gesetze und Verordnungen über Mäklerwesen hauptsächlich von den Regierungen aufgestellt worden. Dies wird in der Zukunft auch in diesem Lande geschehen können. Doch kann dabei der eigenen Aufstellung von Geschäftsregeln durch die Mäkler selbst noch immer ein freier Spielraum verbleiben; so z. B. was die Festsetzung der Maklergebühr, die Uebernahme der gemeinsamen Garantie, die Ueberwachung des Geschäftsbetriebes der einzelnen Mäkler, und gewisse rein commercielle Geschäftsgrundsätze betrifft. In diesen Beziehungen wird am besten den Mäklern Freiheit gelassen, ebenso wie man jedem Handelsmann Freiheit lassen muss, seinen Geschäftsbetrieb nach seinem Gutdünken einzurichten. Besteht nun eine Corporation, so werden diese Regeln am zweckmässigsten von allen gemeinsam aufgestellt und jedes Mitglied ist daran gebunden. Indessen kann die Freiheit der Corporation in dieser Beziehung nicht absolut sein, damit sie nicht aus einseitigem Egoismus zu unbilligen und lästigen Erschwerungen durch den Handel gemissbraucht werde. Wo eine Handelskammer besteht, muss diese zustimmen und es wird als dann die Mäklerordnung eine Sache des Vertrags zwischen dem Handelsstande einer- und den Mäklern des Ortes andererseits. Wo keine Handelskammer besteht, werden sich die Mäkler wenigstens der Zustimmung der Handelsleute des Ortes factisch zu versichern haben. In jedem Fall aber wird Genehmigung der Regierung verlangt, um die allgemeinen und dauernden Interessen des Handels und des Landes zu wahren und die Gesetzmässigkeit des Inhaltes der Mäklerordnungen zu überwachen.
Art. 487. Die Befugnisse und Pflichten des Vorstandes der Mäklercorporation sind in ähnlicher Weise auch in anderen Gesetzgebungen und namentlich in Spanischen H. G. Buch Art. 115 ausführlich geregelt. Derselbe ist eine Art öffentlicher Behörde in Bezug auf das Mäklerwesen und repräsentirt vorzüglich die öffentliche Glaubwürdigkeit, die dem Mäkler in seinem Geschäftsbetriebe zukommt. Er hat also vor allem darüber zu wachen, dass das öffentliche Vertrauen zu einem der Mitglieder nicht betrogen oder geschwächt werde, denn darunter würden mittelbar auch die übrigen leiden. Auch gegenüber den Behörden und Gerichten muss der Vorstand für die Gesammtheit der Mitglieder auftreten und seine Erklärungen müssen, soweit sie in den Mäklerbetrieb einschlagende Thatsachen, wie namentlich Course, betreffen, authentische Beweiskraft haben, soweit sie nur Urtheile und Meinungen sind, aber immerhin eine mehr als private Bedeutung haben.
Von besonderer Wichtigkeit sind die unter Nr. 2 und 3 berührten Punkte, Im Französ. Gesetze von 1866 ist der chambre syndicale, wie bereits bemerkt, eine Strafgewalt über ihre Mitglieder eingeräumt, nämlich die Verhängung einer Verwarnung, temporärer Suspension und definitiver Absetzung; jedoch mit Berufung an das Handelsgericht. Es erscheint jedoch zweckmässiger, dem Mäklervorstande nur das Recht zur Stellung von Strafanträgen zu verleihen und das Strafurtheil selbst nach allgemeinen Grundsätzen den Gerichten zu überlassen. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass auch andere Personen, sowie einzelne Mäkler, solche Strafanträge stellen können. Der Mäklervorstand ist dazu nur besonders verpflichtet, und sein Strafantrag wird ein hervorragendes Gewicht in Anspruch nehmen.
Die Mäklercorporation hat das ausschliessliche Recht, die Course der Effecten und Waaren mit öffentlicher Gültigkeit festzusetzen und bekannt zu machen. Oben Art. 478. Code de com. Art. 76. 78. Es geschieht dies am besten durch den Vorstand, wo eine Corporation besteht. Wo es nur einzelne Mäkler gibt, müssen diese auf Befragen persönliche Auskunft über die Course geben ; es kann dies auch von mehreren gemeinschaftlich geschehen. Die Veröffentlichung kann in öffentlichen Blättern, an den Börsen, und auf andere Weise geschehen. Ueber die Art der Veröffentlichung müssen die Mäklerordnungen das nähere festsetzen. Zweckmässig ist, dass die Veröffentlichung mit der Unterschrift des Vorstandes oder der betreffenden Mäkler erfolgt. Die Festsetzung geschieht in der Art, dass die Mäkler nach dem Schluss der Geschäfte zusammentreten, ihre Geschäftsabschlüsse einander mittheilen und zusammenstellen, und aus dem Gesammtresultat den Cours berechnen. Er kann dies von Woche zu Woche, aber auch in kürzeren Zwischenräumen, ja täglich geschehen, je nach dem geschäftlichen Bedürfniss; letzteres namentlich in besonders wichtigen Artikeln oder Geschäftsperioden, in welchen sich die Geschäfte mit gewissen Artikeln hauptsächlich concentriren und die Preise tagtäglich schwanken können. Diese Course haben rechtliche Gültigkeit für alle Verträge und Urtheile, bei denen der jeweilige Cours zu Grunde gelegt wird,
Art. 488. Der Mäkler ist ein öffentlicher Agent, der nicht in dem privaten Dienste einer einzelnen Person steht, sondern dessen Dienste allen gleichmässig zu Gebote stehen. Er kann daher von beiden Theilen Aufträge annehmen, also namentlich von dem Käufer und Verkäufer einer und derselben Sache. Da er beide vertritt, gilt seine Unterschrift auch für beide, und es wird durch seine schriftliche Aufzeichnung der Vorschrift der schriftlichen Vertragserrichtung (Art. 322) genügt, Dieser Grundsatz ist überall anerkannt. Er ist schon desshalb nothwendig, weil die Parteien sehr häufig nichts von einander wissen, und der Mäkler zwischen beiden hin- und hergeht. Er liegt aber auch in der Natur der Sache, da der Mäkler unbedingte Glaubwürdigkeit geniessen muss, und er ist ungefährlich, da der Mäkler ohne speciellen Auftrag zum Geschäftsabschluss nicht ermächtigt ist (Art. 494), und dabei entweder an das Limite des Auftraggebers oder an den öffentlich gültigen Cours gebunden ist.
Aus ihrer öffentlichen Stellung folgt weiter, das die Mäkler die ihnen zugehenden Aufträge nicht ablehnen dürfen; ebenso wie Notare oder andere Beamte. Diese Verpflichtung folgt zugleich daraus, dass ihre Zahl an einem Orte beschränkt sein kann (Art. 482), und mithin ihnen ein gewisses Monopol eingeräumt ist, das sie nicht willkürlich missbrauchen dürfen. Ein rechtmässiger Grund der Ablehnung liegt in der Zumuthung von gesetzwidrigen oder Schein-Geschäften, in Anträgen von unbekannten Personen und überhaupt in dem Mangel derjenigen Erfordernisse, welche das Gesetz oder die Mäklerordnung aufstellt. So sind sie namentlich gegenüber zahlungsunfähigen Personen, oder wenn der Verdacht von Differenzgeschäften besteht, zur Ablehnung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.
Art. 489. Die Bestimmung, dass der Mäkler nur ein uninteressirtes Werkzeug für fremde Geschäfte sein, aber nicht selbst an den Geschäften, die er vermittelt, mittelbar oder unmittelbar ein Interesse haben darf, findet sich in allen Gesetzgebungen; so namentlich im Code de comm. Art. 85. 86. Der Mäkler kann also weder ein Agent, noch ein Commissionär oder Procurist sein. Auch darf er nicht mittelbar, durch seine Ehefrau oder Kinder u. s. w. an dem Geschäft, das er vermittelt, ein Interesse haben. Er darf also namentlich auf die Waaren, deren Verkauf er vermittelt, keine Vorschüsse leisten. Was die Annahme oder Leistung von Zahlungen betrifft, so sind ihnen diese nur verwehrt in dem Sinne, dass sie mit ihrer Person und ihrem Capital als Vertreter einer Partei eintreten. Er darf nicht aus seinem eigenen Vermögen für Andere zahlen oder Bürgschaft leisten, und für Andere keine Zahlung empfangen, so dass er wie ein Commissionär oder Bankier daran selbständige Rechte erlangte. Er darf aber wohl Zahlungen an Andere übermitteln und für Andere empfangen, als blosses Werkzeug; ja er ist in gewissen Fällen sogar dazu verpflichtet und haftet dafür (Art. 493). Denn wenn er Anderen unbefugt Credit gibt, thut er es auf eigene Gefahr. Dies läuft allerdings factisch vielfach auf eine Garantie hinaus, allein nur durch Schuld des Mäklers, wenn dieser es versäumt hat, sich zur Erfüllung des Contracts durch Uebergabe der Objecte oder des Kaufpreises in den Stand zu setzen. Das Verbot bedeutet, dass die Mäkler nicht die Bankiers der Parteien sein dürfen; dass es ihnen verboten ist, denselben Vorschüsse zu machen, Credit zu eröffnen und in laufender Rechnung mit ihnen zu stehen (Bravard II. p. 176 ). Wenn die Mäkler diesem Verbote nachkommen, können sie nicht leicht in Bankerott gerathen, und an den Geschäftsoperationen ihrer Clienten niemals ein eigenes Interesse haben, da sic keine weiteren Verbindlichkeiten übernehmen werden, als solche zu deren Erfüllung sie von ihren Auftraggebern in den Stand gesetzt werden müssen. Daher ist dieses Verbot von hoher Wichtigkeit für die Erhaltung des Mäklerinstituts in voller Reinheit und Leistungsfähigkeit und es schien angemessen, die Nichtigkeit solcher verbotener Geschäfte auszusprechen.
Es ist freilich nicht zu verhehlen, dass die gleichen strengen Bestimmungen, wie sie hier und in den folgenden Artikeln, auch in den übrigen Gesetzgebungen, insbesondere in der Französischen, enthalten sind, jedoch meist übertreten werden, namentlich zu dem Zweck, um Differenzgeschäfte und überhaupt das Börsenspiel zu betreiben. Indessen darf dies nicht abhalten, die richtigen Grundsätze in der Gesetzgebung auszusprechen, und so viel wie möglich auf ihre Beobachtung hinzu wirken.
Art. 490. Es wurde bereits bemerkt, dass der Mäkler kein Agent im Interesse einzelner Personen ist und nicht von deren Instructionen ganz und gar abhängt, sondern dass er allen gleichmässig dient und ihnen in amtlicher Stellung gegenübersteht. Daraus folgen gewisse Verpflichtungen der Mäkler, die ihre Zuverlässigkeit und öffentliche Glaubwürdigkeit verbürgen sollen. Der Mäkler muss mit den Geschäftsverhältnissen seines Platzes, wenigstens in seinem besonderen Gewerbszweige, vollkommen vertraut und seine Angaben darüber, sowie über die Persönlichkeiten, mit denen man Geschäfte macht, müssen exact sein und er muss dafür die Verantwortlichkeit übernehmen. Allerdings können auch Mäkler irren, und sie können für Irrthümer, soweit sie kein Verschulden trifft, nicht verantwortlich gemacht werden. Es ist jedoch gerade ihre Berufspfiicht, Irrthümer möglichst zu vermeiden, und nichts zu sagen, wofür sie keine Verantwortlichkeit übernehmen können, insbesondere nicht blosse Vermuthungen oder Wahrscheinlichkeiten als Thatsachen auszugeben und dadurch ihre Clienten in Irrthum zu führen. Diese Vorschriften finden sich namentlich im Spanischen II. G. B. Art. 82-84. Als falsche Angaben wären insbesondere zu bezeichnen das Anerbieten einer Waare, welche nicht mindestens die courante Qualität am Platze besitzt, ohne hierauf ausdrücklich aufmerksam zu machen, oder eine unrichtige Auskunft über den Cours oder den laufenden Marktpreis von Waaren oder Wechseln. Auch über die Geschäftslage und die Zahlungsfähigkeit einer Handelsperson muss der Agent Auskunft geben können. Allerdings kann ein Bankerott unvermuthet hereinbrechen und der Mäkler kann nicht als untrügliches Orakel auch für die Zukunft in Anspruch genommen werden. Aber er darf nichts verschweigen, wenn er irgend welche Verdachtsgründe hat, und Niemanden für zahlungsfähig ausgeben oder annehmen, von dem er weiss, dass er bereits am Rande des Bankerotts steht. So sind auch dem Mäkler alle Geschäfte mit bankerotten Personen untersagt.
Ueber zwei Punkte muss der Mäkler unbedingte Haftung übernehmen; einmal über die Identität und commercielle Rechtsfähigkeit der Personen, zwischen denen er Geschäfte vermittelt, und zweitens über die Aechtheit der Unterschriften, die bei den von ihm vermittelten Geschäften gezeichnet werden. Hierüber ist dem Mäkler ein Irrthum überhaupt nicht erlaubt, denn er ist vollständig im Stande darüber genaue Gewissheit zu erlangen. Die Handelspersonen eines Platzes muss er kennen, da es sein Beruf ist, beständig zwischen Allen hin und her zu gehen und Jedem ohne Unterschied Dienste zu leisten. Sind ihnen Personen unbekannt, insbesondere weil sie auswärts wohnen, so muss er sich über sie die erforderliche Garantie verschaffen, widrigenfalls er selbst verantwortlich wird. Was die Unterschriften betrifft, so wurde bereits bemerkt, dass er nur für die Richtigkeit der Unterschriften haften kann, die bei den von ihm vermittelten Geschäften gezeichnet werden. Unterschriften, die aus anderen Geschäften herrühren, wenngleich auf demselben Papier, z. B. Wechsel oder anderem Ordrepapier, garantirt er nicht, da er für Geschäfte, an denen er keinen Theil nimmt, nicht verantwortlich sein kann. Kommen bei einem von ihnen vermittelten Geschäfte mehrere Unterschriften vor, so haften sie für jede derselben ; und zwar in jedem Falle, gleichviel ob sie die Haftung ausdrücklich übernahmen oder nicht. Dies ist auch bei jeder anderen durch das Gesetz den Mäklern auferlegten Verantwortlichkeit der Fall.
Art. 491. Dass die Mäkler ihren Clienten auf deren Verlangen Verschwiegenheit bewahren müssen, ist in allen Gesetzgebungen anerkannt; auch in Frankreich in verschiedenen Reglements und Decreten, Das Geheimniss ist in vielen Fällen eine Bedingung des Gelingens von Handelsoperationen, und insbesondere bei Börsengeschäften zur Ausführung von Speculationen nothwendig. Es werden jedoch, abgesehen von der Zustimmung der Betheiligten, zwei Ausnahmen von dieser Regel zugestanden, die nicht besonders ausgedrückt zu werden brauchen, da sie sich von selbst verstehen : einmal soweit die Natur des Geschäfts es zulässt, also z. B. nicht eine Partei ihre eigene Unterschrift zu geben hat, und sodann soweit nicht die dem Mäklervorstande zustehende Aufsicht auf die Geschäftsführung einzelner Mäkler beeinträchtigt wird.
Art. 492. Die in diesem Artikel aufgestellten Grundsätze fallen von selbst unter die Regel des Art. 490; sie werden aber hier um ihrer Wichtigkeit willen, und um etwaige Zweifel auszuschliessen ausdrücklich hervorgehoben. Die in diesem Artikel betonte Verantwortlichkeit der Mäkler fliesst aus ihrer öffentlichen Vertrauensstellung, und sie müssen verantwortlich sein für jede Verletzung des Vertrauens, das man zu ihnen rechtmässiger Weise haben kann; es fliesst dieselbe aber nicht aus der besonderen üebernahme einer Bürgschaft, die ihnen nach Art. 489 untersagt ist. Sie beruht daher auf ihrem Verschulden, auf der Verletzung ihrer amtlichen Pflichten, und nicht aus einem besonderen Vertrage, wesshalb der Mäkler von Verantwortung frei ist, wenn er seine Schuldlosigkeit nachweisen kann. Diese Verpflichtung der Mäkler hat ihren Grund darin, dass der Mäkler von den factischen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Geschäfts hinreichende Kenntniss haben muss, und dass er nur bei Geschäften mitwirken darf, die auch ernstlich gemeint sind und ordentlich erfüllt werden können. Wenn der Mäkler einen Verkäufer zuführt, so muss er von der Qualität und Existenz der zu verkaufenden Waare Kenntniss haben, da er dem Käufer darüber Auskunft geben muss; er darf nicht blind und leichtsinnig die Worte des Verkäufers wiederholen, sondern er muss eigene Wissenschaft von der Sache haben. Er muss also mindestens ein Muster oder eine Probe in Händen haben, und die Uebereinstimmung der Waare damit verbürgen können. Wenn der Mäkler glaubt, dies thun zu können, mag er den Erklärungen des Verkäufers darüber Glauben schenken; andernfalls muss er sich die Waare vorzeigen lassen und selbst untersuchen. Dies ist bei Waaren, deren Qualität leicht wechselt und von gewissen Mustern abweicht, von ganz besonderer Wichtigkeit, wenn das Mäklerinstitut reellen Werth besitzen und nicht auf die Stufe blosser Agenten herabsinken soll. Gleiches gilt von der Existenz der Waare in der vertragsmässigen Quantität. Der Mäkler muss, wenn er irgend Zweifel hegt, die Waare sich selbst vorzeigen lassen, ehe er sie Anderen zum Verkauf an bietet.
Für die Zahlungsfähigkeit des Käufers haftet der Mäkler nicht vertragsmässig, wie ein Agent oder Commissionär, der das Delcredere übernommen hat, sondern nach den zu Art. 490 erörterten Principien. Er darf Niemandem einen Käufer zuführen, von dessen Zahlungsfähigkeit er nicht sichere Kenntniss hat oder haben müsste. Wenn er in dieser Beziehung verantwortlich wird, muss ihm ein Verschulden oder eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden. Regelmässig werden aber die Umstände derart liegen, dass der Mäkler seine Schuldlosigkeit zu beweisen hat, um nicht verurtheilt zu werden.
Es macht in allen diesen Beziehungen keinen Unterschied, ob der Mäkler für einen ungenannten Clienten handelt oder nicht, und ob er das Geschäft selbst abschliesst oder nicht. In Bezug auf die ersteren Fälle ist auf die oben zu Art. 395 gemachten Bemerkungen zu verweisen. Man gelangte dort zu dem Resultat, dass auch ein ungenannter Principal direct berechtigt und verpflichtet wird, jedoch der Vertreter im Falle seines Verschuldens auf Schadensersatz belangt werden kann. Wenn nun der Mäkler seinen Clienten nennt, so haftet er jedenfalls subsidiär, soweit er seine Mäklerpflichten verletzt hat. Handelt er für einen ungenannten Clienten, so muss er den Vertrag selbst abschliessen und erfüllen (Art. 494), da er in seiner öffentlichen Eigenschaft als absoluter Vertreter anzusehen ist. Die Praxis ist in diesem Falle die, dass der Mäkler direct und ausschliesslich in Anspruch genommen wird, da es in diesem Falle seine Pflicht ist, für die Möglichkeit der Erfüllung des Vertrages vorher Sorge zu tragen. Die andere Partei braucht hier sich nicht zuerst an den ungenannten Auftraggeber verweisen zu lassen, da der Mäkler, obgleich er in seiner Person keine Geschäfte machen darf, vermöge seines Amtes die absolute Vertretung seines Clienten übernommen hat. Diese Bestimmung ist in Art. 498 noch ausdrücklich ausgesprochen, um jeden Zweifel daran zu verhüten. Allerdings muss Jeder, der mit einem Mäkler ein Geschäft abschliesst, von selbst wissen, dass dieser nicht für sich, sondern nur im Auftrage eines Anderen handelt; und daraus könnte man folgern wollen, dass in diesem Falle nur der Auftraggeber aus dem Geschäfte berechtigt oder verpflichtet wird. Dem Effecte nach ist dies allerdings so. Allein der Mäkler ist kein gewöhnlicher Agent oder Vertreter, sondern eine bestimmten Amtspflichten unterliegende Mittelsperson, und es wird seinen Händen das ganze Geschäft bis zur vollständigen Erfüllung übergeben. Daher sind eben gewisse Vorschriften nöthig, wie sie in den Art. 490—493 ausgedrückt sind, damit die Verrichtungen des Mäklers nicht in Bürgschaft für Andere ausarten können. Der Mäkler wird hiedurch auch nicht zum Commissionär, wie Manche (Bravard II. p. 179) glauben. Denn der Commissionär treibt selbständig Handel in eigenem Namen, wenn auch auf fremde Rechnung; der Mäkler ist zu irgend einer selbständigen Beschlussnahme in keiner Weise befugt. Er haftet nicht, weil er das Geschäft auf seinen Namen abschliesst, denn das ist nur äusserlicher Schein, sondern weil er die absolute Vermittlung des Geschäfts übernahm.
Art. 493. Die Bestimmung dieses Artikels ist dem Französischen Rechte entnommen, und hat zum Zwecke, ein reelles Geschäft in Werth papieren herbeizuführen, da dieses wegen der häufigen Coursschwankungen am meisten zu unreellen Speculationen, insbesondere zu unerlaubten Differenzgeschäften gemissbraucht wird. Es wird hier kein Unterschied zwischen Baar- und Lieferungsgeschäften (au comptant et à terme) gemacht. Bei den ersteren versteht sich die sofortige Uebergabe der Waare und Zahlung des vollen Kaufpreises von selbst, sofern nicht durch Usance eine gewisse Frist für Zahlung (mit Disconto für frühere Zahlung Art. 385) gelassen ist. Bei den letzteren erfolgt die Lebergabe nebst Zahlung erst nach einem gewissen Zeitraum, und es kann sehr wohl sein, dass der Verkäufer die Waare zur Zeit noch gar nicht besitzt, sondern da er auf weichenden Cours rechnet, sie erst später erwerben will. Solche Coursspeculationen werden nun allerdings durch die vorliegende Bestimmung ausgeschlossen, noch mehr aber die Abschliessung blosser Differenzgeschäfte, und es wird in der Französ. Jurisprudenz geklagt, dass sich die Speculationstendenz stärker erwiesen hat, und die betreffenden Vorschriften desshalb auch von Mäklern so gut wie gar nicht befolgt werden. Wenn man aber das Unheil bedenkt, welches in unzähligen Fällen durch blosse Coursspeculationen angerichtet wird, sowohl für Einzelne, die durch das Börsenspiel zu Grunde gerichtet und in vielen Fällen zu Verbrechen, Selbstmord und anderen Missethaten verleitet werden, als auch für die Gesammtheit, indem dadurch grosse Capital massen der productiven Verwendung entzogen werden, so erscheint es für die Gesetzgebung unerlässlich, eine solche Vorschrift zu erlassen, auch wenn sie voraussichtlich in nicht wenigen Fällen wird übertreten werden.
20 procent des Preises ist das Minimum, das der Mäkler zu verlangen verpflichtet ist; schon im eigenen Interesse, damit er für den Fall seiner Haftung in Anspruch genommen wird, gegen etwaige Coursverluste gedeckt ist. Er ist jedoch in keiner Weise gehindert, die Vorausbezahlung des vollen Kaufpreises oder Sicherheit dafür zu verlangen, wenn er irgendwie Zweifel in die Zahlungsfähigkeit des Käufers setzt.
Art. 494. Der Mäkler ist ursprünglich nur ein Unterhändler, welcher nicht selbst abschliesst, sondern nur authentische Auskunft gibt und die Parteien zusammenführt. Dies ist auch heute noch das regelmässige, und nur die Geschäfte an der Börse werden meist durch die Mäkler abgeschlossen. Dazu bedarf es eines ausdrücklichen Auftrages, welcher, um volle Sicherheit zu gewähren, persönlich, jedoch auch durch Briefe oder Telegramme ertheilt werden muss. Die Erklärung durch Procuristen, Commissionäre und Spediteure ist hiedurch nicht ausgeschlossen, wohl aber durch blosse Agenten oder andere Stellvertreter, weil bei diesen Auftragsüberschreitung vorkommen kann. Der Auftrag zum Abschluss an Mäkler ist auch insoferne strict zu interpretiren, als darin nicht von selbst die Vollmacht zur Erfüllung und zur Annahme der Gegenleistung liegt. Nur im Falle eines ungenannten Auftraggebers muss hievon nach den Erörterungen zu Art. 492 eine Ausnahme gemacht werden, da hier die Person des Auftraggebers von der des Mäklers gänzlich verdeckt wird, und das Geschäftsgeheimniss auch in dieser Beziehung gewahrt bleiben muss.
Art. 495-498. Die in diesen Artikeln enthaltenen Bestimmungen finden ihre Erläuterung in den vorausgehenden Bemerkungen und sind denen der übrigen Gesetzbücher entsprechend. Zu Art. 496 ist nur noch hinzuzufügen, dass zu blossen Comptoir- und Botendiensten Mäkler wie andere Kaufleute Gehülfen benützen dürfen; sie müssen jedoch ihre Functionen, insbesondere ihre Verhandlungen mit Parteien persönlich ausüben, und können sich weder Procuristen noch Agenten halten. Dies wäre durch ihre amtliche Qualität absolut ausgeschlossen.
Zu Art. 498 ist zu bemerken, dass die persönliche Haftung der Mäkler nicht zur Umgehung der Bestimmungen des Art. 489 gemissbraucht werden darf. Der Mäkler muss immer an den von ihm vermittelten Geschäften unbetheiligt bleiben, und darf daher auch keinen Vortheil oder irgend eine besondere Remuneration gegenüber einer Partei in Anspruch nehmen.
Art. 499. Die Vorschrift, dass der Mäkler, ausser den gewöhnlichen Handelsbüchern, ein besonderes Tagebuch führen muss, und über die Ausstellung von Schlussnoten (bordereaux) daraus, ist gleichfalls in allen Gesetzbüchern anzutreffen. Code comm. Art. 84. 109. Deutsches H. G. B. Art. 71-73. Span. H. G. B. Art. 97. Ital. H. G. B. Art. 46. Beide Arten von Urkunden geniessen bis zum Beweise des Gegentheils öffentliche Beweiskraft. Die Schlussnoten können allerdings von Anfang an von einer Partei beanstandet werden und es wird dann, wenn die Differenz nicht gütlich ausgeglichen werden kann, zur gerichtlichen Entscheidung kommen müssen. Immerhin besteht auch in diesem Falle für die genannten Urkunden die Vermuthung der Wahrheit, da die öffentliche Glaubwürdigkeit der Mäkler sich auch auf ihre amtliche Aufzeichnungen erstrecken muss.
Die am Schluss des Artikels gemachte Vorschrift der Mittheilung etwaiger Reclamationen an die Gegenpartei, soferne nicht etwa ein von selbst verbessertiches Versehen vorliegt, bezieht sich nur auf den Fall, wenn der Name der Gegenpartei genannt wurde. Wo dies nicht geschah, hat der Auftraggeber lediglich mit dem Mäkler zu thun, und etwaige Streitigkeiten sind mit diesem allein auszutragen.
Art. 500. Diese Vorschrift rechtfertigt sich aus Zweckmässigkeitsgründen, da diese Bücher auch später als Beweisurkunden dienen können. Im Uebrigen wird es hinsichtlich der Zeitdauer der Aufbewahrung, und hinsichtlich der Aufbewahrung durch die Mäkler selbst, genügen, wenn die für alle Handelsbücher geltende Vorschrift des Art. 35 beobachtet wird.
Art. 501. Die Mäkler haben äusser dem Ersatz ihrer etwaigen Auslagen für ihre Dienstleistungen eine Vergütung zu fordern, die im Verhältniss des reinen Werthbetrages der von ihnen vermittelten Geschäfte nach einem festen Satze berechnet wird. In der Regel beträgt der Satz 1/4 bis 1/8 per mille, seltener 1/2 per mille, und wird dabei zwischen Baar- und Lieferungsgeschäften, sowie zwischen den verschiedensten Hauptgattungen der Geschäftsgegenstände unterschieden. Für Lieferungsgeschäfte ist gewöhnlich der Tarif niedriger, obgleich weil diese Geschäfte meist Spielgeschäfte sind, das Gegentheil der Fall sein sollte. Der Tarif wird überall in festen Sätzen bestimmt und kein Mäkler darf mehr fordern, auch ist keine Partei verpflichtet mehr zu bezahlen. Die Festsetzung erfolgt auf verschiedene Weise, entweder durch Gesetz oder Verordnung der Staatsgewalt, wie namentlich in Deutschland und Oesterreich, oder durch Beschluss der Handelskammer oder Localbehörde, wie in Italien. In Frankreich wird nach dem Gesetze von 1866 die Maklergebühr nur für die den inscribirten Mäklern ausschliesslich vorbehaltenen Geschäfte, nämlich öffentliche Verkaufe und Schätzungen, durch den Minister des Handels, nach Anhörung der Handelskammer und des Handelsgerichts vorgeschrieben, im Uebrigen aber den Börsenreglements und dem Handelsgebrauch überlassen. Das richtigste scheint zu sein, dass die Bestimmung darüber den Mäklerordnungen überlassen wird, wozu jedoch nach Art. 486 die Zustimmung der Handelskammer, wo eine solche besteht, und die Genehmigung der Regierung erforderlich ist. Wo keine Mäklercorporation besteht, wird der Handelsgebrauch entscheiden müssen. Da die Mäkler zugleich Kaufleute sind, so wird ihnen, in den vorbemerkten Grenzen, die Bestimmung des Preises ihrer Dienstleistungen zunächst zu überlassen sein. Es würde jedoch nichts im Wege stehen, falls ein Bedürfniss dazu sich ergeben sollte, durch ein Gesetz oder Reglement allgemeine Normen hierüber zu erlassen.
Die Bestimmung, dass jede Partei die Hälfte der Gebühr zu tragen hat, wenn nichts anderes verabredet oder üblich ist, findet sich auch in der Französ, und Deutschen Gesetzgebung.
Die Maklergebühr ist zu entrichten nach der Erfüllung des Con-tractes. Für Geschäfte, die nicht zu Standegekommen sind, ist eine Gebühr nicht zu zahlen. Es ist jedoch gleichgültig, ob das Geschäft durch den Mäkler selbst abgeschlossen wurde oder nicht. Nach dem Deutschen H. G. B. Art. 82 ist die Gebühr fällig, sobald das Geschäft geschlossen oder unbedingt geworden ist, soweit nicht örtliche Verordnungen oder der Handelsgebrauch ein anderes bestimmen. Letzteres ist indessen die Regel und auch zweckmässiger, um die Verantwortlichkeit der Mäkler strenger zu gestalten. Wenn ein Kauf rückgängig wird wegen mangelnder Qualität der Waare, oder weil die Lieferung zur festgesetzten Zeit nicht erfolgt, kann keine Gebühr gefordert werden, weil in solchen Fällen dem Mäkler jedenfalls ein Verschulden mit zur Last fallen wird. Auch ist die Thätigkeit des Mäklers mit dem Geschäftsabschluss noch nicht beendigt, da er bei der Lieferung und Inspektion der Waaren häufig noch mitwirken muss. Es gehört zu den Pflichten des Mäklers dafür zu sorgen, dass der Vertrag auch ordentlich erfüllt werde. Aus diesen Gründen erscheint die in dem Entwurf adoptirte Vorschrift passender. Die Gebühr kann nicht gefordert werden, wenn durch Verschulden des Mäklers das Geschäft nicht erfüllt wird. Jedoch wird der Anspruch des Mäklers nicht aufgehoben, wenn das Geschäft nachher freiwillig von den Parteien aufgehoben wird. Daher wurde im Entwurfe ausgesprochen, dass die Gebühr in der Regel nach Erfüllung des Contracts zu entrichten ist.
Art. 502. Diese Bestimmung entspricht der gleichen Bestimmung für Agenten in Art. 476, nur mit dem Unterschied, dass der Mäkler, da er für beide Theile wirken kann, auch von beiden Theilen seine Gebühr zu erhalten hat. Allein jede über die gesetzmässige Gebühr hinausgehende Remuneration würde ihn dem Verdachte der Bestechung preisgeben, wesshalb die andere Partei zur Aufhebung des Geschäftes berechtigt würde. Sollte eine Bestechung von beiden Seiten erfolgt sein, so könnte jede Seite das Geschäft anfechten, und es würden sich in diesem Falle die beiderseitigen Bestechungen nicht compensiren dürfen, da es im öffentlichen Interesse liegt, dass das Mäklergewerbe rein und makellos erhalten werde. Wenn beide Theile von dem Rechte der Aufhebung keinen Gebrauch machen, kann immerhin der Mäklervorstand sein Ueberwachungsrecht ausüben und Strafanträge stellen.
§ 4. Börsenmakler.
Art. 503. Börsen gewähren zunächst den Vortheil, dass sich die Handelsgeschäfte an einem bestimmten Orte concentriren und dadurch in hohem Grade erleichtert und befördert werden, indem die jeweilige Lage des Marktes und alle Verhältnisse des Handels und der Schifffahrt zur übersichtlichen und allgemeinen gleichen Kenntniss gebracht werden können. Ausserdem aber wird durch Aufstellung von bestimmten Börsenregeln die Abschliessung von Geschäften unter feste und allgemeingültige Grundsätze gestellt und dadurch die willkürliche und schwankende Beobachtung des Privatwillens ausgeschlossen, was die Verhütung unzählicher Streitigkeiten zur Folge hat und dem ganzen Handel mehr Sicherheit und Ruhe verleiht. Diese Regeln beziehen sich meist auf die Anwendung bestimmter Course, auf die Bewerkstelligung der Zahlungen und Waarenlieferungen binnen bestimmten Fristen, auf die nothwendige Beschaffenheit der an der Börse zugelassenen Waaren, auf die Art und Weise des Vertragsabschlusses, auf gewisse Begünstigungen im Fall der Nichterfüllung. Es kann auch in der Börsenordnung dem Börsenvorstande ein Schiedsrichteramt eingeräumt werden, so dass die kostspielige und zeitraubende Anrufung der Gerichte erspart wird. Vgl. unten zu Art. 1120.
Die Vorschrift, dass Börsengeschäfte nur durch Vermittlung von Börsenmäklern abgeschlossen werden können, ist zwar nicht allgemein, und meist nur für die Effecten- oder Fondsbörsen massgebend. Sie empfiehlt sich aber, da hiedurch das gesammte Börsengeschäft in hohem Grade vereinfacht und unter einheitliche Grundsätze gebracht und die volle Garantie erlangt wird, welche durch Benützung von Mäklern gewonnen werden kann. Diese Vortheile überwiegen weitaus die geringe Gebühr, welche den Mäklern zu entrichten ist. Auch können nur dadurch die Waaren- und anderen Course mit voller Zuverlässigkeit constatirt werden, besonders wenn dazu noch kommt, dass gewisse Waaren überhaupt nur an der Börse gehandelt werden dürfen.
Art. 504. Eine Börse wird natürlicher Weise errichtet von den Mitgliedern, und als solche sind alle Handelspersonen des Ortes oder überhaupt alle anzusehen, welche regelmässig die Börse besuchen, um daselbst Geschäfte zu machen. Diesen Personen liegt auch ob, die Kosten einer Börse zu bestreiten, die jedoch im allgemeinen in nichts weiter bestehen, als in den Kosten der Erwerbung und Unterhaltung des Börsenlocals und Besoldung der an der Börse etwa angestellten Personen. Diese Kosten müssen, wenn sonst keine Mittel zu Gebote stehen durch Schenkung, Stiftung u. dgl., durch die Beiträge der Mitglieder aufgebracht werden, die allenfalls auch in Form einer kleinen Taxe auf Börsengeschäfte erhoben werden können. Abgesehen vom Kostenpunkt, gibt es für die Errichtung einer Börse keine aridere Voraussetzung, als dass ein Bedürfniss dafür besteht, also ein genügender Handel an dem Orte betrieben wird. Desshalb sind Börsen vor allem in den grossen Handels- und Seestädten ein Bedürfniss, sie können aber, je mehr der Handel und die Production sich ausbreiten, namentlich für gewisse besonders wichtige Handelsartikel, auch an kleineren Orten errichtet werden, insbesondere an Orten, welche als Mittelpunkt grosser Productionszweige, wie der Seide, des Tabaks etc. dienen.
Eine Börse ist keine Actiengesellschaft, überhaupt keine Handelsgesellschaft, um auf gemeinschaftliche Rechnung Handel zu treiben. Die Vorschriften für die Begründung von Handelsgesellschaften sind daher auf die Errichtung von Börsen ganz unanwendbar. Es bedarf zu letzterer keines Gesellschaftscapitals, keiner Gesellschaftsfirma, keiner Registrirung, und die Mitglieder der Börse stehen unter einander durchaus nicht im Verhältniss von Gesellschaftern. Die Börse als solche betreibt keine Handelsgeschäfte, und es kann eine Börse nicht etwa zu dem Zweck gegründet werden, um einen bestimmten Handelszweig für gewisse Personen zu monopolisiren.
Eine Börse darf daher die Freiheit und Concurrenz des Handels nicht aufheben oder beschränken. Die Börsenregeln dürfen nur den Zweck haben, gemeinsame, den Handel fördernde Grundsätze für die Eingehung und Erfüllung von Handelsgeschäften festzustellen; sie müssen für Alle gleich sein und das allgemeine Interesse berücksichtigen, und sollen namentlich durch wohlthätige Strenge auf pünktliche Erfüllung und dadurch auf den guten Glauben und die strengste Ehrlichkeit im Handelsbetrieb hinwirken.
Die Börse ist ferner an und für sich keine kaufmännische Corporation oder Gilde (Junung, Zunft), sondern nur eine öffentliche Anstalt für die Erleichterung des Handelsbetriebs. Sie kann von einer Corporation errichtet werden, wenn die Kaufleute des Ortes zu einer solchen verbunden sind, wie z. B. in Berlin der Fall ist. Allein es ist dies nicht nothwendig, und wenn es der Fall ist, darf man- die Börse mit der Corporation nicht verwechseln, denn es kann Kaufmannscorporationen geben ohne eine Börse, und Börsen ohne kaufmännische Corporation. Ob die Kaufleute eines Ortes eine Zunft bilden, hat also an und für sich auf die Entstehung einer Börse keinen Einfluss. Wenn aber eine Kaufmannsgilde an einem Orte besteht, so liegt es nahe, dass die Börse von ihr errichtet und verwaltet wird, und es wird dann auch der Zunftvorstand den Börsenvorstand bilden, soweit nicht besondere Börsencommissäre aus der Mitte der Zunft oder des Zunftvorstandes bestellt werden.
Da die Börse eine öffentliche Anstalt für den Handel ist und die manichfaltigsten Interessen von ihr abhängen, ist die Rögel die, dass sie nur mit Genehmigung der Regierung errichtet werden kann. Diese Regel besteht in Frankreich, Deutschland, Oesterreich u. s. w. Indessen muss man es als ein nothwendiges Princip hinstellen, dass diese Genehmigung zu ertheilen ist, sobald sie beantragt wird und kein gesetzliches oder politisch—ökonomisches Hinderniss besteht; solange namentlich nicht die Absicht erkennbar wäre, die Börse ihrem eigentlichen Zweck zu entfremden und zu einer monopolisirender Handelsgesellschaft zu machen.
Es werden gewöhnlich zwei Arten von Börsen unterschieden: Geld- oder Fondsbörsen und Waarenbörsen. An den ersteren ist der Handel mit Geld und Geldmetallen, dann mit öffentlichen Werthpapieren, Obligationen und Actien, und mit privaten Werthpapieren, wie Wechseln concentrirt. Insbesondere sind sie der Stapelplatz für die Staats—Schuldscheine, und haben daher für die Finanzverwaltung des Staates besondere Bedeutung. Im Ganzen und Grossen dienen Börsen zur Erhöhung des finanziellen Credits eines Staates, indem sie regelmässig zur möglichsten Steigerung der Course und leichten Placirung der Papiere beitragen, während Speculationen auf niedrige Course nur Ausnahme oder vorübergehend sind. Diese Börsen müssen daher zum Finanzministerium in gewissen Beziehungen stehen. Die Waarenbörsen dagegen concentriren den Handel in gewöhnlichen Waaren, und können sich nach Bedürfniss weiter specialisiren. Man kann also Getreide-, Reis-, Seide-, Theebörsen u. s. w. gründen. Bei diesen Börsen kommen nur die Interessen des Handels und der Production in Betracht.
Art. 505. 506. Die in diesem Artikel aufgestellten 3 Erfordernisse sind in der Natur der Sache begründet. Durch das Börsenlocal, hinsichtlich dessen keine weiteren Vorschriften nöthig sind, als dass es dem Bedürfniss der Zusammenkünfte entsprechend sein muss, wird der eigentliche Zweck einer Börse erfüllt, und es ge nügt an sich jeder Raum, an welchem die Börsenbesucher in den Börsenstunden einen Platz finden können. Der Vorstand ist nöthig, um die Angelegenheiten der Börse zu verwalten und insbesondere die Börsenordnung festzustellen und zu handhaben. Gewöhnlich wird vom Staate daneben noch ein Staatsbeamter zur Ueberwachung der Börse—Börsencommissär—aufgestellt, doch ist dies nicht durchaus nothwendig und es sollte an der Selbstverwaltung der Börse durch die Kaufleute selbst möglichst wenig gerüttelt werden. Das Recht hiezu ist der Regierung durch Art. 514 gewahrt.
Die Börsenordnung, ein Gegenstand von grosser Wichtigkeit für den Handelsstand, bestimmt zunächst über die unmittelbaren Angelegenheiten der Börse, die Benützung und Einrichtung des Locals, die Bestellung, Rechte und Pflichten des Vorstandes, sowie die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Zulassung zum Besuche der Börse überhaupt, die Ausschliessung gewisser Personen von Börsengeschäften ; sodann über die Börsenzeiten und Börsenstunden, die nicht willkürlich, sondern nach den Bedürfnissen des Handels zu normiren sind; sodann über die Verhältnisse der Mäkler an den Börsen, über gewisse Regeln für die Eingehung und Erfüllung von Börsengeschäften, über die Zulassung oder Ausschliessung gewisser Waaren, über deren etwaige Untersuchung und die Behandlung von Mustern, auch mit Rücksicht auf die in dem Art. 508 und 509 enthaltenen Befugnisse ; endlich über Börsenstrafen u. dgl. In allen diesen Beziehungen muss der bestehende Handelsgebrauch möglichst zum Ausdruck gebracht werden, soferne man nicht mit Absicht für die allgemeine Beförderung und Erleichterung des Handels neue Einrichtungen treffen will. Die Aufstellung und Handhabung der Börsenordnung ist Sache des Börsenvorstandes, jedoch unterliegt er hiebei der Zustimmung der Mitglieder der Börse, soferne diese in der Börsenordnung oder bei Errichtung der Börse zur Vorschrift gemacht ist, und jedenfalls der Genehmigung der Regierung, da es sich hier um eine Ergänzung der Handelsgesetzgebung und um wichtige Interessen des Volksreichthums handelt. Es können auch von der Regierung Börsengesetze und Börsenverordnungen als allgemeine Normen erlassen werden, die sodann bei der Aufstellung der Börsenordnungen beobachtet werden müssen. Auch ist selbstverständlich der Börsenvorstand an die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches gebunden.
Dass die Börsenordnung von Allen, die an der Börse Geschäfte machen, oder auch von Anderen, wenn ihre Bestimmungen sich darauf erstrecken, wie z. B. nach Art. 508, beobachtet werden muss, versteht sich von selbst, und es wird desshalb die Genehmigung der Regierung erfordert, um ihr öffentliche Autorität zu verleihen, und ihre Uebereinstimmung mit Recht und Gesetz, und mit den Anforderungen der öffentlichen Wohlfahrt zu sichern.
Art. 507. Die Bestimmung dieses Artikels erscheint nothwendig, um die Gewalt des Börsen Vorstandes, der immer aus den reichsten und angesehensten Kaufleuten des Ortes bestehen wird, nicht zu despotischer Allgewalt ausarten zu lassen. Es muss daher Einzelnen das Recht gewahrt werden, gegen Bestimmungen der Börsenordnung oder andere Erlasse des Vorstandes Widerspruch zu erheben, selbst wenn etwa die Zustimmung der Majorität der Mitglieder oder die nothwendige Genehmigung der Regierung bereits erlangt wäre. Im letzteren Falle kann es in manchen Fällen äusserst wünschenswerth sein, auf Grund der Einwendung von unmittelbar Betheiligten, denen man practisches Verständniss und Erfahrung zutrauen darf, eine nochmalige Prüfung zu veranlassen. Es ist diese Vorschrift aber besonders wichtig für blosse Erlasse des Börsenvorstandes, ausserhalb der Börsenordnung, die einer vorherigen Zustimmung der Majorität oder Genehmigung der Regierung nicht bedürfen. Der Widerspruch kann aus zwei Gründen erhoben werden; entweder kann die betreffende Bestimmung oder Anordnung ungerecht, oder nachtheilig sein. Im ersteren Falle würde sie gegen die Gerechtigkeit, gegen anerkannte Rechtsgrundsätze oder bestehende Gesetze verstossen; im zweiten Fälle würde sie dem Handel schaden, durch Erschwerung, Lähmung berechtigter Interessen. Z. B. eine Bestimmung, dass Agenten zur Börse nicht zuzulassen seien, würde nicht nur ungerecht sein, da sie die Freiheit der Vertretung in Handelssachen in hohem Grade rauben würde, sondern auch nachtheilig, weil grosse Geschäftshäuser dadurch in der Ausdehnung ihres Gewerbebetriebes gehindert werden würden. Eine Anordnung, dass die Börsenzeit nur etwa eine Stunde dauern solle, wäre vielleicht nicht rechtswidrig, aber im höchsten Grade nachtheilig, unzweckmässig, wenn die Masse der Geschäfte in einer Stunde nicht bewältigt werden könnte. Die Prüfung solcher Reclamationen wird am besten von der obersten Behörde für Handelssachen vorgenommen, jedoch, wenn finanzielle Interessen mit in Frage kommen, im Einvernehmen mit dem Finanzministerium.
Da in den Börsengesetzen oder Börsenordnungen regelmässig bestimmt ist, dass Personen, welche die Börsenvorschriften übertreten, oder ihren an der Börse eingegangenen Verbindlichkeiten nicht nachkommen, von der Börse ausgeschlossen werden, so muss um so mehr Einzelnen ein Beschwerderecht zugestanden werden, damit sie gegen ungerechte oder schädliche Börsenvorschriften sich schützen können.
Auch speciell für die Mäkler ist dieses Recht von grosser Bedeutung, da die Mäklerordnung der Börsenordnung nicht widersprechen darf, und wo keine Mäklerordnung besteht, die für Mäkler geltenden Bestimmungen in der Börsenordnung oder in Anordnungen des Börsenvorstandes enthalten sein können.
Art. 508. Eine solche Vorschrift kann, natürlich nur für den Grosshandel, aus verschiedenen Gründen sehr empfehlenswerth sein. Einmal, um den Handel mit gewissen Artikeln, z. B. allgemeinen und nothwendigen Nahrungsmitteln wie Reis, Getreide etc., mehr unter öffentliche Controle zu bringen und der ungesunden Speculation und Uebertheuerung, oder unerlaubten Geschäften, wie Differenzgeschäften, wirksamer entgegentreten zu können. Sodann um für gewisse Handelszweige allgemein verbindliche Geschäftsregeln aufstellen zu können. Dann aber auch, um für wichtige Artikel, namentlich Exportwaaren eine Concentration des Handels herbeizuführen und ihre handelsfähige Qualität zu sichern, namentlich der Verfälschung zu steuern und den Handel nicht corrumpiren zu lassen.
Nach den vorhergehenden Artikeln bedarf eine solche Bestimmung in jedem Falle der vorherigen Genehmigung der Regierung. Es besteht kein Grund, sie, wie z. B. in Frankreich, auf öffentliche Werthpapiere zu beschränken, da die vorher angegebenen Motive auch auf andere Waaren sehr gut passen.
Die Folge einer solchen Bestimmung ist, dass die davon betroffenen Artikel nur unter Vermittlung von Börsenmäklern und unter Beobachtung der Börsenvorschriften gehandelt werden können, und das kann auch allein der Zweck einer solchen Bestimmung sein. Für alle übrigen Waaren, für welche dieselbe nicht erlassen ist, gibt es auch keinen gesetzlichen Zwang, sich der Vermittlung von Mäklern zu bedienen, sondern es bleibt Jedem überlassen, nach seiner Wahl einen Mäkler anzuwenden oder nicht. Wer es nicht thut, verliert dadurch die Vortheile, welche die Mitwirkung eines Mäklers verschafft, er braucht aber auch die Kosten der Maklergebühr nicht aufzuwenden. Ein gesetzlicher Zwang, sich der Vermittlung von Mäklern zu bedienen, besteht in der modernen Gesetzgebung nicht mehr.
Art. 509. Die Börse ist für die Handelswelt ein neutraler Ort, wo allgemeine Bedürfnisse des Handelsverkehrs befriedigt werden sollen. Hiezu gehört nicht nur die Sorge für ordentliche Abschliessung und Erfüllung von Handelsgeschäften, sondern auch eine gewisse Fürsorge für die Waaren selbst, welche deren Gegenstand abgeben. An die Börse können nicht nur Proben und Muster von Waaren gebracht werden, sondern auch diese selbst, um das Zustandekommen von Abschlüssen zu erleichtern. Da aber die Aufbewahrung grösserer Waarenmengen mit Schwierigkeiten und Kosten verbunden ist, und die geeigneten Räumlichkeiten und Einrichtungen dafür erfordert, so wird die Errichtung einer Börsenniederlage immer eines besonderen Beschlusses bedürfen. Sie kann aber allen Betheiligten sehr erwünscht und nützlich sein, und desshalb wurde darüber eine besondere Bestimmung in den Entwurf aufgenommen. Sie gewährt, da die Börse eine öffentliche Anstalt ist, den Nutzen einer grösseren Sicherheit gegen Diebstahl, Feuer u. a. Gefahren; sie lässt geeignete Vorkehrung zu gegen Verderb der Waaren durch Nässe etc. Sie erleichtert auch die Untersuchung und Ablieferung der Waaren, und schafft einen gemeinsamen Boden, wo Käufer und Verkäufer, ohne ihren Interessen etwas zu vergeben, zusammenkommen können. Es wird dadurch namentlich unzähligen Streitigkeiten wegen Unprobemässigkeit der Waaren vorgebeugt und den Mäklern ihre Verantwortlichkeit für die Existenz und Qualität der Waaren wesentlich erleichtert. Durch die Ausstellung von Lagerscheinen, die als Ordrepapiere verkehrsfähig sind, wird ausserdem die Uebertragung der Waaren ungemein gesichert; nicht minder die Entnehmung von Vorschüssen darauf gegen Pfand. Eine solche Einrichtung ist daher besonders für Artikel zu empfehlen, welche genau untersucht werden müssen und anderen, d. h. Privatpersonen vor dem völligen Abschluss des Vertrages nicht wohl anvertraut werden können. Die Börse könnte, gegen Vergütung, deren Versicherung übernehmen, und es könnte in dem betreffenden Reglement ausgesprochen werden, dass mit der Herausnahme der Waaren aus der Niederlage der Käufer jede Reclamation wegen des Gewichts oder der Qualität verliert, weil er die genaue Untersuchung an Ort und Stelle vornehmen könnte und verspätete Beschwerden unzulässig wären.
Uebrigens darf eine solche Einrichtung nur für den Zweck der Niederlage dienen, und für nichts weiter. Daher ist selbstverständlich ihr Ankauf durch den Börsenvorstand ausgeschlossen; ebensowenig darf er darauf Vorschüsse gewähren. Beides ist auch den Mäklern schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht gestattet (Art. 489). Würde man dies gestatten, so würde die Börse in eine Handelsgesellschaft ausarten, welche das Monopol des betreffenden Handelszweiges zum Nachtheil Aller übrigen, insbesondere auch der Producenten, an sich reissen würde.
Durch dieses Verbot ist jedoch der freie Handel mit solchen Waaren anderen Personen oder Gesellschaften nicht geschmälert; auch nicht den einzelnen Mitgliedern des Börsenvorstandes als selbständigen Handelspersonen. Ebensowenig sind Banken und andere Personen dadurch gehindert, darauf Vorschüsse zu geben. Wenn für solche Vorschüsse die niedergelegten Waaren verpfändet würden, kämen die Bestimmungen des vorigen Titels § 9. zur Anwendung. Auch steht jedenfalls der Börse ein Retentionsrecht wegen der Niederlagsgebühren und Auslagen darauf zu.
Art. 510. Mäkler sind, wie oben gezeigt wurde zu Art. 478, im eigentlichen Sinne Beamte des Handelsstandes, und Börsenmäkler insbesondere Beamte der Börse, und werden daher zweckmässig von dem Börsenvorstande bestellt und in Pflicht genommen. Als Beamte der Börse sind sie zur Beobachtung der Börsenordnung und anderer Börsenvorschriften verpflichtet. Der Börsen vorstand hat nicht das Recht, einen Mäkler zurückzuweisen, der ein Mäklergewerbe käuflich oder sonstwie rechtmässig erworben hat und im übrigen die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt hat. Handelt es sich aber um die Creirung einer neuen Mäklerstelle, so ist dazu jedenfalls die Zustimmung des Börsenvorstandes nothwendig und derselbe hat unter etwaigen mehreren Bewerbern die Auswahl. Dem Börsenvorstände muss unzweifelhaft auch die Aufsicht über die Börsenmäkler zustehen.
Art. 511. Die Mäkler stehen nicht nur unter dem Börsenvorstande und den Börsenvorschriften, sondern sie sind auch der Mäklerordnung und der Ueberwachung des Mäklervorstandes unterworfen, wo eine besondere Mäklercorporation besteht. Daher darf zwischen beiden Theilen kein Widerspruch bestehen und es ist zweckmässig, dass immer ein Mitglied des Mäklervorstandes im Börsenvorstande vertreten sei, um die Interessen des Mäklergewerbes gebührend und rechtzeitig vertreten zu können. Dass der Börsenvorstand zugleich Mäklervorstand sei, scheint nicht empfehlenswerth, da die Interessen Beider nicht immer zusammenfallen werden. Im Zweifel werden jedoch die Interessen des gesammten Handelsstandes oder Handelszweiges denen der Mäkler vorgehen müssen. Kann nun eine gütliche Einigung nicht erzielt werden, so muss nach Art. 507 die Entscheidung der obersten Handelsbehörde angerufen werden.
Art. 512. Diese Bestimmung ist nothwendig, damit dem Bedürfniss einer raschen und vollständigen Abwicklung der Börsengeschäfte genügt werden kann. Es ist nicht zu fürchten, dass es je an der nöthigen Zahl tauglicher Bewerber fehlen wird, wenn das Mäklergewerbe einen lohnenden Erwerb sichert. Darauf ist mithin auch bei der Abfassung der Börsenordnungen und Mäklerordnungen angemessene Rücksicht zu nehmen. Nöthigenfalls können nach Art. 479 auch für die Untersuchung und Prüfung gewisser Artikel besondere Mäkler angestellt werden, namentlich in Verbindung mit den zu Art. 509 erörterten Börsen-Niederlagen. In Frankreich wurden z. B. durch Decret vom 15. Dec. 1813 besondere Weinprüfer, gourmets, piqueurs de vins, eingeführt, um die Qualität und gute Beschaffenheit der Getränke zu prüfen und darüber sachverständige Gutachten zu geben. Dergleichen könnten auch für Thee, Seide etc. eingeführt werden.
Art. 513. Die Börsenmakler sind als Mäkler in der Ausübung ihres Gewerbes nothwendig den gleichen allgemeinen Bestimmungen unterworfen, wie alle übrigen; insbesondere denen in Art. 488-502. Dadurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass durch Börsenvorschriften und specielle Mäklerordnungen, sowie durch Gesetze und Verordnungen den Börsenmäklern, wie überhaupt speciellen Classen von Mäklern besondere Pflichten auferlegt oder auch besondere Privilegien ertheilt werden, soweit das Handelsgesetzbuch dies zulässt. Unabhängig von solchen speciellen Rechtsvorschriften sind jedoch für die Börsenmäkler dieselben Grundsätze massgebend wie für Mäkler überhaupt.
Art. 514. Soweit nur die allgemeinen Interessen des Handels und Verkehres, sowie der Production in Frage stehen, werden Mäkler und Börsen unter der Oberaufsicht des Handelsministers stehen müssen; soweit die finanziellen Interessen der Regierung, insbesondere der Staatscredit und das Geldwesen, Papiergeld oder Banknoten, auch fremde Staatsobligationen, unter der Aufsicht des Finanzministers. In vielen Fällen werden die beiderseitigen Interessen zugleich vorliegen, so dass beide Centralbehörden gemeinsam vorzugehen haben. In dem Recht der Oberaufsicht liegt nicht blos das Recht der Ueberwachung und Untersuchung, sondern auch das Recht Verordnungen, Reglements und Instructionen zu erlassen, und etwaige Streitfragen zu entscheiden, soferne nicht die Jurisdiction der Gerichte begründet ist. Bei der Ausübung dieser Aufsicht sind jedoch die bestehenden Gesetze, insbesondere das Handelsgesetzbuch zur Richtschnur zu nehmen, und es dürfte die Rechtssphäre der Mäkler und Börsen nicht im Widerspruch mit den Gesetzen geschmälert werden.
§ 5. Commissionäre,
Art. 515. Ein Commissionär ist ein gewöhnlicher Kaufmann und wird nicht wie der Mäkler amtlich ernannt; er hat weder öffentliche Pflichten noch geniesst er öffentliche Glaubwürdigkeit. Er kann daher immer nur eine Partei in einem Geschäft vertreten, obwohl er die Aufträge vieler verschiedener Personen übernehmen und ausserdem auch auf eigene Rechnung Handel treiben kann.
Von dem Agenten unterscheidet sich der Commissionär dadurch, dass jener immer nur im fremden, dieser dagegen im eigenen Namen handelt, gleichviel ob das Factum der Commission und der Name des Committenten den dritten Personen bekannt oder selbst ausdrücklich genannt wurde oder nicht. Diese an sich äusserliche und mehr juridische Verschiedenheit hat einen tieferen inneren Grund. Der Agent, obgleich selbständig etablirt, ist doch nur ein passives Werkzeug für die Ausführung von Aufträgen, die ihm der Principal ertheilt, und welche in der Regel den eigentlichen Handelsoperationen vorangehen oder ihnen folgen, während der Handelsbetrieb selbst in den Händen des Principals bleibt. Der Agent gibt Information, hält Muster, oder auch Waarenlager, besorgt den Incasso, die Auslieferung der Waaren, betreibt Processe u. s. f. Das speculative und eigentliche Gebiet des Handels bleibt ihm verschlossen. Dagegen der Commissionär vertritt den Principal in der eigentlichen speculativen Sphäre, er führt Handelsoperationen für Andere aus, meist Käufe oder Verkäufe, und tritt daher dritten Personen gegenüber wie ein Principal auf. Die Natur seiner Operationen bringt es mit sich, dass er nach aussen völlig selbständig auftritt und sich weder ausdrücklich noch stillschweigend als Vertreter anderer Personen gerirt.
Dazu kommt übrigens, dass während die Agenten meist kleine und capitallose Geschäftsleute sind, das Commissionsgeschäft nicht selten von grossen Geschäftshäusern betrieben wird, die grössere Capitalien umsetzen, als ihre Committenten, und die Aufträge vieler Committenten in einem Gewerbe vereinigen. Das Commissionsgeschäft dient zur Centralisation des Handels, und ist ein Vereinigungspunkt sowohl für die Fabricanten einerseits, wie für die Käufer andererseits. Der Nutzen derselben tritt besonders beim Export- und Importhandel hervor, da es als Zwischenstufe des Absatzes zwischen fremden Ländern dient und die Bedürfnisse und Erfordernisse zur Steigerung der Einund Ausfuhr mittelst Concentration besser, und doch mit weniger Risiko zu befriedigen vermag. Mit allen übrigen Handels-Repräsentanten hat der Commissionär gemein, dass er nur eine Commissionsgebühr bezieht und das Risiko der Geschäfte selbst nicht trägt, ausser soweit er es ausdrücklich übernommen hat. Daher liegt es in seinem Interesse, möglichst viele Aufträge zu erhalten und anzunehmen, gleichviel ob sie reüssiren oder nicht, da er in allen Fällen seine Gebühr bezieht. Dies kann zur Corruption des Handels und zur Depression der Handelserfolge in hohem Grade beitragen, und es empfiehlt sich, die Verantwortlichkeit des Commissionärs strenge zu normiren, und ihm bestimmte Pflichten aufzuerlegen, auch zu dem Zwecke, um der leichtsinnigen Ausbreitung des Commissionshandels in den Händen mittelloser Anfänger entgegen zu wirken.
Der Commissionär ist eine Handelsperson, muss also auch die persönlichen Fähigkeiten zum Handelsbetrieb besitzen. Er muss eine Firma haben und registrirt werden. Es ist nicht nöthig, dass das Gewerbe ausdrücklich als Commissionsgewerbe bezeichnet werde, wenn es nur thatsächlich als solches betrieben wird. Einzelne Commissionsgeschäfte können übrigens von jedem Handlungshaus übernommen werden ; es gibt jedoch meist ständige Commissionsgewerbe, die den Commissionshandel als Regel oder ausschliesslich betreiben. Die Pflichten der letzteren sind ausgedehnter, als die der ersteren (Art. 528), obgleich in Bezug auf die einzelnen Commissions-Aufträge beide in der Hauptsache einander gleich stehen.
Commission bedeutet an sich nichts weiter wie Auftrag, und zwar im mercantilen Sprachgebrauch Auftrag in einer Handelsangelegenheit ; im engeren Sinne aber versteht man darunter den Auftrag an einen Commissionär.
Das Commissionsgeschäft setzt immer einen vorausgegangenen Vertrag voraus; es kann nicht als freiwillige Geschäftsführung für Andere in der Hoffnung nachfolgender Genehmigung betrieben werden. Der Vertrag hat die Natur eines Mandats oder Auftrags; regelmässig genügt die Ertheilung des Auftrages zur Begründung des Vertragsverhältnisses, da die Ablehnung desselben in den meisten Fällen nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen gestattet ist (Art. 522).
Der Commissionär kann zwar ausnahmsweise auch im fremden Namen Geschäfte machen, und es ist dies im Französ. Code de comm. Art. 94 (nach dem Gesetze vom 23. Mai 1863) ausdrücklich ausgesprochen. Allein dies ist immer nur ausnahmsweise der Fall, und wenn es geschieht, wird der Commissionär als gewöhnlicher Mandatar oder Agent behandelt. In diesem Falle streift also der Repräsentant die Eigenschaft eines Commissionärs ab, daher die Möglichkeit einer solchen Ausnahme nicht ausdrücklich ausgedrückt zu werden brauchte.
Der Handel „auf fremde Rechnung” bedeutet, dass der Gewinn oder Verlust daraus den Principal und nicht den Commissionär trifft, obgleich formell der letztere die Berechtigungen und Verpflichtungen daraus übernimmt. Der Principal kann auf diese Weise mit unbekannten Personen Geschäfte machen, und kann die Sorge dafür dem als Mittelsperson dienenden Commissionär überlassen, der jedoch ihm gegenüber alle Verpflichtungen eines Vertreters in Handelssachen, also im allgemeinen die höchste Sorgfalt zu erfüllen hat (Art. 394).
Art. 516. Diese Bestimmung folgt daraus, dass der Commissionär im eigenen Namen Handel treibt. Er tritt nicht als Vertreter anderer Personen auf, sondern mit seiner eigenen Firma, gleichviel ob jene wissen, dass es ein Commissionsgeschäft ist oder nicht. Das Geschäft ist daher in Bezug auf dritte Personen in jedem Falle rechtsgültig und verbindlich, gleichviel ob der Principal es gebilligt hat oder nicht. Es bedarf keiner vorherigen Ermächtigung und keiner nachträglichen Genehmigung des Principals. Denn der Commissionär wird daraus allein berechtigt oder verpflichtet (Art. 534), und es ist lediglich dessen Sache, sich mit dem Auftraggeber auseinanderzusetzen und dessen etwaiger Entschädigungsforderung zu genügen oder entgegenzutreten. Die Art, wie der Commissionär den Auftrag ausführt, kann dessen Rechnungsverhältniss mit dem Auftraggeber berühren, die Gültigkeit des Geschäfts für dritte Personen bleibt davon unberührt. Dies geht so weit, dass der Commissionär selbst zur Verpfändung von Commissionswaaren befugt ist, auch wenn der Committent hiezu keinen Auftrag ertheilte (Art. 435). Der Commissionär wird hinsichtlich der gutgläubigen Verfügung über die ihm anvertrauten Waaren dritten Personen gegenüber als Eigenthümer angesehen.
Art. 517. Diese Bestimmung bildet die nothwendige Ergänzung des vorigen Artikels. Obwohl der Commissionär dritten Personen gegenüber wie ein wirklicher Eigenthümer verfügen kann, ist er doch dem Committenten gegenüber als Vertreter verantwortlich. Er kann also in soweit nur verfügen, wie der Auftrag es ihm vorschreibt. Der einem Commissionär ertheilte Auftrag lässt aber in der Regel seiner freien Entschliessung weiten Spielraum, und er kann in der Regel innerhalb eines bestimmten Limitums sich frei bewegen wie ein Principal; daher auf die Umsicht, Geschicklichkeit, Gewissenhaftigkeit und den Fleiss eines Commissionärs viel ankommt. Der Commissionär ist nicht blos für Uebersehreitung eines Auftrages verantwortlich, sondern für jedes Verschulden, das er als Vertreter begeht, also überhaupt für Unterlassung der ihm obliegenden höchsten Sorgfalt, und muss dem Committenten jeden dadurch verursachten Schaden ersetzen.
Ein Commissionär kann auch einen Procuristen und Agenten bestellen, und ist natürlich für deren Fehler dem Committenten verantwortlich. Auch kann eine Handelsgesellschaft den Commissionshandel treiben; in diesem Falle wird die Gesellschaftsfirma verantwortlich sein, und im Falle einer Collectiv-Gesellschaft jeder Gesellschafter für die Handlungen aller übrigen Gesellschafter.
Art. 518. Wie bereits bemerkt, ist der Commissionär, obgleich an die Instructionen des Principals gebunden, auf dessen Rechnung und Gefahr alle Commissionsgeschäfte ausgeführt werden, doch innerhalb der ihm gezogenen Grenzen frei, nach seinem besten Ermessen zu handeln, und insoferne nach eigenem Urtheil Handel zu treiben. Es fragt sich nun, ob er diese Grenze nicht überschreiten darf, wenn er es für vorteilhafter hält. Diese Frage wird in dem Entwurfe dahin beantwortet, dass der Commissionär die ihm gezogene Grenze nicht überschreiten darf, sobald der Principal ihm dies ausdrücklich erklärt hat oder sonst den Umständen nach der Auftrag als ein absoluter von ihm verstanden werden muss. Denn wenn der Principal dadurch Schaden erleidet, so ist dies dessen eigene Sache, und der Commissionär kann niemals verantwortlich sein, wenn er sich auf einen derartigen Auftrag zu berufen vermag. In diesem Falle kann der Commissionär seine Uebersehreitung des Auftrages nicht etwa dadurch rechtfertigen, dass er nachweist, der Principal habe davon Vortheil gehabt, während die buchstäbliche Ausführung seines Auftrages ihm weniger Gewinn oder vielleicht positiven Verlust gebracht hätte. Wollte man den Commissionären diese Freiheit einräumen, so würde ihre Stellung als Vertreter gefälscht und das Recht der Principale, bindende Instructionen zu ertheilen, illusorisch. Uebrigens kann ein Principal vom Standpunkte seiner gesammten Geschäftsführung aus Gründe haben, selbst auf niedrigerem Verkaufspreis oder auf ungünstigerem Zeitpunkte zu bestehen und er ist nicht verpflichtet, den Commissionär in alle seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen. Die Regel also muss feststehen, dass der Commissionär an absolute Instructionen in jedem Falle gebunden ist. Anders steht es, wenn der Auftrag keine solche absolute Verpflichtung enthält. Hier darf der Commissionär davon abweichen, allein nur unter einer doppelten Voraussetzung, einmal muss die Abweichung unvermeidlich sein und zweitens, der Principal muss dadurch vor grösserem Schaden bewahrt werden. Dies ist in den Gesetzen ziemlich allgemein anerkannt, obgleich es nicht immer mit gleicher Bestimmtheit ausdrücklich ausgesprochen ist. Im Code civ. Art. 1989 ist zwar die allgemeine Regel, wie vorhin, ausgesprochen, allein man ist auch in Frankreich einverstanden darüber, dass der Commissionär unter Umständen von seinem Mandat abgehen darf. Bravard II. p. 259. Der Art. 1992 schreibt nur vor, dass der Mandatar auch für die von ihm begangenen Versehen verantwortlich ist; allein damit kann sehr wohl bestehen, dass der Commissionär gerade um keinen Fehler zu begehen, in die Lage kommen kann, den Auftrag überschreiten zu müssen. Z. B. eine Waare soll zu einem bestimmten Preis verkauft werden. Allein sie kommt zu spät an, nachdem die günstigste Zeit vorüber ist, und der Commissionär weiss, dass der limitirte Preis nicht mehr zu erreichen ist. Im nächsten Jahre wird vermuthlich die Mode wechseln und die Waare ganz unverkäuflich sein. In solchen Fällen hat der Commissionär nur die Wahl, entweder zum Schaden des Principals die Waare zurückzuschicken, oder sie so gut als möglich noch zu verkaufen, wenn gleich niedriger als der Principal hoffte. Bei Waaren, die keinem Verderb oder keiner Mode ausgesetzt sind, kann er allerdings längere Zeit warten, obgleich dadurch die Kosten etc. vermehrt werden. Nach der im Entwurf aufgestellten Regel darf der Commissionär die Waare auch niedriger verkaufen, wenn es ihm nicht ausdrücklich verboten ist; ja er muss es sogar, wenn die Zurücksendung der unverkauften Waare dem Principal noch mehr Schaden gebracht hätte. Es bleibt also für den Commissionär ein weites Feld freier Entschliessung offen, und er muss immer diejenige treffen, welche für den Principal am günstigsten ausfallt und für welche ihn nicht der Vorwurf der Nachlässigkeit oder Ungeschicklichkeit treffen kann.
Die Frage, wann ein absoluter Auftrag vorliegt oder nicht, kann nur reine Thatfrage sein. Entweder hat sich der Principal darüber ausdrücklich erklärt, dann ist jeder Zweifel gehoben: oder er hat dies nicht gethan, dann fragt sich, ob es irgendwie stillschweigend geschehen ist. Der Commissionär muss auch in diesem Fall gewissenhaft prüfen, und wenn er sich über den Sinn des ihm ertheilten Auftrages irrt, dann fragt es sich blos, ob dieser Irrthum zu entschuldigen ist oder ob ihm dabei ein Verschulden zur Last fällt. Und hiernach wird dann auch seine Haftung zu beurtheilen sein. D. H. G. B. Art. 363. Span. H. G. B. Art. 129.
Uebrigens gehört es zu den Pflichten des Commissionärs, mit dem Principal in Correspondenz oder telegraphischen Verkehr zu treten, und nöthigenfalls auf Grund der erforderlichen Informationen neue Instructionen zu erbitten. Die eigenmächtige Ueberschreitung durch den Commissionär setzt also immer voraus, dass eine vorherige Verständigung mit dem Principal den Umständen nach nicht möglich oder angemessen war.
Es gibt ausserdem noch einen Fall, in welchem der Commissionär im Widerspruch mit dem ihm gegebenen Auftrag verkaufen darf, nämlich in seinem eigenen Interesse. Wenn der Principal ihm für etwaige Vorschüsse auf Waaren und für andere Forderungen nicht anderweitige Deckung verschafft, so kann er die Waare, auch wenn sie zu dem gesetzten Preise unverkäuflich wäre, zu dem niedrigeren Preise verkaufen, um sich selbst Befriedigung zu verschaffen. Dies fällt jedoch unter einen anderen Gesichtspunkt, nämlich unter die Ausübung des ihm zustehenden Retentionsrechtes nach Art. 535.
Art. 519. 520. Die in diesen Artikeln enthaltenen Bestimmungen sind nur weitere Consequenzen der in dem vorigen Artikel enthaltenen Grundsätze. Der Commissionär muss sich immer als Vertreter der Interessen des Principals betrachten, und darf die ihm durch den Auftrag gezogene Grenze nicht so betrachten, als könnte er darüber hinaus das Geschäft zu seinem eigenen machen. Gesetzt er verkauft niedriger, als der Principal es vorschrieb ; hier ist er entweder von Verantwortlichkeit frei, wenn nach Art. 518 die Ueberschreitung des Auftrages zu rechtfertigen ist, oder er ist nicht frei, wenn der Auftrag absolut war oder sonst ihn ein Verschulden trifft. Diese Verantwortlichkeit kann er nicht einfach abkaufen, dadurch dass er den Unterschied des Preises etc. auf eigene Rechnung übernimmt. Diese Ansicht ist schon desshalb vorzuziehen, weil sie die natürliche Consequenz des umgekehrten, in Art. 520 behandelten Falles ist. Wenn der Commissionär seine Verantwortlichkeit einfach durch Erlegung der zum Nachtheil des Principals bewirkten Preisdifferenz beseitigen könnte, dann könnte er auch auf die vortheilhafte Preisdifferenz gerechten Anspruch erheben; eines würde gegen das andere sieh compensiren. Also wenn es ihm gelänge, höher zu verkaufen oder niedriger einzukaufen, als der Principal limitirte, dürfte er den hiedurch gewonnenen Preisunterschied für sich behalten. Letzteres wäre aber offenbar unzulässig, denn der Commissionär kann nicht theilweise auf eigene Rechnung operiren, obwohl es in der Praxis des Handels nicht selten geschieht. D. H. G. Buch Art, 372. Span. H. G. B. Art. 140. Man bedient sich der Mitwirkung eines Commissionärs, um von dessen Dienstleistung Vortheil zu haben ; der Commissionär kann nicht zu gleicher Zeit Stellvertreter des Principals sein und auf“ eigene Rechnung speculiren. Wollte man dies dem Commissionär zugestehen, so wäre für die Commissionsgebühr kein Rechtsgrund mehr vorhanden. Man muss auf diesen Grundsätzen fest bestehen, um Treu und Glauben aufrecht zu halten und das Commissions-geschäft nicht zu einer Quelle der Ausbeutung werden zu lassen.
Art. 521. Auch die in diesem Artikel ausgesprochenen Grundsätze sind ziemlich allgemein anerkannt. Sie folgen daraus, dass der Commissionär in Bezug auf die ihm an vertrauten Waaren den Principal in jeder Beziehung zu vertreten hat. Sind sie also vom Transport beschädigt angekommen, so muss er die etwa zulässigen Reclamationen gegen den Frachtführer erheben, und sonst die etwa angemessene Reparatur oder Veräusserung vornehmen. Auch muss er die Güter in angemessener Weise auf bewahren oder einer Niederlage übergeben, und muss jeder Beschädigung oder dem inneren Verderb der Güter vorbeugen. Dies ist bei Weinen, Bieren etc. von besonderer Wichtigkeit. Für den Verkauf oder Einkauf muss er die günstigste Gelegenheit nicht blos abwarten, sondern selbst aufsuchen und alles durch den Handelsgebrauch gebotene vornehmen, um für den Principal die günstigsten Bedingungen zu erzielen. Als Regel wird auch angenommen, dass der Commissionär zur Versicherung der Güter berechtigt und verpflichtet sei, wenn die Umstände dies erheischen, auch wenn der Principal ihm dazu keinen besonderen Auftrag ertheilte. Dies erscheint richtiger, als die entgegengesetzte Bestimmung des Deutschen H. G. Buch Art. 367, da der Principal, zumal wenn er entfernt wohnt, nicht selbst über diesen Punkt endgültig urtheilen kann, und die Versicherung der Güter auch im eigenen Interesse des Commissionärs liegt.
Art. 522. Durch diese Bestimmung wird der Commissionär einem öffentlichen Frachtführer gleichgestellt, und es entspricht diese Gleichstellung auch der modernen Handelspraxis, jedoch nur in Bezug auf ständige Commissionäre, die ihr Geschäft als solches der Handelswelt bekannt gegeben haben oder thatsächlich betreiben. In älterer Zeit war man sogar der Ansicht, dass zwischen Kaufleuten überhaupt Commissionen nicht abgelehnt werden dürften; doch beschränkt man dies jetzt nur auf Commissionshäuser, weil diese aller Welt ihre Dienste anbieten und durch ihr ständiges Anerbieten die Vermuthung der Annahme ihnen zugehender Aufträge ein für allemal begründen.
Dieser Grundsatz ist in der Französ. Jurisprudenz anerkannt, wenngleich in keinem Gesetze ausdrücklich ausgesprochen. Er findet sich nicht in dem Deutschen H. G. Buch. Im Sphanischen II. G. B. Art. 126 nur für die Ausführung eines angenommenen Auftrages. Die Annahme oder Ablehnung steht hier dem Commissionär frei, er wird aber dadurch nicht von allen Verpflichtungen gegen den Auftraggeber befreit, und muss insbesondere die Ablehnung umgehend anzeigen, widrigenfalls er dem Auftraggeber für allen Schaden haftbar bleibt (Art. 120. 121). Ebenso ist es nach dem Ital. H. G. Buch Art. 72. Für Japanische Verhältnisse erscheint wegen der grossen räumlichen Ausdehnung des Landes und der noch wenig entwickelten Verkehrsmittel der Grundsatz des Französ. Rechts am angemessensten.
Art. 523. Diese Bestimmung schliesst sich unmittelbar an die vorausgehende an und entspricht den Vorschriften der übrigen Gesetzgebungen. Der Commissionär ist nicht verpflichtet, dem Auftraggeber Credit zu geben ; er darf aber andererseits denselben nicht unnöthig in Schaden bringen. Er muss daher ohne Verzug die Ablehnung des Auftages anzeigen, und in der Zwischenzeit dafür Sorge tragen, dass die Güter nicht beschädigt werden.
Art. 524. Der Credit ist immer freiwillig, und Niemand ist verpflichtet, gegen seinen Willen Anderen sein Capital zur Verfügung zu stellen, soferne er sich nicht selbst dazu bereit erklärt hat. Es kommt indessen sehr häufig vor, dass Commissionäre auf die ihnen zugesandten Waaren Vorschüsse geben, und wenn ein Commissionär dies regelmässig thut, wird seine Pflicht umgehender Anzeige der Ablehnung (Art. 327), im Falle er einzelnen Personen gegenüber darauf nicht eingehen will, auch hierauf gerichtet sein. Wenn der Commissionär zwar den ihm gegebenen Auftrag annehmen will, aber ohne Vorschussleistung, so ist dies als Ablehnung des ganzen Auftrages anzusehen, soferne der Auftraggeber nicht auf diese Beschränkung seines Auftrages eingehen will (Art. 337).
Andererseits bringt es die Natur des Commissionsgeschäfts mit sieh, dass der Commissionär Befugniss haben muss, auf Rechnung des Committenten Credit zu geben, sei es durch förmliche Vorschüsse, sei es durch Gewährung von Zahlungsfristen. Dies versteht sich von selbst, wenn der Committent hiezu ein für allemal, oder im einzelnen Falle, seine Ermächtigung ertheilt hat. Aber auch ohne solche Ermächtigung ist der Commissionär dazu befugt, wenn es der Handelsgebrauch so mit sich bringt, da sonst in vielen Fällen Geschäfte gar nicht zu Stande kommen würden. In den meisten Handelszweigen, wenn nicht ausnahmsweise das Geschäft au comptant ist, beobachtet man bestimmte Fristen für die Ablieferung der Waare und die Entrichtung des Preises, und der Käufer hat, wenn er früher zahlt, Anspruch auf einen Disconto. Unter diesen feststehenden Bedingungen, die sich stillschweigend verstehen, kann auch der Commissionär abschliessen, ebenso wie der Committent selbst daran gebunden gewesen wäre. Nur darf der Commissionär nicht ohne solchen Gebrauch, oder darüber hinaus, Frist gewähren; sonst geht das Geschäft auf seine Gefahr. Es ist auch nicht selten, dass mit Rücksicht auf einen künftigen Kauf und resp. Verkauf Vorschüsse gegeben werden, oft an den Producenten, der mit Hülfe der empfangenen Vorschüsse erst die Waaren producirt. Wo dies üblich ist, kann es auch der Commissionär auf Rechnung des Committenten bewilligen, Für das Risiko, welches der Committent hiedurch läuft, erhält er eine Entschädigung entweder in niedrigerem Preise oder überhaupt in der Möglichkeit die betreffenden Geschäfte zu machen.
Es versteht sieh übrigens von selbst, dass der Commissionär auch im Falle ausdrücklicher Vereinbarung nicht ferner verbunden ist zu Vorschüssen an den Committenten oder auf dessen Rechnung, wenn derselbe überhaupt keinen Credit mehr hat oder sich in zweifelhaften Umständen befindet.
Art. 525. Wenn der Commissionär dritten Personen unbefugter Weise Credit gibt, haftet er dem Committenten unter allen Umständen, soferne dieser hiedurch in Schaden kommt.
Hält er sich aber innerhalb der ihm ertheilten Ermächtigung oder des Handelsgebrauches, so haftet er nur, wenn ihn ein Verschulden trifft, d. h. wenn er Personen Credit gab, denen er vorsichtiger Weise keinen geben durfte. Er muss also in jedem Falle die Zahlungsfähigkeit dritter Personen prüfen, und darf sich nicht leichtsinniger Weise in Geschäfte einlassen, die ein sorgfältiger Geschätsmann nicht eingehen würde. Er haftet aber in diesem Falle nur für den dem Committenten zugefügten Schaden, also nur bis zum Betrage des Preises, den er von zahlungsfähigen Personen hätte erlangen können. Hat er z. B. an einen Schwindler zu unvernünftig hohem Preise verkauft, so haftet er nur für den vernünftigen und angemessenen Preis, denn nur um diesen ist der Committent beschädigt. Wenn aber wider Erwarten ein solcher Käufer den vollen Preis entrichten würde, so muss er nach Art. 520 diesen ganz dem Committenten in Rechnung stellen.
Wenn der Commissionär aber für den dritten Contrahenten ausdrückliche Haftung übernimmt, so wird er dadurch dem Committenten unter allen Umständen verantwortlich, und zwar unmittelbar und unbedingt wie ein Bürge nach Art. 333. Er haftet jedoch nur in derselben Weise, wie der Dritte selbst gehaftet hätte; er kann sich also aller Einreden bedienen, die diesem aus dem Geschäfte selbst zugestanden wären, z. B. wegen ungenügender Qualität der Waare. Auch haftet er nur theilweise, wenn er das Del-credere nur für einen Theil der Schuld übernommen hat.
Art. 526. Der Committent kann seinen Auftrag jederzeit widerrufen, da er auf seine Rechnung geht und allen Schaden des Widerrufs übernehmen muss. Er ist jedoch verpflichtet, den Commissionär für die bereits von diesem geleisteten Dienste und Auslagen verhältnissmässig zu entschädigen und dessen auftragsgemäss bis dahin vorgenommene Handlungen anzuerkennen.
Das Recht des Commissionärs zur Kündigung eines angenommenen Auftrags unterliegt ganz denselben Grundsätzen, wie die Annahme eines Auftrages. Wenn er also unbefugt kündigt, bleibt er dem Committenten nichts destoweniger für die Ausführung des Auftrages voll verhaftet. Wenn er befugter Weise kündigt, muss er dies nach den im Art. 523 gegebenen Vorschriften thun und bleibt dem Committenten bis zu dessen weiterer Verfügung für die Erhaltung der Waaren und für die Vertretung seiner Interessen verantwortlich.
Art. 527. Dass eine Commission durch den Bankerott eines der beiden Theile sich endigt, ist klar, weil dadurch die selbständige Verfügung verloren geht. Nach civilrechtlichen Grundsätzen endigt ein Mandat auch durch den Tod einer Partei von selbst, weil man es als ein persönliches Vertrauensverhältniss betrachtet. Allein im Handel bestehen die Geschäftsbeziehungen nicht sowohl von Person zu Person, als von Gewerbe zu Gewerbe, und in der Regel wird ein bestehendes Gewerbe im Todesfall von einem Nachfolger übernommen und fortgeführt. Man kann nun einem solchen Nachfolger das Vertrauen versagen und die früheren Geschäftsbeziehungen abbrechen und auf Andere übertragen. Nothwendig ist dies aber nicht, und es geschieht auch sehr häufig nicht. Man muss daher die Entschliessung in solchem Falle den Betheiligten anheimgeben, und es erscheint passender, an einen Todesfall nur das Recht der freien Kündigung zu knüpfen. Im Span. Gesetzbuch Art. 145 ist dies nur in Bezug auf den Committenten anerkannt, es besteht aber kein genügender Grund, es nicht auch auf den Commissionär auszudehnen.
Dem Tod steht jedes andere Ereigniss gleich, welches zur persönlichen Fortführung des Gewerbs unfähig macht, z. B. Wahnsinn, Krankheit, Einkerkerung, Veräusserung des Gewerbs u dgl. In solchen Fällen können die Nachfolger und bez. Bevollmächtigten entweder selbst kündigen, oder sie müssen dem Gegentheil ungesäumt Nachricht geben, damit dieser allenfalls von dem Recht der Kündigung Gebrauch machen kann.
Art. 528. Ein Commissionär hat, wie ein Agent, die vollen Rechte eines unabhängigen Handelsmannes, und kann daher nach seinem Ermessen auch Geschäfte auf eigene Rechnung machen. Nur darf er desshalb nicht die Rechte und Interessen seiner Committenten verletzen oder vernachlässigen. Er bleibt also in jeder Beziehung seinen Committenten ebenso verantwortlich, wie wenn er nur auf deren Rechnung Geschäfte machte. Auch ist er nicht gehindert, mehreren Committenten gleichzeitig zu dienen. Dass nichtständige Commissionäre zur Annahme von Aufträgen nicht verpflichtet sind, erklärt sich aus den früheren Bemerkungen, insbesondere zu Art. 522. Die Vorschriften des Art. 523 bleiben jedoch für solche Commissionäre durchaus verbindlich.
Art. 529. Die Bestimmung dieses Artikels ist verhältnissmässig neu, und steht mit den civilrechtlichen Grundsätzen des Mandats im Widerspruch. Code civ. Art. 1596. Sie findet sieh aber bereits im Deutschen H. G. B. Art. 376, und im Spanischen Art. 161. Der Unterschied zwischen den beiden zuletzt genannten Gesetzgebungen ist nur der, dass die letztere die ausdrückliche Zustimmung des Committenten zur Bedingung macht, die erstere dagegen ein ausdrückliches Verbot des Committenten verlangt, um dem an sich von selbst bestehenden Recht des Cominissionärs die Ausübung zu entziehen. In der Praxis des Handels herrscht unzweifelhaft der letztere Gesichtspunkt vor, und der Entwurf ist daher diesem gleichfalls gefolgt. Demnach kann der Commissionär—ausgenommen der Committent erklärt das Gegentheil—die Waaren, deren Verkauf ihm aufgetragen ist, selbst kaufen, und diejenigen, deren Einkauf ihm aufgetragen wird, selbst an den Committenten verkaufen; in beiden Fällen also macht der Commissionär, anstatt mit dritten Personen, mit sich selbst die ihm aufgetragenen Geschäfte, und sie gehen insoferne auf der einen Seite auch auf seine eigene Rechnung, während sie andererseits nach wie vor auf Rechnung des Committenten verbleiben, Strenge genommen, wird hiedurch die Mandatsstellung des Commissionärs aufgehoben und er wird einfacher Käufer oder Verkäufer gegenüber dem Committenten. Allein die im Handelsrecht so oft hervortretende Elasticität der Rechtsbegriffe hat es dahin gebracht, dass man in der Person des Cominissionärs die beiden Stellungen, nämlich Mandatar einentheils, und Käufer oder Verkäufer anderntheils, zulässt, so dass der Commissionär insoferne zwei rechtliche Personen in sich vereinigt. Man kann dies so erklären, dass der Commissionär, der verschiedener Aufträge im Lauf eines Jahres gewärtig sein muss, dieselben im voraus ausführen kann, und daher zwar immerhin Geschäfte auf eigene Rechnung macht, aber nur in Vorbereitung der zu erwartenden Aufträge Anderer. Es entspricht dem Handelsinteresse der Committenten, wenn Commissionäre im voraus Lager halten für Sachen, deren Ankauf ihnen aufgetragen werden wird, und wenn sie gleichwohl noch ausser dem gewöhnlichen Preise die üblichen Commissionskosten entrichten müssen, so werden sie dafür durch prompte Bedienung, und reiche Auswahl, wohl auch durch die Qualität der Waaren und die pünktliche Ausführung ihrer Ordres entschädigt. Derartige Commissionshäuser arbeiten in der Regel mit grossen Capitalien und mit Hülfe der höchsten Intelligenz und können ihren Committenten alle Vortheile des Grossbetriebs zuwenden. Aehnlich verhält es sich beim Ankauf der Commissionswaaren durch die Commissionshäuser selbst und es ist dies überhaupt nur die andere Seite der eben geschilderten Geschäftsverhältnisse, mit besonderer Beziehung auf Producenten und Fabrikanten. Wie der Handel sich heutzutage gestaltet hat, wird dieses Selbsteintreten der Commissionshäuser in die Handelsoperationen sogar als Regel anzusehen sein. Es ist diese Praxis auch insoferne von Vortheil für den Committenten, als der Commissionär die zu erwartenden Aufträge im voraus theilweise ausführt, um nachher schneller zu Ende zu kommen, was bei den sog. Modewaaren oder Saisonwaaren von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Z. B. der Commissionär hält sich ungefärbte Stoffe auf Lager, um sie nach Inhalt der eintreffenden Ordres, ohne Verzug mit den ihm angegebenen Modefarben oder Mustern bedrucken zu lassen. Bei den manichfaltigen Combinationen, welche die moderne Handelsconcurrenz über die ganze Welt hin hervorbringt, muss es dem Commissionär überlassen bleiben, wie weit er die ihm zugehenden Aufträge auf eigene Rechnung ausführen will, ob ganz oder nur theilweise u. s. w.
Der Committent kann dem Commissionär die Ausführung auf eigene Rechnung untersagen, oder er kann ihm ein Limitum des Preises stellen; er kann auch, wenn er es nicht untersagen will, das Geschäft frei von Commissionsgebühr bedingen. Ist dem Commissionär keine Preisgrenze gesetzt, so ist er dennoch gebunden, das Interesse des Committenten wie sonst zu vertreten, er muss daher die durch den jeweiligen Marktpreis gezogene Grenze einhalten. Auch der Widerruf des Auftrages steht dem Committenten hier nach den gewöhnlichen Grundsätzen (Art. 526) zu.
Art. 530. Die blosse Anzeige der Annahme des Auftrages genügt hier, weil der Commissionär das Geschäft auf eigene Rechnung übernimmt, mithin sein Consens zur Abschliessung des Geschäfts ausreicht, wie bei einem gewöhnlichen Käufer oder Verkäufer. Zwischen Abwesenden kommt in diesem Falle die Regel des Art. 340 zur Anwendung. Von dem Zeitpunkt der Annahme resp. der Erklärung derselben mittelst Absendung an ist sodann der Widerruf des Committenten ausgeschlossen.
Art. 531. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht den gewöhnlichen Regeln über Stellvertretung.
Art. 532. Bei Einkaufs—Commissionen ist der Commissionär an sich zu nichts weiter verpflichtet, als zur Abschliessung des Einkaufs—Geschäftes und Uebernahme der Waaren auf Rechnung des Committenten, und es ist Sache des letzteren, darüber weiter nach seinem Ermessen zu verfügen. Die Absendung der Waaren an den Committenten oder an irgend eine weitere Adresse versteht sich nicht von selbst, der Commissionär braucht die Waaren auch nicht aus den Händen zu geben, ehe er für seine Forderung an den Committenten Befriedigung erhalten hat. Ohne solche ist er nicht gehalten, die Waaren nach Ordre des Committenten weiter zu geben, er kann sich vielmehr durch deren Verkauf selbst bezahlt machen. Mit einem desfallsigen Auftrag des Committenten wird derselbe daher immer die Anweisung der dem Commissionär gebührenden Befriedigung verbinden müssen.
Art. 533. Wenn der Commissionär den ihm ertheilten Auftrag überschreitet und diese Ueberschreitung nicht zu rechtfertigen vermag (Art. 518), braucht der Committent das von ihm abgeschlossene Geschäft nicht anzuerkennen, und kann von dem Commissionär vollen Schadensersatz fordern. Allein das Geschäft selbst bleibt nichts desto weniger gültig, nur muss es der Commissionär auf seine eigene Rechnung übernehmen. Der letztere bleibt also dem dritten Contrahenten unter allen Umständen verantwortlich, sowohl wenn er verkauft als wenn er gekauft hat. Diese Grundsätze sind überall anerkannt und folgen daraus, dass der Commissionär auf eigenen Namen abschliesst und die dritte Person von dem Commissions-verhältniss gar nichts zu wissen braucht. Zu dritten Personen steht der Committent in keiner Rechtsbeziehung, er hält sich lediglich an den Commissionär, mag dieser auftragsgemäss gehandelt haben oder nicht. D. H. G. B. Art. 360. Span. H. G. B. Art. 119. Es verhält sich hier also anders, wie im Falle gewöhnlicher Stellvertreter oder Agenten oder Mäkler, wo das moderne Princip der commerciellen Stellvertretung zum Vortheile der Principale strenge durchgeführt wird.
Der Commissionär kann die ihm anvertrauten Waaren sogar verpfänden, und zwar auf eigene Rechnung, obgleich dies seine Haftung gegen den Committenten natürlich nicht ausschliesst, um so mehr als dies deren Verkauf durch den Commissionär nicht verhindert. und der letztere ja auch möglicher Weise im Vorschuss zum Committenten steht. Allein in diesem Falle hat der Committent nach Art. 436 ein Einlösungsrecht gegen volle Befriedigung des Pfandgläubigers.
Dass die von dem (Jommissionär abgeschlossenen Geschäfte auch dann gültig sind und nur Rechte und Pflichten zwischen diesem und den dritten Personen erzeugen, wenn der Committent sie anerkennen muss, versteht sich von selbst, und wurde bereits zu Art. 515 erörtert.
Art. 534. Die in diesem Artikel ausgesprochenen Grundsätze sind gleichfalls überall anerkannt. Bravard II. p. 272 ff. Deutsches H. G. B. Art. 360. 368. Ital. H.G. B. Art. 70. Indessen darf der Committent hiedurch nicht in Nachtheil gebracht werden, und es werden ihm daher regelmässig gewisse Rechte gegen den dritten Contrahenten zugestanden.
Einmal kann er die auf seine Rechnung erworbene Forderung des Commissionärs unmittelbar geltend machen, wenn dieser sie ihm abgetreten hat, Dass er die Abtretung verlangen kann, wenn der Commissionär seiner Verpflichtung nach Art. 531 nicht genügt, unterliegt keinem Zweifel.
Sodann kann er unmittelbar auftreten, wenn der Commissionär zahlungsunfähig geworden ist. Er braucht in diesem Falle nicht wie die übrigen Gläubiger als Massegläubiger aufzutreten, er kann die auf seine Rechnung entstandenen Forderungen des Commissionärs, da sie in Wirklichkeit ihm gehören, auch aus eigenem Rechte geltend machen. D.H.G.B. Art. 368. Bravard II. p. 277. Er kann also den Kaufpreis für seine Waaren, soweit er noch nicht bezahlt oder sonst erledigt ist, unmittelbar gegen den Käufer einfordern. Auch entspricht es den gleichen Rücksichten der Billigkeit, dass der Committent seine noch beim Commissionär befindlichen Waaren, ebenso wie deren noch nicht gezahlten Preis von dem Dritten als Eigenthümer revindiciren kann. Code de com. Art. 587.
Die gleichen Rechte stehen nicht auch umgekehrt dritten Conirahenten gegen den Committenten zu. Ein dritter Verkäufer kann mithin zwar den Kaufpreis gegen den Committenten einklagen, wenn der Commissionär ihm diese Klage abgetreten hat, aber nicht wenn der letztere in Bankerott gerathen ist; und zur Abtretung der Forderung des Commissionärs gegen den Committenten ist der erstere an und für sich nicht verpflichtet. Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, dass zwischen dritten Contrahenten und dem Commissionär kein Commissionsverhältniss besteht, mithin diese theilweise Unmittelbarkeit der Forderungen und Verbindlichkeiten durch die Rücksichten der Stellvertretung nicht gerechtfertigt werden könnte.
Uebrigens sind die in diesen Fällen dem Committenten unmittelbar zustehenden Forderungen rechtlich als Forderungen des Commissionärs zu beurtheilen; daher kann der dritte Contrahent gegenüber dem Committenten alle diejenigen Einwendungen und Einreden, mit Einschluss der Compensation, Vergleich etc., gebrauchen, die er gegen den Commissionär selbst hätte gebrauchen können. Denn er kann gerechter Weise nur insoweit als Schuldner des Committenten behandelt werden, als er kein Interesse hat, als Schuldner des Commissionärs behandelt zu werden.
Art. 535. Die Bestimmungen dieses Artikels entsprechen den gewöhnlichen Grundsätzen über die Remuneration commercieller Stellvertretungsdienste und wurden bereits zu Art. 402 und 477 erörtert. Insbesondere ist den Anspruch auf die Delcredere—Provision überall anerkannt. Auch darüber, dass dem Commissionär ein besonderes und allgemeines Retentionsrecht zusteht, so lange er die Sachen des Committenten noch in Händen hat oder darüber actuell zu verfügen vermag, herrscht in der Jurisprudenz kein Zweifel.
Art. 536. Unter Ausführung des Auftrages ist hier, analog wie bei der Mäklergebühr, der Regel nach nur die vollständige Durchführung, nicht schon der blosse Abschluss des betreffenden Geschäfts zu verstehen, damit der Commissionär durch sein Interesse bis zum Schluss an das Geschäft gebunden bleibt. In der Regel kann daher die Commissionsgebühr nur nach erfolgter Erfüllung gefordert werden, und wenn die Erfüllung durch Schuld des Commissionärs nicht erfolgt, ist sein Anspruch verloren. Würde der Committent den Auftrag zurücknehmen, so wäre der Commissionär verhältnissmässig zu entschädigen, da er inzwischen immerhin im Interesse des Committenten thätig gewesen sein wird. Wenn die Erfüllung ohne Verschulden des Committenten unterbleibt, ist es zweckmässig, ihm nur einen Theil, und höchstens die Hälfte der gewöhnlichen Commissionsgebühr zuzugestehen, da er dadurch zur höchsten Vorsicht und Sorgfalt angespornt wird. Insoweit erscheint es angemessen, das Risiko solcher Geschäfte zwischen dem Commissionär und dem Committenten zu theilen, was insbesondere auch in den Fällen des Art. 518 am Platze sein wird.
Art. 537. Die in diesem Artikel enthaltenen Grundsätze sind nothwendige Consequenzen des in der modernen Gesetzgebung allgemein adoptirten Markenschutzes. Die Marke bezeichnet einen gewissen Händler oder Producenten und damit einen gewissen Ursprung der Waaren, und dient indirect als Sicherheit für eine gewisse Qualität der Waaren selbst. Es soll nun mit Marken kein Betrug getrieben, und anerkannte, courante Marken sollen nicht auf Waaren von verschiedener, namentlich geringerer Qualität gesetzt werden. In einem Commissionsgeschäfte laufen eine Menge Waaren zusammen von den verschiedensten Fabrikanten und Kaufleuten. Man kann es nun dem Commissionär nicht verwehren, auf seine Commissionswaaren seine eigene Cornmissionsmarke zu setzen, da er ihnen die Autorität seiner Firma verleiht und ordentlicher Weise für ihre Qualität eine gewisse Bürgschaft übernimmt. Mit schlechten Waaren wird sich ein gewissenhafter Commissionär nicht befassen ; er muss sie zurückweisen, wenn sie der von ihm übermittelten Ordre nicht entsprechen. Werden ihm aber Waaren geringerer Qualität zum Verkaufe übersandt, so darf er ihnen nicht unterschiedslos dieselbe Marke aufdrücken, wie auf Waaren besserer Qualität. Seine Marke darf er also nicht missbrauchen, um Andere damit irre zu führen. Daher wurde im Entwurfe auch die sehr zweckmässige Bestimmung des Span. H. Gesetzbuches adoptirt, dass der Commissionär Waaren, die einen verschiedenen Ursprung haben und desshalb auch vermuthlich von verschiedener Qualität sind, nicht unterschei-dungslos nur seine eigene Marke oder Firma aufdrücken darf.
Unter fremden Marken oder Firmenzeichen sind in dem Zusammenhang dieses Artikels solche zu verstehen, die auf die betreffenden Waaren nicht gesetzt werden dürfen, weil ihnen dadurch ein anderer als der wirkliche Ursprung beigelegt werden würde. Auf Waaren die von der Firma A herstammen, darf er daher nicht eine der Firma B angehörende Marke setzen und für seine eigenen Waaren darf er nicht die Marke irgend einer anderen Firma gebrauchen.
Es ist in allen Fällen gleichgültig, ob die Marke auf die Waaren selbst oder auf deren Umhüllung. Verpackung etc. gesetzt wird.
Art. 538. Dieser Artikel hat zunächst den Zweck, die Ueber-tretung des Musterschutzes durch Commissionäre zu verhüten. Nach manchen Gesetzgebungen, z. B. der Deutschen und Oesterreichischen wird nur die widerrechtliche Nachahmung fremder Muster, oder doch nur der Verkauf der hiernach angefertigten Waaren bestraft, während die intellectuelle Verletzung fremder Musterreehte nicht bestraft wird. Letzteres ist allerdings in anderen Gesetzgebungen verboten, so in der Englischen und Französischen. Der Entwurf schliesst sich in dieser Beziehung den letzteren Gesetzgebungen an, doch sind die näheren Bestimmungen darüber, insbesondere die Strafbestimmungen der Gesetzgebung über das Musterrecht selbst vorzubehalten. Es wird in diesem Artikel nur verordnet, dass der Commissionär auch seinem Auftraggeber gegenüber verpflichtet ist, die Grundsätze des Musterschutzes einzuhalten, und dass letzterer, soweit er nichts anderes vorher ausdrücklich genehmigt hat, ein Recht darauf hat, dass seine Aufträge nach gewissen Mustern auch durch denjenigen Fabrikanten oder Producenten ausgeführt werden, von dem die Muster herrühren. Es kommt nämlich nicht selten vor, dass Commissionäre durch Versendung von Mustern oder ganzen Mustercollectionen sich Aufträge verschaffen, und diese Aufträge dann von anderen Fabrikanten ausführen lassen, wodurch nicht selten Streitigkeiten wegen mangelnder Qualität entstehen, und jedenfalls, mögen die Waaren auch zuweilen ganz nach Muster ausfallen, eine Vertrauensverletzung oder eine Beschädigung der rechtmässigen Mustereigenthümer bewirkt wird. Dieses Verfahren darf vom Gesetze nicht begünstigt werden. Wer Muster selbst versendet oder durch einen Commissionär versenden lässt, hat offenbar dadurch ein Recht auf die Ausführung solcher Muster erworben, und wer auf Grund solcher Muster Bestellungen macht, kann keine andere Absicht haben, als dass seine Bestellung auch von dem Urheber des Musters ausgeführt werde. Die Versendung von Mustern hätte wenig Sinn und würde wenig Vortheil gewähren, wenn Jeder andere sie nachbilden dürfte. Da es sich hier um die Verpflichtung des Commissionärs als solchen handelt, im Sinne und nach der Bedeutung der ihm zugehenden Aufträge zu handeln, wird in dem Artikel kein Unterschied gemacht, ob das Muster oder Modell durch Registrirung Gegenstand eines förmlichen Eigenthumsrechtes geworden ist oder nicht. Es wird nur gesagt, dass ein Commissionär, welcher ein Muster nicht von dem Eigenthümer oder Urheber ausführen lässt, das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht, mithin vertragsbrüchig wird, wesshalb der Auftraggeber nach Art. 517 den Auftrag als nicht ausgeführt betrachten kann. Ob ein solcher Commissionär auch zugleich von dem verletzten Mustereigenthümer auf Grund der speciellen Musterschutzgesetzgebung belangt werden könnte, würde nach der letzteren zu beurtheilen sein; doch wäre diese Frage ohne Zweifel nach der oben angedeuteten Englischen und Französ. Gesetzgebung zu bejahen.
Art. 539. Der Commissionshandel mit Büchern und anderen dergleichen Erzeugnissen unterliegt ganz den gleichen Grundsätzen, wie der Commissionshandel im allgemeinen. Er kann entweder Commissionsverlag sein, welcher bekanntlich darin besteht, dass der Buchhändler die Heraugabe, den Verkauf von Büchern zwar in seinem Namen, aber auf Rechnung eines Anderen, insbesondere des Autors übernimmt. Der Buchhändler muss diesen Verkauf ganz wie seine eigenen Verlagswerke und mit der gleichen Sorgfalt betreiben, er übernimmt jedoch nicht das Risiko, zahlt namentlich kein Verlagshonorar, und hat dem Herausgeber nur den Erlös aus dem Verkaufe nach Abzug seiner Kosten und Gebühren zu entrichten. Es wurde über diesen Gegenstand eine ausdrückliche Bestimmung getroffen, weil er in Japan wohl neu sein dürfte, und um jeden Zweifel darüber auszuschliessen. Verschieden von dem Commissionsverlag ist der gewöhnliche Commissionshandel mit Büchern, auf Rechnung des Verlegers u. A. Ebenso die Uebernahme von Büchern etc. von Verlegern oder Herausgebern, zum Detail- oder Weiterverkauf, auf eigene Rechnung, aber mit dem Rechte, die nicht verkauften Exemplare wieder zurückzugeben ; die letztere Geschäftsweise, der nicht festen Bestellung von Büchern, fällt unter den Begriff des bedingten Kaufes.
§ 6. Spediteure.
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Art. 540. Der Geschäftsbetrieb eines Spediteurs als solchen besteht darin, dass er die Versendung von Gütern für Andere besorgt, und zwar nicht blos von Handelswaaren, sondern von Gegenständen jeder Art, die zum Transport übernommen werden können, wesshalb er nicht blos den Handelspersonen, sondern dem gesammten Publicum Dienste leistet. Er ist, wie der Agent oder Commissionär, ein gewöhnlicher Handelsmann, und bedarf keiner amtlichen Ernennung, wie der Mäkler, da das Transportgeschäft keiner öffentlichen Beglaubigung bedarf. Er kann daneben auch andere Handelsgeschäfte treiben, oder sich ausschliesslich der Spedition widmen. Er bedarf hiezu keiner anderweitigen Befähigung, als jede andere Handelsperson, er ist aber den gleichen allgemeinen Verpflichtungen unter worfen. Das Speditionsgeschäft kann namentlich auch von Gesellschaften betrieben werden. Regelmässig befassen sich Spediteure mit der Versendung nach anderen Orten, indessen können auch Versendungen an einem und demselben Orte, z. B. einer grossen Stadt, gewerbsmässig betrieben werden.
An und für sich wird der Transportvertrag nur mit dem Spediteur geschlossen, es entstehen also zunächst daraus nur Rechte und Verbindlichkeiten zwischen dem Spediteur und dem Absender. Allein bei der eigenthümlichen Natur des Transportzweckes hat es hiebei in den meisten Fällen nicht sein Bewenden. Der Transport muss meistens an einen anderen Ort hin geschehen, und bei weiten Entfernungen sind in der Regel sehr viele andere Personen an der Ausführung des Transportes betheiligt: Eisenbahnen, Schiffer, Fuhrleute, Leichterschiffer, Posten u. dgl. Hiezu können noch mehrere Zwischenspediteure und Agenten des Spediteurs sowohl, wie der Zwischenspediteure kommen. Was die Person betrifft, an welche das Transportobject am Bestimmungsorte abzuliefern ist, so kann diese der Absender selbst sein, wenn z. B. Jemand an den Ort der Ablieferung selbst reist und seine Sachen dahin voraus- oder nachschicken lässt; es kann aber auch ein anderer Adressat bezeichnet oder dessen Bezeichnung vorbehalten werden, und dieser Adressat kann wieder befugt sein, andere Personen zur Empfangnahme zu bezeichnen. Aus diesen Umständen folgt, dass an einem Transportvertrag sehr viele Personen gleichzeitig oder noch mehr hinter einander betheiligt sind, und es muss desshalb diesem Vertrage eine sehr weite Rechtsform gegeben werden, um die berechtigten Zwecke und Interessen des Transports nicht zu verletzen. Die dabei betheiligten Personen stehen einander in zwei Linien gegenüber. Auf der einen stehen der Spediteur und alle Anderen, die bei der Ausführung des Transports bis zur Ablieferung mitwirken, auf der anderen der Absender und Adressat oder die anderen Personen, an welche schliesslich der Versendungsgegenstand abzuliefern ist.
Wenn man sich diese Verhältnisse vergegenwärtigt, so begreift man, dass factisch und rechtlich die Spedition und die Ausführung des dem Spediteur übertragenen Transports in einander laufen und von einander nur schwer zu sondern sind, und dass andererseits der Absender und Adressat wesentlich die gleichen Ansprüche und Interessen haben und also auch rechtlich in den wichtigsten Punkten gleich behandelt werden müssen. Man muss daher den Standpunkt einnehmen, dass der Speditionsvertrag zugleich ein Transport- und Ablieferungsvertrag ist und nicht blos zwischen zwei einzelnen Personen, sondern zwischen zwei gegenüberstehenden Personenreihen geschlossen wird derart, dass immer die Personen der einen Reihe einander vertreten und die ihnen zustehenden Rechte gegenüber den Personen der anderen Reihe ausüben können. Der Spediteur vertritt daher zugleich den von ihm gewählten Frachtführer und alle darauf folgenden Spediteure, Frachtführer und Agenten, und umgekehrt; und der Absender vertritt zugleich den Adressaten etc. und umgekehrt. Mit anderen Worten jede Personenreihe, die bei der Ausführung eines Transports betheiligt ist, wird practisch wie eine einheitliche Person angesehen und demgemäss behandelt. Die Rechte und Verbindlichkeiten, die durch die Ausführung eines Transports vom Anfang bis zum Ende entstehen und mit jeder Fortsetzung des Transports anwachsen, bilden demnach eine einheitliche Rechtsmasse, und jede dabei betheiligte Person ist im Ganzen als deren Träger anzusehen, soweit dies der practische Zweck des vereinbarten Transports erheischt.
Von diesen Eigenthümlichkeiten des Transport- und Speditionsvertrages muss man ausgehen, um die nachfolgenden Artikel zu beurtheilen. In diesen Artikeln wird das Princip der Einheit zwischen Spediteur und Frachtführer, und zwischen allen an einem einheitlichen Transport betheiligten Frachtführern durchgeführt, wie es auch in den anderen Gesetzgebungen, obgleich nicht überall vollständig, zur Anerkennung gelangt. Am strengsten durchgeführt ist das genannte Princip in Frankreich, sodann auch in England, obgleich hier durch Eisenbahn- und Canal—Reglements Ausnahmen gemacht werden. In Deutschland gilt das Princip nur zwischen mehreren Frachtführern, nicht auch zwischen Spediteur und Frachtführer. Es ist dies aber ein Fehler der Deutschen Gesetzgebung, der mit grossen practischen Nachtheilen verknüpft ist, indem dadurch das ganze Transport- und Speditionswesen der nothwendigen Strenge, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit beraubt wird. Auch im Span. H. Gesetzbuch Art. 232 und im Italienischen Art. 78 ist jene Einheit der Personen anerkannt. Nur in den Vereinigten Staaten herrscht der Grundsatz, dass von verschiedenen bei einem Transport betheiligten Frachtführern Jeder nur die Haftung auf seiner eigenen Ronte übernimmt; eine durchaus nicht nachahmenswerthe Ausnahme.
Es ist von höchster Wichtigkeit, das Transport- und Versendungswesen strenge und bestimmt zu reguliren, da der Transport, zumal in den heutigen Verhältnissen, eine ganz wesentliche Bedingung für die Entwicklung des Handels und der Production bildet. Sicherheit des Transports einerseits, und möglichste Schnelligkeit und Pünktlichkeit desselben andererseits sind ganz unerlässlich, damit der Handelsmann mit Erfolg speculiren und der Producent mit Gewinn produciren kann. Die im heutigen Postwesen für Briefe erreichte Sicherheit und Pünktlichkeit muss auch für Gütersendungen erstrebt werden, da ein laxes Versendungswesen unzählige Verluste, Schwierigkeiten, Streitigkeiten und Prozesse herbeiführt.
Art. 541. Der Spediteur haftet zunächst als Commissionär, indem er die Frachtgüter für den Versender in Empfang nehmen und mit der nöthigen Sorgfalt bis zum Beginn des Transports behüten, sodann auch einen geeigneten Frachtführer zur Ausführung des Transports zu bestellen hat. Er hat die ihm obliegende Sorgfalt auch hinsichtlich der ordentlichen Verpackung, etwaigen Versicherung, Zollbehandlung etc. zu bethätigen. In allen diesen Beziehungen handelt der Spediteur im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung des Versenders, und er hat von selbst, auch ohne specielle Anweisung des letzteren, für alles zu sorgen, was zur ordentlichen und sicheren Durchführung des bedungenen Transportes gehört. Nach diesen Grundsätzen hat das Deutsche H.G. B. Art. 379 und 380 die rechtliche Stellung des Spediteurs bestimmt, indem sie an der Theorie des Commissionsvertrages einfach festhielt. Allein, wenngleich auch in den anderen Gesetzgebungen die Spediteure als Commissionäre bezeichnet werden (commissionaires de transport), so bleiben sie hierbei doch nicht stehen, behandeln vielmehr den Spediteur in allen Fällen gleich einem Frachtführer oder Transportunternehmer (entrepreneur de transport) ohne Unterschied, ob er zugleich das' Gewerbe eines Frachtführers mitbetreibt oder nicht (entrepreneur de coulage).
Der Entwurf bestimmt daher, dass der Spediteur in allen Fällen nicht blos als Commissionär, d. h. nur für die sorgfältige Auswahl eines Frachtführers, sondern für die Ausführung der Fracht selbst haftet, dass mithin ganz die gleichen Ansprüche, die ein Versender gegen den Frachtführer hat, wenn er unmittelbar mit diesem contrahirt, auch gegen den Spediteur geltend machen kann, wenn er sich Zur Bewerkstelligung eines Transports der Vermittlung eines solchen bedient. Hiermit stimmt, wie oben bemerkt, weitaus die Mehrzahl der übrigen Gesetzgebungen überein, und dieser Grundsatz ist allein im Stande, die practischen Bedürfnisse des Handelsverkehrs zu befriedigen. Derselbe zwingt den Spediteur, sich auf das engste mit dem Versendungswesen selbst zu verbinden, und auf dessen zweckmässigste Einrichtung hinzuwirken, während er nach der Deutschen Gesetzgebung dem Versendungswesen gänzlich ferne bleiben kann. Er macht den Spediteur zum wirklichen Transportunternehmer, und bewirkt durch die Etablirung grosser Speditionsgeschäfte eine wohl-thätige Centralisation und die möglichste Verbesserung des Transportwesens.
Diese Haftung des Spediteurs besteht in allen Fällen, gleichviel ob er den bedungenen Transport selbst ausführt oder durch Andere ausführen lässt. Das eine oder das andere kann auf manichfaltige Weise geschehen. Der Spediteur kann dauernde Verträge mit Frachtführern auf eigene Rechnung schliessen, um alle ihm zugehenden Aufträge jederzeit prompt ausführen zu können; er kann insbesondere ganze Eisenbahnwagen oder Schiffe, oder Theile von solchen miethen, nach verschiedenen Principien, z. B. nach dem Raum, oder dem Gewicht etc., er kann auch selbst das Frachtgeschäft betreiben, miteigenen Fuhrwerken, Schiffen etc., er kann sich eigene Fuhrwerke halten, oder die nöthigen Pferde etc. miethen: kurz es sind hier die verschiedensten Geschäftseinrichtungen denkbar, die sämmtlich, wie in jedem anderen Gewerbe dem freien Ermessen des Spediteurs überlassen bleiben müssen. Auch versteht es sich von selbst, dass der Spediteur jeden ihm zugehenden Auftrag auch annehmen und ausführen muss, und überhaupt allen speciellen Verpflichtungen eines Frachtführers unterliegt, wie sie im folgenden § 7. dargestellt werden.
In diesem Artikel ist mithin zugleich bestimmt, dass der Spediteur, nach Analogie des Art. 529, den Transport auch auf eigene Rechnung übernehmen kann, wenn er will. Dies ist sogar auch im Deutschen H. G. Buch anerkannt. Art. 385.
Es ist gleichgültig, ob ein fester Frachtpreis von dem Spediteur für den ganzen Transport bedungen wurde, oder nicht. Meist ist, wenigstens bei längeren Sendungen, das letztere der Fall, da sich der gesammte Frachtpreis aus einer Reihe verschiedener auf einander folgender Rechnungsposten zusammensetzt, und daher erst am Schluss des Transports die Rechnung gemacht werden kann. Indessen kann der Spediteur auch einen festen Frachtpreis im voraus berechnen, wenn er die hiezu nöthigen Materialien besitzt, insbesondere dann, Wenn er den ganzen Transport ausschliesslich selbst ausführt. Für seine Haftung als Transportnehmer muss dies gleichgültig sein, denn der Versender bez. Adressat ist in jedem Falle verpflichtet, die ordnungsmässig bis zum Schlusse anlaufende Fracht zu entrichten und es besteht sogar hiefür ein Retentionsrecht des Frachtführers. Im Deutschen H. G. B. Art. 384 haftet er nur im Falle fester vorher bedungener Transportkosten für die Periode des ganzen Transports, obgleich die wirkliche Ausführung des Transportes dadurch nicht einmal gesichert wird. Für diese Beschränkung, welche der Bestimmung eines Delcredere gleich kommt, ist ein innerer Grund nicht zu finden, und es ist überhaupt die Zulässigkeit eines festen Transportpreises, anstatt eines blossen Limitums, ein innerer Widerspruch.
Art. 542. Der in diesem Artikel enthaltene Satz findet sich auch in den meisten übrigen Gesetzgebungen Code de com. Art. 99. Ital. H. G. B. Art. 78. Span. H. G. B. Art. 232. Der Grund hiefür ist, dass der von einem Spediteur übernommene Transport als eine einheitliche Verpflichtung anzusehen ist, und dass der Versender oder Empfänger in den meisten Fällen nicht wissen kann, auf welchem Theile der ganzen Route die etwaige Beschädigung oder Verspätung bewirkt worden ist. Der Spediteur haftet für das Ganze des Transports, da dieser vertragsmässig von ihm übernommen wurde. Der gleiche Grund gilt auch von Allen übrigen, die in der Ausführung des Transports auf einander folgen.
Es wird in der Französ. Jurisprudenz angenommen, dass sich der Spediteur von dieser vollen Haftung durch ausdrückliche Stipulation befreien kann, obgleich in Art. 99. cit. davon nichts erwähnt ist, mit Bezug auf Art. 98. Bravard II. p. 361. In diesem Falle würde der Spediteur nur als Commissionär haften, nämlich für die schuldige Sorgfalt bei der Bestellung eines weiteren Frachtführers oder Zwischenspediteurs. Diese Bestimmung wurde auch in dem Entwürfe adoptirt, da sie der Billigkeit und den thatsächlichen Zuständen der Verkehrseinrichtungen entspricht. Dies ist aber nur in dem Sinne zu verstehen, dass der Spediteur zugleich als Frachtführer haftet, soweit sein Frachtvertrag lautet, darüber hinaus aber nur als Commissionär. Gesetzt Jemand will Güter von Hamburg nach Yokohama senden und überträgt diese Sendung einem Spediteur in Hamburg. Der Spediteur erklärt sich zur Uebernahme des Auftrages bereit, aber er schliesst den Frachtvertrag nur bis Marseille, zugleich mit der Bestimmung, dass er in Marseille einen anderen Spediteur beauftragen wird, um mit den Messageries einen neuen Frachtcontract bis Yokohama abzuschliessen und alles hiezu nöthige zu besorgen. Eine solche Stipulation muss billiger Weise zulässig sein, da man nicht jedem Spediteur nicht zumuthen kann, seine Ge schäftsbeziehungen über die ganze Welt hinauszudehnen. Obgleich letzteres durch die immer weiter gehende Ausbildung des Verkehrs fortschreitend herbeigeführt wird, kann es doch nicht mit einem Schlage erreicht werden, man muss daher den jeweiligen Umständen sich anbequemen. Ohne Zweifel wird man solche Spediteure vorziehen, welche die Haftung für die ganze Route bis zum Endpunkt übernehmen ; allein wenn sie nicht zu haben sind, muss man sich auch mit dem geringeren begnügen. Derartige Stipulationen werden aber heutzutage nur selten mehr vorkommen, und sie müssen wo sie vorkommen, auf das engste interpretirt werden. Wenn nun in dem vorhin genannten Beispiele ein Frachtgut nach Yokohama verloren ginge, könnte der Versender sich immerhin an den Hamburger Spediteur wegen Entschädigung wenden; dieser aber müsste beweisen, dass der Verlust erst von Marseille an begegnet sei und dass er nur bis Marseille Haftung übernommen habe. Ohne ausdrückliche Vereinbarung wird immer die Versendung an einen bestimmten Endpunkt als ein einheitlicher Frachtcontract aufzufassen sein. Auch ist eine solche Vereinbarung ungültig, soweit der Spediteur zugleich als Frachtführer sich verpflichtet, soweit er also den Transport mit eigenen oder gemietheten Transportmitteln ausführt, gleichviel wie viele Zwischenstationen, Umladungen etc. auf der ganzen Reise vorkommen.
Aber auch wenn er sich fremder Transportmittel bedient, kann er seine Haftung nicht auf die eines blossen Commissionärs beschränken, wenn er mit fremden Transportverwaltungen Verträge schliesst, welche ihm die Rechte directer Versendung gewähren. Z. B. die Verwaltung der franz. Messageries übernimmt die directe Versendung von London nach Yokohama, obgleich ihre eigenen Schiffe erst von Marseille an laufen. Sie haftet in diesem Falle für die ganze Route von London an, da die Annahme zur directen Versendung einem vollen Frachtvertrag gleichkommt. Das gleiche ist der Fall, wenn mehrere Eisenbahnen etc. unter einander directe Versendungen übernehmen.
Die Haftung des Spediteurs und aller anderen Zwischenpersonen ist eine solidarische, da Jeder als Vertreter aller übrigen anzusehen ist. Diese Haftung ist nicht davon abhängig, dass die verschiedenen Transporteure etc. unter einander in einem Gesellschaftsverhältniss stehen und Gewinn und Verlust gemeinschaftlich theilen. Sie folgt vielmehr aus der einheitlichen Natur des übernommenen Transports. Es ist Sache der betheiligten Transporteure, die hiezu erforderlichen Geschäftsbeziehungen und Berechnungen unter einander einzurichten, und ihre gegenseitigen Regressansprüche zu reguliren oder nach einem gewissen Massstab zu vertheilen. Jede folgende Transportverwaltung, die Frachtgüter von der vorhergehenden übernimmt, muss deren Zustand und Vollständigkeit bei der Uebernahme untersuchen und sich desfalls etwaige Regressansprüche sichern. Wenn sie dies unterlässt, thut sie es auf eigene Gefahr.
Das Recht des Spediteurs, seine Haftung auf die eines blossen Commissionärs zu beschränken, besteht nur für den Fall, dass eine gewisse Versendung auf mehreren auf einander folgenden, oft sehr weit entfernten Transportrouten ausgeführt wird. Es besteht nicht, wenn die Versendung nur auf einer einzigen Transportroute vor sich geht. Im letzteren Falle kommt der Artikel 541 zur vollen Anwendung, gleichviel ob der Spediteur der Transport selbst ausführt oder nicht. Denn hier ist er vollkommen im Stande, die volle Haftung zu übernehmen, da er den Transport selbst ausführen oder unmittelbar durch Andere ausführen lassen kann, und mithin dieser Transport für ihn immer ein directer ist.
Art. 543. Der Commissionsvertrag könnte an sich auch mündlich oder stillschweigend geschlossen werden. Da aber der Speditionsvertrag in jedem Falle, wenigstens theilweise, zugleich Transportvertrag ist, so muss er um der grösseren Sicherheit und Bestimmtheit willen schriftlich abgeschlossen werden, und zwar mittelst eines Frachtbriefs (lettre de voiture.). In dieser Beziehung hat der Entwurf einfach die Vorschriften anderer Gesetzgebungen adoptirt. Code de com. Art. 101. 102. Ital. H. G. B. Art. 80.81. Das Deutsche H. G. B. Art. 391. 392. 413. 414 unterscheidet zwischen Frachtbrief und Ladeschein, und will den letzteren den beim Seetransport üblichen Connossementen gleichstellen. Allein es liegt kein genügender Grund vor, diese Subtilität nachzuahmen, und kann der einfache Frachtbrief, da er in mehreren Exemplaren ausgestellt werden kann, zugleich die Dienste eines Connossements leisten. Zunächst bekommt der Frachtführer den Frachtbrief in die Hände, als Begleitadresse der Frachtgüter; es können aber Exemplare davon auch an den Adressaten gesandt werden, behufs Legitimation zum Empfange der Güter.
Der Frachtbrief ist ein beiden Parteien gemeinschaftliches Document, welches die gegenseitigen Rechte und Verpflichtungen im wesentlichen enthalten muss. Er wird entweder vom Spediteur, oder wo kein solcher vorhanden ist, vom Versender ausgestellt und folglich unterzeichnet, um den Gütern, worauf er lautet, beigegeben zu werden. Der Frachtführer braucht ihn nicht zu unterzeichnen, da er ihn in seine Hände bekommt und durch seine Annahme und spätere Ablieferung mit den Gütern sich zu seinem Inhalte von selbst bekennt. Auch fand man es angemessen, die Frachtführer der zeitraubenden Mühe der Unterzeichnung der vielen durch ihre Hände gehenden Frachtbriefe zu überheben; übrigens kann ein Frachtbrief, wo kein Spediteur vorkommt, nach den Angaben des Versenders auch von dem Frachtführer ausgestellt werden, wie es namentlich bei Eisenbahnen vorkommt, und die Unterzeichnung ist nicht absolut nothwendig. Das wesentliche ist nur der Inhalt des Frachtbriefes, und muss in dieser Beziehung der Geschäftsgewohnheit und Bequemlichkeit ein gewisser Spielraum gelassen werden. In manchen Punkten, wie hinsichtlich des Frachtpreises, oder des Adressaten oder späterer Frachtführer, kann die Ausfüllung auch später erfolgen. Wesentlich ist nur, dass die Gegenstände, die Art des auszuführenden Transports, namentlich der Abgangs- und Bestimmungsort, und die berechtigten und verpflichteten Personen daraus klar und deutlich ersichtlich sind. Der darin eingetragene Inhalt macht vollen Beweis, bis das Gegentheil erwiesen wird, welcher jedoch nur beschränkt gestattet wird (Art. 324).
Der Inhalt des Frachtbriefs ist nach dem Entwurfe theils obligatorisch, theils facultativ. Gewisse Punkte müssen immer angegeben sein, andere dagegen nur in gewissem Falle oder wenn es die Betheiligten so wollen. Dass wenn ein Spediteur nicht vorhanden, sondern der Versender unmittelbar mit dem Frachtführer verhandelt, der Versender an Stelle des Spediteurs zeichnen muss, wurde bereits früher bemerkt. Uebrigens sind die einzelnen Erfordernisse des Frachtbriefes nicht derart zu verstehen, dass ihr Fehler den Speditionsoder Frachtvertrag ungültig machen würde. Ist der Frachtbrief auch, wie schon nach Franz. Recht, Code de com. Art. 101, nicht als blosses Beweismittel anzusehen, so dass der Vertrag völlig unabhängig davon zu Recht bestände, so ist doch der Inhalt des Vertrages nach dem Inhalte des Frachtbriefes zu beurtheilen, und der etwaige Gegenbeweis kann nur in den Grenzen des Art. 324 geführt werden. Mit anderen Worten, der Frachtbrief enthält die gesetzliche Abschliessung des Vertrages zwischen den Parteien, und der Inhalt des Frachtbriefs ist für die Parteien gesetzlich bindend (Code civ. Art. 1134. lieu de loi aux parties).
Dass der Ort der Ablieferung, mithin der Endpunkt des bedungenen Transports, zu bezeichnen ist, versteht sich von selbst. Sehr zweckmässig ist aber auch die dem Franz. Code de com. Art. 102 entnommene Vorschrift, dass auch die Zeit der Ablieferung, also die dem Spediteur oder Frachtführer für die Ausführung des Transports gelassene Frist, auf dem Frachtbriefe bezeichnet werden muss. Dies schneidet im voraus unzählige Streitigkeiten ab, und zwingt den Frachtführer oder Spediteur, die ihm obliegende Verpflichtung ausdrücklich anzuerkennen, was einen stärkeren Antrieb zur pünktlichen und möglichst schnellen Ausführung des Transports enthält. Uebrigens steht es dem Spediteur etc. nicht frei, sich beliebig eine längere Frist als regelmässig nöthig wäre, zu bedingen, sondern es muss dieselbe jedenfalls nach Art. 553 bemessen werden.
Facultativ wurde jedoch gestellt die Bezeichnung der zu leistenden Entschädigung im Falle verspäteter Lieferung. Allerdings wird dadurch im voraus Streit und Ungewissheit über diesen Punkt verhütet, und der Versender günstig gestellt insoferne, als er einen bestimmten Schaden im Fall der Verspätung nicht mehr zu beweisen braucht, was in vielen Fällen Schwierigkeiten haben würde. Art. 384. Indessen kann der Spediteur oder Frachtführer nicht gegen seinen Willen zu einer vorläufigen Schadens—Stipulation gezwungen werden, und es kann eine solche Bestimmung leicht zu Streitigkeiten führen, wenn auf längeren und verschiedenen Routen nicht alle Betheiligten sich ihr unterwerfen wollen. So betrug z. B. in Frankreich die fragliche Entschädigung regelmässig 1/3 des Frachtpreises, allein die Eisenbahnverwaltungen weigerten sich mit Frfolg, Frachtgüter unter dieser Strafclausel auf ihre Bahnen zu übernehmen. Daher kann man eine solche nicht in allen Fällen erzwingen, man kann nur sagen, dass sie zweckmässig ist, wenn die Parteien sich im voraus darüber einigen können, und dass auch wenn sie nicht ausgedrückt ist, dem Berechtigten die nach Handelsgebrauch übliche Entschädigung gebührt.
Aus ähnlichen Gründen ist auch die Angabe des Werthes der Güter der Regel nach facultativ, und nur in den Fällen des Art. 559 obligatorisch. Es kann jedoch in anderer Hinsicht, z. B. nach den Vorschriften der Zollgesetze, die Angabe des Werthes nothwendig sein, wenigstens in den Frachtbrief begleitenden Papieren der Zollabfertigung, und insoweit dies der Fall, kann die Angabe des Werthes verlangt werden.
Art. 544. Diese Bestimmung dient dazu, die Uebertragung der Güter, worauf der Frachtbrief lautet, zu erleichtern; der Frachtbrief gehört mithin zu den Verfügungspapieren, mittelst deren der Besitz der Güter selbst übertragen werden kann, und ist indossirbar nach den in Art. 453 ausgedrückten Grundsätzen. Diese Behandlung des Frachtbriefs ist den übrigen Gesetzgebungen conform. Von der Franz. Jurisprudenz wird der nur für Connossemente bestimmte Art. 281 des Code de com. auch auf Frachtbriefe, d. h. auf den Land- und Flusstransport angewandt, und werden auch in administrativer Hinsicht, was ihre Stempelung betrifft, einander gleich behandelt. Bravard II. p. 345. Auch nach dem Deutschen H. G. B. Art. 302 und 414 sind die hier in Betracht kommenden Ladescheine für indossabel erklärt, wenn sie an Ordre lauten.
Art. 545. An sich ist der Frachtbrief ein beiden Theilen gemeinschaftliches Document über einen zweiseitigen oder synallagmatischen Vertrag, und sollte daher doppelt ausgestellt werden. Indessen schreibt das Gesetz hierüber nichts ausdrücklich vor, und wird dieser Punkt dem Handelsgebrauch bez. dem Belieben der Betheiligten überlassen. Nur das Recht muss man dem Versender zuerkennen, ein Exemplar, und selbst mehrere Exemplare für sich zu verlangen, ähnlich wie dies auch bei Wechseln und Connossementen üblich ist, aus demselben Grunde, aus welchem dieses Papier auch für indossabel erklärt werden musste, um nämlich den Verkauf und überhaupt die Verfügung darüber während des Transportes zu ermöglichen. Im übrigen dient der Frachtbrief als Begleitbrief für die Güter und verbleibt dem Frachtführer, der ihn bei Ablieferung vorzeigen und übergeben muss. Es versteht sich von selbst, dass die verschiedenen Exemplare eines Frachtbriefes gleichlautend sein müssen und unabänderlich sind, soweit nicht der Inhaber das Recht der Aenderung hat, z. B. nach Art. 544 oder 567.
Art. 546. Diese auch in anderen Gesetzgebungen, Code de com. Art. 102. Span. H. G. B. Art. 233. Ital. H. G. B. Art. 81, vorkommende Bestimmung ist zweckmässig, um bei etwaigem Verlust eines Frachtbriefes als Ersatz zu dienen, und zur Ausgleichung des Umstandes, dass sehr häufig der Frachtführer allein den Frachtbrief in die Hände bekommt. Sie entspricht der analogen Bestimmung für Mäkler in Art. 499, und ist zu verstehen äusser den gewöhnlichen Handelsbüchern, welche sonst ein Handelsmann zu führen hat. Eine besondere Beweiskraft kann diesem Büche nicht beigelegt werden, da ein Spediteur in keiner Beziehung eine öffentliche Person ist.
Art. 547. Diese Bestimmung soll der eigenmächtigen und unrechtmässigen Abfassung des Frachtbriefes, insbesondere durch den Spediteur oder Frachtführer, vorbeugen. Dies könnte hier besonders leicht geschehen, da der letztere oft allein denselben in Händen hat, und es mit den äusserlichen Förmlichkeiten oft im Drang der Geschäfte nicht sehr genau genommen wird. Der Inhalt des Frachtbriefes, aber ebenso auch der Einträge in die im Art. 546 bezeichneten Bücher ist mithin von selbst ungültig, auch wenn etwa der Versender oder Spediteur durch seine Unterschrift sie scheinbar anerkannt haben sollte, falls diese Unterschrift später hinzutrat. Der Inhalt des Frachtbriefes ist also nur gültig, soweit er 1, dem abgeschlossenen Vertrage; 2, bestehenden Gesetzen und Reglements; und 3, allgemeinen Rechtsgrundsätzen entspricht. Z. B. über die Haftung kann eine besondere Bestimmung im Vertrage getroffen werden (Art. 542), aber dies dürfte nicht im Widerspruch mit der Vorschrift des Art. 542 oder mit dem allgemeinen Rechtsprincip über die Haftung für Dolus oder Culpa geschehen. Es kommt hier namentlich zu erinnern, dass ein Frachtführer zwar die ihm obliegende Haftung für Verlust, Beschädigung etc. ausdrücklich limitiren kann, wenn der Andere zustimmt, aber nicht über gewisse Grenzen hinaus (Art. 562). Der Frachtbrief ist mithin nur in beschränkter Weise Gesetz unter den Parteien; bei der eminenten Wichtigkeit eines geordneten und den nothwendigen Anforderungen entsprechenden Transportwesens ist dem Frachtführer nicht gestattet, dem Publicum beliebige Bedingungen aufzuerlegen und dieselben durch die Formalität einer Unterschrift, oder selbst ohne solche, sanctioniren zu lassen.
Art. 548. Diese Bestimmungen entsprechen den gleichen auch für gewöhnliche Commissionäre geltenden (Art. 535). Der Spediteur ist zur Speditionsgebühr berechtigt, ähnlich wie jeder Commissionär. Er ist verpflichtet, für seinen Auftraggeber eine möglichst billige Fracht auszusuchen, und kann ihm. nicht höhere Sätze anrechnen, als stipulirt und bez. von ihm ausgelegt wurden. Die Vergütung für seine Dienstleistungen kann mithin der Spediteur einzig und allein in dieser Gebühr finden. Allein man muss sich erinnern, dass der Spediteur nicht reiner Commissionär, sondern zugleich Transportunternehmer ist und daher gleich jedem Frachtführer zu festen Preisen Transporte übernehmen kann, mag er sie nun selbst ausführen oder durch Andere ausführen lassen. In diesem Falle kann er ohne besondere Vereinbarung keine Gebühr anrechnen, so wenig wie ein gewöhnlicher Frachtführer oder Verkäufer. Man kann aber auch die Gebühr nicht gänzlich ausschliessen, da der Spediteur immerhin eine vom Frachtführer meist verschiedene Person ist, und hier ähnliche Erwägungen Platz greifen, wie in den Fällen des Art. 529.
Art. 549. Die Bezahlung des Frachtpreises etc. kann ganz oder theilweise im voraus erfolgen, jedoch nur wenn beide Theile sich dahin einigen, Die Regel ist ausserdem, dass die Fracht erst nach Beendigung des Transports verdient ist und nur gegen Ablieferung der Güter am Bestimmungsorte verlangt weiden kann. Für theilweisen Transport kann entweder gar keine, oder nur verhältnissmässige Fracht gefordert werden (Art. 568). Berechtigt zur Fracht ist zunächst der Spediteur oder derjenige, welchen dieser an seiner Statt bezeichnet, also in der Regel ein Agent desselben oder ein Zwischenspediteur. Indessen kann auch der Frachtführer den Anspruch auf die Fracht geltend machen, und dies ist in den meisten Fällen die Regel. Denn die Fracht ist an sich durch Ausführung des Transports verdient, auch ist der Frachtführer als natürlicher Stellvertreter des Spediteurs anzusehen. Das Retentionsrecht an den Frachtgütern besteht auch in der Person des Frachtführers.
Aus den früheren Bemerkungen über die Stellung des Frachtführers zum Spediteur folgt von selbst, dass er die ganze verdiente Fracht zu fordern berechtigt ist, und nicht etwa blos den auf seinen Antheil fallenden Theil derselben.
Art. 550. Diese Bestimmung bildet nur das consequente Gegenstück zu der des vorhergehenden Artikels. Wie hinsichtlich der Rechte alle an dem Transport Betheiligten zugleich als Vertreter des Spediteurs anzusehen sind, so auch hinsichtlich der Pflichten aus dem Speditionsvertrage. Die hiedurch dem Versender bez. dessen Nachfolger erwachsenen Ansprüche und Einreden, z. B. wegen Verspätung, wegen Beschädigung, wegen gesteigerter Haftung etc. haften dem Transportverhältniss selbst an und kommen Jedem zu Gute, der in dasselbe eintritt, und gegen Jeden, der die entgegenstehenden Rechte geltend macht.
Es bedarf keiner ausdrücklichen Bestimmung darüber, dass der Frachtführer oder Jeder andere, welcher die Forderung aus dem Speditionsvertrag eingehoben hat, den übrigen Betheiligten ihren Antheil hinauszahlen und sich darüber mit ihnen berechnen muss. Durch die Zahlung an einen, sowie durch jeden anderen Erlöschungsgründ wird also der Schuldner von selbst auch Allen anderen gegenüber frei.
Art. 551. In den vorausgehenden Artikeln wurde der Hauptfall der Spedition, nämlich die Versendung von Frachtgütern, zu Grunde gelegt. Allein das Speditionsgeschäft, das im wesentlichen in der Besorgung von Sendungen und sonstigen Beförderungen besteht, kann in verschiedenen anderen Richtungen betrieben werden. In neuerer Zeit ist besonders die Zeitungs- und Inseraten-Spedition zu allgemeiner Entwicklung gelangt. Sie besteht darin, dass der Spediteur die Versendung von Zeitungen, oder das Einrücken von Annoncen in Zeitungen auf eigenen Namen, jedoch für Rechnung eines Dritten übernimmt. Der Spediteur unterliegt hiebei der gleichen Haftung, gleichviel wie er die Abgabe der Zeitungen oder die Insertionen besorgt. Er kann sich in letzterer Beziehung eigene Blätter halten, oder Verträge mit anderen Zeitungen schliessen, oder die Inserate von Fall zu Fall besorgen. In jedem Falle haftet er nicht blos als ein Commissionär, sondern als Unternehmer gleich dem Zeitungsherausgeber selbst. Die Zeitungsspedition wird hauptsächlich von der Postanstalt betrieben; die auf das Zeitungsabonnement bezüglichen Rechtsverhältnisse können daher gleicher Weise gegen die Post als Spediteur, wie gegen die Zeitungs—Redacteure selbst geltend gemacht werden. Es ist bemerkenswerth, dass in solchen Fällen die Versendung auf Grund vorheriger Bestellung durch den Abonnenten erfolgt, und der Abonnementsvertrag gleichfalls mit dem Spediteur abgeschlossen wird, was jedoch nicht absolut nothwendig ist.
Mäkler und Agenten, wenn sie auch in Bezug auf Frachtgeschäfte Dienste leisten, sind von Spediteuren wohl zu unterscheiden, denn sie handeln niemals in eigenem Namen, sondern immer nur in fremdem Namen ; sie werden also aus den Geschäften, die sie vermitteln oder abschliessen, persönlich niemals berechtigt oder verpflichtet, und können in keiner Weise als Fracht—Unternehmer behandelt werden.
Erkundigungsbureaus, Dienstbotenbureaus etc. sind selbständige Unternehmer, welche dem Publicum gegen Bezahlung gewisse Dienste leisten. Diese Dienste bestehen zwar häufig in der Versendung von Briefen etc., allein dies ist nicht als eine Versendung auf fremde Rechnung, sondern als eigene Correspondenz der betreffenden Geschäfte anzusehen.
Cap. 7. Frachtführer.
Art. 552. Unter Frachtführer (voiturier) ist eine Handelsperson zu verstehen, die den Transport irgend welcher Gegenstände, insbesondere von Waaren, auf Landstrassen oder zu Wasser, d. i. auf Flüssen und Canälen oder Binnenseen, gewerbemässig betreibt. Der Transport zur See ist von dieser Begriffsbestimmung ausgeschlossen, da er wegen der eigenthümlichen Gefahren der See-Schifffahrt besonderen Regeln unterliegt. Dies ist in dem Span. H. G. Buch Art. 203 und in dem Deutschen Art. 390 ausdrücklich ausgesprochen. Es ist aber auch die Französische Gesetzgebung in diesem Sinne zu verstehen, obgleich es in Code de comm. Art. 96 und Code civ. Art. 1782 nicht ausdrücklich gesagt ist, da dem voiturier der capitaine (Schiffer) als Frachtführer zur See gegenüber gestellt wird. In Ländern wie Amerika, mit mächtigen Flüssen und ungeheuren Land-Seen würde diese Unterscheidung nicht so strenge durchzuführen sein, und es ist demnach im allgemeinen der Grundsatz aufzustellen, dass ein Transport, der den eigenthümlichen Gefahren und Zufällen der See unterliegt, von der Begriffsbestimmung des Frachtführers ausgeschlossen ist.
Wenn Jemand den Transport von Sachen, gegen oder ohne Vergütung, nur gelegentlich, in einzelnen Fällen, nicht gewerbemässig übernimmt, können die in diesem Paragraphen ausgeführten Grundsätze nicht durchweg zur Anwendung kommen. Denn die dem Frachtführer obliegenden Pflichten einer möglichst strengen Ausführung des Transports finden hauptsächlich in den Vortheilen und Umständen des gewerblichen Betriebes ihre Rechtfertigung. Wer aber den Transport von Sachen nur in einzelnen Fällen ausführt, ist wie ein gewöhnlicher Mandatar zu betrachten, und haftet zwar auch für jedes Verschulden, also für Anwendung der höchsten Sorgfalt (Art. 394), aber nicht für den Zufall (Code civ. Art. 1784).
An der Spitze des Transportrechtes in dem eben erklärten Sinne steht das Princip, dass der Frachtführer gleich einem Versicherer der ihm anvertrauten Waaren zu betrachten ist und für die richtige und rechtzeitige Ablieferung derselben im weitesten Umfange haftet, selbst ohne sein Verschulden, also bei rein zufälligen Verlusten und Unfällen. Den Grund hiefür kann man entweder in dem gewerblichen Betrieb des Transports erblicken, womit hier den Umständen nach in der Regel ein ausschliessliches Monopol verbunden ist, oder in der Unmöglichkeit, den Frachtführer während der Ausführung des Transports irgendwie zu überwachen, wodurch ohne die strengste Haftung ein grosser Anreiz zu Unterschleif und Vertrauensbruch aller Art bewirkt werden würde. Der Frachtführer haftet demnach in jedem Falle, nicht blos wegen böser Absicht oder Nachlässigkeit, sondern auch für zufälligen Schaden, z. B. Feuer, Diebstahl u. a. Unfälle, für die er den Umständen nach nicht verantwortlich gemacht werden könnte, wenn nicht das bestimmende Princip des Transportbetriebs ihm jede Haftung übertrüge.
Der Frachtführer muss demzufolge die ihm zum Transport anvertrauten Gegenstände rechtzeitig und ohne irgend eine Beschädigung, Veränderung oder Verminderung am Bestimmungsorte abliefern. Der Transport geschieht also auf seine Gefahr. Die Bestimmung im Französ. Code de comm. Art. 100 und im Span. H.G.B. Art. 208, dass die Waaren auf Rechnung und Gefahr des Eigenthümers transportirt werden, steht damit nicht im Widerspruch; denn es ist damit nur das Rechtsverhältniss zwischen Principal oder Commissionär, oder zwischen Verkäufer und Käufer, nicht zwischen Frachtführer und Adressat gemeint, und daher in dem zuerst erwähnten Art. 100 ausdrücklich hinzugefügt, dass dem Eigenthümer sein Entschädigungsanspruch gegen Spediteur oder Frachtführer dabei ungeschmälert verbleibe.
Nur in ganz bestimmten Fällen tritt diese weite Haftung des Frachtführers nicht ein, in welchen cs nämlich von selbst offenbar ist, dass er keinerlei Schuld trägt. Im übrigen wird er zum Gegenbeweise seiner Unschuld nicht zugelassen, da hierin wie gesagt zu viel Verführung zur Unredlichkeit läge. Die seine Haftung aufhebende Thatsachen hat er jedoch unter allen Umständen zu beweisen, denn es sind dies Einreden, welche er gegen das an sich bestehende Princip unbedingter Haftung vorzuschützen hat. Diese Ausnahmen sind dreierlei :
1) eigene Schuld des Versenders, denn Niemand kann aus seinem Verschulden einen Vortheil ziehen. Man denkt hiebei vorzugsweise an ungenügende Verpackung; allein es können auch andere Umstände, ja selbst criminelle Absichten des Versenders vorliegen, z. B. die geheime Versendung von Explosionsapparaten.
2) die natürliche Beschaffenheit der versendeten Gegenstände, welche entweder für sich wie bei verdunstenden oder durchsickernden Flüssigkeiten, oder in Verbindung mit dem zu 1. genannten Umstande, wie bei zerbrechlichen oder von Hitze etc. leidenden Sachen im Falle ungenügender Verpackung, dem Verderb etc. ausgesetzt sind. Wenn z. B. Weinfässer ankommen, deren Inhalt zum Theil entleert ist, so kann dies von solchen Ursachen herrühren; sie können aber auch ausgetrunken worden sein. Der Frachtführer hat daher zu beweisen, dass eine der zu 1. oder 2. bemerkten Thatsachen vorliege; und nicht der Empfänger, dass der Wein vom Frachtführer oder seinen Leuten, oder auch von anderen Personen, ausgetrunken wurde. Ebenso wäre es, wenn die Fässer zwar voll ankämen, aber in schlechterer Qualität, weil die Veruntreuung etc. durch Zugiessen von Wasser zu verdecken gesucht wurde. Auch dafür würde unter allen Umständen der Frachtführer haften, wenn er nicht eine der genannten befreienden Ursachen nachzuweisen vermöchte.
3) unwiderstehliche oder höhere Gewalt (force majeure). Darunter sind zu verstehen Naturereignisse, welche unabhängig von menschlicher Macht eintreten und denen der Mensch nicht widerstehen kann, ferner feindliche Gewalt; oder wie es die Englische Jurisprudenz characteristisch ausdrückt: Handlungen Gottes und der Feinde des Staates. Unter letzteren Begriff fallen nicht die Handlungen der Diebe, Räuber, Brandstifter, denn diese Personen stehen unter den Gesetzen des Staates und können auch vom Einzelnen unschädlich gemacht oder abgewehrt werden; sondern Gewaltthätigkeiten anderer Staaten, gegen die der Einzelne wehrlos ist, insbesondere im Kriege, wenn der Rechtszustand zwischen zwei Staaten aufgehoben ist und die nackte Gewalt herrscht. Der Frachtführer haftet daher für alle Gefahren, nur nicht für die der Natur und des Kriegszustandes. Zu ersteren gehören namentlich Gewitterstürme, Blitzschläge, Erdbeben, Schneefall, Ueberschwemmung u. dgl. Dies ist aber, wie vorhin bemerkt, in so engem Sinne nur auf die Land- und Binnenfracht anzuwenden. Denn bei der Seeschifffahrt werden die Gefahren der See, obgleich auch Gefahren der Natur, und selbst die der öffentlichen Feinde weiter verstanden.
Diese Haftung des Frachtführers besteht nicht nur während des Transports im eigentlichen Sinne, sondern während der ganzen Zeit, in welcher er überhaupt verantwortlich ist, also von dem Zeitpunkt der Annahme der Frachtgüter bis zu deren Ablieferung. Wenn also ein Frachtgut schon vor der Reise, in dem Lagerhause des Frachtführers, etwa gestohlen oder zerbrochen werden würde, hätte er ebenso Entschädigung zu leisten, als wenn dergleichen während der Reise sich ereignen würde.
Art. 553. Es gehört zu den wichtigsten Principien des Transportrechts, dass der Transport nicht willkürlich, nachlässiger Weise oder unter dem Zusammentreffen hindernder Umstände verspätet werden darf. Die Zeit gehört zu den wesentlichsten Elementen des Handelswerth es und durch unpünktliche Versendung können die bedeutendsten Handelsoperationen vereitelt oder im voraus unmöglich gemacht werden. Dies ist in den Gesetzgebungen allgemein anerkannt, ausgenommen im Deutschen H. G. Buch Art. 394 und 399. Allein dies gehört zu den empfindlichsten Mängeln der Deutschen H. Gesetzgebung und ist seit langer Zeit ein Gegenstand der Klage in der Deutschen Geschäftswelt. Daher wurde in dem auch für Frachtführer geltenden Art. 543 bestimmt, dass die Zeit der Ablieferung ausdrücklich im Frachtbriefe zu erwähnen sei, wie auch im Code de comm. Art. 102 und anderen Gesetzbüchern. Dies kann auf Grund vertragsmässiger Vereinbarung oder Festsetzung durch Reglements etc. geschehen. In dieser Beziehung pflegt man zwischen Eilfracht und gewöhnlicher Fracht, wenigstens bei Eisenbahnen, zu unterscheiden, und der Versender kann zwischen beiden frei wählen, da der Tarif für beide verschieden zu sein pflegt. Es genügt aber nicht blos diese allgemeine Bezeichnung, sondern es sollte der Zeitpunkt bestimmt angegeben werden, an welchem die Sache zur Ablieferung am Bestimmungsorte fällig wird, und zwar nicht etwa nach Willkür des Frachtführers, sondern nach der ihm obliegenden Pflicht unmittelbarer und ununterbrochener Versendung (Art. 547). Sollte nun auch die Frist der Ablieferung auf dem Frachtbriefe nicht ausdrücklich bemerkt sein, so ist desshalb weder der Frachtvertrag ungültig, noch die Frist dem Belieben des Frachtführers preisgegeben, sondern es treten sodann die unter gewöhnlichen Umständen anzuwendenden Regeln von selbst ein. Es muss dann der Transport binnen der Frist erfolgen, in welcher er regelmässig ausgeführt werden kann und daher auch gewöhnlich ausgeführt wird. Eine spätere Ablieferung kann nur mittelst der in Art. 552 bezeichneten Ausnahmen oder auch allenfalls mit Berufung auf Art. 572 wegen ausserordentlichen Zudrangs von Waaren entschuldigt werden. Die Frist ist nach dem Datum des Frachtbriefes oder etwa der Annahme der Waaren, wenn diese etwa später erfolgen sollte, zu berechnen, und es wird dabei die Vorschrift zu Grunde gelegt, dass die Güter mit der ersten nach der Annahme erfolgenden Reise zu befördern sind, wie es im Span. H. G. B. Art. 227 ausdrücklich ausgesprochen ist. Der Frachtführer darf daher die Güter nicht länger liegen lassen, sondern mit der Annahme entsteht zugleich auch die Verpflichtung der unmittelbaren Ausführung des Transports.
Art. 554. Die Bestimmung der gewöhnlichen Entschädigung wegen Verspätung zu % des Frachtpreises ist der Französ. Jurisprudenz entnommen, obwohl die Französ. Eisenbahnen sich dieser Bestimmung nicht unterworfen haben. Diese Entschädigung erscheint zweckmässig, da Verspätung zu den lästigsten und nachtheiligsten Hindernissen im Handel gehört. Sie kann gefordert werden ohne den Nachweis des wirklich eingetretenen Schadens (Art. 384), doch hat sie mehr den Character einer Strafe, und es wird daher nach Art. 388 die Forderung eines höheren Ersatzes, im Falle er nachweislich ist, dadurch nicht ausgeschlossen, namentlich wenn die Verspätung eine sehr bedeutende war. Andererseits könnte bei ganz kurzer Verspätung, wenn ein nennenswerther Schaden überhaupt nicht ersichtlich ist, der fixirte Betrag vom Richter ermässigt werden, ausgenommen wenn nach ausdrücklicher Vereinbarung derselbe in jedem Falle entrichtet werden muss. Ist ein anderer Betrag vereinbart worden, so hat es hiebei sein Bewenden. Ist eine bestimmte Entschädigungssumme gar nicht verabredet worden, so kann sie zwar gefordert werden, allein nur in dem Betrage, der als Schadensbetrag nachgewiesen werden kann. In diesem Falle liegt mithin die Beweislast beim Kläger.
Art. 555. Wenn Güter gänzlich verloren gehen, ist deren voller Werth; wenn sie nur beschädigt werden, die hiedurch bewirkte Verminderung ihres Werthes zu ersetzen. Dies ist selbstverständlich nach Art. 552 und braucht nicht besonders ausgedrückt zu werden. Ebenso dass wenn die Güter vollständig und unbeschädigt abgeliefert der Frachtführer keine Entschädigung zu leisten hat, wenn etwa die Güter zur Zeit der Ablieferung an Werth verloren haben. Denn insoferne laufen die Güter auf Rechnung des Eigenthümers.
Dagegen erschien eine Bestimmung nothwendig für den Fall theilweisen Verlustes oder theilweiser Beschädigung. Auch hier ist die Entschädigung nach dem Umfang der dadurch herbeigeführten Vermögensbeschädigung zu bemessen; allein diese kann grösser oder geringer sein, je nach dem Verhältniss, in dem die Theilstücke zu einander stehen. Wenn nach Verlust eines Theiles die übrigen werthlos geworden sind, z. B. bei einer Maschine, muss das Ganze ersetzt werden. Stehen aber die Stücke unter einander in keinem solchen Zusammenhang, dann wird nur der wirklich verlorene oder beschädigte Theil ersetzt. Dies ist auch im Span. H. G. B. Art. 215 ausgesprochen; ebenso im Deutschen H. G. B. Art. 396 und in Frankkreich Bravard II. p. 349.
Art. 556. Diese Bestimmung entspricht der Billigkeit und ist auch dem analogen Grundsätze irn Versicherungsrechte conform. Bei sehr bedeutender Verspätung oder Beschädigung, oder im Falle eines Verlustes zum grössten Theil wird die Lieferung für den Empfänger oder Versender meist ganz werthlos geworden sein, oder er hat doch dadurch die Möglichkeit, eine Handelsoperation mit Erfolg auszuführen, vermuthlich ganz verloren. In solchen Fällen kann man dem Empfänger nicht zumuthen, die Sache trotzdem anzunehmen, z. B. eine Maschine, die nur noch als altes Eisen Werth hat, oder Wein, der nur noch zu Essig verarbeitet werden kann, und sich mit verhältnissmässiger Entschädigung zu begnügen. Im Span. H. G. Buch Art. 215 ist dies ausdrücklich ausgesprochen, und auch in der Französ. Jurisprudenz das laisser pour compte anerkannt. (Goirand p. 165. Bravard II. p. 347. 348. 371.)
Art. 557. Als Entschädigung kann in allen Fällen, gleichviel aus welchem Grunde der Frachtführer haftbar geworden ist, der Werthersatz gefordert werden, und braucht der Kläger hiebei irgend ein Verschulden des Frachtführers nicht nachzuweisen. Hierin stimmen sämmtliche Gesetzgebungen überein. Deutsches H. G. B. Art. 396. Span. H. G. B. Art. 209. Bravard II. p. 368, obgleich die hier in Bezug genommene Bestimmung des Code civ. Art. 1149 nicht ganz damit stimmt. Der Werth ist zu berechnen am Ort und zur Zeit der Ablieferung, weil hier für den Empfänger der Verlust stattfindet. Regelmässig bilden Frachtgüter den Gegenstand einer Handelsoperation, und der Verlust eines Gutes ist für den Kaufmann mit dem Verlust ihres Marktpreises gleichbedeutend. Sind andere Sachen verloren, so kann nicht ihr Handelswerth, sondern nur ihr gewöhnlicher Werth in Betracht kommen, indem die Kosten einer Neu—Anschaffung zu Grunde gelegt werden. Strenge genommen sollte dies auch gelten, wenn die verlorenen Waaren am Ablieferungsorte einen geringeren Werth haben, als am Abgangsorte, denn der Empfänger verliert auch hier nur den ersteren Werth. Allein hier macht man übereinstimmend die Ausnahme von der Regel, dass man den Werth am Abgangsorte zu Grunde legt, indem man sich darauf beruft, dass der Frachtführer aus seinem Verschulden keinen Gewinn zum Nachtheil des anderen Theiles soll ziehen dürfen. Im Entwurfe wurde diese Ausnahme adoptirt, jedoch nur für den Fall, dass der Werth im Frachtbriefe angegeben war, weil ausserdem der Frachtführer für den früheren Werth in keiner Weise verantwortlich sein kann.
Eine andere Ausnahme von der Regel liegt in dem Grundsatze der Art. 380 u. 381. Der volle Schadensersatz kann unter Umständen höher sein, als der jeweilige Marktwerth, da der Empfänger einen vortheilhafteren Verkauf bereits abgeschlossen haben kann. Indessen beschränkte man diese weitere Haftung auf die Fälle böser Absicht und groben Verschuldens, um für die ohnedies sehr ausgedehnte Haftung des Frachtführers selbst für Zufall und die leichteste Unaufmerksamkeit eine Compensation zu geben. Damit stimmt auch die Französ. Jurisprudenz (Bravard II. p. 382) und das Deutsche H. G. B. Art. 396, wobei nur zu bemerken ist, dass juristisch bösliche Absicht und leichtsinniges, grobes Verschulden einander gleichgestellt werden. In dem Engl. Railway and Canal Traffic Act von 1854 ist das gleiche Princip enthalten.
Wer diesen vollen Schadensersatz verlangt, muss beweisen, dass ein solches Verschulden von dem Frachtführer begangen wurde.
Art. 558. Diese Bestimmung entspricht, den gewöhnlichen Vorschriften. Deutsch. H. G. B. Art. 407. Span. H. G. B. Art. 218. Code de comm. Art. 106.
Art. 559. Diese, namentlich in der Englischen Gesetzgebung (11. Geo. 4 and 1 Will. 4. c. 68), aber auch im Deutschen H. G. B. Art. 395 enthaltene Bestimmung soll dazu dienen, die unbedingte Haftung des Frachtführers für Gegenstände von hohem Werthe zu erleichtern. Es ist daher verordnet 1, dass solche werthvolle Gegenstände ausdrücklich und speciell, nach ihrer Natur und ihrem Werthe, declarirt werden müssen; und 2, dass sie unter einen höheren Frachttarif zu bringen sind, welcher vorher gehörig bekannt gegeben sein muss. Die vorgehende Bezahlung des höheren Tarifsatzes ist nicht erforderlieh, es genügt, wenn die Güter nach dem höheren Tarif angemeldet und übernommen werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist ausdrücklich zu bemerken, dass der Versender das seinige gethan hat, wenn er die erforderliche Declaration macht und sich dem höheren Tarif thatsächlich oder erwartungsvoll unterwirft, also denselben nicht bestreitet. Würde von dem Frachtführer oder dessen Bediensteten die Anwendung des Tarifs aus Irrthum, Nachlässigkeit etc. unterlassen, so könnten die Folgen davon nur den Frachtführer, nicht den Versender treffen ; denn der Frachtführer kann aus seinem eigenen oder seiner Leute Verschulden keinen Vortheil ziehen. Der Frachtführer muss einen speciellen Tarif ausarbeiten, in welchem die einzelnen darunter fallenden Classen von Gegenständen nebst den auf sie treffenden höheren Frachtsätzen genau und leicht ersichtlich aufgeführt sind; und diesen Tarif in geeigneter Weise dem Publicum bekannt machen, entweder durch Aushängen im Geschäftslocal oder durch Abdruck in den Zeitungen etc. Im Engi. Gesetze ist ausserdem noch eine Werthgrenze von 10 £ fixirt, doch ist dies nicht wesentlich nothwendig.
Art. 560. Auch diese Bestimmung dient dazu, dem Frachtführer die Haftung für allen und jeden Verlust zu erleichtern, indem sie ihm gestattet, ein hinter dem wahren Werthe zurückbleibendes Maximum der Entschädigung festzusetzen, über welches in keinem Falle bei gewöhnlichen Gütern hinausgegangen werden solle. Eine solche Bestimmung ist namentlich für Posten und Eisenbahnen wünschenswerth, welche tagtäglich unzählige Gegenstände und Waaren von unermesslichem Werthe befördern, und denen die volle Werthentschädigung unter Umständen eine zu grosse Last werden könnte. Dieselbe findet sich im Deutschen H. G. B. Art. 427, allerdings nur in Anwendung auf Eisenbahnen; allein es ist nicht abzusehen, warum sie nicht auf andere Transportarten ausgedehnt werden sollte. Die gleiche Praxis findet sich wohl in allen Ländern. Durch 25 und 26 Vict. c. 63. s. 54 ist für den Seetransport das Maximum der Entschädigung auf 8 £ per Tonne festgesetzt worden. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch nur auf die gewöhnliche Entschädigung nach Art. 557, also auf den einfachen Werthersatz wegen Verlust oder Beschädigung, nicht auf den vollen Schadensersatz nach Art. 562. Wenn also die Voraussetzungen des letzteren bewiesen werden können, namentlich etwa Diebstahl der Leute etc, dann würde eine solche Beschränkung nicht Platz greifen dürfen, sondern nur dann, wenn dem Frachtführer kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Dies ist auch der Standpunkt der Englischen Gesetzgebung Railway and Canal Traffic Act von 1854.
Art. 561. Während für die gewöhnliche Entschädigung nach Art. 557- 560 die allgemeine Bekanntmachung durch den Frachtführer genügt, wenn dieselbe zur Kenntniss der Betheiligten gekommen sein kann, insbesondere durch Erlass von Reglements, Tarifen etc, obgleich die Befugniss hiezu durch Gesetze und Verordnungen der Regierung eingeschränkt werden kann, erscheint es zweckmässig zu bestimmen, dass Ausnahmen von der Regel nur durch besonderen Vertrag und aus rechtmässigen Gründen gemacht werden dürfen. Wenn z. B. der Versender ausnahmsweise eine höhere Entschädigung wünscht, weil der Gegenstand besonders werthvoll sei, so muss er dies ausdrücklich erklären, und der Frachtführer muss darauf eingehen, und es wird dann auch ein höherer Frachtsatz verlangt werden können ; umgekehrt, wenn der Frachtführer sich nur zu einer niedrigeren Entschädigung verstehen will, muss das gleiche geschehen, und er muss passende Gründe dafür angeben können. Dies ist in dem angeführten Englischen Gesetze anerkannt, und der Natur der Dinge entsprechend. Jedermann hat das Recht, von dem Frachtführer gleich wie Jeder andere behandelt zu werden; Ausnahmen davon braucht er nicht gegen seine Zustimmung sich aufdringen zu lassen, und es muss dafür triftige Gründe geben, über die, wenn es zum Streit kommt, der Richter zu entscheiden hat.
Art. 562. Die Bestimmung dieses Artikels wurde bereits oben zu Art. 557. erörtert.
Art. 563. Auch diese Bestimmung ist allen Gesetzgebungen gemeinsam und erklärt sich daraus, dass man nothwendiger Weise für diejenigen haftet, welchen man Auftrag gibt, gewisse Handlungen vorzunehmen. Im Vertrauen auf diese Haftung begibt sich das Publicum in Geschäftsbeziehungen zu Dienern etc. Deutsch. H. G. B. Art. 400. Die Haftung erstreckt sich auch auf strafbare Handlungen, wie Diebstahl etc, obgleich für diese die Diener selbständig verantwortlich bleiben.
Art. 564. Diese Bestimmung entspricht der Regel, welche bereits in Art. 543 in Bezug auf den von einem Spediteur übernommenen Transport aufgestellt wurde. Alle Personen, welche in der Ausführung eines Transports auf einander folgen, bilden gegenüber dem Versender und bez. Empfänger der Transportgüter eine Einheit; Jeder von ihnen ist solidarisch für den ganzen Transport verpflichtet, und es kann keinen Unterschied machen, ob ein Transport von einem Spediteur vermittelt oder unmittelbar von einem Frachtführer übernommen wurde. Jedoch erstreckt sich auch hier die solidarische Haftbarkeit nur auf den von einem Frachtführer vertragsmässig übernommenen Transport; sie tritt nicht ein, wenn mit einem späteren Frachtführer ein neuer Vertrag auf Grund eines neuen Frachtbriefes abgeschlossen wird, und der ursprüngliche Frachtführer nur die Verpflichtung übernimmt, die Güter an den späteren Frachtführer behufs der Weiterbeförderung abzuliefern. Mit dieser Ablieferung würde seine Verpflichtung aus dem Frachtvertrag zu Ende sein, und er würde für die Ablieferung nur als Agent des Versenders haften, d. h. für die Auswahl eines ordentlichen neuen Frachtführers, ohne Verzug u. s. f. In diesem Sinne wird der Art. 99 des Code de comm. auch von der Französ. Jurisprudenz angewendet. Bravard II. p. 360. 362. 363. Die gleiche Haftung würde eintreten, wenn der erste Frachtführer gar keinen Theil des Transports ausgeführt, sondern ihn von Anfang an an andere Frachtführer abgegeben hätte. Deutsch. H. G. B. Art. 401.
Die Folge dieser Haftung ist, dass der Empfänger der Güter nicht zu beweisen braucht, auf welchem Theile der Route der Verlust etc. verursacht wurde; und dies erfordert die Billigkeit, weil der Empfänger dies in den meisten Fällen nicht wissen und erfahren kann. Es ist Sache der mehreren bei einem Transport betheiligten Frachtführer, ihre solidarische Haftung unter sich zu regeln, so dass derjenige, welcher für die Handlung eines Anderen zu zahlen hatte, gegen diesen dafür Regress nehmen kann. In dieser Beziehung wird der Grundsatz herrschen müssen, dass wenn ein folgender Frachtführer von einem Früheren Frachtgüter ohne Protest übernimmt, er auch in der Regel keinen Regress gegen diesen mehr haben wird.
Art. 565. Der Frachtführer verpflichtet sich zwar nur zu einem gewissen Güter-Transport, und seine schliessliche Verpflichtung besteht in der rechtzeitigen und unversehrten Ablieferung der Güter nach Massgabe des Frachtbriefes. Allein die Verhältnisse und der Zweck des Transports bringen es mit sich, dass der dem Frachtführer ertheilte Transport-Auftrag noch gewisse Nebenverpflichtungen in sich schliesst, welche darin bestehen, dass der Frachtführer die Anweisungen des Versenders bez. Empfängers erfüllen und in dessen Interesse auch ohne ausdrücklichen Auftrag thätig sein muss. Der Frachtführer muss sich demgemäss als Agenten des Versenders etc. betrachten, jedoch nur in Bezug auf die Frachtgüter und insoweit, als sie ihm zum Transport anvertraut sind; er ist also nur Agent, insoweit als die Verhältnisse des Transportes ihn zum Vertreter der Interessen des Versenders machen. Die wichtigsten solcher Anweisungen sind in den Art. 567-570 angegeben; es können aber auch andere sein. Der Versender kann den Transport sistiren oder ändern; er kann den Adressaten ändern. Diese Befugnisse liegen von selbst in der Natur eines Auftrages, der jederzeit zurückgenommen werden kann, soweit er noch nicht ausgeführt ist. Andere Anweisungen können betreffen den Verkauf der Güter unterwegs, wenn ihre Beschaffenheit dies nothwendig machen sollte; die Besorgung aller gesetzlichen Zoll- und sonstiger Geschäfte für den Versender; die Erneuerung der Verpackung in dringenden Fällen u. dgl. Auch wenn ihm solche Anweisungen nicht ausdrücklich ertheilt sind, muss der Frachtführer von selbst das Interesse des Versenders wahren. Er haftet jedoch in diesen Beziehungen nicht als Frachtführer, sondern nur als Agent, mithin nicht für Zufall, sondern nur für Unterlassung der nöthigen Sorgfalt. Diese Verpflichtung muss der Frachtführer billiger Weise auf sich nehmen, weil er allein während des Transports die Güter in Händen hat, und ausser ihm Niemand da wäre, um bei den oft unvermeidlichen Zwischenfällen einer Reise für die Güter zu sorgen. Gesetzt es müsste wegen eines Naturereignisses die Reise unterbrochen werden, so wäre der Frachtführer dafür nicht verantwortlich. Dürfte er aber die Güter auf dem Wege liegen und verderben lassen ? Sicher nicht; er müsste vielmehr für die Erhaltung und Weiterbeförderung der Güter nach Kräften sorgen. Oder, wenn Getreidesäcke unterwegs aufgingen oder Löcher bekämen, dürfte er nicht einfach weiter fahren, und den Inhalt der Säcke auf die Strasse laufen lassen, sondern er müsste bei der ersten Gelegenheit für die nothwendigste Schliessung der Säcke sorgen. Gesetzt aber, der Weitertransport wäre aus solchen Gründen unmöglich, so müsste er den Transport sistiren, dem Versender Nachricht geben und im Nothfalle die Güter selbst auf Rechnung des Versenders verkaufen.
Art. 566. Die in den Art. 542-550 zunächst nur für den Spediteur gegebenen Bestimmungen gelten ebenso auch für FrachtFührer, und sind bereits in den betreffenden Anmerkungen mit Rücksicht hierauf besprochen werden. Sie gelten aber nur soweit, als nicht der Spediteur als Commissionär in Betracht kommt, z. B. hinsichtlich der Speditionsgebühr; in allen Beziehungen dagegen, welche den Spediteur als Transportunternehmer erscheinen lassen, steht ihm der Frachtführer rechtlich gleich.
Art. 567. Dass ein Transportauftrag zurückgenommen werden kann, folgt aus der Natur eines Auftrages von selbst, denn der Frachtführer hat an der Ausführung des Transports nicht das mindeste Interesse ; es ist für ihn völlig einerlei, ob die Güter versendet werden oder nicht. Was die Entschädigung betrifft, so kommt in Erwägung, dass wenn Jemand von einem Vertrage zurücktritt, den der andere Theil seinerseits zu erfüllen bereit ist, dieser dadurch seine Rechte aus dem Vertrage nicht von selbst verliert. Vegl, oben Art. 61. Die Entschädigung müsste daher in der Vergütung des vollen Frachtpreises etc. bestehen, soweit ihn der Contrahent selbst verdient haben würde; denn etwaige folgende Frachtführer würden erst später in den Vertrag eingetreten sein, können daher vorher noch nicht in Betracht kommen. Es kann insoferne keinen Unterschied machen, ob der Transport schon begonnen hat oder nicht. Ebenso wären dem Frachtführer die etwaigen Kosten der Umladung und andere Auslagen zu ersetzen. Von dieser Summe wären dann die Kosten abzuziehen, die dem Frachtführer durch die Sistirung des Transports erspart werden, soweit eine solche Ersparniss eintritt. Es ist also dem Frachtführer der reine Gewinn, den er aus dem Transport gemacht haben würde, als Entschädigung zu zahlen, soferne er sich nicht mit einer geringeren Entschädigung begnügt oder eine solche etwa durch den Ortsgebrauch normirt wird.
Sollte der neu angeordnete Transport von dem bisherigen Frachtführer auszuführen sein und eine Verlängerung oder Abänderung der Reise dadurch bewirkt werden, so hätte dieser auf einen verhältnissmässig höheren Frachtpreis Anspruch. Würde aber der neue Transport von einem anderen Frachtführer übernommen, so hätte der erste Frachtführer nur die Verpflichtung der ordentlichen Ablieferung der Güter an diesen, ausgenommen wenn überhaupt kein neuer Frachtvertrag geschlossen würde, denn im letzteren Falle käme die Bestimmung des Art. 564 zur Anwendung.
Art. 568. Ein anderer Fall ist, wenn der bedungene Transport unmöglich oder doch zeitweilig verhindert oder gefährlich gemacht wird, z. B. durch einen Krieg, durch eine Blockade, durch Absperrung der Grenze, durch Unruhen im Innern, durch Verlust der erforderlichen Pferde oder Fuhrwerke in Folge von Feuer, u. dgl. m. Es braucht keine totale Unmöglichkeit, auch keine dauernde Verhinderung oder Gefährdung zu sein, wenn sie nur nicht so kurz oder unbedeutend ist, dass der Transport practisch dadurch nicht wesentlich vereitelt wird. Mithin wird ein Aufschub von nur wenigen Stunden oder Tagen meist noch nicht hinreichen, um vom Vertrage zurückzutreten; doch muss es immer nach den concreten Umständen entschieden werden, ob das Hinderniss derart ist, dass dadurch der Zweck des Transportes für den Versender practisch unerreichbar oder die Güter selbst der Gefahr des Verlustes, der Zerstörung etc. ausgesetzt sind. Höhere Gewalt (Art. 552) ist hier nicht allein als Ursache der Verhinderung anzunehmen, obwohl sonst die Haftung des Frachtführers nur dadurch beseitigt wird; es genügt auch eine rein zufällige Verhinderung, wenn sie auch durch menschliche Vorsicht vermieden werden könnte, z. B. Feuersbrunst, Zusammenstoss etc., jedoch nur dann, wenn den Frachtführer dabei kein Verschulden trifft. Daher ist die Ausführung des Transportes selbst im Ganzen ein Risiko sowohl des Versenders als des Frachtführers. Kann der Transport nicht begonnen oder zu Ende geführt werden, ohne dass einen der beiden Theile dafür eine Verantwortlichkeit trifft, so müssen beide Theile davon den Nachtheil gemeinschaftlich tragen, denn er ist eine gewerbliche Unternehmung beider Theile: des Versenders hinsichtlich der zu transportirenden Güter, und des Frachtführers hinsichtlich der zu leistenden Transportdienste. Der letztere muss daher Anspruch haben auf die bereits verdiente Fracht nebst den bis dahin entstandenen Kosten und Auslagen, wozu auch die Kosten einer etwaigen Aus- und Umladung, Lagerung etc. aus Anlass der Verhinderung zu rechnen sind; auf den vollen Frachtpreis aber kann er keinen Anspruch haben, da er den vollen Transport nicht ausgeführt hat. Andererseits hat der Versender keine Entschädigung zu entrichten, da die Unterbrechung nicht von ihm veranlasst ist, sondern unabhängig von seinem Willen eintritt. Der Contract löst sich mithin für die beiden Theile von selbst von dem Augenblicke an, wo seine Erfüllung unmöglich oder doch der Zweck der Erfüllung vereitelt wird, und jeder Theil wird gegen den Anderen frei wegen aller Verbindlichkeiten, die bis dahin nicht bereits entstanden sind. Dass der Frachtführer übrigens dem Versender etc, schleunigst Nachricht geben und bis zum Eintreffen der neuen Verfügung desselben für die Güter Sorge zu tragen hat, folgt aus der Bestimmung des Art. 565.
Art. 569. Der dritte Fall ist die Verhinderung oder Vereitelung des Transports durch den Frachtführer selbst, und zwar sowohl wenn dieser die Unmöglichkeit oder Gefährlichkeit des Transports durch sein Verschulden herbeigeführt hat, z. B. Trunkenheit, Nachlässigkeit etc, als auch wenn der Frachtführer einfach den Vertrag nicht ausführt oder ausführen will, ohne dass einer der in Art. 568 erwähnten Umstände eingetreten ist. Hier ist der Frachtführer unzweifelhaft vertragsbrüchig geworden und unterliegt den Folgen seines Handelns nach Art. 373. Der andere Theil kann mithin nach seiner Wahl vom Vertrage zurücktreten oder Entschädigung fordern, und zwar vollen Schadensersatz, wenn dem Frachtführer böse Absicht oder Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Nur dann soll jedoch diese Folge nicht eintreten, wenn der Frachtführer den bedungenen Transport von einem anderen tauglichen Ersatzmann ausführen lässt, in Anwendung der Regel des Art. 564. Die Transportleistung ist keine höchst persönliche Leistung, sondern sie kann von Jedem gemacht werden, der hiezu befähigt ist, und es entspricht überdies den Verhältnissen des Verkehrswesens, eine solche Substitution zuzulassen, soweit die Ansprüche und Interessen des Versenders dadurch nicht verletzt werden, z. B. kein höherer Frachtpreis gefordert, keine geringere Sicherheit etc. angeboten wird u. s. w. Insoweit kann über die Richtigkeit und Zweckmässigkeit der Bestimmung dieses Artikels kein Zweifel bestehen und sie ist mit dem Deutschen H. G. B. Art. 394 conform.
Ein Zweifel möchte nur entstehen in Fällen, wo eine wirkliche Verhinderung des Transports in der Person des Frachtführers eintritt, aber ohne dessen Verschulden, z. B. wenn er »krank wird, wenn ihm seine Pferde wegsterben oder abgepfändet werden u. dgl. m. Diese Fälle unterscheiden sich von denen des vorigen Artikels, insoferne der Transport nicht an sich verhindert wird, sondern nur relativ aus Gründen, die in der Person des Frachtführers liegen. Im allgemeinen wird ein Schuldner durch die später eintretende Unmöglichkeit der Leistung von seiner Verpflichtung nicht befreit, wenn die Unmöglichkeit nur für seine Person besteht, ausgenommen wenn die Leistung eine ganz individuelle war. Letzteres trifft bei Transportleistungen nicht zu, daher bleibt der Frachtführer auch in solchen Fällen verpflichtet, und der Versender kann Entschädigung fordern, wenn ihm nicht ein anderer Frachtführer gestellt wird.
Art. 570. In diesem Artikel handelt es sich nicht um Sistirung oder Abänderung des bedungenen Transportes, sondern um eine neue von dem Frachtbriefe abweichende Verfügung über die Güter. Der Versender hat diese Verfügung fortwährend in seiner Macht, so lange bis die Güter abgeliefert sind ; denn diese Verfügung hätte er auch gehabt, wenn er sie nicht zum Transport abgegeben hätte, und der Umstand, dass ein Frachtführer sie in Händen hat, kann an seinem Verfügungsrechte nichts ändern, denn der Frachtführer ist nur als Agent des Versenders zu betrachten. Wenn also der Versender rechtzeitig die Ablieferung an einen anderen Adressaten, oder in ein Lagerhaus, oder nur bedingt z. B. gegen Bezahlung des Preises (Nachnahme), vorschreibt, so muss der Frachtführer dieser Weisung Folge leisten, widrigenfalls er dem Versender haftbar wird. Dies erstreckt sich jedoch nicht auf Handlungen, die nicht üblicher Weise mit der Besorgung von Transportdiensten verbunden sind ; z. B. der Frachtführer könnte nicht gegen seinen Willen angehalten werden, selbst den Verkauf der Waare zu besorgen etc.
Von dieser Berechtigung des Versenders dem Frachtführer gegenüber ist die Berechtigung gegenüber dem im Frachtbriefe bezeichneten Empfänger wohl zu unterscheiden. Die letztere ist nach dem zwischen dem Versender und Empfänger bestehenden Rechtsverhältniss zu beurtheilen. Ist der letztere nur sein Agent oder Commissionär, so hat er ohne Zweifel auch gegen diese das fortdauernde Recht der freien Verfügung, anders wenn der Adressat die Frachtgüter gekauft hätte oder sonst ein selbständiges Recht daran besässe. In letzteren Fällen würde der Versender vertragsbrüchig und dem Gegentheile haftbar werden, wenn nicht ausnahmsweise, wie im Falle des sog. stoppage in transitu (droit de suite) dem Verkäufer das Recht der Zurücknahme zustünde. Jedoch wäre dies immer nur eine Sache zwichen Versender und Empfänger, der Frachtführer bleibt daran unbetheiligt, und der Verfügung des ersteren nach Vorschrift des gegenwärtigen Artikels unterworfen.
Art. 571. Der Inhalt dieses Artikels ist namentlich in der Englischen und Nordamerik. Jurisprudenz anerkannt. Smith mercant. law. p. 277. Ebenso in Frankreich Bravard II. p. 330. Ein Frachtführer, der das Gewerbe eines solchen ständig vor dem Publicum betreibt, kann nicht beliebig Transportaufträge zurückweisen. Im Deutschen H. G. B. Art. 422 findet sich diese Vorschrift nur für Eisenbahnen, was jedoch nicht zu billigen ist: ein factisches Monopol des Transportbetriebs zwischen bestimmten Orten ist regelmässig für alle Frachtführer vorhanden, oder doch nur zwischen Wenigen getheilt, und es liessen sich die Bestimmungen des Transportrechtes kaum durchführen, wenn ein Frachtführer willkürlich Frachtgüter vom Transport ausschliessen könnte. Der Ausschliessung stünde die Forderung von Bedingungen gleich, durch welche die Betheiligten in ihren rechtlichen Ansprüchen auf Transport verletzt würden, z. B. die Forderung eines höheren als des üblichen Frachtpreises, die Ablehnung der schuldigen Haftung, die Bedingung einer längeren Transportfrist etc. Beides kann der Frachtführer der Regel nach nur aus gesetzlichen Gründen, namentlich 1, wenn der verlangte Transport überhaupt oder so wie er verlangt wird, vom Gesetze verboten wäre oder sonst gegen die Gesetze verstiesse, z. B. kann Niemand zum Bruch einer Blockade, zum Transport verbotener Waffen oder in ungesetzlicher Verpackung, zur Uebertretung der Zollvorschriften etc. gezwungen werden; und 2, wenn der Versender sich weigert, seinerseits die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, namentlich den tarifmässigen Frachtpreis zu zahlen, wobei jedoch eine Vorausbezahlung oder Sicherheit nicht gefordert werden kann, da an den Frachtgütern selbst immer das Retentionsrecht haftet.
Eine weitere Frage ist, ob auch vertragsmässige Verpflichtungen, die etwa ein Frachtführer gegen andere Frachtführer oder dritte Personen eingegangen hat, unter den Begriff eines gesetzlichen Grundes fallen, aus welchen Transportaufträge abgelehnt werden können. Diese Frage ist zu verneinen, denn durch private Vereinbarungen kann geltendes Recht nicht aufgehoben werden. Solche Verträge könnten zwischen den Frachtführern eines Ortes oder Bezirkes unter einander oder mit anderen Gewerben, Gesellschaften oder einzelnen Personen abgeschlossen werden dahin gehend, dass für gewisse Personen, deren Concurrenz man damit beseitigen will, der Transport gar nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen soll übernommen werden. Coalitionsverträge, durch welche Handelspersonen sich zur gemeinsamen und gleichmässigen Beobachtung gewisser Grundsätze in ihrem Gewerbe verpflichten, sind zwar an sich nicht ungültig, solange sie nicht eine Beschränkung der Gewerbe-thätigkeit (restraint of trade) zum Zweck haben, welche letztere nur unter ganz bestimmten und begrenzten Voraussetzungen gestattet ist (Art. 30). Verträge jedoch, durch welche andere Personen von der freien Concurrenz oder überhaupt von der Ausübung ihres Gewerbes ausgeschlossen würden, sind offenbar unzulässige Coalitionsverträge und können keinen gesetzlichen Ablehnungsgrund abgeben. Anders wäre es, wenn derartige Vorschriften des Gewerbebetriebes nicht in Privatverträgen, sondern in rechtmässig zu Stande gekommenen und genehmigten Zunftordnungen, Bösenordnungen etc. enthalten wären. Solche Vorschriften wären ebenso gültig, wie z. B. Zollgesetze, Steuergesetze, und die Frachtführer wären in ihrem Rechte, wenn sie die Annahme von Transportaufträgen von der Erfüllung der in solchen Gesetzen oder Ordnungen enthaltenen Bestimmungen abhängig machten.
Der Entwurf schreibt ferner vor, dass auch ungenügende Transporteinrichtungen keinen gesetzlichen Entschuldigungsgrund abgeben dürfen, ausgenommen unter ausserordentlichen Umständen. Daher muss ein Frachtführer, der den Transport zwischen 2 Orten regelmässig besorgt, auch für das Bedürfniss genügend eingerichtet sein, welches regelmässig auf der betreffenden Route sich geltend macht, ja man kann mit Fug und Recht verlangen, dass für einen gewissen den gewöhnlichen Durchschnitt übersteigenden Bedarf die erforderlichen Transportmittel in Reserve gehalten werden. Diese Bestimmung ist durchaus nothwendig, weil sonst die Frachtführer ihr Transport—Monopol zum Nachtheil einzelner Personen oder ganzer Gewerbszweige auf das gröbste missbrauchen könnten; und es ist die Bestimmung in Art. 533 damit zu verbinden, dass in der Verpflichtung zur Annahme auch die zur unverzüglichen Ausführung des Transportes liegt, dass mithin ein Frachtführer die ihm aufgegebenen Güter wegen Mangels an Beförderungsmitteln, Wagen, Locomotiven, Pferden, oder wegen ungenügenden Dienstpersonals nicht auf unbestimmte Zeit, vielleicht Wochen und Monate lang, liegen lassen darf. Hievon wird nur bei ganz aussergewöhnlichem Andrange von Gütern eine Ausnahme zuzulassen sein, welcher selbst die vorhandenen ordentlichen Reservemittel übersteigt und auf ausserordentlichen Ursachen, wie z. B. Krieg, Belagerung, hochgesteigerter Speculation etc. beruht. Diese Bestimmung ist auch insoferne gerechtfertigt, als sie dem Interesse der Frachtführer selbst entspricht, welches die Zuwendung möglichst vieler Transportaufträge fordert.
Die eben besprochene Regel erleidet jedoch Ausnahmen. Einmal, braucht kein Frachtführer einen Transport zu übernehmen, der nicht in seinen gewöhnlichen Transportbetrieb fällt. Dies bezieht sich zunächst auf die verschiedenen Arten des Transportbetriebs; z. B. die Verpflichtungen einer Eisenbahn sind offenbar verschieden von denen eines gewöhnlichen Fuhrmanns, die eines Dampfschiffs verschieden von denen eines einfachen Ruderbootes. Wer nur mit einem Wagen zwischen 2 Orten fährt, braucht nicht mehr Güter anzunehmen, wenn sein Wagen voll ist; und er ist regelmässig nicht verpflichtet, für den Fall des Bedarfs einen zweiten Wagen in Bereitschaft zu halten. Würde aber eine Actien-Gesellschaft den Transport per Wagen zwischen mehreren Orten besorgen, so würden ihr grössere Verpflichtungen obliegen und solche in der Concessionsurkunde auszudrücken sein, da einer solchen Gesellschaft mittelst Actien und Anlehen grössere Capitalien zur Verfügung stehen, was bei einzelnen Privatpersonen nicht der Fall ist. Gleiches wäre in Bezug auf den Schiffsverkehr zu beobachten, und in Bezug auf öffentliche Verkehrsanstalten wie die Post etc. Dieser Unterschied bezieht sich aber auch auf die Gegenstände, und es kann kein Frachtführer verpflichtet sein, Gegenstände anzunehmen, zu deren Transport seine Mittel nicht passend sind. Man kann z. B. auf einer Postkutsche keine Balken und Bäume, und auf einem kleinen Fluss-Dampfer keine grossen Gütermassen wie auf den grossen Seeschiffen transportiren. Das sind, wie man sieht, lauter relative Unterschiede, und es hängt mithin die Anwendung dieser Bestimmung von den jeweiligen Umständen ab.
Endlich ist Niemand verpflichtet, Gegenstände anzunehmen, mit deren Transport eine besondere Gefahr verbunden wäre, z. B. leicht explodirende, feuergefährliche, mit Ansteckungs-Gefahr behaftete Stoffe, krankes Vieh, wilde Thiere u. dgl., soferne die Gefahr nicht durch die Art der Verpackung oder andere Vorsichtsmassregeln abgewendet werden kann. Jedenfalls sind bei solchen Gegenständen die etwa bestehenden Polizeivorschriften zu beobachten, und ohne solche wäre der Frachtführer sogar verpflichtet, den Transport abzulehnen. Diese Bestimmung ist offenbar nothwendig, weil der Frachtführer die fast unbegrenzte Gefahr des Transportes trägt und durch die Uebernahme solcher Gegenstände er selbst, seine Transportmittel und die übrigen Transportgegenstände in Gefahr gebracht würden.
Art. 572. Diese Bestimmung ist die nothwendige Folge aus dem Zweck und der Natur eines Frachtvertrages und auch der allgemeinen Regel (Art. 350) entsprechend, dass Verträge rechtsgültig zu Gunsten dritter Personen abgeschlossen werden können. Eine solche dritte Person ist hier der Empfänger oder Adressat. Derselbe kann im Frachtbrief bezeichnet sein unmittelbar oder mittelbar durch Indossirung; oder auch durch den blossen Besitz des Frachtbriefes, wenn dieser auf den Inhaber ausgestellt ist. Er kann aber auch anders, nämlich nach Art. 570 durch eine spätere Verfügung des Versenders dem Frachtführer bezeichnet werden. Welche Rechte dem Empfänger am Frachtgute zustehen, ist hiefür ganz gleichgültig; der Empfänger kann Käufer, Commissionär, Agent oder ein einfacher (Konsignatär sein, es hängt dies nicht von dem Frachtvertrage, sondern von dem zwischen dem Empfänger und Versender bestehenden Rechtsverhältniss ab. Möglicher Weise wird durch die Sendung erst ein Rechtsverhältniss der letzteren Art zu begründen gesucht, z. B. durch, Zusendung von Waaren mit dem Auftrag sie zu verkaufen oder weiter zu verschicken etc. Wenn der Empfänger auf diesen Antrag nicht eingehen würde, wäre er nichtsdestoweniger zur Empfangnahme der Güter verpflichtet und berechtigt, wenn z. B. die Bestimmung des Art. 523 zur Anwendung käme.
Der Empfänger kann die Güter nur nach Massgabe des sie begleitenden Frachtbriefes in Empfang nehmen, denn dieses entscheidet über die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Frachtvertrage; sowohl bezüglich Einhaltung der Frist, etwaiger Verluste oder Beschädigungen, als auch bezüglich der Entrichtung des Frachtpreises, etwaiger Kosten und Auslagen, Bezahlung des Preises im Falle einer Nachnahme etc. Daher ist es die Regel, dass die Empfänger sich durch Vorzeigung des Frachtbriefes, von welchem ihnen ein Exemplar zugesandt wurde, zur Empfangnahme der Güter legitimiren. Es kann jedoch ebensowohl der Frachtführer ihnen nach Ankunft der Güter den Frachtbrief behufs Empfangnahme und Erfüllung der im Frachtbrief bezeichneten Vorbedingungen zuschicken.
Art. 573. Der Adressat kann die Empfangnahme der Güter verweigern entweder aus Gründen, welche den Absender, oder aus Gründen, welche den Frachtführer betreffen, resp. er kann zur Annahme der Güter bereit sein, aber den Frachtpreis etc. nicht zahlen wollen, z. B. weil die Güter verspätet oder beschädigt angekommen sind. Wenn nun zwischen dem Frachtführer und dem Empfänger Streit entsteht, so braucht der erstere die Schlichtung dieses Streites nicht abzuwarten, da sein Gewerbe ihn meist ohne weiteren Verzug weiter ruft und er zur längeren Aufbewahrung der Güter und Haftung für dieselben über den Zeitpunkt der schuldigen Ablieferung hinaus nicht verpflichtet sein kann. Er hat also vor allem das Recht, die Frachtgüter anderweit sicher zu hinterlegen und womöglich unter Anwendung des Art. 558 den Streit durch Sachverständige entscheiden zu lassen. Wenn nun der Empfänger den ihm hiernach zustehenden Anspruch auf den Frachtpreis etc. nicht befriedigt, so kann er sein Retentionsrecht geltend machen und zum Verkaufe der Güter schreiten, soweit dieser zur Deckung seiner gesammten Forderung (Art. 548) nothwendig ist, und zwar für die ganze Ausführung des Transports, auch für die etwaigen Vormänner und Spediteure (Art. 549). Im Falle eines Streites, der auf diese Weise nicht rasch und bestimmt zu erledigen ist, muss das Ende des allenfallsigen Processes abgewartet werden, und der Frachtführer, welcher ohne Berechtigung zum Verkauf schritte, würde dies auf eigene Gefahr thun und dem Empfänger bez. Versender volle Entschädigung dafür schuldig sein. Die vorherige Genehmigung des Verkaufes durch ein vom Gericht zu erlassendes Verkaufsdecret, wie sie im Französ. Code de comm. Art. 106 und im Deutschen H. G. B. Art. 407 angeordnet ist, erscheint nicht nothwendig, da es sich nur um Ausübung des Retentionsrechtes handelt (Art. 451), und die vorherige Notification an den Empfänger von dem bevorstehenden Verkaufe hinreichende Sicherheit bietet. Ein Frachtführer, der in betrüglicher Absicht Frachtgüter verkaufte, ohne hiezu berechtigt zu sein oder die gesetzlichen Vorbedingungen zu erfüllen, würde ohne Zweifel gleich einem Diebe criminell zu bestrafen sein.
Art. 574. Diese Bestimmung findet sich auch im Deutschen H. G. B. Art. 408 und im Französ. Code de comm. Art. 105 und in den diesem nachgebildeten Gesetzbüchern. Sie stellt eine gesetzliche Präsumtion auf, dass der Frachtführer seine Verpflichtung vollständig erfüllt hat, wenn der Empfänger die Güter in Empfang nimmt und dem Frachtführer den Frachtpreis etc. auszahlt. Allein diese Präsumtion kann wie jede andere durch Gegenbeweis zerstört werden, der Empfänger muss aber, um sich gegen diese Präsumtion zu schützen, seine Rechte sich ausdrücklich vorbehalten. Wenn er diesen Vorbehalt nicht macht, muss die Präsumtion zur Gewissheit werden, und etwaige spätere Einwendungen werden nicht mehr gehört, da sie durch unbedingte Annahme ausgeschlossen sind. Die Stellung eines Frachtführers gegenüber einer meist grossen Zahl von Empfängern, und die Nothwendigkeit jede Reise möglichst rasch und definitiv zu erledigen, rechtfertigen diese Bestimmung zu Gunsten des Frachtführers. Reclamationen müssen also sofort bei der Empfangnahme erhoben werden, widrigenfalls sie später nicht mehr zugelassen werden. Es muss daher der Empfänger berechtigt sein, den Zustand der Güter sofort bei der Auslieferung zu untersuchen, und der Frachtführer muss ihm hiezu Gelegenheit geben; ausserdem wäre der Empfänger zur Annahme der Güter nicht verpflichtet. Wenn er diese sofortige Untersuchung unterlässt, thut er es auf eigene Gefahr. Uebrigens hebt nicht schon die Annahme der Güter das Recht zu Reclamationen auf, sondern es muss die Bezahlung des Frachtpreises etc. hinzutreten. Der Empfänger hat daher bis dahin vielfache Gelegenheit, den Zustand der Güter auch nöthigenfalls zu Hause zu untersuchen. Auch findet die Bestimmung des Art. 574 keine Anwendung, wenn der Frachtpreis etwa vorausgezahlt wurde, und nachher der Empfänger die Güter annimmt; sondern es bezieht sich dieselbe nur auf den Fall, dass der Empfänger annimmt und bezahlt. Dies ist durchweg auch die Auffassung der Französ. Jurisprudenz, obwohl der Art. 105 es nicht ausdrücklich sagt. Bravard II. p. 380. 381.
Das Deutsche H. G. B. Art. 408 macht eine Ausnahme für den Fall von Verlust oder Beschädigung, welche bei der Ablieferung äusserlich nicht erkennbar waren. Allein diese Ausnahme entspricht nicht den strengen Bedürfnissen des Transportwesens, und die Empfänger sind für verpflichtet zu halten, den Zustand der Güter entweder sofort bei der Annahme zu untersuchen oder sich eine spätere Reclamation vorzubehalten. Auch ist ein späterer Beweis, dass gewisse Defecte etc. schon während des Transports entstanden sind, offenbar mit Schwierigkeiten verknüpft und wird dadurch nur betrügerischen Manipulationen ein Spielraum eröffnet.
Spätere Ansprüche wegen Diebstahls, Veruntreuung etc. durch den Frachtführer oder seine Leute sind durch diesen Artikel nicht ausgeschlossen, denn solche Ansprüche gründen sich auf die Grundsätze des gewöhnlichen Civilrechts und haben mit der handelsrechtlichen Normirung der Haftung von Frachtführern in ihrem Gewerbebetrieb nichts zu thun. Auch kann der Artikel keine Anwendung finden, wenn der Empfänger durch Schuld des Frachtführers, z. B. wegen Verlustes des Frachtbriefes, die sofortige Untersuchung der Güter nicht vornehmen konnte.
Art. 575. Die einjährige Verjährung gegen den Frachtführer rechtfertigt sich dadurch, dass derselbe den Transport als Gewerbe betreibt und unzählige Frachtstücke im Laufe eines Jahres durch seine Hände gehen, wesshalb es sich empfiehlt, seine Haftung auf einen Zeitraum zu beschränken, in welchem er volles Bewusstsein der betreffenden Thatsachen hat und seine Vertheidigungsmittel noch frisch und vollständig zu benützen vermag. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Deutschen H. G. B. Art. 386. 408 und im Code de comm. Art. 108, im Ital. H. G. B. Art. 88, und im Holländischen Art. 95. In den zuletzt genannten Gesetzbüchern wird die Verjährung sogar auf 6 Monate beschränkt, wenn der Transport nur im Jnnern des Landes stattfand; allein diese Beschränkung erscheint für Japan wegen seiner langgestreckten Grenzen und des jetzigen Zustandes seiner Verkehrsverhältnisse nicht angemessen. Die Verjährung betrifft alle Forderungen gegen den Frachtführer, gleichviel ob sie als Klagen oder Einreden erhoben werden. In Bezug auf Einreden urtheilt die Französ. Jurisprudenz anders, da der Art. 108 nur von Klagen spricht, und der Frachtführer durch längeres Zuwarten mit seiner Klage den Beklagten des Gebrauches der ihm zustehenden Einreden berauben könnte. Allein der Empfänger ist selbst im Stande seine Reclamationen im Wege der Klage geltend zu machen, und wenn er dies unterlässt, mithin länger als ein Jahr damit wartet, muss er die Folgen sich selbst zuschreiben. Vom Fall der Verspätung ist im Code de comm. Art. 108 gleichfalls keine Rede, allein die Französ. Jurisprudenz wendet die Verjährung auch auf diesen Fall an. Es wurde daher der Entwurf ausdrücklich darauf ausgedehnt, da kein Grund besteht, in dieser Beziehung eine Ausnahme zu machen.
Ansprüche wegen Betrug, Diebstahl, Veruntreuung etc. unterliegen dieser kurzen Verjährung nicht, welche sich nur auf Ansprüche aus dem Gewerbebetrieb des Frachtführers bezieht. In Fällen, wo der Frachtführer oder seine Leute wegen criminell strafbarer Handlungen haftbar wären, würden wegen der dadurch veranlassten Ersatzansprüche die criminälgesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen. Die Verjährung beträgt in solchen Fällen in Frankreich 10 bez. 3 Jahre.
Die Verjährung dieses Artikels läuft nur bei Ansprüchen gegen den Frachtführer, nicht bei Ansprüchen des letzteren gegen den Empfänger oder Versender. Für die letzteren besteht kein Grund, von der gewöhnlichen commerciellen Verjährung von 6 Jahren eine Ausnahme zu machen. Nur das Retentionsrecht des Frachtführers geht verloren, wenn er die Frachtgüter ohne Bezahlung aus den Händen gibt. Allein auch dieser Verlust würde nicht eintreten, wenn er die Güter dem Empfänger nur zum Zweck der Untersuchung des Zustandes derselben überliesse; denn dies wäre eine Verfügung zu seinem eigenen Vortheil, und es würde mithin die Bestimmung des Art. 446 zur Anwendung kommen, der Frachtführer könnte daher immerhin sein Retentionsrecht noch geltend machen binnen der Zeit, in welcher die Untersuchung vorgenommen werden kann.
Die Vorschriften dieses und des vorhergehenden Artikels, sowie überhaupt des gegenwärtigen Paragraphen sind nach Art. 541 auch auf den Spediteur anzuwenden, soweit er nicht als blosser Commissionär zu beurtheilen ist.
Cap. 8. Beförderung von Passagieren.
Art. 576. Die Beförderung von Passagieren zur See ist von den nachfolgenden Bestimmungen ebenso ausgeschlossen, wie der See-Transport von Gütern, und den Bestimmungen des Seerechts überlassen. Es gehört hieher also nur die Beförderung von Passagieren auf Landstrassen, Flüssen, Canälen und Landseen, mittelst Fuhrwerken aller Art, Omnibusse, Droschken, Segel- oder Dampfschiffen, Booten, Fähren etc. Es ist gleichviel, ob die Beförderung als Gewerbe betrieben wird oder nur gelegentlich, oder etwa als Veranlassung eines anderen Gewerbes, z. B. in Hotelomnibussen. Nothwendig ist dagegen die regelmässige Vergütung der Beförderung durch ein Fahrgeld, wenngleich dies nicht in jedem Falle oder in Bezug auf alle Personen vorzukommen braucht; wenn z. B. ein Hotelbesitzer seine Gäste umsonst ausfahren liesse, oder wenn eine Bahnverwaltung einen unentgeltlichen Vergnügenszug veranstalten würde zur Einweihung oder für andere Festlichkeiten, u. dgl.
In den Handelsgesetzbüchern wird die Beförderung von Passagieren regelmässig gar nicht erwähnt, vermuthlich weil man sie nach den früheren jetzt veralteten Anschauungen nicht zum Handelsbetriebe rechnete. Indessen gehört der Betrieb des Personenverkehres ebenso wie der des Güterverkehres zu den productiven Beschäftigungen, und in der neueren Zeit dürfte sogar der Personenverkehr für Handelszwecke den grössten Theil des Jahres hindurch überwiegen. In Folge der bemerkten Lücke ist auf die Beförderung von Passagieren nach jenen Gesetzgebungen das gewöhnliche Civilrecht anzuwenden, von dem sich zwar die hier anzuwendenden Grundsätze zum Theil nur wenig unterscheiden, das aber in anderen Beziehungen ungenügend ist. Daher schien es angemessen, dem Entwurf einen besonderen Abschnitt über diesen Gegenstand beizufügen.
Es kann als allgemein anerkannter Grundsatz gelten, dass diejenigen, welche Personen befördern, keiner so strengen Haftung wie Frachtführer unterliegen. Sie haften nur für ihre böse Absicht oder Nachlässigkeit, mithin nicht für höhere Gewalt und für den Zufall, selbstverständlich auch nicht für Unfälle, welche sich die Passagiere durch eigene Nachlässigkeit und Unvorsichtigkeit zufügen. Indessen haften sie nicht blos für gewöhnliche oder durchschnittliche Sorgfalt, sondern für den höchsten nur möglichen Grad von Vorsicht und Aufmerksamkeit, da es sich hier um Menschenleben und Gesundheit handelt, und es liegt ihnen, nicht den Verunglückten, die Beweislast ob, da die letzteren oft gar nicht mehr im Stande sind, eine Aussage zu machen und oft wegen Mangels an Sachkenntniss oder wegen Unkenntniss der Umstände die wahren Ursachen eines Unfalles nicht zu beurtheilen vermögen. Wer also wegen eines solchen Unfalles verklagt wird, wird zur Entschädigung verurtheilt, wenn er nicht beweisen kann, dass der Unfall durch Schuld der Passagiere selbst oder durch Zufall oder durch höhere Gewalt, z. B. Scheuwerden der Pferde wegen einer Begegnung auf der Strasse, oder durch einen Blitzschlag u. dgl. herbeigeführt wurde.
Die Ursachen von Unglücksfällen sind sehr manichfaltiger Art, sie liegen aber meist in Mängeln des Betriebes, deren Kenntniss oder vorherige Untersuchung man dem Passagier nicht zumuthen, ja meist nicht einmal gestatten kann. Dies ist namentlich der Fall bei dem complicirten Maschinenbetrieb auf Eisenbahnen und Dampfschiffen, aber auch das Fahren in gewöhnlichen Booten oder Kutschen erfordert viele und ununterbrochene Sorgfalt. Die Fuhrwerke oder Fahrzeuge müssen solid und wohl ausgerüstet sein, es müssen für Nothfälle die nöthigsten Reserven gehalten werden, das Dienstpersonal muss treu, zuverlässig, geschickt und nüchtern sein, die Zugthiere dürfen nicht krank, scheu oder sonst mit Fehlern behaftet sein, die Fuhrwerke etc. dürfen nicht überladen werden, das Fahren darf nicht zu rasch und hitzig sein, wie es oft aus blossem Ehrgeiz vorkommt, Pferde von verschiedenem Temperament dürfen nicht zusammengespannt werden. Kurz der Betrieb dieser Art von Gewerbsthätigkeit erfordert nach allen Seiten Sorgfalt, Kenntniss, Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit, und wer dieses Geschäft betreibt, ist dafür verantwörtlich. Nur für zufällige oder unvermeidliche Unglücksfälle haftet er nicht, denn die Passagiere sind selbst urtheilsfähig, behalten ihre persönliche Freiheit und werden dem Unternehmei' nicht so zur absoluten Verfügung anvertraut wie Güter. Daher müssen sie die Gefahr des Reisens insoweit auf sich nehmen.
In neueren Gesetzen ist den Eisenbahnen durch besondere Gesetze auch die Haftung für zufällige Unglücksfälle aufgebürdet worden, indem man sie für die der Natur des Eisenbahnbetriebs innewohnenden manchfachen Gefährlichkeiten verantwortlich machen wollte, um Eisenbahnunfalle möglichst zu verhüten und die Bahnverwaltungen jederzeit zur möglichst sorgfältigen und zuverlässigen Ausübung ihres Betriebes anzuhalten. Dies ist z. B. in Deutschland durch ein Gesetz vom 7. Juni 1871 und auch in anderen Ländern geschehen. Dem Erlasse eines solchen Gesetzes würde auch für Japan nichts im Wege stehen; in ein Handelsgesetzbuch passen dergleichen gesetzliche Bestimmungen nicht gut, da sie um gewisser polizeilicher Zwecke willen Abweichungen von der Gerechtigkeit sanctioniren. Dass ein Frachtführer für den Zufall haftet, erklärt sich dadurch, dass er während der Reise vom Versender nicht controlirt werden kann und die Güter ihm absolut anvertraut werden müssen. Dies ist bei Passagieren nicht der Fall, und die eigene Sicherheit des Unternehmers oder seiner Leute bürgt in der Regel schon für die der Passagiere. Jene Gesetze legen, daher eine ungerechte Last auf die Beförderungsunternehmer, der sie sich dann durch äusserste Bestreitung der Entschädigungsansprüche zu entziehen suchen.
Ein solcher Unternehmer kann nie für Verlust haften, auch nicht für Verspätung, da sich daran bei Personen kein unmittelbares Vermögensinteresse knüpfen lässt; es bleibt nur die Haftung für körperliche Verletzung oder irgend welche Beschädigung, die wie bei Gehirnerschütterungen etc. auch rein geistiger Natur sein kann. Soweit nun Verletzung oder Beschädigung eintritt, ist der Unternehmer dem davon Betroffenen Entschädigung schuldig.
Art. 577. Das Princip der Entschädigung für persönliche Verletzung oder Beschädigung ist äusserst schwer festzustellen, soferne es sich um mehr als um die durch einen Unglücksfall verursachten Kosten und Auslagen handelt. Ueber den Ersatz der letzteren kann kein Zweifel bestehen, da sie dem Verunglückten oder seinen Rechtsnachfolgern einen directen Vermögensverlust zufügen. Es gehören dahin aber nur die Heilungs- und besondere Unterhalts kosten—z. B. in einem Hotel, Krankenhaus, überhaupt äusser dem Hause oder wegen besonderer Speisen und Getränke etc.—nicht auch die Beerdigungskosten, da jeder Mensch einmal sterben muss, und der Umstand, dass der Tod früher und durch Schuld eines Anderen eintrat, für Niemanden ein rechtmässiger Grund sein kann, sich auf fremde Kosten begraben zu lassen. Dagegen erblickt man das Princip der persönlichen Entschädigung auch noch in einer Vergütung für geminderte oder verlorene Erwerbsfähigkeit, wofür im Fall des Todes die unterhaltsberechtigten Angehörigen schadlos zu halten sein. Der Entwurf ist diesem Princip nicht beigetreten, da es ein fehlerhaftes zu sein scheint. Einmal liegt der Werth des Lebens oder der Gesundheit etc. überhaupt nicht in der Erwerbsfähigkeit, sondern ist viel grösser und in Geld unschätzbar, so dass mit einer Entschädigung nach dem Massstab der Erwerbsfähigkeit doch kein voller Ersatz erlangt wird. Sodann hat Niemand sein Leben oder seine Gesundheit in seiner Macht, so dass Niemand mit Gewissheit sagen kann, dass er ohne den Unfall länger gelebt oder unverletzt geblieben wäre, und wer an ein Schicksal oder eine göttliche Vorsehung glaubt, muss stets annehmen, dass dem Verunglückten gerade dieser Tod und dieser Unfall besehieden waren. Ferner ist die Erwerbsfähigkeit etwas so rein persönliches, dass sie niemals in causalen Zusammenhang mit einem Unfalle gebracht werden kann. Durch einen' und denselben Unglücksfall können Säuglinge und erwachsene Männer, Kranke und Gesunde, Starke und Schwache, Virtuosen nnd Bänkelsänger, Millionäre und Bettler getödtet werden und nie wird man mit Recht sagen können, dass eine gerechte Entschädigung darin liege, dass Jeder nach seiner Erwerbsfähigkeit entschädigt werde. Reiche müssten sich — nach Analogie des Art. 559 — vorher declariren und ein höheres Fahrgeld bezahlen, wenn diese Art von Entschädigung gefordert werden wollte. Viele werden diese Entschädigung gar nicht verlangen, für Andere könnte sie unter Umständen ein Glücksfall sein. Der Verlust einer Hand oder eines Fusses bedeutet für den Einen nichts weiter als körperliche Missgestalt, für den Anderen lebenslängliche Armuth ; und auch diese ist wieder ganz verschieden, je nachdem sie z. B. eine berühmte Tänzerin im Glanz der Jugend und Schönheit, oder eine arme alte Arbeiterin trifft. Nach allen diesen, noch leicht zu vermehrenden Erwägungen erleidet es keinen Zweifel, dass zwischen einem Unglücksfall und einer persönlichen Verletzung etc. kein innerer Zusammenhang hinsichtlich des dadurch bewirkten Vermögens schadens besteht, dass überhaupt ein die Person treffender Schaden in Geld gar nicht gleichmässig bemessen werden kann. Die Person gehört nicht zu den Vermögensgegenständen, und der Massstab des gewöhnlichen Vermögensschadens ist hier unanwendbar.
Andererseits lässt sich nicht läugnen, dass der blosse Ersatz der Kosten und Auslagen nicht genügt, schon desshalb, weil der Schuldige dabei in den meisten Fällen zu leicht wegkäme, aber jedenfalls desshalb, weil das natürliche Gerechtigkeitsgefühl auch für persönliches Unglück- Schmerzen, Angst, Verunstaltung, Gebrechlichkeit etc.—eine Entschädigung verlangt, welche zugleich dazu dient, dem Verunglückten oder seinen Angehörigen eine Hülfe zu gewähren, um den erlittenen Vermögensschaden wieder gut zu machen. Das Princip eines Schmerzensgeldes erscheint hiernach richtiger als der doch niemals voll erreichbare Ersatz der Erwerbsfähigkeit. Ueber die Höhe des Schmerzensgeldes lässt sich nichts weiter festsetzen, als dass einerseits die Natur des Unfalls, und sodann sein Einfluss auf die Erwerbsverhältnisse des Betroffenen massgebend sein sollen; und in letzterer Beziehung soll nicht ein voller Ersatz des verlorenen oder geschmälerten Erwerbs, sondern nur eine Beihülfe zur leichteren Ueberwindung des Unglücks gewährt werden. Im übrigen muss über die Höhe dieser Entschädigung die Volksanschauung und die Gewohnheit entscheiden, wobei die Entschädigung in anderen Fällen der fahrlässigen Körperverletzung einen Anhalt geben mag.
Art. 578. Die Gerechtigkeit verlangt, dass die zuletzt besprochene Entschädigung oder Beihülfe auch auf die Angehörigen ausgedehnt werde, wenn Jemand in Folge dos Unglücksfalles starb oder dauernden Körperschaden erlitt, so dass die Angehörigen in ihrem Unterhalt beeinträchtigt werden. Dies würde aber nicht zutreffen für die Kinder eines reichen Mannes, auch wenn dieser stürbe oder dauernd gelähmt wäre etc., da in diesem Fall für ihren Unterhalt keine Schwierigkeit entstünde. Die Angehörigen können also nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie in Folge des Unglücksfalles in ihrem Unterhalt beeinträchtigt werden, nicht insoweit sie durch Verlust ihres Vaters etc. etwa weniger reich sein würden. Zu den Angehörigen sind nicht alle Verwandte zu rechnen, sondern nur die Gatten und Descendenten ferner auch Ascendenten und Geschwister, die in dem Verunglückten ihren nothwendigen Ernährer hatten.
Art. 579. Reisegepäck wird in jeder Beziehung den Frachtgütern gleich behandelt, wenn es wie diese befördert, also dem Unternehmer zur Obhut übergeben wird und von diesem am Bestimmungsorte abzuliefern ist. Unter Reisegepäck sind alle Gegenstände zu verstehen, die ein Reisender mit sich führt, die mithin nicht die Natur von selbständig versendeten Handelswaaren haben, gleichviel ob der Reisende selbst mitreist, oder sie nach- oder vorausschiekt; dass es unmittelbar für Reisebedürfnisse diene, ist nicht nothwendig, die Sachen können auch für den Gebrauch am Ankunftsorte, ja selbst zum Verkauf etc. bestimmt sein. Dieses Gepäck steht während der Reise unter der ausschliesslichen Controle des Unternehmers, wesshalb er auch für den blossen Zufall haftet. Bravard II. p. 384.
Art. 580. Handgepäck der Reisenden ist von dieser strengen Haftung ausgeschlossen, da es der Passagier selbst in Händen behält, also selbst für dessen Sicherheit und Unverletztheit sorgen kann. Indessen ist auch Handgepäck immerhin Beschädigungen oder gänzlicher Zerstörung ausgesetzt durch Unfälle, die beim Transport der Reisenden selbst entstehen können. Gerechter Weise kann hier die Haftung nur dieselbe sein, wie überhaupt bei Beförderung von Passagieren, also nur für wirkliches Verschulden des Unternehmers nach der Regel des Art. 576. In Fällen, wo der Reisende unbeschädigt davon kommt, aber sein Gepäck verliert, ist dann nur für dieses Ersatz zu leisten, und zwar dem vollen Werthe nach, soferne der Unternehmer nicht seine Schuldlosigkeit zu beweisen vermag. Zum Handgepäck gehören nicht nur Reiscutensilien, Kleider, Wäsche, sondern auch unter Umständen Bücher, Schmucksachen und andere Geräthschaften, sowie das erforderliche Reisegeld, soweit man es bei sich führt. Was ein Reisender jedoch zur Reise nicht oder nicht in dem etwaigen Uebermasse bedarf, dafür kann kein Ersatz gefordert werden.
Art. 581. Während über die Art der Ablieferung von Handelsgütern der Handelsgebrauch entscheidet, und dieselbe jedenfalls nur nach Massgabe des Frachtbriefes und gegen dessen Aushändigung stattfindet, ist es mit der Ablieferung von Reisegepäck einfacher zu halten. Wenn auch meist ein Gepäckschein ausgestellt wird, ist derselbe doch von geringerer Bedeutung und es genügt die persönliche Recognition, soweit kein Verdacht oder Conflict obwaltet. Auch hat der Unternehmer nur das Reisegepäck dem Reisenden am Ende der Reise auszuhändigen, die weitere Behandlung, insbesondere Beförderung nach Hause etc, ist dessen Sache. Zur Bequemlichkeit dient es, wenn dem Reisenden eine 3 tägige Frist zur Abnahme des Gepäcks verstattet wird, wobei jedoch die Erhebung einer kleinen Extragebühr nicht gehindert ist. Wenn nach Ablauf der Reisende sein Gepäck nicht abholt, ist er gleich einem Gläubiger zu behandeln, der die ihm angebotene Erfüllung zurückweist, wesshalb die weitere Haftung des Unternehmers nur mehr die in solchem Fall geminderte sein kann (Art. 353).
In Bezug auf das Reisegepäck beiderlei Art hat sich der Unternehmer als Agenten des Reisenden zu betrachten und daher dessen Aufträge zu erfüllen, soweit sie durch den Transport veranlasst sind, in analoger Anwendung von Art. 565; z. B. in Bezug auf Weiterversendung, längere Aufbewahrung, Niederlage etc., falls ein Auftrag nicht seine regelmässigen Mittel oder Obliegenheiten überschreitet.
Art. 582. Der Beförderer von Reisenden und deren Gepäck unterliegt, soweit nicht in den vorhergehenden Artikeln andere Bestimmungen getroffen wurden, den gleichen Pflichten wie ein Frachtführer, und hat dieselben Rechte wie dieser, ausgenommen soweit die Verschiedenheit der Verhältnisse eine Abweichung mit sich bringt. Z. B. ein Reisebillet hat nicht die volle Bedeutung eines Frachtbriefes, die Bestimmungen wegen Verspätung oder Verlust können auf Passagiere keine Anwendung finden u. s. w. Wer Passagiere gewerbemässig befördert, muss jeden Passagier aufnehmen, der sich meldet und das Fahrgeld zu zahlen bereit ist; die Ausnahmen von dieser Regel sind jedoch hier etwas weiter zu fassen, da Niemand verpflichtet sein kann, Passagiere aufzunehmen, die sich hiezu nicht eignen, z. B. wegen Trunkenheit, ansteckender Krankheit, oder wegen eines sonstigen, ihre Beförderung neben anderen Passagieren hindernden Zustandes. Auch können Passagiere wegen ungebührlichen Betragens etc. zurückgewiesen oder ausgesetzt werden. Das Retentionsrecht erstreckt sich nicht auf die Personen der Passagiere und auf ihre Bekleidung, worunter alles zu verstehen ist, was sie des Anstandes oder des Schutzes gegen die Witterung wegen am Leibe tragen; Uhren und andere dergl. Sachen, wie Schmucksachen sind davon nicht ausgenommen. Der Grund hiefür ist, dass an der Person ein Executionsrecht nicht anerkannt werden kann.
Art. 583. Der Inhalt dieses Artikels wurde zum Theil bereits in den Bemerkungen zu Art. 576 erörtert. Die Haftung des Beförderers von Passagieren ist nach der Rücksicht für deren Leben und Gesundheit zu beurtheilen, nicht als Aequivalent für die Entrichtung des Fahrpreises. Daher besteht sie auch dann, wenn kein solcher entrichtet wird, also für Personen mit Freikarten, für die etwaigen Bahnbeamten etc. Völlig gleichgültig muss es sein, in welchem Zeitpunkt das Fahrgeld entrichtet wird, selbst dann, wenn der Passagier damit durch seine Schuld im Rückstande war, oder wenn er es zu defraudiren suchte, denn hierdurch würde nur ein Anspruch auf Nachzahlung oder Strafgeld erwachsen, die Haftung für Sicherheit würde dadurch nicht aufgehoben. Nur wenn Jemand heimlich oder gegen ausdrückliches Verbot die Fahrt mitmachte, z. B. im Gepäckwagen versteckt, oder auf dem Trittbrett, würde ein in Folge dessen verunglückender Passagier die Schuld sich selbst zuzuschreiben haben.
Cap. 9. Posten, Eisenbahnen und Telegraphen.
Art. 584. Die eigenthümlichen Verhältnisse des Betriebes dieser Verkehrsanstalten machen in manchen Beziehungen besondere Gesetze und umfassendere Reglements nothwendig, welche wenn sie als Specialgesetze erlassen werden, den allgemeinen Regeln des Handelsgesetzbuches vorgehen müssen. Indessen dürfen auch solche Specialbestimmungen dennoch den anerkannten Grundsätzen des Handelsrechts nicht widersprechen, und es ist die Vorschrift des Art. 547 auch hierauf auszudehnen. Abgesehen hievon, sind sie daher nur insoweit gültig, als sie sich auf Punkte beziehen, welche die dem Unternehmer freistehende äussere Einrichtung des Verkehres betreffen oder ausserdem der vertragsmässigen Vereinbarung unterliegen würden, oder soweit sie von der Gesetzgebung in der Absicht, für gewisse Gegenstände abweichende Grundsätze aufzustellen, erlassen worden sind. Das Recht solche Bestimmungen zu erlassen steht aber nur der gesetzgebenden oder executiven Staatsgewalt zu. Reglements, welche von Eisenbahnverwaltungen etc. auf eigene Faust, ohne öffentliche Genehmigung erlassen würden, sind nur private Anordnungen, und können von jedermann angefochten werden, wenn sie den Gesetzen widersprechen.
Staatsverträge sind namentlich zur Regelung des internationalen Frachtverkehres bestimmt, worüber in der neueren Zeit häufig Ver einbarungen zwischen den verschiedenen Regierungen getroffen werden. Diese Staatsverträge sind zwar nicht an sich für die Unterthanen verbindend, sondern sie werden dies erst durch Publicirung in jedem Staate oder durch Erlass von Gesetzen oder Verordnungen etc. auf Grund der Verträge. Es können aber durch dieselben die in speciellen Landesgesetzen etc. vorher angenommenen Grundsätze modificirt oder wenigstens in gewissen Details näher ausgeführt werden.
Titel IX. Kauf und Verkauf.
Cap. 1. Kaufvertrag.
Art. 585. Der Kauf und Verkauf bildet wohl das wichtigste aller Handelsgeschäfte und gewissermassen den Mittelpunkt des ganzen Handelsbetriebs. Denn der Handel ist in seiner wesentlichen Bedeutung Circulation, Umlauf von Gütern, und alle übrigen Geschäfte sind nur als Vorbereitung, Unterstützung oder Ausführung von Umlaufsacten zu betrachten. Der Umlauf der Güter geht aber der Regel nach nicht unentgeltlich vor sich, sondern nur gegen Vergütung ihres Werthes oder Bezahlung eines Preises dafür. Hierin liegt mithin die Erklärung dafür, was als wesentliche Erfordernisse von Verkauf und Kauf anzusehen sind. Nämlich einmal ein Contract oder eine beiderseitige Uebereinkunft, einen Verkehrsact unter gewissen Bedingungen vorzunehmen, und sodann als wesentlichen Inhalt dieses Contractes, der Uebergang einer Waare von der einen zur anderen Partei gegen Vergütung ihres Werthes. Das Kaufgeschäft kann nun verschiedene Hauptformen annehmen, und daraus ergeben sich correspondirende Contractsformen, welche sämmtlich unter den allgemeinen Begriff des Kaufs und Verkaufs oder des Umlaufes der Güter gegen ein Aequivalent fallen. Vor allem unterscheidet sich hienach der Tausch vom Kaufe, indem bei ersterem der Werth nicht in Geld, sondern in einer Waare vergütet wird. Der Kauf selbst aber unterscheidet sich wieder in den eigentlichen Kaufvertrag, und in den Lieferungsvertrag, und sodann in die Versteigerung, welche meist öffentlich erfolgt, und die Eigenthümlichkeit hat, dass sie unter der offenen Concurrenz mehrerer Käufer vor sich geht. Von besonderer Wichtigkeit ist es, den Kauf- und den Lieferungsvertrag genau auseinanderzuhalten, um so mehr als der moderne Handelsbetrieb mehr und mehr sich der Form des Lieferungsgeschäftes zuneigt. In den älteren Gesetzbüchern findet sich diese Unterscheidung gar nicht oder doch nur, wie im Code civil Art. 1589 als Unterscheidung zwischen Kaufvertrag und Kaufversprechen, womit den modernen Anforderungen des Handels nicht gedient ist. Diesem Mangel ist z. B. die seltsame Bestimmung des Code civil Art. 1599 entsprungen, dass der Verkauf einer fremden Sache nichtig sein solle; eine Bestimmung die nur auf den Kaufvertrag wenigstens der Regel nach passt, auf den Lieferungsvertrag dagegen gar nicht, so dass sie im Handel so gut wie gar nicht beachtet werden kann. In anderen H. Gesetzbüchern, wie z. B. im Deutschen Art. 271 und 338, wird zwar das Lieferungsgeschäft besonders unterschieden, allein den gewöhnlichen Regeln des Kaufvertrages unterworfen, was entschieden unrichtig ist, und überdies nur auf die Lieferung von fungiblen Quantitäten bezogen, eine Beschränkung, die in der Natur der Sache nicht begründet ist; denn es ist nicht einzusehen, warum eine Lieferung nichtwenigstens von generellen Sachen, z. B. eines Pferdes, einer gewissen Curiogattung übernommen werden kann. Der Lieferungsvertrag steht in einer gewissen Nähe zum Mandat, wie es denn überhaupt die Neigung der Handelswelt ist, alle Handelsgeschäfte möglichst der Idee eines Auftrages zu unterwerfen. Daraus ergibt sich, dass in der Form des Lieferungvertrages Geschäfte gemacht werden können, die in der Form des eigentlichen Kaufvertrages unmöglich sein würden.
In der Idee des Kaufgeschäftes liegt nothwendig ein Uebergang des Eigenthums auf den Käufer. Dies ist der eigentliche Kaufvertrag schlechthin, zu dessen nothwendigen Voraussetzungen die actuelle Möglichkeit des Eigenthumsüberganges gehört. Diese dem alten römischen Rechte noch fremde Auffassung ist in den modernen Gesetzgebungen, soweit sie nicht dem römischen Recht folgen, unzweideutig anerkannt. Code civil Art. 1583. Smith, mercant. law p. 474: Sale is a transmutation of property. Kent Comment. II. p. 468. Der Kaufvertrag ist kein Vertrag, durch welchen der Verkäufer sich verpflichtet Eigenthum auf den Käufer zu übertragen, sondern ein Vertrag durch welchen das Eigenthum unmittelbar übergeht; der Verkäufer hat nur die Verpflichtung dem Käufer als neuem Eigenthümer die Sache herauszugeben, aber nur gegen Bezahlung des Preises u. s. w. Mit anderen Worten, durch den Kaufvertrag erlangt der Käufer das Eigenthum, aber noch nicht den Besitz an den gekauften Sache. Geht das Eigenthum nicht über, so fehlt es an der Substanz des Contracts; derselbe kann daher nicht gültig sein.
Die in den Pandecten herrschende Auffassung des Kaufvertrages ist, wie gesagt, eine andere, indem dort der Kauf nicht nothwendig Eigenthum überträgt und der Verkäufer hiezu nicht einmal verpflichtet ist; allein dies passt nicht in den modernen Handelsverkehr. Nach dem röm. Rechte kann auch dem ehrlichen Käufer die gekaufte Sache von dem Eigenthümer jederzeit wieder entzogen werden und der Käufer hat dann nur einen Entschädigungsanspruch wegen Eviction an den Verkäufer. Diese Regel passt nicht in den regen und unablässigen modernen Handelsverkehr, durch welchen die Waaren in die rascheste und vielfältigste Circulation gebracht werden, hier muss ein ehrliches Handelsgeschäft auch zuverlässig sein, aber die Voraussetzungen und Wirkungen des Kaufs müssen desshalb auch strenger und bestimmter festgesetzt werden.
Aus diesen Bemerkungen erklärt sich der Inhalt des Art. 585, welcher als wesentliche Erfordernisse des Kaufvertrages aufstellt, einmal dass die Sache welche gekauft und verkauft wird, zur Zeit des Vertragsabschlusses bereits existiren muss, und zweitens, dass der Verkäufer das Recht der Verfügung darüber haben muss. Dieses Recht hat nun nur der Eigethümer oder derjenige, welche das Recht der Verfügung vom Eigenthümer erhalten hat, wie der Agent, Commissionär etc., oder der Pfandgläubiger, der Auctionator, oder dessen Verfügungsrecht sich wenigstens von dem Eigenthum eines Anderen ableitet, obgleich es gegen diesen gerichtet ist; hieher gehört z. B. die Ausübung des Retentionsrechtes, des Frachtführers u. s. w. Im allgemeinen fällt das Verfügungsrecht mit dem Verkaufsrechte zusammen, d. h. jeder welchem das Gesetz das Recht des Verkaufs einräumt, kann gültig verkaufen. In manchen Fällen folgt aber das Recht des Verkaufes nur aus dem Bestande eines allgemeineren Verfügungsrechtes, wie namentlich aus dem Eigenthum und den vom Eigenthümer übertragenen Befugnissen, auch wenn der Verkauf nicht speciell beabsichtigt war. Das Princip ist mithin dass verkaufen kann. 1, der Eigenthümer oder 2, derjenige welcher als Vertreter des Eigenthümers von diesem bestellt wurde oder doch nach dem Gesetze als solcher zu betrachten ist, auch wenn der Auftrag nicht speciell auf den Verkauf ging oder die Vertretung des Eigenthümers nicht eigentlich um des Verkaufs willen angenommen wird. Ferner kann ein Verkaufsrecht auch entspringen, aus gerichtlichen Verfügungen, z. B. zum Zweck der Execution.
Der Eigenthümer hat nicht immer das Recht des Verkaufs, z. B. wenn die Sache vom Gerichte in Beschlag genommen ist; oder Minder jährige, Ehefrauen u. s. w. Es muss daher in jedem einzelnen Falle untersucht werden, ob der Verkäufer das Verfügungsrecht über die Sache hatte und ob dasselbe bis zum Recht des Verkaufes sich erstreckte. Das Verfügungsrecht ist immer als ein Recht, Handlungen mit Rechtswirkung an einer Sache vorzunehmen, aufzufassen. Derjenige dem eine Sache nur zum Gebrauche geliehen, oder zur Ausbesserung übergeben wurde etc., hat kein Verfügungsrecht darüber, denn seine Verpflichtung ist gerade, die Sache dem Eigenthümer wieder zurüekzugeben.
Wenn nun die in diesem Artikel bezeichneten Erfordernisse nicht vorhanden sind, kann wohl unter Umständen ein Lieferungs-, aber kein gültiger Kaufvertrag abgeschlossen werden. Dies ist indessen nur die Regel, von welchem um der practischen Zweckmässigkeit willen mehrfache Ausnahmen zugelassen werden müssen.
Art. 586. Unter einer fremden Sache ist eine solche zu verstehen, an welcher der Verkäufer weder Eigenthum noch Verfügungsrecht hat. Eine solche Sache könnte nach der Regel des Art. 585 gültig nicht verkauft werden, und die Folge wäre, dass der Eigenthümer sie jederzeit von dem Käufer in Anspruch nehmen könnte. Dies wäre aber im Handel äusserst nachtheilig, da hier beständig Waarenquantitäten im Verkehre sich bewegen und einem Käufer die Kenntniss der manchfach verwickelten Umstände, von welcher oft die Entstehung oder der Uebergang des Eigenthums abhängt, unmöglich zugemuthet werden kann. Im Handel kann man nur die Persönlichkeit der Handelsleute ins Auge fassen, aber nicht das formelle Eigenthum oder Verfügungsrecht über die Sachen, mit denen sie Handel treiben. Man muss ungescheut mit allen Handelsgeschäfte abschliessen können, in deren Ehrlichkeit man Vertrauen setzen kann, ebenso wie man selbst in gutem Glauben sein muss.
Der Entwurf gestattet daher auch den gültigen Verkauf fremder Sachen, aber nur unter zwei Bedingungen: einmal der Verkäufer muss ihren Besitz selbst auf redliche Weise erworben haben, und was sich hier von selbst versteht fortdauernd besitzen, und zweitens, der Käufer muss sich in gutem Glauben befinden, er darf also nicht wissen, dass die Sache dem Verkäufer nicht gehört. Sind diese Bedingungen vorhanden, so kann der wahre Eigenthümer die Sache von dem Käufer nicht wieder zurückfordern, sondern er hat höchstens einen Anspruch auf Werth- oder Schadensersatz gegen den Verkäufer, wenn dieser durch den Verkauf irgend ein Verschulden beging oder eine Verpflichtung gegen ihn verletzte. Auf gestohlene oder verlorene Sachen wird übrigens diese Ausnahme überhaupt nicht ausgedehnt, ähnlich wie schon nach Art. 435 bei Bestellung eines Pfandrechts. Diebstahl und das Behalten gefundener Sachen sind unehrliche Handlungen, welche auch mittelbar nicht begünstigt werden dürfen. Wer also eine gestohlene oder gefundene Sache kauft, ohne hievon etwas zu wissen, erwirbt sie zwar auf redliche Weise ; allein er kann sie trotzdem nicht gültig Weiterverkaufen, da er sein Recht von einem Dieb ableitet, zwar unwissentlich, aber immerhin in Folge dessen kein Recht haben kann. Wäre dem nicht so, dann wären gestohlene oder gefundene Sachen meist in der zweiten oder dritten Hand dem Eigenthümer verloren, und der Verkauf gestohlener Sachen an andere aufs äusserste erleichtert.
Zu einem redlichen Erwerb gehört im allgemeinen ein Erwerbsact, durch welchen man Eigenthum oder Verfügungsrecht erworhen haben könnte, also ein angemessener Erwerbstitel, sowie auch, soferne keine Schenkung vorliegt, die Entrichtung einer ernstlichen Vergütung dafür. Im Civilrecht wird der Mangel des Eigenthums nur durch Ersitzung beseitigt, allein diese erfordert den Abfluss eines längeren Zeitraums, in welchem unzählige Kaufsacte vorgehen können. Das Handelsrecht ersetzt die Ersitzung durch das practische Bedürfniss des Handelsverkehrs.
Im Französ. Code civ. Art. 1599 wird der Verkauf einer fremden Sache ohne weiteres als ungültig bezeichnet. Allein die Jurisprudenz ist darüber einig, dass dieser Artikel auf Handelskaufe keine Anwendung findet, obgleich im Code de comm. über diesen Punkt sich keine Bestimmung findet. Man ist der Meinung dass der citirte Artikel 1599 auf bewegliche Sachen überhaupt keine Anwendung finden könne, da nach Art. 2279 der Besitz von beweglichen Sachen dem Eigenthum gleich steht, ausgenommen bei verlorenen oder gestohlenen Sachen, Der Besitz muss jedoch unanfechtbar sein, also nicht durch Gewalt, List oder blosse Duldung erworben worden sein (Art. 2232. 2233), was in der Regel auf einen redlichen, aber irrthümlichen Eigenthumserwerb hinausläuft. Manche, sind der Meinung, dass guter Glaube nicht nothwendig ist, um dem Besitz beweglicher Sachen diese Gültigkeit verschaffen. Hierüber lässt sich mit Berufung auf Art. 2265 streiten, und Art. 2279 dürfte genau genommen, den Sinn haben, dass 1, durch Prescription Eigenthum erworben wird (Art. 2219); 2, zur Prescription in der Regel gehört guter Glaube und ein rechtmässiger Erwerbstitel; 3, bei beweglichen Sachen aber der Besitz so viel gilt als ein Erwerbstitel. Einem Besitzer kann mithin die Sache, die er besitzt, nicht mit der Eigenthumsklage, wohl aber mit der Besitzklage entwunden werden. Derjenige also, welchem man den Besitz einer Sache nicht streitig machen kann, ist auch im Verkehr als Eigenthümer anzusehen, und zu ihrer Veräusserung berechtigt. In diesem Sinne ist auch die Bestimmung des Entwurfes soweit sie rechtmässigen Besitzerwerb zur Bedingung macht aufzufassen. Obwohl also, wie oben bemerkt, ein redlicher Besitzer die Sache selbst in der Regel gekauft oder sonst erworben haben wird, braucht man doch diesen Erwerbsacten nicht nachzuspüren; es genügt, wenn der Verkäufer Besitzer ist und diesen Besitz rechtmässig erworben hat, so dass Niemand ihm diesen Besitz abstreiten kann. Dann soll auch seinen Käufer Niemand anfechten dürfen; denn wer einem Besitzer die Sache lässt, obwohl er sie ihm abstreiten könnte, erweckt in allen Uebrigen das Vertrauen, dass der Besitzer auch einen ordentlichen Erwerbstitel hat und gleich einem wirklichen Eigenthümer etc. verfügen kann. Obwohl sonst die Regel gilt, dass der Rechtsnachfolger nie mehr Recht haben kann, als derjenige, von welchem er sein Recht ableitet, ist doch bei beweglichen Sachen und wegen der Bedürfnisse des Handelsverkehrs diese Regel äusser Uebung gesetzt, allerdings nur unter der Voraussetzung des guten Glaubens auf Seiten des Käufers.
Nach Englischem Rechte konnte man früher, abgesehen von Geld und Handelspapieren (negotiable instruments) fremde Sachen, auch wenn sie gestohlen sind, nur auf offenem Markte oder im offenen Laden gültig kaufen, jedoch mit gewissen Einschränkungen, namentlich im Falle der Dieb eine criminelle Verurtheilung erlitt (24 & 25 Vict. c. 96 s. 100.) und mit gewissen Ausnahmen, wie namentlich Pferden, Staatseigenthum u. s. w. Jedoch ist hierin durch die neueren sog. Factors Acte 5 & 6 Vict. c. 39. 1842 und 40 & 41 Vict. c. 39. 10. Aug. 1877 eine bedeutende Erleichterung gleich dem Princip des Entwurfs herbeigeführt worden. Ztsch. für H. R. Bd. 23 Beil. p. 159. Siehe hierüber auch Code civ. Art. 2280. In den Vereinigten Staaten ist das Princip des offenen Marktes nicht adoptirt, mit Ausnahme von Geld und Umlaufspapieren. In Deutschland H. G. B. Art. 306 wird nur redlicher Erwerb auf Seiten des Käufers, also dessen guter Glaube und ein ordentlicher Erwerbstitel verlangt, was zu weit gehen dürfte. Der Entwurf verlangt vielmehr ausser dem guten Glauben des Käufers noch den rechtmässigen Erwerb und die Fortdauer des Besitzes der Sache auf Seiten des Verkäufers.
Art. 587. Eine andere Ausnahme betrifft Sachen, die zwar bereits existiren, aber in einem unfertigen Zustande, so dass der Käufer sie noch nicht übernehmen kann, auch wenn er wollte, da seine Intention nur auf fertige und reife Sachen gerichtet ist. Hieher gehören namentlich 1, Früchte vor dem Zeitpunkt der Reife, mithin vor der Ernte, und zwar sowohl Feldais Baum- und andere Früchte. 2, junge Thiere oder Eier etc. vor der Geburt etc., jedoch von bereits trächtig gehenden Thieren; 3, endlich auch Industrieproducte die bereits existiren, aber noch einen natürlichen Prozess der Entwicklung durchmachen müssen, z. B. Most oder Bier während der Gährung u. s. w. Die Voraussetzung in allen diesen Fällen ist dass die Sache um die es sich handelt, bereits existirt; also von zukünftigen Früchten, Jungen etc. etwa im nächsten oder überhaupt in künftigen Jahren ist hier keine Rede, ein Vertrag über solche würde ein Lieferungsvertrag sein.
Die hier erläuterten Gegenstände kann man im allgemeinen in doppelter Absicht kaufen : entweder man will sie kaufen als dereinst fertige und reife Sachen und nur soweit sie dies werden, sichert sich aber im voraus das Geschäft und speculirt auf den Preis; oder man will die Sache selbst zum Gegenstand der Speculation machen, man kauft also die Sache gleichviel wie sie seiner Zeit, bei der Ernte etc., ausfallen wird. Im ersten Falle, wenn nichts geerntet wird, ist der Vertrag nichtig, da keine Sache dem Käufer übergeben werden kann ; im zweiten Falle ist der Kauf gültig, der Käufer muss also unter allen Umständen den Preis zahlen, auch wenn er dafür nichts bekommt, oder weniger, oder schlechtere Qualität als die gewöhnliche. Das zweite Geschäft, das früher in Europa ganz verboten war, ist wie man sieht ein gewagtes Geschäft und kann mithin nicht vermuthet, doch soll es den Parteien nicht verwehrt werden. Das erste ist nur eine Speculation auf den Preis, nicht auf die Sache, und als solche ein regelmässiges Handelsgeschäft, welches daher zunächst vermuthet werden muss. Das zweite ist zwar an sich gültig, aber ein aussergewöhnliches Geschäft, und wird daher nur dann angenommen, wenn die Absicht der Parteien speciell darauf gerichtet ist. Das erste hat die Folge, dass sobald als die Sache zur lieferfähigen Existenz gekommen ist, das Eigenthum daran auf den Käufer übergeht und der Kaufpreis von ihm gegen Herausgabe der Sache entrichtet werden muss. Wird aber nichts geerntet etc., so ist das Geschäft für beide Theile unverbindlich, weil sich die Bedingung unter der es geschlossen wurde nicht erfüllte. Von dem Lieferungsvertrag unterscheidet sich dieser Vertrag dadurch, dass bei dem ersteren nicht schon mit der vollen Entstehung, sondern mit der Uebergabe an den Käufer das Eigenthum und die Gefahr übergeht.
Obgleich der Vertrag ungültig wird, wenn die Sache nicht zur vollen Existenz gelangt, übernimmt doch durch denselben der Verkäufer schon die Verpflichtung, seinerseits nichts zu thun, wodurch das Geschäft vereitelt werden würde. Er darf also etwa die Ernte nicht muthwillig vernichten oder die Aberntung hindern etc. Auch übernimmt er auch ohne ausdrückliche Vereinbarung die Verpflichtung, alles dasjenige zu thun, was ordentlicher Weise nöthig ist, um die Sache zur Entstehung zu bringen, z. B. das Ausjäten des Unkrauts vom Felde, die Vornahme der Ernte, die Bewerkstelligung der Geburt bei Thieren u. s. w., soweit nicht der Käufer solche Handlungen selbst auf sich genommen hat. In jedem Falle aber ist der Käufer nur verpflichtet nach Massgabe dessen, was wirklich zur lieferfähigen Existenz gekommen ist.
Es ist noch ein dritter Fall denkbar, dass nämlich der Kauf die Dinge so wie sich zur Zeit des Abschlusses befinden zum Gegenstand hat, z. B. grünes Getreide als Futter, Pflanzen als Setzlinge u. s. w. Dies ist dann ein gewöhnlicher unbedingter Kauf, auf welchen das Princip der Art. 585 oder 591 Anwendung findet. In diesem Falle findet die gewöhnliche Regel, dass der Käufer die Sache übernehmen muss, so wie sie sich zur Zeit des Abschlusses befindet, unbeschränkte Anwendung, während bei den unter Art. 587 fallenden Verträgen der Zustand der Sache zur Zeit der Erfüllung der Bedingung entscheidet, so dass möglicher Weise eine Verpflichtung für beide Theile überhaupt nicht entsteht.
Art. 588. Eine dritte Ausnahme betrifft Sachen, die zur Zeit des Vertragsschlusses nicht mehr existiren, obwohl sie vorher bereits existirt hatte, z. B. ein Schiff das zur See gegangen war, ist gescheitert, ein Haus ist abgebrannt etc. Ein solcher Vertrag ist ungültig, da er keinen Gegenstand hat und nicht erfüllt werden kann, gleichviel ob die Parteien, oder eine davon, dies wissen oder nicht. Es gibt indessen auch hier Geschäfte, welche als gültig erachtet werden müssen, wenn die Ungewissheit der Fortdauer der Sache ein wesentliches Element derselben bildet. Voraussetzung dafür ist, dass kein Theil von dem inzwischen eingetretenen Untergang der Sache wissen darf, denn der Verkäufer würde gegen den arglosen Käufer damit einen Betrug begehen, und der Käufer wird vernünftiger Weise keine Sache kaufen und Geld dafür zahlen, die er nicht bekommen kann. Wenn aber die Möglichkeit besteht, dass die Sache verloren ist, und ebenso wohl dass sie nicht verloren ist, so speculiren beide Theile, jeder übernimmt für seinen Theil ein gewisses Risiko, und das Geschäft ist dann gültig, gleichviel ob nachher der Untergang oder die Fortdauer der Sache bekannt wird. Das Risiko hat die Wirkung, dass dadurch der Kaufpreis mehr oder weniger gemindert werden wird, aber der Verkäufer hat dann doch einige Entschädigung für den Verlust, und der Käufer kann, wenn die Sache existirt, einen grossen Gewinn machen. Dieses Risiko wäre nicht mehr vorhanden, wenn einer Partei schon zur Zeit des Abschlusses der Untergang der Sache bekannt geworden wäre. Wenn dagegen der Käufer weiss, dass sie existirt, und trotzdem ein Geschäft mit dem Verkäufer eingeht, so ist ein solches Geschäft nicht ungültig, denn man kann den Verkäufer nicht hindern, eine Sache die er möglicher Weise für verloren geben muss, auf alle Chancen hin zu verkaufen, und der Käufer ist in seinem Rechte, wenn er sorgfältige Erkündigungen einzieht und besser informirt wird als der Verkäufer.
Art. 589. Die Bestimmung in diesem betrifft Scheingeschäfte die unter der Form des Kaufvertrages abgeschlossen werden, um verbotene Geschäfte damit zu verdecken. Es ist z. B. ein Differenzgeschäft, wenn der Vertrag dahin geht: Käufer übernimmt die Sache jetzt zum Cours von 90, und Verkäufer nimmt sie zurück zum Cours, wie er nach 30 Tagen sein wird. Ist der Cours nach 30 Tagen 95, so müsste der Verkäufer 90 von Käufer bekommen und 95 an diesen bezahlen, er bezahlt mithin effectiv an diesen die Differenz von 5. Oder ein Darlehen wird gegeben im Betrage von 100 unter Verpfändung einer Sache gegen einen Wucherzins von 50%. Dieses Geschäft kann so eingekleidet werden, dass der Gläubiger das Pfand vom Käufer zu 100 kauft, und es diesem später gegen Entrichtung von 150 zurückgibt. Solche und ähnliche Geschäfte in der Form des Kaufvertrages sind ungültig, wenn ihr Zweck nur darauf gerichtet ist, ein verbotenes Geschäft damit zu verdecken.
Art. 590. Auch diese Bestimmnng hat zum Zweck, ungesetzliche Geschäfte in der Form des Kaufvertrages zu verhindern. Man kann allerdings nicht hindern, dass sie freiwillig erfüllt werden, allein das Gesetz versagt ihnen die rechtliche Gültigkeit, und öffentliche Personen, wie Mäkler, Notare etc., dürfen dabei nicht mitwirken.
Es wird jedoch vorausgesetzt, dass die Absicht sie nicht zu erfüllen, von Anfang an bestand, nicht erst später hinzutrat; wenn von Anfang an die Absicht eines ehrlichen und ernstlichen Kaufes bestand, allein die Parteien treten später freiwillig davon zurück, etwa indem der eine dem anderen dafür eine gewisse Entschädigung zahlt, so ist eine solche Vereinbarung gültig, da sie aus ganz legitimen Gründen geschlossen werden kann. Ob das eine oder das andere stattfindet, ist reine Thatfrage und vom Richter nach den Umständen des einzelnen Falles zu entscheiden.
Ferner sind nur solche Geschäfte ungültig, deren Gegenstand überhaupt nicht erworben oder veräussert werden darf, etwa an Privatpersonen, oder Ausländer etc, wie Waffen, Munition u. dgl. Das heisst, das Gesetz muss die Abschliessung von Geschäften über solche Gegenstände direct untersagen. Werden nur Zoll- oder Steuergesetze, Polizeigesetze etc. übertreten, so ist der Vertrag an sich nicht ungültig, aber die Parteien unterliegen den auf solche Geschäfte gesetzten Strafen. Defraudirte Sachen können mithin gültig verkauft und gekauft werden, wenngleich sie etwa der Confiscation unterliegen.
Art. 591. Dieser Artikel stellt das Hauptprincip des Kaufvertrages auf, welches, wie bereits zu Art. 585 erörtert wurde, in der modernen Gesetzgebung fast überall anerkannt ist und gerade die hervortretende Eigenthümlichkeit des Kaufs bildet. Der Zweck dieses Vertrages ist, den Käufer gegen Hingabe einer Summe Geldes zum Eigenthümer einer Sache zu machen. Dieser Zweck tritt sofort mit dem Abschluss des Vertrages in Wirklichkeit, so dass er, wie überhaupt bei Consensualverträgen, schon durch die Willenseinigung der Parteien erreicht wird. Sobald also der Vertrag zu Stande gekommen ist, ist der Käufer berechtigt sich als Eigenthümer der Sache zu betrachten, und kann folglich wie ein solcher darüber weiter verfügen. Ebenso aber geht mit dem Eigenthum auch die Gefahr auf den Käufer über, d. h. ein etwaiger zufälliger Schaden welcher nachher an der Sache sich ereignen würde, trifft den Käufer, gleichwie er auch allen Vortheil und etwaigen Zuwachs von der Sache hat. Die Verpflichtung des Verkäufers, im Interesse des Käufers für die gehörige Aufbewahrung der Sache zu sorgen, wird dadurch nicht berührt. Durch den Uebergang des Eigenthums wird der Verkäufer mithin von seinen Verpflichtungen gegen den Käufer nicht befreit; insbesondere ist er verpflichtet, die Sache dem Käufer herauszugeben, jedoch nur gegen Entrichtung des Kaufpreises, wenn nichts anderes verabredet wurde.
Von dem wirklichen Abschluss des Kaufvertrages kann man die Vereinbarung über einen künftigen Abschluss unterscheiden. Von dieser Vereinbarung wird im Entwurfe nicht gehandelt, da sie sich von einem wirklichen Kaufverträge kaum unterscheiden lässt, nur mit der Nebenbestimmung, dass sich die Parteien die spätere Ausführung oder definitive Abschliessung des Vertrages vorbehalten. Diesen Standpunkt nimmt auch der Code civil Art. 1589 ein, indem er das Verkaufsversprechen dem wirklichen Verkauf gleichstellt, wenn die Einigung der Parteien über die Sache und den Preis erfolgt ist. Wenn die Willenseinigung der Parteien dahin geht, dass der Verkauf für beide Theile bindend sein, aber etwa erst nach einem Jahre, oder nach Erfüllung einer Bedingung etc. in Kraft treten soll, dann ist eine solche Uebereinkunft ganz nach den allgemeinen Principien über Verträge zu beurtheilen. Würde sie in Fällen, wo schriftliche Errichtung nothwendig ist, nur mündlich geschlossen werden, so wäre sie jedenfalls nicht verpflichtend, solange kein schriftlicher Vertrag errichtet wäre. Wäre sie aber gültig, so wäre sie auch vollziehbar, äusser wenn die Parteien die spätere Vollziehung verabredet haben. In diesem Falle würde auch das Eigenthum nicht sofort auf den Käufer übergehen. Der Alt. 591 ist daher unter der Einschränkung zu verstehen, dass der Eigenthumsübergang, den gültigen Vertragsabschluss vorausgesetzt, in allen Fällen von selbst vorgeht, soferne die Parteien nicht eine spätere Wirksamkeit des Vertrages beabsichtigen.
Die Wirkung des Eigenthumsüberganges wird in dem Entwürfe von drei Voraussetzungen abhängig gemacht : nämlich
1) von dem Abschluss des Vertrages, in welcher Beziehung die in Titel VII enthaltenen Bestimmungen über Vertragsschliessung, namentlich über Schriftlichkeit, unter Abwesenden, u. s. w. zur Anwendung kommen ;
2) von dem Eintritt der Bedingung, wenn der Vertrag unter einer solchen abgeschlossen wurde. Es ist hier nur an sog. aufschiebende oder suspensive Bedingungen gedacht, welche weitaus am häufigsten vorkommen, und in dem gegenwärtigen Paragraphen bereits zahlreich erwähnt sind. Man unterscheidet daneben auch auflösende oder resolutive Bedingungen, durch deren Eintritt die bereits erfolgte Wirkung des Vertrages wieder aufgehoben wird. Bei Bedingungen der letzteren Art tritt mithin der Vertrag schon mit seinem Abschluss in Wirksamkeit und es gehört dieser Fall unter die zu 1, bemerkten. Nur die Bemerkung ist hier noch beizufügen, dass in Zweifel alle Bedingungen als aufschiebende zu betrachten sind;
3) von der Vornahme gewisser Handlungen durch den Verkäufer, welche den Zweck haben den Eigenthumsübergang möglich zu machen, dadurch dass die Sache eine specielle Existenz erhält und als dem Käufer gehörig bestimmt erkennbar wird. Dies geschieht durch Zumessen von Sachen die zur Zeit nur als Quantitäten, d. h. unbestimmte Mengen, oder als verschiedene Species einer Gattung vorhanden sind, mithin noch nicht als solche Gegenstände, die der Käufer als sein Eigenthum an sich zu nehmen könnte. Unter dem Zumessen ist nicht blos das Abmessen mit einer Elle, sondern jede Anwendung eines Masses zu verstehen, durch welche aus einer unbestimmten Menge der von dem Käufer gekaufte Theil derselben herausgenommen und in dem gewünschten Masse hergestellt wird. Das Ausscheiden oder Individualisiren ist daher der eigentliche Kern dieser Handlungen des Verkäufers, und das Abmessen, Abwiegen, Abzählen, nur ein Mittel hiefür; desshalb sind diese oder ähnliche Handlungen auch nicht nothwendig, wenn eine vorhandene Quantität oder Anzahl von Dingen en bloc, als Ganzes, gekauft wird, selbst wenn die Ermittlung des Gewichtes, der Zahl etc. noch hinzutreten muss, weil in diesem Falle die bestimmte Sache schon vorhanden und nur ihr Umfang etc. noch nicht für beide Theile gewiss ist. Kauft also Jemand ein bestimmtes Fass Wein als solches, so ist das Geschäft abgeschlossen und der Käufer Eigenthümer, auch wenn der Rauminhalt des Fasses erst noch abgemessen und darnach der Preis ausgerechnet werden muss. Kauft aber Jemand 12 Flaschen aus einem Fasse Wein, so müssen diese 12 Flaschen erst aufgefüllt und zur Uebergabe fertig gemacht werden: erst dann kann der Käufer Eigenthümer der 12 Flaschen werden. Ebenso wäre es, wenn Jemand aus vorhandenen 100 Weinflaschen 12 Flaschen, oder aus einer unbestimmten Menge von Hemden 1/2 Dutzend Hemden kaufte; hier müsste erst die Auszählung und Ausscheidung erfolgen, damit der Käufer die von ihm gekauften Gegenstände sein nennen könnte. Der Entwurf fügt noch das Erforderniss der Bezeichnung hinzu, welches gleichfalls nur im Sinne einer dem Zweck der Ausscheidung dienenden Handlung zu verstehen ist und in manchen Fällen die thatsächliche Ausscheidung oder Absonderung ersetzen kann, z. B. wenn man aus einer Heerde 12 Stück oder aus einem Holzlager 12 Stämme kauft. Diese 12 Stück brauchte man nicht nothwendig von den übrigen abzusondern, es genügt eine angemessene Bezeichnung, um sie fortan als bestimmte Sache und als Eigenthum des Käufers zu kennzeichnen. Diese vorstehend erläuterten Handlungen sind nur die häufigst vorkommenden, cs können auch andere den Umständen nach Platz greifen oder zu ihnen noch hinzutreten, wie z. B. bei Flaschen das Verkorken, Etikettiren u. dgl. m. In allen Fällen ist aber nur an solche Handlungen zu denken, durch welche bereits vorhandene und an sich fertige Sachen individualisirt und zur Uebergabe an den Käufer bereit gemacht werden. Wäre mehr erforderlich, also die Sache selbst noch nicht lieferbar, z. B. erst halbfertig, oder noch mit der letzten Vollendung zu versehen, so würde Art. 587 zur Anwendung kommen. Es kann übrigens manche dieser Handlungen auch von dem Käufer vorgenommen werden, und jedenfalls steht ihm die Auswahl und das Recht der sofortigen Hinwegnahme zu, soferne etwa nur eine Abzählung oder Auswahl vorzunehmen ist. Der Unterschied zwischen beiden Fällen ist, dass im Fall des Art. 587 bereits eine bestimmte Sache vorliegt, mithin dem Käufer keine Wahl mehr zusteht, auch kein längeres Warten zugemuthet werden kann. Ueber den Fall des Verkaufs von ideellen Miteigenthumsantheilen siehe die Bemerkungen zu Art. 677.
Art. 592. Ein Kauf auf Besicht oder Probe ist ein Vertrag, bei welchem sich der Käufer das Recht vorbehält, die Sache zurückzugeben, wenn sie ihm nicht convenirt, oder falls er die Sache noch nicht in Händen hat, den Vertrag aufzulösen. Die nachfolgende Genehmigung des Käufers ist mithin eine Bedingung, durch deren Eintritt der Vertrag erst perfect werden kann. Um dazu zu gelangen, muss dem Käufer das Recht der Besichtigung und Prüfung eingeräumt werden, und der Verkäufer unterwirft sich dabei dem freien Entschlüsse des Käufers. Dieser ist daher zur Auflösung des Vertrages ohne weitere Angabe von Gründen oder Rechtfertigung berechtigt. Auch wenn die Sache so wäre, wie der Käufer sie zu wünschen erklärte, kann er sie doch zurückgeben, da die Erfüllung der Bedingung in seinen freien Willen gestellt ist. Etwas anderes wäre es, wenn nicht auf Probe oder Besicht, sondern unter Angabe des Kaufzweckes oder Bezeichnung einer bestimmten Qualität gekauft wäre. Hier ist zu unterscheiden: 1, kauft der Käufer selbst nach Besicht, so ist der Kauf unbedingt gültig, soferne nicht etwa die Regel des Art. 594 in Anwendung kommt hinsichtlich der Haftung des Verkäufers für heimliche Mängel; 2, kauft der Käufer nicht nach eigener Auswahl, sondern überlässt diese dem Verkäufer, so kann der Käufer die Sache zurückgeben, wenn sie der geäusserten Beschaffenheit nicht entspricht.
Ob ein Kauf auf Besicht oder Probe vorliegt, hängt durchaus von der Absicht der Parteien ab, und ist mithin, abgesehen von ausdrücklicher Vereinbarung, nach den Umständen zu beurtheilen. Manchmal, so noch im Code civil Art. 1587, in Bezug auf Wein und andere Geschmackssachen, wird die Bedingung der Genehmigung durch den Käufer als selbstverständlich bezeichnet, so dass der Käufer sie nicht besonders zu stipuliren braucht. Allein dies ist dem modernen Handelsgebrauch nicht mehr angemessen. Höchstens im Detailverkauf wird auch jetzt noch dem Käufer das Recht zugestanden, eine Sache die ihm nach näherer Prüfung nicht convenirt, zwar nicht einfach zurückzugeben, aber doch umzutauschen. Allein selbst dies kann nicht wohl als gesetzliche Verpflichtung des Verkäufers erklärt werden.
Mit dem Kauf auf Besicht oder Probe ist der Kauf nach Muster oder Probe nicht zu verwechseln, obwohl auch bei letzterem dem Käufer das Recht der Untersuchung zustehen muss, die aber nicht eigentlich Ansicht, Besicht oder Prüfung genannt werden kann. Dor Unterschied zwischen beiden Arten von Geschäften besteht darin, dass bei dem ersteren dem Käufer die Verwerfung oder Genehmigung gänzlich freisteht, bei dem zweiten dagegen nur, wenn die Sache dem Muster nicht gemäss ist.
Ist nun ein Kauf auf Probe oder Besicht geschlossen, so muss der Käufer die Besichtigung oder Prüfung vornehmen, entweder sofort oder binnen einer angemessenen Frist, die entweder ausdrücklich vereinbart oder durch den Handelsgebrauch fixirt sein kann, eventuell aber sieh nach der nothwendigen Zeitdauer der Prüfung etc. und zwar ohne weiteren Vorzug bestimmen wird. Hier ist sodann weiter zu unterscheiden: hat der Käufer die Sache noch nicht in seinem Besitz, so wird seine Ablehnung; im anderen Falle dagegen seine Genehmigung angenommen, wenn nicht binnen der gesteckten Frist das Gegentheil erklärt und bez. die Sache zurückgegeben wird. Diese Bestimmungen sind offenbar der Natur der Sache entsprechend und finden sich insbesondere im Deutschen H. G. B. Art. 339 speciell ausgesprochen; kürzer auch im Code civ. Art. 1587. 1588 und im Spanischen H.G.B. Art. 361, wo jedoch das Recht der freien Prüfung und Verwerfung dem Käufer in zu weitem Umfange eingeräumt ist.
Ob und inwieweit bei einem solchen Geschäfte, wenn der Käufer es rückgängig macht, die Kosten des Empfangs und der Aufbewahrung dem Käufer, oder auch die Kosten der Zusendung, Rücknahme etc. dem Verkäufer zu ersetzen sind, ist zunächst nach der Absicht der Parteien bei Eingehung des Vertrages zu entscheiden, in Ermangelung einer Einigung nach dem Handelsgebrauche, und nach den Umständen des Falles. Als allgemeine Regel wird jedenfalls anzunehmen sein, dass jedem Theil die Kosten zur Last bleiben, die er in seinem eigenen Interesse aufwandte, soferne er sich nicht den Ersatz ausbedungen hatte. Z. B. es kauft Jemand ein Reitpferd, unter der Bedingung, es erst 8 Tage lang reiten zu dürfen und es dann nach seiner Wahl behalten oder zurückgeben zu dürfen. Hier wird der Verkäufer die Kosten der etwaigen Zusendung, dagegen des Käufer die Kosten der achttägigen Fütterung etc. sowie der Zurücksendung tragen müssen, zumal er 8 Tage lang den Vortheil des Reitens hatte. Wenn Jemand ein Kistchen Cigarren kauft und später zurückgibt, so wird er die inzwischen gerauchten Stücke dem Verkäufer bezahlen müssen.
Art. 593. Ein Kauf nach Probe oder Muster legt dem Käufer das Recht bei, die Sache zu untersuchen, jedoch sie nicht nach seinem freien Belieben zurückzugeben, sondern nur dann, wenn sie mit dem Muster etc. nicht völlig übereinstimmt. Dies ist allgemein anerkannt, so im Spanischen H. G. B. Art. 362 ; im Deutschen H. G. B. Art. 340. Der Entwurf fügt aber noch weiter hinzu, dass das Muster und die hiernach zu liefernde Waare von einem und demselben Urheber herrühren müssen, eine Bestimmung die zwar hauptsächlich auf den eigentlichen Lieferungsvertrag berechnet ist, aber auch schon auf den Kaufvertrag im engeren Sinne angewendet werden muss. Im Grunde versteht sich diese Bestimmung schon von selbst, da zwei verschiedene Producenten niemals die ganz gleiche Sache herstellen können, also wenn ein anderer die Sache gefertigt hat als der Urheber des Musters, die Bedingung der Gleichheit mit dem Muster höchst wahrscheinlich nicht erfüllt sein wird. Immerhin kann es Vorkommen, dass die Abweichungen nur gering sind und der Käufer darauf kein Gewicht legt, und für solche Fälle lässt der Entwurf auch die Möglichkeit offen, dass die Herkunft der Sache von einem anderen Urheber von den Parteien stipulirt werde. Allein wo keine solche Stipulation stattfindet, muss der Verkäufer die Verpflichtung auf sich nehmen, dass Muster und Waare von einem und demselben Erheber herrühren, und der Käufer kann von dem Vertrag zurücktreten, wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird. Diese Bestimmung entspricht der gleichen auch für Commissionäre in Art. 538. Sie soll der wenig gewissenhaften Praxis entgegentreten, nach welcher Geschäfte mittelst guter Muster eingeleitet, aber mit schlechten, unreellen Waaren ausgeführt werden; und erscheint im Interesse der commerciellen Ehrlichkeit dringend geboten. Sie ist insbesondere von hoher Bedeutung auch für den Einfuhr- und Ausfuhrhandel, und trägt dazu bei die Reinheit, Aechtheit und Zuverlässigkeit der Import- oder Exportwaaren zu sichern. Sie ist auch insoferne gerecht, als die Urheber der besseren und anerkannten Muster dadurch in der Erlangung der Früchte ihres Fleisses und ihrer Tüchtigkeit gegenüber Betrügern und gewissenlosen Nachahmern beschützt werden. Sie trägt die Principien des Musterschutzes auch auf den Käufer über, und macht diesen selbst erst vollwirksam.
Ein Muster, Modell etc. ist übrigens nur ein Gegenstand, der als solches bei einem Vertrage benützt, und zu diesem Zwecke von dem Urheber oder dessen Stellvertreter ausgegeben oder versendet wird. Es ist mithin darunter ein Muster etc. im kaufmännischen Sinne zu verstehen, jedoch ohne Unterschied ob es direct von dem Urheber resp. dessen Stellvertreter, oder einem anderen zum Abschluss von Verträgen benützt wird. Solche Muster werden nämlich meist in ganzen Sammlungen etc. verschickt, um zur Eingehung von Geschäften einzuladen. Wenn nun der Empfänger einer solchen Mustersammlung diese benützen würde, um Contracte daraufhin abzuschliessen, aber dafür Waaren von anderen Producenten lieferte, so wäre dies eine Verletzung des Art. 593.
Verschieden davon ist der Fall, wenn man ein Muster nicht als solches, sondern nur zur leichteren Bezeichnung einer gewissen Sorte von Waare benützt. Z. B. man geht in einen Laden, um einen gewissen Stoff zu kaufen, wobei man einen kleinen Streifen mitnimmt, um auf einmal deutlich zu machen, was man begehrt. Dies ist kein Muster im kaufmännischen Sinne, sondern nur ein Mittel der Verdeutlichung anstatt der blossen Worte. Auch hier muss zwar die Sache dem Streife entsprechen, aber die andere Bedingung, der Her kunft von dem gleichen Urheber, ist hier nicht zu erfüllen.
Ein Muster im kaufmännischen Sinne dient nicht blos zur Bezeichnung einer gewissen Qualität, sondern auch eines gewissen Urhebers, und wird im Handel ehrlicher Weise immer auch in dem letzteren Sinne verstanden. Es gehören hieher alle Muster, die entweder direct oder indirect per Post etc. versandt, oder durch Agenten, Reisende etc. überbracht und vorgezeigt werden; und es macht keinen Unterschied, ob Jemand die also versandten Muster selbst, oder vermittelst einer auf das Muster hin erlangten Waare missbraucht. Indessen gehört zum Begriff des Musters immer auch eine gewisse Zeit, indem die Muster sich beständig erneuern und verändern, mithin noch einiger Zeit veralten und dann nicht mehr als wirkliche Muster angesehen werden können. Die Bestimmung des Entwurfs ist daher unter der Einschränkung auf eine gewisse Verkaufsperiode oder Saison zu verstehen; dieselbe wird regelmässig ein Jahr oder eine sog. Campagne betragen, sie kann sich aber bei Sachen, die länger lagern und dadurch oft noch im Preise gewinnen, auf längere Zeit erstrecken.
Die Marke dient gleichfalls zur Bezeichnung eines gewissen Urhebers und ist in der Regel mit dem Muster verbunden. Es kann aber auch nach Marke ohne Muster verkauft werden, namentlich wenn die betreffende Waare immer gleich bleibt und höchstens nach den Jahrgängen verschieden ist, wie z. B. gewisse Weinsorten, Tabaksorten, cölnisches Wasser u. dgl. m. Wird nun nach Marke verkauft, so liegt darin gleichfalls die Bedingung, dass die Waare von dem Urheber der Marke herrühren muss, so dass mithin der Markenschutz auch in die Hände des Käufers gelegt wird. Diese Bestimmung ist gleichfalls für den Export- und Importhandel von hoher Bedeutung, und dient dazu, die Beeinträchtigung des Handelsaufschwunges durch gewissenlose Commissionäre und Agenten zu erschweren.
Der Kauf einer Probe hat für den Käufer den Zweck, eine gewisse Waare zu erproben, aber es steht ihm frei, eine weitere Bestellung zu machen oder nicht. Da somit der Käufer dadurch keinerlei Risiko übernimmt, so kann ihm auch der Verkaufer andererseits zu nichts weiter verpflichtet sein. Denn wenn die Probe dem Käufer nicht convenirt, so braucht er nicht weiter zu kaufen. Es ist gleichgültig, ob der Käufer ausdrücklich erklärt oder nicht, dass er nur eine Probe kaufen wolle. Der Kauf einer Probe hat somit die Eigenthümlichkeit, dass dadurch in Bezug auf einen folgen den Kauf kein Theil gegen den anderen irgendwie gebunden oder verpflichtet ist. Selbstverständlich ist aber der Käufer zur Bezahlung der Probe verpflichtet.
Art. 594. Wenn weder auf Probe noch nach Probe gekauft wird, so hat es seine Schwierigkeit, die beiderseitigen Verpflichtungen genau und gerecht festzustellen. Jeder Kauf und Verkauf hat etwas speculatives an sich, man sucht dabei zu gewinnen und riskirt ebenso auch Verlust. Im Handel muss daher ein gewisser Spielraum gegeben sein, um Gewinne zu machen und etwaige Verluste auf andere abzuwälzen; ja es herrschte sogar, wenigstens in älteren Zeiten, die Meinung, dass der Kaufmann nothwendig ein Betrüger sein müsse, und im römischen Rechte war ausdrücklich der Grundsatz ausgesprochen, dass es den Verkäufern und Käufern erlaubt sei, sich innerhalb gewisser Grenzen gegenseitig zu Übervortheilen. Diesem Grundsatz darf jedoch das sittliche Princip des Rechts nicht geopfert werden, und es handelt sich darum, die entgegenstehenden Interessen beider Theile mit den Anforderungen einer ehrlichen und vernünftigen Geschäftsweise zu versöhnen. Desshalb ist zunächst auf die in Art. 347 aufgestellte Regel zu verweisen, wornach jeder Theil die Folgen seiner Handlungsweise zu tragen hat, und ein Geschäft insbesondere wegen Höhe oder Niedrigkeit des Preises nicht angefochten werden kann. Nur wegen Irrthum und Betrug soll eine Anfechtung stattfinden können, der Irrthum muss aber nicht blos nachweislich und entschuldbar sein, sondern auch wesentlich ; in Bezug auf den Kauf muss daher der Irrthum entweder die Substanz der Sache betreffen, oder doch solche Eigenschaften, welche ihren Gebrauch wesentlich verändern, so dass der Käufer sie nicht gekauft oder doch erheblich niedriger bezahlt haben würde, wenn er ihre wirklichen Eigenschaften gekannt hätte. Cod. civ. Art. 1641. Kann der Käufer sich auf einen solchen Irrthum berufen, so ist er berechtigt den Vertrag aufzulösen, gleichviel ob auch der Verkäufer im Irrthum war oder nicht.
Kann er sich aber auf einen solchen Irrthum nicht berufen, so ist der Verkäufer ihm dennoch haftbar in 2 Fällen, nämlich 1, wenn er Betrug verübte, also den Käufer über die Eigenschaften der Sache durch absichtliche Handlungen täuschte, und 2, wenn er die Garantie für gewisse Eigenschaften der Sache übernahm. Hierüber kann nicht wohl ein Zweifel bestehen, denn diese Bestimmungen entsprechen nur den allgemeinen Grundsätzen des Contractrechts. In manchen Fällen kann zwar ein Bedenken in thatsächlicher Hinsicht entstehen, ob nämlich wirklich Betrug oder Garantie vorliegt, und nicht etwa blosses Aufputzen und Anpreisen. Man kann es einem Verkäufer nicht verwehren, seine Waare ins beste Licht zu setzen und ihre guten Eigenthaften dem Käufer möglichst verlockend zu schildern. Hierüber kann das Recht keine nähere Regel geben, sondern die Entscheidung solcher Bedenken fällt dem vernünftigen Ermessen des Richters anheim.
In diesen beiden Fällen ist es gleichgültig, ob der Verkäufer die Mängel und Fehler seiner Waare selbst kannte, was aber im Betrugsfalle wohl stets der Fall sein wird, und ob sie dem Käufer bekannt waren, obwohl im gleichen Falle die Täuschung immer wenigstens Zweifel und Bedenklichkeiten derselben voraussetzt. Allein auch wenn der Betrug so offenbar war, dass der Käufer ihn hätte durchschauen müssen, wird doch der Unwissenheit oder Achtlosigkeit mehr Hülfe gebühren als der betrügerischen Gesinnung.
Hat nun der Verkäufer weder Betrug verübt noch eine besondere Garantie übernommen — letzteres kann unter Umständen auch stillschweigend geschehen — und kann sich der Käufer auf keinen Irrthum berufen, so scheint der Fall eintreten zu müssen, dass jeder die Folgen seines Handelns zu tragen hat. Dann müsste also der Vertrag unanfechtbar sein, auch wenn später der Käufer Mängel und Fehler der Sache entdeckte. Dieser Fall hat, wie man sieht, zwei Voraussetzungen, nämlich dass sich der Käufer auf keinen wesentlichen und entschuldbaren Irrthum berufen kann, er bezieht sich also auf Mängel, die entweder ganz geringfügig sind, oder die der Käufer hätte erkennen müssen, oder vielleicht auch erkannt hat, ohne jedoch im Augenblick sich ihre Bedeutung oder Folgen klar zu machen. In solchen Fällen wird nun dem Käufer nicht geholfen, wenn nicht der Verkäufer die Fehler kannte und dem Käufer wissentlich verschwieg. Es verlangt also der Entwurf, dass jeder Verkäufer den Käufer auf etwaige Mängel und Fehler aufmerksam mache, und als Vorbedingung hiefür, dass jeder Verkäufer seine Waaren auch kennen muss. Dies ist offenbar ein Gebot der Ehrlichkeit und Geschäftstüchtigkeit und wird in diesem Lande unweigerlich von selbst beobachtet. Die Wissenschaft des Verkäufers muss dabei in allen Fällen präsumirt werden, solange bis er das Gegentheil beweist.
Diese Grundsätze gelten für den Fall eines Kaufes nach Besicht, d. h. wenn der Käufer bevor er abschloss die Sache persönlich besichtigen und untersuchen konnte. Kauft er dagegen eine Sache, die er nicht vorher besichtigen konnte, die sich also zur Zeit an einem anderen Orte befand, so kommen die Grundsätze der Art, 592 und 593, oder des Art. 603 zur Anwendung.
Der Inhalt des Art. 594 ist mithin, kurzgefasst, folgender:
Wenn der Käufer die Sache vor dem Abschluss des Vertrags selbst untersuchen konnte, und später Mängel und Fehler derselben entdeckt, so kann er
1) den Vertrag auflösen, wenn er sich auf Irrthum oder Betrug, oder auf bestimmte Garantie, oder auf wissentliche Verschweigung des Verkäufers berufen kann, und wenn die Mängel und Fehler der Sache nicht geringfügig sind;
2) Minderung des Preises verlangen, wenn zwar die zu 1, bezeichneten Voraussetzungen vorliegen, aber die Mängel und Fehler nur geringfügig sind; auch kann er
3) Minderung des Preises verlangen, selbst bei bedeutenden Mängeln und Fehlern, wenn der Verkäufer diese selbst nicht kannte, und nicht die Fälle zu 1, vorliegen.
Der Irrthum des Käufers berechtigt also diesen zur Auflösung des Vertrages, der Irrthum des Verkäufers nur zur Minderung des Preises. Daraus folgt, dass in allen Fällen, wenn ein Kaufgeschäft zum Nachtheil des Käufers geschlossen wird, dem Käufer Hülfe gewährt wird und der Verkäufer Reparatur eintreten lassen muss. Umgekehrt, wenn der Verkäufer bei dem Geschäft verliert, kann er weder Auflösung des Vertrages noch Erhöhung des Preises verlangen, soferne er sich nicht nach allgemeinen Grundsätzen seinerseits auf einen wesentlichen und entschuldbaren Irrthum, oder auf einen Betrug des Käufers berufen kann. Denn man muss bei dem Verkäufer voraussetzen, dass er seine Waare kennt und dass er sie nicht hergeben wird, wenn er mit dem Preise nicht einverstanden ist. Der Grund der überwiegend günstigen Behandlung des Käufers liegt darin, dass sein Risiko grösser ist, da er dem Verkäufer stets bis zu einer gewissen Grenze mehr Vertrauen schenken muss, als dieser dem Käufer.
Art. 595. Wenn die Zusendung von Proben etc, eine practische Bedeutung haben soll, muss sie als ein verbindliches Vertrags-Anerbieten angesehen werden, soferne die nothwendigen Momente, über welche ein gültiger Vertrag zu Stande kommen kann, darin enthalten sind, also namentlich dem Adressaten die Annahme einer Offerte in Bezug auf Waare und Preis ermöglichen. Unbestimmte Mittheilungen, blos zum Zweck Geschäfte einzuleiten oder sich bekannt zu machen, können diese Wirkung nicht haben. Diese Vorschrift ist übrigens in keiner Weise besonders gefährlich, da nach allgemeinen Grundsätzen Vertragsofferten, wenn sie nicht unmittelbar angenommen werden, unverbindlich werden, und der Offerent nach seinem Ermessen eine Frist bestimmen kann, binnen welcher er an seine Offerte gebunden sein will, auch übrigens erklären kann, dass er die definitive Einigung der Vertragsbedingungen sich vorbehält. Im Deutschen H. G. B. Art. 337 ist die Zusendung von Mustern etc. als unverbindlich erklärt, allein dadurch werden solche Geschäftsanerbietungen bedeutungslos, und es ist längst eine begründete Klage, dass die Einleitung von Geschäften mit Deutschen Häusern wegen ihrer unvollständigen und unverbindlichen Offerten erschwert sei, was der Ausbreitung des Deutschen Handels namentlich im Auslande Schwierigkeiten macht. Diese Bestimmung des Deutschen H. G. Buchs ist daher nicht nachahmenswerth.
Art. 596. Diese Bestimmung besagt nichts weiter, als dass der Kaufvertrag vollzogen werden muss, sobald er abgeschlossen ist, wenn nicht Fristen hiefür vereinbart oder durch den Handelsgebrauch vorgeschrieben sind. Letzteres ist sehr häufig der Fall, namentlich für die Bezahlung des Preises; und die Fristen sind in verschiedenen Handelszweigen oft abweichend. Der Uebergang des Eigenthums auf den Käufer nach Art. 591 wird dadurch nicht ausgeschlossen; es folgt aber von selbst, dass der neue Eigenthümer die Herausgabe seines Eigenthums verlangen kann, wenn diese Herausgabe nicht auf später vereinbart ist. Der Verkäufer hat aber auch das Recht, die sofortige Uebergabe vorzunehmen, um in den Besitz des Kaufpreises zu gelangen, und der Käufer kann ihm nicht willkürlich eine längere Aufbewahrung der Sache zumuthen. Der Käufer kann aber nicht sich selbst in den Besitz der Sache setzen, sondern er kann nur die Uebergabe durch den Verkäufer verlangen. Ist für die Uebergabe eine Frist zum Vortheil des Käufers bestimmt, so hat nach Art. 363 dieser die Wahl des Tages, an welchem sie erfolgen soll, und der Verkäufer kann nicht früher übergeben. Ist auf Probe verkauft und soll die Untersuchung beim Käufer stattfinden, so gilt nach Art. 592 der Vertrag erst als abgeschlossen, wenn der Käufer genehmigt, oder binnen der bestimmten Frist sich nicht erkärt. Erst von diesem Zeitpunkte an kann sodann die Zahlung des Preises gefordert werden.
Art. 597. Da der Verkäufer zur Uebergabe, und der Käufer zur Annahme der Sache verpflichtet ist, so ist es der Billigkeit angemessen, dass jeder Theil die Kosten dessen trägt, was er zu thun verpflichtet ist, wenn nicht eine andere Bestimmung getroffen wurde oder gebräuchlich ist. Code civ. Art. 1608. Deutsch. H. G. B. Art. 351. Span. H. G. B. Art. 373. Eine Schwierigkeit kann hiebei nur insoweit entstehen, als der Begriff der Uebergabe und Annahme verschieden aufgefasst werden kann. Der Entwurf verweist in dieser Hinsicht auf die in Art. 366 — 368 aufgestellten Grundsätze. Hiernach entscheidet bezüglich des Ortes der Erfüllung zunächst der Vertrag oder die Natur des Geschäfts, eventuell kann der Gläubiger den Ort der Erfüllung bezeichnen oder endlich muss die Erfüllung am Wohnort und im Geschäftslocal des Gläubigers stattfinden. Indessen wird die Pflicht der Zusendung von einem anderen Orte durch die ordentliche Aufgabe zur Beförderung erfüllt, und wenn beide Theile an demselben Orte wohnen (Platzgeschäft), hängt es wiederum von Verabredung, von der Natur des Geschäfts oder dem Ortsgebrauch, z. B. auch Börsenordnungen etc. ab. ob der Schuldner die Sache zu schicken oder der Gläubiger sie zu holen hat. Die Art. 366 und 367 beziehen sich daher auf den Fall des Distancegeschäfts, wenn Gläubiger und Schuldner an verschiedenen Orten wohnen, und da die Erfüllung nur beim Schuldner erfolgen kann, so ist es einleuchtend, dass der Wohnort des Schuldners der natürliche Erfüllungsort ist. Hiezu kommt jedoch noch die für Versendungen geltende allgemeine Regel, dass, wenn nichts anderes verabredet ist, die Uebergabe zur Versendung als Uebergabe an den Schuldner zu betrachten ist, was auch bei Briefen etc. z. B. in Art. 340 zur Richtschnur genommen wurde.
Wendet man diese Regeln auf den Fall des Kaufes an, so muss der Verkäufer dem Käufer die Sache unzweifelhaft zusenden, aber er genügt seiner Pflicht durch Aufgabe zur Versendung. Er muss mithin die Zusendung besorgen und die Kosten hiefür bis zum Zeitpunkt der Aufgabe tragen. Die Kosten der Versendung selbst trägt dagegen der Käufer, wie sie auch nach Art. 369 auf seine Gefahr erfolgt. Der Käufer kann auch verlangen, dass die Waare an einen anderen Ort vom Verkäufer geschickt werde, und er kann weiter verlangen, dass die Verpackung den Umständen des von ihm angeordneten Transports gemäss sei, also z. B. nach den Bedürfnissen einer Seereise etc.
Alles was geschehen muss, damit die Uebergabe erfolgen kann, fallt gleichfalls auf Rechnung des Verkäufers, also namentlich das Zumessen, Abwägen, Sortiren, Ausscheiden, Markiren. Ja bei noch nicht fertigen Sachen (Art. 587) muss der Verkäufer auch die Kosten der etwaigen Fertigstellung, Vollendung oder Bereitmachung zur Uebergabe tragen, z. B. die Kosten einer Geburt beim Verkauf von Thierjungen, die Kosten der Ernte beim Verkauf von Früchten auf dem Halme, des Abholzens beim Verkauf von Bäumen im Stamme u. s. w., jedoch immer nur soweit nichts anderes herkömmlich oder verabredet ist.
Uebrigens ist, um eine feste Regel in die Hand zu bekommen, der Begriff der Uebergabe beim Kaufe noch näher festzustellen. Durch den Kaufvertrag wird der Käufer Eigenthümer und der Verkäufer zur Uebergabe der Sache an den Käufer verpflichtet. Diese Uebergabe bedeutet hier nicht nothwendig, dass der Verkäufer die Sache dem Käufer ins Haus schicken muss, sondern nur, dass er sie herausgeben, also seinerseits den Besitz der Sache aufgeben und die Besitznahme des Käufers zulassen muss. Von dem Augenblicke, wo der Käufer die Sache als sein betrachten muss, wird auch das körperliche Abholen der Sache ihm zufallen und der Verkäufer genügt seiner Pflicht, wenn er die Sache aus seinem Besitze entlässt. Indessen stehen dieser abstracten Auffassung doch mehrere practische Bedenken entgegen. Die Stellung des Käufers ist im Vergleich mit der des Verkäufers mehr zu begünstigen und im Zweifel ist die Natur des Kaufgeschäfts mehr zum Vortheil des Käufers zu beurtheilen, wie schon zu Art. 594 am Schlüsse bemerkt wurde. Practisch wird ein abgeschlossener Kaufvertrag immer als Realisirung eines Profits angesehen, da der Besitz des Geldwerthes dem der Sache vorgezogen werden muss; das Geld befähigt zur Eingehung aller möglichen Geschäfte und zur Abtragung von Schulden, die Sache kann nur verkauft werden. Wenn daher von dem Kaufvertrag der Verkäufer den grösseren Vortheil hat, wird es auch zulässig sein, ihm verhältnissmässig die grössere Last aufzubürden. Der Verkäufer ist überdies zur höchsten Sorgfalt für die Aufbewahrung der Sache bis zur Uebergabe verpflichtet, und man kann ihm nicht verwehren, diese Verantwortlichkeit abzukürzen durch Zusendung der Sache an den Käufer, wenn dieser sie nicht sofort holen lässt; hält man ihn aber demnach zur Zusendung an den Käufer berechtigt, so liegt es nahe, dass er hiezu auch mehr verpflichtet sein wird. Ferner liegt es in der Natur der Sache, dass dem Verkäufer, da bei ihm die Sache sich befindet, auch die Zusendung an den Käufer leichter fallen wird, als diesem das Abholen; denn wer Sachen verkauft, in dessen Geschäftsbetrieb gehört auch die Veranstaltung der Ablieferung derselben. Daher wird wenigstens im Detailhandel der Verkäufer in der Regel, äusser bei ganz geringfügigen Beträgen, für verpflichtet gehalten die gekauften Sachen den Käufern ins Haus zu liefern. Endlich kann man sich noch darauf berufen, dass der Kaufpreis seiner Natur nach dasjenige erschöpft, was der Käufer für die Sache gibt, dass mithin seine Kosten über die Grenzen der eigentlichen Annahme nicht hinaus erhöht werden dürfen. Erfolgt die Uebergabe mittelst Ordrepapire etc. in constructiver Weise, so ist ohnehin kein Zweifel dass solche dem Käufer, gleich wie Geld, in sein Local zuzusenden sind. Hiernach wird der Art. 368 mit Rücksicht auf die Natur des Kaufvertrags dahin auszulegen sein, dass, wenn nichts anderes verabredet oder gebräuchlich ist, zwar
1) der Verkäufer unzweifelhaft zur Zusendung der gekauften Waare an den Käufer — jedoch nicht vor der Frist—, und ebenso der Käufer zur Abholung beim Verkäufer berechtigt ist; dass aber
2) im Zweifel die Uebergabe durch den Verkäufer im Sinne einer Zusendung an den Käufer zu verstehen ist. So wird auch im Code civil Art. 1604 die Uebergabe erklärt.
Die Annahme ist an sich nichts weiter als der Act der Besitzergreifung durch den Käufer. Sie kann im Local des Verkäufers erfolgen, wenn die Abholung durch den Käufer stattfindet; oder am dritten Orte, wenn dort die Annahme stattfinden soll. Auch kann der Käufer durch eine dritte Person annehmen u. s. w. Soweit diese Annahme mit Kosten verbunden ist, trägt sie der Käufer. Bei Zusendung von einem anderen Orte trägt der Käufer im Zweifel die Fracht, Versicherung, Zollgebühren, Lagergebühren etc. Ebenso fallen dem. Käufer die Kosten der Untersuchung, Auspackung etc. zur Last.
Bei Lieferungsverträgen verhalten sich diese Regeln sehr verschieden, da der Uebergang des Eigenthums erst mit der Ablieferung stattfindet, mithin der Begriff der Uebergabe viel weiter gefasst werden muss.
Art. 598. Die Bestimmung dieses Artikels, wornach der Verkäufer hinsichtlich der Aufbewahrung der Sache bis zur Uebergabe dem Käufer für Anwendung der höchsten Sorgfalt verantwortlich ist, findet sich bereits im römischen Recht, welches den Verkäufer wie Jemanden betrachtet, dem eine Sache geliehen ist, offenbar aus dem Grunde, weil jeder Verzug der Uebergabe ein Nachtheil für den Käufer ist, indem der längere Gebrauch der Sache beim Verkäufer bleibt. Bei Handelsgeschäften trifft nun dieser Gesichtspunkt nicht zu, ausser in Bezug auf den Credit, den ein Verkäufer für die bei ihm verbleibenden Waaren geniessen wird. Allein es genügt, den Verkäufer als Stellvertreter des Käufers zu betrachten, da er vom Moment des Abschlusses an ehrlicher Weise nur noch für den Käufer besitzt; es kommt mithin die Regel des Art. 394 zur Anwendung, und der Bestimmung des D. H. G. B. Art. 343, welche den Verkäufer nur zur gewöhnlichen Sorgfalt verpflichtet, ist nicht beizustimmen. Der Verkäufer muss daher die verkaufte Sache mit grösserer Sorgfalt als seine eigenen aufbewahren, und er ist nur für zufällige, von ihm gänzlich unverschuldete Beschädigung etc. nicht haftbar. Diese strenge Verpflichtung, welche überdies nothwendig ist, um Betrug zu verhüten, hört auf, sobald der Käufer mit der Annahme im Verzug ist; es liegt daher in der Macht und im Interesse des Verkäufers, sich von ihr durch möglichst schnelle Uebergabe freizumachen.
Art. 599. Diese Bestimmung rechtfertigt sich dadurch, dass hier der Käufer nur zu seinem Vortheil besitzt und noch mehr, wie umgekehrt der Verkäufer, als Commodatar angesehen werden könnte. Es ist jedenfalls ein Beweis hohen Vertrauens, wenn die Sache vor dem Abschluss dem Käufer ausgeliefert wird, und diesem Vertrauen muss auch die Pflicht der sorgfältigsten Bewahrung entsprechen. Auch hier muss also der Käufer die Sache sorgfältiger bewahren, wie seine eigenen, und nur für zufälligen Schaden ist er nicht haftbar. Was übrigens in beiden Fällen der Verkäufer und bez. Käufer thun muss, um der Pflicht der sorgfältigsten Aufbewahrung zu genügen, ist nach den Umständen zu beurtheilen. Auch die Versicherung kann ihm obliegen, wie einem Commissionär oder anderen Stellvertreter, selbst ohne besonderes Verlangen des Verkäufers, und jedenfalls in dessen Auftrag, so dass seine Einwilligung hiezu nicht nothwendig ist; in jedem Falle aber nur auf Kosten des Verkäufers, der auch andere besondere Kosten der Aufbewahrung zu tragen hat.
Art. 600. An sich wird der Käufer durch den Vertragsabschluss Eigenthümer, und er kann dieses Eigenthum nicht nur gegen den Verkäufer, sondern gegen alle anderen Personen geltend machen. Allein der Verkäufer kann nicht mehr Recht an der Sache übertragen, als er selbst hat; es können die Rechte anderer Personen durch seinen Verkauf nicht verkürzt werden. Dritte Personen, wenn sie zur Herausgabe der Sache aufgefordert werden, können daher dem Käufer dieselben Einwendungen entgegensetzen, die sie dem Verkäufer gegenüber gehabt hätten, z. B. als Frachtführer, Pfand gläubiger, Retentionsberechtigte etc., oder sie können die vorherige Erfüllung gewisser Ansprüche verlangen, z. B. die Entrichtung von Lagergeldern, Zollgebühren etc. Wenn nun der dritte Besitzer hienach zur Herausgabe der Sache nicht oder nur bedingt verpflichtet ist, ist dies als eine Nichterfüllung des Verkäufers anzusehen, und der Käufer kann demgemäss vom Vertrag zurücktreten oder Entschädigung fordern.
Nach Civilrecht findet zwar hievon manche Ausnahme statt, z. B. durch den Grundsatz: Kauf bricht Miethe. Allein im Handelsverkehr in beweglichen Gütern muss die Regel, dass jede Waare mit den darauf ruhenden Lasten übergeht, streng gewahrt werden.
Wenn nun der Käufer die Sache nur erlangen kann gegen gewisse Leistungen, die an sich der Verkäufer zu machen hätte, so ist er berechtigt sie im Namen des letzteren zu zahlen und dafür gleich einem Stellvertreter Ersatz zu verlangen.
Art. 601. Ein Kaufvertrag kann zwar nicht als abgeschlossen gelten, wenn nicht volle Einigung der Parteien über die Sache und den Preis erzielt worden ist. Allein diese Einigung kann auch stillschweigend erfolgen, so wenn der Verkäufer zu einem bestimmten Preise offerirt und der Käufer einfach acceptirt, ohne sich weiter über den Preis zu äussern. Hat aber auch der Verkäufer sich nicht über den Preis geäussert, und beide Theile haben ein ernstliches Geschäft beabsichtigt, so muss man annehmen, dass sie sich beide stillschweigend demjenigen Preise unterwerfen, zu welchem die Sache überhaupt im Handel zu haben ist. Dies kann nur der jeweilige Markt- oder Börsenpreis sein, denn dieser repräsentirt den Handelswerth der Sache, und man muss vernünftiger Weise annehmen, dass der Käufer sich zur Entrichtung des Handelswerthes verpflichten und der Verkäufer diesen, in Ermangelung einer anderen Preisbestimmung, acceptiren wollte. Dieser Marktpreis oder Cours wird von den Mäklern festgestellt, in Ermangelung von solchen muss er von Sachverständigen bezeichnet oder aus einer Anzahl von zu gleicher Zeit an dem Orte stattgefundenen Käufen berechnet werden. Für Waaren, die einen solchen Marktpreis nicht haben, fehlt es an diesem Anhaltspunkte, und es kann dann, soferne die Umstände nicht einen anderen Massstab als im Sinne der Parteien zulassen, eine Einigung über den Preis nicht angenommen werden. Wenn ein Theil die Richtigkeit des von dem anderen Theile behaupteten Markpreises bestreitet, so muss er diese Unrichtigkeit beweisen.
Der Käufer ist vor Uebergabe der Sache zur Entrichtung des Kaufpreises nicht verpflichtet, soferne nichts anderes vereinbart oder gebräuchlich ist. Ob er dazu berechtigt sei, hängt von diesen Umständen gleichfalls ab. Jedenfalls kann er bei Vorausbezahlung keinen Discont berechnen, ausser nach Vorschrift des Art. 385. Wird der Preis in einem Wechsel, Cheque etc. entrichtet, so ist dies als Zahlung anzusehen, jedoch unter der Voraussetzung, dass die Honorirung des Papiers zur Verfallzeit erfolgt.
Art. 602. Diese Bestimmung empfiehlt sich im Interesse des Käufers und zur Verhütung späterer Streitigkeiten, zumal die Sache durch weiteren Zeitablauf sich noch mehr verschlechtern kann. Kann sich der Käufer auf die Aussage eines Mäklers berufen, der immer als besonders zuverlässiger Sachverständiger anzusehen ist, so gibt dies seinen Reclamationen grössere Kraft und Glaubwürdigkeit. Da im Falle ungenügender Waare der Verkäufer den Protest verschuldet hat, so muss er auch die Kosten dafür tragen. Indessen würden diese. Kosten auf den Käufer zurückfallen, wenn die Reclamation unbegründet wäre. Statt eines förmlichen Protestes kann der Käufer sich auch mit einer blosse Anzeige an den Verkäufer begnügen; der Verkäufer kann mithin eine Reclamation nicht einfach desshalb zurückweisen, weil sie nicht mittelst eines Mäklers erfolgte. Der Protest durch einen Mäkler setzt dessen vorherige persönliche Untersuchung der Waare voraus. Der Mäkler kann nur den von ihm befundenen Zustand der Sache bestätigen, nicht aber darüber entscheiden, welche Ansprüche desshalb aus dem Vertrage erhoben werden können. Daher kann ein Protest wegen Verspätung einfach durch den Mäkler ohne weitere Untersuchung der Waare erhoben werden, auch vor deren Empfang, jedoch nicht vor dem Zeitpunkt, an welchem die Ablieferung hätte stattfinden sollen.
Art. 603. Diese Bestimmung kann sich, wie bereits früher zu Art. 594 bemerkt wurde, nicht auf den Fall eines Kaufes nach Besicht beziehen, weil in diesem Falle die Besichtigung und Annahme durch den Käufer den Verkäufer weiterer Verpflichtungen überhebt; auch nicht auf den Kauf nach Muster oder Probe, da hier die Probe den Massstab für die Waare abgibt, ausgenommen soweit neben der Probe noch anderweite Bedingungen, insbesondere hinsichtlich der Nebenverpflichtungen in Betracht kommen. Die Erfahrung lehrt, dass die meisten Streitigkeiten zwischen Käufern und Verkäufern wegen der Qualität der Waare entstehen, sei es um dieser selbst willen, sei es um einen Vorwand zu erlangen, von dem Geschäfte zurückzutreten. Es ist daher von der grössten Wichtigkeit, dass die Verpflichtung des Verkäufers hinsichtlich der Qualität der Waare genau bestimmt werde. Der Entwurf stellt daher zwei klare Regeln hierüber auf. Der Verkäufer muss liefern
1) die Waare in derjenigen Beschaffenheit, wie sie ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart wurde; oder soweit nichts vereinbart ist.
2) courante Waare, d. h. die Waare in derjenigen Qualität, wie sie zur Zeit und am Orte der Erfüllung der Handel verlangt.
Unter dem Erfüllungsorte ist auch hier der Wohnort des Käufers oder desjenigen zu verstehen, an den die Waare abzuliefern ist. Unter couranter Qualität versteht man diejenigen Eigenschaften einer Waare, welche sie mindestens und nothwendig haben muss, um im Handel angenommen zu werden, da sie in Ermangelung dieser Eigenschaften entweder unverkäuflich ist oder nur zu einem niedrigeren Preise abgesetzt werden könnte. Die meisten Waaren haben eine solche courante Qualität und dieselbe wechselt von Zeit zu Zeit, und von Ort zu Ort. Jeder Kaufmann, der mit seiner Branche vertraut ist, muss sie kennen und legt sie stillschweigend seinen Geschäften zu Grund. Wenn darüber Streit entsteht, kann derselbe daher sehr wohl durch Sachverständige entschieden werden. Es kommt daher nichts darauf an, ob die Waare an sich gut oder schlecht sei, sondern darauf, ob sie diejenigen Eigenschaften besitzt, die ihre Handelsfähigkeit am Orte bedingen. Es sind das Eigenschaften, die entweder jeder von selbst kennt, oder die nur der Kenner, d. h. der in der Branche beschäftigte Kaufmann zu beurtheilen vermag. Sie bestehen oft in sehr feinen Nuancirungen, die aber dennoch genau angegeben werden können. Sie fallen zum Theil mit der Mode zusammen, zum Theil sind sie anderer Natur, und hängen von dem nationalen Geschmack, von der Landessitte, von den Fortschritten der Technick etc. ab. Der Entwurf bestimmt ausdrücklich, dass das Erforderniss der couranten Qualität sich nicht auf die Waare allein bezieht, sondern auch auf Nebendinge, die sehr häufig ebenso wichtig und noch wichtiger sind, als die Waare selbst. Z. B. der beste Champagner wäre unverkäuflich, wenn er in Steinkrügen, oder in anderen als Champagnerflaschen, ohne Etikette u. dgl. geliefert würde. Manche Waaren erfordern runde, manche eckige Flaschen ; manche Kästchen in Holz, andere in Papier u. dgl. m. Es kommt in den meisten Fällen auf die Farbe, den Glanz, die Form, Breite etc. etc. an, ob eine Sache als courant gelten kann oder nicht.
Der Entwurf dehnt diese Verpflichtung des Verkäufers auch auf die Verpackung aus, soweit der ordentliche Zustand der Waare dadurch bedingt ist; einmal weil Waaren sehr häufig unausgepackt weiter verkauft werden und schon die Art der Verpackung auf den Zustand der Waare schliessen lässt, und sodann, weil der Verkäufer in seinem eigenen dauernden Interesse zu einer ordentlichen Verpackung angehalten werden muss. Die Anforderungen werden allerdings in dieser Beziehung schwächer und unbestimmter sein; wenn es aber im Handel feststeht, dass gewisse Waaren nur in gewisser Weise verpackt werden dürfen, dann kann der Käufer diese Art der Verpackung fordern, und ohne weitere Untersuchung der Waare dieselbe zurückweisen, auch wenn diese fehlerfrei wäre, da in den meisten Fällen eine gewisse Verpackung nicht unnöthiger Weise zur Regel erhoben sein wird. Der Käufer erspart sich dadurch die weitere Mühe, Zeitverlust und Kosten, die mit der Auspackung und Untersuchung verbunden wären. Dies wäre z. B. der Fall, wenn eine Waare für den Seetransport so empfindlich wäre, dass sie in verlötheten Blechkisten verpackt werden müsste.
Die Bestimmung des Deutschen H. G. B. Art. 335, wornach der Verkäufer Handelsgut mittlerer Qualität zu liefern hat, ist ungenügend und unpractisch, da die mittlere Qualität regelmässig keine bestimmte Handelsqualität anzeigt. Es kann z. B. in Japan eine sehr gute Waare nicht courant sein, auch wenn sie in Europa gesucht wäre, und umgekehrt. Diese Regel würde überdies ganz versagen, wenn es sich darum handelte, ob eine Waare in runden oder eckigen Flaschen, in Blech- oder Holzdosen zu liefern sei u. s. f.
Die Bestimmungen sind insbesondere für den Import- und Exporthandel bedeutungsvoll, insoferne die auswärtigen Verkäufer und Fabrikanten dadurch gezwungen werden, die Bedürfnisse und den Geschmack eines Landes sorgfältig zu erforschen und zu beachten, und sie geben demjenigen einen verdienten Vorzug, welcher mit grösserer Sachkenntniss und Sorgfalt sein Geschäft betreibt.
Art. 604. Der Käufer hat zwar, nach Art. 603, das Recht wegen Mängel und Fehler der gelieferten Sache zu reclamiren, es empfiehlt sich aber aus wichtigen Gründen, namentlich um die rasche Abwicklung der Handelsgeschäfte und die Möglichkeit einer unparteiischen Untersuchung des Falles zu sichern, dem Käufer hinsichtlich der Ausübung dieses Rechts Grenzen zu stecken. Dies ist in fast derselben Weise auch im Deutschen H. G. B. Art. 347 und im Spanischen Art. 370. 371 geschehen. Der Entwurf schreibt daher vor:
1) der Käufer muss sofort nach dem Empfang der Waare dieselbe untersuchen und etwa vorgefundene Mängel und Fehler dem Verkäufer anzeigen;
2) mit späteren Reclamationen wird der Käufer ausgeschlossen ;
3) ausnahmsweise werden spätere Reclamationen zugelassen, jedoch nur unter drei Bedingungen :
a) die Mängel und Fehler sind erst später entdeckt worden ;
b) die Anzeige erfolgte unmittelbar nach der Entdeckung ; c) die spätere Entdeckung wurde durch Betrug des Verkäufers oder durch die Unthunlichkeit der sofortigen speciellen Untersuchung herbeigeführt.
Zur Erläuterung der letzten Bedingung ad c, mögen folgende Beispiele dienen: Es wird ein Fass mit Zucker gekauft, geöffnet und oben der Inhalt richtig befunden; später zeigt es sich beim allmählichen Verkauf, dass das Fass unten mit Sand oder schlechterem Zucker gefüllt ist. Oder: es werden 100 Flaschen Wein gekauft, eine Flasche wird geöffnet und richtig befunden, später zeigt es sich beim allmählichen Verbrauch, dass eine Anzahl Flaschen eine schlechtere Qualität enthalten. Die beiden Fälle mögen vielfach in einander übergehen, indem der etwaige Betrug des Verkäufers meist auf der Voraussetzung beruhen wird, dass die specielle Durchsuchung aller Theile nicht stattfinden wird. Es kann aber auch vorkommen, dass der Betrug an der ganzen Waare verübt ist, dergestalt, dass er zwar sofort entdeckt werden könnte, aber nur desshalb weil man Vertrauen in den Verkäufer setzte, nicht sofort genauer untersucht wurde. Z. B. es wird Thee gekauft, der künstlich gefärbt oder mit schlechteren Sorten gemischt ist. Mag nun der Käufer den Thee sofort nach Empfang untersucht haben oder nicht, da hier Betrug vorliegt, kann er jedenfalls reclamiren, jedoch muss dies sofort nach Entdeckung geschehen. Was Betrug im kaufmännischen Sinne ist, im Gegensatz zu erlaubten wenn auch nicht immer ehrlichen Manipulationen, muss nach Handelsgebrauch beurtheilt werden. Der Betrug setzt immer die Absicht der Täuschung voraus durch Anwendung von Mitteln, welche die Thatsache des zugefügten Vermögensnachtheils verdecken sollen. Die blosse Verschlechterung oder Verfälschung einer Waare ist mithin noch kein Betrug, sondern es muss dazu das Moment der absichtlichen Täuschung, der Verdeckung der Verfälschung, hinzutreten. Wenn also Jemand ein Fass gefälschten Zucker schickt, so ist dies an sich noch kein Betrug; wohl aber wenn die obere Schichte mit gutem Zucker gefüllt ist, oder wenn die Fälschung derart ist, dass sie nicht leicht erkannt werden kann.
Liegen nun die zuletzt a — c genannten Bedingungen nicht vor, so müssen Reclamationen sofort nach Empfang erhoben werden, um nicht präcludirt zu sein. Dies ist der Handelspraxis entsprechend, und auch vernünftig und billig. Denn wer eine Waare behält, ohne deshalb Reclamationen zu erheben, von dem muss man annehmen, dass er sie behalten will. Es würde durchaus nicht angehen, einem Käufer zu beliebig späterer Zeit die Anfechtung von Geschäften zu gestatten. Unter sofortiger Untersuchung ist zu verstehen eine Untersuchung ohne unnöthigen Verzug, wobei die Umstände zu berücksichtigen sind; es kann darunter eine Frist von einem oder mehreren Tagen verstanden werden, je nach der Art und Menge der Waare. Hierüber gibt der Handelsgebrauch genügende Merkmale an die Hand. Will der Verkäufer den Einwand der Verspätung erheben, so muss er beweisen, dass die Untersuchung unter gewöhnlichen Umständen früher hätte vollendet werden können und binnen der regelmässigen Frist nicht erfolgte. Das Span. Gesetzbuch Art. 370 setzt hiefür eine gesetzliche Frist von 8 Tagen fest, wenn die Ballen oder Kisten etc. in unverletztem Zustande übergeben waren. Allein eine solche Fristbestimmung ist nicht zweckmässig, da sie je nach den Umständen bald zu kurz, bald zu lang sein kann. Offenbar muss auf den Zustand, in dem die Waaren ankommen, einige Rücksicht genommen werden, und der Käufer wird, wenn äusserlich nichts schadhaftes zu entdecken ist, mehr Nachsicht verdienen, wenn er nicht sogleich oder nicht gleich mit schärfster Genauigkeit untersucht.
Wenn nun der Käufer nicht sofort untersucht, so hat er seine Reclamation gegen den Verkäufer verloren, soferne dieser nicht Betrüg verübte. Denn die andere Bedingung, dass die sofortige specielle Untersuchung nicht erfolgte, darf mit der Unterlassung jeglicher Untersuchung nicht verwechselt werden. Wenn es nun gleichwohl häufig vorkommt, dass Waaren ohne alle Untersuchung angenommen und weiter verkauft werden, so thut dies der Käufer auf seine Gefahr, und er kann es nur dann ohne Verlust thun, wenn er seinem Verkäufer unbedingtes Vertrauen schenken darf. Indessen wird dieses Vertrauen doch nicht selten getäuscht, und es liegt im Interesse der Käufer, dagegen Schutz zu erhalten. Hiezu dient die Bestimmung, dass der Ausschluss von Reclamationen dann nicht stattfinden soll, wenn der Verkäufer die specielle Garantie, etwa für Reinheit, Gewicht, Mass etc. übernommen hat, was auch für einen bestimmten Zeitraum geschehen kann. Eine solche Garantie befreit den Käufer von der Pflicht der sofortigen Untersuchung, sie ist ebenso wirksam wie beim Kauf nach Besicht (Art. 594).
Die Bestimmungen dieses Artikels finden Anwendung, gleichviel ob nach Probe oder nach blosser Verabredung gehandelt wurde; auch auf den Kauf auf Besicht oder Probe, soferne Garantie übernommen wurde oder die Fälle eines Betruges oder später zulässiger Untersuchung resp. Entdeckung vorliegen.
Art. 605. Dieser Artikel bezieht sich besonders auf den Kauf von Quantitäten, z. B. so und so viel Centner Wein, Reis, Thee u. s. w. Werden nun statt 100 nur 50 Centner geliefert, so fragt es sich, ob dies als Nichterfüllung anzusehen sei, welche den Käufer zur Auflösung des Contracts oder Entschädigung berechtigt. Diese Frage kann nur nach der thatsächlichen Absicht der Parteien beantwortet werden. Zuweilen ist der Käufer auch mit der kleineren Menge zufrieden, obgleich er die grössere vorgezogen haben würde. Wenn nun diese Absicht beim Abschluss des Vertrages irgendwie zu erkennen gegeben wird oder aus den Umständen zu entnehmen ist, muss der Käufer auch die geringere Quantität annehmen und bezahlt natürlich nur so viel als er wirklich erhielt. Umgekehrt, auf den Käufer, kann diese Freiheit nicht angewendet werden ; es kann der Käufer nie das Recht haben, weniger anzunehmen als bedungen wurde, wenn der Verkäufer das Ganze liefern will, sofern dem Käufer dieses Recht nicht vertragsmässig zugestanden wurde. D. H. G. B. Art. 359.
Art. 606. Diese Bestimmungen dienen dazu, den Käufer gegen Minderlieferung zu schützen, während der äussere Anschein voller Lieferung gegeben ist. Die Bestimmungen über Tara und Refactie (Abrechnung wegen einzelner zerbrochener oder sonst beschädigter Gegenstände, während die Lieferung an sich richtig und vollständig ist) sind je nach den einzelnen Handelsobjecten und auch von Land zu Land und von Ort zu Ort verschieden. Sie müssen dem jeweiligen Handelsgebrauch überlassen bleiben, doch können im einzelnen Falle besondere Bedingungen vereinbart werden. D. H. G. B. Art. 352. Durch den Handelsgebrauch wird auch meist die Regel aufgestellt, dass innerhalb gewisser Grenzen ein gewisses Mehr oder Weniger dem anderen Theile nicht zur Last gelegt werden soll. Durch das Französ. Gesetz vom 12. Juni 1866 sind die in Frankreich vorhandenen verschiedenen Gebräuche über diesen Punkt zweckmässig unificirt worden. Der Entwurf schreibt vor, dass das Nettogewicht — im Gegensatz zum Bruttogewicht — die Regel und das Bruttogewicht die Ausnahme sein soll, und dies ist offenbar dem Willen der Parteien entsprechend, denn man will die Sache selbst kaufen; und nicht Fässer, Flaschen, Packleinen etc.
Art. 607. 608. Die Feststellung des Zustandes einer Waare durch unparteiische und sachverständige Personen liegt ebenso sehr im Interesse des Verkäufers, als des Käufers (Art. 602), und dient zur Abschneidung von Processen. Art. 607 besagt daher, dass der Verkäufer hiezu ein Recht hat, und dass ihm der Käufer die Vornahme der Untersuchung durch solche Personen gestatten muss. Nur geschieht dies nicht von ihm zum Zweck der Erhebung eines Protestes, sondern nur zur eigenen Information und um etwaige Anzeigen des Käufers widerlegen zu können. Daher bleibt dem Verkäufer die Wahl zwischen einem Mäkler oder anderen Sachverständigen freigestellt, während der Protest des Käufers durch einen Mäkler erhoben werden muss. Abgesehen von einem förmlichen Protest kann übrigens der Käufer unbedenklich eine gewöhnliche Anzeige auch auf den Befund gewöhnlicher Sachverständiger stützen.
Die Bestimmung in Art. 608 setzt nicht schon die Erhebung einer Klage voraus, sondern sie soll dazu dienen, wo möglich einen Process zu verhüten, wenn die Parteien oder deren Sachverständige sich nicht einigen können. Sie soll daher bewirken, dass eine Klage wegen Mangel oder Fehler der Sache nur erhoben werden kann, wenn vorher eine unparteiische sachverständige Untersuchung stattgefunden hat. Hiedurch werden voraussichtlich viele frivole Rechtsstreitigkeiten, bei denen die mangelhafte Qualität nur als Vorwand dient, abgeschnitten.
Art. 609. Der Käufer kann die Annahme der Sache verweigern, wenn sie nicht die vertragsmässige oder gesetzliche Qualität oder Quantität hat, und nicht etwa nur Minderung des Preises, wie z. B. nach Art. 594 und 606, von ihm gefordert werden kann. Ob nun der Verkäufer der Zurückstellung der Waare zustimmt oder nicht, in keinem Falle kann er seinen Anspruch auf Aufhebung des Vertrages geltend machen und zugleich die Waare behalten wollen. Will er die Waare zurückgeben, so muss er dies binnen der in Art. 604 bestimmten Fristen unverzüglich dem Verkäufer erklären und ihm gleichzeitig die Waare zur Verfügung stellen, sich aber seinerseits jedes Gebrauches und jeder Verfügung über die Sache enthalten.
Bis zur weiteren Verfügung des Verkäufers ist der Käufer zur ordentlichen Aufbewahrung der Waare verpflichtet, jedoch nicht zur Anwendung der höchsten Sorgfalt wie im Falle des Art. 599, da die Aufbewahrung lediglich in dem Interesse des Verkäufers liegt. Diese Pflicht erklärt sich aus der Rücksicht, welche man sich im Handelsverkehr gegenseitig schuldet, und die Jeder beanspruchen wird, da Jeder zugleich Käufer und Verkäufer ist; aber auch aus dem Bedürfniss auf Seiten des Verkäufers, da dessen Waaren, auch wenn sie nicht vertragsmässig sind, doch nicht einfach auf die Strasse geworfen werden dürfen. Die Verpflichtung des Käufers ist aber zeitlich begrenzt; der Verkäufer kann seine weitere Verfügung nicht beliebig aufschieben, sondern muss sie unverzüglich treffen und dem Käufer mittheilen. Geschieht dies nicht, so kann sich der Käufer so betrachten, als wenn er den Verkäufer mit der Annahme der Waare in Verzug gesetzt hätte, und er ist berechtigt nach Art. 353 darüber zu verfügen. Insbesondere wird er sie auf Kosten des Verkäufers in Niederlage geben können.
Das nächstliegende scheint zu sein, dass der Käufer die Waare dem Verkäufer wieder zurücksende. Allein dies würde im Handel sehr häufig nicht conveniren, und meist mit zu grossen Kosten verknüpft sein. Vielmehr wird in den meisten Fällen der Verkäufer die Waare an dem gleichen Ort oder anderswo so gut wie möglich losschlagen müssen; dies zu bewerkstelligen aber ist Sache des Verkäufers, und er kann sich dazu der Hülfe von Agenten, Commissionären etc. bedienen. Der Käufer ist zu solchen weiteren Diensten offenbar nicht verpflichtet, auch wenn der Verkäufer ihm den Auftrag dazu ertheilen sollte.
Die vorstehend erörterten Grundsätze werden nicht berührt, wenn etwa die Weigerung des Käufers unbegründet wäre und er in einem darauf folgenden Rechtsstreit gegen den Verkäufer unterliegen sollte. Wird dem Käufer nicht Recht gegeben, so ist er auch zur Zurückstellung nicht berechtigt, und alle dergleichen Schritte geschehen auf seine Rechnung und Gefahr. Wird ihm aber Recht gegeben, so muss der Verkäufer die Schritte anerkennen, welche der Käufer in der Zwischenzeit nach Art. 609 in Betreff der Waare gethan hat.
Art. 610. Dass der Käufer die von ihm beanstandete Waare, obgleich er keine Verfügung als Eigenthümer mehr darüber hat, doch in seinem eigenen Interesse verkaufen kann, oder auch im Interesse des Verkäufers, unterliegt keinem Zweifel angesichts der im gesammten Handelsrechte herrschenden Grundsätze der Gegenseitigkeit gewisser Interessen und der berechtigten Wahrung eigener Interessen. Es kommt äusserst oft vor, dass ein Kaufmann die Interessen eines anderen wahren muss, ohne dessen Stellvertreter zu sein, da das Handelsinteresse dies erfordert, um mit einiger Sicherheit Speculationen durchführen zu können, und Jeder solche Dienste auch von Anderen verlangen muss, daher sie selbst nicht weigern kann. Können Waaren ohne Verlust nicht länger aufbewahrt werden, so müssen sie verkauft werden, nöthigenfalls um jeden Preis, um zu retten, was noch gerettet werden kann. Hiezu ist der Käufer verpflichtet und Verkäufer könnte von ihm Schadensersatz erfordern, wenn er ihm desfalls böse Absicht oder grobe Nachlässigkeit vorwerfen könnte. D. H. G. B. Art. 348.
Der Käufer kann aber auch die Sache in seinem Interesse verkaufen, denn er hat ohne Zweifel ein Retentionsrecht an ihr für die darauf etwa verwendeten Kosten und Auslagen, und befindet sich ähnlich wie im Falle des Art. 345. Dies braucht hier nicht weiter ausgesprochen zu werden, da es in der allgemeinen Vorschrift des Art. 444 bereits enthalten ist. Der Entwurf dehnt dieses Recht aber auch auf den Fall aus, dass der Käufer bereits den Kaufpreis bezahlt habe. Soll hier der Käufer die Sache zurückgeben und seinen Kaufpreis einklagen müssen ? Dies wäre vielleicht langwierig und ungerecht, da er ein Sicherungsmittel aus den Händen geben müsste, während umgekehrt der Verkäufer das Retentionsrecht zur Erlangung des Kaufpreises nach Art. 452 ausüben kann. Es ist daher offenbar gerecht, dieses Recht des Verkäufers im umgekehrten Falle auch dem Käufer zu geben. Dies musste aber besonders ausgesprochen werden, da die Anwendung des Art. 452 auf die Ansprüche des Käufers mindestens zweifelhaft erscheinen könnte. Wenn nun der Käufer zur Wahrung seiner Interessen den Verkauf vornimmt, muss er auch die für den analogen Fall des Retentionsrechts gegebenen Bestimmungen erfüllen.
Art. 611. Die Bestimmungen dieses Artikels finden sich ausdrücklich auch im Span. H. G. B. Art. 377 ausgesprochen, und es ist zweckmässig sie ausdrücklich auszusprechen, obwohl sie im Handel gewöhnlich von selbst erfüllt werden, da sich an ihre Beobachtung wichtige Rechtsfolgen knüpfen.
Die Rechnung oder Factura (invoice) enthält die specielle Bezeichnung der vom Verkäufer an den Käufer gelangenden Waaren nebst specieller Angabe ihrer Preise und sonstiger Nebenkosten, welche der Käufer zu entrichten hat. Sie enthält mithin zweierlei, nämlich 1, eine Erklärung des Verkäufers, gewisse Waaren dem Käufer übergeben zu wollen, und 2, den Betrag der Kaufschuld des Käufers. Nach der Factura beurtheilt daher der Käufer zunächst die Erfüllung des Kaufvertrags durch den Verkäufer, und es kann die Factura, zumal in Verbindung mit dem etwaigen Frachtbrief, unter Umständen auch als Dispositionspapier angesehen und die darin enthaltene Waare mittelst derselben weiter veräussert werden. Aber auch abgesehen von letzterer Verfügung ist die Factura zur Information nothwendig, da auf Grund derselben die Rechnung zwischen Käufer und Verkäufer abgemacht werden wird. Die Factura kann für sich allein oder mit den Waaren übergeben werden, nie aber später als diese letzteren, da sonst der Käufer die Waarensendung nicht kaufmännisch beurtheilen könnte. Unterlässt der Verkäufer die Zustellung einer Factura, so kann der Käufer die etwa vorhergegangene Zusendung der Waaren als unvollständig ansehen und die Waaren einstweilen ohne Verpflichtung zur Zahlung des Preises liegen lassen.
Die Quittung dient als Beweis der erfolgten Zahlung, und kann von dem Käufer, wie von Jedem, der eine schuldige Zahlung leistet, begehrt werden, um das nothwendige Beweismittel in die Hände zu bekommen.
Cap. 2. Lieferungsvertrag.
Art. 612. Der Unterschied zwischen Kauf- und Lieferungsvertrag wurde bereits oben zu Art. 585 erörtert. Allerdings fällt der Lieferungsvertrag unter den allgemeinen Begriff des Kaufgeschäfts, indem auch durch ihn der Käufer Waaren gegen Entrichtung eines Preises erhalten soll. Allein der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass zum Begriff des eigentlichen Kaufvertrages der sofortige Uebergang des Eigenthums auf den Käufer mit dem Abschluss des Vertrages gehört, oder bei bedingtem Vertrag, mit der Erfüllung der Bedingung, während beim Lieferungsvertrag diese Rechtswirkung des Vertragsabschlusses nicht eintreten kann, sondern die unmittelbare Wirkung des Vertrages nur die ist, dass der Verkäufer verpflichtet wird, dem Käufer die Sache zu liefern oder zu verschaffen. Der Lieferungsvertrag ist von Anfang an ebenso gültig und verbindlich, wie der eigentliche Kaufvertrag, allein der Inhalt der daraus entstehenden Verpflichtungen ist ein anderer. Der Eigenthumsübergang wird bis zur Tradition des Verkäufers hinausgeschoben, und eben desshalb kann auch von einer früheren Verbindlichkeit zur Zahlung des Preises keine Rede sein. Durch den Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer zur einfachen Herausgabe der bereits dem Käufer gehörenden Sache, durch den Lieferungsvertrag dagegen zu einer die Lieferung ermöglichenden Thätigkeit, obwohl die Art wie sich der Verkäufer die zu liefernde Sache verschafft, in den meisten Fällen gleichgültig ist, wenn sie nicht in der Natur des zu liefernden Gegenstandes vorgeschrieben ist. Der Verkäufer ist daher hier nicht blosser Verkäufer, sondern zugleich auch Producent, Käufer etc. Meist wird die zu liefernde Sache eine generelle Sache sein, doch steht nichts im Wege, auch specielle Sachen mittelst eines Lieferungsvertrages zu veräussern. Man kann z. B. ein bestimmtes Stück Wild in seinem Walde auf Lieferung verkaufen, dann muss dieses erst geschossen werden, oder eine specielle Sache, die zur Zeit einem Dritten gehört, dann muss sie erst von diesem Dritten erworben werden. Da sich nun durch den Lieferungsvertrag der Verkäufer zu einer gewissen Thätigkeit verpflichtet, so wird er von Verantwortlichkeit frei, wenn ihn desfalls kein Verschulden trifft. Gesetzt es gelingt ihm nicht die fremde Sache zu erwerben, so ist er dem Käufer nicht zum Ersatz verpflichtet, obwohl er seinerseits auch keinen Preis fordern kann. Beim Lieferungsvertrag wird daher die Regel, dass der Schuldner durch eintretende Unmöglichkeit von seiner Verbindlichkeit frei wird, häufig eine Rolle spielen, während sie beim Kaufvertrag nicht angewendet werden kann; denn würde z. B. hier die verkaufte Sache zu Grunde gehen, so ginge sie dem Käufer zu Grunde, und der Verkäufer könnte trotzdem den Kaufpreis einfordern. Die Gefahr der Sache liegt also beim Lieferungsvertrag auf Seiten des Verkäufers.
Der Entwurf zählt 4 Fälle auf, in welchen ein Kaufgeschäft als Lieferungsvertrag anzusehen ist. Sie erklären sich sämmtlich dadurch, dass bei ihnen nach der Natur des Geschäfts und der Absicht der Parteien der Uebergang des Eigenthums durch den VertragsabSchluss noch nicht stattfinden kann und mithin vorläufig der Käufer weder Rechte noch Pflichten übernimmt. Man könnte daher leicht versucht sein, den Lieferungsvertrag als einen bedingten Vertrag aufzufassen, wobei dann die thatsächlich erfolgende Lieferung als Erfüllung der Bedingung gelten müsste. Allein die Verpflichtung des Verkäufers ist nicht bedingt, sie steht von Anfang an fest, und es würde gegen die juristische Logik verstossen, wenn man die eine Seite des Vertrages zugleich als Bedingung auffassen wollte. Der Käufer ist allerdings den Kaufpreis nur schuldig, wenn die Lieferung erfolgt, allein das gleiche gilt von jedem Kaufvertrag, ist mithin nicht einmal eine Eigenthümlichkeit des Lieferungsvertrages.
Von den erwähnten 4 Fällen des Lieferungsvertrages erfordern nur die beiden zuletzt genannten noch einige Erläuterung.
Unter Waaren, die sich auf dem Transport befinden, sind solche zu verstehen, die während des Transports verkauft werden. Es sind das hauptsächlich schwimmende Waaren, indessen besteht kein genügender Grund, Waaren die zu Lande transportirt werden, davon auszuschliessen. Solche Waaren befinden sich zur Zeit des Vertragsabschlusses gänzlich in der Gewalt des Frachtführers oder Schiffers und sind allen Gefahren der See- oder Landreise ausgesetzt. Ihre Uebergabe kann an den Käufer zur Zeit nicht stattfinden, und es wäre unbillig, dem Käufer die Gefahren des Transports aufzubürden, da er auf denselben nicht den mindesten Einfluss üben konnte. Das Ital H. G. Buch Art. 99 erklärt einen solchen Vertrag als unter der Bedingung der glücklichen Ankunft des Schiffes etc. geschlossen, und es würde demnach ein solcher Vertrag mehr unter die in Art. 587 behandelten Fälle gehören, d. h. im Augenblick der glücklichen Ankunft des Schiffes würden die Waaren Eigenthum des Käufers von selbst werden. Dem steht aber entgegen, dass wohl das Schiff, oder der Eisenbahnzug etc. glücklich ankommen kann, nicht aber die Waaren, und desshalb ist in dem gleichen Gesetzbuch Art. 103 weiter verordnet, dass der Vertrag als aufgelöst gelten soll, wenn die Waaren in wesentlich verdorbenem Zustande ankommen. Daher scheint es richtger, die Gefahr des Transports gänzlich auf den Verkäufer zu legen, der dann die Verbindlichkeit hat, die Waaren in Empfang zu nehmen und dem Käufer zu liefern. Anders wäre es, wenn unterwegs befindliche Waaren mittelst eines Verfügungspapiers unmittelbar übergeben würden, was ohne Zweifel geschehen kann. Hierüber ist in Art. 615 Bestimmung getroffen. Für Japan ist diese Art der Behandlung bei seiner durchweg maritimen Lage und der vielen Gefahren des Seetransports in den ostasiatischen Gewässern ohne Zweifel angemessener. Wenn der Japanische Kaufmann eine schwimmende Waare kauft, ist es für ihn vortheilhafter, die Uebergabe durch den anderen Theil abzuwarten. Das Gegentheil würde zu Betrügereien und Chicanen mancherlei Art anreizen.
Werden Waaren auf einem bestimmten Schiff gekauft, so versteht sich die Uebergabe, so weit nichts anderes verabredet wird, bei Ankunft des Schiffes. Trifft das Schiff verspätet ein, oder mussten die Waaren auf ein anderes Schiff umgeladen werden, so wird der Käufer billiger Weise gegen eine kurze Verspätung nicht reclamiren können, ausgenommen es wurde eine bestimmte Lieferungszeit fixirt. Jedoch kann der Käufer nach Art. 615 in solchem Falle eine Minderung des Preises verlangen, wenn er dafür genügende Gründe anzuführen vermag.
Wird ein Kauf in Bezug auf Ordre- oder Inhaberpapiere abgeschlossen, oder in Bezug auf Sachen, die auf den Käufer umgeschrieben werden müssen, z. B. solche, die in einer Zoll- oder anderen Niederlage sich befinden, so ist dies strenge genommen nur mittelbar ein Waarenkauf, unmittelbar wird nur das Papier gekauft, dessen Indossirung oder Besitz den Käufer berechtigt, die Herausgabe der Waaren an ihn zu verlangen. Die Verpflichtung des Verkäufers geht auf nichts weiter, als die Uebergabe des Papiers, und es kann mithin vor dieser Uebergabe das Eigenthum an den Waaren selbst nicht übergehen. Ein solcher Vertrag ist daher nothwendig ein Lieferungsvertrag, wobei äusserlich der Verkäufer überhaupt nicht die Waaren an den Käufer überträgt, sondern dazu einen Dritten bezeichnet. Allerdings kann mittelst der genannten Dispositionspapiere oder analoger Umschreibungen die Waare selbst übertragen werden, allein ohne ersteres kann das Eigenthum an der Waare unmöglich auf den Käufer übergehen, da dieses durch den Besitz der nöthigen Papiere etc. bedingt ist. Gesetzt also, es kaufte Jemand 1000 Ballen Reis, lagernd in einem Zollhause, und die Uebergabe müsste mittelst Uebertragung der Zollhauspapiere oder mittelst Ueberschreibung in den Büchern des Zollhauses erfolgen, so würde, wenn dieser Reis vor der Vornahme der Uebertragung der Papiere oder Umschreibung durch Feuer verzehrt würde, der Verkäufer den Verlust zu tragen haben.
Art. 613. Der Lieferungsvertrag ist kein bedingter Vertrag, sondern von Anfang an gültig und wirksam, soferne nicht unter einer anderen Bedingung abgeschlossen wird. Die Verpflichtung des Verkäufers geht dahin, dem Käufer eine gewisse Sache oder eine gewisse Quantität Waaren zu liefern, also sie in sein Eigenthum zu übertragen. Bis zur Lieferung trägt der Verkäufer die Gefahr des Verlustes oder der Beschädigung der Sache. Die Lieferung erfolgt durch Uebergabe der Sache an den Käufer oder dessen Ordre, uud diese kann entweder körperlich oder unkörperlich sein, letzteres nämlich mittelst Uebertragung von Ordrepapieren etc.
Art. 614. Unter die Bestimmung dieses Artikels fallen hauptsächlich Wild, Fische, Vögel ; aber auch Kohlen etc. vor der Ausgrabung. Wenn also ein Fischer einen Lieferungsvertrag mit einem Hotelwirth abschliesst, auf Lieferung von soviel Fischen per Woche, oder ein Landwirth einen Contract auf Lieferung von Schlachtvieh oder Milch, so besteht seine Pflicht darin, diese Gegenstände dem anderen Theile herauszugeben, und für ihre regelmässige Gewinnung thätig zu sein. Bis zur Uebergabe trägt er die Gefahr, und nur für soviel als er thatsächlich liefert, kann er Bezahlung fordern. Von den wilden, noch in natürlicher Freiheit befindlichen Thieren sind zu unterscheiden zahme Thiere, oder solche die sich bereits in menschlicher Gewalt befinden, wie z. B. Hausthiere, Fische in künstlichen Teichen, auch Wild in abschlossenen Wildparks u. dgl. An Gegenständen der letzteren Art kann auch ein eigentlicher Kaufvertrag abgeschlossen werden.
Art. 615. Die Regel ist, dass die Versendung von Frachtgütern1 auf Rechnung des Eigenthümers geschieht, mithin beim Kauf auf Rechnung und Gefahr des Käufers. (Art. 369). Allein es liegt in der Natur des Lieferungvertrages, dass hier die Sendung auf Gefahr des Verkäufers geschieht, da er bis zur Uebergabe Eigenthümer bleibt. Wird nun ein Kaufvertrag geschlossen über eine bereits existirende oder in der Verfügung des Verkäufers stehende Sache, so wäre dies ein reiner Kaufvertrag und die Zusendung müsste auf Gefahr des Käufers geschehen. Allein wenn der Verkäufer die Gefahr der Sendung auf sich nimmt, so ist dies kein reiner Kaufvertrag mehr, sondern ein Lieferungsvertrag, da der Verkäufer hier bis zur Uebergabe die Gefahr trägt.
Die in dem zweiten Absatz dieses Artikels enthaltene Bestimmung findet sieh ebenso auch im Ital H. G. Buch Art. 103. Sie theilt die Gefahr des Transports zwischen beiden Theilen in billiger Weise, obgleich nach dem allgemeinen Princip der Verkäufer bei einem gewöhnlichen Lieferungsvertrage die volle Gefahr bis zur Uebergabe zu tragen hätte. Allein dieses Princip ist bei unterwegs befindlichen Waaren darauf gegründet, dass solange die Waaren sich in der Gewalt des Frachtführers oder Schiffers befinden, eine Uebergabe an den Käufer nicht stattfinden kann. Dieses Argument würde nun gänzlich hinwegfallen, wenn eine sog. constructive Uebergabe, mittelst der Verfügungspapiere etc., stattfindet, welche juristisch ebenso wirksam ist wie die körperliche Uebergabe der Waaren selbst, und dieser an sich vollkommen gleichsteht. Von dem Augenblick einer solchen constructiven Uebergabe würde der Käufer Eigenthümer der Waaren, und die volle Gefahr des Transports müsste gleichzeitig auf ihn übergehen. Es sprechen jedoch überwiegende Gründe dafür, dem Verkäufer auch in diesem Falle die Gefahr des Transports zu belassen bis zum Zeitpunkt der Uebergabe, da hier der Verkäufer in Wirklichkeit dem Käufer doch nicht die Waare selbst, sondern nur einen Anspruch auf deren Herausgabe übergibt, mithin an der Stellung des Käufers zur Waare selbst nur wenig geändert wird. Könnte man ohne Risiko Waaren auf dem Transport blos mittelst constructiver Uebergabe definitiv verkaufen, so wäre jeder Betrügerei Thür und Thor geöffnet. Es ist daher angemessener, dass der Verkäufer das Risiko trotzdem fortwährend trägt bis zur Uebergabe, wesshalb der Contract zu Ende ist, wenn die Waare gar nicht ankommt, oder in dermassen beschädigtem Zustande, dass sie für ihren Zweck nicht mehr benützbar ist. Auch bei theilweisem Verlust oder geringerer Beschädigung, die nicht die Brauchbarkeit der Waare gänzlich aufhebt, sondern sie nur schmälert, und daher auch ihren Werth, trägt der Verkäufer fortdauernd die Gefahr, jedoch in diesem Falle, analog wie nach Art. 594, nur mit der Wirkung, dass er nicht mehr den vollen stipulirten Kaufpreis fordern kann, der Käufer dagegen trotzdem die Waare behalten muss. Für diesen letzteren Fall wird mithin dem Umstande, dass der Käufer die Waare schon vorher constructiv übernahm, Genüge geleistet, während bei gewöhnlichen Lieferungsverträgen der Käufer nicht verpflichtet ist zur Annahme der Sache, wenn diese nicht dem Vertrage entspricht.
Art. 616. Durch den Abschluss des Vertrages entsteht an sich nur ein Rechtsverhältniss zwischen Käufer und Verkäufer, und der Käufer muss den Kaufpreis an den letzteren bezahlen nach Empfang der Waare. Allein dieses einfache Verhältniss kann complicirt werden durch die Anwendung von Ordrepapieren etc. (ordre de livraison) da deren Indossirung etc. eine leichte Succession ermöglicht, wodurch die ursprünglichen Rechte und Pflichten verschoben werden können. Es kommt namentlich häufig vor, dass ein solches Lieferungspapier, welches von dem ersten Verkäufer auf sich selbst ausgestellt oder auf eine andere Person gleich einem Wechsel gezogen werden kann, weiter verkauft wird, und jeder nachfolgende Käufer die Verpflichtung übernimmt, den Kaufpreis an den ursprünglichen Verkäufer etc. bei Aushändigung der Waare zu entrichten. Diese Geschäftsweise, in Frankreich vente par filiere genannt, kommt häufig vor in Bezug auf Waaren, die aus neu angekommenen Schiffen oder aus Lagerhäusern verkauft werden. Der letzte Käufer erhält die Waare und muss den Preis an den Herausgeber der Waare bezahlen, zwischen allen übrigen, an welche das Papier gekommen sein mag, besteht nur ein Verhältniss von Coursspeculation, und jeder kann an seinen Verkäufer nur die Coursdifferenz bezahlen, den vollen Preis dagegen nicht, widrigenfalls er bei Entnahme der Waare noch einmal gezahlt werden müsste. Diese Art des Geschäfts kann entweder ausdrücklich stipulirt werden, und muss dann auf dem Papier angegeben sein, oder sie versteht sich nach Handelsgebrauch von selbst.
Wird eine Waare, die mittelst Ordrepapiers verkauft werden kann, zugleich verpfändet, so kommt die Vorschrift des Art. 432 zur Anwendung, d. h. der Preis für die Waare ist nur an den Pfandgläubiger bis zum Betrage seiner Forderung zu entrichten. Die Verpfändung muss auf dem Papiere bemerkt sein (Art. 425), so dass sich ein Käufer nicht leicht mit Unwissenheit entschuldigen kann. In Frankreich besteht nach dem Gesetze von 28. Mai 1858 die Einrichtung, dass für Niederlagsgüter zwei Urkunden, ein Niederlagsschein und ein Pfandschein (warrant) verabfolgt wird. Der Inhaber kann nun beide zugleich verwerthen, allein wenn jemand nur den Niederlagsschein ohne den Pfandschein erwirbt, muss er wissen, dass eine Verpfandung stattgefunden hat.
Würde Jemand eine Waare mittelst Ordrepapier, Prima und Secunda, mehrmals verkaufen, so ist die Frage, wer den Vorzug hätte und als berechtigter Käufer anzusehen wäre, der Inhaber der Prima oder der Secunda ? In der Französ. Jurisprudenz (Bravard II p. 421) ist man geneigt, dem ersten Käufer den Vorzug zu geben; allein auch wenn der Verkäufer beim zweiten Geschäft Betrug geübt hätte, könnte dies doch dem zweiten redlichen Käufer nichts schaden, daher müssen an sich beide als gleich berechtigt angesehen werden, und derjenige hat den Vorzug der zuerst in den fehlerfreien Besitz der Sache gelangt, ähnlich wie im Falle mehrfacher Verpfändung Art. 433. Dies ist der Idee des Lieferungsvertrages mehr angemessen, da man eine Sache, die man nicht mehr besitzt, zwar nicht wohl verkaufen, aber doch zu liefern sich verpflichten kann.
Art. 617. Durch den Lieferungsvertrag wird der Verkäufer persönlich verpflichtet, dem Käufer die Sache zu liefern, er kann aber einen anderen bezeichnen, der für ihn die Uebergabe an den Käufer vornehmen wird; dies gilt an sich immer nur als eine Uebergabe von Seiten des Verkäufers, und diesem ist auch der Kaufpreis zu entrichten, soferne nicht Art. 616 zur Anwendung kommt. Es kann indessen die Absicht der Parteien sein, dass der Verkäufer durch Uebergabe des Ordrepapiers schon seiner Verpflichtung genügt, und dass sich der Käufer behufs körperlicher Herausgabe der Sache allein an den durch das Ordrepapier Verpflichteten zu halten hat. Es findet hier ein ähnlicher Unterschied statt, wie wenn z. B. mittelst Banknoten oder mittelst eines Cheques oder Wechsels gezahlt wird. Banknoten bewirken die Zahlung selbst, Cheques dagegen nur eine Anweisung auf die Zahlung. So kann auch ein Ordrepapier die Stelle der Waare selbst völlig vertreten, wenn die Parteien dies beabsichtigen, und diese Absicht kann entweder in besonderer Vereinbarung oder in der Natur des Geschäfts enthalten sein. In letzterer Beziehung kommt es darauf an, welcher Art das Ordrepapier ist, welches der Käufer erhält. Rein private Ordrepapiere werden nur als Anweisungen auf Herausgabe der Waaren anzusehen sein, während öffentliche Papiere dieser Art die Waare selbst vertreten können. Dies muss durch den Handelsgebrauch und die Entwicklung solcher Einrichtungen bestimmt werden. Papiere, die von Öffentlichen Niederlagen und dergleichen Anstalten ausgegeben werden, können volles und allgemeines Vertrauen geniessen, so dass jeder Inhaber als Inhaber der darin bezeichneten Waaren angesehen werden kann, insbesondere von dem Zeitpunkt an welchem die Acceptation des ihnen überlieferten Ordrepiers durch die Anstalt etc. erfolgt ist.
Art. 618. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht der analogen Bestimmung in Art. 593, rechtfertigt sich aus den gleichen Gründen.
Art. 619. Da der Lieferungsvertrag im wesentlichen ein Kaufgeschäft ist, so müssen die Grundsätze des Kaufvertrages in allen Punkten Anwendung finden, in welchen nicht die eigenthümliche Natur des Liefernngsvertrages sich geltend macht. Dies ist insbesondere hinsichtlich der verschiedenen Arten von Kaufgeschäften nach Probe oder auf Probe zu beobachten, und hinsichtlich der Anforderungen in Betreff der nothwendigen Qualität der zu liefernden Waare, der Untersuchung u. s. w.
Cap. 3. Versteigerung.
Art. 620. Ueber die Versteigerung, d. h. den Verkauf von Sachen an den Meistbietenden mittelst gleichzeitigen Angebots an mehrere, findet sich in den Handelsgesetzbüchern regelmässig kein besonderer Abschnitt. Indessen kommen doch hier manche Besonderheiten vor, welche es empfehlenswerth machen, die Versteigerung in den wichtigsten Beziehungen selbständig zu regeln, zumal in manchen Punkten die geltenden Rechtssysteme Zweifel und Unsicherheit enthalten.
Versteigerungen werden gewöhnlich von Auctionatoren abgehalten, welche daraus ein besonderes Gewerbe machen. Sie gehören im allgemeinen in die Classe der Agenten, und können als specielle Agenten für den Zweck der Versteigerung angesehen werden. Darnach sind im allgemeinen ihre Rechte und Pflichten zu beurtheilen. Indessen stehen sie den Agenten nicht in jeder Beziehung gleich, und unterscheiden sich von diesen namentlich durch die bestimmte Natur der ihnen ertheilten Aufträge, und durch ihre Stellung gegenüber dem Publicum, indem an einem Orte meist nur wenige Auctionatoren sich befinden, ihre Thätigkeit stets vorübergehender Natur ist, und ihre gewerbliche Stellung sie darauf hinweist, dem Publicum im allgemeinen ohne Unterschied der Person zu dienen. Daher schien es angemessen, den Auctionator zur Annahme von Aufträgen gleich Frachtführer, Commissionär und Mäkler zu verpflichten. Unter einem gesetzlichen Grund der Ablehnung ist ein solcher zu verstehen, der entweder in Gesetzen oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen begründet ist. So z. B. dürfte er keinen Auftrag übernehmen für Personen, die nicht das Recht des Verkaufs hätten, oder unter ungesetzlichen Bedingungen etc. Jeder der verkaufen kann, ist frei dies mittelst Versteigerung zu thun, und an grossen Handelsplätzen sind öffentliche Waaren Versteigerungen sehr häufig. Es besteht aber kein Grund, in dieser Hinsicht besondere Beschränkungen vorzuschreiben.
Art. 621. Das Gewerbe eines Auctionators ist ein gewöhnliches Handelsgewerbe, ohne öffentliche Glaubwürdigkeit, obwohl Auctionatoren jedenfalls vertrauenswürdige Personen sein müssen und polizeilich überwacht werden können. Es besteht aber kein genügender Grund dafür, den Auctionator von öffentlicher Approbation und Anstellung abhängig zu machen. Es steht jedoch nichts im Wege, gewisse Auctionatoren amtlich in Pflicht zu nehmen und zu beeidigen, und solchen ausschliesslich die auf gesetzlichen Vorschriften beruhenden Versteigerungen zu übertragen. Art 428. Auch gewöhnliche Mäkler sind nicht gehindert, Versteigerungen für andere vorzunehmen. Es versteht sich zwar von selbst, schien aber doch besonderer Erwähnung werth, dass zu Versteigerungen an der Börse, wobei etwaige Vorschriften der Börsenordnung zu beobachten sind, nur Börsenmäkler befugt sein können. In Frankreich können gesetzlich angeordnete Versteigerungen nur von inscribirten Mäklern oder solchen, welche der Präsident des Tribunals bezeichnet, vorgenommen werden. Gesetz vom 18. Juli 1866 Art. 4.
Art. 622. Wer mitbieten kann, dessen Gebot muss auch von dem Auctionator angenommen werden. Wenn Jemand seine Sache zum öffentlichen Verkaufe mittelst Meistgebots aussetzt, dann muss er auch jeden zulassen, der als Käufer auftritt und sich den Chancen der Versteigerung unterwirft, denn er erklärt dadurch, dass er an jeden verkaufen will, der ihm das höchste Gebot macht. Nur solche Personen sind vernünftiger Weise ausgeschlossen, welche entweder nicht zahlen können, oder nicht ernstlich und ehrlich mitbieten, und durch heimliche Verabredungen und Machinationen die Erzielung des höchstmöglichen Preises zu verhindern suchen. Der Auctionator kann, jedoch nur wenn gegründeter Verdacht vorliegt, also nicht auf blosse Muthmassungen oder den blossen Schein hin, solche Personen entweder von vorneherein ausschliessen oder ihr Gebot im Laufe der Versteigerung zurückweisen. In beiden Fällen sind die Gebote solcher Personen als nicht geschehen zu erachten, und für keinen Theil verbindlich.
Art. 623. Obwohl es in der Natur einer Versteigerung liegt, dass Jeder mitbieten kann, welcher die ausgebotenen Gegenstände zu kaufen Lust hat, erfordert es doch der gute Glaube und die Natur der Sache; dass der Auctionator und der Verkäufer, letzterer wenigstens bedingt, davon ausgeschlossen werden.
Der Auctionator hat wesentlich die Stellung eines Vertreters, er kann mithin ohne die Interessen seiner Auftraggeber zu verletzen, nicht selbst als Käufer auftreten, weder persönlich, noch durch andere, etwa seine Gehülfen etc. Er ist jedoch nicht gehindert, für dritte Personen, oder für den Verkäufer selbst Gebote zu machen, soweit dieser an dem Bieten sich betheiligen darf.
Wenn der Verkäufer zu einer Versteigerung schreitet, unterwirft er sich den Chancen des Bietens, und er muss den Preis annehmen, der dadurch erzielt wird. Es wäre widersinnig, wenn er die Sache, die er zum Verkauf aussetzt und anbietet, selbst kaufen wollte. Daher ist es eine allgemein anerkannte Regel, dass der Verkäufer zwar dahin wirken kann, dass sein Eigenthum nicht unter dem wahren Werthe losgeschlagen werde, allein er darf über diesen Zweck hinaus den Käufern nicht die Chancen des Bietens verkümmern. Dies wird namentlich in der Englischen Jurisprudenz als Betrug angesehen. Smith mercant. law p. 517. Allein auch das Mitbieten in erlaubter Absicht, persönlich oder durch andere, ist ihm nur gestattet, wenn er einen Vorbehalt vorher gemacht hat. Wird eine Auction ohne Reserve angekündigt, so ist dies gleich einem Versprechen, die Sachen zu jedem Preise loszuschlagen, den sie bei ehrlichem Bieten finden können.
Es bleibt hier nur die Frage übrig, ob sich der Vorbehalt von selbst versteht, oder ob er ausdrücklich erklärt werden müsse. Im ersteren Falle könnte der Verkäufer selbst mitbieten, oder auch das letzte Gebot zurückweisen, so lange er nicht vorher erklärt oder erklären lässt, dass die Versteigerung ohne Vorbehalt stattfinden soll. Im letzteren Falle könnte dies der Verkäufer nur dann, wenn er den Vorbehalt ausdrücklich erklärt. Für die erstere Ansicht scheint zu sprechen, dass auch bei einer Versteigerung der Verkäufer immer die natürliche Freiheit haben müsse, ein ihm nicht convenirendes Gebot abzulehnen, da er nicht gezwungen sein könne, ohne seine Zustimmung zum Preise zu verkaufen. Der Entwurf hat sich aber für die letztere Ansicht entschieden, da durch die Vornahme einer Versteigerung der Verkäufer erklärt, die Sachen zu einem gewissen Preise verkaufen zu wollen, nämlich zu dem, welcher durch das letzte Gebot sich ergeben wird. Die weitere Bedingung der Genehmigung durch den Verkäufer ist eine specielle Vertragsbestimmung die sich hier so wenig von selbst versteht, wie die Bedingung auf Probe bei einem gewöhnlichen Kaufe. Will sich daher der Verkäufer die Genehmigung des schliesslichen Preises Vorbehalten, so muss dies ausdrücklich geschehen. Ausserdem bleibt es ihm unbenommen, die Versteigerung nur von einem gewissen Minimal preise an beginnen zu lassen, wodurch daun, wenn kein höheres Gebot erfolgt, die Versteigerung als erfolglos sich ergeben würde.
Der Vorbehalt kann in verschiedener Weise erklärt werden, und es genügt, wenn die Bietenden daraus entnehmen können, dass nicht jeder beliebige Preis acceptirt werden wird. Ob dann der Verkäufer durch geheime „puffers” selbst mitbieten, oder ob er die Sache zurückziehen will, wenn nicht genug geboten wird, bleibt seiner Wahl überlassen.
Art. 624. Diese Bestimmung beruht auf den gleichen Erwägungen, wie die des vorhergehenden Artikels. Es wird also dem Verkäufer das Recht nicht zugestanden, die Sachen unverkauft zu lassen, wenn ihm dies so belieben sollte, denn das wäre nicht mehr ein Verkauf an den Meistbietenden, sondern zu einem im voraus stillschweigend proponirten Satze, von dem nicht einmal die Käufer etwas wüssten. Die Versteigerung wäre dann wenig mehr als eine blosse Comödie. Wer alle Kauflustigen zusammenruft, um eine Sache möglichst hoch zu verwerthen, mit der Erklärung, der Meistbietende solle sie haben, überlässt damit stillschweigend die Preisbestimmung der Concurrenz unter den Käufern, und verzichtet darauf selbst eine Preisofferte zu machen, soferne er sich dies nicht reseryirt. Wenn der Verkäufer hierdurch Verluste riskirt, so ist dagegen zu erinnern, dass der Weg der Versteigerung von ihm selbst gewählt ist und dieses Risiko mit sich bringt, sowie andererseits, dass sehr häufig auch in der Hitze des Steigerns übermässige Preise erzielt werden. Die Möglichkeit von Gewinn und Verlust hält sich mithin das Gleichgewicht; man kann aber vernünftiger Weise nicht das eine ohne das andere wollen.
Art. 625. Der Zuschlag durch den Auctionator ist das Zeichen, dass das letzte Gebot erfolgt und zu dem damit angebotenen Preise die Sache verkauft ist. Allerdings muss bei Gegenständen von über 50 Yen im Werth ein schriftlicher Abschluss erfolgen, allein diese Bedingung wird durch die gleichzeitige Notirung des Auctionators genügt, welcher für beide Theile als Vertreter fungiren kann.
In der Theorie wird darüber gestritten, ob das höchste und letzte Gebot als Offerte des Käufers, oder als Annahme der Offerte des Verkäufers anzusehen sei. Im ersteren Falle würde man folgern müssen, dass der Verkäufer dieses Gebot zurück weisen und auch der Käufer bis zur Annahme davon zurücktreten könnte. Beides ist aber unrichtig, wie aus den Erörterungen zu Art. 623 erhellt, soferne sich nicht der Verkäufer die Genehmigung vorbehalten hat. Iedes Gebot ist verbindlich, wenn es nicht gültig überboten wird; allein es ist erst verbindlich, wenn der Zuschlag erfolgt ist, weil erst dann gewiss ist, dass es das letzte und höchste Gebot ist. Der Zuschlag muss aber erfolgen, wenn kein Vorbehalt gemacht ist.
Eine Versteigerung kann auch in der Weise erfolgen, dass der Versteigerer von einem höchsten Preise ausgeht, und immer weiter heruntersteigt, bis ein Bieter zu diesem Preise acceptirt, Dies ist dann gleichfalls das höchste Gebot, das erzielt werden kann, und beide Theile sind daran gebunden, sobald der Zuschlag erfolgt ist. Der Unterschied besteht nur darin, dass hier der Verkäufer den Käufern entgegen kommt, während bei der gewöhnlichen Art die Käufer dem Verkäufer. Es ist aber in beiden Fällen ein Verkauf an den Meistbietenden, und derjenige, an den der Zuschlag erfolgt, verhindert, dass andere die gleiche Sache zu niedrigerem Preise erhalten können.
Art. 626. Wird im Laufe der Versteigerung von mehreren das gleiche Gebot gemacht, so ist dies ohne Wirkung, so lange noch weiter geboten wird, da keiner Anspruch auf die Sache haben würde. Anders verhält es sich, wenn mehrere zugleich das letzte Gebot machen ; da hier alle übrigen Bieter von der Concurrenz zurückgetreten sind, können nur diese letzten Bieter die Sache erhalten, aber ihr Anspruch kann nicht realisirt werden, da sie nicht beiden zugleich gegeben werden kann. Es wäre nun denkbar, dass sie die Sache gemeinschaftlich übernehmen wollen, und dies muss ihnen gestattet werden, da der Verkäufer einen gemeinschaftlichen Verkauf nicht hindern kann. Allein dies wird nur selten eintreten; die Regel wird vielmehr sein, dass jeder für sich allein die Sache haben will. Hier bleibt kein anderer Ausweg, als jedem der Betreffenden ein nochmaliges Ueberbieten zu gestatten. Wenn also zwei zugleich 50 bieten, bekommt derjenige die Sache, welcher 51 bietet, wenn nicht der andere 52 bietet, und so fort. Den beiden etwa nur ein einmaliges Ueberbieten zu gestatten, würde weder dem Zweck einer Versteigerung, noch der Billigkeit gegen die letzten Concurrenten entsprechen.
Art. 627. Diese Bestimmung ist nur für den Fall zu verstehen, dass der Zuschlag auf jedes letzte Gebot erfolgen muss, wenn mithin kein Vorbehalt einer Genehmigung gemacht wurde. Wird ein ungültiges Gebot überboten, so ist ohnedies die Sache klar; wird es aber nicht Überboten, dann ist offenbar das zunächst vorhergehende das letzte und daher für beide Theile verpflichtend. Ein ungültiges Gebot wäre namentlich ein Gebot auf Rechnung des Auctionators, oder des Verkäufers im Widerspruch mit den Vorschriften des Art. 623. Ein Gebot, welches nicht angenommen würde, wäre ein solches, welches nach Art. 622 zurückgewiesen werden könnte.
Würde das letzte Gebot auf Grund des erklärten Vorbehalts nicht angenommen, so wäre die Folge die, dass die Versteigerung der betreffenden Sache zu keinem Erfolge geführt hätte; in diesem Falle könnte der vorhergehende Bieter noch weniger als der letzte einen Anspruch erheben.
Art. 628. Es ist gebräuchlich, dass die Versteigerungsbedingungen vor dem Beginn jeder Versteigerung den Bietern mitgetheilt werden, sei es durch Aushängen im Local, oder durch Auflegung gedruckter Formulare u. dgl. Sie sind nur dann bindend, wenn eine solche öffentliche Bekanntmachung erfolgte in einer jedem Bieter zugänglichen Weise. Sie enthalten hauptsächlich Bestimmungen über die Art und Weise des Bietens, über die Ablieferung der Sachen und Bezahlung des Preises, über die Garantie Seitens des Verkäufers u. dgl. Sie können von dem Verkäufer nach freiem Ermessen auf-gestellt werden, da sie die von ihm den Bietern gestellten Verkaufsbedingungen enthalten, dürfen jedoch nicht rechtswidrig sein, also namentlich nicht diejenigen Verpflichtungen umstossen, welchen das Gesetz alle Verkäufer unterwirft, soferne sie nicht der freien Vereinbarung der Parteien unterworfen sind. In dieser Beziehung ist daran zu erinnern, dass ein Versteigerungskauf in der Regel ein Kauf nach Besicht oder auch nach Probe ist, mithin die hiefür geltenden Regeln darauf Anwendung zu finden haben (Art. 593. 594.) Der Verkäufer muss daher auch die Gegenstände der freien Besichtigung der Kauflustigen unterwerfen und seine Angabe gewisser Qualitäten oder Quantitäten muss als Garantie dafür genommen werden.
Dass schriftliche Vertragsbedingungen durch mündliche Erklärungen nicht aufgehoben oder abgeändert werden können, folgt aus der allgemeinen Regel des Art. 324, wenigstens soweit die schriftliche Vertragserrichtung mit Rücksicht auf den Werth des Gegenstands vorgeschrieben ist. Für andere Fälle würde es in dem Willen der Parteien liegen, ob die mündliche oder schriftliche Vereinbarung gelten soll. Allein die Nothwendigkeit der einheitlichen Geltung solcher Bedingungen für alle dabei Betheiligten ist dermassen überwiegend, dass ein Abgehen davon in einzelnen Fällen nicht gestattet werden kann. Daher gilt die zweite Regel in Art. 628 für alle Fälle, gleichviel ob der Werth des einzelnen Gegenstands 50 yen beträgt oder nicht.
Art. 629. Der Auctionator handelt zunächst im Auftrag des Verkäufers, er kann aber auch die Kauflustigen vertreten, sowohl beim Bieten, als auch bei der Abschliessung oder Erfüllung des Vertrages. Er kann also namentlich den Vertrag für beide Theile schriftlich zeichnen, er kann für den Käufer die Sache in Empfang nehmen und den Kaufpreis bezahlen. Der Auctionator kann auch in der Stellung eines Commissionärs fungiren, also auf seinen Namen verkaufen, und die Bürgschaft für seine Käufer übernehmen. Indessen muss diesen Befugnissen des Auctionators eine Grenze gezogen werden, damit er nicht zum thatsächlichen Käufer der ihm anvertrauten Gegenstände werde und die Concurrenz anderer Kauflustigen auszuschliessen oder zu beschränken ein Interesse bekommt. Daher wird ihm zweckmässig untersagt, dem Verkäufer Vorschüsse auf die zu versteigernden Waaren zu geben, bevor sie wirklich versteigert sind. Der Auctionator soll seine Stellung nicht gleich einem Pfandleiher ausbeuten. Er ist jedoch nicht gehindert, nach der Versteigerung den erzielten Erlös dem Verkäufer vorzuschiessen und die Preise von den einzelnen Käufern auf seine Rechnung einzuziehen.
Art. 630. Diese Bestimmung entspricht dem in Art. 597 ausgesprochenen Grundsatz, wornach der Verkäufer die Kosten bis zur Uebergabe zu tragen hat. Die Versteigerung ist überdies ein von dem Verkäufer gewählter Modus der Veräusserung, und der Versteigerer handelt hinsichtlich aller Geschäfte bis zum Bietungstermin im Auftrag des Verkäufers. Indessen kann in den Versteigerungs bedingungen notirt sein, dass der Käufer zu den Kosten in irgend einer Weise oder Höhe beizutragen habe.
Art. 631. Die Bestimmungen dieses Artikels sind lediglich eine Anwendung der in Art. 402 ausgedrückten allgemeinen Regel für Stellvertreter überhaupt. Die Frage, welche Kosten der Auction besonders berechnet, und welche als in der Auctionsgebühr enthalten anzusehen sind, ist zunächst nach der bereits früher besprochenen Regel zu beurtheilen, wornach die allgemeinen Geschäftskosten des Auctionsbetriebes, Local, Gehülfen, Reisekosten, Correspondenz etc. aus der Gebühr zu bestreiten sind. Dagegen besondere Kosten, welche der Auctionsbetrieb ausserdem verursacht, sind von dem Verkäufer zu ersetzen, da sie in dessen ausschliesslichem Interesse liegen und speciell durch seinen Auftrag veranlasst werden. Indessen können durch Vereinbarung oder localen Gebrauch, besonders wenn die Auctionsgebühr hoch gegriffen ist, auch diese Kosten, mehr oder weniger, auf die allgemeine Gebühr angerechnet werden. Wenn übrigens der Verkäufer diese Kosten speciell zu vergüten hat, dürfen sie nicht übermässig hoch und nur soweit sie wirklich bestritten wurden, gefordert werden.
Art. 632. Auch dieser Artikel enthält nur eine Anwendung der allgemeinen Regel, wornach jeder Stellvertreter zur höchsten Sorgfalt verpflichtet ist. Es schien aber angemessen, dieses Princip hier besonders auszusprechen, da ein Auctionator durch Nachlässigkeit, Mangel an Sachkunde und heimliche Machinationen den Erfolg von Versteigerungen sehr zum Nachtheil des Verkäufers zu schmälern im Stande ist. Ein Auctionator muss nicht nur Sorgfalt und Umsicht im allgemeinen bewähren, sondern auch bestimmte Fertigkeiten, Waarenkunde, und Personenkenntniss besitzen und bethätigen. Ein Fehler wäre es z. B, wenn er durch zu rasches Zuschlägen, durch unverständliches Ausrufen u. dgl. das Bieten lähmen würde.
Cap. 4. Verfolgungsrecht.
Art. 633. Das Verfolgungsrecht (droit de suite, revendication, stoppage in transitu) besteht darin, dass ein Verkäufer, nachdem er die Waare dem Käufer zugesandt hat, dieselbe wieder zurücknehmen darf, solange sie noch nicht in den Besitz des Käufers gekommen ist, wenn er weiss oder doch fürchten muss, dass der Käufer den Preis nicht bezahlen kann. Es gleicht mithin dem Zwecke nach dem Retentionsrecht, unterscheidet sich aber von diesem dadurch, dass es ausgeübt wird, nachdem der Verkäufer bereits die Sache aus den Händen gegeben hat. Es tritt mithin ein in denjenigen Fällen, in welchen das Retentionsrecht wegen Besitzverlust nicht mehr Platz greifen kann. Es ist aber, wie dieses, kein Recht von dem Vertrage überhaupt zurückzutreten, sondern es soll nur als Sicherungsmittel dienen; es kann daher nicht geübt werden, wenn die Zahlung des Preises auch etwa von oder für den bankerotten Käufer erfolgt, oder genügende Sicherheit geleistet wird. Ein fernerer Unterschied von dem Retentionsrecht liegt noch darin, dass der Verkäufer die zurückgenommene Sache nicht weiter auf Rechnung des Verkäufers zu veräussern braucht, sondern sie einfach wie vorher in seinem Eigenthum behalten und anderweit verkaufen kann.
Die Voraussetzungen für die Ausübung des Verfolgungsrechts sind: 1, Zahlungsunfähigkeit des Käufers oder was dieser gleich steht; 2, der volle Preis dafür darf noch nicht gezahlt, auch keine Sicherheit dafür gegeben sein ; 3, der Käufer oder dessen Stellvertreter darf noch nicht in den Besitz der Waare gelangt sein ; und 4, es darf noch keine andere Person durch eine Verfügung des Käufers ein Recht daran erlangt haben.
Da nach Art. 570 der Absender ohnedies das Recht bat, über die zur Versendung gegebene Waare solange sie noch nicht abgeliefert ist, anderweit zuverfügen, so ist das Verfolgungsrecht nicht gegenüber dem Frachtführer oder Schiffer, sondern gegenüber dem Käufer zu verstehen. Der erstere muss unter allen Umständen den Weisungen des Absenders Folge leisten, allein dieser könnte von dem Käufer zur Verantwortung gezogen werden, wenn er die Grenzen des ihm zustehenden Verfolgungsrechtes überschritten hätte.
Das Verfolgungsrecht wird im Französ. Code de Comm. Art. 574 ff. im Zusammenhang des Concursrechts behandelt. Indessen gehört es nicht ausschliesslich in diesen Zusammenhang, theils weil es speciell ein Recht des Verkäufers oder ähnlicher Personen ist, theils weil der wirklich eingetretene Concurs keine absolute Bedingung für seine Ausübung ist.
Art. 634. In diesem Artikel werden die Voraussetzungen einer gültigen Weiterveräusserung durch den Käufer der zu verfolgenden Waaren aufgestellt, nämlich 1, guter Glaube des neuen Erwerbers, der mithin von den Umständen nichts wissen darf, welche den Verkäufer zur Ausübung seines Verfolgungsrechtes berechtigen, und 2, der neue Kauf darf nicht zum Schein oder zu einem unangemessenen Preise erfolgt sein. Beide Voraussetzungen sollen dazu dienen, ein betrügerisches und unreelles Weiterverschleudern der Waaren, mit oder ohne Vorwissen des neuen Käufers zu verhüten. Dagegen ist es nicht nothwendig, dass der Kaufpreis dafür bereits gezahlt wurde; ist dies aber noch nicht geschehen, dann tritt der Grundsatz ein, dass der Preis an die Stelle der Waare tritt, und der Verkäufer kann wenigstens die Entrichtung des Preises an ihn fordern, obgleich er die Waare selbst ihm lassen muss.
Ein solcher Weiterverkauf ist dadurch leicht ermöglicht, dass der Käufer lange vor der Waare die darauf bezüglichen Dispositionspapiere, Connossement, Frachtbrief, Factura, erhalten haben, und durch deren Indossirung oder Uebergabe einen an sich gültigen Verkauf vornehmen kann. Obgleich die Uebergabe eines solchen Ordrepapiers sonst gewöhnlich als constructive Besitzübertragung der Waaren selbst betrachtet wird, soll dies doch in Bezug auf das Verfolgungsrecht nicht angenommen werden. Das heisst, der erste Käufer gilt noch nicht als Besitzer der Waare selbst, wenn er auch schon die Connossemente etc. in Händen hat. Wohl aber gilt es als Weiterveräusserung, wenn er nur die Connossemente etc., weiter begeben hat. Ob ein Connossement indossabel ist oder nicht, und ob es in blanco oder speciell indossirt wurde, macht hier keinen Unterschied.
Der Verkäufer kann nun sein Verfolgungsrecht in der Weise ausüben, dass er ein zweites Connossement etc. nachschickt und auf Grund dessen einen anderen als den ersten Käufer zum Empfang der Waare legitimirt. Dieses zweite Connossement hat dann den Vorzug vor dem ersten, sobald die Voraussetzungen des Verfolgungsrechtes sämmtlich vorhanden sind.
Art. 635. Die Bestimmungen dieses Artikels sollen erläutern, was unter einer das Verfolgungsrecht aufhebenden Zahlung oder Sicherheit zu verstehen ist, nämlich nur volle und wirkliche, effective Zahlung oder Annahme einer Sicherheit an Zahlungsstatt, durch Pfandbestellung, Bürgschaft, Deposit etc. bis zum vollen Betrage seiner Forderung. Das Verfolgungsrecht findet mithin statt, wenn auch die Zahlung des Preises nicht sofort gefordert werden könnte, oder wenn wegen laufender Rechnung überhaupt eine specielle Zahlung nicht stattfinden sollte, da hiebei der Verkäufer immer noch Gefahr läuft, seinen Anspruch zu verlieren.
Im Handel wird meist mittelst Wechsel gezahlt, und es ist daher von besonderer Wichtigkeit, für diesen Fall keinen Zweifel übrig zu lassen. Ein Wechsel ist noch nicht die wirkliche Zahlung, sondern nur ein Anspruch auf Zahlung. Geht dieser Anspruch nur gegen den Bankerotteur selbst, so ist dieser Anspruch hinfällig, und der Wechsel mithin keine Sicherheit für spätere Zahlung. Geht dieser Anspruch aber gegen andere Personen, mit Ausnahme des Verkäufers selbst, so liegt darin eine Sicherheit, wenn der Wechsel angenommen wurde; würden diese andere Personen später gleichfalls bankerott, so hätte der Verkäufer den Verlust zu tragen, da im Augenblick der Annahme der Wechselzahlung erwarten liess.
Ist nur ein Theil des Kaufpreises bereits bezahlt, so kann entweder der Käufer bez. dessen Masseverwaltung den Rest nachzahlen, dann hört das Verfolgungsrecht auf; oder der Verkäufer muss den erhaltenen Betrag des Preises zurückgeben, da er selbstverständlich nicht beides, die Waare und das Geld dafür, behalten kann.
Ist der Wechsel nur für einen Theil des Preises angenommen, gleichviel auf welche Summe der Wechsel lautet, so liegt darin eine theilweise Zahlung des Preises; die Rückgabe des erhaltenen Preises liegt hier darin, dass der Verkäufer für die Ansprüche, die etwa aus dem Wechsel gegen den Bankerotteur erhoben werden könnten, zu Gunsten der Masse Sicherheit leistet.
Art. 636. Diese Bestimmung empfiehlt sich aus Rücksichten der Billigkeit; da es nicht selten vorkommt, dass Leute unmittelbar vor dem Ausbruch des Bankerotts noch rasch anderen Waaren abschwindeln, um damit oder mit deren Erlös durchzubrennen, oder einzelne Gläubiger abzufinden, oder noch einige Zeit sich hinauszufristen. Das Verfolgungsrecht kann daher ausgeübt werden, nicht bloss wenn Gewissheit, sondern schon wenn Gefahr besteht, dass ein Verkäufer um sein Geld kommen wird. Der Entwurf unterscheidet in letzterer Hinsicht zwei Fälle, den gegründeten Verdacht der bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit, und deren Möglichkeit wegen bedrängter Geschäftslage, um einmal die nähere, und sodann die entferntere Gefahr des Verlustes zu bezeichnen. Dem Käufer wird dadurch kein Nachtheil zugefügt, da er durch Zahlung oder Sicherheit das Verfolgungsrecht unwirksam machen kann.
Art. 637. Uebereinstimmend mit den übrigen Gesetzgebungen wird in diesem Artikel erklärt, dass unter Besitznahme durch den Käufer nicht schon die constructive oder unkörperliche Uebergabe mittelst Ordrepapier zu verstehen sei, sondern nur die körperliche Besitzergreifung durch den Käufer oder dessen Stellvertreter, z. B. Agent, Commissionär, Pfandgläubiger etc. Ueberdies muss die Waare in den Gewahrsam des neuen Besitzers gebracht sein, wesshalb sie selbst noch auf dem Transport dahin vom Schiffe aus ete. revindicirt werden könnte. Der Ort, wo diese Besitzergreifung stattfindet, ist gleichgültig; sie kann mithin schon am Orte der Absendung erfolgen, wenn etwa der Frachtführer die Waaren nicht blos zum Zwecke des Transports an den Käufer, sondern für diesen selbst, d. h. in dessen Namen übernähme. Ebenso könnte der Käufer die Waaren unterwegs an sich nehmen und in seinen Gewahrsam bringen. Selbst wenn der Verkäufer sie noch in Händen hätte, aber nicht mehr in seinem Namen, sondern in des Käufers Namen, als dessen Depositar, wäre das Verfolgungsrecht erloschen. Smith mercant. law p. 548 ff.
Nach dem Holland. II. G. B. Art. 232 kann dieses Recht auch selbst dann noch geübt werden, wenn die Waaren bereits in den Gewahrsam des Käufers gebracht sind, jedoch nur binnen 30 Tagen von diesem Zeitpunkt an. Diese weite Ausdehnung des Rechts bildet eine Ausnahme, welche an sich billig sein mag, aber mit den gewöhnlichen Rechtsbegriffen zu sehr im Widerspruche steht.
Art. 638. Es versteht sich von selbst, dass der Käufer, wenn er die Waaren nicht bekommt, auch nicht die darauf haftenden Gebühren etc. zu zahlen hat. Allerdings sind diese Zahlungen insoweit auf ein Verschulden des Käufers zurückzuführen, als er sie durch seinen Kauf veranlasste, obwohl er vielleicht wusste, dass er die Waare nicht bezahlen könne. Hiefür hätte dann der Verkäufer einen Ersatzanspruch gegen ihn. Allein die Personen, welche an den Waaren für dergleichen Forderungen ein Retentionsrecht hätten, brauchen dieselben nicht herauszugeben, wenn sie nicht von dem, der sie zurückverlangt, befriedigt werden.
Art. 639. Das Verfolgungsrecht wird auch in den übrigen Gesetzgebungen (Code de comm. Art. 574 ff Holland. H. G. B. Art. 240 ff.) auf einige weitere Fälle ausgedehnt, welche zwar nicht unter den eigentlichen Begriff des Kaufes fallen, jedoch mit diesem practisch gleiche Verhältnisse gemein haben, wornaeh gegen Änvertrauung einer Waare oder eines geldwerthen Papiers Geld zu remittiren ist, welches dem Berechtigten für den Fall der Zablungsunfähgkeit des Verpflichteten gesichert werden soll, dadurch dass er die Waare etc. selbst wieder zurückznnehmen befugt wird.
Ein Fall dieser Art ist zunächst der, wenn ein Commissionär von dem Committenten Waaren erhält, um sie zu verkaufen und den dafür erzielten Kaufpreis an den Committenten zu remittiren. Zwisehen Committent und Commissionär besteht kein Kaufs-, sondern ein Mandatsverhältniss, practisch aber erhält der Commissionär Waaren, und wird dafür Geld an den Committenten schuldig. Der Commissionär verkauft die Waaren in seinem Namen und der dritte Käufer steht an sich in keinem Rechtsverhältniss zum Committenten. Es wurde aber bereits in Art. 534 bestimmt, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Commissionärs die von diesem erlangten Forderungen unmittelbar gegen den dritten Käufer geltend gemacht werden können. Der Committent kann also den Kaufpreis für seine Waaren unmittelbar von dem dritten Käufer einfordern, wenn dieser noch nicht entrichtet ist. Der gegenwärtige Artikel räumt dem Committenten aber zu grösserer Sicherheit noch ein Verfolgungsrecht ein; er kann mithin die Güter selbst zurückfordern, solange sie noch auf den Weg zum Commissionär sind; oder auch wenn sie bereits in dessen Besitz gelangt sind; ja selbst wenn sie bereits verkauft sind, solange sie sich noch auf dem Wege zum dritten Käufer befinden, letzteres aber nicht um den Verkauf an diesen rückgängig zu machen, sondern nur um für den Kaufpreis ein Sicherungsmittel zu erlangen. Sind die Waaren bereits in den Händen des Käufers, so kann von diesem der Preis unmittelbar gefordert werden, Art. 534, allein eine Zurücknahme der Güter findet dann nicht mehr statt.
Ein anderer Fall ist, wenn umgehrt der Committent zahlungsunfähig wird, und dadurch der mit dem Einkauf von Gütern beauftragte Commissionär Gefahr läuft, das Geld zu verlieren, das er für die an den Committenten abgesandten Güter zu fordern hat. Auch dies ist kein Kaufsverhältniss, sondern das Geld wird vom Commissionär als Mandatar zurückgefordert. Auch hier soll aber der Commissionär ein Verfolgungsrecht haben, und zwar ganz unter den gleichen Voraussetzungen wie ein wirklicher Verkäufer. Dieser Fall findet sich in den oben genannten Gesetzgebungen nicht angeführt; wohl aber in der Deutschen Concursordnung von 1877 § 36.
Art. 640. Noch weiter gehen die in diesem Artikel angeführten Fälle, indem es sich hier nicht um die Sicherung von Geld für Waaren, sondern um die Sicherung von anvertrauten Geld überhaupt handelt, das um irgend eines Auftrages willen an den Zahlungsunfähiggewordenen übersendet wurde, sei es unmittelbar in Geldform, sei es mittelbar in der Form von Wechseln etc. Es werden unterschieden
1) als Gegenstände: Gelder, Wechsel und andere Creditpapiere,
Cheques, Anweisungen, welche die Stelle von Geld vertreten oder gegen welche Geld unmittelbar erhoben werden kann;
2) als Zwecke der Zusendung: Aufnahme in laufende Rechnung, Aufbewahrung, Einziehung, Rücksendung oder Bestreitung von Zahlungen für den Sender. Ausgeschlossen ist der Fall einer Geldsendung als Zahlung an den Adressaten oder in Bezug auf eine Forderung desselben an den Sender, da hierdurch die Rückforderung ausgeschlossen wäre.
3) als zeitliche Bedingungen:
a) die Papiere können vindicirt werden, mögen sie sich noch auf dem Wege befinden oder bereits beim Adressaten eingetroffen sein, wenn sie nur noch nicht fällig geworden oder von letzterem eingezogen wurden;
b) Geldsummen können nicht mehr vindicirt werden, wenn sie an den Adressaten gelangt sind, ausgenommen unter folgenden Bedingungen:
a) die Zusendung muss in laufender Rechnung erfolgt sein, aber immer unter der in dem Art. genannten Voraussetzung, dass der Sender nicht Schuldner des Adressaten ist; denn nur dann kann man sagen, dass das Geld des Senders beim Adressaten stehe;
b) der Adressat darf das Geld noch nicht als sein Geld angenommen oder behandelt haben; ersteres wäre der Fall, wenn er sich dafür als Schuldner dem Zusender gegenüber bekannt und dadurch die Absicht das Geld für sich zu haben und es nur dem Sender contractlich zu schulden zu erkennen gegeben hätte; letzteres wenn er es bereits ausgegeben oder sonst darüber verfügt, insbesondere mit seinem übrigen Gelde ununterscheidbar vermischt hätte. Das Geld muss sich daher noch in natura vorfinden.
Diese Bestimmungen über Revindication von Geldsendungen sind in den bestehenden Gesetzgebungen nicht getroffen; sie erscheinen aber der Billigkeit angemessen, da nicht einzusehen ist, warum wohl Wechsel, aber nicht auch Geld, das Jemand bei einem anderen stehen hat, im Fall der Zahlungsunfähigkeit desselben gesichert werden sollte. Der Einwand, dass Geld eine unbestimmte oder fungible Sache sei und durch Vermischung mit anderem Gelde das Eigenthum daran verloren gehe, wird gegenüber den oben bezeichneten Voraussetzungen und Schranken für die Ausübung dieses Rechts hinfällig.
Banknoten oder Papiergeld würden jedenfalls unter den Begriff von Geldsummen, und nicht von blossen Geld- oder Creditpapieren zu bringen sein.
Titel. X. Credit.
Vorbemerkung.
Credit ist fremdes Vermögen, insbesondere fremdes Geld, das man wie sein eigenes benützt oder benützen kann. Damit dies rechtmässig geschehen kann, muss der andere Theil dazu einwilligen und seine Sache dem Schuldner zu Eingenthum übergeben. Der Credit hat auf diese Weise zwei wesentliche Voraussetzungen: 1, er kann nur durch Contract entstehen, nicht durch einseitigen Willensact genommen werden; nnd 2, das Eigenthum muss gewechselt werden, indem es von dem einen auf den anderen Theil irgendwie übergeht. Wenn man fremde Sachen nicht wie seine eignen, als Eigenthümer, benützt, z. B. geliehene oder gemiethete Sachen, so ist dies kein Credit im juristischen Wortsinne.
Die Existenzform des Credits ist die der Obligation, also eines Forderungs- und Schuld Verhältnisses. Die Forderung des Creditgebers ist das Aequivalent dafür, dass der Creditnehmer das Eigenthum an des ersteren Vermögen erhält. Im allgemeinen hat diese Forderung einen doppelten Inhalt, nämlich 1, auf Rückgabe der Sache selbst oder des Capitals, und 2, auf Entrichtung einer Vergütung für die Ueberlassung des Gebrauchs, Zinsanspruch.
Das Wort Credit kommt her von dem latein. Wort credere, glauben, vertrauen. In seinen Begriff fällt wesentlich das Element des freiwilligen Gebens. Dies ist selbst, wenn auch nur im geistigen Sinne, beim rein moralischen Acte des Glaubens der Fall, wie der bezeichnende Ausdruck : ,, Glauben schenken” darthut. Im ökonomischen Sinne spricht man hergebrachter Weise von Creditgeben und Creditnehmen. Wer Credit gibt, der übergibt sein Eigenthum einem anderen, um es von diesem frei benützen zu lassen. Durch Creditgeben wird man nicht ärmer, wie durch gewöhnliches Schenken, auch wird der Creditnehmer nicht reicher; beides wird durch die zwischen ihnen bestehende Obligation verhindert. Allein der Creditgeber verliert, und der Creditnehmer gewinnt den Gebrauch der Sache oder des Capitals, und kann aus diesem Gebrauch einen Ertrag ziehen, den er ausserdem nicht gehabt hätte. Der Creditnehmer kann daher durch fortgesetzten productiven Gebrauch des ihm überlassenen Capitals Gewinn machen, und da dieser Gewinn aus der Substanz fremden Eigenthums fliesst, ist es billig, dass der Creditgeber daran Antheil habe. Dies ist namentlich der Fall im Handel, dessen Wesen gerade in productiver Capital-Circulation besteht, und in welchem kein Capital ohne rentable Anlage gedacht werden kann. Wird es einem dritten zur Ausnutzung überlassen, so kann dies nur in der Erwartung einer Zinszahlung geschehen. Die Verpflichtung zur Rückzahlung von, und zur Zinsentrichtung für Handelscapitalien versteht sich daher im Handel auch ohne ausdrückliche Vereinbarung von selbst.
Die Rückzahlung beruht darauf, dass Niemand sein Vermögen für immer einem Anderen zum freien Gebrauch überlassen wird. Damit wäre das Vermögen selbst, der Substanz nach, aufgegeben und auf einen blossen Zinsanspruch reducirt. Indessen ist nicht zu läugnen, dass auf der anderen Seite productive Rücksichten oder financielle Bedürfnisse die längere Dauer des Creditverhältnisses äusserst wünschenswerth machen können. Wenigstens kann der Creditnehmer sehr bedrängt werden, wenn die Pflicht der Rückzahlung lediglich von dem Willen des Creditgebers abhängen soll. Dies ist der wunde Punkt des Schuldenwesens, an welchem die ganze Existenz des Schuldners zu Grunde gehen kann. Denn die Rückzahlung ruinirt ihn, wenn er das Capital nicht ohne Zerstörung seiner Wirthschaft flüssig machen kann. Daher entspringt das Bestreben, den Schuldner der Pflicht der Rückzahlung möglichst zu entledigen und dem Gläubiger auf andere Weise die Flüssigmachung seines Capitals zu ermöglichen. Dies geschieht dadurch, dass sein Forderungsrecht möglichst die Natur des Eigenthums annimmt und wie jedes Eigenthum verkehrsfähig wird. Dann kann der Gläubiger das Forderungsrecht wie das Eigenthum selbst benutzen, z. B. Banknoten oder Wechsel gleich baarem Geld, oder er kann es doch durch einfache Veräusserung flüssig machen, z. B. baares Geld durch Verkauf eines Wechsels oder einer Obligation erlangen, so dass er es nicht von Schuldner unmittelbar zu erheben braucht. Darnach ist die Wichtigkeit der umsatzfähigen Creditpapiere zu bemessen. Sie dienen dazu dem Creditgeber den eigenen Capitalgebrauch zu ermöglichen, wenigstens für gewisse Zwecke und in gewissen Grenzen, während der Schuldner den Gebrauch des ihm überlassenen Eigenthums dennoch fortbehält. Diese Papiere vereinigen beides: Forderungsrecht und Eigenthum, sie machen den blossen Forderungsberechtigten zum Eigenthümer, ihr Besitz verleiht Werthbesitz wie jeder andere Besitz von Sachen. Während der Regel nach Obligationen nur zwischen bestimmten Personen (in personam), nämlich den vertragsschliessenden Theilen, stattfinden können, werden durch die Umsatzpapiere Obligationen mit Wirkung für Jedermann geschaffen, obligationes in rem. Jeder Inhaber des Papiers kann die Rechte des Gläubigers geltend machen, wie jeder Inhaber einer Sache die Rechte des Eigenthümers geltend machen kann. Das Papier muss daher der volle und ausschliessliche Ausdruck des Obligationsverhältnisses sein.
Ein umlaufsfähiges Creditpapier ist daher eine Urkunde, durch welche der Gläubiger sein Forderungsrecht in der Form des Eigentums erlangt, und dessen Besitz ihn ohne weitere Förmlichkeiten zum Gläubiger macht.
Im Handelsverkehr werden übrigens Darlehen, und überhaupt gegebene Credite, sehr häufig nicht unmittelbar zurückgezahlt, sondern mittelbar getilgt, dadurch dass der Schuldner auf Rechnung des Gläubigers Zahlungen leistet oder Verbindlichkeiten auf sich nimmt, oder dem Gläubiger einen anderen Schuldner stellt u. dgl. An die Stelle der Zahlung tritt daher hier die Abrechnung in den manichfachsten Gestalten.
Der Entwurf behandelt den Credit in 3 Abschnitten, nämlich 1, Darlehen; 2, Creditversprechen; und 3, Depositen. In den ersten Abschnitt fallen die Grundsätze über wirkliches Creditgeben ; in den zweiten die Grundsätze über das Versprechen Credit zu geben; und im dritten ist ein Rechtsverhältniss zu erörtern, das zwar an und für sich noch kein Creditverhältniss ist, aber durch den Handelsverkehr in manchen Beziehungen diesem annähernd gleichgestellt wurde, und in der Praxis des Handels vielfach in die Form eines Creditgeschäftes übergeht.
In diesen drei Geschäftsarten erschöpft sich zwar nicht das ganze Creditwesen, allein sie sind als die Hauptarten von Creditgeschäften anzusehen, während Wechsel- und andere dergleichen Geschäfte mehr als besondere Modificationen oder Ausführungsmittel von Creditgeschäften anzusehen sind. Man kann z. B. ein Darlehen einfach abschliessen oder mit der Bedingung, dass der Schuldner einen Wechsel dafür aufzustellen hat; oder der Gläubiger kann das Darlehen mittelst eines Wechsels an den Schuldner auszahlen u. s. w. Ebenso dienen Cheques und Anweisungen häufig nur als Mittel zur Ausführung von Darlehens- oder Depositengeschäften, oder sind einfach als Vertreter des baaren Geldes zu betrachten.
Cap. 1. Darlehen.
Art. 641. Das Darlehen ist die einfachste und ursprüngliche Eorm des Creditgebens. Es besteht eben nur darin, dass der Gläubiger dem Schuldner eine Geldsumme oder irgend eine andere Gütermenge z. B. Getreide, Wein, Reis etc. übergibt, damit dieser sie als Eigenthümer frei für seine Zwecke gebrauchen kann. Der Schuldner übernimmt seinerseits die Verpflichtung, das Empfangene wieder an den Gläubiger zurückzugeben, und meistens, für den Gebrauch in der Zwischenzeit einen Zins zu entrichten. Der Entwurf bestimmt nun, um dem Creditverkehr des practischen Lebens keinen Zwang anzuthun, dass dieser einfache Hergang nicht ausschliesslich ein Darlehen hervorbringt, sondern es kann dasselbe auch in der manichfaltigsten Weise mittelbar hervorgebracht werden. Entweder auf Seiten des Gläubigers, indem ein anderer als dieser den Darlehensgegenstand gibt, oder auf Seiten des Schuldners, indem derselbe an einen anderen als den Schuldner gegeben wird, jedoch in allen Fällen auf den Namen und auf Rechnung des Gläubigers und bez. des Schuldners. Z. B. es kann der Schuldner des Gläubigers die Darlehenssumme auszahlen, oder ein dritter, dessen Schuldner hierdurch der Gläubiger erst wird, ein Bankier u. s. f. Ia es kann vorkommen, dass der Schuldner selbst das Geld bereits hat und es gewissermassen an sich selbst auszahlt, indem er nunmehr Darlehensschuldner des Gläubigers wird, z. B. es wird ein schuldiger Kaufpreis, oder ein schuldiger Frachtpreis etc. in ein Darlehen verwandelt.
Der Entwurf spricht nur vom Geben des Darlehens, da sich in diesem Acte der wesentliche Inhalt des Creditgebens erschöpft. Dass das Darlehen auf Grund eines Contracts gegeben wird, der nur zwischen Gläubiger und Schuldner geschlossen werden kann, also immer auf deren Namen, gleichviel durch wen und an wen das Geld gegeben wird, versteht sich von selbst. In dieser Beziehung kommen nur die allgemeinen Regeln über Vertragsschliessung zur Anwendung, insbesondere auch über die Nothwendigkeit der schriftlichen Form, über Vertragsschliessung zu Gunsten eines Dritten (Art. 350) u. s. f.
In der Theorie wird darüber gestritten, ob das Darlehen ein sog. Real- oder Consensualcontract sei, d. h. ob es nur durch Hingabe der Sache, oder schon durch die blosse Willenseinigung der Parteien abgeschlossen werden könne. Obwohl diese Controverse practisch nicht von grosser Bedeutung ist, muss man sich doch gemäss der heutigen Gestaltung der Contractverhältnisse der letzteren Meinung zuneigen, wesshalb hinsichtlich der Erfordernisse eines gültigen Abschlusses ganz und gar die Bestimmungen des Titels VII zu beobachten sind. Ist die Einigung erzielt und in gesetzlicher Form geäussert, so kann auf die Auszahlung des Darlehens ebenso geklagt werden, wie vom Käufer auf Herausgabe der gekauften Sache. Der Rechtsgrund für die Gültigkeit des Vertrages liegt in der Gegenleistung oder Rückleistung, zu welcher der Schuldner verpflichtet ist. Diese Auffassung ist wichtig für öffentliche Anlehen, welche meist auf dem Wege der Subscription durch das Publicum oder eines Emissionsvertrages mit Bankfirmen abgeschlossen werden. Hier ist der Vertrag perfect im Zeitpunkt der Subscription oder der Einigung über die Emissionsbedingungen, und die Entrichtung der subscribirten oder sonst bedungenen Beträge kann demnach erzwungen werden. Von dem Creditversprechen unterscheidet sich der Darlehensvertrag dadurch, dass durch ihn unmittelbar ein Creditgeschäft vollzogen wird, während ersteres nur zur Vorbereitung eines künftigen Creditgeschäftes dient.
Ausserdem ist zu erwähnen, dass ein Darlehen nicht nur persönlich, sondern auch durch Mittelspersonen, Agenten, Commissionäre etc. abgeschlossen werden kann. In diesen Fällen sind nur die allgemeinen Regeln, welche hiefür gelten, anzuwenden. Ein Commissionär wird das Darlehen im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Committenten abschliessen, und das Empfangene dem letzteren herauszugeben haben. An sich würde nur der Commissionär Schuldner oder Gläubiger des dritten, während die Verpflichtungen zwischen Commissionär und Committent nach den Regeln des Mandats zu beurtheilen wären. Jedoch wird nach Art. 646 von dieser einfachen Gestalt der Dinge eine Abweichung eintreten, sobald Darlehen mittelst umlaufsfähiger Papiere geschlossen werden, was besonders bei den öffentlichen Anlehen die Regel ist.
Art. 642. Ein Darlehen im eigentlichen Sinne besteht nach Art. 641, wenn vom Gläubiger oder auf dessen Rechnung eine Geldsumme etc. an den Schuldner oder auf dessen Rechnung mit der Verpflichtung der Wiedererstattung etc. gegeben wird. Allein der Geld- und Capitalverkehr für Creditzwecke ist auf diese einfache Manipulation nicht beschränkt. Es ist vielmehr ein Creditgeben in allen Fällen anzunehmen, wo eine Capitalzuwendung an den Schulder oder eine Capitalverwendung zu dessen Vortheil erfolgt, und zwar in der Absicht, dass entweder Rückleistung oder eine dieser gleichkommende Gegenleistung nebst Verzinsung in der Zwischenzeit stattfinden soll.
Der Entwurf theilt dieses Creditgeben im weiteren Sinne in drei verschiedene Fälle, nämlich: 1, Vorschüsse an den Schulder; 2, Zahlungen für denselben; 3, Uebernahme einer Verbindlichkeit für denselben. Um Wiederholungen zu vermeiden, ist auch hier einmal für allemal zu bemerken, dass es gleichgültig ist, ob die Vorschüsse, Zahlungen etc. unmittelbar an oder für den Schulder, oder auf seine Rechnung für oder an eine andere Person erfolgen. Wenn A an den B einen Vorschuss zahlt, aber C will denselben auf seine Rechnung nehmen, so ist die Rechtswirkung dieselbe, als ob der Vorschuss unmittelbar an C geleistet worden wäre. Wenn A für den B einen Kaufpreis bezahlt, aber C will denselben auf seine Rechnung nehmen, so ist ganz ebenso wie wenn der Preis unmittelbar von dem C. gezahlt worden wäre.
Vorschuss wird zwar sehr häufig gleichbedeutend mit Darlehen genommen. Aber im eigentlichen Sinne ist er davon verschieden und bedeutet eine Vorauszahlung auf Rechnung einer später erst schuldig werdenden oder zu regelnden Zahlung. Ein Vorschuss wird namentlich gegeben auf Rechnung eines späteren Darlehens, eines späteren Kaufpreises u. s. f. Insbesondere Agenten, Commissionäre, Spediteure etc. sind gewohnt Vorschüsse auf die Waaren zu geben, welche ihnen für Geschäftszwecke anvertraut werden, insbesondere für den Zweck des Verkaufs. Findet nun dieser statt, so haben sie das Recht, sich aus dem Erlös selbst zu befriedigen, also den gegebenen Vorschuss sich selbst heimzubezahlen. Allein es ist möglich, dass der Verkauf nicht oder mit Verlust stattfindet, dann muss der, welcher den Vorschuss erhielt, oder auf dessen Rechnung ein anderer ihn erhielt, ihn gleich einem Darlehen zurückerstatten.
Zahlungen für den Schuldner oder auf dessen Rechnung sind Leistungen zum Zweck der Erfüllung einer anderweitigen Schuldverpflichtung, sie werden aber dem Schuldner angerechnet, als wenn er die Summe auf Credit erhalten hätte, und der Zahlende wird dadurch Gläubiger desselben auf den gezahlten Betrag. Z. B. A zahlt für B einen Kaufpreis, den dieser an C schuldet. Der Form nach ist dies kein Darlehen, sondern nur die Erfüllung eines Kaufvertrages, allein B wird die gezahlte Summe dem A ebenso schuldig, als wenn er sie unmittelbar als Darlehen erhalten hätte. Dieser Fall kommt namentlich häufig vor im Wechselverkehr, indem jemand einen Wechsel zum Vortheil eines anderen bezahlt oder einlöst.
Die Uebernahme einer Verbindlichkeit für einen anderen steht der Zahlung vollkommen gleich, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeit auch wirklich erfolgt. Allein dies verhält sich hier nicht anders als mit der Auszahlung eines rechtsgültig abgeschlossenen Darlehens. Die Uebernahme der Verbindlichkeit ist selbst schon eine Capital Verminderung, für welche Rückleistung oder Gegenleistung verlangt werden kann, namentlich wenn die Verbindlichkeit in strenger Rechtsform übernommen wird, wie hauptsächlich im Wechselverkehr. Practisch steht das Accept eines Wechsels oder einer Anweisung der wirklichen Auszahlung einer gleichen Summe gleich, denn es macht für den Kaufmann wenig Unterschied, ob er baar oder mittelst Papier belastet ist, da das Accept ihn hindert, die betreffende Summe frei für sich zu gebrauchen. Hieher gehört auch die Uebernahme einer Bürgschaft, die Creditgewährung mittelst Verkauf, oder mittelst Kauf auf den Namen des Gläubigers u. s. f.
In allen Fällen ist aber, damit der Effect des Darlehens erreicht werden könne, eine darauf zielende contractliche Einigung zwischen den Parteien nothwendig, entweder unmittelbar oder mittelbar. Letzteres ist dann der Fall, wenn zwischen den Parteien ein derartiges Rechtsverhältniss besteht, dass deren stillschweigende Zustimmung, insbesondere die Absicht des Schuldners Credit zu nehmen daraus abgeleitet werden kann. Auch hier ist hauptsächlich auf das Verhältniss von Agenten, Commissionären und anderen Stellvertretern zu verweisen. Ohne seine ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung kann Niemand zum Schuldner gemacht werden, doch steht der vorherigen Einwilligung die nachfolgende Genehmigung oder Ratihabition gleich. Ohne diese Voraussetzung kann eine Zahlung etc. zum Nutzen einer Person aus dem blossen Grunde weil diese davon Nutzen hatte, nicht als Rechtsgrund einer Creditforderung geltend gemacht werden. Aus der Führung fremder Geschäfte zum Nutzen anderer (negotiorum gestio, in rem versio) kann im Handelsrecht kein Anspruch abgeleitet werden, da hier jeder selbst seine Geschäfte zu controliren und zu begrenzen hat. Nur in ganz speciellen Fällen, wie z. B. beim Ehrenaccept, findet hiervon aus besonderen Gründen eine Ausnahme statt.
Art. 643. Dieser Artikel enthält das Princip, dass ein Darlehen etc. niemals in speciellen, sondern nur in sog. fungiblen oder vertret baren Sachen gegeben werden kann, d. h. in Sachen, die bei gleicher Gattung, Qualität etc. nur als Quantitäten in Betracht kommen, also nach Gewicht, Zahl, oder Mass. Der hauptsächlichste Fall hiefür ist das Geld, das immer nur im Sinne einer bestimmten Geldsumme gegeben und genommen wird, während die einzelnen Geldstücke als solche völlig gleichgültig sind. Wer ein Darlehen von 100 Doll, erhält, hat daher immer nur 100 D. zurückzugeben ; die Geldstücke, die er erhielt, kann er ausgeben oder sonst verwenden. Wo Doppelwährung besteht, können 100 Doll in Silber oder Gold zurückgegeben werden, da auch in dieser Hinsicht auf die speciellen Geldstücke nichts ankommt; unter Umständen sogar in Banknoten etc. nach Art. 371. Es kann zwar ein Darlehen äusser in Geld auch in Waaren etc., z. B. in einer Quantität Reis oder Weizen einer gewissen Sorte gegeben werden, und an und für sich steht ein solches Darlehen dem Gelddarlehen ganz gleich; allein die Bedeutung eines solchen Darlehens wird im folgenden Artikel näher festgestellt.
Die Folge dieses Princips ist, dass der Darlehensempfänger Eigenthümer der empfangenen Sache wird und darüber die unbeschränkte Verfügung erhält. Dies ist der wesentliche Zweck des Darlehens wie des Credits überhaupt, und hierdurch unterscheidet es sich von der Hingabe von Sachen durch andere Rechtsgeschäfte, wie Miethe, Leihe, Deposit etc. Es wäre mithin kein Darlehen, wenn Jemand eine Geldsumme erhielte mit der Verpflichtung, dieselben Geldstücke zurückzugeben, sondern Commodat oder dergleichen.
Art. 644. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf der Erwägung, dass der allgemeine Gegenstand des Credits Geld ist und dass mithin die Vermuthung dafür spricht, dass der Creditnehmer Geld erhalten und wieder zurückgeben soll. Denn das Geld gewährt ihm die freieste Verfügung und Geld kann unter allen Umständen zurückerstattet werden, während die Rückerstattung gleicher Waaren etc. theils nicht immer möglich sein wird, theils nur unter Umständen, die sich nicht bestimmt voraussehen lassen. Die Verpflichtung der Rückerstattung gleicher Waaren kann für den Schuldner leicht bedrückend werden, und es liegt darin ohne Zweifel ein gewisser Wucher, wenn insbesondere der Werth der betreffenden Sachen starken Schwankungen ausgesetzt ist, und der Schuldner die Sache später weit höher kaufen muss, als er sie erhielt. Will der Schuldner sich der Verpflichtung der Rückerstattung in gleicher Waare unterwerfen, so soll ihm dies nicht verwehrt sein; allein es muss dies ausdrücklich geschehen, damit der Schuldner mit Vorbedacht und Bewusstsein handele.
In den bisherigen Gesetzgebungen ist diese Bestimmung nicht so unbeschränkt getroffen, allein sie scheint durch die immer weiter gehende Entwicklung der Geldwirthschaft geboten. Im Spanischen H. G. B. Art. 393 ist sie ganz allgemein nur für die Zinsen getroffen, die in allen Fällen in Geld zu entrichten sind. Im Französ. Code civ. Art. 1903 kann der Schuldner das Darlehen in Geld zurückzahlen, wenn er nicht die gleiche Waare zurückzugeben im Stande ist. Der Effect dieser Bestimmung ist, dass der Schuldner nur berechtigt, nicht verpflichtet sein soll, die gleiche Waare zurückzuerstatten. Dies scheint eine Unbilligkeit, da sie ungleiches Recht für den Gläubiger und Schuldner bewirkt; ein solches einseitiges Privilegium des Schuldners lässt sich durch die Rücksicht eines Schutzes gegen Wucher nicht rechtfertigen. Der Schuldner wird in den allermeisten Fällen erst verkaufen müssen, um in den Genuss des Darlehens zu gelangen. Er bekommt hienach reell meist nur eine gewisse Geldsumme, und zu deren Rückerstattung ist er natürlicher Weise verpflichtet. Es können allerdings auch Fälle vorkommen, dass Jemand eine Waare zum unmittelbaren Gebrauch übernimmt, z. B. ein Landmann Getreide oder Reis zu Saat- oder Futter zu Fütterungszwecken. Diese Fälle werden aber selten sein, und auch hier wird der Landmann meist besser daran sein, wenn er seine ganze Ernte unbeschränkt verkaufen kann und aus dem Erlös seine Schuld heimzahlt.
Unter Waaren sind fungible Sachen zu verstehen, die zum Gebrauch dienen; unter anderen Werthgegenständen theils fungible Sachen, die nicht zum Gebrauch dienen; wie z. B. Werthpapiere, theils specielle Sachen. Daher muss unterschieden werden:
1) erhielt der Schuldner fungible Sachen, so ist deren Geldwerth zurückzugeben, wenn nicht Restitution in Natur bedungen wurde;
2) erhielt er eine specielle Sache, so ist immer nur deren Geldwerth geschuldet, die Rückgabe in Natur kann nie bedungen werden.
Es kann im ersten Falle auch bedungen werden, dass der Geldwerth zur Zeit der Rückgabe zu erstatten sei. Da dieser sich nicht voraussehen lässt, so ist das Risiko auf beiden Seiten gleich; die Uebernahme dieses Risikos ist aber nicht zu vermuthen, daher ist die Regel die, dass der Geldwerth zur Zeit des Empfanges massgebend sein soll.
Ein Darlehen im zweiten Falle ist allerdings von einem Kaufe nicht viel verschieden. Der Schuldner erhält eine Sache und hat dafür deren Preis zu entrichten. Allein factisch wird ein Unterschied darin liegen, dass hier der Schuldner den Preis viel später zu zahlen hat, während der Preis beim Kaufe gewöhnlich sofort oder in kurzer Frist gezahlt werden muss, auch kann das Rückforderungsrecht des Gläubigers mehr oder minder beschränkt sein.
Art. 645. Der Gläubiger kann sich für seine Forderung auch einen Schuldschein ausstellen lassen, er muss dies sogar, wenn wegen der Höhe der Schuldsumme der Art. 322 zur Anwendung zu kommen hat.
Darin liegt an sich nichts besonderes, es kann aber damit stärker Missbrauch getrieben werden, wenn das Darlehen äusserlich mittelst Verkaufs eines Credipapiers bewerkstelligt wird. Ein Creditpapier ist ein Schuldschein, durch welchen der Gläubiger das constructive Eigenthum an dem von ihm gegebenen Creditbetrag erhält, der mithin gleich einem gewöhnlichen Eigenthum veräusserlich und übertragbar ist. Solche Creditpapiere, wie namentlich Wechsel, Schuldobligationen, Pfandbriefe etc., werden vom Schuldner ausgestellt, und sie können von ihm wie andere Sachen verkauft werden. Die Geldsumme, die er dafür erhält, bildet den eigentlichen Gegenstand seines Credits, und zu mehr als er erhält, kann er nicht verpflichtet werden. Das Gegentheil wäre unerlaubter Wucher. Es kommt nicht selten vor, dass Jemand einen Wechsel auf 100 Doll. verkauft, während er nur 50 Doll. bekommt, und ein solches Geschäft ist ein Wuchergeschäft, das nicht gestattet sein soll. Das Geschäft kann auch so gemacht werden, dass während A Schuldner werden soll und 50 Doll. erhält, B einen Wechsel auf seinen Namen für 100 D. unterschreibt, und diesen an C gibt, welcher die 50 D. für A hergibt. Da hier B auf Rechnung des A Schuldner für 100 D. würde, wäre dieses Geschäft gleichfalls unstatthaft. Es kann aber auch sein, dass A seinen Wechsel nicht selbst verkauft, sondern durch einen Commissionär verkaufen lässt, aber auf seine Rechnung; da er auch hier nur 50 D. bekäme, wäre wieder ein Wuchergeschäft vorhanden. Es wird nun im Entwurf jedes solche Geschäft für unverbindlich erklärt, und soll der Schuldner nach Art. 643 immer nur so viel schuldig sein, als er wirklich empfangen hat. Würde Jemand nicht Creditpapiere in dieser Weise verkaufen, sondern einfache Schuldscheine ausstellen, zu einem höheren Betrag als er wirklich erhielt, so ist Art. 643 in den Worten „der Empfang eines Darlehens” dahin auszulegen, dass der Schuldner nie mehr zurückzugeben schuldig sein soll, als er wirklich empfangen hat. Gegen jeden Schuldschein kann daher der Einwand geltend gemacht werden, dass die darin benannte Summe nicht oder nicht voll ausbezahlt wurde. Diese Bestimmung widerspricht nur scheinbar der in Art. 324 aufgestellten Regel, dass gegen eine schriftliche Vertragsurkunde nur schriftlicher Gegenbeweis zulässig sein soll. Denn es ist offenbar Betrug und Ausbeutung der Noth oder des Leichtsinnes Anderer, wenn man sich grössere Summen verschreiben lässt, als man gegeben hat.
Von dieser Bestimmung macht der Entwurf nun mehrere Ausnahmen :
1) die Anrechnung eines Discontos ist gestattet. Der Disconto ist vorausbezahlter Zins, und im Zins ist immer auch eine gewisse Verlustprämie enthalten, d. h. der Zins wird um so höher sein, je grösseres Risiko der Gläubiger laufen muss. Es kann nun die Vorauszahlung eines den Umständen nach hoch berechneten Zinses nicht verwehrt werden. Z. B. der Schuldbrief lautet auf 1000 Doll. und die Rückzahlung soll nach 3 Jahren geschehen; würde ein Zins von 15 procent stipulirt, so betrüge dieser per Jahr 150 Doll, und für 3 Jahre 450 Doll. Das Geschäft wäre in diesem Falle vollkommen gültig, wenn der Schuldner für seinen Schuldschein nur 550 Doll. erhalten hätte;
2) der Verkauf von Creditpapieren unter dem Nominalwerthe aus zweiter Hand ist gestattet. Es ist bekannt, dass Creditpapiere ein äusserst wichtiger Gegenstand des Handels sind, namentlich an den Börsen, und dass ihr Cours je nach der Creditlage des Schuldners und den allgemeinen Geschäftsverhältnissen beständigen Schwankungen unterworfen ist. Diese Schwankungen der Course kann Niemand verhindern und es ist durchaus erlaubt, ein im Cours gesunkenes Papier zum jeweiligen Cours zu verkaufen und zu kaufen. Dies ist dann kein Wuchergeschäft, denn jeder erhält so viel an Werth als er gibt, und Speculationen auf Coursveränderungen müssen hier wie bei Waaren überhaupt erlaubt sein. Allein solche Papiere müssen dann bereits im Verkehr sein und mithin vom Schuldner an andere Personen bereits übertragen worden sein, welche auf eigene Rechnung, und nicht auf Rechnung des Schuldners verkaufen;
3) der Verkauf unter dem Nominalwerth ist gestattet, wenn der Schuldner zur Heimzahlung des Schuldcapitals selbst nicht verpflichtet ist, sondern nur Zinsen zu entrichten hat. In diesem Falle hat der Nominalbetrag des Creditpapiers keine reelle Bedeutung hinsichtlich der wirklichen Capital-Schuld des Schuldners, sondern nur als Verhältnisszahl für die Zinsenzahlung. Für jedes 100 des Nominalbetrages sind die stipulirten Zinsen zu entrichten, der nominelle Schuldbetrag selbst wird niemals heimgezahlt, wenigstens kann der Schuldner dazu nicht angehalten werden, obgleich er nicht gehindert ist, dies freiwillig zu thun.
Wie die Heimzahlung des Capitals erfolgt, ob auf einmal, oder partienweise, oder durch Verloosung, in Gestalt von Lotteriegewinnen etc., ist gleichgültig. Wenn der Schuldner zur Heimzahlung in irgend einer Weise verpflichtet ist, kann er seine Creditpapiere nicht unter dem Nominalwerth verkaufen.
Findet die Heimzahlung nicht statt, so ist die Schuld in Wirklichkeit keine Capital-, sondern nur eine Rentenschuld ; der Schuldner zahlt eine jährliche Rente, und der Gläubiger gibt für das Recht des Rentenbezuges eine gewisse Summe, die durch die Höhe des von dem Schuldner zu leistenden Zinsfusses bestimmt sein wird. Kann der Schuldner Geld zu 6% erhalten, so wird der Gläubiger für eine jährliche Rente von 6 ein Capital von 100, für eine Rente von 3 ein Capital von 50, für eine Rente von 12 ein Capital von 200 u. s. f. In dieser Beziehung ist nun der reelle und nominelle Zinsfuss zu unterscheiden. Lautet im gegebenen Falle der Zins auf 3%, so wird man diesen nominellen Betrag von 3% mit einem Capital von 50 bezahlen : lautet der Zins auf 4%, so wird man dafür ein Capital von 662/3 bezahlen u. s. f. Der reelle Zinsfuss ist in allen diesen Fällen 6%; der nominelle kann 3, 4, 5% u. s. w. betragen.
Gegen die zwar in wichtigen Punkten beschränkte, aber immerhin tief eingreifende Bestimmung dieses Artikels, welche namentlich im Deutschen und Amerikanischen Rechte anerkannt ist, könnte man etwa folgende Einwendungen machen :
1) Ob nicht ihre Durchführung die Bestimmung eines gesetzlich erlaubten Zinsmaximums nothwendig machen würde ? Diese Frage bleibt der Erwägung vorbehalten, der Entwurf macht diesen Vorschlag nicht, da er der herrschenden Richtung widerspricht und eine solche Bestimmung auch bisher in Japan nicht bestand, auch bei der Höhe und grossen Verschiedenheit des thatsächlichen Zinsfusses schwer festzustellen wäre. Absolut nothwendig ist ein solches Zinsmaximum nicht, da ein Abzug am Capital und ein jährlich zu entrichtender Zins zwei verschiedene Dinge sind. Wird die Vorauszahlung der Zinsen vereinbart durch Abrechnung eines Discontos, so findet keine nachträgliche Zinsverpflichtung statt.
2) Eine andere Frage ist, ob durch das fragliche Verbot nicht das Creditnehmen zu sehr beschränkt werden würde? In dieser Beziehung ist zunächst zu bemerken, dass das Verbot an sich auch für den Staat und andere öffentliche Verwaltungen gelten würde, da die Ausgabe von Creditpapieren immer ein Handelsgeschäft ist, ebenso wie die Ausgabe von Actien, wenn auch nicht für Handelszwecke oder von Handelspersonen, da Creditpapiere stets nach Handelsrecht beurtheilt werden müssen. Für den Nothfall könnte zwar, um der fraglichen Bestimmung auszuweichen, durch ein specielles Gesetz die Ermächtigung davon abzuweichen gegeben werden, allein ohne eine solche Ermächtigung müsste auch für öffentliche Anlehen die Regel eingehalten werden, immer vorausgesetzt, dass es sich nicht blos um die Constituirung von Renten, etwa auch von Zeit- und Leibrenten handelte, sondern um ein gewöhnliches Darlehen mit Verpflichtung zur Rückzahlung des Capital betrages. Auf die so eben gestellte Frage ist nun zu antworten, dass nicht das Creditnehmen, sondern nur das Speculiren auf Coursschwankungen und das Creditnehmen zu fictiven Zinsen dadurch verhindert wird. Es ist eine für den Creditnehmer nutzlose Finanzkünstelei, zu niedrigem fictivem Zins unter dem Nominalwerth zu borgen, z. B. zu 3% für 50, anstatt zu 6% 100, obwohl es der Coursspeculation und dem Börsenspiel Vorschub leistet und hierdurch einigermassen zur Erniedrigung des reellen Zinsfusses beitragen mag. Will man nun für den Staat diesen Vortheil in Anspruch nehmen, so kann dies auf zwei Wegen geschehen, entweder durch ein specielles Gesetz, oder durch Constituirung blosser Renten, im letzteren Falle ist der Capital-werth des Creditpapiers mehr als ein Kaufpreis, denn als geliehenes Capital zu betrachten, und die Heimzahlung oder Tilgung der Schuld wird einfach durch den Rückerwerb der Creditpapiere erfolgen. Für private Schuldverhältnisse sind diese künstlichen Manipulationen nicht zu empfehlen, daher ist insoferne an der Regel des Art. 645 festzuhalten; denn es ist offenbar besser, gegen hohen Zins eine niedrige Capitalschuld, als gegen niedrigen Zins eine hohe Capital-schuld zu contrahiren.
Noch ist zu bemerken, dass wenn Jemand ein Anlehen für einen Anderen vermittelt, als Commissionär, Agent oder sonstiger Mandatar, er für seine Dienstleistung die gewöhnlichen Gebühren in Gestalt von Provisionen etc. nebst etwaigen Kostenersatz verlangen und deren Betrag am Capital vorweg abziehen kann. Dies folgt schon aus den allgemeinen Grundsätzen über Stellvertretung und braucht hier nicht besonders erwähnt zu werden.
Art. 646. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf dem Grundsatz, dass die Emission eines durch Indossament oder sonstige Umschreibung, sowie durch blosse Tradition übertragbaren Creditpapieres ein selbständiges, formales Creditgeschäft ist, welches seinen Rechtsgrund (cause, consideration) in sich selbst trägt und von dem Geschäfte, aus dessen Anlass es emittirt wird, unabhängig ist. Dies bezieht sich auf Wechsel, Anweisungen und Schuldobligationen, deren Forderungsinhalt immer aus dem Papier selbst zu beurtheilen ist. Diese Bestimmung ist wichtig, da bei dem Zustandebringen von Anlehensgeschäften häufig Mittelspersonen, namentlich Bankiers, mitwirken. Auch wenn dies in der Stellung eines Commissionärs geschieht, ist doch derjenige Gläubiger und resp. Schuldner, der auf dem Papier selbst benannt ist.
Art. 647. Es liegt in der regelmässigen Natur eines Darlehens, dass der Empfänger es wieder zurückerstatten muss, und zwar in demselben Betrage, den er empfing. Diese Verpflichtung entspringt von selbst aus dem Empfang des Darlehens, welches insoferne ein Realcontract ist, und sie braucht nicht ausdrücklich übernommen zu werden. Indessen ist nicht jedes Darlehen absolut rückzahlbar, vielmehr werden in neuerer Zeit viele Darlehen geschlossen, bei welchen die Absicht der Parteien nicht auf Rückzahlung gerichtet ist. Ob das eine oder andere Platz greifen soll, hängt von der Einigung der Parteien ab. In der Regel wird die Absicht der Rückzahlung bei gewöhnlichen Darlehen vorhanden sein, so dass sie stattfinden muss, wenn nicht eine andere Absicht im Vertrage geäussert wird. Es kann z. B. ein Darlehen als „unkündbar” oder in ähnlichen Ausdrücken eingegangen werden. Durch die Natur des Geschäfts wird die Verpflichtung zur Rückerstattung beispielsweise ausgeschlossen, wenn nur ein immerwährende Rente, oder eine Zeit- oder Leibrente constituirt wurde, obwohl in den letzteren Fällen man die successive Entrichtung der Rente auch als theilweise Heimzahlung des Capitals anzusehen hat. Uebrigens kann die Heimzahlung unmittelbar oder mittelbar wie die Auszahlung selbst nach Art. 641 und 642 erfolgen, und es ist desfalls in Art. 657 eine besondere Bestimmung getroffen. Dem Rechte des Schuldners, die Rückzahlung zu verweigern, werden in Art. 651 gewisse Schranken gesetzt.
Art. 647 bestimmt blos über die Pflicht der Rückzahlung auf Seiten des Schuldners; über das Recht des Schuldners, die Rückzahlung zu bewirken, sind theilweise andere Rücksichten massgebend, die in den folgenden Artikeln behandelt werden.
Art. 648. In diesem Artikel wird zunächst der Grundsatz aufgestellt, dass der Schuldner in allen Fällen berechtigt sein soll, sich seiner Schuld zu entledigen, auch wenn der Vertrag ihm dieses Recht entzogen haben sollte. Eine solche Vertragsbestimmung würde den Schuldner in einen Nachtheil versetzen, der vom Gesetzgeber nicht gebilligt werden kann, und der für den Schuldner unendlich grösser ist, als umgekehrt der gezwungene Rüekempfang auf Seiten des Gläubigers. Ein Schuldverhältniss bewirkt immer Abhängigkeit und ökonomische Verluste, während der Gläubiger stets in der Lage sein wird, sein Geld anderweitig anzulegen. Die Schuldentilgung muss von der Gesetzgebung begünstigt werden, Schuldenfreiheit ist eine sociale und ökonomische Wohlthat, deren man durch prirate Uebereinkunft nicht beraubt werden sollte. Die durch Schuldentilgung erlangte Freiheit des Eigenthums ist ein höheres Princip, als die Verbindlichkeit privater Verträge. Es liegt darin keine Ungleichheit gegenüber der vertragsmässigen Unkündbarkeit auf Seiten des Gläubigers. Denn ein Forderungsrecht, zumal in der Form eines Creditpapiers, kann von dem Gläubiger auch ohne Kündigung leicht durch Veräusserung flüssig gemacht werden, während einem Schuldner in den meisten Fällen es unmöglich oder sehr schwer sein w'ird, für sich einen anderen Schuldner zu substituiren und sich so persönlich frei zu machen.
Sprechen demnach überwiegende sociale und ökonomische Rücksichten für das Recht des Schuldners, sich unter allen Umständen seiner Schuld zu entledigen, so sind andererseits auch für das Interesse des Gläubigers gewisse Rücksichten zu beobachten, um denselben nicht einer ihn benachtheiligenden Willkür des Schuldners preiszugeben. Der Schuldner kann daher zwar jederzeit das Capital heim zahlen, auch wenn eine spätere Heimzahlung bedungen oder dieselbe überhaupt ausgeschlossen wurde, allein er muss dabei folgende Bedingungen erfüllen:
1) er muss das Capital dem Gläubiger vorher kündigen, damit dieser Zeit erhalte, für sein Geld eine andere Anlage zu suchen. Ist eine Kündigungsfrist im voraus oder später bedungen, so ist diese einzuhalten; ist keine Frist bedungen, so muss dem Gläubiger binnen angemessener Frist gekündigt werden. Letztere ist im Streitfälle vom Richter festzusetzen. Diese Frist wird meist sehr kurz zu bemessen sein, da es in den heutigen Verhältnissen keine Schwierigkeit haben kann, Geld fruchtbringend unterzubringen. Indessen können für manche Schuldverhältnisse, wie z. B. Hypotheken, feststehende Kündigungstermine vorkommen, so dass nur von Zinstermin zu Zinstermin gekündigt werden kann;
2) der Gläubiger ist nicht verpflichtet, gegen seinen Willen sich eine theilweise Heimzahlung gefallen zu lassen, der Schuldner kann gegen den bestehenden Vertrag nur die ganze Schuld, mit Einschluss der Zinsen bis zur Heimzahlung, auf einmal tilgen. Das Gegentheil wäre eine offenbare Unbilligkeit gegen den Gläubiger, da die Verwendung kleiner Theil-summen weitaus schwieriger, ja in vielen Fällen ganz unmöglich wäre;
3) der Gläubiger braucht sich keinen Disconto abziehen zu lassen. Die Zinsenschuld des Schuldners hört mit dem Zeitpunkt der Heimzahlung auf, bez. mit dem Termin, an welchem dieselbe erfolgen kann, aber der Schuldner darf an dem Capital nichts abziehen, weil nun der Gläubiger früher in den Besitz seines Capitals tritt. Gesetzt z. B. das Capital würde erst am I. Januar fällig, aber der Schuldner zahlte es bereits am 1. Juli vorher zurück, so hört zwar die Zinsverpflichtung vom 1. Juli an auf, aber der Schuldner darf nicht den halbjährlichen Zins von Juli bis Januar abziehen, und um so viel dem Gläubiger weniger bezahlen, weil dieser sich in den Zinsgenuss während dieser Zeit setzen kann. Denn diese Zinsen hätte er auch ohne die frühzeitige Heimzahlung gehabt und ausserdem den vollen Betrag seines Capitals, der ihm durch den Schuldner nicht verkürzt werden darf.
Art. 649. Im vorhergehenden Artikel wurde bestimmt, dass der Schuldner jederzeit — binnen gewisser Kündigungsfristen — seine Capitalschuld tilgen kann, auch wenn er darauf vertragsmässig überhaupt oder binnen gewisser Frist verzichtete. Ein solcher Verzicht ist ungültig, da er gegen überwiegende Rücksichten der socialen Wohlfahrt verstösst, ebenso wie der auf Lebenszeit eingegangene Dienstvertrag ungültig ist (Art. 60). Ist nun über die Rückzahlung überhaupt nichts vereinbart, so kommt bezüglich des Schuldners ganz das gleiche Princip zur Anwendung, er kann nämlich jederzeit zurückzahlen, und braucht nur eine angemessene Kündigungsfrist zu beobachten.
Anders steht es mit dem Gläubiger. Wurde das Darlehen für ihn unkündbar oder nur binnen bestimmter Frist rückzahlbar abgeschlossen, so ist ein solcher Vertrag für ihn bindend, denn die Bestimmung des Art. 648 enthält ein Privileg lediglich zu Gunsten des Schuldners. Ist aber über die Rückzahlung nichts bestimmt, so kommt für den Gläubiger zunächst das gleiche Recht wie für den Schuldner zur Anwendung, wie auch schon in Art. 365 ganz allgemein angeordnet ist. Also kann auch der Gläubiger in diesem Falle jederzeit kündigen und die Heimzahlung verlangen. Allein es wird ihm dabei eine Schranke gesetzt, er darf mit seiner Rückforderung nicht den guten Glauben verletzen. Im allgemeinen wäre dies der Fall, wenn dem Schuldner nicht der ruhige Gebrauch des Darlehens gelassen würde, wofür es gemacht wurde, denn dies hiesse geradezu das Darlehen erst eingehen und dann wieder vereiteln, was als unehrliche Handlung bezeichnet werden müsste. Nur dann wäre der Gläubiger entschuldigt, wenn er selbst ein dringendes und unvorhergesehenes Bedürfniss nach seinem Capital hätte, worüber der Richter zu entscheiden haben würde. Es sind mithin auch auf das Darlehen die für eine specielle Leihe nach Code civ. Art. 1888 und 1889 bestehenden Grundsätze anzuwenden. Man könnte sogar behaupten, dass in der Eingehung eines Darlehens für bestimmte Zwecke oder unter bestimmten Umständen auch die stillschweigende Vereinbarung einer entsprechenden Rückzahlungsfrist enthalten ist; ebenso wie wenn die Rückzahlung nach Verhältniss der Mittel, wenn man kann etc., versprochen wird. Cod. civ. Art. 1900. 1901.
Art. 650. Ist kein einfacher Darlehensvertrag geschlossen, sondern ein formeller Contract, der seinen Rechtsgrund in sich, d. h. in der blossen Form trägt, und bei welchem man von den thatsächlichen Anlässen und Zwecken der Vertragsschliessung abstrahirt, so wäre für die Verpflichtung der Rückzahlung kein Anhaltspunkt gegeben, wenn der Zeitpunkt derselben nicht auf dem Creditpapier selbst genannt würde. Der Entwurf schreibt daher letzteres vor, um den Schuldner gegen willkürliche Bedrückung durch den Gläubiger, und diesen gegen willkürliche Einwendungen des Schuldners zu schützen. Es ist dies um so mehr nothwendig, als in diesen Fällen meist keine vorherige Kündigung eingehalten werden muss, da eine bestimmte Zeit der Zahlung meist von Anfang beabsichtigt ist. Der Entwurf schreibt nun nicht etwa vor, dass für die Rückzahlung eine längere Frist bestimmt werden muss, sondern nur überhaupt eine Frist, damit der Zeitpunkt der Rückzahlung im voraus gewiss ist und beide Theile sieh darnach richten können. Es kann daher auch Zahlung „auf Sicht ” oder auf sehr kurze Fristen gefordert werden, nur muss dies ausdrücklich erwähnt sein. Ohne eine bestimmte Zahlungsfrist würde ein solches Creditpapier zwar nicht ganz ungültig sein, jedoch nur die Bedeutung eines gewöhnlichen Schuldscheins haben.
Art. 651. Die Bestimmungen dieses Artikels sind eine Forderung der Gerechtigkeit gegen den Gläubiger, wenn der Schuldner seine Verpflichtungen gegen ihn nicht erfüllt, oder wenn Gefahr besteht, dass der Gläubiger sein ganzes Capital verlieren möchte. S. Code civ. Art. 1912 und 1913. Das hier dem Gläubiger zuertheilte Recht ist analog dem Verfolgungsrechte des Verkäufers zu beurtheilen, der auch unter gleichen Umständen seine Sache wieder zurücknehmen darf (Art. 636.) In Bezug auf die Unterlassung der Zinszahlung spricht sich das Französ. Gesetzbuch nicht ausdrücklich aus, doch ist die Jurisprudenz der Meinung, dass der Vertrag in dieser Beziehung als ein synallagmatischer Vertrag (Art. 1184) anzusehen ist.
Art. 652. Diese Bestimmung ist die nothwendige Cönsequenz der Bestimmung des Art. 642, wornach Vorschüsse etc. nur, wenn sie auf Grund spcciellerVerträgeoder aus Anlass anderer Contractsverhält-nisse gemacht werden, dem Darlehen gleich gestellt werden sollen. Die zwischen den Parteien geltenden Vereinbarungen sind offenbar auch hinsichtlich der Rückzahlung zu beobachten. In der Regel wird zwischen ihnen ein Verhältniss laufender Rechnung bestehen, so dass die einzelnen Schuldposten nicht speciell, sondern nur mittelst Abrechnung fristenweise geltend gemacht werden können. Es können aber auch andere Abmachungen bestehen, insbesondere können damit die manichfachsten Creditverprechen verbunden werden. In HandelsSachen wird der einfachen Heimzahlung stets die Anrechnung von Geschäftsergebnissen vorgezogen. Hätte also ein Commissionär einen Vorschuss auf Waaren gemacht, so müsste er sich aus dem dafür erzeilten Erlöse bezahlt machen, oder er müsste beide Posten auf Rechnung bringen; ins Credit und resp. Debet.
Art. 653. In diesem Artikel wird bestimmt, dass in Handelssachen für jedes Darlehen oder was dem gleich steht, ein Zins auch ohne ausdrückliche Vereinbarung gefordert werden kann. Im Civilrechte gilt dieser Satz nicht; nach Civilrecht können Zinsen nur gefordert werden, wenn sie ausdrücklich stipulirt werden, obgleich freiwillig gezahlte Zinsen nicht mehr zurückgefordert werden dürfen. Code civ. Art. 1905. 1906. Letztere Bestimmung ist indessen schon eine Annäherung an das handelsrechtliche Princip, dass jedes Capital seiner Natur nach zinstragend d. h. productiv sein müsse, und dass im Handel Capitalien nur im Hinblick auf productiven Gewinn zur Verwendung kommen. Der Credit im Handel ist seiner Natur nach nicht unentgeltlich, wie er es im gewöhnlichen Privatleben sein kann. Wer den Nutzen fremden Capitals in seinen Handelsgeschäften hat, muss diesen Nutzen bezahlen. Es ist wohl zu bemerken, dass hier nicht von Verzugszinsen für fällige, aber unbezahlt gebliebene Forderungen die Rede sind nach Art. 377. Sondern es bandelt sich hier um Verzinsung von Capital vom Zeitpunkt der Verwendung desselben in fremden Nutzen, bis zur Heimzahlung desselben. Ganz allgemein ist dieser Grundsatz schon in Art. 378 ausgesprochen, er wird aber hier speciell für das Darlehen wiederholt, weil im Civilrecht hiefür gerade die entgegengesetzte Regel gilt. Dies ist auch im Deutschen H. G. B. Art. 290 anerkannt, und gilt wohl auch in den meisten anderen Gesetzgebungen (für sog. casch advances.) Im Span. Gesetzbuch Art. 394 ist allerdings noch ausdrückliche und zwar schriftliche Zinsstipulation vorgeschrieben, ebenso wie im Code civil Art. 1907. Allein diese Vorschrift muss im Handel als veraltet bezeichnet werden.
Der Grundsatz, dass für die Benützung fremden Capitals Zins zu entrichten ist, findet keine Anwendung, wenn das Gegentheil entweder speciell für gewisse Darlehen, Vorschüsse etc. oder im Zusammenhang mit anderen Contracten vereinbart wurde. Es kann z. B. bedungen werden, dass vom Zeitpunkt der Fälligkeit des Capitals der Zinsenlauf aufhören soll, auch wenn der Gläubiger das Capital länger stehen lässt, oder es kann einem Commissionär die zinslose Benützung der bei ihm für den Committenten eingehenden Gelder bis zu einer gewissen Zeit eingeräumt werden.
Auch kann ein Zins nur für Capital gefordert werden, nicht auch für Arbeiten und Dienste. Die Gebühren, die ein Commissionär zu fordern hat, tragen nicht von selbst Zinsen, sondern höchtens wenn sie durch Berechnung in eine Capitalschuld verwandelt wurden. Verzugszinsen vom Zeitpunkt der Fälligkeit solcher Beträge werden hierdurch nicht berührt.
Die Höhe des Zinses bleibt der freien Vereinbarung überlassen. Der Entwurf schlägt auch in dieser Beziehung kein gesetzliches Zinsmaximum vor. Ist keine Vereinbarung getroffen, so muss der übliche Zins entrichtet werden, wie er nach der Natur der betreffenden Geschäfte Gebrauch ist. Wenn der Darleiher eine besondere Gefahr übernimmt, kann üblicher Weise ein höherer Zins als der gewöhnliche berechnet werden. In dieser Hinsicht kann allein der Handelsgebrauch massgebend sein.
Art. 654. Zinseszinsen (compound interest) sind regelmässig auch im Handel nicht erlaubt; von laufenden Zinsen, die von Termin zu Termin gehen, kann ohnehin kein Zins gefordert werden. Ist aber der Zinstermin gekommen und damit der Zins fällig geworden, So muss auch dann die Anrechnung von Zinsen unterbleiben, wenn die fälligen Zinsen nicht gezahlt werden. Zinsen sind nur vom Capital zu entrichten; mithin von Zinsen erst dann, wenn ihr Betrag zum Capital geschlagen ist. Dies kann durch Saldoberechnung geschehen, wenn zwischen Gläubiger und Schuldner ein Verhältniss laufender Rechnung besteht, oder durch sonstige Abrechnung, indem der gesammte rückständige Betrag in Capital und Zinsen als ein Ganzes berechnet und als neue Capitalschuld übernommen wird. Es kann aber auch speciell vereinbart werden, vorher oder nachher, dass rückständige Zinsen vom Zeitpunkt ihrer Fälligkeit als Capitalschuld des Schuldners gelten sollen. Das Recht von unbezahlt gebliebenen Zinsen wiederum Zinsen zu fordern, setzt daher immer eine dahin zielende Vereinbarung oder Geschäftsmanipulation voraus, es entspringt niemals von selbst aus der blossen Thatsache fällig gewordener Zinsen.
Art. 655. Diese Bestimmung findet sich auch im Französ. Code civil Art. 1908, und im Span. H. G. B. Art. 403. Wer das Capital ohne Vorbehalt quittirt, spricht damit aus, dass seine Forderung in Bezug darauf getilgt sei. Der Schuldner wird dadurch auch von seiner Zinsverpflichtung frei, selbst wenn er noch mit Zinsen im Rückstand wäre. Diese Vorschrift beruht allerdings nur auf der Vermuthung, dass Niemand eine Quittung ohne Vorbehalt ausstellen wird, der nicht volle Befriedigung erhalten hat oder der nicht auf weitere Zinsen verzichten will. Allein diese Vermuthung ist in der Natur der Dinge begründet. Ein Gegenbeweis dagegen ist nicht zulässig, vielmehr muss der Zinsanspruch vorbehalten werden, wenn er später noch erhoben werden will.
Diese Vorschrift kann sich nur auf wirkliche Zinsen beziehen, nicht auf solche, die bereits nach Art. 654 in Capital umgewandelt wurden. Würde also ein ursprüngliches Capital von 1000 Doll. durch Zuschlag von Zinsen auf 1100 Doll. angewachsen sein, so würde eine Quittung über 1000 Doll. nicht auch auf die Bezahlung der weiteren 100 Doll. sich erstrecken; wohl aber würde eine Quittung über 1000 D. auch die Quittung über die hievon fälligen Zinsen enthalten, wenn dieselben nicht in Capital umgewandelt worden wären.
Art. 656. Auch diese Bestimmung ist im Französ. Code civil Art. 1906 enthalten, und im Span. H. Gesetzbuch Art. 395. Sie rechtfertigt sich dadurch, dass Niemand gezwungen werden kann, fremdes Capital umsonst zu gebrauchen. Hat daher Jemand freiwillig Zinsen gezahlt, und der Gläubiger sie angenommen, so ist diese Zahlung auf Grund eines rechtsgültigen Motivs erfolgt, und ein rechtlich gültiger Willensact kann später nicht einseitig widerrufen werden.
Art. 657. Es wurde bereits bemerkt, dass ein Darlehen nicht nur unmittelbar als solches, sondern auch mittelbar durch verschiedene Geschäftsmanipulationen ausbezahlt werden kann. Das wesentliche ist nur, dass der Schuldner oder ein anderer auf dessen Rechnung in den Gewinn eines dem Gläubiger gehörigen Capital-betrages gelangt. Dieses Princip wird nun umgekehrt auch auf die Rückzahlung des Schuldbetrages angewandt, die folglich entweder unmittelbar an den Gläubiger oder an andere auf dessen Rechnung stattfinden kann, und es wird der Zahlung die Verpflichtung zur Zahlung, vorausgesetzt dass letztere wirklich erfolgt, gleichgestellt. Code de comm. Art. 116. Bravard III. p. 270 ff. Diese Ausdehnung des Princips ist im Handel eine Nothwendigkeit, um jedem Geschäftsmann die freieste und beweglichste Verfügung über seine Capitalien zu ermöglichen. Es ist aber auf Handelssachen beschränkt und es ist ferner ein Unterschied zu machen zwischen Gläubiger und Schuldner.
Der Gläubiger kann auch ohne vorherige Zustimmung des Schuldners die Modalität der Rückzahlung nach seinem Interesse und Bedürfniss bestimmen, wenn nur die Verpflichtung des Schuldners dem Betrage und der Zeit nach dadurch nicht vergrössert wird. Er kann also verlangen, dass der Schuldner statt an ihn an einen dritten zahle, er kann einen Wechsel oder eine Anweisung auf ihn ziehen, und der Schuldner muss letztere acceptiren und honoriren oder sonst dafür aufkommen. Auch andere Creditverpflichtungen können auf diese Weise auf den Schuldner gelegt werden, die aber immer nur auf die Auszahlung des schuldigen Betrages und auf nichts weiter gehen dürfen, z. B. mittelst Cheques oder dergleichen Credit-papieren. In andere Contractverhältnisse, z. B. Kauf oder Gesellschaft, für den Gläubiger einzutreten ist der Schuldner nicht verpflichtet.
Dem Schuldner steht das Recht in so verschiedener Weise Zahlung zu leisten und dem Gläubiger anzurechnen, nur zu, wenn er vom Gläubiger dazu autorisirt ist, also nach Massgabe des Art. 642 auf Grund bestehender Contractsverhältnisse. Denn nur dem Gläubiger steht die freie Verfügung über seine ausstehenden Gelder zu, und nicht dem Schuldner. Wenn z. B. der Schuldner weiss, dass sein Gläubiger Schuldner des A ist, und zahlt nun seinen schuldigen Betrag auf eigene Faust an den A, statt an den Gläubiger, so kann er diese Zahlung an und für sich seinem Gläubiger nicht anrechnen. Dies wäre eine Einmischung in dessen Geschäftsführung, zu der er sich nicht selbst ermächtigen kann.
Demnach ist das Recht des Gläubigers jede Art der Zahlung vom Schuldner zu verlangen unbedingt; das des Schuldners, jede Art der Zahlung vorzunehmen, von der Ermächtigung des Gläubigers abhängig. Dagegen wird hierdurch dem Schuldner das Recht der gewöhnlichen Compensation nicht geschmälert. Würde also der Gläubiger umgekehrt Schuldner seines Schuldners, so könnte dieser letztere seine Schuld gegen seine Forderung compensiren und er wäre hiedurch frei, auch ohne specielle Zustimmung des Gläubigers.
Insbesondere kann der Gläubiger den Schuldner anweisen, auf seine Rechnung in eine Bank Zahlung zu leisten. Wenn der Schuldner direct oder indirect mit dieser Bank Geschäftsbeziehungen hat, so können durch einfache Umschreibung in den Büchern der Bank, ohne Anwendung von Baargeld, unbegrenzte Summen beglichen werden.
Cap. 2. Creditversprechen.
Art. 658. Das Creditversprechen unterscheidet sich dadurch von dem Darlehensvertrag, dass es nicht schon wirkliches und gegenwärtiges, sondern nur ein mögliches oder facultatives, und zugleich künftiges Creditgeben bewirkt. Der Darlehensvertrag ist mit dem Abschluss für beide Theile bindend und kann nur durch beiderseitige Uebereinstimmung aufgehoben werden. Das Creditversprechen erzeugt für den Creditnehmer oder Promissar nur ein Recht, keine Verpflichtung, da es in seinem Ermessen steht von dem eröffneten Credit Gebrauch zu machen; für den Creditgeber oder Promittenten ist es zwar an und für sich bindend, es kann jedoch wenigstens unter gewissen Bedingungen widerrufen werden. Mithin ist das Creditversprechen einseitig lösbar, von Seiten des Promissars durch Nichtbenützung, und von Seiten des Promittenten durch Widerruf, was von einem regelmässigen Contracte durchaus nicht gesagt werden kann.
Uebrigens unterscheidet der Entwurf ein doppeltes Creditversprechen, je nachdem es den Bestandtheil eines anderen Vertrages bildet oder nicht. Im ersteren Falle unterliegt die Frage seiner Gültigkeit gänzlich den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsschliessung, und es muss als bindend und unwiderruflich bezeichnet werden, soweit dieser Contract rechtsgültig ist. Wenn der Promittent dadurch in gehöriger Form eine Verbindlichkeit übernimmt, für die ein genügender Rechtsgrund vorhanden ist, kann er sich von dieser Verbindlichkeit nicht durch einfachen Widerruf frei machen. Z. B. es verspricht ein Käufer, dem Verkäufer bis zum Betrag des schuldigen Kaufpreises einen Credit zu eröffnen, oder ein Gesellschafter, bis zum Betrag seiner schuldigen Einlage der Gesellschaft Credit zu geben. Creditversprechen dieser Art sind unwiderruflich, wie in Art. 659 ausdrücklich bestimmt wird.
Die Bestimmung in Art. 658 ist daher folgendermassen: das Versprechen, einem Anderen Credit zu geben, ist zwar an und für sich bindend, kann aber von dem Promittenten widerrufen werden und wird durch den Widerruf unverbindlich. Das Recht des Widerrufs ist aber, wenn das Creditversprechen den Bestandtheil eines anderen Vertrages bildet, ganz von der Auflösbarkeit dieses Vertrages abhängig, während ein selbständiges Creditversprechen, das für sich allein dasteht, wenn es gleich von geschäftlichen Motiven getragen sein wird, also in den Zusammenhang der ganzen Geschäftsführung gehören wird, auch selbständig widerrufen werden kann, und zwar nach den Bestimmungen des Art. 660.
Credit kann auf sehr verschiedene Weise gegeben werden, und es wird regelmässig ein gegebenes Creditversprechen auch die specielle Art ausdrücken, in der es geschehen soll, entweder durch einfaches Derlehen mittelst Baargeld, oder durch Acceptiren und Honorirung von Wechseln oder Anweisungen, durch Auszahlung von Cheques u. dgl. m. Ist keine besondere Art des Creditgebens ausdrücklich benannt, so wird sie sich nach dem Bedürfniss des Creditnehmers richten müssen, denn dessen Befriedigung muss in der Absicht der Parteien gelegen sein. Daher kann der Creditnehmer die Auszahlung von Baargeld verlangen, wenn kein anderer Modus in der Absicht gelegen war, insbesondere wenn der Credit zur Bestreitung von verschiedenen Ausgaben dienen soll.
Art. 659. Ein Creditversprechen zum Zwecke der Zahlung einer contractlichen Schuld oder zum Zweck einer Bürgschaft kann als Nebenbestimmung eines anderen Contractes gegeben werden, und ist dann unwiderruflich, so ferne dieser Contract überhaupt als verbindlich gelten muss. Es kann aber auch ein solches Versprechen selbständig gegeben werden, wenigstens der Zeit nach später, obgleich es in allen Fällen als in Bezug auf andere Contracte und zur Beförderung oder Sicherung von solchen gegeben angesehen werden muss. Mag nun das eine oder andere thatsächlich der Fall sein, ein solches Versprechen ist in allen Fällen unwiderruflich, weil es nur eine bestimmte Art der Zahlung verspricht oder weil es wie jedes Bürgschaftsversprechen seine Kraft aus der Gültigkeit des Hauptvertrages schöpft.
Beispielsweise treten zwei Geschäftshäuser A und B zu einander in Geschäftsverbindung und A eröffnet dem B für seine etwaigen Verpflichtungen gegen ihn einen Credit bei C bis zum Betrage von 5000 D. Dies ist ein Creditversprechen des A an B zum Zweck der Zahlung, welches mittelst des Hauses C erfüllt werden soll. Dieses Versprechen ist unwiderruflich, denn B soll dadurch für dasjenige bezahlt werden, was A von ihm kaufen wird. Wenn nun C den bei ihm eröffneten Credit acceptirt und dem B ein besonderes Creditversprechen gibt, so ist dies ein Versprechen für den Zweck der Bürgschaft ; denn C will als Selbstschuldner für A sich dem B verpflichten. In beiden Fällen würde B, was er auf Grund eines solchen Creditversprechens erhielte, nicht wieder zurückzuerstatten haben, denn er erhielte damit nur den Kaufpreis für die von ihm an A verkauften Güter. Ein Creditversprechen ist daher sehr häufig nichts weiter als ein Zahlungsversprechen, eine Vereinbarung über Zahlung mittelst Credit. A kauft von B Waaren zum Preis von 1000 Doll. und gestattet dafür dem B, einen Wechsel auf ihn für 1000 Doll. zu ziehen. Dieses Versprechen hat zum Zweck nur die Zahlung einer Kaufschuld, ist aber ein Creditversprechen, da die Zahlung mittelst eines Creditpapiers erfolgen soll. In allen Fällen daher, wo der Creditnehmer das dadurch Erhaltene nicht zurückerstatten muss, weil nur eine Schuld an ihn bezahlt wird, ist das Creditversprechen unwiderruflich, gleichviel ob Jemand seine eigene oder als Bürge die Schuld eines Anderen bezahlt. Nur muss das Creditversprechen auf einen bestimmten Betrag gegeben sein, oder wenn unbeschsänkt gegeben, sich auf bestimmte Schuldbeträge beziehen, die im Lauf der Zeit entstehen werden. Z. B. würde A dem B einen unbeschränkten Credit eröffnen, aber ausdrücklich oder stillschweigend nur in der Absicht, damit seine Schuldverbindlichkeiten gegen B zu tilgen, so könnte dieser Credit immer nur bis zum Betrage thatsächlich entstandener Schuldposten in Anspruch genommen werden. Ueber diesen Betrag hinaus wäre er mindestens widerruflich.
Ein förmliche Annahme dieses Creditversprechens durch den Creditnehmer ist nicht erforderlich, weder dem Schuldner noch dem Bürgen gegenüber, da der Creditnehmer in seiner Stellung als Gläubiger als das Versprechen annehmend präsumirt werden muss, und er vermuthlich nur dann sich äussern, und zwar widersprechen würde, wenn ihm das Creditversprechen nicht genügte.
Es ist gleichgültig, ob ein solches Creditversprechen im Anschluss an einen speciellen Kaufvertrag etc., oder selbständig in Bezug auf eine unbestimmte Reihe von künftigen Geschäften gegeben wird. Manche Kaufleute, Bankiers etc., machen ein besonderes Gewerbe daraus, solche Creditversprechen für andere unter gewissen Bedingungen, namentlich gegen eine Provision, abzugeben, und annonciren dies in den Zeitungen, wie man Waaren annoncirt.
Es ist übrigens zu unterscheiden, ob ein solches Versprechen dem Gläubiger oder dem Schuldner gegeben wird, da nur ersteres unwiderruflich ist, letzteres nicht, ausgenommen soweit es zu einem anderseitigen Contracte gehört. Ein Versprechen an den Gläubiger ist bindend, da dieser nur dadurch erhält was ihm gebührt; ein Versprechen an den Schuldner, dessen Schuld bezahlen zu wollen, ist ein selbständiges Creditversprechen, das nicht unter allen Umständen bindend sein kann. Hierüber trifft nun der Art. 660 weitere Bestimmung.
Art. 660. Ein Versprechen Credit zu geben, ist ein Versprechen, einem Anderen die Benützung von Capital für dessen Zwecke zu gestatten. Ein solches Versprechen kann eine reine Liberalität sein; in den meisten Fällen aber ist es Geschäftssache und wird gegen Zusicherung einer gewissen Vergütung gegeben. Soferne es gewerbemässig, wie namentlich von Bankiers, gegeben wird, bildet der Credit geradezu einen Handelsgegenstand, der gewissermassen verkauft oder vermiethet wird. Die Gegenleistung bildet einen hinreichenden Rechtsgrund für die Gültigkeit des Versprechens, gleichviel ob dieselbe direct, oder nur im Verhältniss wirklich gegebenen Credits zu geben ist. Wer also einem Anderen Credit eröffnet, unter der Bedingung der Gegenleistung, oder gegen Einräumung anderer Vortheile, oder gegen Entrichtung gewisser Zinsen oder Provisionen, der ist daran gebunden, und kann dieses Versprechen nicht willkürlich widerrufen. Das Recht des Widerrufes solcher selbständigen Creditversprechen wird im Entwurfe nur insoweit zugestanden, als er nach allgemeinen Rechtsprincipien gefolgert werden muss, nämlich
1) im Falle eines synallagmatischen Creditversprechens, wenn der andere Theil seine schuldige Gegenleistung nicht erfüllt, und
2) in allen Fällen wenn der Creditgeber sein Geld verlieren würde. In letzterer Beziehung wird also ein Creditversprechen widerruflich aus denselben Gründen, aus welchen ein Darlehen gekündigt werden kann (Art 651.) Diese Gefahr besteht offenbar nur dann, wenn der Creditgeber keine Deckung oder Sicherheit in Händen hat. Letzteres kann zur vertragsmässigen Bedingung des Creditgebens gemacht worden sein, und würde dann zugleich unter 1, fallen. Ist dies aber nicht der Fall, dann würde die Gefahr des Verlustes offenbar nur dann eingewendet werden können, wenn keine Deckung vorhanden wäre. Die bedrängte Geschäftslage ist sowohl speciell als allgemein zu verstehen, da sich allgemeine Crediterschütterungen mehr oder minder für alle bemerklich machen werden. Der Widerruf kann ganz oder theilweise erfolgen, besteht mithin im letzteren Falle nur in einer Beschränkung des Credits; aber auch mittelst Erschwe rung der Bedingungen, z. B. Erhöhung des Disconts, der Provisionen, u. s. f.
3) das Creditversprechen muss zu einem bestimmten Betrag acceptirt worden und dadurch gleichsam wie durch Besitzergreifung in das Vermögen des Creditnehmers übergegangen sein. Ohne solche Acceptation ist ein Creditversprechen, wenn ihm keine Zahlungsverpflichtung (Art. 659) zu Grunde liegt, mehr wie eine Geschäftsofferte zu betrachten, die vor der Annahme nach dem Ermessen des Offerenten zurückgezogen werden kann.
Art. 661. Der Inhalt dieses Artikels rechtfertigt sich dadurch, dass die Creditbenützung und Creditgewährung möglichst frei und beweglich nach den manichfaltigsten Geschäftsrücksichten und Geschäfteformen sich richten muss.
Wird ein Creditversprechen mittelst eines Creditpapiers an Ordre oder auf den Inhaber gegeben, so ist hinsichtlich der daraus entspringenden Berechtigungen und Verpflichtungen die Bestimmung des Art. 646 anzuwenden.
Art. 662. Ein gegenseitiges Creditversprechen ist als ein synallagmatischer Vertrag anzusehen, welcher für jeden Theil nur insoweit verbindlich ist, als der andere Theil seine Verpflichtung gegen ihn erfüllt.
Art. 663. Ein Deposit in laufender Rechnung ist ein stets fälliges Deposit, welches der Deponent zunächst nur zur Aufbewahrung übergibt und jederzeit zurücknehmen kann. Statt der förmlichen Zurücknahme soll nun der Deponent das Recht haben, bei dem Depositar Credit zu nehmen, also mittelst Wechsel oder Cheques etc. über sein bei dem letzteren stehendes Geld zu verfügen, auch wenn ihm dies nicht ausdrücklich zugesagt wurde, aus gleichen Gründen, aus welchen auch über die mittelbare Rückzahlung eines Darlehens nach Art. 657 disponirt werden kann.
Unter anderen Geldsummen oder Werthen, z. B. Waaren, Werthpapieren, Bullion etc., sind solche zu verstehen, die nicht zur Aufbewahrung übergeben wurden, deren Rückerstattung daher nicht verlangt werden kann, die aber in Rechnung übernommen wurden, so dass bis zum Betrag ihres Werthes dem Ueberlieferer ein Credit offen stehen soll. Die-Annahme in Rechnung bedeutet immer, dass der andere Theil einen Credit haben soll und darüber zu seinem Vortheil zu verfügen berechtigt ist.
Unter dem freien Betrag des Credits ist derjenige Betrag zu verstehen, über den der Creditnehmer noch nicht zu seinem Vortheile verfügte oder der noch nicht zurückgegeben wurde.
Die näheren Modalitäten der Crediteröffhung bleiben der speciellen Vereinbarung überlassen. So kann namentlich auch bedungen werden, dass ein Theil des Credits für den Creditnehmer niemals frei sein soll, z. B. dass von 1000 Doll, nur bis zum Betrage von 800 Doll. frei verfügt werden soll.
Art. 664. Ein Creditversprechen ist noch nicht wirklicher Credit, und es kann sein, dass dasselbe binnen einer gewissen Zeit gar nicht oder nur theilweise in Anspruch genommen wird. Es wird nun der Grundsatz aufgestellt, dass im Zweifel, d. h. soferne nichts anderes verabredet oder beabsichtigt ist, nur für wirklichen Credit Zins zn entrichten ist, also nur im Verhältniss, als der Creditnehmer thatsächlich das ihm zur Verfügung gestellte fremde Capital für sich in Anspruch genommen hat. Für diesen Betrag gilt dann aber der Grundsatz des Art. 653, dass Zins auch ohne ausdrückliche Stipulirung entrichtet werden muss.
Die Zinsvergütung für das blosse Creditversprechen ist dadurch nicht ausgeschlossen, sie muss aber ausdrücklich stipulirt sein. Ihre Rechtfertigung liegt darin, dass der Creditgeber beständig die erforderlichen Summen für den Gebrauch der Creditnehmer vorräthig halten muss und dadurch des eigenen Gebrauches derselben beraubt ist. Es ist dies gleichsam eine Gebühr, die man an den Creditgeber für die Crediteröffnung zahlt, ähnlich wie an einen Commissionär für die Uebernahme von Aufträgen. Allein der Regel nach kann auch der Commissionär nur für die wirklich besorgten Geschäfte Gebühren fordern.
Art. 665. Bisher wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass derjenige welcher das Creditversprechen gibt, es auch selbst erfüllen will, so dass daraus nur ein Creditverhältniss zwischen diesem und dem Promissar entsteht. Allein ein Creditversprechen kann auch durch Vermittlung anderer Personen erfüllt oder geleistet werden, und hieraus entstehen complicirtere Verhältnisse, die in den folgenden Artikeln behandelt sind.
1) Der gegenwärtige Artikel handelt von dem Falle, wo nur die Erfüllung eines Creditversprechens durch einen anderen erfolgen soll, der Promittent aber dem Promissar unmittelbar aus dem Creditversprechen haftbar bleibt. Soll nun diese Erfüllung einfach durch Auszahlung der betreffenden Summe erfolgen, so besteht aus dem Creditversprechen nur ein Verhältniss zwischen Promittent und Promissar, die Zahlung erfolgt auf Rechnung des Promittenten und der Promissar wird ausschliesslich Schuldner des letzteren für Capital und Zinsen. Erfolgt aber die Zahlung durch den Dritten nicht, so kann sich der Promissar desfalls nur an den Promittenten halten. Welches Rechtsverhältniss zwischen dem Promittenten und dem Dritten besteht, ist ganz und gar gleichgültig. Dieser Fall wird im Art. 665 nicht ausdrücklich erwähnt, es ist aber seine Beurtheilung in der ersten Hälfte dieses Artikels stillschweigend mitenthalten.
Es ist aber möglich, dass der Promissar nicht einfach zur Auszahlung an den Dritten verwiesen wird, sondern dass er ein Creditpapier erhält, welches von dem Dritten acceptirt werden soll, nämlich eine Anweisung oder einen Creditbrief, durch welchen sich dieser Dritte verpflichtet, dem Promissar für einen gewissen Betrag oder unbeschränkt Zahlung zu leisten oder Credit zu gewähren. Dies geschieht durch das Accept, das auf der Anweisung oder dem Creditbrief erklärt werden muss, um gültig zu sein. Durch das Accept wird auch der Dritte Promittent des Promissars, aber auf Rechnung des ersten Promittenten, der dem Promissar daneben verhaftet bleibt und an welchen der Promissar das empfangene Geld nebst Zinsen zurückzuerstatten hat.
Das eigenthümliche dieses Falles ist, dass derjenige, welcher den Credit verschafft, ihn auch für seine Person verspricht und sich nur für die Erfüllung des Versprechens einer Mittelsperson bedient, die aber ihrerseits wieder ein bindendes Creditversprechen abgeben kann, wodurch dann der Promissar zwei Personen vor sich hat, von denen er die Erfüllung des Verspreches fordern kann. Allein das Versprechen ist erfüllt, wenn einer von ihnen es erfüllt hat.
Art. 666. 2) Ein anderer Fall ist, wenn derjenige, welcher den Credit verschafft, nicht selbst ein Creditversprechen gibt, sondern einen Anderen damit beauftragt. Hier entsteht zwischen diesen Beiden kein Creditverhältniss, sondern nur zwischen dem, welcher den Auftrag erfüllt und dem, welchem dieser letztere Credit verspricht.
Hier ist mithin nur ein Creditversprechen und nur ein Promittent vorhanden. Allein der Umstand, dass dieses Creditversprechen im Auftrag gegeben wird, gibt dem Promittenten die Ansprüche eines Mandatars gegen den Mandanten, und der letztere muss mithin den Promittenten für alle etwaigen Verluste aus dem Mandat entschädigen. Es gilt daher in dieser Hinsicht die Regel, dass der Mandant, in dessen Auftrag ein Creditversprechen gegeben wurde, für die Rückzahlung des gegebenen Credits wie ein Bürge haftet, also nach Art. 333 unmittelbar dafür in Anspruch genommen werden kann.
Welches Rechteverhältniss zwischen dem Bürgen und dem Creditnehmer (Promissar) besteht, hängt von den Umständen ab. Möglicher Weise besteht gar kein solches, sondern die Creditverschaffung erfolgte nur aus Gefälligkeit. In den meisten Fällen wird aber ein Auftrag vorliegen, für dessen Erfüllung sodann der Creditverschaffer dem Creditnehmer verantwortlich bleibt, während er umgekehrt dafür eine Commissionsgebühr nebst etwaigen Kastenersatz nach Art. 402 beanspruchen kann.
Art. 667. Es ist eine allgemeine Regel des Civilrechts, dass der blosse Rath oder die blosse Empfehlung, wobei die Befolgung des Raths etc. ganz dem freien Ermessen verbleibt, keine Verbindlichkeit erzeugt, ausgenommen wenn der Rath etc. in arglistiger Absicht oder mit dem Willen sich zu verpflichten gegeben wurde. Die Verbindlichkeit einer Empfehlung hängt mithin von den jeweiligen Umständen ab. Allein im Handelsverkehr pflegt man auch dergleichen Empfehlungen im geschäftlichen Sinne aufzufassen, und erblickt in ihnen, wenn die Umstände nicht dagegen sprechen, nur eine höflichere Form eines rechtsgültigen mit der Absicht der Verantwortlichkeit gegebenen Mandats. Um Zweifel und Unsicherheit abzuschneiden, stellt der Entwurf den Satz auf, dass eine Empfehlung zum Creditgeben immer als Creditauftrag im Sinne des Art. 666 gelten solle, jedoch nur unter einer doppelten Bedingung nämlich 1, wenn die Empfehlung für eine bestimmte Summe erfolgte, nicht ganz unbestimmt, und 2, wenn sie ohne Vorbehalt gemacht wurde, also der Empfehlende seine Verantwortlichkeit nicht ausdrücklich im voraus ablehnte. Letzteres geschieht gewöhnlich mit den Worten „ohne Gewähr” oder „ohne Obligo” u. dgl. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, darf man annehmen, dass der Empfehlende nicht blos eine Höflichkeit vorhatte, sondern eine Rechtshandlung im ernstlichen Geschäftssinne begehen wollte.
§ 3. Deposit.
Art. 668. Das Deposit ist ein Contract, durch welchen sich Jemand (Depositar) verpflichtet, eine fremde Sache aufzubewahren und dem Deponenten auf Verlangen in Natur zurückzugeben. Dadurch unterscheidet sich das Deposit vom Darlehen, bei welchem niemals eine Rückgabe in Natur stattfindet und der Empfänger stets Eigenthümer der ihm anvertrauten Sache mit unbeschränktem Verfügungsrechte wird. In soferne ist das Deposit kein Creditvertrag, sondern ein gewöhnlicher Contract, durch den sich Jemand zu gewissen Dienstleistungen für den Anderen verpflichtet. Allein schon das Civilrecht kennt eine Erweiterung des einfachen Deposits, wodurch es dem Darlehen sehr nahe kommt, das sog. irreguläre Deposit, und im Handelsrecht ist diese Annäherung an das Darlehen noch weiter fortgeschritten, so dass hier das Deposit vorzugsweise im Sinne eines Darlehensgeschäftes verstanden wird, und das einfache Deposit mehr als Ausnahme erscheint.
Deposit kann nur eine fremde Sache werden, d. h. eine solche, die dem Depositar nicht gehört. Wer seine eigene Sache in Verwahrung nimmt, kann desshalb keinem anderen haftbar sein. Unter Aufbewahrung ist nichts weiter zu verstehen, als die Uebernahme einer Sache in seinen Gewahrsam, um sie neben seinen eigenen Sachen bei sich zu behalten. Eine besondere Thätigkeit der Bewachung und Erhaltung ist damit an und für sich nicht gemeint, zu dieser ist nur derjenige verpflichtet, der die Verantwortlichkeit ausdrücklich übernommen hat. Der Depositar überlässt daher dem Deponenten an sich nichts weiter als einen gewissen Raum, den die deponirten Sachen einnehmen ; er würde aber gegen den guten Glauben verstossen, wenn er die ihm anvertrauten Sachen nicht mit derselben Sorgfalt wie seine eigenen Sachen behüten würde. Werden sic beschädigt, zerstört, gestohlen, so haftet mithin der Depositar nicht, wenn das gleiche auch seinem Eigenthum begegnete oder hätte begegnen können. Wenn also Jemand eigene Sachen verschliessen, fremde aber nicht verschliessen würde, und letztere gestohlen würden, so wäre der Depositar ersatzpflichtig; nicht aber dann, wenn Jemand auch seine eigenen Sachen nicht verschlossen hielte. Diese beschränkte Haft des Depositars ist aber nicht auch auf böse Absicht oder grobe Nachlässigkeit zu beziehen, für die Jeder unter allen Umständen Anderen verantwortlich ist. Nur für geringere Nachlässigkeit ist der Depositar nicht haftbar, wenn er ebenso auch mit seinen eigenen Sachen verfahrt. Code civ. Art. 1927.
Art. 669. Das Princip des vorhergehenden Artikels wird hier dahin erweitert, dass der Depositar für jeden Fehler und jede Nachlässigkeit haftet, nicht bloss für grobe Nachlässigkeit oder für grössere Fehler als er an seinen eigenen Sachen sich erlaubt, wenn das Deposit unter gewissen besonderen Umständen gemacht wird, welche diese ausgedehnte Verantwortlichkeit des Depositars nothwendig mit sich bringen. Code civ. Art. 1928. Der Grund dafür liegt darin, dass der Depositar stärker haften muss, entweder weil er eine Vergütung erhält, oder weil im Deposit zugleich ein Mandat enthalten ist, oder weil der Depositar das Deposit in seinem eigenen Interesse selbst veranlasst. Letzteres ist namentlich der Fall, wenn das Deposit gewerbemässig übernommen oder durch die eigene Gewerbethätigkeit des Depositars veranlasst wird. Hiefer gehört z. B., wenn man eine Sache bei einem Handwerker zum Zweck der Ausbesserung, oder als Muster zum Zweck der Nachbildung hinterlegt.
Unter der besonderen Verantwortlichkeit, die der Depositar auch ohne Interesse oder Mandat auf sich nehmen kann, ist eine solche zu verstehen, die über das gewöhnliche Mass hinausgeht, mit welchem man seine eigenen Sachen zu behüten pflegt, und durch welche er für jedes auch das geringste Versehen einstehen zu wollen erklärt. Genau genommen geht auch in solchen Fällen das Deposit in ein Mandat über, da sich der Depositar zu einer besonderen Thätigkeit verpflichtet.
In allen diesen Fällen aber haftet der Depositar immer nur für sein etwaiges Verschulden, niemals für zufälligen Verlust oder Schaden, noch weniger für den durch höhere Gewalt bewirkten Schaden. Von diesem Princip findet nun wiederum für gewisse Arten von Depositen Ausnahmen statt, die im folgenden Artikel dargestellt sind.
Art. 670. Der Depositar haftet in manchen Fällen nach allen Gesetzgebungen auch für den Zufall unter gewissen Voraussetzungen. Der Code civ. Art. 1949—1954 bezeichnet diese Depositen als nothgedrungene Depositen, weil der Deponent dazu gezwungen ist, und schliesst in diesen Begriff auch das durch Nothfälle, wie Feuersbrünste, Erdbeben etc. veranlasste Deposit (sog. depositum miserabile) ein. Das letzte wird im Entwurf nicht berührt, da es nicht zu den Handelssachen gehört. Im übrigen sind diese Depositen gewerbliche Depositen mit der Eigenthümlichkeit, dass der Depositar ihnen nicht ausweichen kann, da er mit seiner Person beim Depositar verweilt und zu diesem Zwecke auch gewisse Sachen, so mindestens Kleidungsstücke mitbringen muss, sowie dass hier eine besondere Gefahr des Verlustes besteht, weil in solchen Häusern viele Personen zu verkehren pflegen und in der Regel für Jedermann offener Ein- und Ausgang stattfindet. In diesen Fällen ist die Gefahr zufälligen Verlustes, nicht blos durch Verschulden des Wirthes etc., in stärkerem Grade vorhanden, und es fragt sich, wer diese Gefahr zu tragen hat. Allgemein, schon im Alterthum, hat man diese Frage dahin beantwortet, dass der Wirth etc. diese Gefahr tragen muss, da er in seinem Hause mehr Wachsamkeit entfalten kann, als die darin herbergenden Fremden, und da es sein Gewerbe ist, mit den Personen auch deren Sachen bei sich aufzunehmen.
Die Voraussetzungen dieser Haftbarkeit sind: 1, dass fremde Personen bei solchen Gewerbsleuten Aufenthalt nehmen und Aufnahme finden, sei es über Nacht oder nur bei Tage, wobei die längere oder kürzere Zeitdauer des Aufenthalts gänzlich gleichgültig ist; es findet dies namentlich statt bei Gastwirthen, Schenkwirthen, Hotels garnis etc., in öffentlichen Bädern, Lesecabineten, Theatern u. s. w. 2, dass diese Personen Sachen mitbringen und ablegen, mithin dem Gewahrsam des Wirthes etc. anvertrauen. Dies bezieht sieh namentlich auf Reisegepäck, aber auch auf Kleidungsstücke, Uhren etc., die man während des Schlafs, oder während des Badens etc. ablegt, gleichviel ob sie dem Wirthe etc. zu besonderer Verwahrung übergeben werden oder nicht.
Unter diesen Voraussetzungen haften nun die genannten Gewerbtreibenden nicht blos für ihr eigenes Verschulden oder das ihrer Leute, sondern auch für zufälligen Verlust oder Schaden, z. B, Diebstahl, Feuer, Zerbrechen etc., wenn letzterer nicht durch höhere Gewalt oder durch Personen, für welche der Wirth niemals verantwortlich sein kann, verursacht wurde, sondern durch Dienstboten etc., oder durch Personen die im Hotel Eingang finden. Zu den letzteren gehören sowohl andere Reisende etc., als auch Gehilfen und Leute mancherlei Art, die in einem solchen Hause kommen oder gehen, ja selbst Personen die sich heimlich einschleichen und nächtliche Diebstähle etc. begehen.
Diese Haftung ist eine absolute, und zum Schutz der Reisenden gegen betrügerische und nachlässige Wirthe etc. nothwendig, gleich der Haftung der Frachtführer. Indessen kann dieselbe durch speciellen Vertrag abgelehnt werden, allein nicht durch die blosse Notiz von Seiten des Wirthes, oder durch ein Placat, das zur Hut gegen Diebe etc. auffordert; nur kann man sich durch keinen Vertrag von Haftung für grobes Verschulden befreien, und der Entwurf bestimmt, dass der Vertrag in diesem Falle von der Haftung für irgend ein Verschulden überhaupt nicht befreien soll. Als selbstverständlich darf es wohl gelten, dass ein Wirth für besonders werthvolle Sachen nach Art. 559 eine Declaration und die Unterwerfung unter specielle Vorsichtsmassregeln verlangen kann, wenigstens wenn sie den gewöhnlichen Betrag von Reisegeld und Reiseeffecten übersteigen.
Art. 671. Im Civilrecht wird das Deposit der Regel nach als unentgeltlich bezeichnet. Code civ. Art. 1917. Doch kann dafür auch eine Vergütung stipulirt werden. Code civ. Art. 1928. Der Entwurf bestimmt nun ausserdem, dass eine Vergütung auch ohne solche Stipulation gefordert werden kann, wenn der Depositar aus der Annahme etc. von Depositen ein Gewerbe macht, weil gewerbliche Dienstleistungen regelmässig nicht umsonst betrieben werden. Dies bezieht sich namentlich auch auf öffentliche Niederlagen. Die Vergütung besteht theils in Lagermiethe theils in Arbeitslohn, wird aber meist in einem einheitlichen Satze, etwa in Procenten des Werthes, oder im Verhältniss des Gewichts etc. berechnet. Ausserdem kann der Depositar und zwar in allen Fällen, auch ohne besondere Stipulation und ausserhalb des gewerblichen Betriebes, verlangen 1, den Ersatz der Auslagen, die er auf die Erhaltung der deponirten Sache machte, soweit sie für diesen Zweck nothwendig waren, und 2, den Ersatz des Schadens, der ihm durch Schuld des deponenten zugefügt wurde, so z. B. wenn dieser feuergefährliche oder leicht explodirende Stoffe hinterlegte, ohne die nöthigen Vorsichtsmassregeln, oder heimlich etc. Code civil Art. 1947. Das dem Depositar zustehende Retentionsrecht ist gleich dem eines Spediteurs etc. zu beurtheilen.
Der Anspruch auf Vergütung für die Aufbewahrung steht nicht den in Art. 670 genannten Gewerbspersonen zu, oder solchen, die am Schlusse des Art. 669 genannt sind. Denn die Aufbewahrung ist in diesen Fällen nicht der eigentliche Zweck ihrer gewerblichen Thätigkeit. Das Retentionsrecht erstreckt sich aber in diesen Fällen auf die hinterlegten Sachen auch für solche Forderungen, die nicht in Bezug auf diese Sachen entstanden sind, z. B. für Zeche bei einem Wirthe, oder für Badegeld mit Ausnahme der Bekleidung nach Analogie des Art. 582.
Art. 672. Das Deposit als solches hat zur Voraussetzung, dass der Depositar kein Interesse an der Sache hat und durch die Aufbewahrung dem Deponenten nur einen Dienst leistet, auf den dieser jederzeit verzichten kann. Sollte daher auch auf eine bestimmte Zeit deponirt worden sein, so ist dies nur eine Vertragsbestimmung zum Vortheil des Deponenten; sie gibt nur diesem, nicht dem Depositar einen rechtlichen Anspruch. Code civ. Art. 1944. Anders verhält es sich, wenn der Depositar ein Retentionsrecht geltend zu machen hätte, oder wenn auf die Sache richterlich Beschlag gelegt oder sonst die Rückgabe rechtmässig untersagt werden könnte ; diese Beschränkung versteht sich nach allgemeinen Grundsätzen von selbst, und braucht nicht besonders ausgedrückt zu werden.
Art. 673. Ein Deposit auf bestimmte Zeit erzeugt für den Depositar eine bestimmte Verpflichtung, von der er sich nicht einseitig losmachen kann; ein solches Deposit muss daher auf so lange behalten werden als der Vertrag lautet. Ein Deposit auf unbestimmte Zeit kann verschieden interpretirt werden, nämlich 1, auf so lange Zeit, als es dem Deponenten beliebt, oder 2, auf so lange Zeit, als es dem Deponenten oder dem Depositar beliebt. Die letztere Annahme gibt mithin auch dem Depositar das Recht der Aufhebung des Vertrages, und der Entwurf hat für diese Annahme sich entschieden, einmal um der Rechtsgleichheit beider Theile willen, sodann weil unbestimmte und unbegrenzte Verdichtungen im Recht nicht zu begünstigen sind, und ferner, weil auch der Depositar gute Gründe haben kann, ein Deposit zurückzugeben, z. B. wenn Sachen durch langes Liegenlassen verderben und schädlich ausdünsten etc., oder um eventuelle Contractsänderung herbeizuführen, oder wegen Ueberfüllung seiner Lager u. dgl. Damit aber durch eine solche Rückgabe der Deponent nicht in Verlegenheit gesetzt werden, muss eine gewisse Kündigungsfrist eingehalten werden, damit der Deponent Zeit erhält, anderweitig die Sache unterzubringen oder darüber zu verfügen.
Art. 674. Eine Sache kann von Mehreren gemeinschaftlich hinterlegt werden, entweder damit einer von ihnen mit Ausschluss der übrigen, oder damit jeder von ihnen für alle übrigen sie zurücknehmen dürfe. Ob das eine oder andere stattfinden soll, hängt ganz von der Absicht der Deponenten und den Umständen ab und ist in jedem Falle thatsächliche Frage. Der Entwurf spricht nun die Vermuthung für den zweiten Fall aus, und verlangt für den ersten eine besondere Verabredung. Dies dürfte der Natur der Dinge angemessen sein, da die Rückgabe an alle zugleich schwer durchführbar ist und in vielen Fällen für den Depositar unmöglich. Daher muss er jeden zugleich als Repräsentanten aller übrigen zu behandeln befugt sein. Der erste Fall kann wieder verschieden sein, indem der an welchen die Rückgabe ausschliesslich stattfinden soll, im voraus bezeichnet, oder dessen Bezeichnung noch von weiteren Umständen abhängig gemacht wird. Z. B. A und B hinterlegen eine Kiste, mit der Bestimmung, dass die Rückgabe an A stattfinden soll; oder an den von beiden, welcher in einem darauf bezüglichen Rechtsstreite, oder in einer Wette etc. obsiegen wird. Dies sind durchaus besondere Umstände, welche dem Depositar ausdrücklich erklärt werden müssen, wenn sie für ihn bindend sein sollen. Im letzteren Falle wird das Deposit Sequester genannt.
Art. 675. Die deponirte Sache muss zurückgegeben werden, wie sie übergeben wurde, ausgenommen wenn sie ohne Schuld etc. des Depositars beschädigt, verdorben oder entwerthet wurde. Jeder Schaden an der Sache trifft den Deponenten, soweit der Depositar dafür nicht nach Art. 668—670 verantwortlich gemacht werden kann. Umgekehrt gehört dem Deponenten auch aller Vortheil, der während der Hinterlegung der Sache anwuchs, z. B. Früchte, Jungen, Gewinne bei Lotterieloosen u. dgl. Von selbst versteht es sich, dass wenn die Sache inzwischen im Werthe stieg, der Deponent allein diesen Vortheil ausbeuten kann. Der Depositar darf auch im Falle des nachfolgenden Artikels, bei fungiblen Depositen, nicht von den Werthschwankungen des deponirten Artikels Nutzen ziehen, z. B. dieselben verkaufen bei hohem Course, und wieder kaufen und ins Depot einlegen bei niedrigem Cours. Dieses Recht steht dem Depositar nur nach Art. 678 zu. Würde ein Depositar solche Handlungen unbefugter Weise begehen, so wäre dies ein Vertrauensbruch und Contractverletzung, und der Deponent könnte dafür Ersatz fordern, also mindestens den Werth zu dem die Sache verkauft wurde nebst Zinsen davon.
Art. 676. Sachen, die juristisch nicht speciell oder individuell, sondern nur der Gattung und Menge nach in Betracht kommen, werden fungible oder vertretbare Sachen genannt, da alle Species der gleichen Gattung einander vertreten, d. h. eine für die andere gegeben werden kann. Code civ. Art. 1291. Die Verpflichtung geht bei diesen Sachen nur auf die Menge, nicht auf die Identität, jedoch innerhalb der gleichen Art und Sorte. Hieher gehört namentlich Geld, aber auch Getreide, Wein, Metalle und andere Dinge, selbst Werthpapiere und überhaupt alles, was man insbesondere im Handelsverkehr, nur abzählt, abwiegt, abmisst. Verschieden davon sind die verbrauchbaren Sachen, die man nicht gebrauchen kann, ohne sie zu verbrauchen, wie Ess- und Trink Waaren. Beides fällt nicht immer zusammen, z. B. Geld und Werthpapiere sind wohl vertretbare, aber nicht verbrauchbare Sachen.
Die in den Art. 676 für das Deposit ausgedrückte Regel ist nicht diesem Vertrage allein eigenthümlich, sondern gilt für alle Verträge, so namentlich für den Kauf, das Darlehen etc. Der Verkäufer braucht nur die gekaufte Quantität herauszugeben, nachdem er sie aus einem grösseren Vorrath abgewogen hat. Ebenso hat auch der Depositar nur die gleiche Menge zurückzugeben, es müssen aber nicht die identischen Stücke sein, welche ihm der Deponent übergab. Dies gilt aber nur unter einer doppelten Bedingung, nämlich 1, die Sachen dürfen nicht verschlossen, versiegelt, bezeichnet oder sonst specialisirt übergeben worden sein, denn in diesem Falle ist das Paquet etc. eine specielle, individuell gezeichnete und erkennbare Sache, und 2, sie dürfen nicht ihrer Natur nach, also ohne solche specielle Bezeichnung, individuelle Sachen sein, wenn sie auch im allgemeinen zu den vertretbaren Sachen gehören; letzteres gilt z. B. von Prämienloosen, die als besondere Nummern verlieren oder gewinnen können, und da der Gewinn dem Deponenten gehört, mit anderen Nummern nicht vertauscht werden dürfen. Dies wäre wenigstens der Fall, wenn der Depositar nicht blos die Aufbewahrung, sondern auch die Verwaltung übernommen hätte, weil er dann verpflichtet wäre, etwa anfallende Gewinne für den Deponenten einzuziehen. Ob diese letztere Bedingung zutrifft, ist daher in jedem Falle nach den Umständen und der Absicht des Deposits zu beurtheilen. Die erstere Bedingung versteht sich von selbst, und braucht im Gesetze nicht besonders ausgedrückt zu werden.
Die Fungibilität der deponirten Gegenstände ändert nichts an der Natur des Deposits. Daher erlangt der Depositar an solchen Sachen weder Eigenthum noch ein Gebrauchsrecht, und auch die Gefahr des Verlustes oder der Beschädigung bleibt beim Deponenten, soweit nicht der Depositar nach allgemeinen Grundsätzen verantwortlich gemacht werden kann. (Art. 668 ff). Nur insoferne tritt eine Aenderung ein, als der Depositar nicht dieselben Sachen, sondern nur die gleiche Menge der betreffenden Gattung zurückzugeben hat. Daher kann der Depositar
1) die gleichen Depositen mehrerer Deponenten miteinander vermischen, und sie ungetrennt und ungesondert aufbewahren;
2) er kann, auch wenn keine Vermischung stattfindet, die gleiche Menge in anderen Stücken zurückgeben, soweit dies durch eine ehrliche Geschäftsführung veranlasst wird, und keine heimliche Ausübung von Eigenthumsrechten enthält. Daraus folgt, dass ein solches Deposit immer vorhanden sein muss und in keinem Augenblick für den Nutzen des Depositars herausgenommen und verwendet werden darf, es würde nicht genügen, wenn der Depositar nur immer so viele Stücke vorräthig hielte, als nöthig wäre, um die jeweiligen Rückforderungen befriedigen zu können. Factisch kann allerdings der Deponent einen derartigen Missbrauch auf Seiten des Depositars nicht immer verhindern, allein wenn er davon Kenntniss erhält, kann er wegen Contractsbruch klagen, und wenn der Depositar etwa die Stücke nicht zurückzugeben vermöchte, wäre er zur Entschädigung verpflichtet und wegen Unterschlagung zu bestrafen. Dieses sog. „ Depostfixen,” d. h. die unerlaubte Aneignung fremder Depositen ist insbesondere nach Deutschem Rechte durchaus verboten.
Art. 677. Es ist ein Satz des Civilrechts, dass wenn die gleichen Sachen mehrerer Miteigenthümer zu einem Ganzen verbunden werden, ohne dass zwischen ihnen das Verhältniss von Haupt- und Nebensache besteht, jeder zu seinem Theile Miteigenthümer wird, und seinen Antheil nach den Grundsätzen der Fungibilität daraus zurücknehmen kann. Dieser Satz wird hier auch auf die Depositen mehrerer Eigenthümer angewandt, um keinen Zweifel darüber zu lassen, dass das Eigenthum und die Gefahr an ihnen nicht auf den Depositar übergeht. Würden also z. B. in einem Getreidespeicher die von mehreren Personen deponirten Getreidemengen vermischt, und später durch eine Feuersbrunst zur Hälfte verbrannt, so hätte jeder Deponent den Verlust im Verhältniss seines Antheils zu tragen, mithin wäre jedem die Hälfte seines Deposits dadurch verloren gegangen. Man nennt dieses Miteigentum sog. ungeteiltes Eigenthum, da es durch Mischung entsteht und durch Absonderung wieder aufhört. Würde solches Eigenthum verkauft, so ginge vor der Absonderung das verhältnissmässige Miteigentum und die Gefahr auf den Käufer über, obgleich specielles Eigenthum an dem Antheil erst durch Absonderung und Abwiegen erlangt werden könnte. Dies steht daher mit der in Art. 591 aufgestellten Regel, welche sich nur auf den gewöhnlichen Fall des speciellen Sondereigenthums bezieht, nicht im Widerspruch. Der Uebergang des Miteigenthums kann sofort durch den Kaufabschluss erfolgen, da in solchen Fällen nicht eine specielle Sache verkauft wird, sondern nur ein ideeller Antheil an der ganzen Masse, welcher auf ideellem, oder constructivem Wege übertragen werden kann, so dass das Ausscheiden etc. zum Zweck der speciellen Uebertragung hier nicht zu erfolgen braucht.
Würde nun in einem solchen Falle der Depositar unbefugter Weise über die ihm anvertrauten Vorräthe, ganz oder theilweise, verfügt haben, so müsste er sich auch den Folgen des von ihm ange-massten Eigenthums unterwerfen und im Falle von Brand etc. den Verlust auf sich nehmen; auch wenn er nur einen Theil der Vorräthe verkauft haben würde.
Das Princip der Art. 676 und 677 findet nur Anwendung, wenn die Rückgabe der Depositen in Natur beabsichtigt ist. Steht dem Depositar das Recht zu, entweder die Sache in Natur oder deren Marktpreis zurückzugeben, dann ist dies als Ueberlassung des Eigenthums nach Art. 678 zu beurtheilen.
Da jeder Miteigenthümer nur ein Antheilsrecht am Ganzen hat, so wird dieses Recht nicht berührt von der theilweisen oder auch gänzlichen Umwechselung der Vorräthe, entweder weil die verschiedenen Miteigenthümer successive ihre Antheile herausnehmen, und andere an ihre Stelle treten, oder auch wenn der Depositar, erlaubt oder unerlaubt, solche Veränderungen vornimmt. Ist aber keine Vermischung vorgenommen, dann bleibt dem Deponenten sein specielles Eigenthum so lange, bis eine Vermischung stattfindet, oder etwa der Depositar die Sache verkauft. (Art. 586.)
Art. 678. Dieser Artikel handelt von dem irregulären Deposit, welches desshalb so genannt wird, weil es von der gewöhnlichen Regel abweicht, wornach der Depositar die bei ihm hinterlegte Sache nur zur Aufbewahrung oder Verwaltung übernimmt und selbständige Rechte daran nicht ausüben darf. Bei diesem Depositum erlangt nun der Depositar das Recht des Gebrauchs oder der anderweitigen Verfügung über die deponirte Sache, und die Folge davon ist, dass er als Eigenthümer angesehen wird und auch die Gefahr des Verlustes etc. zu tragen hat. Dies ist besonders bei Privatniederlagen häufig, es kann aber auch bei öffentlichen Niederlagen vorkommen, obwohl es hier in der Regel durch Gesetze oder Reglements ausgeschlossen ist. Die häufigsten Fälle sind Geld- und ähnliche Depositen bei Bankiers, und Getreideniederlagen, sog. grain elevators, die man nicht bloss zum Zweck der Aufbewahrung, sondern auch der besseren Reinigung, Lüftung etc. benützt. Der Depositar braucht in diesen Fällen das Depositum eines Jeden nicht unberührt liegen zu lassen, es genügt, wenn er nur so viel auf Lager hält, um die jeweiligen Rückforderungen befriedigen zu können; ja es kann ihm sogar das Recht zustehen, nicht die Sache in natura, sondern nur deren Geldwerth zurückzugeben. Es ist klar, dass ein solches Deposit vom Darlehen sich nicht mehr unterscheidet, obgleich es im Handel noch immer Deposit genannt wird, weil es sich practisch aus dem Deposit entwickelte und für den Deponenten der Zweck, sein Eigenthum sicher aufzuheben, der leitende Gesichtspunkt ist. Ein solches Deposit kann auf bestimmte oder unbestimmte Zeit gemacht werden, mit oder ohne Zinsen; doch ist hier nach Art. 681 nicht unter allen Umständen ein Zins zu entrichten, weil es zugleich zum Vortheil des Deponenten gereicht. Bei stets fälligen Depositen wird häufig kein Zins gewährt.
Das irreguläre Deposit kann nur in fungiblen Sachen gemacht werden, da nur diese in gleicher Menge zurückzugeben sind. Allein es entspringt nicht von selbst aus der fungiblen Natur der Gegenstände, sondern es muss noch die Absicht der Gestattung des Gebrauches dazu kommen. Diese Absicht kann ausdrücklich geäussert werden, oder sie ist nach dem bestehenden Handelsgebrauch als vorhanden anzunehmen. Es muss aber ein rechtmässiger und offener Gebrauch sein, kein heimlicher Missbrauch, zu dem sich redliche und anständige Kaufleute nicht herbeilassen. Die Thatsache dass manche Gewerbsleute einen solchen Missbrauch treiben, ist mithin noch nicht hinreichend, um ihn als Handelsgebrauch zu rechtfertigen. Auch würde die ausdrückliche Bestimmung, dass der Depositar die Rückgabe der identischen Stücke nicht verspreche, noch nicht hinreichend sein; wohl aber die Bestimmung, dass er auch den Preis statt der Sache restituiren könne.
Es ist übrigens daran zu erinnern, dass wenn einem Depositar auch nicht gegenüber dem Deponenten das Verkaufsrecht zusteht, dies doch in Bezug auf einen etwaigen Käufer der Fall ist, nach Art.
586, da der Depositar immerhin auf rechtmässige Weise den Besitz erlangte, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Käufer von der mangelnden Befugniss des Depositars nichts wusste.
Weiter ist zu bemerken, dass der Depositar nicht ein Miteigenthum an den verschiedenen zu einem Ganzen vermischten Depositen hat, wie die einzelnen Deponenten im Falle des Art. 677, sondern ein ausschliessliches Eigenthum am Ganzen, da für ihn nur eine specielle Sache ist. Er kann daher rechtsgültig nur Käufe abschliessen durch Ausscheidung und Zumessung, und bis zu diesem Zeitpunkt würde er, nicht sein Käufer, die Gefahr tragen.
Aus dem Umstande, dass der Depositar das Gebrauchs- oder Verkaufsrecht hat, kann ein Conflict von Rechten entstehen, der zu verwickelten Rechtsfragen führt. Denn neben dem Depositar hat auch der Deponent das Recht des Verkaufs, da letzterer in gewisser Beziehung immer noch als Deponent, und nicht als reiner Darleiher anzusehen ist. Wenn nun der Depositar verpflichtet ist, die Sache in natura zurückzugeben, ist der Conflict leicht zu lösen, da er immer so viel auf Lager behalten muss, um den etwaigen Rückforderungen genügen zu können, und mithin zur Herausgabe der Sache in natura angehalten werden kann. Kann er aber nach seiner Wahl auch den blossen Geldwerth erstatten, so kann der Käufer des Deponenten so wenig wie dieser selbst die Uebergabe der Sache in natura verlangen. Er muss sich mit der Entrichtung des Preises begnügen, und es wird von der Differenz des letzteren von dem von ihm gezahlten Preise abhängen, ob er bei diesem Geschäfte gewinnt oder verliert.
Art. 679. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Code civ. art. 1930. Die Absicht der Parteien, insbesondere die Erlaubniss des Deponenten, kann ausdrücklich oder stillschweigend ausgesprochen oder auch nur vermuthet werden. In letzterer Beziehung ist das Herkommen und die Gewohnheit massgebend; auch auf das etwaige Interesse des Deponenten ist Rücksicht zu nehmen, da manchmal der Gebrauch und Genuss durch den Depositar für den Deponenten vortheilhaft oder doch ganz gleichgültig sein kann, wie z. B. das Milchen von Milchkühen, das Reiten von Reitpferden, das Spielen von Musikinstrumenten u dgl.
Der Gebrauch besteht in der Benützung der Sache selbst, der Genuss in der Benützung von Früchten und anderen Vortheilen, die eine Sache abwirft; letzterer kann mithin auch in einem Verbrauch bestehen, der an der Sache selbst niemals erlaubt sein kann, da specielle Sachen immer in Natur zurückzugeben sind.
Art. 680. In diesem Artikel werden zur Ergänzung der allgemeinen Bestimmung des Art. 678 für gewisse Arten von Depositen die Rechte des Depositars daran näher bestimmt. Es sind dies Depositen, welche entweder unmittelbar oder mittelbar in Geld bestehen, letzteres insoferne als sie für den Besitzer in der Hauptsache nur einen gewissen Geldbesitz repräsentiren und mithin die Vermuthung sehr nahe tritt, dass der Deponent sie nur als zinstragendes oder doch stets disponibles Geld hinterlegen wollte. Hieher gehört 1, gemünztes und ungemünztes Gold und Silber: 2, Werthpapiere, wie Actien, Obligationen, Hypothekenbriefe etc. Für diese Gegenstände bestimmt nun der Entwurf folgendes:
1) an gemünztem oder ungemünztem Gold und Silber erlangt der Depositar die Rechte des Eigenthums nach Art. 678 ohne weitere Bedingung, durch die blosse Uebergabe, ohne Rücksicht ob ein Zins stipulirt wird oder nicht;
2) an Werthpapieren nur dann, wenn sie zu einem bestimmten Cours übergeben werden, entweder einem fixen Cours, oder zum jeweiligen Tagescours, u. s. w., weil nur dann die Absicht angenommen werden kann, dass der Deponent die Werthpapiere im Sinne einer Geldsumme überlassen und ihre Verwerthung gestatten will, wenn es der Depositar wünschen sollte.
In beiden Fällen bestehen aber weitere Voraussetzungen:
a) diese Depositen müssen offen übergeben werden, d. h. nicht verschlossen, versiegelt, in einer verschlossenen Kiste etc., denn in den letzteren Fällen würden die Depositen als speciell anzusehen sein ;
b) es darf nicht etwa das Gegentheil ausdrücklich vereinbart worden sein, was namentlich bei Bullion oder Papieren leicht vorkommen kann.
Was andere Sachen betrifft, wie namentlich Getreide, Reis u. a. Handelswaaren, so bleibt es hier bei der Regel des Art. 678, hier muss also der Handelsgebrauch oder der besondere Vertrag den Ausschlag geben; für diese wird mithin eine Vermuthung durch Gesetz nicht aufgestellt.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so erlangt der Depositar Eigenthums- und Gebrauchsrecht am Deposit, und trägt die Gefahr wie jeder Darleiher. An und für sich aber verbleibt dem Depositar das Recht und die Pflicht der Rückgabe gleicher Sachen in natura. Das Recht der Rückgabe in Geld ist ein besonderes Recht, welches nach Art. 683 zu beurtheilen ist.
Art. 681. Durch diese Bestimmung wird auch das irreguläre Deposit immer noch von dem Darlehen unterschieden, weil die Annahme gilt, dass das Deposit, auch wenn es in ein Creditverhältniss übergeht, schon an sich dem Deponenten einen Fortheil gewährt, da ihm die Mühe und Sorge der Aufbewahrung abgenommen wird. Die Zinsverpflichtung des Depositars kann daher nicht präsumirt, sondern muss ausdrücklich stipulirt werden. Umgekehrt könnte bei irregulären Depositen, auch wenn sie gewerbemässige sind (Art. 671), vielleicht angenommen werden, dass auch eine Verpflichtung des Deponenten zur Entrichtung einer Vergütung nicht ohne ausdrückliche Stipulation entstehen kann, da hier die Vergütung für den Depositar unmittelbar in dem Gewinne besteht, den er aus der Verfügung über die deponirten Gegenstände ziehen kann. Allein der Entwurf trifft diese Bestimmung nicht, da die Dienste des Depositars manichfaltiger Art sein können, je nachdem es sich z. B. um Geld- oder um Getreidedepositen handelt, und überlässt daher diesen Punkt neben der freien Verabredung dem Handelsgebrauch. Daher ist Art. 671 hinsichtlich der in das Eigenthum des Depositars übergehenden Depositen nur mit der Einschränkung des Art. 681 anzuwenden.
Art. 682. Die Indossirbarkeit der Depositenscheine gleichviel ob sie auf Geld oder Waaren lauten, ist ein allgemein anerkanntes Bedürfniss, um durch deren Unterbringung in einer Niederlage den freien Handelsverkehr in ihnen nicht zu hemmen. Ein grosser Theil aller Handelswaaren befindet sich in dem Gewahrsam von Niederlagen, bevor sie in den Consum übergehen, und es wird in diesen Waaren nur mittelst Uebertragung von Depositenscheinen gehandelt. Das gleiche ist z. B. in dem Französ. Gesetz vom 28. Mai 1858 über öffentliche Niederlagen (magasins généranx, bonded warehauses) vorgeschrieben. Diese Depositenscheine können auch zur Verpfändung benützt werden, und werden nach dem erwähnten Gesetz für diesen Zweck unter dem Namen warrants besonders ausgegeben.
Da das Bedürfniss der Umsatzfähigkeit dieser Papiere allgemein ist, wird die Vermuthung dafür aufgestellt, so dass, um Depositenscheine nicht indossabel zu machen, dies ausdrücklich auf ihnen bemerkt werden muss. Es genügt hiefür die einfache Bemerkung „nicht an Ordre”, oder „nicht übertragbar” u. dgl. Es versteht sich aber von selbst, dass wenn Depositenscheine auf den Inhaber ausgestellt werden, sie in allen Fällen von selbst übertragbar sein müssen mittelst blosser Tradition. (Art. 454).
Art. 683. Durch die Ermächtigung, statt der Waare deren Preis zu erstatten und bez. zu fordern, geht das Deposit noch mehr in ein Darlehen (Art. 644) über, und kann auch in gewisser Beziehung als ein facultativer Kauf angesehen werden. Ob dieses Geschäft bereits in Japan besteht, ist zur Zeit unbekannt; es besteht in anderen Ländern, so besonders in England und den Vereinigten Staaten, namentlich in Bezug auf Getreide, indem die Besitzer von Grain Elevators (Kornspeichern), ja selbst gewöhnliche Müller das Recht haben, die bei ihnen aufgestapelten Kornvorräthe anderer entweder zu vermahlen oder zu verkaufen, mithin den Deponenten entweder das Korn, oder das Mehl oder das Geld dafür zu erstatten. Dass dies den Uebergang des Eigenthums auf den Depositar voraussetzt, leuchtet von selbst ein ; eine so grosse Freiheit kann daher nur beim irregulären Deposit (Art. 678 und 680) gestattet werden. Allein diese eine Voraussetzung genügt noch nicht, da sie die Verpflichtung zur Rückerstattung in Natur immer noch bestehen lässt. Das Recht der Rückerstattung und bez. Rückforderung in Geld ist daher noch eine weitere Concession an den Depositar, die wiederum ihre besondere Begründung im Vertrag oder im Handelsgebrauch finden muss.
Man kann die Frage aufwerfen, wie sich die Bestimmung dieses Artikels zu dem in Art. 509 enthaltenen Verbot verhält, wornach es im Fall von Niederlagen, die mit einer Börse verbunden werden, den Börsen vorständen und Börsenmäklern untersagt ist, auf die in solchen Niederlagen deponirten Waaren Vorschüsse zu geben oder dieselben käuflich an sich zu bringen. Der Grund dieses Verbots ist, den genannten Personen ihre Unparteilichkeit zu wahren und nicht ein Börsenmonopol entstehen zu lassen. Ein Deposit ist an sich weder ein Kauf noch ein Vorschuss, obgleich wenn der Depositar für die Waare deren Preis zurückgeben kann, es sich von einem Kauf wenig unterscheidet. Indessen muss ohne Zweifel das Verbot des Art. 509 auch auf diese Art von Geschäften erstreckt werden, da sie den Depositar zum Speculanten in den bei ihm deponirten Waaren machen, was den Börsenvorständen und Börsenmäklern nicht gestattet werden kann. Daher ist der Ausdruck „ käuflich an sich bringen ” in Art. 509 nicht blos auf förmliche Kaufverträge anzuwenden, sondern auch auf andere Geschäfte, wie hier Depositen, wenn sie thatsächlich in einen Ankauf sich auflösen.
Art. 684. Die gleiche Bestimmung ist schon im Art. 459 ganz allgemein für Ordrepapiere aufgestellt, sie wird aber hier in etwas erweiterter Form wiederholt, um auch die Voraussetzungen betreffend die Annahme eines Deposits miteinzuschliessen.
Deponiren kann an sich jeder, der eine Sache in Händen hat, auch wenn er nicht Eigenthum oder Vorfügungsrecht hat, da im gewöhnlichen Deposit keine Veräusserung liegt. Aber eine solche Veräusserung liegt im irregulären Deposit nach Art. 678 und 680, und auch beim Deposit fungibler Sachen erlangt der Depositar Befugnisse, die factisch wenigstens auf eine Veräusserung an ihn hinauslaufen können. Daher steht im Code civil Art. 1922. 1938 der Satz, dass ein Deposit regelmässig nur vom Eigenthümer gemacht werden kann, allein der Depositar braucht vom Deponenten nicht den Beweis seines Eigenthums zu erfordern. Im Handelsrecht kann jeder veräussern, der auf rechtmässige Weise, in den Besitz einer Sache gekommen ist, den guten Glauben, des Erwerbers vorausgesetzt, jedoch mit Ausnahme gestohlener und verlorener Sachen (Art. 586). Diese Regel muss auch auf das Deposit angewandt weiden. Der Depositar braucht nun das Eigenthum etc. des Deponenten nicht zu prüfen, er kann an sich jede Sache annehmen, die ihm übergeben wird, und sie ebenso wieder dem Deponenten zurückgeben, auch wenn dieser nicht Eigenthümer wäre. Die Rückgabe darf nur an den Deponenten oder dessen Ordre stattfinden, denn hiezu ist er contractlich verpflichtet. Würde nun der Depositar wissentlich eine Sache an den zur Rücknahme nicht Berechtigten herausgeben, so wäre er zur Entschädigung verpflichtet, jedoch nur wegen grober Nachlässigkeit, wenn unwissentlich. Würde er eine Sache vom Nichteigenthümer etc. empfangen haben, so müsste er gleichwohl sie diesem wieder zurückgeben, er wäre aber dem Eigenthümer verantwortlich, wenn er wusste oder wissen musste, dass der Deponent kein Recht zur Sache hatte, und den Eigenthümer nicht davon in Kenntniss setzte. Wird er vom Eigenthümer zur Herausgabe der Sache angehalten, so kann er sich auf den Deponenten berufen, und diesem den Streit mit dem Eigenthümer überlassen. Gestohlene oder verlorene Sachen aber kann der Eigenthümer jederzeit unmittelbar vom Deponenten zurückfordern, resp. deren Preis, wenn sie bereite veräussert sind, da diese vom Dieb und dessen Nachfolgern überhaupt nicht rechtsgültig veräussert werden können.
Art. 685. Es gibt ausser dem irregulären Deposit, auch eine Irregularität der Dienstmiethe und anderer Contracte insoferne, als durch die vertretbare Natur der an den anderen Theil übergebenen Gegenstände und durch die Einwirkung von Handelsgewohnheiten die einfache Verpflichtung zur Rückgabe der übertragenen Sachen modificirt wird. Z. B. ein Schiffer übernimmt von mehreren Personen Getreide oder Kohlen zum Transport; sind dieselben alle gleicher Gattung und sollen nicht als specielle Sachen, in Säcken, Kisten etc., transportirt werden, so kann er sic alle in eine Masse zusammenschütten lassen, wodurch dann Miteigentum aller Versender mit dessen Folgen entstehen würde; ja es kann dem Schiffer sogar gestattet sein, mit den ihm übergebenen Sachen selbst Handel zu treiben, also die ihm anvertrauten Sachen nicht unvermindert zu behalten, oder selbst nur den Preis dafür zurückzugeben. Ein Beispiel unverschlossener Geldversendungen sind die modernen Post-Geldanweisungen. Soferne nun in diesen oder anderen Geschäften die gleichen Voraussetzungen vorliegen, wie beim Deposit, sollen auch die gleichen Grundsätze darauf Anwendung finden. Die hauptsächlichsten dieser Grundsätze sind:
1) der Frachtführer etc. braucht nicht dieselbe specielle Sache, sondern nur die gleiche Art etc. zurückzugeben oder abzuliefern;
2) mehrere Versender etc. werden Miteigentümer der ganzen Masse;
3) der Frachtführer etc. kann das Eigenthum an den ihm übergebenen Sachen erlangen;
4) er kann unter Umständen auch berechtigt sein, den blossen Geldwerth zurückzuerstatten.
Die Anwendung dieser sämmtlichen Regeln erfolgt in derselben Weise wie beim Deposit, nach Vertrag oder Handelsgewohnheit. Frachtführer und Schiffer sind speciell genannt, weil bei ihren Gewerbebetrieb diese Geschäfteweise am häufigsten vorkommt. Es können aber auch andere Gewerbtreibende jeder Art sein und überhaupt Privatpersonen ohne Unterschied, und öffentliche Anstalten, da die Grundsätze des Handelsrechts nicht auf den Handelsstand beschränkt sind; auch Commissionäre, Agenten und andere Vertreter, soferne nicht das Eigenthum vermöge des ihnen ertheilten Auftrages von selbst auf sie übergeht.
Auch der Pfandcontract geht in ein Creditverhältniss über, wenn Geld oder andere fungible Sachen als Pfand zur Sicherung einer Forderung übergeben wurden. Der Gläubiger wird nach Art. 680 Eigenthümer und trägt die Gefahr der Sache, die er nur generell zurückzugeben hat, falls seine Forderung anderweitig getilgt wird. Es ist augenscheinlich, dass hierdurch der Schuldner seinerseits Gläubiger des Pfandgläubigers wird, jedoch seine Rückforderung nur nach Auflösung des zwischen Beiden bestehenden Contractes geltend machen kann. Eine dergestalt als Pfand übergebene Summe in Geld oder geldwerthen Sachen wird Caution genannt.
Titel. XI. Versicherung.
Cap 1. Allgemeine Bestimmungen.
Art. 686. Das Versicherungswesen ist ein mehr moderner, aber bereits zu grosser Ausdehnung und Wichtigkeit gelangter Geschäftszweig. Es hat zum Zweck, für Capitalverluste, namentlich soweit sie zufällig oder durch unwiderstehliche Naturereignisse entstehen, Ersatz zu verschaffen. In vielen Fällen des Verlustes oder der Beschädigung ist zwar eine andere Person, welche meist mit dem Beschädigten in Vertragsbeziehungen steht oder sich durch Begehung eines Delictes verantwortlich macht, von selbst und ohne ein hierauf gerichtetes Versprechen zur Leistung einer Entschädigung verpflichtet. Von dieser gesetzlichen Entschädigungspflicht, welche theils nicht in allen Verlust- oder Schadensfällen besteht, und theils auch wo sie besteht, dem Beschädigten vielfach nicht genügen kann, handelt es sich beim Versicherungswesen nicht; sondern der Zweck der Versicherung ist die Begründung einer freiwilligen und für alle Fälle geltenden Ersatzpflicht, welche ein anderes Vertragsverhältniss oder Delict nicht voraussetzt, sondern die Substanz eines selbständigen Contractes bildet. Da jeder Vertrag, um rechtsgültig zu sein, eines Rechtsgrundes bedarf, welcher in der Regel in Leistung und Gegenleistung besteht, so lässt sich die Substanz des Versicherungsvertrages einfach dahin bestimmen, dass der Beschädigte sich einen absoluten Ersatzanspruch durch eine Zahlung dafür erwirbt, mithin gleichsam kauft. Der Versicherer verkauft eine gewisse Entschädigungssumme, die aber nur unter der Bedingung, dass der Verlust oder Schaden wirklich eintritt, ausbezahlt wird, während der Kaufpreis dafür, der hier Prämie heisst, unter allen Umständen entrichtet werden muss. Die Versicherung ist daher wesentlich vom Kauf verschieden, indem bei letzterem der Kaufpreis niemals fällig wird, wenn nicht der Käufer den Kaufgegenstand erhält. Auch darin unterscheidet sich die Versicherung vom Kauf, dass letzterer auf beiden Seiten eine Verschiedenheit des Gegenstandes der Leistung voraussetzt nämlich Geld auf der einen, und eine andere Sache auf der anderen Seite, während bei der Versicherung die Leistung auf beiden Seiten regelmässig nur in Geld besteht. Der Kaufvertrag wurzelt, wie früher gezeigt wurde, ganz in der Gegenwart, während der Versicherungsvertrag sich wesentlich auf die Zukunft bezieht, und mithin gerade die Ungewissheit zu seinen wesentlichen Elementen gehört.
Die Versicherung ist auch dem Credit verwandt, dadurch dass der eine Contrahent dem anderen eine Summe oder eine Anzahl von successiven Zahlungen anvertraut und dessen Gebrauch überlässt, um die Beträge später wieder unter gewissen Voraussetzungen und in einer gewissen Höhe zurückzuerhalten. Allein beim Credit kann der Creditgeber nach seinem freien Belieben zurückfordern, während der Versicherte sein Geld nur beim Eintritt gewisser äusserer Ereignisse zurückerhält. Ausserdem ist beim Credit die Zahlung und Rückzahlung der Regel nach ganz gleich, während der Versicherte unter Umständen weit mehr oder weit weniger zurückerhalten kann, als er dahin gab. Nur die Rentenversicherung gleicht in beiden Beziehungen mehr dem Darlehen, indem der Versicherte hier für ein Capital jährliche Zahlungen erhält, welche einmal die Zinsen und sodann Theile des Capitals enthalten. Allein selbst hier kann der Versicherte weit mehr zurückerhalten, wenn er aussergewöhnlich lange lebt, und weit weniger, wenn er sehr bald nach dem Abschlüsse des Vertrages abstirbt.
Ebensowenig lässt sich der Vertragsinhalt der Versicherung durch andere Contracte, wie z. B. Mandat etc., decken, und dieselbe ist daher als ein besonderer Vertrag zu construiren. Am meisten ist jedoch die Versicherung dem Credit verwandt, und man kann im allgemeinen den Versicherungsvertrag definiren als einen durch Wahrscheinlichkeitsrechnung modificirten Creditvertrag. Dies lässt sich auf folgende Weise erklären.
Der Versicherer ist derjenige, welcher sich zur Ersatzleistung für den wirklich eingetretenen Schaden verpflichtet; der Versicherte derjenige, welchem der Ersatz zu leisten ist. Der Versicherer macht nun dem Versicherten mit der Ersatzsumme kein Geschenk, er gibt ihm keine Unterstützung, etwa aus Rücksichten des Mitleids oder des öffentlichen Wohles, sondern es handelt sich um streng geschäftsmässige Gegen- und beziehungsweise Rückleistung. Der Versicherer verpflichtet sich daher im Grunde nur dazu, dem Versicherten die bereits vorher von ihm erhaltene Ersatzsumme eintretenden Falls wieder zurückzugeben, allein der Betrag, welchen der Versicherte vorher zu entrichten hat, wird durch Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf eine feste, weitaus niedrigere Summe reducirt. Dies kann in verschiedener Weise geschehen.
Angenommen, man hat durch Berechnung gefunden, dass ein Haus in Bezug auf Feuer im Durchschnitt eine 20 jährige Dauer hat, so kann man als wahrscheinlich annehmen, dass jedes Haus nach dem Ablauf von 20 Jahren durch Feuer zerstört werden wird. Gesetzt der Werth eines Hauses beträgt 500 Dollars, so fragt es sich, welche Summe muss der Hausbesitzer erlegen, um nach 20 Jahren, wenn das Haus abbrennen wird, die Summe von 500 Dollars von dem Versicherer ausbezahlt zu erhalten. Angenommen, dass jedes Capital sich durch Zinsen und Zinseszinsen etwa binnen 20 Jahren verdoppelt, würden 250 Dollars Einzahlung genügen, damit der Hausbesitzer nach 20 Jahren 500 Dollars zurückerhalten könnte. Der Versicherer hätte mithin die empfangenen 250 Dollars mit der Verpflichtung erhalten, dafür 500 Dollars zurückzuzahlen, wenn das Haus abbrennen würde. Gesetzt das Haus brennt schon im ersten Jahre ab, so müsste er gleichfalls 500 Dollars Entschädigung leisten, gesetzt das Haus brennt erst nach 30 Jahren oder gar nicht ab, so würden die 500 Dollars erst nach 30 Jahren oder gar nicht fällig. Wie die Summe der Einzahlung durch die Berechnung der Wahrscheinlichkeit sich bestimmt, so hängt die Verpflichtung der Rückzahlung von dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses ab. In allen Fällen ist die Höhe der Einzahlung ausserdem noch dadurch bestimmt, dass der Versicherer seine Kosten decken und einen angemessenen Gewinn machen kann.
Eine andere, noch einfachere Berechnung ist die folgende. Gesetzt man hat berechnet, dass von 100 Häusern durchschnittlich 2 in jedem Jahre abbrennen. Wenn ein Haus 500 Doll. werth ist, ist in jedem Jahre ein Ersatz für 2 Häuser, also im Betrage von 1000 Dollars, zu leisten. Der Versicherer muss sich also in jedem Jahre von 100 Hausbesitzern 1000 Dollars einzahlen lassen, oder jeder Hausbesitzer hat 10 Dollars jährlich zu zahlen, damit er, wenn sein Haus abbrennt, 500 Dollars Ersatz bekommen kann. Die Versicherten bilden dem Versicherer gegenüber gewissermassen eine einheitliche Person, was ja auch in Wirklichkeit der Fall sein könnte. Wenn Jemand 100 Häuser besässe im Gesammtwerth von 50000 Dollars, so müsste er jährlich 1000 Dollars Prämie zahlen, um für den Verlust von je 2 Häusern per Jahr gesichert zu sein. Der Versicherer würde dann nichts weiter thun, als die 1000 Dollars verwalten und eintretenden Falls zurückzuzahlen; dieses Geschäft würde dem Deposit nach Art. 680 nahe stehen.
Man sieht aus diesen Beispielen, dass der Versicherte von dem Versicherer durchaus nichts geschenkt erhält, sondern dass das Geschäft durchaus nur in Leistung und Gegen- oder Rückleistung verläuft. Die Thatsache, dass der Versicherte anscheinend viel weniger zahlt, als er dafür erhält, erklärt sich daraus, dass die Gefahr gewisser Verluste sich erfahrungsmässig stets nur in gewissen Procentsätzen verwirklicht, so dass jeder Einzelne nur in demselben Verhältniss zu zahlen hat, als er für seine Person an der Verlustgefahr betheiligt ist.
Die vorhin gegebenen Beispiele der Wahrscheinlichkeitsberechnung sind nur ganz allgemein und von ungefähr gehalten. Dadurch dass die Versicherung ein besonderer Geschäftszweig wird, liegt es im Interesse der Versicherer, die Natur und die näheren Umstände gewisser Verlustgefahren auf das eingehendste zu studiren, um ganz genau das noch zulässige Minimum der wahrscheinlichen Verlustgefahr des einzelnen Versicherten berechnen zu können, und andererseits die dadurch sich ergebenden Prämien der Theilnehmer derart zu verwalten, dass sie die höchstmöglichen Rückzahlungssummen für die Versicherten zu erzielen. Denn je niedriger eine Prämie ist, und je höher die dafür zu erwartende Verlustentschädigung, desto mehr wird ein Versicherer Kunden an sich ziehen, desto grösseren Gewinn wird er folglich für sich machen.
Aus diesen Berechnungen ergeben sich mit Nothwendigkeit gewisse Grundsätze des Versicherungsbetriebes. Sie bestehen in der Annahme gewisser Regeln der Wahrscheinlichkeit, in deren Anwendung auf die einzelnen Versicherungsobjecte, und in der darauf gestützten Berechnung von Tarifsätzen für die Verpflichtungen des Versicherten einer-, und des Versicherers andererseits. Diese Grundsätze des Versicherungsbetriebs sind an und für sich nichts weiter als gewisse Regeln der Geschäftsführung, wie sie jeder Handelsmann in seinem Geschäftsbetriebe befolgt und müssen ebenso wie diese letzteren in dem freien Ermessen des Versicherers stehen. Hat aber ein Versicherer einmal gewisse Grundsätze durch Berechnung festgestellt und auf Grund deren Contracte abgeschlossen, so darf er sie nicht mehr willkürlich ändern, weil alle Pflichten und Ansprüche der Versicherten auf dieser Berechnung beruhen ; sie müssen daher als Bestandteil des Vertrages angesehen und können nicht einseitig während der Zeitdauer des Vertrages abgeändert werden. Da sich in der Regel die Versicherungsverträge durch einen längeren Zeitraum hinziehen, müssen jene Grundsätze mit grosser Genauigkeit und Umsicht im voraus festgestellt werden. Doch ist dies Sache des Versicherers und des Publicums, und die Erfahrung muss das meiste dabei thun. Die Regierung hat keine Veranlassung, sich im voraus einzumischen und etwa ihre vorherige Genehmigung der Versicherungsstatuten vorzuschreiben; einmal weil es sich im allgemeinen empfiehlt, der Freiheit der Geschäftsführung möglichst wenig nahe zu treten, und sodann weil die Prüfung der Versicherungsgrundsätze nothwendig sachverständige Erfahrung voraussetzt, die unter den betheiligten Geschäftsleuten am meisten vorauszusetzen ist. Gleichwohl kann die Regierung, soweit etwa eine Versicherungsbranche in die öffentliche Verwaltung einschlägt, wie vielleicht bei der Häuserversicherung, nach den Grundsätzen der Gesellschaftsordnung (Art. 69), die Errichtung einer Versicherungsgesellschaft von ihrer vorherigen Genehmigung abhängig machen, und in § 6 dieses Titels sind nach dem Vorgange der neueren, insbesondere der Englischen Gesetzgebung diejenigen Bestimmungen zusammengestellt, welche zum Zweck der Beschützung des Publicums vor leichtsinniger oder betrügerischer Geschäftsführung zuträglich erscheinen.
In der neueren Gesetzgebung, so in England und Frankreich, ist die Begründung von Versicherungsgesellschaften unabhängig von der Genehmigung der Regierung, und nur ausländische Gesellschaften sind insoferne beschränkt, als sie sich der einheimischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit unterwerfen müssen. In Deutschland ist zwar das Versicherungsgeschäft nach der Gewerbeordnung von 1869 § 6 von der allgemeinen Freiheit des Gewerbebetriebes ausgenommen; einer förmlichen Concession ist jedoch mehr nur der Betrieb der Feuerversicherung unterworfen, hauptsächlich um den meist bestehenden öffentlichen Feuerversicherungen gewisse Privilegien zu sichern. Eine Bedingung der Zulassung ausländischer Gesellschaften ist hier gleichfalls die Unterwerfung unter die einheimische Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, und die Genehmigung der Versieherungsgrundsätze oder Statuten. Sollten dergleichen Bestimmungen in Japan nothwendig werden, was erst mit der Regelung der internationalen Jurisdictionsverhältnisse der Fall sein kann, so müsste dies durch besondere Gesetze oder Verträge geschehen. Die Aufnahme von dergleichen Bestimmungen in das Handelsgesetzbuch empfiehlt sich nicht und ist auch durch den Vorgang keiner anderen Gesetzgebung geboten.
Es bleibt nun noch übrig, die juristischen Elemente des Versicherungsvertrages kurz und klar darzulegen. Diese sind :
1) die Personen. Zu jedem Vertrag gehört ein Versicherer, welcher die Entschädigung verspricht, und ein Versicherter, welchem die Entschädigung versprochen wird. Letztere Person kann sich aber spalten, nach dem allgemeinen Princip, dass man auch Verträge zu Gunsten dritter Personen abschliessen kann; insoferne ist zu unterscheiden der Versicherungsnehmer, welcher den Vertrag abschliesst, und der Versicherte, welcher die Ansprüche aus dem Vertrag erwerben soll. Dass der Vertrag auf beiden Seiten auch durch Stellvertreter abgeschlossen werden kann, wird hier nicht weiter berührt;
2) der Gegenstand des Vertrages ist immer ein Vermögensinteresse, in Bezug auf welches der Versicherte vor Verlust gesichert werden soll. Dieses Interesse, dessen Natur in Art. 688 erklärt ist, kann an Sachen oder an Personen haften, und insoferne spricht man von Versicherungsgegenständen in diesem Sinne. Man kann ein Haus, das Leben einer Person versichern, in Wirklichkeit ist aber immer nur das Vermögensinteresse versichert, welches man an dem Hause etc. hat. Ein anderes als ein wirklich vorhandenes Vermögensinteresse kann nicht versichert werden, z. B. nicht das Affectionsinteresse, eine Gewinnhoffnung u. dgl;
3) die Bedrohung dieses Interesses durch eine äussere Gefahr, deren Eintritt entweder absolut oder relativ, so namentlich der Zeit nach ungewiss ist. Daher ist auch der Tod ein ungewisses Ereigniss, weil Niemand weiss, wann er sterben wird. Wo keine solche Gefahr besteht, oder wo man den Verlust etc. nicht als ungewiss ansehen kann, oder wenn man die Gefahr freiwillig herbeiführt, kann keine gültige Versicherung stattfinden. Die Gefahr ist also immer zu verstehen als ein ungewisses Ereigniss, durch dessen Eintritt das Vermögen vermindert wird; meist in der Zukunft, ausnahmsweise aber auch in der Vergangenheit oder Gegenwart. Gegen eine Gefahr, die niemals, oder gewiss eintreten wird, kann nicht versichert werden; denn im ersten Falle würde es an der Gegenleistung, im zweiten Falle an der Anwendbarkeit der Wahrscheinlichkeit fehlen; in beiden Fällen wäre kein hinreichender Rechtsgrund vorhanden. Es besteht jedoch in dieser Beziehung ein Unterschied zwischen der Sach- oder Eigenthums-, und der Lebensversicherung. Denn der Tod ist jedem Menschen gewiss, während Sachen zwar auch meist nur eine begrenzte Existenz haben, aber doch nicht nothwendig von der Gefahr befallen werden müssen, gegen welche die Versicherung stattfindet. Auch ist mit dem Tode nicht immer ein nachweisbares Vermögensinteresse verknüpft. Dieser Unterschied bewirkt, dass die Lebensversicherung nicht lediglich als eine Gefahrversicherung construirt wird, sondern zugleich als eine auf Ersparung gerichtete Capitalanlage. Andererseits ist das Moment der Gefahr und der Ungewissheit bei der Sachversicherung nicht in höherem Grade vorhanden, als bei der Lebensversicherung, sobald man sich auf den Boden des durchschnittlichen Massstabes stellt. Denn es ist im Grunde ganz dasselbe Verhältniss, wenn von 100 Häusern per Jahr etwa 2 abbrennen, als wenn von 100 Personen etwa 2-3 absterben, aber Niemand weist im voraus, welche Personen der Tod, oder welche Häuser der Brand befallen wird. Im durchschnittlichen Sinne und in practischer Beziehung auf die einzelnen Versicherungsperioden ist also auch der Tod ein ungewisses Ereigniss, nicht blos wann, sonderen auch ob es eintreten wird.
4) Leistung und Gegenleistung. Die Leistung des Versicherten besteht in der Zahlung der Prämie an den Versicherer, die gleichsam den Kaufpreis seiner Versicherung bildet. Die Prämie kann in einer einmaligen Capitalzahlung, oder in jährlichen Beiträgen bestehen; ersteres ist häufig der Fall, wenn die Versicherung auf längere Zeit genommen wird; letzteres meist bei der Versicherung von Jahr zu Jahr. Die Prämien bilden den Fond, aus welchem die Entschädigung geleistet wird; ihre geeignete Verwaltung im Interesse der Versicherten gehört daher zu den Verpflichtungen des Versicherers, und der Versicherungsvertrag ist hierin wesentlich vom Creditvertrag verschieden.
Die Gegenleistung des Versicherers besteht in der Leistung des Ersatzes, wenn ein Schaden stattgefunden hat. Es gehört zu den entscheidenden Principien der Versicherung, dass diese Leistung stets nur eine wirkliche Entschädigung sein, also niemals höher sein darf, als der Betrag der durch das Ereigniss herbeigeführten Vermögensminderung. Daher ist jede Versicherung über diesen Betrag hinaus ungültig, und das ganze Versicherungsrecht ist darauf angelegt, die Versicherung nicht in blosse Wette oder Spiel auf Gewinn ausarten zu lassen. Denn der Spielgewinn ist an sich nicht blos moralisch bedenklicher Natur, sondern auch gemeinschädlich, da er den ehrlichen und mühsamen Erwerb durch Arbeit und Fleiss verdrängt. Könnte man durch Versicherung neues Vermögen gewinnen oder bereits vorhandenes beliebig vergrössern, so würde die Versicherung entweder zur Lotterie, oder die Verlustgefahren würden absichtlich herbeigefüht, und die Unsicherheit des Lebens und des Eigenthums ins ungemessene gesteigert. Daher gehört zu jeder rechtmässigen Versicherung nicht blos die Ungewissheit der Gefahr, die vernünftiger Weise jeder zu vermeiden und abzuwenden sucht, sondern auch die genaue Kenntniss des thatsächlichen Umfanges der Gefahr für jeden Versicherten, sowohl hinsichtlich der Grösse des möglichen Schadens, als auch hinsichtlich der grösseren oder geringeren Nähe der Gefahr, wesshalb z. B. bei der Lebensversicherung das Alter und der Gesundheitszustand, und bei der Feuerversicherung die Umstände der thatsächlichen Feuersgefahr genau anzugeben sind. Denn es wäre offenbar verkehrt, wenn z. B. ein Mann im letzten Stadium der Schwindsucht ganz gleich mit einem Manne versichert werden könnte, der aller Wahrscheinlichkeit nach noch 30 Jahre zu leben hat. Der erstere oder seine Erben würden auf Kosten des Versicherers einen enormen Gewinn machen, wenn sein Tod dieselbe Summe einbringen könnte wie dem letzteren, der noch 30 Jahre und länger Prämien einzahlen muss. Daher sind falsche Angaben und dergleichen, welche auf die Beurtheilung der Verlustgefahr von Einfluss sind, bei diesem Vertrage besonders strenge zu behandeln, da sie eines der wesentlichen Elemente des Vertrages bedingen. Daher muss der Richter jeden Versicherungscontract für ungültig erklären, bei dem es nur auf unehrlichen Spielgewinn abgesehen ist, oder welcher selbst ohne vorheriges Wissen der Parteien diesen Effect haben würde.
Die Versicherung hat einfach den Zweck, das factische Interesse an Entschädigung, das Jedermann hat, dessen Vermögen zerstört oder beschädigt werden kann, in ein rechtliches Interesse zu ver wandeln. Dieses rechtliche Interesse, das mit dem Anspruch wegen absichtlicher oder fahrlässiger Verletzung durch Andere nicht verwechselt werden muss, darf mit den allgemeinen Principien des Rechtes nicht im Widerspruch stehen, welche es verbieten, dass sich Jemand grundlos aus dem Vermögen eines Anderen bereichere.
Abgesehen von der Seeversicherung, ist das Versicherungswesen neueren Ursprungs und erst in diesem Jahrhundert ausgebildet worden. Dadurch erklärt es sich, dass die älteren Gesetzbücher meist nur von der Seeversicherung handeln, und über die anderen Zweige der Versicherung, obgleich sie mindestens ebenso wichtig sind, wie diese, nichts enthalten. So schon der Französ. Code de commerce, das Deutsche H. G. Buch und die übrigen dem ersteren nachgebildeten Gesetzbücher. Nur das Holländische H. G. Buch von 1838 enthält bereits das vollständige Versicherungswesen in seinen wichtigsten Zweigen auch zu Lande, nämlich in Titel 9 und 10 des ersten und in Titel 10 des zweiten Buches. Das Spanische H. G. Buch von 1829 hat in Titel 8 des zweiten Buches wenigstens einen Abschnitt über Versicherung des Landtransportes. Dem Belgischen H. G. Buch von 1807 ist durch Gesetz vom 11. Juni 1874 ein Abschnitt über Versicherungswesen, nach dem Muster des Holländischen, hinzugefügt worden. Im übrigen wurde bisher, abgesehen von Specialgesetzen, wie z. B. in England über Lebensversicherung, das Versicherungswesen juristisch durch passende Anwendung und Modification der Grundsätze der Seeversicherung, und durch Interpretation der manchfachen Statuten der Versicherungsgesellschaften construirt.
Art. 687. An und für sich kann gegen jede Gefahr, welche die zu dem vorhergehenden Artikel erörterten Eigenschaften hat, Versicherung übernommen werden, unter der Voraussetzung, dass ihr Eintreten eine sichere Wahrscheinlichkeitsberechnung und die Anwendung eines genügenden Durchschnittsmassstabes zulässt. Am häufigsten ist in Europa und Amerika die Feuerversicherung von Mobilien und Immobilien, die Hagelversicherung von Bodenfrüchten, die Versicherung des Viehstandes gegen Krankheiten, die Versicherung von Forderungen und die Rückversicherung, d. h. die Versicherung des Versicherers selbst gegen Verluste in seinem Geschäfte; ferner die verschiedenen Zweige der Lebens-, Alters-, Unfalls-, und Rentenversicherung. Es wurden die zur Zeit allgemein in Uebung stehenden Zweige der Versicherung ausdrücklich und besonders behandelt, um für das in Japan zur Zeit verhältnissmässig noch neue Versicherungswesen eine vollständige rechtliche Grundlage zu geben. Sollten sich im Laufe der Zeit noch andere Versicherungszweige bilden, so würden sie stets nach den allgemeinen Grundsätzen des Versicherungswesens zu behandeln sein, mit speciellen Modificationen je nach der speciellen Natur ihres Gegenstandes. Die Seeversicherung wird dem im II. Buche zu behandelnden Seerechte vorbehalten, da hier in mancher Beziehung, so hinsichtlich der Havarie und des Abandon, Abweichungen vorkommen, obwohl im Ganzen und Grossen die allgemeinen Principien der Versicherung auch für die Seeversicherung gelten.
Art. 688. Es ist ein anerkannter Cardinalsatz im Versicherungswesen, dass nur derjenige versichern kann, der ein rechtlich begründetes Interesse an dem versicherten Gegenstand hat. Dieses Interesse ist das eigentliche Object der Versicherung, der versicherte Gegenstand, z. B. ein Haus, Mobiliar, das Leben einer Person, ist nur der äussere Träger desselben. Das Interesse wird in demselben Verhältniss verletzt, als der Gegenstand der Versicherung zerstört oder beschädigt wird; der Schaden, für welchen man sich Entschädigung sichert, kann immer nur in dem Verluste oder der Beschädigung der versicherten Sache bestehen, er muss also immer in einer in Geld abzuschätzenden Vermögensverminderung bestehen.
Welcher Art das zu sichernde Interesse ist, macht keinen Unterschied. Am häufigsten ist das Interesse des Eigenthümers, und diesem steht gleich das Interesse des Gläubigers an einer Forderung. Man kann aber auch als Pächter, Nutzniesser oder Miether versichern, oder als Hypothek- oder Pfandgläubiger. Ferner kann man als Depositar die deponirten Gegenstände versichern, weil man kraft rechtlicher Verpflichtung ein Interesse daran hat, sie selbst oder wenigstens deren Werth dem Deponenten zurückerstatten zu können, oder als Frachtführer die Frachtgegenstände u. s. w.
Es mag unter Umständen schwierig sein, das Interesse des Versicherten an dem Versicherungsgegenstande zu bestimmen, zumal wenn die Versicherung nicht im fremden, sondern im eigenen Interesse erfolgt. Wenn z. B. der Miether eines Hauses dieses für Rechnung des Eigenthümers oder Vermiethers versichert, so hat die Frage keine Schwierigkeit; denn in diesem Falle ist das Interesse des Eigenthümers versichert, und die Versicherungskosten, welche der Miether bestreitet, bilden einen Theil seines Miethgeldes. Wenn aber der Miether oder Pächter ein Gebäude für sich selbst versichert, so scheint hier das Interesse zu fehlen, weil der Mieth- oder Pachtcontract durch den Untergang der Sache sich endigt und der Miether oder Pächter keinen anderen Verlust erleidet, als die Unterbrechung oder Endigung seines Benutzungsrechtes. Allein sein Interesse kann immerhin daran bestehen, dass das Gebäude wieder aufgebaut oder reparirt werde, damit der Mieth- oder Pachtcontract fortgesetzt werden kann, obgleich das wiederhergestellte Gebäude nicht ihm, sondern dem Eigenthümer gehört. Und es macht hiebei keinen Unterschied, dass der Miethcontract später sich endigen kann, weil so lange er dauert, das Haus zu seiner Verfügung steht und er ein Interesse hat, dass diese Verfügung dem vollen Umfange nach wiederhergestellt werde. Würde aber der Miether während des Laufes der Versicherung den Miethcontract aufheben, so wäre sein Interesse an dem Hause erloschen und folglich die Versicherung für ihn gegenstandslos geworden.
Wenn ein Nutzniesser versichert, so besteht sein Interesse in dem ungeschmälerten Fortgenuss des Nutzens und der Früchte aus dem versicherten Objecte, und ist mithin gleich dem Werthe des letzteren. Brennt das Haus ab, so ist sein Nutzniessungsrecht erloschen, es geht aber auf die Versicherungssumme über, deren Zinsen ihm verbleiben müssen für die Zeit, während welcher ohne den Brand der Nutzgenuss gedauert hätte; und es macht keinen Unterschied, dass er nach dem Ende des Nutzgenusses diese Summe an den Eigenthümer zurückgeben muss.
Die Versicherung ist auch für diejenigen Personen wichtig, welche zur Aushändigung oder Zurückerstattung einer Sache an den Eigenthümer etc. verpflichtet sind und deren Haftung für etwaigen Verlust vom Gesetz sehr strenge normirt ist. Solche Personen müssten in den meisten Fällen den etwaigen Schaden aus eigenen Mitteln ersetzen, durch Versicherung können sie diesen Schaden für sich selbst auf die Kosten der Versicherung begrenzen.
Art. 689. Die Versicherung kann für eigene oder fremde Rechnung, d. h. für ein eigenes oder ein fremdes Interesse erfolgen. Letzteres folgt einfach daraus, dass man nach Handelsrecht (Art. 350) auch Verträge schliessen kann, durch welche dritte Personen Gläubiger werden. Aus dem Versicherungsvertrag kann Niemand Gläubiger werden, der kein Interesse an dem Versicherungsobject hat; ohne solches ist mithin die Versicherung für fremde Rechnung ungültig. Und zwar muss das Interesse schon im Zeitpunkt des Abschlusses vorhanden sein, nicht etwa später erst möglicher Weise entstehen; ausgenommen wenn die Versicherung unter dieser Bedingung abgeschlossen wird, oder zunächst für den Versicherungsnehmer und sodann für seine etwaigen Rechtsnachfolger. Derjenige, in dessen Interesse die Versicherung genommen wird, braucht nicht mit Namen oder sonst bezeichnet zu werden, es genügt die Bezeichnung „für Rechnung wen es angeht oder später angehen wird” oder eine ähnliche Angabe. Ist keine solche Erwähnung eines fremden Interesses gemacht, so wird angenommen, dass der Versicherungsnehmer für sich selbst versichert. Es kommt auch vor, dass eine Versicherung vorläufig von einem Agenten etc. in blanco genommen und die Declaration des Interesses erst später von dem Versicherten hinzugefügt wird; in diesem Falle ist aber die Versicherung nur gültig, wenn die spätere Declaration mit der Police übereinstimmt, und wenn das Interesse seinen Anfang genommen hat.
Die Versicherung für Rechnung eines Dritten setzt dessen Auftrag oder Genehmigung, ja selbst dessen Vorwissen hievon oder späteren Beitrift zum Vertrag keineswegs voraus, was die Gültigkeit derselben gegenüber dem Versicherer betrifft. Die Versicherung für Andere kann sehr wohl im eigenen Interesse des Versicherungsnehmers erfolgen, so z. B. wenn ein Commissionär oder Pfandgläubiger versichert, oder ein Verkäufer für seinen künftigen Käufer u. dgl. Dagegen hängt von der Thatsache eines Auftrags etc. der etwaige Anspruch auf Ersatz der Versicherungskosten ab, doch ist dies eine weder den Versicherer noch die Gültigkeit der Versicherung betreffende Frage. Auch die specielle Anzeige an den Versicherer von dem Mangel eines Auftrages zur Versicherung, wie sie z. B. im D. H. G. B. Art. 786 vorgeschrieben ist, erscheint nicht erforderlich. Allerdings ist derjenige, welcher für einen Dritten ohne dessen Auftrag versichert, insoferne in einer besonderen Lage, als er vielleicht nicht die nöthigen Informationen besitzt, um alle zu einer gültigen Versicherung nöthigen Angaben machen zu können, mit einem Worte er befindet sich anscheinend in geringerem Grade der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit. Allein von seiner Glaubwürdigkeit ist die Gültigkeit der Versicherung überhaupt nicht abhängig, sondern nur von der Wahrheit und Vollständigkeit seiner Angaben in Bezug auf die von ihm bewirkte Versicherung. Daher geht das Geschäft nicht auf Gefahr des Versicherers, sondern des Versicherungsnehmers, und man kann es diesem letzteren überlassen, durch Vollständigkeit und Genauigkeit der Angaben die Wirksamkeit der Versicherung herbeizuführen.
Art. 690. In diesem Artikel wird die Frage beantwortet, wonach das Interesse des Versicherten dem Umfange nach zu bemessen sei, und die Antwort ist: in der Regel nach dem Werthe des versicherten Gegenstandes. Wer also ein Haus versichert, oder den Inhalt eines Waarenlagers, oder eine Hauseinrichtung u. s. f., der wird immer kein höheres Interesse haben, als dass ihm der Werth dieser verschiedenen Gegenstände wiedererstattet werde, wenn dieselben durch Feuer oder sonst wie zerstört werden, oder soviel von diesem Werthe, als davon durch den Eintritt der Gefahr verloren gegangen ist. Der Werth der Versicherungsgegenstände bildet also die Grenze, oder das Maximum des Versicherungsinteresses, und für mehr als dieser Werth beträgt, kann ihm niemals Ersatz geleistet werden. Was darüber hinausginge, wäre nicht mehr Entschädigung, sondern reiner Gewinn, und dieser soll nach den Bemerkungen zu Art. 686 von der Versicherung strenge ausgeschlossen werden.
Dieser Grundsatz gilt jedoch nur als gewöhnliche Regel, Ausnahmen hievon sind hiebei nicht ausgeschlossen. Es kann also auch ein anderes, über den blossen Werth des Versicherungsgegenstandes hinausgehendes Interesse versichert werden; so namentlich: 1, der Schaden, welcher durch die Unterbrechung der Benützung eines zerstörten Hauses etc., insbesondere Gewerbtreibenden entstehen kann, sowohl durch die Kosten einer Interimswohnung, als auch durch Minderung der Geschäftseinnahmen; 2, der imaginaire Gewinn, den man durch den Gebrauch oder Verkauf der Versicherungsgegenstände zu machen hofft, und nun durch deren Untergang verloren hat. Im älteren Handelsrechte, so noch im Code de comm. Art. 347, war die Versicherung des Gewinns ungültig; die neuere Gesetzgebung, so das Deutsche H.G. B. Art. 783, hat ihn für den Seehandel zugelassen, ebenso im Holländischen H. G. B. Art. 593. Auch nach Englischem Rechte können beide Arten des weiteren Schadens versichert werden, Smith merc. law p. 333.405. Der Entwurf stellt sich in dieser Beziehung auf die Seite der neueren Gesetzgebung, und verlangt, wie dies auch sonst gebräuchlich ist, die besondere Versicherung solchen weiteren Schadens, wovon die Folge sein wird, dass dafür auch eine besondere Prämie zu entrichten ist. Ist mithin nur ein Haus schlechthin versichert, so kann man nicht mehr erhalten als höchstens den Werth desselben; will man sich einen weiteren Ersatz sichern, dann muss dies ausdrücklich geschehen, und es wird dann auch in Wirklichkeit mehr eine besondere Sache, nämlich der Gewerbsertrag etc. versichert. Eine besondere Beschränkung solcher exceptionellen Versicherung etwa dem Gegenstände oder der Höhe nach erschien nicht nothwendig, und kann man die Regulirung solcher Dinge dem Handelsgebrauch und der freien vertragsmässigen Einigung überlassen.
Art. 691. Der Werth der versicherten Sachen für den Versicherten ist verschieden, je nachdem dieser sie selbst gebrauchen oder damit Handel treiben will; Sachen der ersteren Art sind in der Regel nach dem Detail — Einkaufspreise, Sachen der letzteren nach dem Engros — Einkaufspreise zu taxiren. Wird eine Maschine durch Feuer zerstört oder beschädigt, so muss der Besitzer eine neue anschaffen, oder die alte wiederherstellen lassen; die ihm dadurch verursachten Kosten bilden den ihm durch das Feuer zugefügten Schaden. Verbrennen Handelswaaren, die zum Verkauf bestimmt waren, so verliert der Besitzer die Summe, die er beim Verkauf hätte realisiren können, wenn der Gewinn mitversichert wird, ausserdem das was er für die Waare selbst bezahlt hat. Hiezu treten aber noch gewisse Nebenkosten: 1, die Versicherungskosten ; 2, andere specielle Schutzkosten, z. B. Lagergelder, Feuerlöschbeiträge; 3, endlich die Fracht- und andere Kosten, soweit sie nicht bereits in den Marktpreis miteingerechnet sind. Ob in dem Marktpreis am Ort des Verlustes die so eben aufgezählten Nebenkosten bereits mit enthalten sind, oder noch besonders daneben berechnet werden dürfen, wird nach den Umständen zu beurtheilen sein. Als Princip kann nur das aufgestellt werden, dass alle Auslagen, die der Versicherte auf die Waare machte, und die er nun durch den Verlust der Sache verliert, sein Schadensinteresse bilden. Dagegen nicht auch von selbst der gehoffte Gewinn beim Verkauf, da dieser besonders versichert werden müsste, und von dem Versicherten noch nicht verdient ist, wenn der Brand vor dem Verkauf stattfindet. Auch ist es rathsam, der Versuchung absichtlicher Brandstiftung dadurch entgegenzuwirken, dass man den Besitzer den gehofften Verkaufsgewinn ohne ausdrückliche Versicherung verlieren lässt.
Die so eben dargestellten Principien machen keine Schwierigkeit, wenn sich die versicherte Sache fortwährend an demselben Orte befindet, wo sie versichert wird. Dagegen wird die Frage verwickelter bei Transportgegenständen, die den Aufenthalt wechseln, und hier kann man in der Hauptsache nur zwischen dem Werth am Abgangs- und am Bestimmungsorte wählen, da der Ort, wo der Unfall etwa unterwegs stattfindet, zu zufälliger Natur ist, als dass er bei der Schadensermittlung zu berücksichtigen wäre. Die Regel ist für alle Gesetzgebungen, dass hier immer der Werth am Abgangsorte mit Einrechnung gewisser Nebenkosten zu Grunde zu legen ist, da der Werth am Bestimmungsorte zu unbestimmt ist und den imaginären Gewinn schon mit einschliesst. S. Lewis, Deutsches Seerecht II. p. 225. Der Entwurf folgt der gleichen Meinung, doch ist am gehörigen Orte darüber specielle Bestimmung getroffen (Art. 738).
Ueber den Werth des Lebens und der Gesundheit wird weder in diesem Artikel noch überhaupt etwas vorgeschrieben, vielmehr bleibt hier die Höhe des Versicherungsbetrages den Betheiligten, und zwar dem Versicherten überlassen, und dieser Betrag ist nach Art. 694 allein für die Verpflichtung des Versicherers massgebend. Dies ist ein von allen Gesetzgebungen anerkannter Grundsatz, einmal weil man annimmt, dass die Lebensversicherung zugleich die Natur einer Sparanlage, also mehr einen reinen Credit—Character hat, und sodann, weil es für den Werth des persönlichen Lebens etc. überhaupt keinen äusseren Massstab gibt und Jeder die Freiheit haben muss, das an sein Leben etc. geknüpfte Vermögensinteresse selbst zu taxiren.
Die Werthbestimmung von Sachen hängt hauptsächlich auch davon ab, ob sie neu oder alt sind; alte, schon gebrauchte und abgenützte oder veraltete Sachen sind selbstverständlich weniger werth als neue. Strenge genommen müsste man nach dem Princip, dass der Versicherte sich nicht durch die Versicherung bereichern soll, nur den Werth gelten lassen, den die Sachen wirklich hatten zur Zeit ihres Verlustes oder ihrer Beschädigung. Bei der Seeversicherung geschieht dies einigermassen dadurch, dass man gewöhnlich auf den Unterschied von neu und alt ein Viertel des Werthes in Abzug bringt, die Bestimmung hierüber bleibt dem Abschnitt über Seeversicherung Vorbehalten. Bei der Landversicherung kommt dieser Unterschied hauptsächlich nur vor bei zum Gebrauch bestimmten Sachen, da Handelswaaren entweder nur neu in den Handel kommen, oder sich doch ihr Marktpreis von selbst nach ihrer Qualität bestimmt. Die Waaren eines Trödlers sind meist schon gebraucht, aber ihr Handelswerth ist eben hiedurch von selbst geringer, als der von neuen Sachen, oder aber auch höher, wenn das Alter einen Einfluss auf ihren Preis hat, wie bei Antiquitäten, Curiositäten. In Bezug auf Gebrauchsgegenstände unterscheidet nun der Entwurf zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen, und bestimmt, dass bei ersteren ein Unterschied zwischen neu und alt nicht gemacht werden soll, woraus folgt, dass solche Gegenstände in allen Fällen wie neue versichert werden können. Die Gründe hiefür sind: 1, der Unterschied zwischen alten und neuen Sachen ist hier überhaupt für den absoluten Betrag meist nicht bedeutend; 2, solche Sachen werden meist als neu versichert, und es erscheint unbillig, dass der Versicherte, nachdem er vielleicht längere Zeit hindurch die Versicherung fortsetzte und die Prämie bezahlte, nur den geringeren Werth erhalten soll, den die Sachen nach mehrjährigem Gebrauche noch besitzen, da dann auch mit jedem folgenden Jahre die Prämie herabgesetzt werden müsste; 3, Zweck der Versicherung ist der Ersatz des wirklichen Schadens, den der Versicherte erleidet; dieser besteht aber für ihn in den Kosten, die er für Neuanschaffung oder Reparatur aufwenden muss, und in der Regel richten sich diese Kosten nach dem Preise neuer Sachen; 4, ohnehin werden bewegliche Sachen schneller verbraucht und wieder neu angeschafft, so namentlich Wäsche, Kleidung, auch Möbeln etc.; da es nun ganz zufälligist, in welchem Zeitpunkt etwa ein Brand ausbricht, so lässt sich auch nicht im voraus sagen, wer dabei etwa gewinnt, der Versicherer oder der Versicherte, und es empfiehlt sich, um kleinlichen Streitigkeiten vorzubeugen, diesen Unterschied überhaupt nicht zu berücksichtigen. Diese Gründe werden für die Mehrzahl der Fälle als ausschlaggebend anzuerkennen sein ; es bleibt jedoch den Parteien vorbehalten, für besondere Fälle eine ausdrückliche Verabredung des Gegentheils in den Vertrag aufzunehmen.
Für unbewegliche Sachen, wie namentlich Gebäude, trifft der Entwurf keine Bestimmung; für sie bleibt es mithin bei der allgemeinen Regel, dass sie nur zu ihrem wirklichen Werthe im Zeitpunkt der Versicherung versichert werden können. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass die vorhin angeführten Gründe hier keine richtige Anwendung finden würden. Nur entspricht es auch hier der Billigkeit, dass die etwaige Werthverminderung in der Zeit von dem Abschluss der Versicherung bis zum Eintritt des Verlustes nicht berücksichtigt wird, denn es würde ungerecht sein, wenn etwa der Versicherte, nachdem er vielleicht 20 Jahre lang die Prämie für ein neues und gutes Haus bezahlte, schliesslich mit dem Ersatze für ein altes und abgenütztes Haus vorlieb nehmen müsste. Gegen diese Unbilligkeit schützt die Bestimmung des folgenden Artikels wenigstens dann, wenn der Werth in den Vertrag aufgenommen wurde. Der Versicherte muss also soviel erhalten, dass er das Haus etc., so wie es im Zeitpunkt der Versicherung war, nach dem Brande wieder aufbauen kann; allein diese Kosten bestimmen sich nach der Zeit und dem Ort des wirklich eingetretenen Schadens. Es kann also vorkommen, dass ein Haas welches zuerst 500 D. kostete, jetzt nur 400 D. kostet; dann erhält der Versicherte die Summe von 400 D. als Ersatz, wenngleich in der Zwischenzeit dasselbe etwa durch Bewohnen etc. weniger werth geworden wäre.
Art. 692. Man pflegt zwischen offener und taxirter Police oder Versicherung zu unterscheidende nachdem der Versicherungsbetrag beim Abschluss offen gelassen oder fixirt wurde: der offenen Police steht gleich die vorläufig taxirte, bei welcher die spätere Festsetzung des Versicherungswerthes Vorbehalten bleibt. Weitaus häufiger und empfehlenswerther ist die taxirte Police, damit der Versicherte im voraus weiss, auf welche Entschädigungssumme er sicher rechnen kann. Da dies der Zweck der Aufnahme einer Werthtaxe in den Vertrag ist, so muss dieselbe auch der Regel nach für beide Theile bindend sein; und es kann später weder der Versicherte einen höheren Werth in Anspruch nehmen, noch der Versicherer den taxirten Werth als zu hoch anfechten. Ueber ersteres ist man allgemein einig. Dagegen ist das letztere vielfach bestritten. Nach dem Holländ. H. G. B, Art. 274 und 275 kann der Versicherer in allen Fällen zum Beweis einer etwaigen Ueberschätzung zugelassen, ja sogar der Versicherte bei vorliegendem Verdachte zum Beweis des von ihm behaupteten Werthes angehalten werden, und die Taxe ist, wie auch nach dem Belgischen Gesetz von 1874 Art. 20, für beide Theile nur bindend, wenn sie auf vorheriger Abschätzung der Sache durch Sachverständige beruht. Nach dem Deutschen. H. G. B. Art. 797 betreffend Seeversicherung kann der Versicherer eine Herabsetzung der Taxe verlangen, wenn er beweist, dass dieselbe erheblich übersetzt sei. Diese Bestimmungen wurden getroffen gemäss dem Princip, dass der Versicherte sich nicht über den Betrag seines wirklichen Schadens hinaus bereichern soll. Dieses Princip ist zwar richtig, es darf aber nicht allzu strenge und zum Nachtheil des Versicherten angewendet werden. Es ist für den Versicherten vom grössten Werth, zu wissen, auf welchen Ersatz er rechnen kann; er zahlt in Gemässheit des taxirten Werthes seine Prämie; und es kann später, wenn die Sache oft nicht mehr exsitirt, äusserst schwer, ja unmöglich sein, den wirklichen Werth nachzuweisen. Er wäre daher allen möglichen Chicanen ausgesetzt und könnte ihm der Zweck der Versicherung vereitelt werden, wenn der Versicherer ohne weiteres zur späteren Anfechtung der Taxe zugelassen würde. Der Entwurf bestimmt daher, in Uebereinstimmung mit der coulanten Praxis aller soliden Versicherungsgesellschaften, dass. die Taxe für beide Theile bindend ist, wenn sie vertragsmässig, d. h. durch beiderseitiges Einverständniss, oder durch sachverständige Schätzung bestimmt worden ist; ersteres ist dann anzunehmen, wenn die Taxe in die Police aufgenommen worden ist. Setzt der Versicherer in die Werthangabe des Versicherten Zweifel, so kann er die Gegenstände in Augenschein nehmen und sich ihren Werth darlegen lassen; thut er dies nicht, dann tritt er durch den Vertrag der Schätzung des Versicherten bei und bindet sich hiedurch, wie durch jeden anderen Vertrag. Aus ähnlichen Gründen kann auch ein Kaufvertrag, nachdem der Preis verabredet, nicht mehr einseitig vom Käufer als zu hoch angefochten werden. S. auch Code de comm. Art. 358. In der Regel werden die Sachen etwas hoher taxirt, damit man sich unter allen Umständen ihre Wiederanschaffung sichern kann. Diese Praxis wird auch von den Versicherern stillschweigend geduldet und sie haben davon keinen Nachtheil, eher Vortheil, da sie eine verhältnissmässig höhere Prämie dafür beziehen. Würde der Versicherte, um den Vortheil einer hohen Taxe zu realisiren, etwa absichtlich Feuer legen, so wäre ohnehin die Ungültigkeit der Versicherung die unausbleibliche Folge davon.
Nur dann ist nach dem Entwurf die Taxe unverbindlich, wenn der Versicherte Betrug verübte d. h. wissentlich und absichtlich, um auf Kosten des Versicherers einen unredlichen Gewinn zu machen, einen zu hohen Werth ansetzte, auch wenn der Versicherer zustimmte, oder wenn er etwa den sachverständigen Schätzer bestach u. dgl. Dies folgt aus der allgemeinen Regel, dass Verträge in allen Fällen wegen Betrugs angefochten werden können. Dann muss jedoch der Versicherer die Thatsache des Betruges beweisen; der Beweis der Ueberschätzung würde für sich allein nicht genügen. Jedoch wird in der Praxis jede erhebliche Ueberschätzung dem absichtlichen Betrüge gleichgestellt, weil darin eine Verletzung der Natur der Versicherung liegt. Bedarride III. Nr. 1106. 1107. Alauzet VI. Nr. 2062.
Art. 693. Eine Forderung kann mittelbar versichert werden, und zwar entweder vom Gläubiger oder vom Schuldner, durch Versicherung eines Gegenstandes, welcher dem Gläubiger als Sicherheit für seine Forderung dienen soll, z. B. durch Versicherung eines Pfandes, oder des Lebens des Schuldners. Die eigentliche Versicherung einer Forderung liegt aber dann vor, wenn der Gläubiger seinen Anspruch an den Schuldner direct zum Gegenstand der Versicherung macht, also der Versicherer sich verpflichtet, dem Gläubiger die Forderung zu bezahlen an Stelle des Schuldners, nachdem dieser hiezu unfähig geworden ist. In allen Fällen bestimmt sich das Versicherungsinteresse des Gläubigers nicht blos durch den Betrag der Hauptschuld, sondern auch der Nebenbeträge, welche dem Gläubiger verloren gehen, also namentlich der rückständigen Zinsen, der Versicherungskosten, der Prozesskosten und anderer Eintreibungskosten, soweit dieselben dem Gläubiger erwachsen sind. Was etwa der Schuldner hievon theilweise bezahlte, ist an dem von dem Versicherer zu leistenden Betrage abzuziehen.
Was nun die Verpflichtung des Versicherers einer Forderung betrifft, so lässt sich diese verschieden beurtheilen. Strenge genommen könnte diese Verpflichtung erst dann eintreten, nachdem es gewiss geworden, dass die Forderung beim Schuldner ganz oder theilweise verloren ist; mithin nachdem der Schuldner in Concurs gerieth und der Gläubiger aus der Concursmasse keine volle Befriedigung erhalten hat. Andererseits lässt sich aber die Verpflichtung des Versicherers auch im Sinne einer Bürgschaft beurtheilen, so dass der Versicherer nach Art. 333 ohne weiteres selbst vor dem Hauptschuldner nach Wahl des Gläubigers belangt werden könnte. Zwischen diesen beiden Extremen liegen noch verschiedene Möglichkeiten, so z. B. dass der Hauptschuldner erst vorher Execution erlitten, oder wenigstens die gutwillige Zahlung verweigert haben muss u. dgl.
Es liegt nun durchaus in dem freien Willen des Versicherers, seine Verpflichtung im weiteren oder engeren Umfange zu übernehmen, und es muss die wirkliche Absicht der Parteien aus den Bestimmungen des Vertrages zu entnehmen sein. Der Gesetzgeber kann in dieser Beziehung keine ausschliessliche Vorschrift geben, sondern nur die Sache dem freien Vertragswillen der Parteien überlassen. Im Zweifel wird die directe Versicherung einer Forderung im Sinne einer Bürgschaft aufzufassen sein, weil dies mehr dem Handelsinteresse entspricht, und Versicherungen gerade desshalb genommen werden, um dadurch den Zeitverlust und die Kosten des formellen Prozessganges und des Concursverfahrens zu vermeiden. Dies hat um so weniger Bedenken, als der Versicherer nach Art. 720 an Stelle des Gläubigers dessen Rechte gegen den Schuldner geltend machen kann, wodurch diese Versicherung gewissermassen den Character einer Prozessversicherung annimmt; und stimmt auch insoferne mit den allgemeinen Grundsätzen überein, als der Versicherte in anderen Fällen nicht etwa erst seine Schadensersatzansprüche gegen Dritte Personen durch kämpfen muss, ehe er von dem Versicherer die AusZahlung der Entschädigungssumme verlangen kann.
Art. 694. Zwischen der Lebens- und Schadensversicherung besteht ein durchgreifender Unterschied, insoferne als bei der ersteren der Versicherte seinen Schaden oder vielmehr sein Interesse selbst frei bestimmen kann, während bei der letzteren nur der wirklich eingetretene Schaden vergütet wird. Bei der Lebensversicherung kann man eine Versicherung nehmen auf 1000 oder 2000 Dollarn, und diese Summe muss im Fall des Todes ausbezahlt werden, gleichviel ob der Tod wirklich diesen Schaden bewirkte oder nicht. Dagegen im Eall eines Brandes wird nur soviel an den Versicherten vergütet, als das Haus wirklich durch den Brand an Werth verloren hat, aber niemals mehr als die Versicherungssumme. Die Gründe dieses Unterschiedes wurden bereits oben zu Art. 686 erörtert. Es wäre ganz unmöglich, den Vermögensverlust objectiv zu berechnen, der durch den Tod einer Person herbeigeführt wird, um so mehr als für den Verstorbenen überhaupt kein Verlust mehr denkbar ist. Es muss jedem überlassen bleiben, dieses persönliche Vermögensinteresse selbst zu bestimmen; für den Versicherer muss es genügen, wenn im Verhältniss dazu die Prämie entrichtet worden ist, da diese Prämie ihn unter Anwendung der von ihm selbst angestellten Wahrscheinlichkeitsrechnung in den Stand setzt, seiner Zeit die Versicherungssumme auszuzahlen.
Bei der Versicherung von Sachen dagegen wird immer nur der wirklich eingetretene Schaden vergütet; die volle Versicherungssumme also nur dann, wenn die Sache gänzlich verloren ist. Wurde aber bei einem Brande etwa nur das Dach zerstört ; oder wurde nur die halbe Ernte durch Stürme vernichtet etc., dann ist auch nur der Werth des Daches oder die Hälfte des Werthes der vollen Ernte zu ersetzen. In diesen Fällen wird mithin das Princip strenge aufrechterhalten, dass sich Niemand durch Unglücksfälle soll bereichern dürfen. Manche sind zwar der Meinung, dass auch bei der reinen Schadensversicherung der Versicherte sich jede beliebige Entschädigung versprechen lassen könne; allein diese Meinung wird nur von Wenigen getheilt und ist bisher noch von keiner Gesetzgebung adoptirt worden.
Der Schaden wird aber in dem vollen Umfange ersetzt, in welchem er eingetreten ist, nämlich nicht nur der unmittelbare Schaden, der durch den Eintritt der Gefahr als solcher bewirkt wurde, also bei der Feuerversicherung unmittelbar durch Verbrennen, sondern auch der mittelbare Schaden, welcher nicht durch das Feuer selbst, Bondern durch den Anlass des Feuers entstanden ist, und zwar sowohl auf der Brandstätte, als auch an den anstossenden oder sonst in Gefahr gerathenen Gebäuden. Dieser mittelbare Schaden, der bei Feuersbrünsten am häufigsten eintritt, ist in Art. 727 an den wichtigsten Beispielen erläutert. Feuerschaden ist also auch die durch Feuerspritzen, durch das Einreissen von Gebäuden, das Einschlagen von Thüren etc. bewirkte Zerstörung oder Beschädigung; das Zerbrechen oder Verlieren von Sachen während der Rettung; ja selbst Diebstähle, die gelegentlich einer Feuersbrunst durch Benützung der entstandenen Verwirrung oder unter dem Anschein von Rettungsversuchen etc. begangen werden, gehören hieher. Der Entwurf unterscheidet in dieser Hinsicht zwischen bereits eingetretener oder noch drohender Gefahr; es wird in beiden Fällen der Schaden vergütet, also sowohl wenn ein Haus bereits von Feuer ergriffen ist, als auch wenn es erst durch das Umsichgreifen des Feuers bedroht wird. Rettungs- und Löschungsverluste bei noch nicht brennenden Häusern müssen also ebenso vergütet werden, als bei schon in Flammen stehenden. Es wird ferner die Voraussetzung gemacht, dass die Rettungsmassregeln nothwendig waren. Dies ist eine thatsächliche Frage, die nach den Umständen zu beantworten ist. Wer ein Haus ausräumt, wenn das Nachbarhaus brennt, wird keinem Zweifel begegnen, dass dies nothwendig sei; wer aber schon rettet, ehe noch irgend eine Möglichkeit der Gefahr für ihn besteht, aus purer Angst, der muss den dadurch entstandenen Schaden selbst tragen. Vieles wird auch von den speciellen Umständen abhängen, z. B. ob die Häuser von Stein oder von Holz gebaut sind, ob ein starker Wind bläst und in welcher Richtung, ob in einem Hause besonders gefährliche Sachen lagern, wie Pulver, Petroleum u. dgl. m. Unter den Kosten und Nachtheilen sind sowohl Verluste und Beschädigungen von Sachen als positive Geldausgaben zu verstehen, um die Rettung schneller und sicherer zu bewerkstelligen. Dies liegt in dem Interesse des Versicherers selbst, da seine Verpflichtung um so geringer ausfällt, je mehr gerettet werden kann. Zur Anwendung aller möglichen Rettungsmassregeln ist der Versicherte nach Art. 713 verbunden, und der Versicherer muss die Kosten dafür tragen, ebenso wie er auch den Vortheil davon hat.
Art. 695. Nach der Bestimmung des vorigen Artikels muss auch der Schaden vergütet werden, den man sieh selbst zufügt zu dem Zwecke um noch grösseren Schaden zu verhüten. Dies muss aber in gutem Glauben und unter dem Druck einer wirklichen Noth geschehen, da nur dann die Herbeiführung des kleineren Uebels, um das grössere zu verhüten, auch im Interesse des Versicherers liegt. Ohne diese Voraussetzung wird man des Ersatzanspruches verlustig, wenn man den Verlust oder Schaden selbst herbeigeführt hat, entweder durch eigene That, oder durch Anstiftung dritter, gleichviel auf welche Weise dies geschehen mag. Der Entwurf fügt jedoch hinzu, dass dies freiwillig geschehen sein muss, d. h. mit freiem Willen und also im Zustande der Zurechnungsfähigkeit. Wenn Jemand im Wahnsinn, oder in totaler Trunkenkeit, oder unter gesetzlichem Zwange, etwa auf eine obrigkeitliche Verfügung, sein Haus anzündet, so ist dies ebenso ein unverschuldeter Unglücksfall, wie ein zufällig ausgekommenes Feuer. In den Gesetzen wird meist erklärt, dass der durch eine absichtliche Handlung oder durch schwere Nachlässigkeit des Versicherten herbeigeführte Schaden nicht ersetzt werden dürfe. In dieser Beziehung ist folgendes zur Erläuterung beizufügen:
1) wird der Schaden nicht blos durch äussere Umstände, wie Blitz etc. herbeigeführt, sondern dureh Handlungen dritter Personen, selbst der eigenen Dienstboten, Hausangehörigen, Besucher etc., so ist der Versicherte jedenfalls ersatz-berechtigt ;
2) wird der Schaden durch ihn selbst herbeigeführt, wenn auch durch eine freiwillige Handlung, aber aus Achtlosigkeit und Nachlässigkeit, so ist er gleichfalls ersatzberechtigt, wenn ihm den Umständen nach das freiwillige Herbeiführen des Unglücksfalles nicht zugeschrieben werden kann. Letzteres wäre nur dann zulässig, wenn der Versicherte entweder die Feuersbrunst etc. absichtlich herbeiführen wollte oder doch absichtlich so nachlässig und leichtsinnig handelte, wie er vernünftiger Weise ohne Versicherung niemals gehandelt haben würde. Der Begriff der Nachlässigkeit ist also hier nicht im gewöhnlichen Sinne zu nehmen, als Unterlassung der Sorgfalt eines ordentlichen Mannes, sondern in einem weiteren Sinne, als Unterlassung der Sorgfalt, die auch ein Nichtversicherter an wenden würde. Wer diese Sorgfalt unterlässt, von dem muss man annehmen, dass er die Gefahr freiwillig herbeiführen will; daher wurde das Moment der Freiwilligkeit im Entwurfe als Bedingung des Verlustes des Ersatzanspruches bezeichnet, nicht Nachlässigkeit oder fehlerhaftes Benehmen.
Die Versicherung soll gegen alle unfreiwilligen Verluste schützen, auch solche die man sich durch Nachlässigkeit selbst zufügt, mag diese gross oder gering sein. Niemand ist sicher davor, nicht hie und da nachlässig zu sein, und es kann nicht unzulässig sein, sich gegen seine eigenen Fehler und Versehen zu versichern. Handelt man aber bewusst nachlässig, weil man ja versichert sei, dann kann, wenn die Gefahr wirklich in Folge dessen eintritt, kein Ersatz gefordert werden, denn man hat die Gefahr freiwillig über sich gebracht.
Ohne die Anwendung dieser Grundsätze würde der Zweck der Versicherung in den meisten Fällen nicht erreicht; denn besonders Feuersbrünste entstehen meist durch irgend eine Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit der Hausbewohner, zuweilen des Eigenthümers selbst, oder durch absichtliche Brandlegung. Gegen diese sämmtlichen Gefahren will sich der Versicherte schützen, und die Praxis der Versicherungsgesellschaften stimmt damit überein. Die Strenge älterer Gesetzgebungen, wie z. B. des Preussischen und Oesterreichischen Landrechts (II. 8. § 2236. — § 1288) welche den Versicherer nur dann haften lässt, wenn ein Feuer ohne Verschulden des Versicherten selbst, dessen Ehegatten und Descendenten verursacht wird, ist weder der Natur der Sache noch auch dem wirklichen Betriebe des Versicherungsgeschäftes gemäss.
Allerdings gilt im allgemeinen der Satz, dass grobe Nachlässigkeit der Absichtlichkeit gleichzuachten sei. Wer sehr unvorsichtig handelt, wird leicht den Verdacht erwecken, dass er freiwillig den Unfall herbeiführen wollte. Allein nothwendig ist dies nicht, und wenn nicht bewiesen werden kann, dass man absichtlich nachlässig handelte, wird man auch durch grobe Nachlässigkeit den Ersatzanspruch nicht verlieren.
Die entgegenstehende strengere Bestimmung, wie in Preussen und Oesterreich — die aber in Wirklichkeit nicht vollzogen wird — liesse sich nur unter dem Gesichtspunkt einer Strafe etwa rechtfertigen, indem man den, in dessen Haus ein Feuer entsteht, unter allen Umständen strafen will, weil aus einem Feuer leicht für viele andere Menschen Unglück entstehen kann. Diese Strafe, welche im Verlust des ganzen Vermögens bestehen kann, ist aber zu hart für blosse Unachtsamkeit, und es genügt in solchen Fällen die criminelle Bestrafung der fahrlässigen Brandstiftung.
Der weitere Grundsatz, dass der aus der Natur oder den eigenen Mängeln der versicherten Gegenstände entspringende Schaden nicht ersetzt werden soll, findet sich gleichfalls in den bestehenden Gesetzgebungen; so Holland. H. G. B. Art. 249, Belgisches Getz von 1874 Art. 18, doch kann nach dem letzteren Gesetz das Gegentheil ausdracklich stipulirt werden. Das Princip ist vollkommen richtig, nur muss es richtig verstanden und begrenzt werden. Die Versicherung soll schützen gegen Gefahren, die man nicht vermeiden kann, die also von aussen herantreten, gewissermassen den Menschen überfallen wie eine Krankheit oder andere Schläge des Unglücks. Es gibt aber Gefahren die man voraussehen kann, und welche deshalb derjenige vermeidet, welcher Voraussicht übt. Gegen solche Gefahren gibt es keine Versicherung; sie sind genau genommen, nicht unbestimmt drohende Gefahren, sondern die unausbleiblichen Folgen gewisser Umstände, denen derjenige sich freiwillig preisgibt, der diese Umstände nicht vermeidet. Diese Umstände liegen theils in der Natur, d. h. in der gewöhnlichen Beschaffenheit und Verwendung gewisser Dinge, theils in ihren Fehlern und Mängeln, d. h. in ihrer mangelhaften Beschaffenheit. Der Sinn der gesetzlichen Bestimmung ist hiernach nur der: wer sich freiwillig in eine Gefahr begibt, die er den Umständen nach kannte oder kennen musste, wird angesehen wie derjenige, welcher den Eintritt der Gefahr freiwillig herbeiführt. Freiwillige . Herbeiführung der Gefahr, und freiwilliges Begeben in die Gefahr, wird mithin practisch als ein und dasselbe angesehen. Wenn dann im letzteren Falle die Gefahr doch nicht eintritt, so ist dies wohl ein besonderes gutes Glück, aber für das Ausbleiben dieses Glückes kann der Versicherer nicht haftbar gemacht werden, denn im Rechte handelt es sich immer nur um den gewöhnlichen Lauf der Dinge, nicht um das, was in hundert Fällen kaum einmal zu erwarten ist. Die Ungewissheit ist ein wesentliches Element jeder Versicherung; diese Ungewissheit ist aber nicht mehr vorhanden, wenn der Eintritt der Gefahr wegen der Beschaffenheit und Bestimmung der Sache so gut als gewiss ist. Zum besseren Verständniss mögen folgende Beispiele dienen:
Manche Gegenstände, wie Pulver, Dynamit etc., sind besonders Feuer — oder explosionsgefärlich, doch kann ihre Gefährlichkeit durch geeignete Vorsichtsmassregeln auf den gewöhnlichen Grad der Gefahr reducirt werden. Wer diese Vorsicht unterlässt, setzt sich freiwillig dem Unglücksfall aus und bleibt dafür selbst verantwortlich.
Manche Sachen, wie Kochgeschirre, Theetöpfe etc., sind bestimmt an das Feuer gesetzt zu werden; ebenso wird Feuer in Kaminen, Oefen etc. gebrannt. Die Folgen eines solchen Gebrauches im Feuer werden durch den Versicherer nicht ersetzt. Ebenso sind Gefässe dem Zerspringen ausgesetzt, wenn man sie leer aus Feuer setzt etc.
Feuerstellen, Kamine etc. müssen mit Steinen oder Blech belegt werden, damit sie feuerfest werden. Wenn dies nicht oder mangelhaft geschieht, muss man selbst die Gefahr des Verlustes tragen.
Wenn Heu in feuchtem Zustande in Scheunen gebracht wird, kann es sich leicht durch Gährung selbst entzünden und Feuer fangen.
In allen diesen und ähnlichen Fällen, wenn in der Natur und Bestimmung, oder in fehlerhafter Beschaffenheit der Gegenstände eine Gewissheit des Schadens liegt, kann der Versicherte dafür keinen Ersatz fordern.
Es lässt sich die Frage erheben, ob Gegenstände in feuersicheren Schränken versichert werden können. Diese Frage scheint auf den ersten Blick verneint werden zu müssen, da solche Schränke gerade zum Schutz gegen Feuer bestimmt sind, und wenn sie dennoch keinen Schutz gewähren, anscheinend fehlerhaft construirt sein müssen. Dann bliebe dem Besitzer eines solchen Schrankes offenbar nur ein Entschädigungsanspruch gegen seinen Verkäufer übrig. Indessen kann man die absolute Feuersicherheit im voraus schwerlich erkennen, und erst durch die Erfahrung erproben. Wer also einen feuerfesten Schrank als solchen kauft, und keinen Grund hat, in dessen Sicherheit Zweifel zu setzen, der wird sich auch die Gefahr, dass der Schrank doch nicht ganz sicher sei, versichern können, soferne ihm nicht dessen Mängel vorher bekannt waren oder hätten bekannt sein können.
Art. 696. Die Bestimmung dieses Artikels folgt mit Nothwendigkeit daraus, dass das Moment der Ungewissheit zur Substanz des Versicherungsvertrages gehört. Ein bereits eingetretener Schaden kann nicht mehr versichert werden, denn hier würde das Missverhältniss zwischen Prämie und Ersatzleistung nicht mehr durch die Möglichkeit des Ausbleibens der Gefahr ausgeglichen werden können. Gleich wohl kommen auch solche Versicherungen nicht selten vor, namentlich im Seehandel, aber sie sind nur unter 2 Voraussetzungen gültig: 1, Unkenntniss des Eintrittes der Gefahr, und 2, ausdrückliche Abschliessung des Vertrages in der Absicht, dass er auch im Falle der bereits eingetretenen Gefahr gültig sein soll. Die Zulässigkeit solcher Verträge rechtfertigt sich dadurch, dass man sonst auf der Fahrt befindliche Schiffe etc., oder an anderen Orten liegende Waaren, nicht wohl versichern könnte. In Englischen Policen wird diese Absicht meist mit den Worten „ lost or not lost ” oder ähnlich ausgedrückt.
Art. 697. Die mehrfache Versicherung einer Sache ist ungültig nach dem allgemeinen Princip, dass der Versicherte sich nicht grundlos durch Versicherung bereichern darf. Dieses Princip würde verletzt, wenn man den Werth eines abgebrannten Hauses doppelt und dreifach ersetzt erhalten könnte. Indessen ist die Doppelversicherung nicht absolut, sondern nur relativ ungültig. Man kann sie nämlich als eine Versicherung des ersten Versicherungsanspruches betrachten, und insoferne kann man ihr eventuelle Gültigkeit nicht absprechen ; oder als successive Versicherung, welche au die Stelle der ersten Versicherung treten soll, nachdem diese durch Verzicht, Ablauf der Zeit oder sonstwie aufgehört hat. Gesetzt Jemand ist bis zum 1. Juli versichert, will aber zu einer anderen Gesellschaft übergehen, und nimmt bereits am 1. Januar Versicherung auf ein Jahr. Hier wird die zweite Versicherung gültig vom 1. Juli an, sie kann aber schon früher gültig werden, wenn der erste Contract schon vorher durch Verzicht aufgelöst würde. Holl. H. G. B. Art. 277. 280. Belg. Ges. von 1874 Art. 12.14.
Auf die Lebensversicherung findet dieser Artikel keine Anwendung, weil es hier kein äusserlich begrenztes Vermögensinteresse geben kann. Daher steht nichts im Wege, sein Leben gleichzeitig oder successive bei mehreren Gesellschaften zu beliebigen Summen zu versichern, und jede Gesellschaft ist beim Eintritt des Todes den bei ihr versicherten Betrag auszuzahlen schuldig.
Art. 698. Während nach dem vorausgehenden Artikel die mehrfache Versicherung eines Interesses principiell unstatthaft ist, erscheint dagegen die proportionelle oder gemeinschaftliche Versicherung keineswegs als unerlaubt, denn ebenso wie einer, können auch mehrere Versicherer gemeinschaftlich und jeder in einem gewissen Verhältniss sich zur Ersatzleistung verpflichten. Diese gemeinschftliche Versicherung tritt ein :
1) wenn mehrere Versicherungen gleichzeitig, d. h. an demselben Tage genommen werden, weil dann keine früher als die andere ist, mithin keine weniger gültig oder ungültig als die andere sein kann;
2) wenn die mehreren Versicherungen zwar nicht gleichzeitig genommen wurden, aber mit Wissen und Zustimmung sämmtlicher Versicherer, was als gemeinschaftliche Uebernahme der Verpflichtungen gegen den Versicherten angesehen werden muss. Die Zustimmung ist immer als vorhanden anzunehmen, wenn auf die Benachrichtigung kein Widerspruch erfolgt. Die mehrfache Versicherung kann auf derselben Police, oder auf verschiedenen Policen genommen werden.
Es ist aber zu beachten, dass von den mehrfachen Versicherungen jede an sich zum vollen Betrage gültig ist, und sie nur in der Wirkung einander gegenseitig beschränken. Soweit eine solche Beschränkung nicht Platz greift, wie in den Fällen des vorausgehenden Artikels, findet keine proportionelle Versicherung statt. Wenn z. B. für den Betrag von 600 D. zwei Versicherungen auf je 600 D. genommen wurden, und einer der beiden Versicherer später bankerott wird, so bleibt der andere zum vollen Betrage verpflichtet. Jedoch findet dies eine selbstverständliche Ausnahme bezüglich des Verzichtes von Seiten des Versicherten; denn da durch einen solchen Verzicht die Lage des fortwährend verpflichtet bleibenden Versicherers schlechter würde, so kann ein Verzicht zu Gunsten des einen ohne die Zustimmung des anderen nicht stattfinden. Dies ist auch im Holländ. H. G. B. Art. 279 ausdrücklich vorgeschrieben.
Sind aber die mehrfachen Versicherungen sämmtlich gültig und wirksam, dann beschränken sie ihre Verbindlichkeit gegenseitig auf die gemeinsame Leistung des Ersatzes, der dem Versicherten immer nur einmal gebührt. Gesetzt es sind zwei Versicherungen genommen zu 2000 und 4000 D. und der Schaden beträgt 3000 D., dann zahlt der erstere 1000 und der zweite 2000 D.; wenn der Schaden 6000 D. beträgt, dann zahlt der erstere 2000 und der letztere 4000 D. Jeder zahlt also in dem Verhältniss des von ihm versicherten Betrages. Gesetzt das versicherte Interesse, z. B. der Werth eines Hauses, beträgt 6000 D., und es sind zwei Versicherungen genommen zu je 4000 D., so wird jede auf 3000 D. reducirt; lauten die beiden Versicherungen auf 6000 und 4000 D., also im ganzen 10000 D., so wird die erste auf 3600 und die zweite auf 2400 D. reducirt, denn die zweite ist nur auf § des Betrages der ersten, und beide zusammen sind nur auf 6000 D. gemeinsam verpflichtet.
Art. 699. Das Princip der Ungültigkeit jeder Ueberversicherung wird in diesem Artikel auch auf die einzelne Versicherung angewandt. Wenn also für einen Werth von 600 D. eine Versicherung von 800 D. genommen wurde, so ist sie nur gültig bis zum Betrage von 600 D. und der Mehrbetrag von 200 D. kann von dem Versicherten niemals in Anspruch genommen, da diesem Mehrbetrag kein Schaden entsprechen würde. In Verbindung mit Art. 692 ist daher Rechtens, dass im Falle persönlichen Betruges der Vertrag überhaupt annullirt, bei objectiver Ueberschätzung aber nur der Werth herabgesetzt wird.
Uebrigens gilt dieser Satz nur in Bezug auf das objective Versicherungsinteresse, nicht aber auch auf das subjective Schadensinteresse, welches aus besonderen Gründen hinter dem ersteren Zurückbleiben kann. Ist also ein Haus zu 600 D. Werth abgebrannt, so müssen diese 600 D. ersetzt werden, auch wenn etwa der Besitzer vom Staate, oder durch Privatsammlungen u. dgl. Unterstützung erhielte und dadurch sein wirklicher subjectiver Schaden bedeutend geringer wäre. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob Jemand sonst reich oder arm ist, ob er noch ein anderes Haus zum Ersatz hätte etc. Denn würden solche Unterstützungen etc. von der Entschädigung abzuziehen sein, so kämen sie in Wirklichkeit dem Versicherer zu Nutzen, was nicht beabsichtigt sein kann.
Art. 700. Die Unterversicherung, d. h. die Versicherung zu einem geringeren Betrage als dem des Versicherungsinteresses, kann in verschiedener Weise beurtheilt werden. Dass sie an sich gültig und verbindlich ist, unterliegt keinem Zweifel, denn es kann dem Versicherten nicht verwehrt werden, sich wenigstens einen Theil des Ersatzes zu sichern, wenn der ganze Ersatz ihm zu kostpielig wäre. Es fragt sich nur, was die rechtliche Wirkung einer Minderversicherung sein soll, und es sind verschiedene Annahmen hier denkbar:
1) die Minderversicherung kann bedeuten, dass ihr Betrag nur das Maximum der Entschädigung anzeigen soll, welches dem Versicherten in allen Fällen zu kommen soll. Z. B. der Werth beträgt 600 D., die Versicherung 400 D. Hier würde der Versicherte nie mehr als 400 D. bekommen können, auch wenn der ganze Werth verloren wäre, allein auch stets 400 D. wenn der Schaden 400 D. beträge, 300 D. bei einem Schaden von 300 D. u. s. w.
2) die Minderversicherung bezeichnet einen gewissen Betrag, für dessen Verlust der Versicherer nicht haftbar sein söll. Wenn bei einem Werth von 600 D. z. B. nur 400 D. versichert werden, so haftet der Versicherte für den Restbetrag von 200 D. selbst. Ein Schaden wird dann nicht vergütet, wenn derselbe nicht wenigstens 200 D. übersteigt; beträgt der Schaden 300, dann würde 100 vergütet. u. s. w.
3) die Minderversicherung kann das Verhältniss anzeigen, in welchem die Schadensleistung stattfinden soll. Für den nicht Versicherten Betrag gilt dann der Versicherte als sein eigener Versicherer und das ganze wird als eine gemeinschaftliche Versicherung nach Art. 698 behandelt. Wird also eine Sache im Werth von 600 D. zu 400 D. versichert, so nimmt man an, dass für die übrigen 200 D. der Versicherte selbst proportionell verpflichtet ist und in diesem Verhältniss beizutragen hat. Z. B. Schaden 600 D.; Vers. zahlt 400, Versicherter 200 D.
Schaden 400 D.; Versicherer zahlt 266 2/3, Versicherter 133 1/3 D. Schaden 200 D.; Versicherer zahlt 133 1/3 Versicherter 66% D.
Der Versicherte bezahlt sich selbst zu dem auf ihn fallenden Betrag, der Versicherer zahlt nur den im Verhältniss seiner Versicherungssumme stehenden Betrag.
Beträgt also der Werth 600, die Versicherung 400, und der Schaden 400 D, so unterscheiden sich die 3 Fälle folgendermassen von einander:
1, im ersten Falle zahlt der Versicherer 400 D.
2, im zweiten Falle „ „ „ 200 D.
3, im dritten Falle „ „ „ 2662/3 D.
Im ersten Falle steht mithin der Versicherer am ungünstigsten, im zweiten am günstigsten, im dritten Falle ist zwischen beiden Extremen ein Mittelweg genommen. Der Entwurf hat diesen Mittelweg eingeschlagen, da er an sich billig erscheint und mit dem im Art. 698 angenommenen Princip übereinstimmt.
Der erste Fall erscheint ungerecht, da hier die Ersatzsumme bei verschiedenen Prämien gleich bleiben würde, wozu sich der Versicherer nicht herbeilassen kann. Z. B. zwei Personen sind versichert zu 600 und 400 D. und der Schaden beträgt für beide je 400 D. Hier bekäme jeder die gleiche Entschädigung, obgleich der eine höhere Prämien zahlen musste als der andere.
Die in die Police aufgenommene Versicherungssumme bedeutet daher nicht den absoluten, sondern nur den Maximalbetrag der Ersatzleistung, folglich nur das, was der Versicherte höchstens bekommen kann, wenn der Versicherer nach dem Vertrag für diesen Maximalbetrag einzustehen hat. Ob das letztere der Fall ist oder nicht, ist nach der Höhe der genommenen Versicherung zu beurtheilen, Im zweiten Falle würde die Versicherungssumme als die Grenzlinie anzusehen sein, von welcher an die Haftung des Versicherers erst beginnt, was gerade die entgegengesetzte Auffassung wie die im ersten Falle wäre. Sind von 600 D. Werth nur 400 D. versichert, so hätte der Versicherer in allen Fällen nur so viel zu leisten, dass dem Versicherten der Werthbetrag von 400 D. verbliebe. Bei dieser Auffassung würde die Versicherungssumme mit dem Versicherungsinteresse identisch, und dem Versicherten die Möglichkeit der theilweisen Versicherung entzogen. Der grelle Unterschied zwischen beiden Auffassungen zeigt sich deutlich, wenn man etwa die Versicherungssumme als die Hälfte des Versicherungswerthes annimmt. Gesetzt von 600 D. Werth sind 300 D. versichert, und 300 D. gehen verloren : dann würde im ersten Falle der Versicherte die vollen 300 D. und im zweiten Falle gar nichts erhalten, da in diese Falle dem Versicherten noch immer 300 D. verblieben, gerade das, was er versicherte.
Das im Entwurfe angenommene Princip, das als allgemein anerkannt gelten darf (Holländ. G. H. B. Art. 253. Belg. Gesetz von 1874 Art. 21. Deutsch H. G. B. Art. 796. Code de comm. Art. 358. 2 Abs.), beruht auf dem Satze, dass im Fall der Minderversicherung der Versicherte für den übrig bleibenden Rest als Mit-Versicherer anzusehen, mithin auch für jeden Verlust im gleichen Verhältniss sich selbst zu entschädigen hat. Ist also ein Werth von 600 D. zu 300 D. versichert, so gilt die andere Hälfte als beim Versicherten selbst versichert, und wenn ein Schaden eintritt etwa zu 300, so haben ihn beide zu gleichen Theilen, und zwar zur Hälfte zu tragen, mithin bekommt der Versicherte vom Versicherer 150 D. Nach diesem Beispiele würden die obigen 3 Fälle sich wie folgt unterscheiden:
1, im ersten Falle zahlt der Versicherer 300 D.
2, im zweiten Falle zahlt.„ ,, nichts
3, im dritten Falle „ „ „ 150 D.
Art. 701. Dieser Artikel behandelt die Frage, ob und wieweit durch die Veräusserung des Versicherungsgegenstandes durch den versicherten Eigenthümer, oder die sonstige Uebertragung des Versicherungsinteresses z. B. die Abtretung der versicherten Forderung, das Recht der Versicherung selbst berührt wird. Diese Frage ist namentlich im Handel wichtig, wo die Waaren zur Veräusserung bestimmt sind und oft in kurzer Zeit von einer Hand in die andere gebracht werden.
Es scheint auf den ersten Blick, dass der Versicherungsvertrag nicht übertragbar ist, da er auf gewisse Gefahren berechnet ist, die mit dem Wechsel der Personen sich verändern müssen. Wo eine solche Veränderung wirklich eintreten würde, wie z. B. bei der Versicherung von Personen, oder auch bei der Versicherung von Sachen, wenn dieselben in Folge der Veräusserung an einen anderen Ort gebracht werden, oder sonst einer Veränderung der Gefahr unterliegen, da ist in der That die Versicherung unübertragbar, und muss durch die Veräusserung des Versicherungsobjectes erlöschen, denn der Veräusserer verliert durch die Veräusserung sein Interesse an der Versicherung, und der neue Erwerber ist keine Partei in dem Vertrage. In allen Fällen mithin, wo der Art. 716 anwendbar ist, d. h. wo zugleich mit der Veräusserung eine Aenderung der die Gefahr bedingenden Umstände eintritt, ist eine neue Versicherung nöthig, wenn der Erwerber den Vortheil der Versicherung erlangen will. Dies muss im allgemeinen dem Ermessen des Versicherers überlassen bleiben, wesshalb in dem Entwurf weiter gesagt ist, dass die Versicherung nicht auf den Erwerber übergeht, wenn sich der Versicherer das Recht der Zustimmung vorbehalten hat, sei es ganz allgemein oder in speciellen Fällen.
Die Frage stellt sich demnach so; wie verhält es sich mit der Uebertragung einer bestehenden Versicherung auf andere, wenn keine Veränderung der äusseren Umstände eintritt und der Versicherer das Recht der Zustimmung sich nicht ausdrücklich vorbehalten hat?
Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, bestimmt der Entwurf, dass die Versicherung übertragbar ist, jedoch nur mit der Uebertragung des Versicherungsgegenstandes etc. auf den neuen Erwerber übergeht. Eine ausdrückliche und besondere Uebertragung der Versicherung ist nicht erforderlich, sondern nur die Absicht der Parteien, dass die Versicherung mit übergehen soll; diese wird sich der Regel nach von selbst verstehen und vermuthen lassen, zumal die Policen in den meisten Fällen für Handelsobjecte gleich auf die künftigen Erwerber mit ausgestellt werden. Wenn und solange aber der Veräusserer noch ein Interesse an dem veräusserten Gegenstand zurückbehält, bleibt auch die Versicherung für ihn fortdauernd in Geltung. Letzterer Punkt ist namentlich wichtig bei dem im Handel so häufig vorkommenden Lieferungsvertrag. Bei diesem Vertrag geht die Gefahr des Verlustes erst mit der Ablieferung auf den Käufer über, bis dahin bleibt sie beim Verkäufer, folglich auch das Recht der Versicherung. Beginnt aber die Ablieferung früher als die Versicherung erlischt, dann geht dieselbe immer noch zu einem Theile auf den Käufer über. Z. B. es werden schwimmende Waaren, die bis zur sicheren Landung mit Einschluss des Leichtertransports versichert sind, verkauft. Wenn nun diese Waaren auf den Leichtern untergehen, kommt ihre Versicherung dem Käufer zu Nutzen, wenngleich mit der Ueberladung auf die Leichter etwa die Ablieferung an den letzteren stattgefunden hätte.
Der Entwurf stellt hiermit die Regel auf, dass jede Versicherung, so lange sie besteht, und für die darin bezeichneten Gefahren, auch für den neuen Erwerber des dadurch versicherten Gegenstandes oder Interesses gültig sein soll und von diesem aus eigenem Rechte geltend gemacht werden kann, soferne die Parteien, was sich bis zum Ausdruck des Gegentheils von selbst versteht, bei ihrem Geschäft diesen Uebergang beabsichtigt haben. Dieses letztere ist eine rein thatsächliche Frage, die in der gewöhnlichen Weise zu beantworten ist, aber vor allem nach dem Handelsgebrauch und der gewöhnlichen Natur des betreffenden Geschäftes.
Der Entwurf schreibt ferner vor, dass dem Versicherer in allen Fällen von dem Uebergang der Versicherung Nachricht zu geben und die Versicherung auf den neuen Erwerber zu umschreiben ist.
Diese Vorschriften sind nicht so zu verstehen, als ob von ihrer Erfüllung die Gültigkeit der Uebertragung der Versicherung abhinge. Sondern der Uebergang geht, die thatsächliche Absicht der Uebertraung vorausgesetzt, von selbst auf den neuen Erwerber über, und namentlich wenn die Police an Ordre gestellt ist, muss nach den allgemeinen über Ordrepapiere geltenden Grundsätzen (Art. 453 ff.) die Benachrichtigung des Versicherers nicht erfolgen, damit die Rechte aus dem Ordrepapier gegen ihn gelteng gemacht werden können.
Die Erfüllung der genannten Vorschriften hat daher nur den Zweck, den ordentlichen Verlauf des Geschäfts zu regeln und dafür im voraus klaren Beweis zu schaffen ; insbesondere soll der Versicherer Gelegenheit erhalten, etwaige Einwendungen vorzubringen, wenn ihm solche aus dem Vertrage oder im Folge neuer Umstände (Art. 716) zustehen sollten.
Ebenso ist die Umschreibung der Police auf den neuen Erwerber zwar rathsam, wenn sie nicht etwa auf den Inhaber lautet; allein es würde zur Gültigkeit auch genügen, wenn dem neuen Erwerber nur die betreffenden Papiere ausgehändigt würden. Ja es kann, wenigstens nach Englischer Praxis, selbst der bisherige Versicherte die Papiere in seinen Händen behalten im Namen des neuen Versicherten, und in dessen Namen die Rechte aus dem Vertrage gegen den Versicherer geltend machen.
Art. 702. Der vorhergehende Artikel handelte von dem Falle, wo der neue Erwerber in den Vertrag selbst eintritt und der bisherige Versicherte aus dem Vertragsverhältniss selbst ausscheidet, so dass dieses nunmehr ganz nach der Person des neuen Erwerbers zu beurtheilen ist. Der gegenwärtige Artikel handelt von der blossen Uebertragung des Anspruches auf die Versicherungssumme. Dieser bildet ein erworbenes Recht des Versicherten und kann von ihm wie jedes andere Vermögensrecht frei veräussert werden. Dies hat keine weitere Folge, als dass die Versicherungssumme nunmehr an die Person auszuzahlen ist, an welche die Abtretung erfolgte, während alle Rechte und Pflichten aus dem Vertrag nach wie vor nach der Person des Versicherten sich richten. Eine Abtretung dieser Art ist daher auch bei der Lebensversicherung zulässig, weil der Versicherte nicht gehindert werden kann, zum Empfang der ihm gebührenden Summe einen anderen statt seiner zu ermächtigen. Für den Versicherer ist es völlig gleichgültig, ob er die fällige Summe an A oder B etc. auszahlt. Seine Genehmigung ist daher zur Gültigkeit der Abtretung keinesfalls erforderlich. Die Abtretung wird auch hier regelmässig durch eine geeignete Umschreibung oder Aushändigung der Police erfolgen; der Versicherer ist zur Auszahlung verpflichtet, wenn er von der Abtretung Kenntniss erhalten hat.
Die Abtretung ist demnach eine formlose und kann entweder ausdrücklich oder stillschweigend geschehen. Der Entwurf führt drei Hauptfälle einer stillschweigenden Abtretung an, ohne dass andere dadurch ausgeschlossen werden sollen, nämlich:
1) die Bestellung einer Hypothek oder eines Pfandrechts an dem Versicherungsgegenstande, und
2) die Versicherung einer in Pfand oder Hypothek gegebenen Sache.
In diesen beiden Fällen soll, natürlich unter den sonstigen Bedingungen des Pfandrechts, der Gläubiger Anspruch auf Befriedigung aus der Versicherungssumme erhalten, da es der Billigkeit entspricht, dass der Gläubiger, wenn das Pfand zu Grunde geht, dafür sich an die Entschädigungssumme halten kann.
3) die Versicherung zu Gunsten einer dritten Person. Diese kommt am häufigsten bei Lebensversicherungen vor, kann jedoch auch bei anderen Versicherungen stattfinden. Der Versicherte bezeichnet dadurch die Person, an welche die Versicherungssumme zu zahlen ist. Man kann eine Versicherung nehmen zu Gunsten einer bestimmten Person, oder zu Gunsten unbestimmter Personen, gleichviel welche diese seiner Zeit sein mögen, z. B. die Wittwe, oder die Kinder, Erben etc. etc. Ueber diese Abtretung ist zu bemerken, dass ihre Wirksamkeit bis zum Eintritt der Fälligkeit der Versicherungssumme suspendirt bleibt. Sind bei diesem Eintritt die genannten Personen nicht oder nicht mehr Vorhanden, so behält die Versicherung ihre gewöhnliche Wirkung zu Gunsten des Versicherten bei und die Versicherungssumme fällt in seinen Nachlass. Sind aber die genannten Personen vorhanden, so gehört die Summe nicht in den Nachlass des Versicherten und seine etwaigen Gläubiger können darauf keinen Anspruch machen, da durch die vorher erfolgte, und jetzt unbedingt gewordene Abtretung der Nachlass des Verstorbenen nicht vermindert wird. Denn von dem Moment der Abtretung an haben die dritten Personen, selbst mit Ausschluss des Versicherten, daran ein Recht erworben. Nichts desto weniger kann die Versicherung zu Gunsten dritter, solange sie schwebt, von dem Versicherten selbst wieder aufgehoben werden, so lange nicht eine vertragsmässige Verpflichtung desselben im Wege steht, denn sie gilt nur solange, als er selbst will, da die Abtretung, so lange sie schwebt, noch keinen vorhandenen Gegenstand hat, ähnlich wie eine Erbschaft, oder ein Legat, womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass eine solche Versicherung auch in allen übrigen Beziehungen wie eine Testamentserrichtung anzusehen sei.
Art. 703. Der Versicherungsvertrag gehört an und für sich zu den gewöhnlichen Verträgen des Handelsbetriebs und unterliegt daher den gleichen Grundsätzen wie alle übrigen, so namentlich in Betreff des Abschlusses, der nothwendigen Erfordernisse der Einigung, der schriftlichen Errichtung, der Erfüllung u. s. w. Sind daher diese allgemeinen Erfordernisse erfüllt, so ist der Versicherungs- Contract gültig, und kein Theil kann sich weigern, die für ihn daraus entspringenden Verpflichtungen zu erfüllen. Meist wird wegen der Höhe der Versicherungssumme schriftliche Errichtung erforderlich sein, es kann aber dieses Erforderniss auf jede in Art. 323 angegebene Weise erfüllt werden. Die Ausstellung des Versicherungsscheines, Police genannt, darf mit dieser schriftlichen Errichtung des Vertrages nicht verwechselt werden, obgleich die Police auch dafür gelten kann.
Es ist aber ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass die Gültigkeit des Versicherungscontractes von der Ausstellung der Police unabhängig ist. Holland. H. G. B. Art. 257. Belg. Gesetz von 1874 Art. 25. Deutsch. H. G. B. Art. 788. Es steht hiernach fest, dass der Versicherungsvertrag perfect ist, wenn die Parteien die wesentlichen Punkte des Geschäftes mündlich oder schriftlich unter sich festgestellt haben. Die Englische Gesetzgebung nimmt allerdings einen anderen Standpunkt ein. In dem Stempelgesetz (30 Vict. c. 23) wird die Police diejenige Urkunde genannt, durch welche der Versicherungscontract eingegangen wird; mithin ist keine Versicherung gültig ohne Police, und jede Police muss mit einem gewissen Stempel versehen sein. Dieser rein fiscalische Gesichtspunkt wird aber im Geschäftsleben nicht getheilt. Hier ist es üblich, die Versicherung vor Ausfertigung der Police, schriftlich, auf sog. slips, abzuschliessen, und erst darauf hin die Police auszustellen, und man betrachtet, nach dem Ausspruch eines Englischen Richters (s. Arnould, Marine insur. I. p. 260) diesen Slip als den vollständigen und definitiven Contract, von dem keine Partei abweichen darf ohne ihren Credit und ihre künftige Kundschaft auf das ernstlichste zu gefährden. Indessen wird die Police auch in England nicht in allen Beziehungen als der eigentliche Contract angesehen; so ist z. B. Uebertragung ohne Umschreibung der Police möglich, ebenso Erneuerung des Vertrages etc. Auch kann der ursprüngliche Vertrags (slip) als Beweismittel gebraucht werden. Die Police ist jedoch so sehr im Versicherungsbetrieb eingebürgert, und ihr Gebrauch aus verstchiedenen Gründen so sehr zweckmässig, dass auch der Entwurf deren Ausstellung und Aushändigung an den Versicherten vorschreibt. Wird diese Vorschrift nicht erfüllt, so ist der Contract zwar an sich gültig, aber die Stellung des Versicherten ist ungünstiger, indem er möglicher Weise nicht genügende Beweismittel in seiner Hand hat. Wenn nun der Versicherer die Police verzögert, kann der Versicherte trotzdem den Vertrag gegen ihn geltend machen, und er soll durch diese Unterlassung in keiner Beziehung einen Schaden erleiden, soferne etwa die Verzögerung nicht von ihm selbst verschuldet ist. S. Holl. H. Ges. Buch Art. 261. In England betrachtet man auch nach der vorhin erörterten Gesetzgebung den Contract als bindend, wenn die Police vom Versicherer unterzeichnet ist, auch wenn sie etwa nachher in den Händen seiner Gehülfen bleibt, um von dem Versicherten abgeholt zu werden. In den Vereinigten Staaten (Arnould I. c. p. 262) besteht die Praxis darin, dass man die wesentlichen Punkte in die Bücher der Versicherungsgesellschaft einträgt und dieser Eintrag von einem Beamten derselben unterzeichnet wird. Von diesem Moment an gilt der Vertrag als bindend, und die Gesellschaft ist verpflichtet gegen Zahlung der Prämie die Police auszustellen.
Demnach geht die überwiegende Auffassung dahin, dass die Police nicht in den Abschluss, sondern bereits in die Erfüllung des Contracts fallt. Allein es steht nichts desto weniger fest, dass die Police als der regelmässige Ausdruck und Inhalt des Vertrages angesehen wird. Würde ein Contract ohne Police geltend gemacht, so wäre dies zwar nicht unzulässig, allein es müsste durch geeignete Thatsachen erklärt und gerechtfertigt werden. In keinem Falle ist die Police gleich einem Wechsel etc. anzusehen, so dass ohne sie ein Contract nicht existiren könnte, und durch ihren Untergang aufhören würde. Wenn z. B. eine Feuerpolice mitverbrennt, bleibt die Feuerversicherung vollkommen aufrecht.
Art. 704. Im Handel werden die meisten Versicherungen durch Mäkler oder Commissionäre abgeschlossen, in der Weise, dass sie in feste Formulare die wesentlichen geschäftsmässigen Punkte eintragen und einem Versicherer zur Annahme und Unterschrift (meist nur mit den Anfangsbuchstaben, Jnitials) vorlegen. Erfolgt die Unterschrift, so ist der Contract perfect. Es kann auch vorkommen, dass der Versicherer die wesentlichen Punkte kurz in seine Bücher einträgt und unterzeichnet. Wenn Privatpersonen einen Versicherungsantrag stellen, müssen sie im wesentlichen den gleichen Geschäftsgang beobachten.
Die meisten Versicherungen werden von Gesellschaften übernommen, welche oft in vielen verschiedenen Ländern durch Agenten ein ausgedehntes Geschäft betreiben. Diese Agenten werden zuweilen in General- Haupt- oder Unteragenten unterschieden. Ihre Befugniss zur Stellvertretung ist nach den allgemeinen Bestimmungen (Art. 470 ff.) zu beurtheilen. Naturgemäss haben auswärtige Agenten eine grössere Vollmacht, als einheimische. Daraus folgt, dass mindestens die auswärtigen, oder die General- Agenten zum Abschluss des Contracts befugt vermuthet werden können.
An und für sich steht der Inhalt des Vertrages beiden Theilen frei, und es kann daher namentlich dem Versicherer nicht verwehrt Werden, gewisse feststehende Versicherungsbedingungen aufzustellen und allen Versicherungsanträgen gegenüber anzuwenden. Jede Gesellschaft hat ihre besonderen Statuten, in welchen ihre Bedingungen enthalten sind. Allein das Bestreben der Versicherer möglichst vortheilhafte Verträge abzuschliessen, darf nicht so weit gehen, dass die Versicherten ungesetzlich und rechtswidrig behandelt werden. Solche Bedingungen, welche dem Rechte widersprechen, sind unverbindlich, wenngleich sie dem Versicherten mitgetheilt und von diesem etwa angenommen wurden. Es verhält sich hier ähnlich wie mit den Transportbedingungen der Eisenbahnen etc. (Art. 547.) Holl. H. G, B. Art. 254.
Art. 705. Es wurde bereits bemerkt, dass die Versicherungen in Handelssachen meist durch Stellvertreter abgeschlossen werden. Dies kann nun im Namen des Interessenten geschehen, dann wird nur dieser unmittelbar aus dem Contract berechtigt und verpflichtet. Es kann aber auch sein, dass der Vertreter commissionsweise, d. h. auf seinen eigenen Namen, wenngleich im Interesse eines anderen, den Contract abschliesst. Dann wird er die Prämie dem Versicherer schuldig, und dieser ihm eintretenden Falles die Versicherungssumme (Arnould 1. c. p. 192). In welcher Weise zwischen dem Versicherer und dem Commissionär das Geschäft abgemacht, namentlich Zahlung geleistet oder Credit gegeben wird, ist für den Versicherten gleichgültig, dieser hält sich ausschliesslich an den Commissionär.
Art. 706. Es ist nur ein weiterer Schritt von der zum vorigen Artikel bemerkten Geschäftspraxis, dass der Commissionär nicht blos die Versicherung bei einem anderen Versicherer besorgt, sondern diese selbst übernimmt. Dies ist auch im Holländ. H. G. B. Art. 262 ausdrücklich zugelassen, und den allgemeinen Grundsätzen entsprechend (Art. 529.) Die weitere Versicherung, welche etwa der Beauftragte aus Vorsicht nehmen würde, wäre dann mehr im Sinne einer Rückversicherung anzusehen.
Art. 707. Die Bestimmung dieses Artikels, welche bereits durch die Bemerkungen zu Art. 704 erklärt wurde, ist eine Erweiterung der in Art. 475 enthaltenen allgemeinen Bestimmung über die Vollmachtsbefugnisse der Agenten, und durch die nothwendige Rücksicht auf das Interesse der Versicherten geboten. Dies ist namentlich der Fall bei den Agenten ausländischer Versicherungsgesellschaften, die oft ihren Sitz in einem weit entfernten Lande haben. Es erscheint wünschenswerth, dass ein Versicherungsagent als zum Abschluss und zur Erfüllung des Contractes befugt angesehen werden kann, schon um die ausserdem unvermeidliche Verzögerung der Geschäfte zu vermeiden, die bei Gefahren, die sich jeden Tag ereignen können, für den Versicherten leicht den Zweck der Versicherung vereiteln könnte. Die Acte des Agenten sind also für den Versicherer verbindlich, wenn der Agenten nicht unmittelbar erklärt hat, dass er erst die Genehmigung etc. seines Auftraggebers einholen muss. Die weitere Folge ist, dass der mit einem Agenten abgeschlossene Vertrag dem Rechte und der Gerichtsbarkeit des Ortes unterliegt, wo er zum Abschluss kam. Es wurde ausserdem bereits zu Art. 466 ausgeführt, dass der Agent in gewissem Grade auch als Vertreter des Versicherten fungiren kann, soweit das Interesse des Versicherers dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Art. 708. Ein bestimmter Inhalt der Police ist in fast allen Gesetzgebungen vorgeschrieben. Holländ. H. G. B. Art. 256. Belg. Gesetz von 1874 Art. 27. Code de comm. Art. 332. Der Inhalt der Police ergibt sich aus den wesentlichen Punkten des abgeschlossenen Vertrages. Es ist jedoch zu beachten, dass die Police nicht selbst den Contract darstellt, sohin dieser nicht ungültig wird, wenn etwa der eine oder andere Punkt darin nicht, oder nicht vollständig, oder nicht richtig angegeben wäre. In solchen Fällen könnten die anderweitigen schriftlichen Documente, oder auch andere Beweismittel herangezogen werden. Insbesondere braucht das Versicherungsinteresse, obgleich eine nothwendige Bedingung für die Gültigkeit des Vertrages, nicht ausdrücklich angegeben zu sein; es genügt, wenn es thatsächlich vorhanden ist und nötigenfalls nachgewiesen werden kann. Wenn also z. B. eine Versicherung commissionsweise genommen wird, so genügt es, wenn der Name des Commissionärs in der Police steht; dieser gilt als versichert, obgleich er nicht in seiner Person ein Interesse hat, allein das Interesse dessen, auf dessen Rechnung er die Versicherung nimmt, ist hinreichend und er kann diesen auch ohne besondere Bezeichnung in der Police vertreten. Diese freie Auslegung der gesetzlichen Erfordernisse ist nothwendig, um der Abschliessung und Vermittlung von Versicherungen nach den wechselnden Conjuncturen des Handels kein Hinderniss in den Weg zu legen. In der Regel werden für Police feste gedruckte Formulare gebraucht, die dann den Umständen nach ausgefüllt werden.
Art. 709. Bereits zum vorigen Artikel wurde bemerkt, dass der Inhalt einer Police auch ergänzt und dadurch der volle Inhalt des Vertrages, wenn nöthig, bewiesen werden kann. Allein der Inhalt der Police kann ausserdem durch gewisse andere Papiere, als Memoranda, Declarationen, ergänzt, erläutert werden, und dasselbe gilt vom Handelsgebrauch überhaupt. Ja es ist eine Abänderung der Police durch nachfolgende Vertragszusätze vollkommen zulässig. Gesetzt es wäre eine Police auf ein Jahr genommen, aber es würde nachher durch Uebereinkunft, etwa brieflich, die Zeit auf 1/2 Jahr verkürzt, so wäre dieses zweite Uebereinkommen gültig. Auch hier ist mithin der Grundsatz massgebend, dass die Police nicht den Vertrag selbst darstellt, sondern dass der Vertrag ausserhalb der Police besteht und insoferne ganz den gewöhnlichen Grundsätzen unterliegt. Auch die Police selbst kann durch neuen Vertrag mittelst Einschaltungen, Ausstreichungen etc. geändert werden.
Art. 710. Ein Ordrepapier hat die Bedeutung, dass nicht blos der ursprüngliche Contrahent, sondern jeder auf dessen Namen es überschrieben ist, die Rechte aus dem Vertrage geltend machen kann; ebenso bei einem Inhaberpapier jeder Besitzer der Urkunde, ohne dass in dem einen oder anderen Falle der Rechtsgrund des Uebergangs oder die Legitimation des Nachfolgers bewiesen zu werden braucht. Regelmässig tritt hiezu noch die weitere Folge, dass dem Nachfolger nur solche Einwendungen entgegen gesetzt werden können, die aus dem Papier selbst abgeleitet werden können. Bei der Uebertragung einer Versicherung ist diese letztere Folge jedoch nur beschränkt anwendbar, da die Police nicht den Vertrag selbst darstellt; mithin wird durch Indossament etc. einer Police der Versicherer nicht der Einreden verlustig, die er dem ursprünglich Versicherten gegenüber aus dem Versicherungsvertrage hätte ableiten können.
Die Ausstellung von Policen auf den Inhaber oder an Ordre hat daher nur die Bedeutung, dem zuerst Versicherten die Abtretung seiner Ansprüche zu erleichtern, und ebenso dem Nachfolger deren Geltendmachung. Auch werden dadurch solche Einreden des Versicherers abgeschnitten, welche nicht in dem Versicherungsvertrage enthalten sind, sondern anderer Art sind, wie z. B. der Mangel einer rechtsgültigen Uebertragung, Einreden rein processualischer Natur u. dgl.
Policen in blanco sind in der Englischen Gesetzgebung ausdrücklich untersagt, und mit Recht, da ein Versicherter unter allen Um ständen in der Police genannt sein muss; da man übrig auch durch einen Stellvertreter und Commissionär versichern lassen kann, so ist dieses Verbot practisch nicht von grosser Bedeutung. Es dient aber dazu um Betrügereien und unerlaubten Manipulationen entgegen zu wirken, Gesetzt es würde eine Kiste mit angeblich werthvollem Inhalt versichert, während sie in Wahrheit nur Sand oder eine Höllenmaschine enthielte, so wäre die Entdeckung und Bestrafung der Schuldigen sehr erschwert, wenn die Versicherung ohne jegliche Nennung eines Namens gestattet wäre. Insbesondere die Versicherungsgesellschaften wären dadurch vielen Betrügereien preisgegeben.
Art. 711. Diese Bestimmung findet ihre Rechtfertigung in der früher erörterten Natur des Versicherungsvertrages und der Police.
Art. 712. Wenn der Versicherungswerth in der Police angegeben ist (Art. 692), so ist dieser Werth für beide Theile bindend und kann später nur wegen Betrugs angefochten werden. Ist dieser Werth aber in der Police nicht angegeben, so muss er vom Versicherten später bewiesen werden, und es wird demgemäss bestimmt, dass er sich hiefür aller sonst zulässigen Beweismittel bedienen kann, also namentlich auch Zeugen, Eid, Vermuthungen etc.
Ein anderer Punkt ist die Höhe des wirklich eingetretenen Schadens. Ist der Gegenstand, wie z. B. ein Haus, offen vorliegend, und total verloren, so wird darüber nicht viel Beweis verlangt werden können; die Höhe des Schadens ergibt sich hier von selbst durch den Augenschein. Allein es verhält sich anders, wenn der Gegenstand nur theilweise verloren ist, oder aus mehreren verschiedenen Sachen besteht, wie z. B. Mobiliar, Ladenvorräthe u. dgl. Hier kann es sich fragen, welche Sachen zur Zeit des Unfalls noch vorhanden gewesen, wie viele davon verloren seien, oder in welchem Umfange etwa einzelne Sachen beschädigt seien. Es liegt dem Versicherten ob, diesen Beweis zu führen, und auch in dieser Beziehung soll er in der Benützung aller sonst zulässigen Beweismittel nicht beschränkt sein. Uebrigens kann man, nach allgemeiner Uebereinstimmung, obwohl die Versicherungsgesellschaften oft möglichst weit die Beweislast des Versicherten auszudehnen suchen, von diesem nur einen den jeweiligen Umständen angemessenen Beweis fordern; vielmehr ist eine auch nur annähernde Beweisführung genügend, wenn keine. Verdachtsgründe gegen den Versicherten vorliegen. Auch muss diesem das Princip zu Nutze kommen, dass Veränderungen nicht vermuthet werden, und dass die in der Police enthaltenen Angaben als richtig anzunehmen sind, bis etwa Betrug bewiesen wird. Wenn man zwischen der Wahl steht, dem Versicherten etwa einige Bereicherung zu gestatten, oder ihm den wirklichen Schadensersatz auf blosse Vermuthungen oder Möglichkeiten hin zu verkürzen, wird sich ein billiger Richter wohl immer für das erstere entscheiden.
Gesetzt z. B. es wären in der Police 6 Betten versichert worden, und nach einem Brande fänden sich nur noch 3 vor; hier wäre anzunehmen, dass 3 Betten verbrannt und folglich von dem Versicherer zu ersetzen sind. Ein besonderer Beweis hiefür könnte dem Versicherten hier nur auferlegt werden, wenn etwa fest stünde, dass der Brand die Schlafzimmer gar nicht ergriffen habe, oder wenn die Umstände vermuthen liessen, dass 3 Betten bereits vorher einmal von dem Versicherten verkauft und nicht wieder nachgeschafft werden. In dieser Weise ist mithin nach den Umständen die etwaige Beweislast des Versicherten zu bestimmen und das vorhandene Beweismaterial zu prüfen.
Ein dritter Punkt betrifft die Abschätzung des Schadensbetrages, d. h. der Summe, welche auf Grund der vorangehenden Ermittlungen an den Versicherten auszuzahlen ist. Diese Schätzung hat zum Gegenstand den wirklichen Werthverlust, welchen der Versicherte durch den Eintritt des Unfalls erlitten hat. Auch dieser Punkt bedarf in manchen Fällen keiner weiteren Untersuchung, z. B. wenn der Versicherungswerth vorher bestimmt wurde und der Gegenstand total zu Grunde ging, oder wenn bei theilweisem Verlust über das Werthverhältniss kein Zweifel sein kann, wie z. B. wenn 6 gleiche Betten versichert wurden und 3 davon zu ersetzen sind. Allein in anderen Fällen können die Umstände derart sein, dass der Schaden durch Berechnung und Abschätzung besonders ermittelt werden muss. Z. B. es ist von einem Hause nur das Dach, oder eine Seitenwand etc. zerstört; von einem Waarenlager sind nur gewisse Säcke oder Kisten beschädigt u. s. w. In diesen Fällen muss der Schaden durch Sachverständige geschätzt werden, wenn die Partei sich nicht einigen können, und es geschieht dies am zweckmässigsten durch einen vom Gericht ernannten Sachverständigen.
Bei sehr werthvollen Versicherungsobjecten liegt es im Interesse beider Theile, es nicht auf die zufälligen Chancen späteren Beweises ankommen zu lassen, sondern im voraus die Sachen und deren Werth im einzelnen zu constatiren. Dies wird häufig in den Versicherungsbedingungen zur Pflicht gemacht, und der Versicherte muss dieselben erfüllen; z. B. durch Uebergabe eines speciellen Verzeichnisses oder einer speciellen Werthdeclaration, oder durch laufende Buchführung über die jeweiligen Bestände eines grossen Seidenlagers etc.
Art. 713. Die hier genannten Verpflichtungen sind dem Versicherten auch in den anderen Gesetzgebungen auferlegt. Holl. H. G. Buch Art. 283. Belg. Ges. von 1874 Art. 17. Deutsch. H. G. B. Art. 823. Auch sind darüber regelmässig in den Versicherungsstatuten genaue Vorschriften gegeben, die jedoch für den Versicherten nur verbindlich sind, wenn sie dem Gesetz nicht zuwider sind. Erfüllt der Versicherte diese Verpflichtungen nicht, so ist er dafür verantwortlich, er kann mithin unter Umständen um seinen Ersatzanspruch kommen, z. B. wenn die Unterdrückung eines Brandes gleich beim Anfang leicht möglich gewesen wäre, aber vom Versicherten aus blosser Nachlässigkeit absichtlich unterlassen wurde. Man darf auch hier die Verpflichtungen des Versicherten nicht zu strenge formuliren, da viele Menschen im Augenblick der Gefahr den Kopf verlieren und gerade das Gegentheil von dem thun, was sie vernünftiger Weise hätten thun sollen; die Nachlässigkeit etc. in der Rettung und Verhütung ist hier in ähnlicher Weise zu beurtheilen, wie in der Veranlassung des Unglücks selbst nach Art. 695.
Die Verpflichtung der Anzeige hat zum Zweck, den Versicherer von dem eingetretenen Verlust in Kenntniss zu setzen, und ihm die genaue und wirkliche Schadensermittlung zu ermöglichen. Die Anzeige muss daher unverzüglich erfolgen, damit der Versicherer die Dinge in unverändertem Zustande antrifft, gerade wie sie durch ein Feuer etc. geworden sind. Auch hier ist der Versicherte dafür verantwortlich, wenn er durch Verzögerung den Versicherer in eine ungünstige Stellung bringt; allein ohne diese Voraussetzung kann der Verlust seines Anspruches nicht die Folge der unterlassenen Anzeige sein, wenngleich manche Versicherungsstatuten dies ausdrücklich aussprechen. Unverzüglich bedeutet: ohne einen in der Natur der Sache und in den Umständen begründeten Verzug oder Aufschub; es muss also das Feuer etc. zu Ende und der Versicherte in den Stand gekommen sein, die erforderliche Anzeige zu machen. Auch dies ist nach Billigkeit und in Anbetracht der Umstände zu beurtheilen. Im allgemeinen muss es genügen, wenn im Laufe des folgenden Tages die Anzeige und binnen eines weiteren Zeitraumes von etwa 3 Tagen die genauere Specification des Schadens eingereicht wird.
Die besonderen Kosten der Rettung und der Abwendung der Gefahr fallen nach Art. 694 dem Versicherer zur Last.
Art. 714. Diese Bestimmung findet sich auch in dem Belg. Gesetz von 1874 Art. 19 und in den meisten Versicherungsstatuten. Der Grund dafür ist, dass durch Kriege und Revolten eine ausserordentliche Gefahr der Zerstörung und Beschädigung entsteht, welche ausserhalb der gewöhnlichen Wahrscheinlichkeitsberechnung steht und die Grösse des Schadens, namentlich an einzelnen Orten, übermässig erhöhen kann. Auch liegt dabei die politische Erwägung zu Grund, dass der durch Ereignisse politischen Characters verursachte Schaden nicht auf die Versicherungsgesellschaften abgewälzt werden soll. Die Versicherungsgesellschaften können allerdings auch solche Gefahren übernehmen, allein es muss dies ausdrücklich und freiwillig geschehen und ist in der gewöhnlichen Versicherung nicht von selbst enthalten. Die Bestimmung dieses Artikels gibt den Versicherern die Befugniss, bei drohender Kriegsgefahr etc. die Prämien über den gewöhnlichen Satz zu erhöhen.
Art. 715. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Holl. H. G. B. Art. 251 und im Belg. Gesetz von 1874 Art. 9. Deutsch. H. G. B. Art. 810 ff. Unter wesentlichen Umständen sind solche zu verstehen, welche auf die Beurtheilung der Gefahr durch den Versicherer und dessen Entschluss, die Versicherung unter gewissen Bedingungen zu übernehmen, von bestimmendem Einflusse sein können und von welchen die Berechnung der zu entrichtenden Prämie abhängt. Als eine wesentliche Verschweigung kann nicht angesehen werden die Unterlassung der Anzeige solcher Umstände, deren Kenntniss der Versicherer bereits hatte oder der Versicherte bei ihm voraussetzen konnte. Dies ist im Deutschen H. G. B. Art. 812 ausdrücklich ausgesprochen, versteht sich aber von selbst, weil das was der Versicherer selbst schon weiss, seinen Entschluss ebenso bestimmen wird, als was ihm der Versicherte angibt; daher im ersten Falle nicht behauptet werden könnte, dass er zur Uebernahme der Versicherung durch den Versicherten veranlasst worden sei.
Diese Bestimmung soll dazu dienen, den Versicherer gegen betrügliche Versicherungen und gegen die nachtheiligen Folgen einer irrthümlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung zu sichern; sie liegt aber auch im Interesse aller bei ihm Versicherten, weil nur aus deren Beiträgen die Versicherungssummen ausbezahlt werden können. Es soll nun nicht einer auf Kosten aller übrigen einen ungerechten Gewinn machen und die solide Zahlungsfähigkeit des Versicherers umstürzen können, gleichviel ob dies absichtlich und wissentlich geschieht oder nicht. Die fragliche Bestimmung ist daher strenge und genau gegen den Versicherten auszulegen.
Der Entwurf spricht ferner aus, dass der Versicherte frei von Schuld sein soll, wenn er seine Angaben nach bestem Wissen und in gutem Glauben gemacht hat. Dies hat nicht die Wirkung, dass der Vertrag dennoch gültig bleibt, denn der Versicherer ist bei mangelhaften Angaben unter allen Umständen nicht mehr gebunden, allein für den Versicherten hat es die Folgen, dass er nach Art. 719 die Rückgabe der Prämie verlangen kann.
Wenn der Versicherer später von gewissen Umständen erfährt durch den Versicherten selbst oder anderweitig, und gleichwohl den Vertrag unter gleichen Umständen fortsetzt, so ist dies offenbar ein Beweis dafür, dass er solchen Umständen keine wesentliche Bedeutung beilegt, folglich wird er sich in solchem Falle auf die Unverbindlichkeit des Vertrages für ihn nicht berufen können. Auch wäre es ohne Zweifel dolos, wenn er fortführe die Prämie zu erheben, allein bei eingetretener Gefahr keine Verpflichtung für sich anerkennen wollte.
Art. 716. Eine von Anfang an verbindliche Versicherung kann später unverbindlich werden, sowohl aus allgemeinen Gründen des Versicherungsrechtes, z. B. wenn das Interesse des Versicherten aufhört, wenn der Gegenstand auf andere Weise zu Grunde geht, durch absichtliche Herbeiführung des Schadens, durch Verzicht u. dgl. In dem gegenwärtigen Artikel werden aber zwei besondere Gründe behandelt, aus welchen der Vertrag für den Versicherer unverbindlich wird, ohne dass desshalb der Vertrag auch gleichzeitig für den Versicherten aufhören müsste, so dass etwa dessen bisherige oder fortgesetzte Prämienzahlung unrechtmässig würde, nämlich 1, die Veränderung der die Gefahr betreffenden Umstände zum Nachtheil des Versicherers, und 2, die Unterlassung der Prämienzahlung.
Der erste Fall enthält nur eine Anwendung des im vorigen Artikel für den Abschluss des Vertrages aufgestellten Princips auf später eintretende Thatsachen, und ist nach den dort erörterten Regeln zu beurtheilen. Es kommt also nichts darauf an, ob sie der Versicherte selbst kannte oder absichtlich verschwieg oder nicht. Wenn aber der Versicherer davon Kenntniss erhielt, und den Vertrag gleichfalls fortsetzte, so gilt dasselbe, was vorhin zu Art. 715. bemerkt wurde. Erhält der Versicherer Kenntniss, so ist er berechtigt, den Vertrag aufzuheben oder dem Versicherten strengere Bedingungen aufzulegen, und dieser kann seiner Seits zurücktreten, wenn er sie nicht annehmen will.
Bei der Lebensversicherung ist diese Bestimmung der Natur dieses Vertrages gemäss zu beurtheilen. Dieselbe wird abgeschlossen nach dem physischen Zustande, in dem sich der Versicherte zur Zeit des Abschlusses befindet, und wornach der Versicherer die Wahrscheinlichkeit seines Todes berechnet. Zeigt sich nun später in dem Versicherten der Keim einer Krankheit, der vorher nicht vorhanden war, und wird dadurch die Gefahr des Todes näher gerückt, so ist dies offenbar kein Umstand, welcher den Versicherer zum Rücktritt vom Vertrage berechtigt; denn der Versicherer bliebe auch gebunden, wenn der Tod plötzlich eingetreten, oder wenn der Versicherte in eine Krankheit verfallen wäre.
Dass die Nichtentrichtung der Prämie den Vertrag für den Versicherer unverbindlich macht, ist allgemein anerkannt, und folgt von selbst aus dem juristischen Verhältniss von Leistung und Gegenleistung. Der Entwurf bestimmt aber der Billigkeit wegen, dass diese Folge nicht eintreten soll, wenn die Prämie von dem Versicherer gestundet wurde, was namentlich dann stillschweigend geschehen kann, wenn der Versicherungsnehmer, insbesondere ein Agent etc, in laufenden Geschäftsbeziehungen zum Versicherer steht, oder wenn nach Handelsgebrauch die spätere Verrechnung der Prämie gestattet ist, sodann dass dem Versicherten für die Zahlung der Prämie eine billige Frist gelassen werden soll, die unter der Benennung von sog. Respecttagen in der Regel bis auf 30 Tage beträgt, und dass die Prämie eine sog. Holschuld sein soll. Letzteres ist dahin zu verstehen, dass der Versicherte, ohne seine Rechte aus dem Vertrag zu verlieren, selbst die übliche Zahlungsfrist verstreichen lassen kann, und dass es genügt, wenn er auch später auf Einforderung gegen Quittung Zahlung leistet. Das Eincassiren der Prämien durch den Versicherer soll mithin die Regel bilden, auch wenn etwa in den Versicherungsbedingungen das Gegentheil bemerkt wäre. Auch hier soll ferner die Fortsetzung des Vertrages die Unterlassung der Prämienzahlung unschädlich machen, ohne dass übrigens die ausdrückliche Erklärung des Versicherers, den Vertrag fortsetzen oder aufheben zu wollen, hiefür absolut nothwendig wäre. Vielmehr ist dies aus den Umständen zu entnehmen, insbesondere aus der späteren Annahme bereits verfallener Prämien oder sonstigen Handlungen des Versicherers oder seines Agenten.
Uebrigens ist die vorherige Entrichtung der Prämie nicht erforderlich für die Verbindlichkeit des Vertrages. Ist derselbe gültig abgeschlossen, aber die Prämie erst später fällig, und die Gefahr tritt in der Zwischenzeit ein, oder während der Stundungsfrist, so ist die Versicherungssumme fällig, und der Versicherte kann seine Prämie gegen dieselbe compensiren.
Die Zahlung der Prämie kann von dem Versicherten selbst, oder von anderen Personen für ihn erfolgen, entweder seinen Erben, Testamentsvollstreckern, Agenten, oder von denen, an welche die Versicherung abgetreten, oder zu deren Gunsten sie genommen wurde. Gesetzt also Jemand nimmt eine Feuerversicherung für sein Haus, so genügt es, wenn die Prämienzahlung durch den Gläubiger erfolgt, der eine Hypothek am Hause hat. Oder wenn Jemand, der eine Lebensversicherung genommen hat, noch vor der Entrichtung der Jahresprämie stirbt, so genügt es, wenn seine Erben, oder etwaige Gläubiger, die Wittwe etc. noch vor dem Ablauf der in diesem Artikel bestimmten Frist die Prämie entrichten.
Art. 717. Die Verpflichtung des Versicherten aus dem Vertrag bezieht sich wesentlich auf die Entrichtung der Prämie. Dieselbe ist eine Gegenleistung für die Gefahr, welche der Versicherer zu tragen verspricht, gewissermassen ein Kaufpreis dafür, dass dieser sich der Gefahr an Stelle des Versicherten aussetzt (pretium periculi). Nach dem Princip von Leistung und Gegenleistung wird die Prämie nicht fällig, wenn der Versicherer überhaupt keine Gefahr oder im Falle der Theilbarkeit der Sachen nur für einen Theil derselben zu tragen hatte; z. B. bei der Seeversicherung, wenn das Schiff die projectirte Reise gar nicht antrat, bei der Transportversicherung, wenn die Güter nicht, oder statt 6 nur 3 Kisten zum Transport gegeben wurden, bei der Lebensversicherung für eine gewisse Reise, wenn die betreffende Reise unterblieb, bei der Feuerversicherung, wenn die betreffenden Sachen nicht oder nur theilweise zur Existenz oder zur Stelle gelangten u. s. w. Eine andere wichtige Folgerung aus der Natur der Prämie ist deren Untheilbarkeit, d. h. die Prämie ist in ihrem vollen Umfange von dem Versicherer verdient, wenn dieser die Gefahr auch nur einen Augenblick lang getragen hat, denn die Gefahr ist gleichfalls untheilbar und hätte ja eben in diesem Augenblick eintreten können. Hat mithin der Versicherer gar keine Gefahr gelaufen, so kann er die Prämie nicht fordern und muss sie, wenn bereits entrichtet, wieder zurückgeben; hat er aber die Gefahr auch noch so kurze Zeit getragen, so ist die Prämie im vollen Betrage verfallen, und es wird nicht etwa ein verhältnissmässiger Theil derselben zurückerstattet, und es macht in allen Fällen keinen Unterschied, ob während jener kurzen Zeit der Gefahr diese selbst eintrat oder nicht. Gesetzt Jemand ist vom 1. Januar 1870 bis zum 1. Jan. 1871 für sein Haus versichert, und verkauft dieses Haus im März 1870, ohne dass die Versicherung auf den neuen Käufer übergeht. Hier ist die Versicherung im März 1870 zu Ende, gleichwohl bleibt die ganze Jahresprämie verfallen. Oder: Jemand versichert sein Leben für das Jahr 1880 und stirbt bereits im Januar dieses Jahres. Hier ist gleichfalls die Jahresprämie für das ganze Jahr verfallen, obgleich von einer weiteren Gefahr nach dem bereits im Januar erfolgten Tode, also während der übrigen 11 Monate des Jahres, keine Rede mehr sein kann. Andererseits aber ist auch die Versicherungssumme verfallen, weil die Gefahr während der Versicherungsdauer wirklich sich ereignete.
Das gleiche ist auch in Betreff einer thatsächlichen Verminderung der Gefahr zu beobachten, wenn dieselbe während der Versicherungsdauer eintreten sollte. Also wird die Jahresprämie für eine Feuerversicherung nicht erniedrigt, wenn z. B. im Laufe des Jahres eine in der Nähe gelegene Pulverfabrik aufgehoben, oder wenn in dem Hause selbst ein feuergefährliches Gewerbe nicht mehr betrieben werden sollte.
Die vorstehend erörterten Grundsätze gelten jedoch nur für eine bestimmte Versicherungsperiode, nnd dieselbe wird der Regel nach auf ein Jahr festgesetzt, wenn nicht durch Vertrag oder nach der Natur des Geschäfts, letzteres namentlich bei der Lebensversicherung, eine andere Periode anzunehmen ist.
Wenn mithin eine Versicherung auf 10 Jahre genommen würde, mit einer Jahresprämie von 50 yen, welche unter Abzug eines Disconto, etwa im Betrage von 400 yen, im voraus entricht wurde, und der Schaden tritt bereits im ersten Monat des ersten Jahres ein, so ist zwar die erste Jahresprämie im vollen Betrage verfallen, nicht aber die 9 übrigen, und es wären in diesem Falle dem Versicherten äusser der Versicherungssumme selbst noch die im voraus entrichteten 350 yen zurüekzugeben.
Das gleiche ist bei der Lebensversicherung auf bestimmte Zeit zu beobachten, gleichviel ob die Prämie in Jahresraten entrichtet wird oder in einer einmaligen Capitalzahlüng, welche letztere dann nur als die discontirte Summe sämmtlicher Jahresraten anzusehen ist;
Anders dagegen verhält es sich bei der Lebensversicherung auf Lebenszeit. Hier muss das ganze Leben als die Versicherungsperiode angesehen werden, gleichviel ob die Prämie in Jahresraten oder auf einmal entrichtet wird. In beiden Fällen kann von einer theilweisen Rückzahlung der Prämien keine Rede sein, mag der Versicherte nun 1 Tag oder 50 Jahre nach dem Abschluss der Versicherung sterben. Indessen ist, wie bereits gezeigt wurde, die Lebensversicherung nicht ausschliesslich vom Standpunkt einer Gefahrübernahme, sondern auch als Sparanlage zu beurtheilen, wesshalb hier von dem Grundsatz der Untheilbarkeit der Prämie eine Ausnahme zu machen ist (vgl. Art. 751).
Art. 718. Diese Bestimmung findet sich auch im Holländ. H. G. B. Art. 285, im Belg. Gesetz von 1874. Art. 29, wie schon im Code de comm. Art. 346. Deutsch. H. G. B. Art. 903. Sie ist der Natur der Sache angemessen, weil die Zahlungsunfähigkeit die fortdauernde Entrichtung der Prämie und bez. die seinerzeitige Auszahlung der Versicherungssumme gefährdet. Wird diese Gefahr durch Sicherheitsleistung beseitigt, so besteht zwar an sich kein Grund, den Vertrag aufzuheben; dies könnte mithin nur dann geschehen, wenn dessen Erfüllung voraussichtlich nicht erfolgen wird. In dem Belg. Gesetz Art. 29 ist dies auch ausdrücklich ausgesprochen und mithin nur dann die Aufhebung des Contractes gestattet, wenn keine genügende Sicherheit bestellt wird. Indessen lassen die übrigen Gesetzgebungen die Wahl zwischen Aufhebung des Contractes und Forderung einer Caution frei, und dieser Meinung ist auch der Entwurf gefolgt. Einmal weil es in vielen Fällen schwer sein wird, den Betrag der nothwendigen Caution zu bestimmen, da Niemand den thatsächlichen Umfang eines künftigen Schadens vorauswissen kann. Die Caution ist daher im Grunde nur dann ein genügender Ersatz, wenn die Versicherungssumme im voraus gewiss ist und feststeht. Sodann aber ist zu erwägen, dass eine Versicherung oft auf lange Jahre hinaus bestehen und man nicht wohl die Zumuthung an den anderen Theil stellen kann, auf lange Zeit hinaus ein trotz der Caution vielleicht ungewisses Verhältniss noch fortzusetzen, und hiezu kommt, dass der Versicherungsvertrag seiner Natur nach ein modificirter Creditvertrag ist, dessen Fortsetzung über den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit hinaus nicht wohl verlangt werden kann; daher es billiger scheint, in solchem Fall die Fortsetzung des Vertrages dem freien Ermessen des anderen Theiles zu überlassen. Bei kurz laufenden Versicherungen wird dieser meist Caution, bei lang laufenden dagegen Aufhebung des Vertrages vorziehen.
Das in diesem Artikel gewährte Recht besteht natürlich dann nicht, wenn keine Veranlassung zu dessen Ausübung vorliegt, also auf Seiten des Versicherten, wenn die Versicherungssumme bereits fällig geworden, oder auf Seiten des Versicherers, wenn die Prämie bereits entrichtet worden ist.
Wird der Versicherte zahlungsunfähig, so tritt die Masse an seine Stelle; sie muss also die Prämie bezahlen, und andererseits die etwa fällige Versicherungssumme in Empfang nehmen, und unter die Gläubiger vertheilen, soferne nicht eine Abtretung stattgefunden hat.
Regelmässig besitzen Prämienforderungen ein Vorzugsrecht im Concurs, z. B. nach Code de comm. Art. 191 Nr. 10.
Art. 719. Die Verpflichtung des Versicherers, die erhaltene Prämie zurückzugeben, wenn er selbst aus dem Vertrage nichts zu leisten schuldig ist, findet sich überall anerkannt. Holland. H. G. B. Art. 281. Belg. Gesetz von 1874 Art. 10.11. Deutsch. H. G. B. Art. 899—902. Code de comm. Art. 356'. 358. Allein die Rückerstattung findet nur unter Abzug einer gewissen Entschädigung des Versicherers statt, gewöhnlich 1/2 percent der Versicherungssumme, und nur unter gewissen Bedingungen, die im Entwurfe speciell festgestellt sind.
Der Vertrag ist unwirksam, wenn kein Versicherungsinteresse besteht, oder wenn keine Gefahr für den Versicherer begonnen hat.
Er ist ungültig, wenn der Verlust zur Zeit des Abschlusses bereits sich ereignet hatte, im Falle falscher Angaben, oder der Veränderung der Umstände, und wenigstens theilweise ungültig im Falle der Ueberversicherung oder Doppelversicherung.
Der Vertrag kann freiwillig aufgehoben werden durch beiderseitige Uebereinkunft, durch Verzicht des Versicherten, oder wegen Zahlungsunfähigkeit des anderen Theiles.
In allen diesen Fällen muss der Versicherer die Prämie zurückzahlen, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass den Versicherten kein Verschulden trifft, d. h. wenn dieser sich in gutem Glauben befand und nicht selbst absichtlich oder durch nachlässiges Verhalten, z. B. hinsichtlich der Rettung oder durch falsche Angaben etc. den Vertrag ungültig machte. Im entgegengesetzten Falle verliert der Versicherte seine Prämie zur Strafe für sein ungesetzliches Verhalten, und es liegt darin ein gesetzlicher Zwang dahin, dass nicht Versicherungen in betrügerischer Absicht eingegangen werden.
Allein die Rückerstattung der Prämie erfolgt
1) nur für die laufende Versicherungsperiode. Dies versteht sich von selbst, da jede Versicherung für die vertragsmässig bestimmte Zeit einen besonderen Vertrag für sich ausmacht, und es soll dadurch dem Irrthum vorgebeugt werden, als wäre etwa, wenn Jemand eine Versicherung von Jahr zu Jahr längere Zeit hindurch immer wieder erneuert hätte, der während dieser Zeit gezahlte Gesammtbetrag zurückzuerstatten. Jeder Vertrag ist zu Ende, wenn seine Zeit abgelaufen ist, und es handelt sich nur um die Zurückerstattung auf Grund eines zur Zeit noch laufenden Contractverhältnisses; und
2) nur im Verhältniss der Befreiung des Versicherers von der Gefahr. Hier ist zu bemerken, dass wenn der Versicherer überhaupt nichts zu zahlen schuldig ist, etwa wegen Mangels eines Interesses, wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben, wegen Doppelversicherung etc., er auch keine Gefahr läuft und daher in solchen Fällen die ganze Prämie zurückgeben muss. Ist aber der Vertrag an sich gültig, und die Gefahr hat auch nur eine kurze Zeit zu laufen begonnen, so ist nach den Bemerkungen zu Art. 717 von ihm die ganze Prämie erworben, und er braucht nicht etwa einen Theil derselben zurückzugeben, wenn später die Gefahr noch während der beabsichtigten Versicherungsdauer aufhört. Eine theilweise Rückerstattung der Prämie kann daher nur Platz greifen, wenn die Gefahr des Versicherers in Betreff des Gegenstandes oder Interesses sich geringer herausstellt, z. B. bei Ueberversicherung, oder mehrfacher Versicherung, wenn eine proportionelle Reducirung des Risikos eintritt, bei der Transportversicherung, wenn nur ein Theil der Güter zur Beförderung kam oder wenn statt der Hin- und Rückreise nur die Hinreise stattfand, wenn nicht beide zusammen als eine einzige Reise anzusehen sind, was von dem Handelsgebrauch abhängt. Smith, merc. law p. 393. Die Englische Jurisprudenz spricht in solchen Fällen von zusammenhängendem Risiko (entire risk) und ist der richtigen Meinung, dass eine Rückgabe der Prämie nicht mehr gefordert werden kann, wenn auch nur ein kleiner Theil des zusammenhängenden Risikos begonnen hat. So würde auch bei Eisenbahntransporten die Prämie verfallen sein, wenn die Güter auch nur auf den Bahnhof gebracht worden wären, aber nicht weiter transportirt, weil wenn ihr Verlust schon auf dem Bahnhofe stattgefunden hätte, die Versicherungssumme fällig geworden wäre.
Art. 720. Diese Bestimmung ist gleichfalls allgemein anerkannt. Holländ. H. G. B. Art. 284. Belg, Gesetz von 1874 Art. 22. Deutsch. H. G. B. Art. 808. Dies folgt schon daraus, dass der Versicherte sich bereichern würde, wenn er auch Schadensersatz von dem etwaigen Beschädiger einfordern dürfte. Eine Cession dieses Anspruches an den Versicherer ist nicht erforderlich, dieser erwirbt ihn vielmehr von selbst, sobald er die Entschädigung an den Versicherten gezahlt hat. Der Versicherte kann auch nicht durch Verzicht, oder Herbeiführung der Verjährung etc. den Versicherer seines Regressanspruches an den Beschädiger berauben und haftet persönlich für allen durch sein Verhalten dem Versicherer desfalls zugefügten Schaden, und es ist für den Versicherten keine Rechtfertigung, dass er selbst an dem Regressanspruch kein Interesse mehr habe, da er durch die Versicherung gedeckt sei.
Art. 721. Die Versicherung kann zwar in kleinem Massstabe auch von Einzelnen wie ein gewöhnliches Gewerbe betrieben werden, allein in der Regel ist dieser Betrieb in den Händen von Gesellschaften, welche den Versicherten die Vortheile des Grossbetriebs, einer geregelten ständigen Verwaltung und eines grösseren Garantiefonds bieten. Indem die Gesellschaft die etwaigen Verluste auf eine grössere Anzahl von Mitgliedern vertheilt, bringt sie das etwaige Deficit in weitere Ferne und sichert der Versicherung Dauer und Beständigkeit. Es besteht nun zwischen Versicherungsgesellschaften der grosse Unterschied, dass deren Mitglieder nur die Versicherer, oder zugleich die Versicherten sind. Im ersten Falle ist der Versicherer eine Firma, eine aus mehreren Personen bestehende Gesellschaft, deren Gewinne oder Verluste ausschliesslich auf die Mitglieder fallen, dagegen die ausserhalb stehenden Versicherten nichts angehen; die Verpflichtung der letzteren wird hier durch die Entrichtung der Prämie getilgt. Diese Gesellschaften werden daher gewöhnlich Prämien- Gesellschaften genannt. Die Gesellschaften der anderen Art, welche man Gegenseitigkeits- Gesellschaften, sociétés mutuelles, zu nennen pflegt, haben das Eigenthümliche, dass die Mitglieder zugleich die Versicherten sind, also Versicherer und Versicherte in einer Person. Welche Art von Gesellschaft sie sind, ist an sich gleichgültig; es können mithin Collectiv-, Commandit- oder Actiengesellschaften sein; obwohl sie meist den beiden letzteren Arten angehören. Kleinere Versicherungen, z. B. von Landleuten gegen Ernteschäden etc, können unbedenklich auch Collectivgesellschaften sein, welche nach der Weise der Haverei von Fall zu Fall die Schäden unter ihre Mitglieder verhältnissmässig vertheilen und im übrigen keinen weiteren Gesellschaftsbetrieb nöthig haben.
Man kann darüber im Zweifel sein, ob der Versicherungsvertrag auf Gegenseitigkeit ein wirklicher] Versicherungsvertrag, oder vielmehr ein Gesellschaftsvertrag, oder vielleicht beides zugleich sei. Das richtige ist, dass ein solcher Vertrag ein Gesellschaftsvertrag ist, der aber in seinem materiellen Inhalte den Grundsätzen des Versicherungsrechts unterliegt. Jeder Versicherte ist mithin Gesellschaftsmitglied, hat die Rechte und Pflichten eines solchen, aber er hat auch die Ansprüche eines Versicherten. Das Verhältniss ist mithin dieses, dass als Versicherer die Gesammtheit aller Versicherten, als Versicherter jedes einzelne Mitglied zu betrachten ist.
Es gehört zu den Grundprincipien einer Gesellschaft, dass jedes Mitglied an dem Verlust und Gewinn der Gesellschaft einen verhältnissmässigen Antheil hat. Dies gilt auch für die Versicherten auf Gegenseitigkeit. Im Grunde kann es aber für diese niemals einen Gewinn geben, sondern immer nur Verlust, weil eben die Verluste jedes Jahres auf sämmtliche Mitglieder zu vertheilen sind. Verlust oder Gewinn ist hier nur denkbar in Bezug auf die von jedem Mitglied als Beitrag zu zahlende Prämie; bleibt hievon etwas übrig, so kann dieser Ueberrest als Gewinn wieder zurück vertheilt werden, reicht der Beitrag nicht aus, so muss eine Nachzahlung erfolgen, mithin mehr als die gewöhliche Prämie. Diese Haftung der Mitglieder kann solidarisch oder limitirt sein, je nach der Form der zwischen ihnen bestehenden Gesellschaft. Allein auch bei limitirter Haft wird den Mitgliedern gewöhnlich die Verpflichtung zur Entrichtung von Nachschussprämien auferlegt, in einem Betrage, welcher für den ungünstigsten Fall die Verbindlichkeiten der Gesellschaft decken würde.
Im einzelnen Ealle müssen Zweifel und Streitigkeiten nach den vorstehenden Grundsätzen entschieden werden. An die Spitze ist hiebei immer zu stellen das Recht der Gesellschaften, weil hier der zwischen den Betheiligten bestehende Vertrag ein Gesellschafts-Vertrag ist, neben den gesetzlichen Bestimmungen kommen daher immer auch die Bestimmungen des concreten Gesellschaftsvertrages zur Anwendung ; allein da der Zweck der Gesellschaft die gegenseitige Versicherung ihrer Mitglieder ist, so dürfen diese Rechtsregeln nur in Uebereinstimmung mit dem materiellen Versicherungsrecht angewandt werden.
Das gleiche ist auch im Holl. H. G. B. Art. 286 und im Belg. Gesetz von 1874 Art. 2 in der Hauptsache vorgeschrieben.
In Frankreich sind durch Gesetz vom 22. Januar 1868 für Versicherungsgesellschaften, insbesondere für gegenseitige, specielle sehr eingehende Bestimmungen getroffen worden, durch welche ihre rechtliche Stellung von der der übrigen Gesellschaften in manchen Punkten abweicht. In England und Deutschland macht man keinen solchen Unterschied zwischen Versicherungs- und anderen Gesellschaften, und dies erscheint richtiger, da man es den Gesellschaften selbst überlassen muss, ihre Statuten und ihren Geschäftsbetrieb ihrem Gesellschaftszweck anzupassen. Dagegen wurden am Schlusse dieses Titels, hauptsächlich nach dem Vorgange der Englischen Gesetzgebung, diejenigen Bestimmungen getroffen, welche im Interesse einer öffentlichen Controle des Versicherungsbetriebes nothwendig sein dürften.
Cap. 2. Versicherung gegen Feuer und Erdbeben.
Art. 722. Dass man seine Sachen als Eigenthümer gegen Feuer versichern kann, oder als Gläubiger etc., versteht sich von selbst, und ist bereits im Art. 688 allgemein ausgesprochen; dies braucht mithin hier nicht wiederholt zu werden. Der gegenwärtige Artikel hat vielmehr den Zweck, das Verhältniss deren zu regeln, welche eine fremde Sache aus irgend einem Rechtsgrunde in ihrem Besitz oder in der Verwahrung haben, und dieselbe nachher an den Eigenthümer zurüekzugeben verpflichtet sind. Von dieser Verpflichtung können sie zwar durch den Eintritt eines zufälligen Ereignisses oder durch höhere Gewalt befreit werden. In anderen Fällen aber sind sie dem Eigenthümer wegen ihres etwaigen Verschuldens zum Schadensersatz verpflichtet, und auch wenn diese Verpflichtung nicht eintreten sollte, kann es ein gewerbliches oder sonstiges Interesse für sie sein, dem Eigenthümer die Sache unbeschädigt wieder zurückzustellen oder bis dahin des ungeschmälerten Gebrauchs der Sache sicher zu sein; z. B. ein Pächter bedarf Ställe, Scheunen und Vorräthe, ein Miether will ein durch Brand beschädigtes Haus unzweifelhaft wieder herstellen um es weiter bewohnen zu können; wer Kostbarkeiten, Kleider etc. für einen anderen in Verwahrung nimmt, will für seine Kunden die vollständige Sicherheit solcher Niederlagen gewährleisten etc.
Wenn nun der Besitzer einer fremden Sache diese im Interesse des Eigenthümers versichert, so erlangt dieser dadurch ein Recht auf die Versicherungssumme, wenngleich der Besitzer sie auch für den Eigenthümer einnehmen kann. Versichert der Besitzer im eigenen Interesse, so erlangt er das unmittelbare Recht auf die Versicherungssumme, und kann sie zur Befriedigung dieses Interesses verwenden. Die Rechte des Eigenthümers aber dürfen dadurch nicht beeinträchtigt werden. Ein Pächter kann also z. B. einen abgebrannten Stall wieder aufbauen etc.; allein der neue Stall gehört ebensogut dem Eigenthümer, wie der frühere. Soweit nun die Versicherungssumme von dem Besitzer nicht im eigenen Interesse verwendet wird, gebührt sie dem Eigenthümer, denn dessen Sache ist durch den Unfall verloren gegangen, und der Besitzer kann sie nicht etwa in sein eigenes Vermögen bringen und so aus dem Unglücksfall für sich einen Gewinn machen. Aehnlich ist es auch im Belg. Gesetz von 1874 Art. 38 bestimmt.
Gewöhnlich bildet die Versicherung durch den Pächter oder Miether, ähnlich der Steuerentrichtung, eine seiner vertragsmässigen Verpflichtungen und ist als ein Bestandtheil des von ihm zu entrichtenden Pacht- oder Miethzinses anzusehen. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass während der Pacht- oder Miethzeit der Pächter etc. den Nutzgenuss der Sache hat, und folglich auch die laufenden Kosten der Sache tragen muss. Allein dadurch wird die Thatsache nicht aufgehoben, dass das Gebäude nicht dem Pächter, sondern dem Verpächter gehört und diesem nach Ablauf der Pachtzeit wieder zurückzugeben ist. Soweit ein eigenes Interesse des Pächters nicht in Betracht kommt, und dieses ist meist nach dem zwischen ihnen bestehenden Vertrage zu beurtheilen, ist das Versicherungsobject Vermögen des Eigenthümers und es kann den Gläubigern des Pächters daran durchaus kein Rechtsanspruch eingeräumt werden, wenngleich die ganze Versicherungssumme vom Pächter etc. etwa eingenommen und ausgegeben wird. In dieser Beziehung tritt die Versicherungssumme durchaus an die Stelle des ursprünglichen Versicherungsgegenstandes. Hat der Pächter etc. in eigenem Interesse versichert, dann kann allerdings die Versicherungssumme unmittelbar an ihn entrichtet werden, und der Pächter ist dem Verpächter dafür an sich nur gemäss dem Pachtverträge verantwortlich. Um aber die Stellung des Eigenthümers zu erleichtern und dem Pächter etc. die betrügerische Benachtheiligung desselben zu erschweren, wird dem Eigenthümer subsidiär ein unmittelbares Recht auf die Versicherungssumme zugestanden.
Art. 723. Diese Bestimmung findet sich auch im Belg. Gesetz Art. 36. Holländ. H. G. B. Art. 288. Es wird im Entwurf noch hinzugefügt, dass die Verpflichtung zum Wiederaufbau auch eine gesetzliche sein kann, und nicht blos eine freiwillig im Vertrag übernommene; was namentlich in Städten bei in der Strassenlinie gelegenen Häusern der Fall sein kann. Im übrigen sollen die in diesem Artikel enthaltenen Bestimmungen dazu dienen, den Wiederaufbau oder die Reparatur der Gebäude zu sichern, was auch im Interesse der etwaigen Hypothekengläubiger liegt. Findet ein Neubau nicht statt, so kommt behufs Befriedigung der letzteren die Bestimmung des Art. 702 Anwendung.
Art. 724. Bewegliche Sachen werden meist als eine Gesammtheit versichert; diese besteht fort, wenn auch ihre einzelnen Bestandtheile sich verändern, vermehren oder vermindern. Dergleichen Veränderungen sind mithin auf die fortdauernde Gültigkeit der Versicherung ohne Einfluss. Indessen ist auch hier nicht zu vergessen, dass die Versicherungssumme, welche der Versicherer übernommen hat, immer auch die Grenze seiner Verpflichtung bildet, und dass andererseits niemals mehr als der wirkliche Schaden vergütet wird. Gesetzt Jemand hätte sein Hausmobiliar im Werth verdoppelt, jedoch ohne Erhöhung der Versicherung so könnte er doch nie mehr als die ursprüngliche Summe erhalten; hätte er aber sein Mobiliar um die Hälfte vermindert, so würde er nur die übrig gebliebene Hälfte ersetzt erhalten. Diese Sätze ergeben sich von selbst aus den allgemeinen Principien der Versicherung. Abgesehen hievon aber ist es für die Versicherung ohne alle Bedeutung, welche einzelnen Gegenstände die Gesammtheit (universitas) ausmachen.
Solche Sachgesammtheiten sind hauptsächlich Hausmobiliar, Heerden, Bibliotheken, die Ernte, die Ausrüstung einer Fabrik oder landwirthschaftliches Inventar, Sammlungen der Kunst etc., Lageroder Ladenvorräthe u. dgl. m. Werden solche Gesammtheiten theilweise verkauft, so geht das Interesse und auch die Versicherung nach Art. 701 auf den Käufer über, soferne nicht die äusseren Umstände verändert werden. Auch kann eine solche Gesammtheit aus lauter fremden Sachen, und zwar verschiedener Eigenthümer bestehen; dann würden im Falle eines Brandes die in Art. 722 bezeichneten Grundsätze anzuwenden sein.
Art. 725. Bewegliche Sachen sind ihrer Natur nach meist dazu bestimmt, den Ort zu wechseln und können oft anders gar nicht gebraucht werden; z. B. Kleidungsstücke, Leihbücher etc. Andererseits kann eine Versicherung nur für bestimmte Gefahren und daher nur für eine bestimmte Localität gelten, indem durch jede Veränderung der Oertlichkeit die Umstände der Gefährlichkeit verändert werden. Wollte man letzteren Punkt nach Art. 716 stricte anwenden, so würde daraus die Unverbindlichkeit der meisten Versicherungen beweglicher Sachen folgen, weil sie aus Anlass ihres Gebrauches meist mehr oder minder den Platz wechseln. Der Entwurf bestimmt nun, dass diese Folge nicht eintreten soll, wenn die versicherten Gegenstände an einen anderen Ort gebracht werden, sei es vorübergehend, sei es dauernd, im letzteren Falle aber nur dann, wenn der Ortswechsel innerhalb der versicherten Oertlichkeit sich befindet. Beispiele für den ersten Fall sind, wenn man Bücher oder andere Sachen ausleiht, wenn man Kleidungsstücke oder Schmucksachen etc. am Leibe trägt und mit diesen ausgeht, wenn man Wagen und Pferde zum Ausfahren oder Ausreiten benützt etc. Beispiele des zweiten Falles sind, wenn man die Zimmereinrichtung verändert und ein Schlafzimmer etwa in eine andere Etage verlegt, oder Möbel in den Bodenraum oder Nebengebäude bringt, immer vorausgesetzt, dass auch solche Nebengebäude, Steckungen etc. mit in der versicherten Oertlichkeit begriffen sind. Die Versicherung könnte daher nicht fortdauern, wenn etwa Jemand seine Wohnung vom Lande in die Stadt verlegte und sein Mobiliar in die neue Wohnung schaffen liesse. Würde dies aber nur vorübergehend geschehen, etwa für die Winterszeit, und später das Mobiliar wieder in die alte Wohnung zurückgeschafft werden, so würde auch die Versicherung wieder aufleben. Gleichgültig ist es, ob die Veränderung nur einmal oder öfter, auf längere oder kürzere Zeit erfolgt.
Abgesehen aber von solchen Veränderungen behält der Satz, dass die Versicherung sich nur auf bestimmte Oertlichkeiten bezieht, seine volle Geltung. Es kann mithin ein Ersatz nur gefordert Werden, wenn das Feuer in der versicherten Oertlichkeit Gegenstände vernichtet. Würden aber ausgeliehene Bücher in der Wohnung desjenigen verbrennen, dem sie geliehen wurden, so wäre kein Ersatz zu leisten. Der Entwurf sagt nur, dass durch Ortsveränderung die Versicherung nicht aufgehoben, nicht aber, dass sie auch auf die neue Oertlichkeit ausgedehnt werden soll. Und es soll dadurch nur den Versicherten der ungestörte Gebrauch ihrer Sachen gewährt werden.
Art. 726. Diese Bestimmung hat ihre Begründung bereits in den Bemerkungen zu Art. 695 gefunden.
Art. 727. Diese Bestimmung ist auch im Holländ. H. G. B. Art. 291 und im Belg. Gesetz von 1874 Art. 34 enthalten und wohl allgemein anerkannt. Der Feuerschaden ist demnach sowohl ein unmittelbarer durch das Feuer selbst, als auch ein mittelbarer durch Verluste, die in Folge einer Feuersbrunst leicht eintreten können.
Art. 728. Auch diese Bestimmung ist im Holl. II. Gesetzbuch Art. 292 und im Belg. Gesetz von 1874 Art. 84 enthalten. Erdbeben wurden ausdrücklich hinzugefügt, da sie in diesem Lande sehr häufig sind und gleich Feuersbrünsten Schaden bringen können. Diese Bestimmung hat die doppelte Bedeutung, einmal dass die gegen solche andere Gefahren genommene Versicherung nach den Grundsätzen der eigentlichen Feuerversicherung zu beurtheilen, und sodann dass sie als von selbst in der Feuerversicherung enthalten anzunehmen ist, auch wenn dergleichen andere Gefahren in der Police nicht ausdrücklich genannt worden sind.
Art. 729. Die gleiche Bestimmung ist auch im Holländ. H. G. B. Art. 295 enthalten. Ihre Rechtfertigung ergibt sich daraus, dass das Vorhandensein der versicherten Gegenstände zur Zeit des Brandes, namentlich von Mobilien, Schmucksachen etc., oft nur dem Eigenthümer bekannt sein kann, und andere Beweismittel meist überhaupt nicht existiren, oder gerade durch den Brand nicht selten vernichtet werden, wie Geschäftsbücher, Rechnungen, Haushaltungsbücher u. dgl. In solchen Fällen würde der. Versicherte seinen Anspruch leicht ganz verlieren, wenn er nicht zur eidlichen Versicherung zugelassen würde. Der Entwurf sagt übrigens nur, dass der Versicherte hiezu zugelassen werden kann, nicht unter allen Umständen muss. Dies hängt von der Beurtheilung aller vorliegenden Umstände durch den Richter ab, und der Richter kann die Zulassung zum Eide auch versagen, wenn gegen den Versicherten ein Verdacht der Unwahrheit vorliegt. In der Regel müssen mithin solche Umstände vorher nachgewiesen oder sonst bekannt sein, aus welchen man mit Wahrscheinlichkeit schliessen kann, dass die Angaben des Versicherten nicht erdichtet oder gar in betrüglicher Absicht gemacht sind.
Cap. 3. Versicherung von Bodenerzeugnissen.
Art. 730. Unter Bodenerzeugnissen sind hier zu verstehen vor allem Erntefrüchte, wie Reis, Getreide, Tabak, Trauben etc., dann aber auch andere natürliche Erzeugnisse, wie etwa Seidencocons u. dgl., während der Periode der Fructification, d. h. solange sie auf dem Boden stehen und noch nicht abgeerntet oder sonst eingebracht sind, vom Zeitpunkte der Saat oder Pflanzung etc. an. Während dieses Zeitraumes sind sie mancherlei Gefahren der Zerstörung und des Verderbens ausgesetzt, und die Versicherung gegen diese Gefahren ist für den Landmann von gleich hohem Interesse, wie die Versicherung seiner Gebäude gegen Feuer, oder seines Viehstandes gegen Krankheiten. Die Versicherung von Bodenerzeugnissen findet aber nicht statt gegen alle Gefahren eines Misswachses oder einer Missernte, sondern nur gegen bestimmte Gefahren, wie sie dem allgemeinen Character einer Versicherung angemessen ist, d. h. gegen ausserordentliche Gefahren, deren Eintritt man weder abwenden noch vorhersehen kann. Ausgeschlossen sind mithin 1, diejenigen Verluste oder Nachtheile, welche der Landmann durch Nachlässigkeit, Unfleiss, Unkenntniss, oder durch seine Art der Wirthschaftsführung selbst verschuldet hat, wie Benützung schlechten Samens, Vernachlässigung des Unkrauts, ungenügendes Pflügen, Bewässern etc.; 2, diejenigen, welche aus dem regelmässigen Wechsel der Witterung entstehen, insoferne man je nach der Gunst oder Ungunst der Witterungsverhältnisse schlechte, gute oder mittelmässige Ernten zu gewärtigen hat. Es gibt trokene und nasse, heisse und kühle Jahrgänge, und die Ernte wird von allen diesen Vorgängen mehr oder weniger beeinflusst; es sind dies aber keine ausserordentlichen Gefahren, sondern solche, die in dem Wesen der natürlichen Erzeugung unabwendbar gegeben sind; 3, diejenigen, welche der ständigen Beschaffenheit des Bodens und des Climas entspringen, z. B. sandiger Boden, Mangel an Grund wasser, Eis und Schneefall im Winter, eine gewisse Dauer und Abwechselung der Jahreszeiten, Hitze im Sommer u. dgl. m. Es bleiben mithin nur übrig ungewisse und ausserordentliche Naturereignisse, welche zwar mit einer durchschnittlichen Regelmässigkeit eintreten können, die aber weder in die Natur der Bodenproduction noch in der Art und Weise der Wirtschaftsführung begründet sind. In Europa findet diese Art der Versicherung hauptsächlich gegen Verwüstung durch Hagel statt. In diesem Lande möchte diese Gefahr weniger zutreffen, dagegen möchte eine Versicherung gegen ausserordentlich starke Regengüsse, gegen Ueberschwemmung,z.B. wegen starken Schneefalls im Frühjahr, gegen Verwüstung durch Taifune, oder durch ausserordentlichen Sonnenbrand sich practisch nützlich bewähren. In wieweit dies geschehen kann, muss durch die Erfahrung erprobt werden. Jedenfalls ist, um unzählige Streitigkeiten und überspannte Erwartungen zu verhüten, nothwendig, dass die Gefahren, gegen welche versichert wird, ganz genau und bestimmt bezeichnet werden, und dies kann nur mit Zuziehung landwirtschaftlicher Sachverständiger geschehen. Die Gefahren sind im Gebirg und in der Ebene, überhaupt nach Districten verschieden, und daher ist es hier zweckmässig, wenn die Landwirthe eines gewissen Districtes, welche gewissen Gefahren der bezeichneten Art ausgesetzt sind, sich gegenseitig versichern und die Verluste, von welchen Einzelne unter ihnen betroffen werden, gemeinschaftlich verteilen.
Gegen niedrige Preise bei sonst unbeschädigter Ernte kann keine Versicherung stattfinden, schon desshalb, weil dieselben für sämmtliche Landwirthe gleichmässig sich stellen, mithin nicht die Verluste Einzelner von der Gesammtheit getragen werden könnten.
Art. 731. Die Zeitdauer der Versicherung hängt von vertragsmässiger Festsetzung ab. In einem Lande, wo regelmässig nur einmal im Jahre geerntet wird, ist die regelmässige Dauer ein Jahr. Aber auch wenn mehrmalige Ernten stattfinden, ist doch häufig der Gegenstand des Anbaues verschieden und damit auch die Gefahr verändert. Der Gegenstand der Versicherung muss nach allgemeinen Grundsätzen in der Police genau angegeben werden, und es hängt dann von der Festsetzung der Zeitdauer ab, ob derselbe mehrmals oder nur einmal im Jahre gefährdet ist. Die Versicherung auf ein Jahr gilt nur, wenn keine kürzere Dauer im Vertrage genannt ist. Die Versicherung auf länger als ein Jahr ist nicht zulässig, weil die Feldbestellung und Aberntung in jedem Jahre von neuem erfolgt und der Gegenstand der Versicherung daher mit jedem Jahre ein anderer ist.
Ob die Versicherung auch die schon geschnittenen, aber noch nicht in die Scheunen gebrachten Früchte betreffen soll, lässt sich im Gesetze nicht bestimmen; es hängt dies von den Wirthschaftsverhältnissen und der Absicht der Betheiligten ab. In der Regel werden Erzeugnisse, wenn sie geschnitten sind, aber noch auf dem Felde liegen, nicht mehr als versichert gelten können.
Art. 732. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf dem Grundsatz, dass den Versicherten nicht mehr als der wirkliche Schaden ersetzt werden soll. Es muss also zunächst der Werth ermittelt werden, den die Erzeugnisse gehabt hätten, wenn der Unfall nicht eingetreten wäre, wenn also die Ernte dem Versicherten unbeschädigt geblieben wäre. Von diesem Werthe wird derjenige Werth abgezogen, welchen die noch vorhandenen Früchte haben. Die Differenz zwischen beiden Summen ist der Versicherer zu zahlen schuldig. Es kann entweder nur ein Theil der Ernte vernichtet, und der andere Theil unbeschädigt geblieben sein; oder es kann noch die ganze Ernte vorhanden sein, aber nur als Stroh brauchbar, oder die Körner können ihre regelmässige Qualität verloren haben u. s. w. Würde die ganze Ernte versichert, so ist der ganze Schaden; wurde nur die halbe Ernte versichert, so ist der halbe Schaden zu vergüten. In Bezug auf Ueberversicherung, mehrfache Versicherung etc. sind die allgemeinen Grundsätze zu beobachten.
Würde ein bestimmter Versicherungswerth in die Police aufgenommen, so ist die Frage, ob derselbe nach Art. 692 für beide Theile bindend sein soll. Diese Frage ist nach der Fassung des Entwurfes zu verneinen, und es darf nur der wirkliche Werth, den die unbeschädigte Ernte im Zustand der Reife gehabt hätte, bei der Ermittlung des Schadens zu Grunde gelegt werden. Denn man kann nicht im voraus wissen, ob eine gute oder schlechte Ernte eintreten wird, und die Quantität und Qualität der Erzeugnisse ist daher bis zum Zeitpunkt der Ernte ungewiss. Der im voraus angegebene Versicherungswerth kann folglich nur annähernd berücksichtigt werden, und es hängt von den Umständen ab, ob und wieweit er zu berücksichtigen ist. Möglicher Weise wird eine Ernte erst unmittelbar vor der Aberntung versichert, dann wird der Policenwerth weitaus mehr zu berücksichtigen sein, als wenn die Versicherung schon zur Saatzeit genommen wurde.
Die Zeit, wann der Schaden eintritt, ist gleichgültig. Tritt der Schaden schon ganz frühzeitig ein, dann wird der Versicherte ebenso um seine Ernte gebracht, als wenn er sich später zur Zeit der Reife ereignet hätte.
Der Anspruch auf Entschädigung ist unabhängig davon, ob etwa der Pächter wegen Misswachses etc. einen Nachlass am Pachtzins verlangen kann. Im Belg. Gesetz von 1874 Art. 40 ist allerdings das Gegentheil verordnet, allein im Widerspruch mit allgemeinen Principien, und es bleibt dieser Punkt am besten dem Pachtvertrag überlassen. Richtiger wäre es, wenn dem Verpächter ein verhältnissmässiger Antheil an der Versicherungssumme zugesprochen würde, allein dies muss entweder durch den Pachtvertrag geschehen oder durch eine Bestimmung des Civilgesetzbuches vorgeschrieben werden.
Art. 733. Die Bestimmung dieses Artikels empfiehlt sich als zweckmässig, einmal um Entschädigungsanspruch wegen gewöhnlichen Misswachses abzuschneiden, und sodann, um die ausserordentliche Versicherungsgefahr nicht in ein zu grosses Risiko für den Versicherer ausarten zu lassen. Kleinere Verluste können zu häufig eintreten und würden den Fortbestand und die Solidität des Versicherungsbetriebes hier leicht in Frage stellen.
Cap. 4. Transport—Versicherung.
Art. 734. Dem Frachtführer und Jedem, der Gegenstände zum Transport übernimmt, ist nach feststehenden Principien (Art. 552) eine sehr weitgehende Haftung für die Ablieferung der ihnen anvertrauten Güter im unbeschädigten und unverkürzten Zustande auferlegt, wesshalb man sie gewissermassen selbst als Versicherer zu bezeichnen pflegt, da sie sogar für zufällige Verluste verantwortlich sind. Indessen geht ihre Verantwortlichkeit doch nicht auf allen und jeden Schaden, indem insbesondere der durch unwiderstehliche Gewalt verursachte davon ausgenommen ist, und andererseits hat der Frachtführer ein Interesse an ihrer glücklichen Ankunft, so dass die besondere Versicherung von Transportgütern durch mancherlei Personen im Hinblick auf die Haftung des Frachtführers nicht überflüssig ist.
In Bezug auf das Interesse, als nothwendige Voraussetzung für die Gültigkeit der Versicherung, und die Versicherung für fremdes Interesse, sowie den Uebergang der Versicherung auf den etwaigen Käufer gelten die allgemeinen Grundsätze.
Die hier zusammengestellten Grundsätze sind nur auf den Transport zu Lande oder in Binnengewässern anzuwenden, da die Grundsätze der Seeversicherung einer besonderen Festsetzung bedürfen.
In den meisten Gesetzgebungen sind über diesen Gegenstand keine besonderen Bestimmungen zu finden, und werden desshalb nur die allgemeinen Regeln der Versicherung darauf angewendet. Eine Ausnahme machen das Span. H. Gesetzbuch Buch I. Tit. 8 und das Holland. H. G. B. Buch II. Titel X.
Art. 735. Es ist eine Eigenthümlichkeit der Transportversicherung, dass sie nicht auf bestimmte einzelne Gefahren, wie Feuer, Erdbeben, Hagel etc., sondern auf alle Gefahren gerichtet ist, durch welche Güter auf dem Transport zu Grunde oder verloren gehen können. Es gehören dahin nicht blos aussergewöhnliche Naturereignisse, sondern auch gewöhnliche Unfälle durch jeden beliebigen Zufall, auch durch Verschulden des Frachtführers oder anderer Personen, ja selbst strafbare Handlungen wie Diebstahl, Brandstiftung etc., und feindliche Handlung, sowie die Verfügungen der Staatsgewalt, durch welche z. B. Güter in Beschlag genommen oder auf ihrem Wege aufgehalten werden. Ebenso bezieht sich diese Versicherung auf jeden mittelbaren Schaden an den Transportgütern, z. B. wenn dieselben wegen eines Unglücks oder zufolge höheren Befehls irgendwo liegen bleiben müssen und durch Regen etc. verderben.
Der Grund dieser unbeschränkten Versicherung liegt theils darin, dass Güter auf dem Transport in der That allen möglichen Gefahren ausgesetzt sind, theils darin, dass der Versender sie gänzlich aus seinen Händen geben und anderen Personen anvertrauen muss. Span. H. G. B. Art. 423. Holl. H. G. B. Art. 637. 693.
Will der Versicherer gewisse Gefahren oder gewisse Verluste nicht auf sein Risiko nehmen, so muss dies im Vertrage ausdrücklich erwähnt werden, oder es ist sodann häufig eine höhere Prämie für gewisse Fälle entrichtet. Abgesehen davon haftet der Versicherer von selbst für jeden Verlust oder Schaden, der nicht ausdrücklich und speciell ausgenommen wurde.
Ebenso haftet der Versicherer für die ganze Zeitdauer des Transportes. Letzterer ist zu verstehen von der ganzen Zeitdauer, während welcher sie in den Händen des Transportunternehmers sich befinden, nicht etwa blos von der actuellen Ausführung des Transports von einem Orte zum anderen. Der Transport beginnt, sobald sie der Frachtführer für diesen Zweck zu übernehmen begonnen hat. Also nicht blos, wenn sie etwa sich auf der Fahrt oder im Güterwagen befinden, sondern schon im Güterschuppen des Frachtführers vor dem Beginn der Fahrt, ja möglicher Weise schon auf dem Wege dorthin, wenn sie von dem Frachtführer oder in dessen Namen im Hause des Versenders abgeholt werden. Die Versicherung endigt ebenso erst mit der vollständigen Endigung des Transports, nachdem sie dem Adressaten übergeben oder zu dessen Disposition gestellt wurden. Also bei Eisenbahntransporten nicht schon, wenn der betreffende Güterzug im Bahnhof stille steht, sondern erst, wenn sie der Adressat in Empfang genommen hat. Es ist dann nach den Umständen zu beurtheilen, ob dies bereits auf dem Bahnhof oder erst im Hause des Adressaten stattgefunden hat. Gesetzt also die Güter wären bereits im Bahnhof angelangt und ausgeladen, aber sie blieben noch auf dem Bahnhof liegen nnd würden hier durch Feuer vernichtet oder gestohlen, so wäre dieser Schaden ebenso zu vergüten, als wenn sie während der Fahrt verloren gegangen wären. Auch wird der Regel nach das Bringen der Güter in die Häuser der Empfänger durch besondere Güterwagen ebenso noch in die Zeitdauer des Transports einzurechnen sein, wie die Benützung von Leichtern bei der Seeschifffahrt, gleichviel ob diese Güterwagen dem Frachtführer gehören oder etwa einem besonderen Unternehmer. Holl. H. G. Art. 688.
Solange die Güter auf dem Transport sich befinden, sind sie versichert, auch wenn während dieser Zeit der Transport unterbrochen werden muss, oder eine Uebertragung etwa von der Eisenbahn auf ein Dampfschiff stattfindet, oder die Güter aus Gründen des Transports zeitweise liegen bleiben müssen. Sollte aber der Transport ungewöhnlich verzögert oder überhaupt gegen die Regel verändert werden, so wäre dies als eine die Verlustgefahr abändernde Alterirung der Umstände zu beurtheilen, was nach Art. 716 den Versicherer von seiner Haftung befreien würde. Nur dass, wenn solche Abweichungen eben in Folge des Eintrittes einer Versicherungsgefahr herbeigeführt würden, z. B. durch Schuld des Frachtführers, dies ein unter die Police fallender und somit den Versicherer treffender Schaden sein würde. Holl. H. G. B. Art. 693.
Art. 736. Die Versicherung von Transportgütern geht auch auf denjenigen über, an welchen sie während des Transportes veräussert werden. Dies ist namentlich wichtig für den Handel, da Güter sehr häufig noch auf dem Wege gehandelt werden. Indessen ist auch hier nicht zu übersehen, dass bei solchen Lieferungsgeschäften die Gefahr erst mit der Uebergabe an den Käufer übergeht, und bis dahin das Interesse beim Verkäufer verbleibt. Würde aber der Käufer sie schon während des Transportes übernehmen und auf demselben Transport weiterführen, so würde auch die Versicherung schon mit diesem Zeitpunkte auf ihn übergehen.
Die Ablieferung an den Empfänger ist daher hier, wie auch im vorigen Artikel, nur in dem beschränkten Sinne zu verstehen, dass damit auch zugleich der Transport zu Ende ist. Denn solange der Transport dauert, solange dauert auch die Versicherung, auch wenn in der Zwischenzeit das Transportinteresse gewechselt hat.
Der Uebergang der Versicherung findet auch hier, die Absicht der Parteien vorausgesetzt, von selbst statt, und es ist strenge genommen eine besondere Formalität hiefür nicht erforderlich, wie z. B. Ueberschreibung der Police u. dgl. Jedoch ist auch das Geschäft nur dann ordnungsmässig geführt, wenn die in Art. 701 bezeichneten Formen gewahrt werden.
Art. 737. Diese Bestimmung findet ihren Grund darin, dass während des Transports der Frachtführer die Güter in seiner Hand hat und von allen sich ereignenden Zufällen ausschliessliche, oder doch allein verantwortliche Kenntniss besitzt, auch wenn der Adressat etwa als Passagier mitreisen sollte. Da nun der Versicherer die Frachtgüter versichert hat, so ist er für den Versicherten desfalls an die Stelle des Frachtführers getreten, und es ist seine Sache, sich desfalls mit diesem letzteren zu benehmen und abzufinden. Wenn der Versicherte einen Verlust reclamirt, und der Versicherer seine Verpflichtung ablehnt, weil der Verlust durch eine ausgenommene Thatsache entstanden sei, so ist dies eine Einrede, deren Beweis auch nach processualischen Grundsätzen ihm als Beklagten obliegt. Indessen ist' die in Art. 737 getroffene Bestimmung von der Beklagtenrolle nicht absolut abhängig, sie würde auch Anwendung finden müssen, wenn der Versicherer als Kläger vor Gericht aufträte. Span. II. G. B. Art. 424.
Art. 738. Die Bestimmung dieses Artikels enthält eine Modification der in Art. 691 über die Berechnung des Werthes der versicherten Güter enthaltenen Vorschrift. Nach der letzteren soll der Werth zur Zeit und am Orte des eingetretenen Schadens zu Grunde gelegt werden. Dies kann auf Transportgüter keine Anwendung finden, da der Ort und die Zeit des unterwegs eintretenden Unfalls ganz zufällig und ungewiss sind und zu dem Schaden, welchen der Versicherte dadurch erleidet, in keiner Beziehung stehen. Bei der Transportversicherung kann nur entweder der Abgangs- resp. Ursprungsort, oder der Bestimmungsort in Frage stehen. Das Span. H. G. B. Art. 422 hat sich für den letzteren entschieden, obwohl es für die Seeversicherung in Art. 855 den Werth am Verladungsort zur Norm macht. Die meisten übrigen Gesetzgebungen haben, wenigstens unmittelbar für die Seeversicherung, mittelbar aber auch für die Landversicherung, die letztere Norm angenommen. Code de comm. Art 339. Deutsch. H. G. B. Art. 803. Holländ. H. G. B. Art. 612. Dieser Betrag ist zu verstehen mit Einschluss der Verladungsund Versicherungs- Kosten. Die gleiche Anschauung besteht in England. Arnould, mar. insur I. p. 322.
Der Entwurf ist dieser letzteren Meinung gefolgt, theils weil sie die fast allgemeine Regel bildet, theils weil sie sich durch innere Gründe rechtfertigt. Der Werth am Bestimmungsorte ist nicht nur wechselnd und ungewiss, sondern er bestimmt auch noch nicht den wirklichen Schaden des Versicherten, da er für von aussen kommende Güter auch den Gewinn und andere Kosten, z. B. Commissionsgebühren einschliesst, welche erst durch den wirklichen Verkauf realisirt werden könnten, zur Zeit des Verlustes aber noch nicht existirten. Würde dieser gesammte Betrag als versichert gelten, so wäre dies ein zukünftiger Werth, und der Versicherte erlangte dadurch ein Interesse am Eintritt des Schadens, da er dadurch von den Chancen des Verkaufes befreit werden würde. Dies wäre allerdings anders, wenn die Güter bereits zu einem festen Preise mit Gewinn verkauft wären, weil hier der Verkäufer durch den Verlust der Güter den vollen Verkaufspreis verliert, welcher höher sein kann als die für ihn erwachsenen Kosten. Allein letzteres ist nicht immer der Fall, da auch mit Verlust oder doch ohne Gewinn verkauft worden sein kann, und sodann bleibt es dem Versicherten unbenommen, in solchen Fällen einen festen Werth, oder auch speciell den Gewinn und die sämmtlichen Transportkosten, in der Police zu versichern (Art. 690).
Unter den ursprünglichen Kosten ist der Betrag zu verstehen, welchen die Güter dem Versender selbst kosteten; derselbe ist in der Regel aus den Begleitpapieren, insbesondere der Factura oder den Rechnungen und Handelsbüchern zu ersehen. Kann dieser Betrag nicht auf solche Weise bestimmt nachgewiesen werden, so kommt der Werth am Verladungsorte, d. h. wo der Transport begonnen hat, zur Anrechnung.
Die Versicherungskosten begreifen in sich ausser dem Betrag 33 der Prämie auch die Gebühren für etwaige Versicherungscommission.
Verladungskosten sind alle Kosten, die aufgewendet wurden, um die Güter zum Transport zu bringen, inclusive der Verpackung; an Transportkosten kann nur ersetzt werden, was der Versicherte dafür zu entrichten hat; soweit sie der Frachtführer in Folge des Unfalls verliert, braucht er sie nicht zu zahlen und erleidet mithin auch keinen Verlust. Versichert der Frachtführer für sich selbst, so muss er seine Transportkosten besonders versichern.
Art. 739. Auch bei der Transportversicherung gilt im allgemeinen das Princip, dass der Versicherte alle Umstände gewissenhaft anzugeben hat, welche auf die Beurtheilung des zu übernehmenden Transport- Risikos von Einfluss sein können. (Art. 715.) Hier ist nun die Art und Weise des betreffenden Transportes von ganz besonderer Wichtigkeit, und es müssen daher alle wesentlichen Punkte in die Police aufgenommen werden. Beim Seetransport bestimmt sich das Risiko vor allem durch das für den Transport bestimmte Schiff, welches daher unter allen Umständen namhaft gemacht werden muss. Deutsch. H. G. B. Art. 821. Code. de comm. Art. 332. Beim Binnen- und Landtransport ist dieser Punkt theils überhaupt nicht vorhanden, theils von geringerem Belang, da hier die Gefahren im Durchschnitt geringer und gleichmässiger sind, und ein Transportmittel ohne wesentliche Veränderung leicht an Stelle eines anderen gebraucht werden kann. Demnach sind nur anzugeben :
Die Natur des Transports, ob Land- Fluss- Canaltransport etc., oder mehrere derselben zusammen.
Die besonderen Mittel des Transportes, ob per Eisenbahn-, Frachtwagen, Dampfschiff, Segelschiff, Boot etc.
Die Namen der Transportführer, also die betreffenden Eisenbahnoder Dampfschifffahrtsverwaltungen etc., so viele derselben an dem ganzen Transport betheiligt sind ; ebenso des etwaigen Spediteurs.
Die Route, d. h. die betreffende Eisenbahnlinie, Strasse, Fluss oder Canal u. s. w., wobei mindestens der Anfangs- und der Endpunkt des Transports zu bezeichnen sind. Zwischenpunkte brauchen nur erwähnt zu werden, wenn dies entweder ausdrücklich zur Bedingung des Vertrages gemacht wird, oder wenn es zwischen zwei Punkten mehrere verschiedene Linien gibt, oder an einem Zwischenpunkte die Güter eine Zeitlang lagern sollen u. dgl.
Die Zeitdauer des Transportes, insbesondere der Ablieferungstermin, ist der Regel nach auch auf dem Frachtbrief anzugeben. Art. 543. Für die Versicherung ist dies noch mehr nothwendig, weil der Umfang des Risikos dadurch wesentlich bestimmt wird. Wird die in der Police festgesetzte Zeitdauer überschritten, so ist sie für die überschüssige Zeit unverbindlich. Ist nun keine specielle Transportfrist vereinbart, so ist die unter gewöhnlichen Umständen regelmässige Transportdauer anzunehmen. Span. H. G. B. Art. 420. Holländ. H. G. B. Art. 686.
Es kann vorkommen, dass der im voraus festgesetzte, insbesondere nach den in diesem Artikel genannten Punkten speciell bestimmte Transport nicht ganz in dieser Weise ausgeführt wird. Man kann von der Route abweichen, es kann der Frachtführer einen Anderen an seiner Statt substituiren, den Transport unterbrechen, sich verspäten etc. etc. Da für dergleichen Umstände der Versicherte nicht haftbar sein kann, und da sie in vielen Fällen unvermeidlich sein werden, auch oft der Versender keine Kenntniss von oder kein Interesse an solchen Abweichungen hat, so kann man billiger Weise dem Versicherer nicht das Recht einräumen, desshalb den Vertrag für sich als unverbindlich zu erklären. Es gehört dies zu den Wechselfällen, welche in dem gesammten Risiko eines Transportes mitinbegriffen sein müssen. Allein nach dem allgemeinen Princip (Art. 720) muss in solchen Fällen der Versicherer das Recht haben, etwaige hiedurch begründete Entschädigungsansprüche an Stelle des Versicherten geltend zu machen.
In allen Fällen aber hat der Versicherer das Recht, sein Risiko in bestimmter Weise zu begrenzen, sowohl hinsichtlich der Zeitdauer, als hinsichtlich anderer specieller Punkte. Ist dies ausdrücklich geschehen, so bleibt die Gefahr von Aenderungen des Transports, der Zeit etc. beim Versicherten. Holl. H. G. B. Art. 690.
Cap. 5. Lebens- Unfalls- und Rentenversicherung.
Art. 740. Der allgemeine Ausdruck Lebensversicherung bezeichnet jede Art von Versicherung, deren Gegenstand der physische Zustand eines Menschen ist, durch welche mithin der Versicherer die Verpflichtung übernimmt, für die Endigung oder Beschädigung dieses Zustandes eine Entschädigung, sei es in einer Capitalsumme, sei es in einer jährlichen Rente, zu leisten.
Speciell aber bedeutet :
Lebensversicherung die Versicherung für den Fall des Todes;
Unfallversicherung die Versicherung für den Fall der Erkrankung, Beschädigung, Verletzung oder eines sonstigen physischen Unfalles, wobei das Leben noch erhalten bleibt;
Rentenversicherung die Zusicherung einer gewissen Rente auf Lebenszeit oder bis zu einem gewissen Zeitablauf.
In allen diesen Fällen wird die Wahrscheinlichkeit der menschlichen Lebensdauer, oder des Eintritts gewisser Störungen der physischen Existenz der Menschen zur Grundlage des Versicherungsverhältnisses gemacht, wesshalb sie zusammengehören und zusammen in einem bestimmten Gegensatz zu den übrigen Arten der Versicherung stehen, bei welchen es sich immer nur um den Verlust oder die Beschädigung von Sach- Vermögen handelt.
Bei der Lebensversicherung im allgemeinen wird das Leben oder der unverletzte Zustand eines Menschen als ein Gegenstand von Werth angesehen, gegen dessen Verlust man durch Entrichtung einer Prämie Ersatz sich sichern kann. Und dies entspricht der practischen Auffassung der Lebensverhältnisse, was auch von einzelnen Anhängern übertriebener Humanitätsideen dagegen erinnert werden mag. Jede Person ist fähig, ein Einkommen zu erzeugen durch den Erwerb von Capital oder durch Arbeit; hört das Leben oder die Gesundheit auf, so erlischt auch diese Einkommensquelle. Gegen diesen Verlust sucht man Entschädigung durch Versicherung, indem derselbe durch ungewisse Ereignisse, wie Tod, Erkrankung, körperliche Unfälle etc. herbeigeführt werden kann; wobei es, wie bereits früher gezeigt wurde, an dem Wesen der Versicherung nichts ändert, dass im Falle der speciellen Lebensversicherung die Versicherungsgefahr, nämlich der Tod, kein ungewisses Ereigniss ist, da practisch das gleiche auch von allen übrigen Dingen gilt.
Nur die Rentenversicherung scheint nicht mehr unter den Begriff der Versicherung fallen zu können, da hier die Entrichtung der Rente bereits zu Lebzeiten beginnt, und mit dem Eintritt des Todes oder eines anderen vereinbarten Zeitpunktes aufhört, wobei dann das als Prämie gezahlte Capital für immer verloren ist. Allein was man durch diese Art der Versicherung sich sichern will, ist die Rente, d. h. das Einkommen aus einem gewissen Capitalbesitz, und zwar in einem doppelten Sinne: nämlich einmal zum Schutz gegen etwaige Capitalund Zinsverluste, welche durch die Lebensversicherung vollständig ausgeschlossen werden, und sodann zum Zweck des ausschliesslichen und vollständigen Genusses des betreffenden Capitals durch den Versicherten, so dass dieses Capital nicht blos sich verzinst, sondern nach der Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer in gewissen jährlichen Theilbeträgen, Renten, von dem Versicherten selbst persönlich aufgezehrt wird, was in offenbarem Gegensatz zum blossen Zinsgenuss steht. Die Rentenversicherung ist eine umgekehrte Lebensversicherung, indem bei der ersteren gegen Hingabe eines Capitals der Anspruch auf eine lebenslängliche Rente, bei der letzteren gegen lebenslängliche Zahlung einer Rente oder Prämie der Anspruch auf einen gewissen Capitalbetrag erworben wird. Die Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer ist in beiden Fällen das die sonstige Creditnatur des Vertrages modificirende Moment.
Es wird nun zunächst in dem gegenwärtigen Artikel festgesetzt, dass die Lebensversicherung im allgemeinen Sinn — das gleiche gilt auch von der Rentenversicherung nach Art. 745 — sowohl auf Lebenszeit als auch auf eine andere bestimmte Zeitdauer, z. B. eine gewisse Anzahl Jahre, die Dauer einer gewissen Reise u. dgl. versichert werden kann. Bei den übrigen Versicherungen bildet ein Jahr die regelmässige Versicherungszeit. Bei der Lebensversicherung kann man sich gleichfalls auf eine beliebig kurze oder lange Zeit versichern und immer wieder von neuem versichern, und ist diese kürzere Versicherung insofern das nächstliegende, als binnen einer solchen Zeit auch der Eintritt des Todes oder Unfalls in der That völlig ungewiss ist. Allein die Versicherung auf das ganze Leben ist überall gleichfalls in unbedenklicher Uebung, obgleich hier der Tod nichts ungewisses mehr ist; und es wird jetzt wohl in keinem Lande mehr die Zulässigkeit dieser Versicherung bezweifelt. Im Holländ. H. G. B. von 1838 Art. 302 wurde ursprünglich nur die Lebensversicherung auf bestimmte Zeit, bei Strafe der Nichtigkeit des Contractes, gestattet. Allein diese Beschränkung wurde durch Gesetz vom 1. Juni 1875 aufgehoben, so dass jetzt auch in Holland die Lebensversicherung auf unbestimmte Zeit, nämlich bis zum Eintritt des Todes, zulässig ist.
Art. 741. Diese Bestimmung ergibt sich mit Nothwendigkeit aus dem allgemeinen Princip, dass ein versicherbares Interesse die unerlässliche Voraussetzung für die Gültigkeit jeder Versicherung bildet. Art. 688. Aus der Versicherung darf niemals ein Spiel oder eine Lotterie gemacht werden. Ebenso darf man auch auf das Leben oder die Gesundheit von Personen keine Einsätze machen, um damit wie bei Wettrennen oder anderen Wetten Gewinnste zu machen. In dieser Beziehung steht nun überall fest, dass Jeder ein Interesse an seinem eigenen Leben hat und dieses Interesse nicht erst speciell , nachzuweisen braucht. Dies ist auch wohl selbstverständlich, da die Selbsterhaltung wohl zu den stärksten menschlichen Trieben gerechnet werden muss, und Jeder sein Leben zu einem gewissen pecuniären Werthe anzuschlagen berechtigt sein muss, den seinen Erben oder anderen Interessenten zu hinterlassen er in allen Fällen genügende Gründe haben wird.
Man kann aber auch das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person versichern, unter der Voraussetzung, dass man daran ein Vermögensinteresse hat. Ein solches Interesse haben namentlich die Glieder einer Familie gegenseitig, oder ein Gläubiger an dem Leben seines Schuldners, ein Gesellschafter an dem Leben seines Copartners u. dgl.
In dieser Beziehung ist jedoch zu unterscheiden. Gewisse Personen sind dermassen gegenseitig an ihrem Leben etc. interessirt, dass ihr Interesse als selbstverständlich angenommen werden kann, und keines besonderen Beweises bedarf. In solchem Verhältniss stehen zu einander die Glieder einer Familie, nicht blos weil sie sich in vielen Fällen gegenseitig den Lebensunterhalt schulden und bedingen, sondern auch weil sie so enge unter einander verbunden sind, dass ihr Interesse an dem Leben des anderen Theiles gleich dem eigenen Lebensinteresse anzusehen sind. Der Entwurf bezeichnet als solche Personen 1, Ehegatten; 2, Geschwister ohne Unterschied zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, und gleichviel ob sie Zusammenleben oder nicht; und 3, Ascendenten und Descendenten, also Eltern, Grosseltern etc. gegenüber Kindern, Enkeln etc. In manchen Gesetzgebungen, z. B. in der Preussischen (A. L. R. II. 8 § 1971-1974) werden hiezu auch Verlobte gerechnet, was sich nicht empfiehlt, da Verlobte weder durch die Bande des Blutes, noch durch die wirkliche Eheschliessung, schon so enge an einander gebunden sind, dass man ihnen ein dem eigenen gleichstehendes gegenseitiges Lebensinteresse zuschreiben könnte, und ein Verlöbniss jederzeit wieder einseitig gelöst werden kann. Die in dem Entwurfe genannten Personen können, ohne dass sie ein specielles Interesse nachzuweisen hätten, entweder das Leben etc. des anderen Theiles in ihrem Interesse oder im gegenseitigen Interesse versichern; im letzteren Falle ist dann Jeder als versichert zu betrachten und die Versicherungssumme einfach dem Ueberlebenden auszuzahlen. Daher kann z. B. eine Ehefrau das Leben ihres Ehemannes versichern, dann erhält sie die Versicherungssumme, wenn der Ehemann stirbt; oder sie können ihr Leben gegenseitig versichern, dann erhält sie die Summe, wenn der Ehemann stirbt, oder der Ehemann erhält die Summe, wenn die Ehefrau stirbt.
Wird das Leben einer anderen Person von anderen als den im Entwurfe genannten Familien- Angehörigen versichert, dann ist dies nur gültig, wenn ein Vermögensinteresse an dem Leben jener Person vorhanden ist. Es ist aber wohl zu beachten, dass dieses Interesse nur zur Zeit, wo die Versicherung genommen wird, vorhanden sein muss, nicht auch später, und namentlich nicht zur Zeit des Todes der versicherten Person. Dies steht allerdings im Widerspruch mit dem allgemeinen Princip, dass durch die Versicherung nur Ersatz für wirklich eingetretenen Schaden erlangt werden darf. Hat also ein Gläubiger wegen einer Forderung das Leben seines Schuldners versichert, und wird nachher diese Forderung voll befriedigt, so erlischt damit nicht die Versicherung, sondern sie besteht fort, und wenn der Schuldner stirbt, muss ihm die Versicherungssumme ausbezahlt werden. Der Grund hiefür liegt darin, dass die Lebensversicherung nicht einfache Schadensversicherung ist, sondern wesentlich Capitalanlage, deren Resultat aber durch die Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer ungewiss gestellt wird. In früherer Zeit hatte man den Character der Lebensversicherung als Schadensversicherung strenge festgehalten, in der neueren Zeit ist aber überall das Gegentheil anerkannt worden. Smith, merc. law p. 398. Bunyan, law of life insurance p. 787. Ebenso in Nordamerika Bliss, on life insurance §18, und in Deutschland Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 22. p. 445 ff. 481. Dies stimmt auch mit der Behandlung der Lebensversicherung in allen anderen Fällen überein, indem die Versicherungssumme im Verhältniss der Prämie stets auszuzahlen ist, auch wenn etwa der Verstorbene längst arbeitsunfähig oder so reich gewesen wäre, dass seine Hinterbliebenen durch seinen Tod thatsächlich keinen Schaden erleiden.
Eine weitere Folge dieser Grundsätze ist, dass die Versicherungssumme bei der Lebensversicherung von dem Betrage eines wirklichen Schadens durchaus unabhängig ist, sondern sich durchaus nur nach dem Verhältniss der Prämie richtet, jedoch kann in den Fällen, wo ein bestimmtes Interesse nachgewiesen werden muss, die Versicherungssumme den Betrag dieses Interesses nicht übersteigen. 14 Geo. 3. c. 48. Smith, merc. law p. 397. 398.
Art. 742. Das gleiche ist im Holländ. H. G. B. Art. 303 ausgesprochen; auch in Art. 41 des Belg. Gesetzes von 1874 ist die Kenntniss oder Zustimmung der versicherten Person nicht zur Bedingung der Gültigkeit des Vertrages gemacht.
Kenntniss von der beabsichtigten Versicherung wird der Betreffende wohl in den meisten Fällen von selbst erlangen, da ohne seine Mitwirkung die nothwendige Feststellung seines Gesundheitszustandes nicht leicht möglich sein wird. Dass er aber auch seine Zustimmung dazu gebe, ist schon desshalb nicht nothwendig, weil ihm durch den Vertrag durchaus keine Verpflichtung auferlegt wird, dann aber auch desshalb nicht räthlich, damit er nicht durch unbegründeten Widerspruch aus Leichtsinn, Aberglauben, Chicane oder sonstiger böser Absicht den völlig erlaubten Zweck des Versicherungsnehmers vereiteln kann. Die Lebensversicherung ist ein Mittel der Capital-bildung nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit, und es kann Niemandem verwehrt werden, diese Wahrscheinlichkeit auf das Leben einer Person zu begründen, woran er ein Interesse hat. Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 20 p. 482. In früheren Gesetzen, z. B. dem Preuss. Landrecht, wurde allerdings die Einwilligung der versicherten Person erfordert, wo kein Familienverhältniss bestand. Allein die neuere Auffassung hält dies nicht mehr für erforderlich.
Art. 743. Man kann eine Lebensversicherung sowohl für sich selbst nehmen, als auch zu Gunsten einer dritten Person, und ebenso kann man den für sich selbst erlangten Versicherungsanspruch jederzeit an eine andere Person abtreten, wobei die in Art. 702 bezeichneten Grundsätze zur Anwendung kommen.
Um diese Fälle richtig zu verstehen, muss man bedenken, dass die Versicherungssumme ein Capitalbetrag ist, welcher an sich zum Vermögen des Versicherungsnehmers gehört, gleich jedem anderen Vermögen desselben, aber die Eigenthümlichkeit besitzt, dass er vor dem Tode des Versicherten noch nicht existirt. Er gelangt erst zur Existenz mit dem Eintritt des Todes des Versicherten, und nach den in diesem Zeitpunkt vorhandenen Umständen ist dieser Vermögensbestandtheil zu behandeln, jedoch in der Weise, dass die von dem Versicherungsnehmer darüber bei seinen Lebzeiten darüber getroffene Verfügung zu respectiren ist. Ist der Versicherungsanspruch an eine andere Person abgetreten worden, so ist an diese die Summe auszuzahlen; geschah dies nicht, dann gehört die Summe, gleich der übrigen Erbschaft, seinen Erben und Gläubigern nach den gewöhnlichen Grundsätzen der Erbfolge und Behandlung eines Nachlasses.
Vor dem Tode existirt dieser Vermögensbestandtheil nicht, er kann also auch nicht definitiv an Dritte abgetreten werden. Gesetzt es hätte Jemand zu Gunsten seiner Wittwe oder Kinder sein Leben versichert, allein Frau und Kinder sterben vor ihm; in diesem Falle würde die Versicherungssumme nicht etwa an die Erben der Frau oder der Kinder fallen, sondern sie würde in seinen eigenen Nachlass gehören, selbst wenn die Wittwe oder Kinder davon gewusst und darüber bereits unter Lebenden oder Todten anderweitig verfügt hätten.
Eine andere Frage ist, ob der Versicherungsnehmer das Recht hat, die Versicherung zu Gunsten eines Dritten oder deren Abtretung an einen Dritten vor seinem Tode zu widerrufen. Hier ist zu unterscheiden. Hat der Versicherungsnehmer vertragsmässig oder kraft einer anderen rechtlichen Verpflichtung so verfügt, dann ist der einseitige Widerruf unwirksam, da Niemand sich einseitig seinen rechtlichen Verpflichtungen entziehen kann. Hat er aber ohne Rechtsverpflichtung nur freiwillig, schenkungsweise so verfügt, so kann er jederzeit widerrufen, selbst wenn die betreffenden Personen davon wussten und die Verfügung gleich einer Schenkung acceptirt hätten. Denn eine solche Verfügung ist keine reine Schenkung, da das Geschenkte noch gar nicht existirt; sie ist aber auch keine gewöhnliche letztwillige Verfügung, so dass die Formen des Testaments etc. nicht anwendbar sind.
Art. 744. In den vorhergehenden Artikeln wurden die Fälle behandelt, dass Jemand sein eigenes Leben oder das anderer Personen in seinem Interesse versichert. Hier muss immer derjenige, welcher die Versicherung abschliesst, ein Interesse an dem Leben der versicherten Person haben. Es können aber auch Fälle vorkommen, dass Jemand das Leben einer Person versichert, ohne selbst ein Interesse zu haben, sondern vielmehr im Interesse der Versicherten selbst oder anderer Personen, die daran ein Interesse haben, oder auch nur zu deren Gunsten. Dies kann nur auf Grund einer vertragsmässigen Verpflichtung geschehen, durch welche der Versicherungsnehmer die Kosten der Versicherung zum Vortheile anderer Personen auf sich nimmt. Es wird namentlich dann vorkommen, wenn Jemand einen Anderen in seinen Dienst nimmt oder sonst mit ihm einen Vertrag schliesst, und als Gegenleistung die Mittel eines Capitalerwerbs zu liefern verspricht; z. B. bei dem Engagement von Arbeitern oder anderen Personen, zumal wenn deren Leben oder Gesundheit durch den übernommenen Dienst, durch nothwendige Reisen, insbesondere Seereisen etc. gefährdet werden sollte. In solchen Fällen kann man das Leben und die Gesundheit des Arbeiters entweder für ihn selbst, oder für seine Ehefrau und Kinder etc. versichern; sind keine anderen Personen genannt oder vorhanden, so gehört die Versicherungssumme dem Versicherten selbst resp. seinem Nachlass, und fällt dann an seine Gläubiger oder Erben. Der Versicherungsnehmer selbst kann die Versicherungssumme nie für sich selbst beanspruchen, da er nur für Rechnung des Versicherten versichert hat.
Art. 745. In diesem Artikel werden diejenigen Gründe der Unverbindlichkeit der Versicherung zusammengestellt, welche der Lebensversicherung eigenthümlich sind, obgleich sie mit den allgemeinen Principien im ganzen und grossen übereinstimmen, und hier nur besonders modificirt werden.
1. Wenn der Tod oder der Unfall zur Zeit des Vertragsabschlusses bereits eingetreten war, ist der Vertrag ungültig. Dies ist bereits allgemein in Art, 696 ausgesprochen, jedoch wird hier die Bestimmung, dass die Gültigkeit des Vertrages, auch für den Fall des bereits erfolgten Eintrittes des betreffenden Ereignisses, ausdrücklich vereinbart werden muss, weggelassen und die Gültigkeit lediglich von der Unkenntniss des Versicherungsnehmers, also von dessen gutem Glauben, abhängig gemacht. Dieser Unterschied ist dadurch zu rechtfertigen, dass bei der gewöhnlichen Schadensversicherung der Gesichtspunkt der reinen Entschädigung vorwaltend ist und die Beziehung auf schon eingetretene Verluste der Vertrag zur blossen Wette machen würde. Bei der Lebensversicherung dagegen tritt der Character einer Capitalanlage in den Vordergrund, unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeitsberechnung, und diese wird nicht aufgehoben, wenn der Tod etc. bereits eingetreten war. Die ausdrückliche Uebernahme auch der bereits eingetretenen Gefahr durch den Versicherer kann hier keine wesentliche Bedingung sein, weil die Ungewissheit schon ein genügendes Motiv für die Eingehung des Vertrages bildet. Bei der gewöhnlichen Schadensversicherung ist aber das Moment eines zukünftigen Schadens so wesentlich, dass es nur durch ausdrückliche Vertragsbestimmung entbehrlich gemacht werden kann. Diese weniger strenge Behandlung der Lebensversicherung soll es namentlich Familienangehörigen ermöglichen, eintretenden Falls eine pecuniäre Aushülfe beim Verluste eines Ehemannes etc. zu erlangen. Gesetzt es begibt sich Jemand auf eine Reise, und seine Ehefrau will nach seiner Abreise dessen Versicherung bewerkstelligen, so ist nicht einzusehen, warum ihr dies nicht gestattet werden sollte, soferne sie nur nicht weiss, dass ihr Gatte bereits umgekommen ist.
2. Diese Bestimmung entspricht den allgemeinen in Art. 695 aufgestellten Grundsätzen, wornach nur für zufälligen, nicht von dem Versicherten selbst herbeigeführten Schaden Ersatz zu leisten ist. Dies wird hier näher bestimmt, da Leben und Gesundheit den manichfaltigsten Gefahren durch den Versicherten selbst ausgesetzt sind und die Lebensweise, die Gewohnheiten und einzelne Handlungen oder Unterlassungen darauf mittelbar oder unmittelbar den grössten Einfluss haben können. Im ganzen und grossen kann man sagen, dass Jeder, wenn er nicht gerade an Altersschwäche oder an erblichen Krankheiten stirbt, seinen Tod und seine Krankheiten durch Fehler und Leichtsinn selbst herbeiführt, und es könnte desshalb gegen Jeden von dem Versicherer der Einwand erhoben werden, dass er den Tod etc. selbst verschuldete und durch geeignete Lebensweise etc. ein hohes Alter hätte erreichen können. Liesse man solche Einwände zu, dann könnte in den meisten Fällen die Versicherung für den Versicherten vereitelt werden. Dieser Punkt muss daher genauer geregelt werden, und es geschieht dies im Entwurf in folgender Weise.
Der Versicherte muss die Verpflichtungen beobachten, die ihm durch den Vertrag auferlegt werden. Dieselben gehen gewöhnlich dahin, dass er nicht über gewisse Grenzen hinaus verreisen, oder auf die hohe See, oder in den militärischen oder einen anderen lebensgefährlichen Beruf eintreten darf u. dgl. Solche Verbote, die entweder unbedingt oder bedingt, d. h. unter der Verpflichtung vorheriger Anzeige und Erlaubniss, gegeben werden können, haben den Zweck zu verhüten, dass nicht Umstände eintreten, durch welche die Wahrscheinlichkeit des Todes etc. zum Nachtheil des Versicherers gänzlich verändert würde. Darüber hinausgehende Verpflichtungen, welche die Freiheit des persönlichen Lebens den Versicherten ohne genügenden Grund und Zweck einschränken würden, wären für den Versicherten unverbindlich und nach Art. 716 zu beurtheilen.
Auch abgesehen von speciellen Vertragsbestimmungen muss der Versicherte alles vermeiden, was die Gefahr, gegen die er versichert ist, unmittelbar oder mittelbar herbeiführen würde. Insbesondere ausschweifender Lebenswandel, d. i. die Gewohnheit des Uebermasses sinnlichen Genusses, z. B. Trunksucht, Liederlichkeit, Unmässigkeit im Essen u. dgl. Solche schlechte Gewohnheiten zerrütten den Körper und erzeugen entweder unmittelbar Krankheiten, Siechthum, die Geneigtheit zu plötzlichem Tod, oder sie machen wenigstens den Körper gegen Krankheitseinflüsse weniger widerstandsfähig. Es gehören hieher aber weder einmalige oder vereinzelte Ausschweifungen, noch ein Uebermass in sonstigen Beziehungen, z. B. im Studium, in Lebenssorgen, in der Arbeit etc., da in diesen Beziehungen der Mensch äusserlich nicht gebunden sein darf.
Ausserdem ist dem Versicherten aber auch jede muthwillige oder sonst absichtliche Verkürzung seines Lebens und Beschädigung seiner Gesundheit untersagt. Unter Muthwille ist zu verstehen die leichtsinnige Herausforderung einer Lebensgefahr ohne einen ernsten Grund. Wer ins Wasser springt, um einen Verunglückten zu retten, thut dies nicht muthwillig, sondern er gehorcht einer Menschenpflicht; wer aber ohne solchen Grund ins Wasser springt, aus blosser Lust an der Gefahr, bringt sein Leben muthwillig in Gefahr. Der Arzt, der ansteckende Krankheiten aufsucht, thut dies vermöge einer Berufspflicht; wer aber ohne Noth und Zweck sich der Ansteckung aussetzt, bringt die Gefahr muthwillig über sich. Manche Handlungen sind nicht gerade muthwillig, aber doch als absichtliche Herbeiführung des Todes etc. zu beurtheilen, z. B. wenn man aus Lebensüberdruss anscheinend um zu retten in ein brennendes Haus eindringt, oder sich durch absichtliche Erkältung, Entziehung der Nahrung krank machen will oder auf andere Weise den Tod sucht, kurz Handlungen absichtlich unternimmt, die jeder vernünftige, auf Erhaltung seines Lebens bedachte Mensch vermeidet.
In allen diesen Fällen geht der Anspruch auf die Versicherungssumme verloren, jedoch nur unter einer doppelten Bedingung: einmal, wenn der Tod oder Unfall wirklich dadurch mittelbar oder unmittelbar verursacht wurde, wenn also z. B. ein ausschweifender Mensch so robust wäre, dass seine Gesundheit nicht darunter litte, kann ihm sein Lebenswandel keinen Nachtheil bringen; und sodann wenn derjenige solche Handlungen begeht, welcher sein Leben etc. selbst versichert hat oder durch Andere hat versichern lassen, weil ausserdem es ungerecht wäre, den Versicherungsnehmer darunter leiden zu lassen, da er für solche Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden kann. Ob Jemand sein Leben durch einen Anderen versichern liess, ist eine rein thatsächliche Frage, es ist dies immer dann anzunehmen, wenn die Versicherung, obgleich er sie nicht selbst nahm, doch auf seinen Willen und seine Veranlassung mit zurückzuführen ist, und wenn er entweder für sich selbst oder für seine Angehörigen oder Gläubiger etc. ein Interesse an der Versicherung hat.
Ebenso sind gewisse Handlungen nur dann als absichtliche im Sinn dieser Bestimmung anzusehen, wenn die Herbeiführung der Gefahr von dem Versicherten beabsichtigt worden ist, nicht aber dann, wenn keine solche Absicht vorlag, obgleich an sich die Handlung eine bewusste und freiwillige war. Wer z. B. im Zustande der Erhitzung in ein kaltes Bad geht oder kaltes Wasser trinkt, gefährdet dadurch sein Leben, aber es würde nicht unter das Verbot fallen, wenn der Handelnde dabei keinen Gedanken des Todes hatte und nur unbedacht handelte.
3. In allen Gesetzgebungen und Versicherungsstatuten ist anerkannt, dass Selbstmord des Versicherten die Versicherung ungültig macht, wenn dieser in zurechnungsfähigem Zustande verübt wurde; dem Selbstmord wird die Vollziehung der Todesstrafe am Versicherten gleich gestellt. Holl. H. G. B. Art. 307. Belg. Ges. von 1874 Art. 41. Smith, merc. law p. 400. 401. Zeitschr. für Handelsrecht Bd. 23 p. 183. Ganz übereinstimmend sind jedoch die Gesetze und Versicherungsstatuten nicht, nur darf man wenigstens das als feststehend annehmen, dass zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Selbstmord unterschieden und die Versicherung nur im ersten Falle ungültig wird. Das cit, Belg. Gesetz ist über diesen Gegenstand am ausführlichsten, und diesem, sowie der Englischen Gerichtspraxis hat sich der Entwurf angeschlossen. Darnach wird die Versicherung ungültig 1, wenn der Versicherte hingerichtet wird oder im Gefängniss stirbt, wohin die Abbüssung einer blos polizeilichen Haft, also wegen blosser Uebertretung nicht zu rechnen ist; 2, wenn sich der Versicherte den Tod, die Verletzung etc. unmittelbar durch die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens zuzog, z. B. wenn er bei der Verübung eines Diebstahls von dem Eigenthümer verwundet wurde, oder wenn er fliehend aus dem Fenster sprang und den Hals brach, oder bei der Verübung eines Münzverbrechens durch Explosion getödtet wurde u. dgl. m.; 3, wenn Jemand im Zweikampf fällt oder sich selbst den Tod gibt, und zwar freiwillig und absichtlich, d. h. mittelst einer Handlung, die er mit freiem Willen beging, in der Absicht um seinen Tod herbeizuführen. Der freie Wille ist nur dann anzunehmen, wenn der Handelnde Bewusstsein hatte und auch anders hätte handeln können, jedoch aus bestimmten Gründen die Selbsttödtung vornehmen wollte; dieser freie Wille ist nicht vorhanden, wenn die Freiheit des Entschlusses durch geistige Störung, durch krankhafte Schwäche des Willens- und Erkenntnissvermögens aufgehoben war. Ein solcher Zustand ist als eine Krankheit anzusehen, für deren Folgen für den Kranken dieser selbst nicht verantwortlich sein kann. Von den in Nr. 2 bezeichneten Fällen unterscheidet sich der Selbstmord dadurch, dass dort nur die Gefahr des Todes, hier aber der Tod selbst gesucht wird, dort es also immer noch von den Umständen abhängt, und nicht bloss von dem freien Willen des Thäters, ob der Tod eintreten wird.
Diese Bestimmung unter Nr. 3 ist nicht blos eine Consequenz des in Art. 695 ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes, sondern auch ein Gebot der öffentlichen Moral und Politik ; sie kann daher weder durch vertragsmässige Vereinbarung abgeändert werden, noch ist sie auf die in Nr. 2 angegebenen Voraussetzungen der Versicherung auf eigenes Leben oder auf Veranlassung des Versicherten beschränkt. Die in Ziff. 3 ausgesprochene Folge der Ungültigkeit tritt vielmehr in allen Fällen der Selbsttödtung etc. ein, auch wenn dadurch der Versicherungsnehmer unschuldiger Weise Verlust erleidet, und es soll dadurch die Neigung zu Selbstmord, Verübung von Verbrechen etc. vom öffentlichen Standpunkt aus bekämpft werden, dass der Selbstmörder etc. weiss, dass unter allen Umständen seine Angehörigen oder andere Interessenten an der Versicherung den ganzen Vortheil daraus verlieren würden.
Andererseits würde ein Vertragsbestimmung, etwa in den Statuten, dahin gehend, dass die Versicherung auch in Fällen unfreiwilligen Selbstmordes ungültig sein soll, für beide Theile bindend sein, da es dem Versicherer freisteht, gewisse Gefahren, die er nicht auf sich nehmen will, auszuschliessen. Doch ist dies nicht die Regel, und es müsste der Versicherer, wenn er sich hierauf beriefe, beweisen, dass der Vertrag wirklich von beiden Theilen in dieser Meinung abgeschlossen wurde.
Art. 746. Die Bestimmung dieses Artikels hat ihren Grund darin, dass die Lebensversicherung nicht blos auf Entschädigung für Gefahren, sondern wesentlich auf Erreichung von Sparzwecken nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit gerichtet ist, der Vertrag mithin hier weit mehr als bei der gewöhnlichen Schadensversicherung ein wirklicher Creditvertrag ist, was sich auch darin kundgibt, dass die Versicherungssumme beliebig hoch gegriffen werden kann. Bei einem Creditvertrag ist des Schuldners Verpflichtung, den empfangenen Werth an den Gläubiger zurückzuzahlen und in der Zwischenzeit diesem Zinsen zu entrichten, das regelmässige, nur dass die Zurückzahlung nach dem Willen der Parteien irgendwie näher bestimmt wird. Bei der Lebensversicherung findet eine Rückzahlung im eigentlichen Sinne nicht statt: sie wird ersetzt durch die Auszahlung der Versicherungssumme, wenn diese fällig geworden ist. Die Versicherungssumme ist im Grunde nichts weiter als der Gesammtbetrag der von dem Versicherten entrichteten Prämien, vermehrt durch die angelaufenen Zinsen und Zinseszinsen und weiterhin entweder vermehrt oder vermindert durch den früheren oder späteren Eintritt des die Wahrscheinlichkeit bedingenden Umstandes. Gesetzt ein Beitrag betrüge 1000 D. vermehrt durch Zinsen und Zinseszinsen nach 30 Jahren auf 3000 D.; die Versicherungssumme ist 3000 D. Wenn nun der Versicherte schon im ersten Jahre stirbt, sind doch 3000 D. auszuzahlen, obgleich für ihn erst ein Betrag von 1000 D. und etwa 50 D. Zinsen vorliegt; stirbt er aber erst nach 40 Jahren, dann bekommt er auch nicht mehr als die Versicherungssumme, obgleich seine Einlage mit Zinsen etc. sich bis dahin auf vielleicht 4000 D. vermehrt hat.
Die Lebensversicherung ist also eine Capitalanlage, welche man nach dem Ablauf einer gewissen Zeit durch Wahrscheinlichkeitsberechnung sicher auf einen gewissen Betrag zu erhöhen hofft, wobei man aber die Chance des Verlustes gerne in den Kauf nimmt, da dieser Verlust nur durch ausnahmsweise langes Leben bewirkt werden kann. Daraus folgt zwar, dass wenn der Vertrag bestehen bleibt, der Versicherte auch die ungünstige Chance gegen sich gelten lassen muss, aber nicht auch, dass wenn der Vertrag nicht bestehen bleibt, der Versicherte alles verlieren und der Versicherer den ganzen an ihn bereits entrichteten Betrag gewinnen soll. Vielmehr geht die Praxis aller Gesellschaften dahin, dass, wenn die Versicherung ungültig wird, der Versicherte wie ein gewöhnlicher Creditgläubiger betrachtet wird, der wenigstens einen Theil seines Guthabens wieder zurückfordern kann. Der Entwurf bestimmt nun, dass ihm soviel zurückzugeben ist, als durch Vertrag vereinbart wurde. Dies ist meist in den Statuten des näheren geregelt, sogar in der Weise, dass sich die Gesellschaft verpflichtet, die Police nach dem Willen des Inhabers zu einem gewissen Betrage zurückzukaufen; eventuell soll wenigstens die Hälfte des dem Versicherten zukommenden Guthabens zurückgegeben werden, d. h. die Hälfte der Summe, die für den Versicherten mittelst seiner Einlagen angesammelt und durch Verzinsung vermehrt wurde. Gesetzt Jemand hätte 3 Jahresprämien a 1000 D. bezahlt, im Ganzen 3000 D., hiezu Zinsen in drei Jahren a 7 perc. 420. D., mit Zinseszinsen etwa 434 D., im Ganzen ungefähr 3434 D. Diese Summe bildet den Reservebetrag des Versicherten, und sie gehört ihm, da er im Grunde Creditgläubiger auf diesen Betrag ist. Der Entwurf verlangt nun, dass ihm wenigstens die Hälfte dieses Reservebetrages zurüekzugeben ist. Die ganze Summe kann ihm nicht zurückgegeben werden, da der Versicherer sie nöthig hat, um in anderen Fällen, wo die Wahrscheinlichkeit gegen ihn ausgeschlagen ist, eine Compensation zu finden; denn wie könnte der Versicherer z. B. einer Person für eine Einlage von 1000 D. schon im ersten Jahre vielleicht 6000 D. auszahlen, wenn nicht die anderen Versicherten die Chancen gegen sich hätten. Diesen Chancen muss auch der Austretende oder dessen Vertrag sonst ungültig ist oder wird, unterworfen bleiben, da sonst überhaupt keine Versicherung möglich wäre, und es erscheint am gerechtesten, die Chanccn zwischen dem Versicherten und der Gesellschaft gleichmässig zu theilen, also dem ersteren die Hälfte seines Guthabens zuzutheilen, und die andere Hälfte der Gesellschaft im Interesse aller übrigen Versicherten zu lassen. Denn die Lebensversicherung ist nicht für Einzelne, sondern nur für eine grössere Zahl von Menschen zusammen möglich, und deren Beiträge müssen als ein einheitliches Capital angesehen werden, das alljährlich durch die zur Auszahlung gelangenden Versicherungssummen erschöpft wird. Zeitschrift für H. R. Bd. 22 p. 454 ff. Die ganze Reserve kann nicht zurückgezahlt werden, da ein Theil derselben zur Ergänzung der fällig werdenden Versicherungssummen nöthig wird. In manchen Versicherungsstatuten (s. z. B. ib. p. 497. 500) wird der Vertrag als unanfechtbar erklärt, mithin die ganze Versicherungssumme zugesagt, wenn der Vertrag mindestens einige Jahre etwa 3 Jahre gelaufen hat. Dazu kann sich eine Gesellschaft freiwillig herbeilassen, wenn es auf Grund richtiger Berechnungen geschieht, es kann aber vom Gesetz nicht auferlegt werden.
Die Höhe der dem Versicherten gebührenden Abfindung wird in der Regel mit der Höhe der Reserven steigen, weil je länger Jemand schon versichert ist, er desto näher dem Verfall der Versicherungssumme kommt, welche immer mehr als den ganzen Reservebetrag eines Versicherten ausmacht. Zeitschr. für H. R. Bd. 20 p. 368. Von einer Deutschen Gesellschaft wird nach einer dort gegebenen Mittheilung z. B. die Hälfte der Reserve entrichtet, so lange diese nicht mehr als 10 perc. der Versicherungssumme beträgt, dagegen die volle Reserve, wenn, nach sehr langer Dauer der Versicherung, dieslbe 80 percent der Versicherungssumme erreicht hat. Das Detail dieser Berechnungen muss dem Vertrage und der Versicherungs — Statuten überlassen bleiben.
Dieser Punkt ist bei der gewöhnlichen Schadensversicherung in Art. 719 anders geordnet. Allein die dort vorgeschriebene Regel ist auf die Lebensversicherung nicht wohl anwendbar, einmal weil diese sich nicht von Jahr zu Jahr erneuert, sondern als einheitlicher Contract für die ganze Versicherungsdauer läuft, und sodann weil hier ein verhältnissmässiges Laufen der Gefahr und folglich eine Theilung der Prämie nicht leicht vorkommen kann. Auch ist hier die Rückerstattung nur ausgeschlossen durch Betrug oder Verletzung des guten Glaubens auf Seiten des Versicherten, nicht schon durch anderweitiges Verschulden desselben, z. B. Nachlässigkeit und Sorglosigkeit, da hier von einer Schadensgefahr, die durch Sorgfalt abgewendet werden könnte, nicht wohl die Rede sein kann. Der Anspruch geht hier nicht verloren, wenn z. B. der Versicherte sich durch nachlässiges Verhalten krank macht und die Zuziehung eines Arztes unterlässt, während bei der Feuerversicherung Unterlassung jeglicher Rettung leicht den Verlust des Anspruches nach sich ziehen kann, wenn Rettung möglich gewesen wäre.
Die Bestimmung dieses Artikels bezieht sich nicht blos auf die in Art. 745 bezeichneten besonderen, sondern auf alle Fälle der Ungültigkeit des Lebensversicherungsvertrages, z. B. durch Rücktritt, Nichtzahlung der Prämie, unrichtige Angaben, Nichteintritt der Gefahr u. s. w.
Art. 747. Diese Bestimmung rechtfertigt sich gleichfalls aus der vorwiegenden Creditnatur des Lebensversicherungsvertrages. Der Versicherte hat sein Geld bei dem Versicherer angelegt und erwartet dessen dereinstige Heimzahlung nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit. Wenn nun bei dem Eintritt gewisser Umstände der Versicherer den Vertrag aufheben könnte, dies aber nicht thut, so ist dies so zu beurtheilen, als ob der Versicherer diesen Umständen kein Gewicht beilegte, und da er in den erhaltenen Prämien seine Deckung findet, kann er auch, wenn er will, auf Grund derselben den Vertrag mit ihm fortsetzen. Dies bezieht sich namentlich auf leichtere Abweichungen von der Regel, auf Verzögerung oder vorübergehende Unterbrechung der Prämienzahlung, auf Fälle einer bereits vorliegenden langen Dauer der Versicherung u. dgl.
In allen Fällen bleibt es dem Versicherer unbenommen, die Ungültigkeit des Vertrages geltend zu machen, wenn er die betreffenden Umstände für wesentlich hält, und es ist nicht zu erwarten, dass er dies wissentlich und absichtlich versäumen wird. Thut er es dennoch nicht, so unterlässt er dies zu seinem eigenen Nachtheil. Es wäre aber ungerecht gegen den Versicherten, wenn dieser noch länger veranlasst würde, vielleicht auf lange Zeit hinaus, Prämien zu zahlen, und schliesslich die Versicherung sich als ungültig herausstellen würde.
Von manchen Versicherungs-Gesellschaften, namentlich in England und Amerika, wird wie bereits oben erwähnt, eine Versicherung, welche eine gewisse Zeit hindurch, mindestens etwa 3 Jahre bestanden hat, überhaupt für unanfechtbar erklärt. Dies wird vom Gesetz nicht zur allgemeinen Regel erhoben, es bleibt der freiwilligen Regelung in den Statuten überlassen. Nach allgemeinen Principien lässt sich nur der in dem Entwurfe aufgestellte Satz begründen.
Als Fortsetzung des Vertrages ist namentlich die fortgesetzte unbeanstandete Annahme der Prämien anzusehen. Ob ausserdem auch die Unterlassung einer Kündigung des Vertrages dafür gelten kann, ist nach den Umständen zu beurtheilen, oder auch nach desfallsigen Bestimmungen der Statuten.
Art. 748. Regelmässig wird die Versicherungssumme fällig, wenn der Versicherte gestorben ist, einen Unfall erlitten hat, oder irgend ein anderes Ereigniss eingetreten ist, gegen welches die Versicherung genommen wurde. Indessen kann man die Fälligkeit auch anders bestimmen, namentlich geschieht dies häufig dadurch, dass die Versicherung beim Erreichen eines gewissen Alters, oder mit Ablauf einer gewissen Zeit, z. B. Dienstzeit etc., fällig werden soll. Hiedurch nähert sich die Versicherung dem Pensionswesen, und es können dadurch Personen, die nicht vom Staate pensionirt werden, sich die gleichen Vortheile wie Staatsdiener sichern.
Ebenso kann die Versicherungssumme in einem einmaligen Capitalbetrag oder in einer jährlichen Rente bedungen werden, und letztere wieder lebenslänglich, oder auf Zeit, oder bis zum Tode und zugleich weiter auch auf Lebenszeit der Wittwe u. dgl. Letzteres geschieht namentlich durch Wittwen- und Waisenkassen, durch Pensionskassen u. dgl.
Art. 749. Die Natur der Rentenversicherung wurde bereits oben zu Art. 740 besprochen. Sie ist als eine umgekehrte Lebensversicherung anzusehen, indem der Versicherte gegen Entrichtung einer Capitalsumme das Recht auf einen gewissen Rentenbezug erlangt. Gewöhnlich wird der Vertrag als Leibrentenvertrag bezeichnet, indem der Versicherte die Rente für Lebenszeit erhält. Es ist dieser Vertrag ein Mittel, um den Genuss eines Capitals über die Höhe der gewöhnlichen Zinsen hinaus zu sichern, und zwar ein für allemal, indem man auf jede weitere Verfügung über das Capital verzichtet, und zugleich die Chance längerer oder kürzerer Lebensdauer von beiden Theilen übernommen wird. Daher ist auch dieser Vertrag ein Creditvertrag, modificirt durch Wahrscheinlichkeitsrechnung, und fällt mithin unter den allgemeinen Begriff der Versicherung. Der Vortheil besteht in der Erhöhung des jährlichen Rentengenusses. So trägt z. B. ein Capital von 6000 D. bei gewöhnlicher Verzinsung zu 5% jährlich 300 D., allein auf Leibrente angelegt, kann es 6 und 7 % jährlich, also 360 oder 420 D. jährlich bringen, und durch solchen Vertrag können sich Personen, die sonst von ihren Zinsen nicht leben könnten, einen gewissen sicheren Lebensunterhalt auch mittelst kleinerer Capitalien verschaffen, allerdings mit der Folge, dass das Capital selbst verloren ist, mithin im Fall des Todes auf die Erben oder Gläubiger des Versicherten nicht übergeht. Zeitschr. für H. R. Bd. 15 p. 73 ff. Bd. 22 p. 454.
Man pflegt zu unterscheiden gewöhnliche Leibrenten und Tontinen ; die ersteren werden dem Versicherten bis zu seinem Tode oder auf bestimmte Zeit gezahlt, die letzteren gewähren den Rentenanspruch einem Ueberlebenden, also nach dem Tod des Versicherten, z. B. einer Wittwe, oder mehreren Personen, soferne Einer den Anderen überlebt, und den Ueberlebenden den Rentenbezug des Verstorbenen anwächst. Die Manichfaltigkeit der möglichen Combinationen ist auch hier sehr gross und muss der freien Entwicklung des practischen Lebens überlassen bleiben.
Aufgabe des Versicherers ist es, nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit die vermuthliche Lebensdauer des oder der gemeinschaftlich Rentenberechtigten zu berechnen, und hienach den Betrag der jährlichen Rente zu ermitteln, den er mittelst des ihm übergebenen Capitals, dessen sorgfältige und sichere Verwaltung vorausgesetzt, an die Berechtigten bis zum Ablauf ihres Rechtes entrichten kann.
Art. 750. Die Rentenversicherung selbst kann nicht übertragen werden, da sie auf die Lebensdauer bestimmter Personen begründet ist und von diesen nicht weggenommen werden könnte, ohne die Rechnung der Wahrscheinlichkeit umzustossen. Dagegen steht nichts im Wege, den Anspruch auf die Rente, der an sich nur eine gewöhnliche Geldforderung ist, auf andere Personen zu übertragen, welche dann nicht aus eigenem Rechte, sondern aus dem Rechte des Versicherten die jährlichen Rentenbezüge zu empfangen berechtigt sind. Die Uebertragung erfolgt der Regel nach durch Ueberschreibung der Police, und es sind hiebei die Vorschriften des Art. 702 zu beobachten. Eine Benachrichtigung von der erfolgten Uebertragung an den Versicherer ist von selbst nothwendig, da dieser sonst nicht wüsste, dass die Rentenzahlung nunmehr an eine andere Person erfolgen soll. Das Recht auf die Rente erlischt natürlich mit dem Tod des Versicherten, und nicht des neuen Erwerbers. Sollte der letztere vor dem ersteren hinwegsterben, so wird es von der Absicht der Uebertragung abhängen, ob die Rente wieder an den Versicherten zurückfällt oder auf die Erben des neuen Erwerbers übergeht, wie ein gewöhnliches Nachlassvermögen.
Art. 751. Ein Rücktritt von dem Versicherungsvertrag ist ganz allgemein gestattet, wenn der Versicherte den Verlust seiner Prämie zugleich mit dem Anspruch auf die Versicherungssumme auf sich nehmen will, soweit ihm nicht nach Art. 719 und 746 ein gewisser Rückersatz gebührt. Bei der Lebens- und Rentenversicherung muss dieses Rücktrittsrecht noch erweitert werden, da die Eingehung derselben im wesentlichen nur eine bestimmte Capitalanlage ist, an welche man nicht ein für allemal unwiderruflich gebunden sein sollte. Man kann zwar indirect von einem solchen Vertrage sich losmachen durch Veräusserung der Rente nach Art. 750, allein das wird in vielen Fällen nicht oder nur mit Verlust möglich sein. Es können aber sehr triftige Gründe eintreten, um von einer Lebensoder Rentenversicherung später wieder zurückzutreten. Man hat z. B. sein Leben für seine dereinstige Wittwe oder Kinder versichert, allein diese sterben sämmtlich vorher, und man hat kein Interesse mehr, die Versicherung fortzusetzen. Oder man hat eine Leibrente genommen, weil man Niemanden hatte, an den man sein Vermögen zu hinterlassen ein Interesse hatte; später heirathet man, oder man söhnt sich mit Verwandten aus u. dgl. Der Wille, von einem Lebens- oder Rentenversicherungsvertrag zurückzutreten, kann daher sehr wohl motivirt sein, und die Gesetzgebung muss diese Entschlüsse unterstützen. Man kann nun nach dem gegenwärtigen Artikel in doppelter Weise zurücktreten, entweder gegen eine Abfindung, welche dem Werth der Police im Zeitpunkt des Rücktritts gleich kommen wird und nach Art. 746 zu bestimmen ist, also mindestens die Hälfte der Reserve betragen muss, oder mittelst Umwandlung in eine gewöhnliche Capitalschuld, deren Betrag mindestens dem halben Betrag der Reserve gleich sein wird, jedoch voraussichtlich grösser, weil das Capital in höherem Betrage bewilligt werden kann, wenn es nur zu verzinsen und nicht sofort auszubezahlen ist. Bei der Rentenversicherung tritt an die Stelle der angesammelten Reserve der von dem ursprünglichen Capital noch übrige, also von dem Versicherten noch nicht aufgezehrte Restbetrag, in Bezug auf welchen der Versicherer fortwährend als Creditschuldner zu betrachten ist. Während bei der Lebensversicherung der Werth der Police mit jedem Jahre grösser wird, vermindert er sich von Jahr zu Jahr bei der Rentenversicherung, die Abfindungssumme wird daher dort mit der Zeit verhältnissmässig grösser, hier dagegen kleiner ausfallen müssen. Das Nähere muss jedoch den Versicherungsstatuten und der Praxis des Versicherungsbetriebes überlassen bleiben, da hier alles von genauen und sachgemässen Berechnungen, also mathematischen Verhältnissen abhängt, in die der Gesetzgeber sich nicht einmischen darf. Nur das kann der Gesetzgeber aussprechen, dass das Recht des Rücktritts dem Versichertengewahrt bleiben soll, aber die Chancen der Wahrscheinlichkeit auch im Falle eines solchen zwischen dem Austretenden und den Mitversicherten gleichmässig zu vertheilen sind.
Regelmässig ist ausdrückliche Anzeige des Rücktritts unter Einhaltung einer Kündigungsfrist nothwendig, deren Umfang in den Statuten zu bestimmen ist. Wenn nun aber diese Anzeige nicht erfolgt, und gleichwohl die Prämienzahlung für immer unterbleibt, so wäre die Folge die, dass wegen unterlassener Kündigung der Versicherte fortwährend Mitglied bliebe und bis zum Schluss als Schuldner auf die fälligen Prämien verklagt werden könnte, obgleich ihm thatsächlich an der Versicherung nichts mehr liegt. Hier bestimmt nun der Entwurf, dass der Versicherte in solchem Falle als thatsächlich ausgetreten betrachtet werden kann, so dass von dem Zeitpunkt der letzten Prämienzahlung an die Theilnahme des Versicherten aufhört, und mithin die Abfindung nach diesem Zeitpunkte zu berechnen ist. Dies ist günstig für den Versicherer und ungünstig für den Versicherten, allein der letztere muss dies auf sich nehmen, da er die Prämienzahlung nicht fortsetzte, und auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkte kündigte. Indessen ist der Versicherer nicht gehindert, dem Versicherten günstigere Bedingungen zu gewähren, was durch die Concurrenz der Versicherungsgesellschaften von selbst bewirkt werden wird, soweit es das Betriebsinteresse zulässt. Daher kann namentlich der Termin des Austritts auf einen späteren Termin, etwa die zweite oder dritte Prämienzahlung, hinausgeschoben und dem Versicherten in solchen Fällen die Nachzahlung, oder die Kompensation gegen die ihm gebührende Abfindung gestattet werden.
Cap. 6. Oeffentlichkeit des Versicherungsbetriebes.
Art. 752. Die Versicherungsgesellschaften, von welchen das Versicherungsgeschäft ausschliesslich betrieben werden kann, schon desshalb weil dasselbe eine von dem Leben und den Entschliessungen einzelner Firmeninhaber unabhängige Dauer haben muss, bedürfen einer besonders strengen Ueberwachung, da sich die Verpflichtungen einer Gesellschaft gegenüber vielen Personen und auf im Ganzen sehr grosse Summen erstrecken, und die Verträge vielfach über einen langen Zeitraum, bei der Lebens- und Rentenversicherung meist über das ganze Leben ausdehnen. Diese Ueberwachung kann nun entweder eine staatliche Polizeiaufsicht, oder eine öffentliche Controle durch alle Interessenten und das Publicum überhaupt sein. Die erstere wird insbesondere in Deutschland geübt, dadurch man den Betrieb der Versicherung für concessionspflichtig erklärte, mithin die Errichtung und den Betrieb solcher Gesellschafter von der Genehmigung der Staatsbehörden abhängig machte und ihren Geschäftsbetrieb der Aufsicht und näheren Untersuchung der Behörden unterwarf. Preuss. Gesetz vom 17. Mai 1853 und Erlass vom 2. Juli 1859 Bayern Verordnung vom 3. Oct. 1872. Strafgesetzbuch § 360 Nr. 9, Zeitschrift f. H. R. III. 176. XVIII. 475.
In Frankreich ist durch das Gesetz vom 24. Juli 1867 Art. 66 die staatliche Genehmigung und Ueberwachung nur für die Lebensversicherungsgesellschaften, sowohl Tontinen- als gegenseitige und Prämiengesellschaften vorgeschrieben; für alle übrigen Gesellschaften ist durch Decret vom 22. Jan. 1868 ein besonderes Reglement erlassen, welches ausser dem für alle Handelsgesellschaften gültigen Gesetze von 1867 auf sie Anwendung finden soll.
In England hat man den Grundsatz befolgt, dass die Errichtung von Versicherungsgesellschaften frei und nur den allgemeinen gesetzliehen Vorschriften über Handelsgesellschaften unterworfen sein soll. Man hat indessen nicht verkannt, dass bei Versicherungsgesellschaften die Gefahr des Betrugs und der schlechten Verwaltung verhältnissmässig grösser ist, als bei gewöhnlichen Handelsgesellschaften, und zum Schutze der Versicherten gesetzliche Bestimmungen erlassen, welche in der Hauptsache in dem Gesetze vom 9. Aug. 1870 (33 und 34 Vict. cap. 61.) enthalten sind. Dieses Gesetz bezieht sich zwar nur auf Lebensversicherungsgesellschaften, und schliesst überdies die von der Staatsschuldverwaltung und der Postverwaltung eingegangenen Leibrenten- und Lebensversicherungsverträge von seiner Wirksamkeit aus; es soll aber auch auf Personen und Vereine angewandt werden, welche Lebensversicherungs- oder Leibrentenverträge abschliessen. Es ist aber hiebei zu erwägen, dass diese Gesetzgebung durch starke Missbräuche veranlasst wurde, welche bei einer grossen Englischen Lebensversicherungsgesellschaft verübt worden waren, und die Englische Gesetzgebung überhaupt in dieser casuistischen Weise vorzugehen pflegt; so dass nicht zu zweifeln ist, dass ähnliche Grundsätze auch auf andere Versicherungszweige in England ausgedehnt werden würden, wenn ein Bedürfniss hiezu sich ergeben würde.
Der Entwurf ist nun dem Beispiel der Englischen Gesetzgebung gefolgt, weil diese dem modernen Princip der Handelsfreiheit entspricht und die polizeiliche Ueberwachung dem älteren System angehört, welches man in der Ueberzeugung, dass sie ihrer Aufgabe nur wenig gewachsen ist, neuerdings mehr und mehr verlässt. Es sind aber diese Grundsätze öffentlicher Ueberwachung auf alle Versicherungsgesellschaften und Vereine ausgedehnt worden, da hiegegen kein genügender Grund zu ersehen ist, und die gleichen Grundsätze auch in der Franz. und Deutsch. Gesetzgebung, wenn auch nicht so vollständig, angenommen sind.
Diese Grundsätze beziehen sich in der Hauptsache, kurz zusammengefasst, auf die Bildung eines genügenden Reservefonds, auf die Veröffentlichung und specielle Mittheilung der jährlichen Geschäftsergebnisse, und auf die Zulässigkeit einer Untersuchung der Versicherungsgeschäfte durch Sachverständige, um dadurch über die volle Sicherheit jeder Gesellschaft genauen Aufschluss zu erhalten. Nach dem polizeilichen Genehmigungssystem werden diese Befugnisse den Staatsbehörden gegeben; nach dem System der gewerblichen Freiheit zunächst den Betheligten, sodann aber auch den Staatsbehörden, da es sich empfiehlt, zur Hebung der Geschäftstüchtigkeit und des activen Bügersinnes zuvörderst den Betheiligten die Ueberwachung ihrer Angelegenheiten anheimzugeben.
In Art. 752 wird zunächst die Bildung eines Reservefonds vorgeschrieben. Diese Verpflichtung besteht nach Art. 270 für alle Actiengesellschaften, wornach dieselben einen solchen Fond bis auf 1/4 des Gesellschaftscapitals anzusammeln haben, und zwar aus dem jährlichen Reingewinn. Auf Versicherungsgesellschaften ist diese Bestimmung nicht gut anwendbar, da deren Gesellschaftscapital meist nur unbedeutend ist, während ihre Verpflichtungen sehr stark anwachsen können, indem dieselben immer im Verhältniss der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch Prämien gedeckt sind. In anderen Gesetzgebungen hat man daher für den Reservefond bestimmte Summen vorgeschrieben, so in England 20—40000 Pfd. Sterling, in Frankreich mindestens 50000 Francs. Allein solche Summen sind im Grunde willkürlich, und können entweder zu gross oder zu klein sein, je nach der Gesammtheit der Verpflichtungen einer Gesellschaft. Daher schien es am angemessensten, den Betrag der jährlichen Verpflichtungssummen zum Massstab zu nehmen und zwar den doppelten Betrag, damit die Versicherten immer mindestens auf 2 Jahre hinaus gesichert sind, und in diesem Zeitraum die Möglichkeit gegeben ist, die Geschäftslage aufzubessern oder die Gesellschaft möglichst über Krisen hinwegzuführen.
Von selbst versteht es sich, dass dieser Reservefond, wenn er einmal angegriffen werden muss, immer wieder aufgefüllt werden muss; so wie dass er fortschreitend zu erhöhen ist, wenn die Geschäfte einer Gesellschaft sich ausdehnen.
Dieser Fond ist nicht aus dem Reingewinn, sondern aus den Prämien und anderen Einnahmen der Gesellschaft zu bilden, da er von Anfang an und unter allen Umständen, also auch ohne Gewinnertrag, vorhanden sein muss. Bei Actiengesellschaften muss er vorweg aus den Einzahlungen der Actionäre gebildet werden; bei gegenseitigen Gesellschaften aus den Prämienbeiträgen der Mitglieder, die sich dadurch verhältnissmässig erhöhen müssen, allein mit der Folge, dass der Zinsenertrag daraus ihnen verbleibt.
Den durchschnittlichen Betrag der jährlichen Versicherungssummen zu bestimmen, bleibt der Praxis der Gesellschaften selbst überlassen. Es kann hiezu eine Periode von 2, 3 oder 5 Jahren gewählt werden. Für das erste, und auch das zweite Jahr ist allerdings bei längeren Perioden noch kein Durchschnitt herzustellen; allein soweit dies nicht möglich, muss der thatsächliche Total-Betrag des ersten oder zweiten Jahres genommen werden. Es ist Sache der Statuten zu bestimmen, in Welchem Verhältnisse und nach welchen Grundsätzen ausscheidenden Mitgliedern oder Versicherten die von ihnen auf die nothwendige Reserve gezahlten Beträge zu verzinsen und bez. zurückzuerstatten seien.
Art. 753. Diese Verpflichtung ist in Art. 268 überhaupt allen Actiengesellschaften und zwar halbjährlich auferlegt, in Beziehung auf die Mitglieder der Gesellschaft. Hier wird sie auf alle Versicherungsgesellschaften ausgedehnt, und auf alle bei einer Gesellschaft versicherten Personen. Die halbjährliche Rechnungslegung nach Art. 268 bleibt daneben gegenüber den Actionären bestehen, und es können daher die beiden Verpflichtungen jedes Jahr miteinander verbunden, dagegen jedes Halbjahr von einander getrennt werden.
Tn dem gegenwärtigen Artikel ist jedoch auch speciell neben dem Inventar, welches in der Activbilanz mit enthalten sein muss, noch eine Uebersicht der jährlichen Einnahmen und Ausgaben vorgeschrieben. Dies bezieht sich wesentlich auf den Zustand des Versicherungsgeschäftes, nämlich einerseits die neuen Abschlüsse und Prämienzuflüsse, und andererseits die fällig gewordenen Versicherungssummen. Die Kenntniss dieser Summen ist vor allem nothwendig, um ein Urtheil über den günstigen Zustand des Betriebes zu erlangen.
Art. 754. Dieser Artikel enthält eine erweiterte und modificirte Anwendung des nach Art. 275 ff. für Actiengesellschaften aufgestellten Princips der obligatorischen Untersuchung auf alle Versicherungsgesellschaften. Nach dem Englischen Gesetz von 1870 muss die Untersuchung alle 10 resp. alle 5 Jahre durch die Gesellschaft selbst vorgenommen werden. Es erscheint aber zweckmässiger, das Recht des Antrages auf Untersuchung einestheils den Versicherten, anderntheils auch der Staatsbehörde, und zwar sowohl der Centralbehörde, als auch den Unterbehörden einzuräumen, da auf diese Weise jeder betrügerischen oder unzweckmässigen Verwaltung sicherer vorgebeugt wird.
Unter Gericht ist dasjenige Gericht zu verstehen, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihre Niederlassung bat oder dessen Jurisdiction eine Agentur oder Zweigniederlassung unterworfen ist.
Die Untersuchung soll durch Sachverständige vorgenommen werden, d. h. durch Personen, welche mit dem Versicherungsgesehäft practisch vertraut und namentlich die darauf bezüglichen Rechnungen vorzunehmen und zu prüfen im Stande sind. Hiezu gehören specielle Fachkenntnisse, die ein Richter oder Beamter in der Regel nicht besitzen wird.
Die Untersuchung soll sich erstrecken 1, auf den gesammten Zustand des Versicherungsgeschäfts, also namentlich die Zahl und Höhe der genommenen Versicherungen, die Höhe der Prämien und Versicherungssummen, die Ansammlung und Anlage des Reservefonds, die rechnerische Prüfung aller Verträge u. dgl; 2, die Geschäftslage, d. i. den pecuniären Zustand der Gesellschaft, ob derselbe günstig oder ungünstig ist und die Gesellschaft dauernd im Stande sein wird, ihre Verpflichtungen zu erfüllen; 3, das Verhältniss der Activen und Passiven, d. i. ihre allgemeine Bilanz, deren Beurtheilung sich hier über eine Reihe von Jahren erstrecken wird. Beim Versicherungsgeschäft kommen zuweilen mehrere ungünstige oder günstige Jahre hintereinander vor, so dass aus den Ergebnissen eines Jahres allein noch kein sicherer Schluss gezogen werden kann ; 4, die Grundsätze, nach welchen die Versicherung betrieben wird, wohin namentlich die allen Verträgen zu Grunde liegende Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Berechnung des Werthes der versicherten Gegenstände, der Schäden etc. etc. zu rechnen ist.
Es erscheint angemessen, dass die Kosten einer solchen Untersuchung von der Gesellschaft getragen werden, wenn sie durch ihre Geschäftsführung oder durch den bedenklichen oder verhehlten Zustand ihrer Verhältnisse Anlage zu Verdacht gegeben hat. Andererseits sollen auch frivole oder unbegründete Anträge von Seiten Einzelner durch die Gefahr der Kostentragung verhütet werden. Es ist selbstverständlich, dass jeder Antrag beim Gericht durch genügende Angaben und Thatsachen begründet werden muss. Offenbar unbegründete Anträge kann das Gericht von Amtswegen zurückweisen. Je nach dem Ausfall der Untersuchung hat dann das Gericht zu entscheiden, ob die Umstände derart waren, dass die Kosten von dem Antragsteller oder der Gesellschaft zu tragen sind.
Art. 755. Diese Bestimmung findet sich auch in Art. 4 des Englischen Gesetzes von 1870. Sie soll verhüten, dass nicht die Einnahmen aus verschiedenen Versicherungszweigen oder aus anderen Geschäften vermengt und ihrem eigentlichen Zwecke entfremdet werden. Jeder Versicherungszweig bedarf einer besonderen Grundrechnung und die für diesen eingehenden Gelder müssen ausschliesslieh dafür verwendet werden. Jede Gesellschaft muss daher so viele gesonderte Rechnungen führen, als sie verschiedene Zweige der Versicherung betreibt, z. B. Feuerversicherung, Renten-, Lebensversicherung u. s. w.
Art. 756. Das Recht des Rücktritts von einer Versicherung steht nach früheren Erörterungen dem Versicherten jederzeit frei, doch ist damit mehr oder minder der Verlust der bereits gezahlten Prämien und des Versicherungsanspruches verbunden. Dass der letztere bei jedem Rücktritt eintreten muss, versteht sich von selbst; allein der Verlust der Prämien soll nicht eintreten, wenn der Versicherte austritt, weil der Versicherer seine gesetzlichen oder vertragsmässigen Verpflichtungen verletzt. Diese Fälle sind in Art. 756 zusammengestellt. Sie haben sämmtlich den Zweck, dem einzelnen Versicherten die Wahrung seines Interesses zu ermöglichen, wenn die Gesellschaft sich den zum Schutz der Versicherten gegebenen Vorschriften widersetzt und dadurch die Erfüllung ihrer zukünftigen Verpflichtungen gefährdet.
Die Zustimmung sämmtlicher Versicherter zur Verschmelzung mit einer anderen Gesellschaft ist als erfolgt anzunehmen, wenn die Absicht der Verschmelzung ihnen gehörig bekannt gegeben wurde und kein Widerspruch erfolgte. Der Widerspruch einzelner Versicherter hindert an sich die Verschmelzung nicht, doch haben die Widersprechenden sodann das Recht, gegen Erstattung ihrer sämmtlichen laufenden Prämien auszutreten. Unter laufenden Prämien sind solche zu verstehen, welche für eine noch laufende Versicherung gezahlt wurden, dagegen nicht auch solche, die für eine bereits abgelaufene Versicherung entrichtet wurden. Gesetzt Jemand ist bei einer Feuerversicherung seit 10 Jahren versichert, immer für ein Jahr, dann sind die Prämien der bereits abgelaufenen 9 Jahre verfallen, und die Prämie des noch laufenden zehnten Jahres zurückzugeben. Wenn aber Jemand bei einer Lebensversicherung auf Lebenszeit versichert ist und bereits seit 10 Jahren Prämien gezahlt hat, dann ist dies eine einheitliche Versicherung und die Prämien aller bereits abgelaufenen Jahre müssen zurückgegeben werden.
Unter den Grundsätzen des Versicherungsbetriebes sind zu verstehen die in den Statuten oder sonst vertragsmässig aufgestellten Regeln der Geschäftsführung, z. B. hinsichtlich der Anlage des Reservefonds, die Berechnung der Prämie, die Ermittlung der Schäden u. dgl. Nicht hieher gehört, wenn eine Gesellschaft die An spräche eines Versicherten mit Berufung auf die Statuten oder Rechtsgrundsätze ablehnt und es zur gerichtlichen Verurtheilung kommen lässt.
Art. 757. Nach Art. 283 kann der Antrag auf Concurserklärung einer Actiengesellschaft von jedem einzelnen Gläubiger oder Actionär, oder auch von Amtswegen gestellt werden. In dem vorliegenden Falle wird dies Recht gegenüber einer Versicherungsgesellschaft jedem bei ihr Versicherten ertheilt, und zwar, auch wenn die Gesellschaft ihre Zahlungen thatsächlich noch nicht eingestellt hat. Es kann dies namentlich auf Grund einer nach Art. 754 angestellten Untersuchung geschehen, doch ist diese keine nothwendige Voraussetzung dafür. Hier ist nun zu bedenken, dass die ungünstige Bilanz eines oder mehrerer Jahre noch nicht zur Concurserklärung berechtigt, da sich die Verluste eines oder mehrerer Jahre durch spätere günstige Jahre wieder ausgleichen können. Andereseits kann eine Versicherungsgesellschaft vielleicht noch auf mehrere Jahre hinaus im Stande sein, die fällig werdenden Versicherungssummen an die Berechtigten auszuzahlen, wenngleich ihre Vermögensverhältnisse schon völlig zerrüttet sind, indem sie die zur Deckung künftig fällig werdender Forderungen zurückzulegenden Fonds zur Bestreitung augenblicklicher Bedürfnisse verwendet, woraus für die spätere Folgezeit mit Sicherheit die Unfähigkeit zur Befriedigung der bei ihr Versicherten hervorgehen muss. Man kann nun den Versicherten das Ausharren bei einer der Zahlungseinstellung entgegengehenden Versicherungsgesellschaft und die fortdauernde Entrichtung von Prämien gewiss nicht zur Pflicht machen, und ebensowenig sie zwingen sich mit dem blossen Austritt unter Rückerstattung eines Theils der Prämien zu begnügen. Letzteres würde übrigens vielleicht einzelnen Versicherten, aber gewiss nicht der Gesammtheit derselben nützlich sein. Auch kann man die Versicherten nicht auf die einfache Einstellung der Prämienzahlung verweisen, da dieselbe leicht den Verlust der früheren Zahlungen nach sich ziehen könnte. Eine in solchen Umständen befindliche Gesellschaft wird am besten in Concurs erklärt, damit so rechtzeitig als möglich die Verhältnisse gemeinsam geordnet und weitere Verluste möglichst abgeschnitten werden. Der Entwurf bestimmt nun eben, dass die Concurserklärung von jedem Versicherten beantragt werden kann, und zwar sowohl bei eingetretener Zahlungseinstellung, als auch bei blosser Unsicherheit, d. h. wenn die Zahlungseinstellung in der Zukunft, d. h. für die später fällig werdenden Leistungen mit Sicherheit zu erwarten steht.
Art. 758. Agenten im allgemeinen sind nichts weiter als specielle Stellvertreter ihrer Auftraggeber und ihre Vertretungsbefugniss ist gänzlich abhängig von der ihnen ertheilten Vollmacht. Insbesondere streitet die Vermuthung nicht dafür, dass Agenten zum Abschlusse von Verträgen befugt seien; regelmässig haben sie dieselben nur vorzubereiten, zu vermitteln und zum Zweck des Abschlusses dem Principal zu übermitteln, welchem dann die schliessliche Entscheidung zusteht. Dies wurde aber nach Art. 707 für die Agenten ausländischer oder an anderen Orten begründeter Versicherungsgesellschaften dahin modificirt, dass dieselben bis zur Erklärung des Gegentheils auch zur Abschliessung von Verträgen und zu jeder anderen Vertretung des Hauptgeschäftes befugt sein sollen. Die Freiheit der Versicherungsgeschäften, Agenten mit grösserer oder geringerer Vertretungsbefugniss aufzustellen, wird hiedurch nicht beschränkt; nur muss in jedem Fall die Abwesenheit der vollen Vollmacht ausdrücklich dem Publicum angezeigt werden. Gewöhnlich werden General- oder Hauptagenten einer-, und Special- oder Unteragenten andererseits bestellt, und die ersteren auch mit dem Abschluss, die letzteren nur mit der Vorbereitung etc. von Verträgen beauftragt. Bei manchen Versicherungszweigen, wie der Lebensversicherung, behalten sich die Hauptverwaltungen zuweilen auch den definitiven Abschluss der Verträge vor. Diese Verschiedenheit der an Agenten ertheilten Vollmacht kommt jedoch in dem gegenwärtigen Artikel nicht in Betracht, sondern es bezieht sich der Inhalt desselben auf alle Versicherungsverträge, welche durch die Vermittlung von Agenten zu Stande kommen, gleichviel ob von diesen oder von der Hauptverwaltung der selbständige oder definitive Abschluss bewerkstelligt wurde. In Bezug auf solche Verträge wird nun bestimmt, dass über dieselben Processe bei dem Gerichtsstande der Agentur geführt werden können, da dies vielfach der Gerechtigkeit gegen die Versicherten entspricht, indem die Hauptverwaltung oft an weit entlegenen Orten, vielleicht gar im Auslande sitzt, und die Beweismittel, überhaupt das ganze Material eines Processes am Orte der Abschliessung zu finden sein werden.
Im einzelnen ist hiezu noch zu bemerken:
Der allgemeine Gerichtstand der Gesellschaft an ihrem Hauptsitze wird auch für die in dem Artikel 758 genannten Verträge nicht ausgeschlossen, vielmehr neben dem hierin bezeichneten speciellen Gerichtsstände begründet.
Dieser Gerichtsstand ist ein sog. Forum contractus, theils weil der Vertrag an diesem Orte zu Stande kam, theils wenigstens weil er daselbst in der Regel erfüllt werden soll. Ein Gerichtsstand des Domicils wäre nur dann anzunehmen, wenn zugleich die Voraussetzungen des folgenden Artikels für Zweigniederlassungen vorhanden wären.
Dieser Gerichtsstand ist ein gesetzlicher, und mithin weder von vertragsmässiger Zustimmung abhängig, noch durch gegenteilige Vertragsbestimmung aufzuheben.
Ist der Agent ein Handelsmann, so kommt der Gerichtsstand seiner Firma, ausserdem der seines Wohnsitzes in Betracht. Zum gerichtlichen Vertreter kann sowohl der Agent, als eine andere Persönlichkeit ernannt werden.
Zeitschr. für H. R. Bd. 4 p. 82. Bd. 13 p. 68.
Art. 759. Dieser Artikel erweitert die Bestimmung des vorigen Artikels dahin, dass die Agenturen ausländischer Versicherungs gesellschaften, wenn sie zum selbständigen Abschluss von Verträgen befugt sind, zugleich als Zweigniederlassungen anzusehen sind, was auch hinsichtlich ihrer Registrirung und Firma (z. B. nach Art. 196) von Bedeutung ist und überhaupt die Folge hat, dass eine solche Agentur als eine besondere Unternehmung betrachtet wird, welche denselben Verpflichtungen wie die Hauptunternehmung unterliegt. Es können also gegen eine solche ausländische Agentur auch die in den Art. 752 ff. enthaltenen Bestimmungen geltend gemacht werden. Eine Zweigniederlassung ist nicht ein Theil der Hauptniederlassung wie etwa die verschiedenen Stationen einer Eisenbahnverwaltung, oder eine zu einem Handelsgeschäft gehörige Fabrik und dergl., sie ist vielmehr eine selbständige Unternehmung, die aber von der Hauptunternehmung gegründet ist und unter deren oberer Leitung steht. Die Zweigniederlassung hat immer einen besonderen Wohnsitz und wird nach aussen, dem Publicum gegenüber als eine selbständige Unternehmung angesehen.
Zeitschr. für H. R. Bd. 8. p. 548 ff., Bd. 6. p. 582.
Jedoch können gegen eine Zweigniederlassung immer nur solche Ansprüche erhoben werden, die gegen die Hauptniederlassung selbst erhoben werden könnten. Denn die Zweigniederlassung ist eben nur die Hauptunternehmung selbst an anderem Orte.
Art. 760. Es kommt zwar jetzt selten mehr vor, dass das Versicherungsgeschäft von einem Einzelkaufmann betrieben wird, häufiger noch wird es von Vereinen für ihre Mitglieder betrieben, z. B. durch Verwaltung von Kranken — Unterstützungscassen u. dgl. Soweit dies nun vorkommt, besteht kein Grund, diese Geschäfte nicht den allgemeinen Grundsätzen über Versicherung zu unterwerfen. Vereine dieser Art sind daher insoweit als Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit anzusehen, obgleich ihre rechtliche Natur als Verein im übrigen unberührt bleibt.
Vom Staate und anderen öffentlichen Behörden, z. B. Provinzialverwaltungen, Gemeindebehörden etc. ist hier keine Erwähnung gemacht, um in dieser Beziehung etwaigen späteren Specialgesetzen nicht vorzugreifen. Solche Specialgesetze müssten erlassen werden, wenn in diesem Lande, wie es namentlich in Deutschland der Fall ist, einzelne Zweige der Versicherung, wie besonders die Immobiliar- Feuerversicherung, als öffentliche Anstalten von Beamten betrieben werden sollten. Hiebei müsste dann erwogen werden, inwieweit der öffentliche Character einer solchen Versicherungsanstalt eine Abweichung von den in das Handelsgesetzbuch aufgenommenen rein handelsrechtlichen Principien der Versicherung nach sich ziehen würde.
Titel XII. Wechsel und Cheques.
Allgemeine Bestimmungen.
Art. 761. Das Wort Wechsel bedeutet ursprünglich buchstäblich gewechseltes Geld, also den Umtausch von einer Geldsorte in eine andere, sodann einen zum Zweck der Auszahlung des gewechselten Geldes an einen Dritten gerichteten Brief, und endlich jedes auf die unbedingte Zahlung einer gewissen Geldsumme nach gewissen strengen Regeln ausgestellte Umsatzpapier. Um diese allmähliche Entwicklung des Begriffes klar und deutlich zu verstehen, wird es von Nutzen sein, die Veranlassung und den Gebrauch eines Wechsels an folgenden einfachen Beispielen zu veranschaulichen.
Gesetzt, ein Fremder Namens A kommt am 1. Januar per Schiff nach Yokohama, mit einer Summe fremden Geldes, Werth 1000 Yen, um in Japan Waaren einzukaufen. Da er das fremde Geld in Japan nicht gebrauchen kann, geht er sogleich zu einem Japanischen Bankier B in Yokohama, um dagegen die 1000 Yen Jap. Geldes einzuwechseln. Dies ist der Wechsel im ältesten und ursprünglichen Sinne des Wortes.
Gesetzt aber weiter, er braucht das Geld weder in Yokohama noch bereits am 1. Januar, sondern vielmehr in Tokio und nicht vor dem 1. Februar, da er in Tokio kaufen will und seine Geschäfte nicht vor dem 1. Februar erledigt haben wird. Er bittet daher den Bankier B in Yokohama, die Sache so zu arrangiren, dass er die 1000 Yen, anstatt am 1. Januar in Yokohama, vielmehr erst am 1. Februar in Tokio in seine Hände bekommt, damit er das Geld nicht bis dahin mit sich herumschleppen muss, was aus Rücksichten der Sicherheit und Bequemlichkeit für ihn nicht wünschenswerth wäre. Der Bankier B geht darauf ein, und gibt ihm einen Brief an den Bankier C in Tokio, damit er dort am 1. Februar von diesem die 1000 Yen ausbezahlt erhalte. Dieser Brief wird folgendermassen lauten :
Yokohama, 1. Januar. 1881.
Zahlen Sie am 1. Februar an Herrn A (oder dessen Ordre) die Summe von 1000 Yen. (Werth erhalten.)
Herrn C in Tokio B.
Mit diesem Brief geht nun der Fremde A nach Tokio, und erhäit von dem C daselbst am 1. Februar die 1000 Yen. Der Vorgang ist mithin hier der, dass A sein umgewechseltes Geld, anstatt in Yokohama von dem Bankier B, in Tokio von einer ganz anderen Person erhält. In Wirklichkeit hat er 1000 Yen eingewechselt und nach Tokio geschickt. Die 1000 Yen erhält er aber erst in Tokio auf Grund des ihm gegebenen Briefes, und bis dahin vertritt für ihn der Brief die Stelle der 1000 Yen. Diese Geldsumme und der Brief sind für ihn practisch dasselbe; nachdem aber der Gebrauch solcher Briefe allgemeiner geworden war, wurde die Bezeichnung Wechsel, oder genauer Wechselbrief, auf sie ausschliessend angewandt, und nicht mehr auf das eingewechselte baare Geld. Es ist aber klar, dass man darunter die Geldsumme zu verstehen hat, die auf Grund des Briefes ausbezahlt werden soll.
Die Umwechselung verschiedener Geldsorten hat wahrscheinlich den Anstoss zum Gebrauch von Wechselbriefen gegeben, allein derselbe blieb hierauf nicht beschränkt. Der Wechselbrief konnte auch für jede aus einem anderen Rechtstitel zu zahlende Geldsumme geschrieben werden, und dies ist jetzt das gewöhnliche. Im Handel wird wohl die grosse Mehrheit aller Zahlungen, natürlich mit Ausschluss der Zahlung der Wechselsummen selbst, mittelst Wechsel effectuirt. Gesetzt also, ein Fremder bringt Waaren nach Yokohama, verkauft sie daselbst, und will das Kaufgeld in Tokio einnehmen, so kann er auch dafür einen Wechsel annehmen; und so für jede andere Geldleistung.
Um nun zu dem obigen einfachen Beispiele zurückzukehren, so ist es offenbar das natürliche, dass der Fremde A das Geld von dem Bankier C in Tokio nur gegen Vorzeigung und Ueberlieferung des Briefes erhält, schon desshalb weil dieser Brief ihm den Auftrag zur Zahlung der 1000 Yen mittheilt. Vollständiger wird daher der Brief lauten:
Gegen diesen Brief (oder Wechselbrief) zahlen Sie etc. etc.
Und weil dies natürlich ist, findet man diese Eingangsworte regelmässig in allen Wechseln, und ihre Einfügung ist vielfach in den Gesetzen zur Pflicht gemacht.
Der Fremde A hat weiterhin ein grosses Interesse daran, zu wissen, ob der Bankier C in Tokio das Geld auch wirklich auszahlen wird. Dies ist zur Zeit ungewiss, denn der Brief enthält nur einen Auftrag, und jeder Auftrag kann bekanntlich abgelehnt werden. Es ist also natürlich, dass er schon vor der Verfallzeit, d. h. vor dem 1. Februar, zu dem Bankier C geht und ihn fragt, ob er die darin bezeichnete Zahlung machen wird oder nicht. Wenn die Antwort bejahend ausfällt, ist es wiederum natürlich, dass er sie mittelst seiner Unterschrift auf dem Briefe selbst gibt, und dies nennt man Annahme oder Acceptation (Accept) des Wechsels. Auch dies ist, als natürund sachgemäss, in den Gesetzen vorgeschrieben.
Es ist aber auch möglich, dass der Bankier C die Annahme des Auftrages, oder die Annahme des Wechsels, verweigert. In diesem Falle bleibt der Wechsel unbezahlt, und der Fremde A muss sich nun wiederum an den Bankier B in Yokohama wenden, um von diesem die Wechselsumme nebst etwaigen Kosten und Zinsen zu erlangen ; d. h. der Inhaber des nicht bezahlten (honorirten) Wechsels hat gegen dessen Aussteller einen Regressanspruch auf Entschädigung.
Nehmen wir weiter an, dass der Fremde A die 1000 Yen für Waaren- oder sonstige Forderung an den Kaufmann D in Tokio bezahlen will. Er hat hiezu zwei Wege. Entweder er erbebt selbst die 1000 Yen am 1. Februar von dem Bankier C und zahlt sie sodann dem D. Oder aber, er gibt den Wechsel an D weiter, mit der Folge, dass dieser, anstatt des A, die 1000 Yen bei dem Bankier C erheben soll. Auch hier wird es natürlich sein, dass diese Uebertragung des Wechsels auf dem Brief selbst bemerkt wird, um jeden Zweifel und Irrthum zu verhindern, und zwar geschieht dies zweckgemäss auf der Rückseite (in dorso), damit die Vorderseite, wo der ursprüngliche Inhalt des Wechselbriefes sich befindet, nicht verwirrt werde. Eine solche Rückenbemerkung (Indossament, endossement) wird lauten:
Für mich an Herrn D.
Datum. A (Unterschrift des ersten Inhabers)
Durch die Indossirung erlangt der neue Erwerber, Indossatar, die gleichen Rechte aus dem Wechsel, wie A; er kann also von A die Annahme und bez. Zahlung verlangen, und wenn die eine oder andere nicht erfolgt, seinen Regress gegen den Aussteller B nehmen. Hiezu kommt aber noch, dass der Indossatar den gleichen Regressanspruch auch gegen den Indossanten A hat, denn von diesem hatte er ja den Wechsel statt der baaren 1000 Yen erhalten, ebenso wie ursprünglich der Fremde A von B.
Der Kaufmann D kann seinerseits den Wechsel weiter begeben, also an E indossiren; dann tritt E in alle Rechte aus dem Wechsel ein, und im Falle ermangelnder Annahme oder Zahlung hat er seinen Regress gegen D, A und B; und diese Indossirung kann stets mit denselben Wirkungen ins unendliche fortgesetzt werden, bis der Wechsel fällig, d. h. zur Zahlung reif geworden ist.
Das sind die regelmässigen Geschäfte nach Wechselrecht; es schliessen sich aber daran noch andere als Modificationen und Nebengeschäfte an, welche später am geeigneten Ort zu erörtern sind.
Ein solcher Wechselbrief (lettre de change, bill of exchange) wird auch häufig gezogener Wechsel genannt (Tratte, traite), weil die Geldsumme, auf die er lautet, nicht aus der eigenen Casse genommen, sondern von einem anderen Orte gewissermassen hergezogen wird. Ziehen in diesem Sinne heisst mithin soviel als in der Entfernung oder an einem anderen Orte zahlen. Demgemäss heisst der Aussteller des Wechsels Zieher (Trassant, tireur, drawer); der mit der Zahlung Beauftragte heisst der Bezogene (Trassat, tiré, drawee); der erste Inhaber des Wechsels heisst Nehmer (preneur, payee), und jeder spätere heisst Indossatar oder einfach Inhaber. Für den Ausdruck Nehmer oder Inhaber ist namentlich in Deutschland das Wort Remittent (Verschicker) im Gebrauch, weil er im Grunde sein Geld (1000 Yen) an einen anderen Ort verschickt. In der Handelssprache heisst Rimesse jede Geldsendung, die man baar oder in Wechseln an einen anderen Ort macht.
In dem obigen einfachen Formular eines Wechsels sind auch die Worte enthalten: oder dessen Ordre. Dieselben bedeuten, dass der Nehmer des Wechsels das Recht haben soll, denselben an irgend Jemanden weiter zu begeben oder zu indossiren. Hienach ist der Wechsel ein Umsatz- oder Ordrepapier, und zwar seiner Natur nach, so dass die Umsatzfähigkeit nicht nothwendig durch die Hinzufügung jener Worte bedingt ist. Sie können folglich auch fehlen, ohne dass der Wechsel die Eigenschaft als Umsatzpapier (negotiable paper) verliert, und sind desshalb in Klammern gesetzt werden.
Wechsel können entweder an Ordre oder auf den Inhaber (porteur, bearer) gestellt werden. Im letzteren Falle hat Jeder, der den Wechsel in gutem Glauben erworben hat, die Rechte des Nehmers, und die Begebung wird durch einfache Besitzübertragung des Wechsels bewirkt. Dies ist in England und Amerika unzweifelhaft der Fall. Smith, merc. law. p. 210. Kent, Comment. III p. 79.; ebenso in Frankreich, obwohl hier auch das Gegentheil angenommen worden ist wegen des buchstäblichen Inhalts des Cod. de comm. Art. 110: â l'ordre d'un tiers ou a l'ordre du tireur. Bravard III. p. 113. In Deutschland hält man den Wechsel auf jeden Inhaber für ungesetzlich, da hiedurch von Jedem willkürliches Papiergeld geschaffen werden könnte. Zeitschr. für Handelsrecht Bd. 15 p. 104. Allein auch in Deutschland ist kein Zweifel darüber, dass in blanco indossirt werden kann, wodurch jeder Inhaber den Wechsel erwirbt, und ebenso dass ein Wechsel von dem Zieher an eigene Ordre gestellt und in blanco indossirt werden kann, wodurch in beiden Fällen die Wirkung eines Inhaberpapiers hervorgebracht werden kann. Ein förmliches Verbot der Inhaberwechsel ist übrigens in der Deutschen Wechselordnung nicht ausgesprochen, und es wurde auch in der Deutschen Jurisprudenz die Zulässigkeit der Inhaberwechsel von bedeutenden Schriftstellern behauptet. Uebrigens sind der Erfahrung nach Inhaberwechsel selten, da ihr commercieller Werth geringer ist wegen der durch die blosse Uebergabe geschmälerten Sicherheit der Zahlung. Allein mit Rücksicht auf die übrigen Gesetzgebungen und die Natur der Sache erschien es angemessen, die Zulässigkeit von Inhaberwechseln ausdrücklich auszusprechen, um in dieser Beziehung keinen Zweifel zu lassen. Zeitschr. f. H. R. Bd. 10 p. 407.
Ferner sind in dem obigen Beispiel noch die eingeklammerten Worte beigefügt: Werth erhalten. Durch diese oder ähnliche Worte will der Aussteller des Wechsels dem Bezogenen und allen weiteren Interessenten die Mittheilung machen, dass die Ausstellung des Wechsels vermöge eines ernstlichen Geschäftes oder eines genügenden Rechtsgrundes erfolgte. Nothwendig ist auch die Beifügung dieser Worte nicht, da der Wechsel die Vermuthung des Rechtsgrundes von selbst in sich trägt, und wenn der Rechtsgrund dennoch fehlte, trotz der beigefügten Worte seine Gültigkeit unter gewissen Beschränkungen angefochten werden kann. Dies ist in der Deutschen, Englischen und Amerikanischen Gesetzgebung unzweifelhaft anerkannt. Der Französ. Code de commerce Art. 110 enthält zwar die Vorschrift, dass auf dem Wechsel unter anderem auch die Angabe des gelieferten Gegenwerthes, und zwar sogar dem Gegenstand nach, in Geld, Waaren, auf Rechnung oder sonstwie, stehen muss. Allein diese Vorschrift ist in der Französ. Jurisprudenz selbst bestritten, und wird erfahrungsgemäss vom Handelsstande nicht ernstlich genommen, da man es nicht liebt, seine Geschäfte mit Anderen derart bekannt zu machen und deren Kenntniss in Umlauf zu setzen. Diese Bestimmung gehört zu den unnöthigen Formalitäten, durch welche man nur den Gebrauch des Wechsels erschwert und unredlichen Personen Gelegenheit zur Erhebung von Einreden liefert.
Es muss gleich hier bemerkt werden, dass der Mangel eines genügenden Rechtsgrundes den Wechsel an sich nicht ungültig macht, denn das Geben eines Wechsels ist im Grunde nur das Geben einer Geldsumme par distance, und dritten Personen, die hievon nichts wissen, kann der Einwand des fehlenden Rechtsgrundes hier ebenso wenig entgegengesetzt werden, wie bei der Auszahlung einer Geldsumme an Dritte, die an den Zahlenden ohne Rechtsgrund gekommen sind. Der Mangel des Rechtsgrundes hat nur Bedeutung zwischen Zieher und Nehmer, oder zwischen Indossant und Indossatar, der Wechsel selbst wird dadurch nicht ungültig für Andere. Dadurch erklärt sich der Ausdruck, dass der Wechsel seinen Rechtsgrund in sich selbst trägt, oder wie die Englische Jurisprudenz es weniger passend ausdrückt, dass beim Wechsel ein genügender Rechtsgrund angenommen oder vermuthet wird (consideration implied). Ebenso trägt auch jedes Indossament von selbst seinen Rechtsgrund in sich (imports consideration), der mithin auch beim Indossament nicht ausdrücklich angegeben werden muss.
Ausser den eigentlichen Wechselbriefen benützt man auch Wechselscheine (billets a ordre, promissory notes, eigene oder trockene Wechsel). Diese enthalten, anstatt eines Zahlungsauftrages an einen Dritten, ein Wechselversprechen des Ausstellers selbst, etwa in folgender Form: Datum.
Gegen diesen Wechselschein (oder Schein) zähle ich am 1. Februar an Herrn A oder Ordre die Summe von 1000 D. B.
Da dieser Wechsel keine Ziehung enthält, bedarf er auch keines Acceptes, und der Aussteller ist schon durch sein Versprechen zur Zahlung verpflichtet. Durch weitere Indossirung dieses Wechsels wird allerdings daraus eine Tratte, indem der Indossant als Zieher, der Aussteller als Bezogener, und der Indossatar als Nehmer (Remittent) anzusehen ist. Allein das Accept wird auch in diesem Falle nicht mehr erforderlich. Früher hat man in England diese Wechselscheine nicht für Wechsel anerkannt, jedoch ist dies durch die Gesetzgebung geändert worden (3 und 4 Ann. c. 9). In den übrigen Gesetzgebungen besteht darüber ohnedies kein Zweifel, dass die Wechselscheine wirkliche Wechsel sind.
Jeder Wechsel muss auf die unbedingte Zahlung einer festen Geldsumme lauten. Auf einen Wechsel kann mithin niemals mehr als die darauf bezeichnete Summe verlangt werden, weder Zinsen, noch Kosten, noch sonstiger Ersatz aus dem etwa zu Grunde liegenden Rechtsgeschäft. Die Zahlung dieser Summe muss ausserdem unbedingt, also weder von einer Bedingung, noch von der Erfüllung einer anderen Voraussetzung, oder dem Eintritt irgend einer ungewissen Möglichkeit abhängig gemacht sein. Denn durch die Beifügung einer solchen Beschränkung würde die Zahlung des Wechsels selbst ungewiss, und mithin der Zweck seines Gebrauches vereitelt. Strenge Zahlung bedeutet mithin Zahlung in jedem Fall, welche weder ausdrücklich noch stillschweigend von irgend einem anderen Umstande abhängig gemacht sein darf. Dadurch unterscheidet sich der Wechsel z. B. von einem Cheque, welcher sonst viele Aehnlichkeit mit einem Wechsel hat. Allein der Cheque geht auf die Auszahlung von eigenem Geld, welches man bei einem Bankier zu seiner Disposition deponirt hat, und die Zahlung des Cheque beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass ein solches Depositum wirklich vorhanden ist. Eine solche Voraussetzung ist für einen Wechsel durchaus unstatthaft.
Die Wechselschuld ist daher eine strenge Schuld, die ausschliesslich nach wechselrechtlichen Bestimmungen beurtheilt wird. Die Geltendmachung dieser Schuld, wenn sie nicht gezahlt wird, zieht ausserdem für den Schuldner strenge Folgen nach sich. Er wird als zahlungsunfähig angesehen Und kann ohne weiteres in Concurs erklärt werden. Eine weitere Wirkung dieser Wechselstrenge, vermöge welcher der nicht zahlende Schuldner in Personalhaft verfiel, ist jetzt in Deutschland und in den meisten anderen Gesetzgebungen aufgehoben, und nur der Sicherheitsarrest zum Zweck der Verhütung der Beiseiteschaffung von Vermögen übrig geblieben. Im übrigen haftet jetzt auch der Wechselschuldner nur noch mit seinem Vermögen. Deutsche W. O. Art. 2. Gesetz vom 29. Mai 1868. Französ. Gesetz vom 22. Juli 1867. Engl. Gesetz vom 9. Aug. 1870. Kent, Comment. II. p. 398.
Die Bestimmungen des Wechselrechts haben den Zweck, die Wechselzahlung möglichst sicher und gewiss zu machen. Denn der Wechsel soll soviel als möglich der Geldsumme gleich stehen. Mit Wechseln kann daher, besonders im kaufmännischen Verkehr, gezahlt werden, wie mit Baargeld. Der Wechsel ist zwar nicht wirkliches Geld und er gehört nach Art. 371 nicht zu den Gegenständen, mit welchen eine Geldzahlung geleistet werden kann. Allein die Begebung eines Wechsels ist Geldzahlung unter der Voraussetzung, dass die Zahlung des Wechsels erfolgt, und das ganze Wechselrecht ist daraufhin construirt, dass man auf die Wechselzahlung möglichst sicher rechnen kann. An sich ist die Zahlung mittelst Wechsels nur Creditzahlung, Zahlung mittelst Credits. Der Wechsel ist ein Creditpapier. Credit ist nach der Vorbemerkung zu Titel X fremdes Geld, das man wie eigenes benützen kann, aber seiner Zeit zurückerstatten muss. Wer einen Wechsel gibt, der gibt nicht sein eigenes Geld, sondern fremdes Geld, das ein Anderer dem Wechselnehmer auszahlen soll. Der Aussteller eines Wechselscheines gibt allerdings nur eine Anweisung auf eigenes, nicht auf fremdes Geld; allein dieses Geld sollte eigentlich durch Zahlung Geld des Nehmers werden, und indem dieser es noch den) Aussteller bis zur Zahlung überlässt, wird es für diesen fremdes Geld, dessen Benützung ihm noch auf einige Zeit gelassen wird. In allen Fällen hat ein Wechsel die Wirkung, dass das Geld, welches der Nehmer bei baarer Zahlung sofort erhalten hätte und welches dadurch sein eigenes Geld geworden wäre, noch einige Zeit hiedurch bei anderen Personen stehen bleibt und deren Benützung überlassen wird. Die Creditbeziehungen, welche durch Wechselgeschäfte geschaffen werden, sind manichfaltiger Art und oft sehr verschlungen; immer aber sind Wechselgeschäfte Creditgeschäfte, wodurch man Geld zur Zeit anderen Personen überlässt und erst später bezahlt erhält. Der Kern derselben ist der Credit, welchen der Nehmer und jeder spätere Indossatar dem Bezogenen und Zieher oder Aussteller gibt; allein auch zwischen dem Zieher und Bezogenen, und zwischen Indossatar und Indossanten besteht ein Creditverhältniss.
Es bleibt nun noch die Frage übrig, woran man erkennt, dass ein Schuldschein ein Wechsel ist oder was nothwendig ist, damit ein Creditpapier als Wechsel und eine Creditschuld als Wechselschuld behandelt werden kann? Zu jedem Wechsel gehört zweierlei, nämlich 1, die auf Begründung einer Wechselschuld gegründete Absicht, und 2, der Ausdruck dieser Absicht in gesetzlicher Form. Die Absicht erkennt man an der Form, mithin ist jeder Schuldschein ein Wechsel, in welchem die gesetzlich nothwendigen formellen Erfordernisse enthalten sind. Jeder Wechsel muss mithin schriftlich sein und den gesetzlich nothwendigen Inhalt haben. Dieser nothwendige Inhalt ergibt sich aus der rechtlichen Natur einer Wechselschuld ; die einzelnen Erfordernisse, welche im allgemeinen bereits in den vorstehenden Erörterungen dargelegt sind, sind später am geeigneten Orte namhaft zu machen. Nach allgemeinen Principien und nach den meisten Gesetzgebungen, so in Frankreich, England, Amerika, Belgien, Italien, Holland, Spanien etc, genügt es, wenn das Papier nur den zur Begründung einer Wechselschuld nothwendigen Inhalt hat, und es ist der Gebrauch bestimmter Worte kein gesetzliches Erforderniss. Nach der Deutschen W. O. Art. 4 jedoch und nach einigen anderen Gesetzgebungen, z. B. Russlands und Schwedens, ist die Bezeichnung des Papiers als Wechsels im Contexte, z. B. mit den Worten : Gegen diesen Wechsel zahlen Sie etc. etc, eine wesentliche Bedingung der Gültigkeit als Wechsel, sodass, wenn dieses Wort Wechsel fehlt, obgleich alle materiellen Erfordernisse des Inhaltes sonst vorhanden sein mögen, doch keine Wechselschuld aus einem solchen Papiere entstehen kann, und dieser Formmangel auch nicht durch andere darauf zielende Ausdrücke, wie z. B. nach Wechselrecht oder dergl., beseitigt werden kann. Der Entwurf ist in dieser Beziehung der Mehrzahl der Gesetzgebungen gefolgt und hat die Beifügung der sog. Wechselclausel nicht zum gesetzlichen Erforderniss gemacht, damit nicht die Unerfahrenheit durch dieses rein formale Moment gemissbraucht werden könne. Ueberhaupt hat man im Entwurfe über diese Materie unnütze Formalitäten möglichst vermieden, da der Gebrauch des Wechsels in diesem Lande noch wenig eingebürgert und geläufig ist.
In Frankreich Code de comm. Art. 110 müssen die Worte „an Ordre” oder ein ähnlicher Ausdruck im Wechsel stehen. In England ist ein Wechsel, in dem diese Worte fehlen, zwar nach Wechselrecht zu beurtheilen, allein nicht weiter übertragbar. Auch diese Bestimmungen kann man jedoch an sich nicht als absolutes Erforderniss erklären, da ein Wechsel nach Handelsgebrauch von selbst übertrag bar ist. Es wird in dieser Beziehung auf Art. 453 und 454 verwiesen. Hienach ist jedes Ordrepapier, und so auch jeder Wechsel von selbst ein übertragbares oder Umsatzpapier, jedoch kann die Uebertragbarkeit durch den Beisatz „nicht an Ordre” oder dergleichen ausgeschlossen werden. Dies stimmt auch mit der überall anerkannten Regel überein, dass einem Indossamente die Worte „an Ordre” nicht beigefügt werden müssen, um es weiter übertragbar zu machen, dass jedoch durch ausdrückliche Erklärung der Indossanten die weitere Indossirung untersagt werden kann. Allerdings werden die Ausdrücke „an Ordre” oder „an den Inhaber” (order, bearer) im Handelsverkehr fast allgemein gebraucht, so dass man sie practisch als zu dem natürlichen, aber nicht nothwendigen und wesentlichen Inhalte eines Wechsels gehörig ansehen kann; und da auch die Mehrzahl der Gesetzgebungen dies nicht förmlich und gleichmässig vorschreibt, so hat man im Entwurf diesen Standpunkt einnehmen zu müssen geglaubt. S. auch Belg. H. G. B. Art. 110. Holl. H. G. B. Art. 100. 101. Span. H. G. B. Art. 426. Deutsche W. O. Art. 4. Die wesentliche Beifügung der Ordreclausel ist mithin als eine vereinzelte Eigenthümlichkeit der Fanzös. und der unmittelbar diesem Muster nachgebildeten Gesetzgebungen nicht adoptirt worden, und dies ist auch im Einklang mit dem Beschlüsse der internationalen Wechselconferenz zu Bremen vom Jahre 1875 Nr. 5. Zeitschr. XXII p. 629.
Der Art. 761 ist demnach in dieser Beziehung so zu verstehen, dass ein Wechsel seiner Natur nach und von selbst ein Umsatzpapier ist, also nach den Grundsätzen eines Ordre- oder Inhaberpapiers übertragen werden kann, ohne dass die Ordreclausel ausdrücklich hinzugefügt werden müsste. Jedoch kann im einzelnen Fall die Ordreeigenschaft durch eine gegentheilige Bemerkung aufgehoben werden. Solche Wechsel werden in Deutschland Rectawechsel genannt.
Art. 762. Die Ausstellung eines Wechsels und die Eingehung jedes anderen auf Wechsel bezüglichen Geschäftes gehört zu den Handelsgeschäften, da der Wechsel ein Handelsobject ist und die Circulation von Capital mittelst Creditoperationen bewirkt (Art. 5). Die Fähigkeit zur Eingehung von Wechselgeschäften muss daher die gleiche sein, wie zum Betrieb von Handelsgeschäften. Die Fähigkeit zum Betrieb des Handels besitzt nach Art. 10 Jeder, welcher sich selbständig durch Verträge verpflichten kann, mithin jede volljährige und selbständige Person: Minderjährige und Ehefrauen nur dann, wenn sie nach den Vorschriften der Art. 12 und 13 die Fähigkeit zum Betrieb des Handels erlangt haben. An und für sich bezieht sich die Vorschrift dieses Artikels nur auf die Uebernahme von Wechselverpflichtungen, nicht auch auf den Erwerb von Rechten aus einem Wechsel. Indessen ist ein solcher einseitiger Erwerb von Rechten ohne gleichzeitige Verpflichtung nicht wohl denkbar, da die Geltendmachung wechselmässiger Rechte in der Regel nur unter Beobachtung gewisser Verpflichtungen möglich ist, durch deren Verletzung das Recht selbst verloren geht, z. B. Protest, Notification, Beobachtung bestimmter Fristen und Förmlichkeiten. Soweit aber Rechte aus einem Wechsel ohne gleichzeitige Verpflichtung geltend zu machen sind, wie z. B. bei der blossen Erhebung des Betrages reiner Inhaberwechsel, besteht kein Grund, sie unselbständigen Personen zu versagen, indem insoweit allein der Gesichtspunkt der Effectuirung einer Geldeinnahme in Frage käme.
Die Gesetzgebungen sind über diesen Punkt nicht ganz übereinstimmend. In Frankreich Gode de comm. Art. 113 und 114 sind die Wechselunterschriften von Minderjährigen ungültig, die von Ehefrauen und selbst von erwachsenen ledigen Frauenspersonen wenigstens nach Wechselrecht ungültig, und nur als gewöhnliche Verpflichtung nach Civilrecht anzusehen, in beiden Fällen unter der Voraussetzung, dass die betreffenden Personen nicht Handel treiben.
In Deutschland ist die Wechselfähigkeit ausschliesslich nach Civilrecht zu beurtheilen. D. W. O. Art. 1. Daher können Minderjährige sich gültig durch Wechsel verpflichten, vermittelst der Mitunterschrift oder selbst nur der Zustimmung ihres Vaters oder Vormundes; und ebenso Ehefrauen unter Zustimmung oder Mitunterschrift ihres Ehemannes. Die Zustimmung muss nicht einmal schriftlich auf dem Wechsel erkennbar sein, und es kann dieselbe auch stillschweigend gegeben werden, so z. B. die Annahme eines vom Sohne gezogenen Wechsels, oder die Zahlung eines Wechsels auf die eigene Frau.
Auch in England wird die Wechselfähigkeit ganz nach den gewöhnlichen Grundsätzen beurtheilt. Demnach können Minderjährige sich nicht durch Wechsel verpflichten, selbst nicht für nothwendige Bedürfnisse; sie können aber nach erlangter Volljährigkeit ihre Wechselunterschrift anerkennen. Ehefrauen können in allen Fällen, wo sie nicht selbständig handeln können, nur mit Zustimmung ihrer Ehemänner Wechselverpflichtungen eingehen.
Die Bestimmung des Entwurfes beruht darauf, dass Wechselgeschäfte gleich dem Betrieb des Handels angesehen werden können. Die Eingehung solcher Geschäfte setzt daher Selbständigkeit voraus; sei es im allgemeinen, sei es für Zwecke des Handels. Unselbständige Personen können keine Verpflichtungen nach Wechselrecht eingehen, selbst nicht mit Zustimmung eines Vormundes etc., da durch solche Zustimmung die Handelsfähigkeit noch nicht erlangt werden kann. Die Ungültigkeit bezieht sich aber nur auf die wechselmässige Verpflichtung als solche, nicht auf die Verpflichtung überhaupt, soweit sie nach Civilrecht zu beurtheilen ist. Hätte der Vormund seine gesetzliche Zustimmung gegeben, so wäre der Minderjährige immerhin nach Civilrecht haftbar; im entgegengesetzten Fall aber mindestens soweit, als er sich etwa aus dem Geschäfte ungerechter Weise bereichert hätte. Das letztere ist ausdrücklich auch im Code de comm. Art. 114 durch Verweisung auf Art. 1312 des Code civil anerkannt.
Im übrigen wird im Entwurfe die Wechselunfähigkeit nicht weiter ausgedehnt, und dies ist der modernen Rechtsentwicklung durchaus entsprechend. In älterer Zeit wurden ganze Classen der Bevölkerung von der Wechselfähigkeit ausgeschlossen, so z. B. Bauern, Beamte, Militärs; in Frankreich ist hievon nur noch die ganz ausnahmsweise Begünstigung der volljährigen Frauenspersonen übrig geblieben. Der Grund hiefür lag theils in der Annahme besonderer Unerfahrenheit und Schutzbedürftigkeit gewisser Classen, theils in der Nothwendigkeit, dieselben vor der Eigehung strenger Schulden, insbesondere mit der etwaigen Folge der Personalarrestes zu behüten. Diese Erwägungen können jedoch für die neuere Zeit nicht mehr als zutreffend angesehen werden.
Art. 763. Diese Bestimmung findet sich auch in der Deutschen W. O. Art. 3 und in den Art. 113 und 114 des Code de comm. inhaltlich der Worte „à leur égard.” Es tritt hier ein Princip des Wechselrechts in Anwendung, das auch sonst noch, z. B. in Art. 767, seine Wirkung äussert. Der Wechsel ist nämlich ein Formalcontract, und erlangt seine Gültigkeit nicht durch den blossen Willen der Parteien, auch nicht schon durch die Beobachtung der Schriftlichkeit, wie nach Art. 324, sondern nur durch die Beobachtung ganz bestimmter Formen, wie das Wechselrecht sie speciell vorschreibt (Art. 768). Allein diese Formalität wird nicht weiter getrieben, als sie practisches Bedürfniss ist. Auf einem Wechsel vereinigen sich in der Regel die Unterschriften mehrerer, oft vieler Personen, und es genügt die Gültigkeit der Unterschriften fähiger Personen, um diese dadurch zu verpflichten, so dass dieselbe durch die Unterschriften unfähiger Personen nicht beseitigt werden kann. Die Wechselverpflichtung der Einen ist also nicht abhängig von der gültigen Verpflichtung der Anderen, sondern jede Verpflichtung ist als etwas für sich bestehendes aufzufassen. Gesetzt also, es hätte ein Minderjähriger einen Wechsel gezogen, und dieser wäre von dem Bezogenen acceptirt worden, so würde der letztere ohne weiteres aus dem Wechsel haften, dagegen der Minderjährige nicht, wenn etwa die Annahme oder Zahlung unterbleiben sollte.
Uebrigens ist auch hier die civilrechtliche Unfähigkeit von etwaigen Hindernissen des öffentlichen Rechts zu unterscheiden. Beamte können z. B. kein Handelsgewerbe treiben (Art. 10), allein wenn sie es dennoch thun und in Bezug darauf Wechsel unterschreiben, sind diese Unterschriften vollkommen gültig.
Dass Personen, welche sich überhaupt nicht verpflichten können, wie z. B. Wahnsinnige, erklärte Verschwender oder Bankerotteure, auch keine gültige Wechselunterschrift geben können, ist nach allgemeinen Grundsätzen selbstverständlich, denn die allgemeinen Regeln über Vertragsfähigkeit finden auch auf Wechsel Anwendung. Die Wechselfähigkeit von Blinden ist fraglich; doch kann dieselbe an sich nicht geläugnet werden, wenn sie mit fremder Hülfe, namentlich unter notarieller Beglaubigung ihre Unterschrift geben. Das gleiche gilt von Taubstummen.
Art. 764. Auch diese Bestimmung ist eine Anwendung des das Wechsel recht durchweg beherrschenden Formalprincips. Nur derjenige Wechsel ist gültig, welcher die gesetzlichen Erfordernisse besitzt; wurde aber ein solches Erforderniss nur zum Scheine auf den Wechsel gesetzt, um den künstlichen Schein eines wahren Wechsels zu erzeugen, während dieses Erforderniss in Wahrheit nicht vorhanden ist, so kann ein solcher Wechsel für diejenigen, welche hievon wussten, keine Gültigkeit als Wechsel haben, er ist vielmehr für diese Personen nur als eine gewöhnliche Vertragsurkunde zu betrachten. Allein andere Personen, welche von diesem Umstande keine Kenntniss hatten, können es dem Wechsel äusserlich nicht ansehen, dass er nur ein scheinbarer Wechsel ist; für sie ist allein der äusserlich erkennbare Inhalt des Wechsels massgebend und als solcher gültig. Wenn z. B. Jemand einen Wechsel auf eine Person zieht, die gar nicht existirt, oder wenn sie existirt, nur zum Scheine, ohne ernstliche Absicht, nur damit der Name eines Bezogenen auf dem Wechsel steht, und der Nehmer weiss dies, so kann er weder den Wechsel zur Annahme bringen, noch auch gegen den Aussteller einen Wechselregress geltend machen, für diese beiden Personen ist das Papier kein Wechsel, sondern ein blosser Schuldschein. Würde aber der Nehmer diesen Schein weiter indossiren an eine Person, welche von jener blossen Erdichtung eines Bezogenen keine Kenntniss hätte, so würde das Papier für den Indossatar ein wirklicher Wechsel, und er könnte seine Rechte daraus sowohl gegen den Indossanten, wie gegen den Aussteller geltend machen. Ebenso wäre zu urtheilen, wenn der Wechsel von dem ersten Indossatar weiter indossirt würde. Denn diese Personen können über die Gültigkeit des Wechsels nur nach seiner äusserlichen Form urtheilen. Dies ist allgemein anerkannt. Holl. H. G. B. Art. 102. Auch der Art. 113 des Französ. Code de commerce wird in dieser Weise interpretirt. Bravard III. p. 115. Smith, merc. law. p. 211.
Art. 765. Auch diese Bestimmung erklärt sich aus dem streng formalen Character des Wechsels. Die Unterschrift auf einem Wechsel kann auch von einem Stellvertreter, im Auftrag und Namen eines Anderen, gegeben werden. Durch die Handlungen eines Stellvertreters wird der Auftraggeber unmittelbar und ausschliesslich verpflichtet und berechtigt, auch wenn das Verhältniss der Stellvertretung nicht ausdrücklich kundgegeben wurde. Art. 394. 395. Ist dagegen ohne Auftrag für einen Anderen gehandelt worden, so wird weder der Vertretene verpflichtet, weil er dazu keinen Auftrag gab, noch der Vertreter, weil dieser sich nicht selbst verpflichten wollte. Die Hauptwirkung der Stellvertretung, nämlich die unmittelbare Wirkung für den Auftraggeber, tritt auch im Wechselrecht ein. Allein das Verhältniss der Stellvertretung kann beim Wechsel nicht stillschweigend, oder ausserhalb des Wechsels geltend gemacht werden. Bei einem Wechsel entscheidet allein der äussere Inhalt, und wer seine Unterschrift für einen Anderen gibt, ohne sich ausdrücklich als Stellvertreter zu bezeichnen, haftet dafür persönlich. Das gleiche ist der Fall, wenn Jemand ohne Vollmacht für einen Anderen zeichnet, auch wenn er die Stellvertretung auf dem Wechsel angegeben hätte, weil eine angebliche, aber nicht wirkliche Vollmacht einen Anderen nicht verpflichten kann. Deutsche W. O. Art 95. Bravard III. p. 47. Wenn ein Mandatar nicht seinen eigenen Namen, sondern den des Mandanten auf den Wechsel setzt, so wird dadurch der letztere haftbar, wenn ein wirkliches Mandat bestand, während ausserdem die Unterschrift als gefälscht zu beurtheilen wäre.
Der Französ. Code de comm. Art. 111 spricht auch noch von Wechseln auf Rechnung eines Dritten, jedoch im eigenen Namen des Ausstellers. Dass solche Wechsel, sog. Commissionstratten, gezogen werden können, insbesondere durch Commissionäre oder durch Bankiers, die hiebei die Stellung eines Commissionärs übernehmen, ist selbstverständlich und bedarf keiner besonderen Erwähnung. Solche Wechsel unterscheiden sich in nichts von gewöhnlichen Wechseln, da sie unmittelbar und ausschliesslich denjenigen verpflichten, der sie auf seinen Namen ausgestellt hat. Die Wirkung ist nur die, dass die auf den Wechsel erfolgende Zahlung mit demjenigen abzurechnen ist, auf dessen Rechnung der Wechsel gezogen wurde. Z. B. es zieht A einen Wechsel auf B, jedoch auf Rechnung des C, indem C Schuldner des A und Gläubiger des B ist. Zahlt nun B den Wechsel, so ist dies so zu berechnen, als ob B seine Schuld an C und dieser letztere damit zugleich seine Schuld an A bezahlt hätte. An den formalen Rechts-beziehungen des Wechsels wird durch ein derartiges zu Grunde liegendes Rechnungsverhältniss nichts geändert. Die Deutsche W. O. thut desshalb der Commissionswechsel keine besondere Erwähnung. Im Französischen Code werden diese Wechsel nur desshalb erwähnt, weil hier ein dem Betrag der Wechselsumme entsprechender Gegenwerth zu den nothwendigen Erfordernissen eines Wechsels gerechnet wird, valeur fourni en especes, en compte etc. Dieses Erforderniss ist nun auch dann als vorhanden anzunehmen, wenn der Werth auf Rechnung einer dritten Person gesetzt werden kann. Allein hieran lässt sich nach der heutigen Auffassung des Wechselrechts ohnehin nicht zweifeln.
Art. 766. Vertragsurkunden werden gewöhnlich nur einfach ausgestellt, oder doch nur in so vielen Exemplaren, als Parteien vorhanden sind, und jede Partei erhält ein Exemplar zu ihrer Verfügung. Bei Wechseln ist es aber ein alter Gebrauch, sie von Anfang in mehreren Exemplaren auszustellen, und zwar lediglich für den Nehmer, oder einen späteren Inhaber, so dass dieser die mehreren Exemplare zusammen erhält und jedes derselben nach Bedürfniss gebrauchen kann. Dies dient entweder zu seiner Sicherung im Fall des Verlustes eines Exemplars, oder dazu sie zu gleicher Zeit für verschiedene Zwecke gebrauchen zu können. Code de comm. Art. 150. Deutsche W. O. Art. 66 ff. Bravard III. p. 89. Man kann z. B. ein Exemplar zum Accept verschicken und in der Zwischenzeit den Wechsel mittelst eines anderen Exemplars verkaufen u. dgl. Die Grundsätze, nach welchen dieser mehrfache Gebrauch von Wechselexemplaren stattfindet, sind später speciell darzulegen. Es ist nur hier zu bemerken, dass sämmtliche Exemplare eines Wechsels nur als eines zu betrachten sind, und daher auch nur einmal die Zahlung daraufhin erfolgen kann, jedoch können daraus unter besonderen Voraussetzungen vermöge der formalen Natur des Wechsels auch mehrere selbständige Wechsel werden, wie sich später zeigen wird.
Der Entwurf bestimmt nun, dass die mehreren Exemplare gleichlautend und mit den entsprechenden Nummern bezeichnet sein müssen, als erstes, zweites, drittes Exemplar u. s. w. Gewöhnlich steht noch dabei, dass die Zahlung auf ein Exemplar nur erfolgen soll, wenn sie nicht bereits auf eines der übrigen Exemplare erfolgt ist; doch ist dies selbstverständlich und braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Ferner, dass der Nehmer die mehreren Exemplare verlangen kann vom Aussteller, und ebenso jeder spätere Indossatar, dieser jedoch nur durch Vermittlung seines Vormannes, welcher wieder seinen Vormann anzugehen hat, und so weiter bis zum Aussteller, Code de commerce Art. 154. Deutsche W. O. Art. 66. Sind auf einem Wechsel bereits Indossamente enthalten, so versteht es sich von selbst, dass auch die Wiederholung dieser verlangt werden kann. Eine Beschränkung dieses Anspruches auf eine bestimmte Zeit, oder auf die Angabe bestimmter Gründe findet nicht statt. Nothwendig ist nur die Bezeichnung mit Nummern, damit Jeder, der solche Exemplare in die Hände bekommt, sofort weiss, dass noch andere Exemplare des gleichen Wechsels existiren, und sich gegen etwaigen Betrug schützen kann. Ist diese Bezeichnung nicht erfolgt, so kann man auch nicht wissen, dass nur ein Exemplar neben mehreren Exemplaren vorliegt, mithin ist dann jedes Exemplar als selbständiger Wechsel zu behandeln.
Duplicate, Triplicate etc. können nur von dem Aussteller angefertigt werden, dagegen blosse Abschriften von jedem Inhaber eines Wechsels. Die Vorschriften über Duplicate etc. sind daher auf solche Abschriften oder Copien nicht anwendbar. Copien haben an sich gar keine verbindliche Kraft, weil ihnen die Aechtheit der Unterschriften fehlt. Sie können daher nur in gewissen Beziehungen zum Gebrauche für den wirklichen Wechsel dienen. Dagegen sind die auf einer Abschrift befindlichen ächten Unterschriften an sich verpflichtend. Deutsche W. O. Art. 70. 71.
Ein Wechselpapier kann auch verlängert weden durch die Anfügung neuen Papiers, sog. Allongen, wenn der Raum des ursprünglichen Papiers voll geschrieben ist. Ein solcher Wechselanhang ist weder ein Duplicat, noch eine Copie, sondern einfach ein Theil oder eine Fortsetzung des Wechsels selbst, und es ist darüber nichts weiter zu bemerken, als dass man in geeigneter Weise dafür sorgen muss, dass im Fall der Lostrennung der Allonge deren Zusammengehörigkeit mit dem Wechsel deutlich erkennbar bleibe. Das Ungar. Wechselgesetz § 46 schreibt in dieser Beziehung vor, dass der Wechsel auf der Allonge copirt und die letztere durch ein Siegel mit dem Wechsel verbunden sein muss. Es ist jedoch zweckmässiger, dergleichen, leicht zu bedenklichen Consequenzen führende Vorschriften zu unterlassen und die gehörige Vorsicht den Betheiligten selbst anheim zu geben.
Art. 767. In diesem Artikel wird der Formalcharacter des Wechsels als allgemeines Princip ausgesprochen, und zwar in einem doppelten Sinne, nämlich 1, der Inhalt des Wechsels verpflichtet als solcher, es kommt also immer nur darauf an, was auf dem Wechsel steht, nicht auf eine etwa sonst vorhandene Absicht der Parteien; und 2, der Inhalt des Wechsels verpflichtet unmittelbar, ohne dass es eines thatsächlichen Rechtsgrundes hiefür bedürfte. Die Unterschrift verpflichtet mithin allein zu dem, was über der Unterschrift steht; selbst wenn der Inhalt des letzteren nicht von dem Unterzeichner herrührte, wie z. B. bei einem in blanco unterschriebenen oder indossirten Wechsel. Denn ist nur die Unterschrift selbst ächt, so muss derjenige, welcher sie gab, die Verantwortung dafür tragen, was etwa Andere über seine Unterschrift setzen werden. Eine Folge hievon ist, dass das, was auf einem Wechsel durchstrichen ist, gleichviel ob absichtlich oder zufällig, keine rechtliche Bedeutung mehr haben kann, denn das Durchstrichene gehört nicht mehr zum thatsächlichen Inhalt. Ist aber so viel durchstrichen, dass es dem Wechsel an einem gesetzlichen Erforderniss mangelt, dann ist der Wechsel selbst nicht mehr gültig.
Von diesem Princip, welches in den folgenden Artikeln noch vielfache Anwendung und Erläuterung finden wird, können nur diejenigen Ausnahmen stattfinden, welche das Gesetz selbst zulässt, jedoch mit Einschluss derjenigen Ausnahmen, welche ohne etwaige gesetzliche Bestimmung durch den Handelsgebrauch zugelassen sind. Es gehören zu den letzteren Ausnahmen hauptsächlich diejenigen Fälle, welche eine gewisse übliche und gewohnheitsmässige Anwendung und Auslegung gesetzlicher Bestimmungen enthalten. Dem Einflusse des Handelsgebrauches ist aber hier eine engere Grenze gezogen, weil das Wechsel recht eine strenge formale Bedeutung hat und seine gesetzlichen Bestimmungen strenger interpretirt werden müssen, als es sonst gewöhnlich geschieht.
Die Ausnahmen von der unmittelbar verpflichtenden Kraft des Inhaltes eines Wechsels beziehen sich hauptsächlich auf die Einreden, welche gegen die Wechselklage erhoben werden können. Dieselbe können erst aus der folgenden Entwicklung des Wechselrechts entnommen werden. Einzelne solcher Ausnahmen sind bereits in den vorhergehenden Artikeln, z. B. Art. 762. 763 enthalten. Daher ist z. B. ein Wechsel für den Minderjährigen nicht verpflichtend, welcher nicht die Fähigkeit zum Betrieb des Handels besitzt, obgleich er seine Unterschrift darauf gesetzt hat. Ebenso ist der nur scheinbare Inhalt eines Wechsels nicht verpflichtend in Bezug auf diejenigen, welche hievon Kenntniss gehabt haben.
Art. 768. Damit ein Wechsel die ihm in Art. 767 beigelegte verpflichtende Kraft besitze, muss er vor allem die vom Gesetze vorgeschriebenen Erfordernisse besitzen, d. h. er muss denjenigen Inhalt und diejenige Form haben, welche das Gesetz vorschreibt. Unter Gesetz ist hier immer die speciell auf Wechsel bezügliche Gesetzgebung zu verstehen, da die Wechsel ihr eigenes specielles Recht haben, so dass die allgemeinen Grundsätze über Vertragsschliessung hier nicht anwendbar sind, oder doch nur insoweit, als das specielle Wechselrecht es zulässt. Diese Erfordernisse sind im folgenden, z. B. in Art. 771 genauer anzugeben. Ein Wechsel z. B., auf dem der Name des Ziehers oder des Bezogenen fehlte, wäre kein Wechsel; oder wenn z. B. vorgeschrieben wäre, dass die Wechselsumme in Worten geschrieben sein muss, so wäre ein Papier, auf dem diese Summe nur in Zahlen stünde, wiederum kein gültiger Wechsel. Ferner wird auf einem Wechselbriefe die Unterschrift des Ziehers verlangt, d. h. der Name des Ziehers muss am Ende des Briefes stehen, mithin liegt kein gültiger Wechsel vor, wenn dieser Name nur am Anfang oder in der Mitte des Wechsels stünde. Nach Deutschem Rechte muss der Wechsel wörtlich als solcher bezeichnet sein ; folglich sind in Deutschland alle Wechsel ohne Wechselkraft, auf denen diese wörtliche Bezeichnung sich nicht findet. In manchen Fällen genügt demgemäss die einfache Anwendung des Gesetzes; in anderen muss die Interpretation oder der Handelsgebrauch ergänzend hin zutreten, z. B. wenn es sich fragt, ob ein Name geschrieben oder auch gedruckt sein kann, ob ein Schreibversehen die Unterschrift ungültig macht oder nicht u. dgl. In letzterer Beziehung wird es genügen, wenn der Name nur leserlich und die damit bezeichnete Person dadurch erkennbar ist, ohne Unterschied, ob der Name etwa bis auf den letzten Buchstaben vollständig und richtig ausgeschrieben ist oder nicht.
Wenn aber auch alle gesetzlichen Erfordernisse auf einem Wechsel vorhanden sind, ist er zweitens dennoch ungültig, wenn er daneben noch einen anderen ungesetzlichen Inhalt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die durch den Wechsel begründete Verbindlichkeit durch Zusätze unbestimmt gemacht oder wieder aufgehoben, bez. durch weiteren Zusatz ihrer Wirksamkeit beraubt wird. Die Wechselverbindlichkeit geht auf strenge Zahlung einer festen Geldsumme. Gesetzt nun, es würde die Zahlung in Geld oder in Waaren, Effecten etc. angeordnet, so wäre hiedurch die Geldzahlung unbestimmt gemacht, weil der Schuldner nach seiner Wahl auch Waaren etc. liefern könnte. Ebenso würde die strenge Verbindlichkeit zur Zahlung aufgehoben, wenn sie von einer Bedingung, einer Abrechnung, einer Gegenleistung etc. abhängig gemacht würde. Ferner muss die Zahlung an eine bestimmte Person, den Nehmer, erfolgen; sind nun mehrere Personen als Nehmer genannt, ohne dass sie als Gesellschafter oder Eheleute eine einzige Person juristisch darstellen, so ist wiederum die Person, an welche zu zahlen ist, unbestimmt gemacht, und folglich der Wechsel ungültig, da ein solidarisches Schuldverhältniss dem Wechsel recht fremd ist.
Drittens kann aber auch der Selbstwiderspruch auf einem Wechsel denselben ungültig machen. Z. B. es heisst, dass der Wechsel zahlbar sein soll „ in Tokio und aller Orten.” Hier ist als Zahlungsort nicht blos Tokio, sondern auch jeder andere Ort bezeichnet, was sich nicht mit einander vereinbaren lässt. Oder wenn das Datum der Zahlung ein früheres ist, als das der Ausstellung, auch wenn der Widerspruch nur durch Versehen entstand. In manchen Fällen kann der Widerspruch durch Auslegung oder durch Correctur gehoben werden, soweit dies das Gesetz zulässt, z. B. wenn die Wechselsumme verschieden angegeben ist (Deutsche W. O. Art. 5). In Bezug auf Correcturen (Rasuren) gilt im allgemeinen der Grundsatz, dass sie in unwesentlichen Theilen jedenfalls zulässig sind, in wesentlichen Theilen aber die Ungültigkeit des Wechsels nach sich ziehen, wenn die Art der Correctur Zweifel darüber entstehen lässt, ob die Unter schrift des Ausstellers sich auf den gesammten Inhalt bezieht, oder wenn sie die Undeutlichkeit wesentlicher Angaben zur Folge hat. (Renaud, Wechselrecht p. 72). Dies ist hauptsächlich dem Ermessen des Richters und dem Handelsgebrauch zu überlassen.
Art. 769. Anders verhält es sich mit einem an sich gültigen Wechsel, auf welchem unwesentliche Zusätze stehen, d. h. solche, welche den wesentlichen Inhalt weder aufheben noch unbestimmt machen. Dies gilt namentlich von allen Nebenversprechen, welche äusser der eigentlichen Wechselverpflichtung gemacht werden, z. B. über die Bezahlung von Zinsen (Deutsche W. O. Art. 7) von etwaigen Stempelstrafen, die Entsagung auf die Verjährung, die Bestellung eines Pfandrechts u. dgl. m. Es gehören hieher aber auch Zusätze, welche die wechselmässige Verpflichtung selbst betreffen, aber gesetzlich als unwirksam anzusehen sind, z. B. wenn der Aussteller eines Wechselbriefes den Zusatz machen würde, „ohne Gewähr” oder „ohne Obligo” weil er diese Regresspflicht kraft gesetzlicher Vorschrift nicht von sich abwälzen kann.
Solche unwesentliche Zusätze gelten als nicht geschrieben und sind folglich wechselrechtlich unwirksam, sie können mithin als gültiger Wechselinhalt nicht geltend gemacht werden. Ob sie ausserdem eine verpflichtende Kraft haben, ist nach den Bestimmungen des Civilrechts zu beurtheilen.
Art. 770. Ein Wechsel ist unächt, wenn eine darauf befindliche Unterschrift falsch ist, verfälscht, wenn der sonstige Inhalt, z. B. die Geldsumme, der Ort oder die Zeit der Zahlung, das Datum, der Name einer Person, in unredlicher Absicht verändert wurde.
Zunächst ist nun klar, dass durch die unächte Unterschrift weder derjenige haftbar wird, dessen Name dadurch gemissbraucht wurde, denn er hat seine Unterschrift in Wahrheit nicht gegeben, noch auch der Fälscher, denn sein Name steht nicht in der Unterschrift, obwohl der letztere wegen seiner strafbaren Handlung auch civilrechtlich verantwortlich bleibt.
Allein der Umstand, dass sich auf einem Wechsel eine falsche Unterschrift findet, beeinträchtigt nach dem auch in Art. 763 angenommenen Princip nicht die Gültigkeit der darauf befindlichen ächten Unterschriften, und für die hiedurch Verpflichteten und Berechtigten ist der ganze Wechsel seinem vollen, auch gefälschten Inhalte nach gültig und bindend, da sie es einem Wechsel nicht ansehen können, ob er ächt oder falsch ist. Gesetzt also, ein Wechsel mit der falschen Unterschrift des Ziehers würde von dem Bezogenen acceptirt oder von dem Nehmer indossirt, so wären das Accept und das Indossament ächt und gültig, und der Acceptant sowie jeder ächte Indossant wäre verpflichtet, den Wechsel dem gutgläubigen Inhaber zu bezahlen. Oder wenn auf einem ächten Wechsel ein Indossament gefälscht würde, so würde hiedurch die Gültigkeit des gesammten übrigen ächten Inhaltes nicht beeinträchtigt. Deutsche W. O. Art. 75. 76. Diese Grundsätze fliessen mit Nothwendigkeit aus dem formalen Character des Wechsels, welches als ein zur Circulation bestimmtes Creditpapier nur seinem äusserlich erkennbaren Inhalte nach beurtheilt werden kann.
Aehnlich wäre es im Falle einer Verfälschung des Inhaltes, wenn z. B. die Wechselsumme betrüglicher Weise vergrössert, und sodann von dem Bezogenen als solche acceptirt würde. Dieses Accept würde den Acceptanten zum vollen Betrage binden, wenngleich er vom Aussteller zur Zahlung einer geringeren Summe beauftragt worden wäre, und folglich von diesem nicht die volle Summe als Ersatz fordern könnte. Und für jeden weiteren Erwerber des Wechsels würde das durch die ächte Unterschrift entstandene Accept massgebend sein. Wenn dann später die Fälschung entdeckt würde, bliebe doch das ächte Accept wirksam, und den Schaden hätte der durch die Fälschung getäuschte Acceptant zu tragen.
Diese Grundsätze erleiden nun aber eine doppelte Einschränkung. Einmal werden durch eine Fälschung, gleichviel ob daraus Unächtheit oder Verfälschung entsteht, die aus dem Wechsel bereits entstandenen Verpflichtungen nicht berührt, d. h. erhöht oder irgendwie verändert, denn sonst könnte man keinen Wechsel aus der Hand geben, ohne durch spätere unredliche Inhaber oder andere Betrüger die grössten Verluste befürchten zu müssen. Wenn also Jemand einen Wechsel auf 100 D. acceptirte, und diese Summe wird nach dem Accept fälschlich in 200 D. verwandelt, so haftet doch der Acceptant nur für 100 D., denn seine durch das Accept entstandene Verpflichtung kann durch die nachherige Fälschung nicht zu seinem Nachtheil erhöht werden. Ebenso würde der Aussteller und jeder vor dem Zeitpunkt der Fälschung auf den Wechsel gesetzte Inhaber nur zum ursprünglichen Betrage haften. Hätte aber nach der Fälschung Jemand unwissentlich den Wechsel erworben und weiter indossirt, so würde sein ächtes Indossament ihn aus dem Wechsel verpflichten zu dem vollen darauf stehenden Betrage, auch wenn später die Fälschung entdeckt würde. Daraus folgt, dass die Unterschriften und Einträge auf einem Wechsel genau geprüft werden müssen, da Jeder auf seine Gefahr die etwaigen Fälschungen zu tragen hat; und es erklärt sich daraus die Nothwendigkeit, es mit den Formalitäten eines Wechsels strenge zu nehmen, um Betrügereien möglichst zu verhüten.
Sodann aber darf die Fälschung dem Fälscher selbst und jedem anderen Mitschuldigen keinen Nutzen bringen. Dies folgt von selbst aus dem allgemeinen Princip, dass aus einer rechtswidrigen Handlung Niemand ein Recht für sich ableiten kann. Wenn also auch in den obigen Beispielen ein betrogener Acceptant oder Indossant dem ehrlichen Besitzer des Wechsels gegenüber zur Zahlung verpflichtet ist, so doch nicht auch dem Fälscher selbst gegenüber, oder Anderen, die von der Fälschung Kenntniss hatten und aus derselben einen Vortheil ziehen wollen. Die Einrede der Fälschung kann gegen den Fälscher etc. unbedingt erhoben werden; gegen gutgläubige Besitzer jedoch nur von denen, deren Verpflichtung durch die Fälschung verändert werden würde. Zeitschrift für Hand. R. Bd. 1 p. 601.
In den Gesetzen finden sich über diesen Punkt meist keine ausdrücklichen Bestimmungen, ausgenommen in der Deutsch. W. O. Art. 75 und 76; Ungar. W. O. § 185. 186. Jedoch ist man im allgemeinen darüber einverstanden, dass die Unächtheit eines Wechselbriefes den Acceptanten nicht von der Zahlungspflicht befreit, und der Betrug auf seinen Theil trifft. Pradier- Fodéré droit commercial p. 257. Story, Engl, und Nordamerik. Wechselrecht § 411. 451. Smith, merc. law. p. 255. Jedoch ist nach Engl. Recht der Acceptant eines gefälschten Wechsels zur Zahlung nur dem gutgläubigen Besitzer verbunden, der den Wechsel durch Kauf oder sonst für Gegenwerth erworben hat, eine Beschränkung, wozu in der Natur des Wechsels keine Veranlassung gegeben ist.
Uebrigens kann der Einwand der Fälschung nicht blos von demjenigen erhoben werden, zu dessen Nachtheil sie begangen wurde, sondern von Jedem, dem ein gefälschter Wechsel präsentirt wird. Wenn z. B. Jemand auf Grund eines gefälschten Indossaments Zahlung von Acceptanten erheben will, und dieser erkennt die Fälschung, so kann er die Zahlung wegen begangener Fälschung zurückweisen. In Bezug auf die persönliche Identität kommt die Regel des Art. 459 auch für den Acceptanten zur Anwendung.
Eine andere Frage ist die, ob Jemand verpflichtet ist aus einer gefälschten Unterschrift, wenn er dieselbe auf specielles Befragen irrthümlich als ächt anerkannt hat. Z. B. ein Wechselinhaber fragt den angeblichen Acceptanten, ob sein Accept ächt sei, und derselbe bejaht diese Frage, obgleich es in Wirklichkeit unächt ist. Hierauf ist zu antworten, dass an und für sich seine Anerkennung ihn dem Fragenden gegenüber jedenfalls bindet, dass es aber von den Umständen abhängt, ob er seine Anerkennung aus einem entschuldbaren Irrthum gab und desshalb widerrufen könne. Ztschr. für H. R. Bd. 12. p. 205.
Art. 771. Da Wechsel zur Circulation bestimmt sind und in der Regel Zahlung in der Entfernung zum Zweck haben, so kann es sehr leicht vorkommen, dass die bei einem Wechsel Betheiligten nicht blos verschiedenen Orten eines Landes, sondern verschiedenen Ländern angehören und die verschiedenen auf einem Wechsel eingegangenen Verpflichtungen, Ziehung, Accept, Indossament etc., in örtlicher Beziehung verschiedenen Ländern angehören. Es kann z. B. in Tokio ein Wechsel auf London gezogen, dort acceptirt und später in Paris indossirt werden, und wird schliesslich in London, als unbezahlt geblieben, protestirt und nach Tokio behufs der Regressnahme zurückgeschickt. Da diese Fälle, welche sich noch viel weiter fortspinnen können, in der Praxis sehr häufig sind, ist es nothwendig, darüber klare und bestimmte Regeln aufzustellen. Diesen Regeln liegt das dem Formalcharacter des Wechsels entsprechende Princip zu Grunde, dass jede Wechsel Verpflichtung auf einem Wechsel nur nach ihrem äusserlich erkennbaren Inhalte zu beurtheilen, und überdies jede von der anderen unabhängig ist, indem die Gültigkeit der einen Verpflichtung von der Gültigkeit der anderen durchaus nicht abhängt. Daraus folgt von selbst, dass jede Wechselverpflichtung auch in örtlicher Beziehung selbständig zu behandeln sei und mit einem Worte jede Wechselverpflichtung ihr eigenes örtliches Recht hat, und dieses Recht beibehält, auch wenn der Wechsel später an andere Orte gebracht wird. Z. B. in Frankreich braucht ein Wechsel nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet zu sein, während dies in Deutschland absolute Bedingung ist. Ist nun ein Französischer Wechsel in Deutschland zahlbar, so könnte der Deutsche Schuldner sich vielleicht darauf berufen, dass auf dem Wechselpapier nicht das Wort Wechsel steht, und desshalb die Ungültigkeit des Wechsels behaupten. Allein dies wäre unzulässig, da der Wechsel, in Frankreich ausgestellt, insoweit nach Französischem Rechte zu beurtheilen, während die Verpflichtung des Deutschen Acceptanten, die selbständig durch sein Accept entsteht, wiederum nur nach Deutschem Rechte zu beurtheilen ist.
Es witd nun auch für Wechsel das allgemeine Princip aufgestellt, dass jeder Vertrag nach dem Recht des Ortes zu beurtheilen ist, an Welchem er eingegangen wird, mithin ist auf jede Wechselverpflichtung das Recht des Ortes anzuwenden, an welchem sie durch Unterschrift entstanden ist. Dies ist bei Wechseln noch strenger und ausgedehnter zu nehmen, als bei gewöhnlichen Contracten, da Wechsel stets nur nach ihrem äusserlich erkennbaren Inhalte zu beurtheilen sind, soweit nicht etwa wegen eines nur scheinbaren Inhaltes die Regel des Art. 764 Anwendung finden muss. Bravard III. p. 34. Story, Engl, und Amerik. Wechselrecht § 129 ff. § 24. Diese Regel erstreckt sich nicht blos auf die Natur, d. h. die regelmässigen Erfordernisse, Eigenschaften des Wechelcontractes, sondern auch auf seine Voraussetzung und Wirkung, also namentlich die persönliche Fähigkeit des Ausstellers und anderer personen, und die Pflicht, die eingegangene Verpflichtung zu erfüllen; auch die Auslegung nach der besonderen Doctrin, oder dem Handelsgebrauch eines Ortes gehört hieher.
Unter Erfüllung ist nicht die Pflicht der Erfüllung zu verstehen, denn diese fällt nach dem Vorhergesagten unter den Begriff der Verpflichtung, sondern der Gegenstand, die Zeit, der Ort, kurz alles was zu einer gültigen, den Schuldner wirklich befreienden Erfüllung gehört. Z. B. der Verfalltag wäre zufällig ein Feiertag am Ort der Erfüllung, dann wäre sie auf den nächstfolgenden Werktag zu verlegen; die Wechselsumme lautete auf einem in Japan zahlbaren Wechsel auf Dollars, dann wären Mexicatiische oder Japanische Silber-Dollars zu bezahlen u. s. w. Dies ist namentlich wichtig, wenn eine bestimmte Summe nach dem jeweiligen Cours zu entrichten ist, indem dann immer der Cours des Zahlungsortes entscheiden muss.
Die in dem zweiten Absatze dieses Artikels bezeichneten Handlungen sind vorzüglich Präsentation, Notification, Protesterhebung und die Anstellung der Wechselklage. Alle diese Handlungen sind nach dem Rechte des Ortes vorzunehmen, wo sie thatsächlich vorgenommen werden, d. h. wo sie gesetzlich vorzunehmen sind, um rechtliche Wirkung für den Handelnden zu erlangen. Diese Vorschrift bezieht sich nicht bloss auf die äussere Form, sondern auch auf die Zeit, Art und Nothwendigkeit der vorzunehmenden Handlung ; alle diese Punkte sind nach dem am Ort der Handlung geltenden Rechte zu beurtheilen. Regelmässig ist dies der Ort, wo die Zahlung stattzufinden hat, und beziehungsweise der Wohnort des Schuldners. Aber auch hier kommt es auf den etwaigen Inhalt des Wechsels an, und es kann in Folge dessen das Recht eines anderen Ortes anzuwenden sein. Ist z. B. ein Wechsel vom Inlande auf das Ausland gezogen, dort acceptirt, sodann im Inlande weiter indossirt, aber schliesslich nicht bezahlt worden, so muss die Protesterhebung nach dem ausländischen Rechte erfolgen, dagegen über die Nothwendigkeit des Protestes behufs der Regressnahme gegen den inländichen Indossanten würde das Recht des Inlandes entscheiden müssen, da das Indossament, aus welchem der Regressanspruch abgeleitet wird, ein inländisches ist; wäre dagegen beim Indossament ein ausländischer Ort genannt, so würde in dieser Beziehung das an dem letzteren geltende Recht massgebend sein.
Ueber den Conflict der Rechte mehrerer Orte enthalten die Gesetzgebungen meist keine ausdrücklichen Bestimmungen, wesshalb diese Fragen nach den gewöhnlichen Principien des internationalen Privatrechts gelöst werden müssen. Die in dem Entwurfe enthaltenen und vorstehend erläuterten Bestimmungen sollen über die hauptsächlich zur Anwendung zu bringenden Regeln den nöthigen Anhaltspunkt gewähren. Die Deutsche W. O. hat über diesen Gegenstand in den Art. 84 — 86 nur unvollständige und keineswegs befriedigende Bestimmungen getroffen.
In Art. 84 wird bestimmt, dass die Wechselfähigkeit eines Ausländers primär nach dem Rechte seines Staates zu beurtheilen ist, Dies ist aber unzutreffend, da man es einem Wechsel nicht ansehen kann, ob er von einem Ausländer herrührt oder nicht. Gesetzt es, stellt eine Französin einen Wechsel in Berlin aus, so kann man aus ihrer Unterschrift nicht erkennen, dass sie Französin ist; ein solcher Wechsel wäre nach Französischem Recht ungültig, dagegen nach Deutschem Rechte gültig. Nach dem Entwurf ist dagegen in allen Fällen ein solcher Wechsel als ein Deutscher, mithin gültiger Wechsel zu betrachten. Auch wird jene primäre Bestimmung in dem weiteren Verlaufe des Artikels 84 selbst wieder umgestossen, insoferne die Wechselfähigkeit eines Ausländers bezüglich seiner inländischen Wechsel nach den Gesetzen des Inlandes beurtheilt werden soll.
Art. 85 spricht zunächst in materieller Beziehung den auch im Entwurfe angenommenen richtigen Grundsatz der örtlichen Gültigkeit aus. Allein es wird weiter bestimmt, dass ausländische Wechsel zwischen Inländern nach den Gesetzen des Inlandes zu beurtheilen sind, was zu vielfachen Betrügereien Anlass geben kann. Gesetzt, ein Japaner stellte in Frankreich eine Schuldurkunde aus, in welcher die Ordreclausel nicht enthalten wäre, so wäre das in Frankreich kein gültiger Wechsel, allein in Japan könnte trotzdem gegen den Schuldner die Wechselklage erhoben werden.
Durch diese Bestimmungen, wie durch die weitere in Art. 86, welche ausdrücklich nur von der Form wechselmässiger Handlungen spricht, ist die zur Beurtheilung der Gültigkeit von Wechseln nothwendige Sicherheit und Gleichmässigkeit nicht erreicht worden.
Im übrigen ist, um jeden Zweifel zu verhüten, noch zu bemerken, dass die Frage der Gültigkeit eines ausländischen Wechsels ausschliesslich nach dem betreffenden ausländischen Wechselrechte sich richtet. Daselbe ist zu beobachten hinsichtlich der weiter auf dem Wechsel befindlichen einzelnen Wechsel Verpflichtungen und Erklärungen. Sind also auf einem Wechsel zwei Indossamente, ein ausländisches und ein inländisches, so ist das erstere nur gültig, wenn es nach dem ausländischen Rechte, und das letztere nur gültig, wenn es nach dem inländischen Rechte gültig ist. Wäre aber der Wechsel selbst ungültig, so könnte keines der nachfolgenden Indossamente gültig sein, da ein jedes Indossament einen gültigen Wechsel zur nothwendigen Voraussetzung hat. Andererseits wird ein an sich gültiges Indossament nicht dadurch unwirksam, dass ein vorausgegangenes Indossament ungültig war, denn jede Wechselverpflichtung ist als eine selbständige Verpflichtung zu betrachten, welche den Grund ihrer Gültigkeit in sich selbst trägt.
Art. 772. Der Formalcharacter des Wechsels bringt auch hinsichtlich des Anrechts auf den Besitz der Wechselurkunde eigenthümliche Wirkungen hervor. Nach gewöhnlichen Grundsätzen gehört die Wechselurkunde deren Eigenthümer, und Jeder, der sie nur besitzt, muss sie dem Eigenthümer auf dessen Verlangen herausgeben. Eigenthümer des Wechsels ist aber jeder redliche Erwerber desselben, und hiezu ist nothwendig, einmal dass er den Wechsel durch einen wechsel mässigen Erwerbsgrund, Indossament, oder Uebergabe bei blossen Inhaberwechseln, erwarb, und sodann in gutem Glauben, also ohne die Kenntniss oder Absicht einer rechtswidrigen Aneignung, wohin nach gewöhnlichen Grundsätzen, indem grobe Nachlässigkeit regelmässig dem Dolus gleich geachtet wird, auch ein hoher Grad von Nachlässigkeit, z. B. durch leichtsinnigen Erwerb eines gefälschten Wechsels zu rechnen ist. Guter Glaube kann nicht vorhanden sein, wenn keine ununterbrochene Reihe regelmässiger Indossamente vorliegt, weil man dann sehen muss, dass der Wechsel auf irgend eine unrechtmässige Weise einmal erworben wor den sein muss, oder wenn man weiss, dass der unmittelbare Vorgänger den Wechsel gestohlen oder sonst unrechtmässig erworben hat. Wer in Bezug auf einen Wechsel ordentlicher Weise den Verdacht der Fälschung oder sonst einer Unredlichkeit hegen müsste, und ihn trotzdem erwirbt, von dem kann rechtlich nicht gesagt werden, dass er ihn auf redliche Weise erworben hat. Es ist jedoch, um jeden Zweifel zu verhüten, das Moment der groben Fahrlässigkeit noch ausdrücklich hinzugefügt worden. Deutsche W. O. Art. 74.
Sind nun diese nothwendigen Voraussetzungen gegeben, so braucht der Inhaber eines Wechsels denselben nicht herauszugeben, auch wenn der bestohlene oder sonst benachtheiligte frühere Eigenthümer denselben herausfordert, denn er ist durch den redlichen wechselmässigen Erwerb selbst Eigenthümer geworden, und insoferne ist jedes andere Eigenthum daran erloschen, und für diesen Verlust bleibt nur die Schadensersatzklage übrig gegen den, welcher ihn böslicher oder fahrlässiger Weise herbeigeführt hat.
Zum besseren Verständniss ist noch hieher zu bemerken, was erst im folgenden Verlaufe näher sich zeigen wird, dass, wer durch wechselmässigen Erwerb Inhaber eines Wechsels geworden ist, auf denselben ungehindert Zahlung vom Acceptanten fordern kann, auch wenn sein Indossament etc. gefälscht oder sonst unredlicher Weise erschlichen wurde, und der Acceptant kann nur nach Art. 459, also wegen böslicher Absicht oder grober Nachlässigkeit zum etwaigen Schadensersatz gegen den bestohlenen oder sonstwie betrogenen Eigenthümer angehalten werden. Daher kann es sehr leicht kommen, dass ein Wechsel an einen Unberechtigten ausbezahlt wird, und der Art. 773 soll dazu beitragen, dies zu Gunsten des Eigenthümers zu verhindern, indem der unberechtigte Erwerber den Wechsel wieder herausgeben muss.
Aber auch wenn die Voraussetzungen des redlichen Erwerbs vorliegen, muss der Inhaber den Wechsel dennoch in gewissen Fällen herausgeben, nämlich dann, wenn gegen ihn Thatsachen vorliegen, die seinem Erwerb später die Berechtigung entziehen. Der Entwurf rechnet hierher alle Thatsachen, aus denen gegen den Inhaber eine Einrede abgeleitet werden könnte, wenn er ihn selbst erst erwerben wollte. Z. B. ein Wechsel ist pfandweise indossirt worden, aber die Schuld später bezahlt. Der Erwerb eines verpfändeten Wechsels ist ein vollkommen redlicher Erwerb, allein nur unter der Voraussetzung, dass eine Schuld wirklich besteht. Aus denselben Gründen, aus welchen der etwaigen Pfandklage des Gläubigers auf Herausgabe des Wechsels die Einrede der Zahlung, des Erlasses etc. entgegengestellt werden könnte, kann der Pfandschuldner vom Pfandgläubiger auf die spätere Zurückgabe des Wechsels verlangen. Oder es hat Jemand einen Wechsel als Nehmer gekauft und erhalten, aber den Kaufpreis dafür nicht bezahlt, so kann der Aussteller als Verkäufer nach den Grundsätzen des Kaufcontractes den Wechsel wieder zurückverlangen. Ebenso, wenn Wechsel deponirt oder sonstwie anvertraut würden. Gesetzt, Jemand indossirt einen Wechsel an einen Agenten, damit dieser die Wechselsumme für den Eigenthümer einlösen solle, allein letzterer will das Mandat zurückziehen, etwa weil der Agent unsicher geworden ist, so kann er gleichfalls den Wechsel zurückfordern, weil er gegen den Agenten die Einrede aus dem Widerruf seines Mandates hätte.
Das in diesem Artikel aufgestellte Princip soll fernerhin noch auf den Erlös aus dem Wechsel ausgedehnt werden, den der Besitzer z. B. durch Erhebung der Wechselsumme beim Acceptanten oder durch Weiterbegebung gegen einen Kaufpreis oder andere Entschädigung erlangt hat. Dieser Erlös ist eine rechtswidrige Bereicherung des Besitzers gegenüber dem Eigenthümer des Wechsels, und muss ebenso wie der Wechsel selbst dem Beschädigten zurückerstattet werden. Offenbar ist dies gerecht und logisch. Das gleiche ist namentlich in der Deutschen Jurisprudenz anerkannt. Thöl Wechselrecht § 176 Nr. 2.
Art. 773. Die Bestimmung des Art. 772 setzt den Eigenthümer eines Wechsels in den Stand, die Herausgabe desselben von einem dritten Inhaber zu verlangen und dadurch diesen zu verhindern, unrechtmässiger Weise und zu seinem Nachtheil Rechte aus dem Wechsel geltend zu machen. Dazu ist aber nothwendig, dass er diesen dritten Inhaber kennt und persönlich vor Gericht verfolgen kann. Diese Bedingung kann jedoch nicht erfüllt werden, wenn der Wechsel gar nicht mehr existirt, oder wenn der jeweilige Inhaber des Wechsels dessen rechtmässigem Eigenthümer unbekannt ist, wie z. B. dann, wenn der Wechsel durch Schiffbruch oder sonstwie verloren, verbrannt, gestohlen oder irgend anders in unrechte Hände gekommen ist. Es stehen zwar in solchen Fällen dem Wechseleigenthümer verschiedene Wege zur Sicherung seiner Rechte offen. Er kann vor allem bei dem Bezogenen Einspruch erheben gegen die Bezahlung oder Annahme des Wechsels an einen Dritten, oder er kann sich auch eines Duplicats oder einer Copie bedienen, wenn er ein solches bereits in Händen hat, oder sich ein neues Exemplar ausstellen lassen nach Art. 766. Allein diese Wege werden in vielen Fällen nicht genügend sein, um dem Eigenthümer des Wechsels zu seinem Rechte zu verhelfen. Denn durch den Einspruch könnte er höchstens die Zahlung an eine dritte Person verhindern, nicht aber die Zahlung an sich selbst erwirken, jedenfalls nicht ohne genügende Sicherstellung an den Acceptanten; und dieser letztere könnte leicht in einen kostspieligen und unangenehmen Prozess mit demjenigen verwickelt werden, welcher gegen Vorzeigung des Wechsels dessen Auszahlung von ihm verlangen würde, und der Ausgang des Prozesses wäre für ihn von dem oft schwierigen oder unmöglichen Nachweise des durch Brand, Diebstahl etc. etc. bewirkten Verlustes durch den Eigenthümer abhängig. Die Benützung eines Duplicates aber könnte auf die Schwierigkeit stossen, dass wenn der verlorene Wechsel bereits acceptirt war, der Bezogene die wiederholte Acceptation auf einem neuen Exemplar verweigerte, oder dafür Sicherstellung verlangte, die der Eigenthümer vielleicht nicht zu leisten im Stande wäre. Hätte aber die Acceptation noch nicht stattgefunden, so würde dies nichts ändern bei Wechseln, die überhaupt keines Accepts bedürfen, wie die blossen Wechselscheine. Auch kann man sonst noch Gründe haben, im Umlaufe befindliche Wechsel für ungültig erklären zu lassen, so z. B. wenn sie nicht für den Umlauf bestimmt, sondern nur zur Sicherheit ausgestellt wurden, oder wenn ein sog. Blanco-Accept, d. h. ein ohne vorherige Unterschrift eines Ausstellers acceptirter Wechsel verloren wurde und dessen Weiterbegebung an andere gutgläubige Personen verhindert werden soll.
Aus diesen Bemerkungen ergibt sich mithin, dass die Amortisirung abhanden gekommener Wechsel unter Umständen einem Bedürfnisse entspricht, dass durch andere Mittel nicht oder nicht genügend befriedigt werden kann. Dieselbe findet sich auch in der Deutschen W. O. Art. 73, in der Oest. W. O. Art. 73., Ungar. W. O. Art. 190. 191.
Amortisation heisst Todes- oder Kraftloserklärung des Wechsels. Diese setzt voraus, dass kein Anderer, als derjenige, dem er abhanden kam, darauf ein Recht besitzt. Um dies zu erfahren, wird eine öffentliche Aufforderung erlassen, um etwaige Interessenten zur Geltendmachung ihrer Ansprüche aufzufordern. Das Verfahren im einzelnen ist nach den Principien des Civilverfahrens und bez. weise nach besonderen Bestimmungen über diesen Gegenstand zu erledigen, die hier nicht am Platze wären. Doch ist es gut, auf folgende Punkte zu verweisen:
1) der Antrag auf Amortisation ist bei dem Gerichte des Zahlungsortes zu stellen, und dieses Gericht hat die weiteren Verhandlungen darüber zu pflegen. Der Zahlungsort ist der für die Competenz des Gerichtes entscheidende Ort, weil dies der Erfüllungsort ist und das Gericht des Erfüllungsortes im allgemeinen für alle Klagen aus Contracten als zuständig bezeichnet werden muss.
2) Nur der Eigenthümer eines Wechsels kann dessen Kraftloserklärung beantragen, und es kommen in dieser Beziehung die gleichen Grundsätze, wie beim vorhergehenden Artikel, zur Anwendung. Hat also ein Dritter, wenn auch in Folge des Verlustes, Diebstahls etc, den fraglichen Wechsel auf redliche Weise erworben, und es stehen der Rechtmässigkeit seines Erwerbes keine Einreden entgegen, so ist er selbst Eigenthümer geworden und das Eigenthumsrecht des Verlierers oder Bestohlenen etc. daran ist erloschen. Gegen einen solchen Eigenthümer würde daher die Amortisation nichtig sein, und er könnte trotz der von dem früheren Eigenthümer bewirkten Amortisation ungestört seine Rechte aus dem Wechsel geltend machen. Die Amortisation kann vielmehr nur gegen den unbekannten blossen Besitzer des Wechsels und dessen gutgläubige Rechtsnachfolger nach gerichtlich erklärter Amortisation wirken.
3) Dass der Wechsel bereits acceptirt war, ist keine unerlässliche Voraussetzung der Amortisation, wie bereits oben gezeigt wurde. Denn wenn der Bezogene die Annahme verweigerte, würden dann Regressrechte gegen den Zieher oder Indossanten nicht mehr geltend gemacht werden können. Dazu bedarf es zwar regelmässig der förmlichen Vorlage der Wechselurkunde selbst, allein diese soll eben zu Gunsten des Wechseleigenthümers durch Amortisation ersetzt werden. In der Jurisprudenz sind die Meinungen über diesen Punkt getheilt, in der Deutschen Gesetzgebung ist derselbe unentschieden gelassen, jedoch ist das Erforderniss eines bereits acceptirten Wechsels nicht ausdrücklich ausgesprochen. In der Ungar. W. O. Art. 191 ist sogar die Amortisirung nicht acceptirter Wechsel wenigstens indirect zugelassen. Auch der Französ. Code de comm. Art. 152 macht in Betreff der Auskunftsmittel für verlorene Wechsel keinen Unterschied, ob dieselben bereits acceptirt waren oder nicht, und es dies auch in der Deutschen Jurisprudenz längst als ein Bedürfniss erkannt. Zeitschrift für H. R. Bd. 11 p. 244. Es ist dies fernerhin für den Verlierer eines Wechsels von grosser Wichtigkeit, um mittelst der Amortisation die nöthige Begründung seiner etwaigen Civilklage gegen den Verkäufer etc. des Wechsels zu erlangen. Auch sind immerhin Fälle denkbar, dass der Eigenthümer des verlorenen Wechsels kein weiteres Duplicat vom Trassanten erhalten kann. In dem Englischen Rechte war früher (9 und 10 Will. 3. c. 17 s. 3) nur bestimmt, dass der Verlierer eines Wechsels gegen Sicherheitsbestellung die Ausstellung eines neuen Wechsels verlangen könne, was offenbar ganz ungenügend war. Neuerdings (17 und 18 Vict. c. 125 s. 87) soll der Verlust eines Wechsels oder anderen Umsatzpapiers kein Gegenstand einer Einrede gegen den Verlierer sein, wenn dieser gegen die etwaigen Ansprüche anderer Personen aus dem verlorenen Wechsel Sicherheit leistet. Es ist aber ein grosser Vorzug der Amortisation, dass sie die oft lästige und hemmende Nothwendigkeit der Sicherstellung aufhebt. Durchweg sind die eben erwähnten Auskunftsmittel des Englischen Rechts nicht auf den Fall bereits acceptirt gewesener Wechsel beschränkt. Smith, merc. law p. 275.
4) Vielfach wird der Lauf der Amortisationsfrist, binnen welcher unbekannte Wechselinhaber ihre etwaigen Rechte geltend zu machen haben, ausdrücklich erst von dem Verfalltage an zugelassen, obwohl die Einleitung des Amortisationsverfahrens schon früher gestattet ist. Auch im Französ. Code de comm. Art. 152 und in der Deutschen W. O. Art. 73 ist die offenbare Voraussetzung für den Schutz des Wechseleigenthümers im Fall eines Verlustes die, dass die Verfallzeit bereits eingetreten ist. Dies empfiehlt sich desshalb, weil in der Periode bis zur Verfallzeit ein Wechsel möglicher Weise in den verschiedensten entfernten Ländern circuliren und späteren gutgläubigen Erwerbern desselben die Kenntniss von dem am Zahlungsorte eingeleiteten Amortisationsverfahren unmöglich zugemuthet werden kann. Dies ist anders nach dem Eintritt der Verfallzeit. In diesem Zeitpunkte muss regelmässig der Wechsel an den Ort der Zahlung geschickt und dort zur Zahlung präsentirt werden, und von diesem Zeitpunkt an kann man daher auch erwarten, dass der Inhaber von dem eingeleiteten Verfahren Kenntniss erhält und seine Rechte geltend machen wird. Wer dies nicht thut, ist als unredlicher Erwerber zu präsumiren, oder er muss wenigstens die Folgen seiner eigenen Sorglosigkeit auf sich nehmen. Die Amortisationsfrist ist nach den Umständen von dem Gerichte zu bemessen; sie wird bei ausländischen Wechseln länger sein müssen, und es ist in allen Fällen so viel Zeit zu geben, dass mindestens eine einmalige Correspondenz auch nach anderen Erdtheilen gepflogen werden kann. Daher erscheint, auch nach dem Vorgange der Deutschen Gesetze, ein Minimum von sechs Monaten angemessen, doch kann diese Frist, wenn es dem Richter angemessen erscheinen sollte, auch noch länger erstreckt werden. Diese Bestimmung ist mithin so zu verstehen, dass mindestens 6 Monate seit dem Verfalltage verstrichen sein müssen, ehe ein Wechsel für kraftlos erklärt werden kann.
5) Der Eigenthümer muss sein Gesuch bei dem Gerichte des Zahlungsortes sobald als möglich, nachdem er den Verlust erfahren hat, anbringen, und alles Nöthige zur Begründung desselben angeben und glaubhaft machen. Ein längeres Warten würde ihm nicht nur den Nachweis des Verlustes erschweren, sondern auch die Glaubwürdigkeit seiner Angaben beeinträchtigen. Vor allem muss womöglich eine Abschrift des Wechsels vorgelegt oder doch der wesentliche Inhalt desselben und alles, was zur vollständigen Erkennbarkeit nöthig ist, angegeben werden. Sodann muss er auch seinen Erwerb des Wechsels, sowie die näheren Umstände des Verlustes glaubhaft machen, ohne dass jedoch ein vollständiger Beweis nöthig wäre, der in vielen Fällen nicht zu erbringen sein wird.
6) Das Gericht erlässt eine öffentliche Aufforderung an den unbekannten Inhaber, binnen bestimmter Frist den Wechsel dem Gerichten vorzulegen unter dem Androhen, dass derselbe ausserdem für ungültig erklärt werden wird. Diese Aufforderung ist durch Anschlag im Gerichtslocal und an der Börse, sowie auch durch wiederholte Inserate in die geeigneten in- und ausländischen Zeitungen bekannt zu machen.
7) Wird der Wechsel vom Inhaber vorgelegt, so bleibt es dem Antragsteller überlassen, seine Rechte gegen denselben auf Grund des Art. 772 geltend zu machen. Es kann hier unter Umständen vorkommen, dass der Inhaber als rechtmässiger Eigenthümer des Wechsels anerkannt und der Antragsteller seines früheren Eigenthums verlustig erklärt wird.
8) Meldet sich kein Inhaber, so erklärt das Gericht nach dem Ablauf der Frist auf weiteren Antrag des Eigenthümers für kraftlos, und es können fernerhin von Niemandem mehr Rechte aus demselben geltend gemacht werden.
Welche Wirkungen dies weiterhin für den Eigenthümer selbst hat, insbesondere für sein Recht die Zahlung des Wechsels von dem Bezogenen zu verlangen, kann erst später in dem von der Wechselzahlung handelnden Abschnitte dargelegt werden.
Art. 774. Wechselmässige Forderungen verjähren nach den meisten Gesetzgebungen in kürzerer Zeit als gewöhnliche Forderungen. Der Grund hiefür liegt darin, dass Wechsel ähnlich wie baares Geld circuliren, den Credit der betheiligten Personen belasten oder verbessern, und in gewissem Grade, activ und passiv, zu deren Cassabeständen gehören, und daher ihre Gültigkeit und Einlösbarkeit nicht auf lange Zeit hinaus im Ungewissen gelassen werden darf, da sonst die Geschäftsleute den Betrag des ihnen zur Verfügung stehenden Capitals niemals auch nur mit annähernder Sicherheit berechnen könnten. Es ist daher nothwendig, dass alle Wechselcredite in so kurzer Zeit, als es sich mit den Rücksichten der Billigkeit verträgt, abgewickelt werden können, und dazu gehört vor allem, dass man Zwangsvorsebriften erlässt, damit verfallene Wechsel oder sonst entstandene Wechselforderungen nicht in zu später Zeit geltend gemacht werden. Unter diesen Zwangsvorschriften nimmt die Verjährung eine wichtige Stellung ein, indem sie diejenigen, welche die gesetzlichen Fristen versäumen, mit dem Verlust ihrer Ansprüche bestraft. Die Verjährungsfrist wird in neuerer Zeit erheblich kürzer bestimmt, als in den älteren Gesetzen, daher die Nachahmung der letzteren, wie sie theilweise noch in England und Frankreich bestehen, sich nicht empfiehlt. Jene älteren Bestimmungen datiren noch aus der Zeit beschränkten und langsamen Weltverkehres, während jetzt durch die modernen Posten, Telegraphen, Eisenbahnen und Dampfschiffe Nachrichten in viel kürzerer Zeit und viel sicherer nach allen Theilen der Welt gesendet werden können. In England besteht noch für Wechsel, wie für alle Creditforderungen, eine sechsjährige, in Frankreich nach dem Code de comm. Art. 189, eine fünfjährige Verjährungsfrist, jedoch sind hier durch ein Gesetz vom 3. Mai 1862 wenigstens die Fristen für die Erhebung wechselrechtlichen Ansprüche bedeutend abgekürzt worden. In Deutschland und Oesterreich, W. O. Art. 77 und 100, ist die Frist auf 3 Jahre festgesetzt, es bestehen aber noch kürzere Fristen für die Erhebung von Regressansprüchen. Aus den oben bemerkten Gründen erschien unter den heutigen Verhältnissen eine 3 jährige Verjährungsfrist mehr angemessen und völlig genügend.
Andererseits hielt man es für zweckmässiger, nach dem Vorgange des Französischen Rechts eine einheitliche Frist sowohl für den Anspruch auf die Wechselzahlung, als auch für die Erhebung von Regressansprüchen festzusetzen. Dies ist eine grosse Erleichterung für die Praxis, indem dadurch die Berechnung verschiedener Fristen nach verschiedenen Entfernungszonen vermieden wird. Nimmt man noch hiezu, dass für die Erhebung der Regressansprüche selbst durch Protesterhebung und Notification ganz bestimmte Termine ohne jeglichen Aufschub vorgeschrieben werden müssen, wie z. B. im Code de comm. Art. 166 — 169 geschehen ist, so entsteht für die Verjährung der Regressansprüche ungefähr dieselbe Frist, wie für die des Anspruchs auf die Zahlung selbst, und dies dürfte sich als das zweckmässigste darstellen.
Der Anspruch auf Zahlung kann nur verjähren von dem Zeitpunkte an, wo dieselbe fällig geworden ist. Dies ist in der Deutschen W. O. Art. 77 ausdrücklich bestimmt. Im Französichen Code Art. 189 ist nur genannt der Zeitpunkt der Protesterhebung oder der letzten gerichtlichen Verfolgung, doch interpretirt man die letztere Bestimmung unzweifelhaft dahin, dass hier nur an den regelmässigen Fall gedacht ist, wenn der Wechselinhaber bei ermangelnder Zahlung sofort nach dem Verfalltage protestirt, weil er sonst durch Verzögerung des Protestes die Verjährungsfrist beliebig verlängern könnte, was ihm offenbar nicht gestattet sein kann. Bravard III. p. 566. Bei Wechseln, die auf Sicht fällig werden, bestimmt sich die Frist von dem Tage an, wo die Vorzeigung erfolgt oder gesetzlich erfolgen konnte. Bravard ib. p. 567.
Die Regressansprüche sind doppelter Art. Einmal stehen sie dem Wechselinhaber zu gegen den Aussteller und alle Indossanten, und sodann jedem Indossanten, welcher einen an ihn gerichteten Regressanspruch befriedigt hat, gegen alle seine Vormänner bis zum Aussteller einschliesslich. Diese Regressansprüche entstehen nicht schon dadurch von selbst, dass am Verfalltage die Zahlung unterbleibt, sondern dadurch, dass sie gemäss der formalen Natur des Wechsels durch eine darauf gerichtete formelle Handlung vorbereitet und ermöglicht werden. Diese Handlung ist für den Wechseleigenthümer die Protesterhebung, für die Indossanten die Notification an die Vormänner. Wer diese Protesterhebung oder Notification unterlässt, verliert damit auch seinen Regress. Daher wurde in den genannten Fällen der Beginn der Verjährungsfrist auf den Zeitpunkt der Vornahme der betreffenden Handlungen bestimmt. Dies ist auch der der Französ. Gesetzgebung zu Grunde liegende Gedanke, nur dass anstatt der Notification die in Art. 165 vorgeschriebene gerichtliche Verfolgung gesetzt wird. Es scheint aber wenig passend zu sein, einen rechtlichen Anspruch zugleich durch Klage entstehen und verjähren zu lassen, und es dürfte die Notification als Ausgangspunkt der Verjährung richtiger sein, um so mehr, als diese ohne weiteren Aufschub sieh bewerkstelligen lässt, während die Anstellung einer Klage binnen blosser 14 Tage in vielen Fällen schwierig sein dürfte. Aus diesen Gründen wurden auch die Bestimmungen in Art. 79 der D. W. O. nicht adoptirt. Die Notification erfolgt einfach durch Aufgabe einer brieflichen Mittheilung durch die Post, die sich in allen Fällen leicht beweisen lässt; der Inhalt des zur Post aufgegebenen Briefes muss solange als richtig vermuthet werden, als nicht das Gegentheil von der anderen Seite bewiesen ist.
Die Verjährung geht für den Acceptanten, welcher zur Zahlung der Wechselsumme an den Inhaber verpflichtet ist, aber sie erstreckt sich auch auf andere Personen, die an seiner Statt diese Zahlung leisten müssen, wie z. B. den Wechselbürgen und den Intervenienten. Andererseits kann sie nicht blos dem Wechseleigenthümer, sondern auch dessen Stellvertreter mittelst irregularer Indossirung oder dem Rechtsnachfolger mittelst blosser Cession entgegengesetzt werden. Manche sind der Ansicht, dass nach Französ. Rechte von einer Verjährung der Regressansprüche des Wechseleigenthümers gegen die Indossanten keine Rede sein könne, da sie durch die Nothwendigkeit der Protestanzeige und Anstellung der Klage binnen 15 Tagen, als wesentliche Bedingungen jener Ansprüche, ausgeschlossen sei. Bravard III. p. 560. Allein durch die Anstellung einer Klage wird die Verjährung des damit verfolgten Anspruches nicht unmöglich gemacht, da der Prozess nachher unterbrochen werden kann, was einen neuen Beginn der Verjährung bewirken wird. In den übrigen Gesetzgebungen ist diese Beschränkung jedenfalls nicht enthalten.
In dem zweiten Absätze dieses Artikels wird nur noch von der Unterbrechung und Endigung der Wechselverjährung gehandelt, soweit Abweichungen in dieser Beziehung von den gewöhnlichen Grundsätzen (Art. 403 ff.) stattfinden sollen. Die Unterbrechung soll nur eintreten im Fall wirklicher Anstellung der Klage; oder durch andere, der Klage verwandte gerichtliche Verfolgung des Anspruches, wie Streitverkündung und Anmeldung im Concurse, auch durch die blosse Edictalcitation bei unbekanntem Aufenthalt des Beklagten. Dies ist ausdrücklich in der Deutschen W. O. Art. 80 ausgesprochen, indirect auch im Code de comm. Art. 189 mittelst der Worte à compter de la derniere poursuite juridique, wodurch jede aussergerichtliche Unterbrechung der Verjährung ausgeschlossen ist. Die Unterbrechung der Verjährung durch andere Umstände würde dem practischen Bedürfniss einer möglichst raschen Erledigung aller Wechselstreitigkeiten, und der formalen Natur des Wechsels überhaupt widersprechen. Ist eine laufende Verjährung einmal unterbrochen worden, so beginnt sie von diesem Zeitpunkt an von neuem zu laufen, wie es allgemein nach Art. 406 der Fall ist. Diese neue Verjährung ist natürlich wieder eine dreijährige, da in Wechselsachen nur diese kurze Frist zulässig ist. Dies ist auch in Frankreich und in der Deutschen Judicatur anerkannt. Bravard III. p. 568. Borchardt, Allgem. D. W. O. Zus. 609.
Ist dagegen die Verjährung zu Ende, so kann sie nicht wieder von neuem beginnen, gleichviel welche Rechte oder Pflichten daraus für die Betheiligten übrig bleiben. Der reine Ablauf der Verjährungsfrist tilgt die Wechselschuld nach Art. 407, so dass sie überhaupt nicht mehr geltend gemacht werden kann. Ist dagegen vor dem Ablauf der Verjährung eine gerichtliche Verurtheilung des Beklagten erfolgt, so ist nunmehr das Recht des Gläubigers in ein Recht aus dem Urtheil verwandelt, und dieses ist der kurzen 3 jährigen Verjährung nicht mehr unterworfen. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob binnen höchstens 3 Jahren der Gläubiger seinen Prozess beginnen und zu Ende bringen müsste, denn derselbe könnte sich ohne Schuld des Gläubigers durch einen längeren Zeitraum hinausziehen, und desshalb muss das Princip, dass während der Dauer eines Prozesses ein Recht überhaupt nicht verjähren kann—omnes actiones quae tempore pereunt, semel inclusae judicio salvae permanent L. 139. reg. jur. — auch hier Anwendung finden. Es genügt also, dass vor dem Ablauf der Verjährungsfrist die Klage erhoben und gleichviel in welcher Zeit ununterbrochen zu Ende geführt wurde. Ausserdem endigt die 3 jährige Verjährung auch durch selbständige Anerkennung, nach dem Vorgange des Französ. Code de comm. Art. 189. Code Nap. Art.
1337. Jede ein Zahlungsversprechen enthaltende Anerkennung unterbricht nach Art. 404 die allgemeine Verjährung, allein dies würde hier wegen der formalen Natur des Wechsels nicht anwendbar sein. Es ist vielmehr nothwendig, dass durch Anerkennung eine neue Schuld geschaffen wird, welche selbständig klagbar und mithin als Novation anzusehen ist. Durch diese Anerkennung wird mithin die Wechselschuld ebenso beseitigt, wie durch ein richterliches Urtheil, welchem auch die Kraft einer, und zwar nothwendigen Novation beigelegt wird. Die Anerkennung muss ausdrücklich und schriftlich sein; entweder kann ein neuer Wechsel gegeben, oder eine andere Urkunde ausgestellt werden, im ersteren Falle würde an die Stelle der früheren Wechselschuld eine neue, im letzteren eine ganz andere, überhaupt nicht dem Wechselrecht unterliegende Schuld treten. Dagegen kann diese Wirkung durch blosse Bemerkung auf dem alten Wechsel nicht erreicht werden, da eine solche Erklärung nicht hinreichen würde, auch nur die laufende Verjährung zu unterbrechen, geschweige denn ein neues Klagrecht aus dem Wechsel zu geben.
Verschieden von einer solchen Anerkennung ist die Prolongation eines Wechsels; dieselbe bewirkt factisch eine Unterbrechung der Verjährung, aber nur in der Weise, dass die Verfallzeit hinausgeschoben wird, mithin die Verjährung erst von der neuen Verfallzeit an laufen kann. Diese Prolongation hat daher nicht sowohl eine Unterbrechung, als vielmehr einen neuen Beginn der Verjährung zur Folge, was jedoch practisch auf dasselbe hinausläuft. Borchardt p. 379.
Die Unterbrechung, wie die Endigung der Verjährung wirkt nur für und gegen diejenigen, in deren Person sie stattfindet, mithin nicht für oder gegen die übrigen Gläubiger oder Schuldner aus dem Wechsel, was dem formellen und selbständigen Character aller zu einem Wechsel gehörigen Forderungsverhältnisse widersprechen würde. Wird also nur gegen einen Indossanten geklagt, so wird dadurch die Verjährung gegen die anderen Regresspflichtigen nicht unterbrochen. Wird nur von einem Indossanten geklagt, so hindert dies nicht, dass die Verjährung der Rechte der übrigen Regressgläubiger fortläuft. Anders jedoch verhält es sich, wenn Jemand zugleich in Vertretung anderer Gläubiger handelt. Gesetzt, Jemand klagt als Wechselinhaber auf Grund eines Blanco-Indossaments, mit der Angabe, dass er als Mandatar seines Indossanten auftrete, so würde durch eine solche Klage die Verjährung auch zu Gunsten dieses Indossanten unterbrochen. Borchardt Zus. 191.
Art. 775. Bei Sichtwechseln besteht die Eigenthümlichkeit, dass sie keinen festen Verfalltag haben, derselbe sich vielmehr nach dem Tage der Präsentation zur Zahlung richtet, welcher an und für sich in dem Belieben des Wechseleigenthümers steht. Damit nun dieser die Verfallzeit nicht beliebig verzögern könne, ist regelmässig in der Gesetzgebung eine Frist bestimmt, binnen welcher die Präsentation erfolgen muss. In der Deutschen W. O. Art. 19 beträgt diese Frist 2 Jahre. Demnach beginnt die Verjährung bei solchen Wechseln spätestens mit dem Ablauf der 2 Jahre nach dem Datum des Wechsels. Wurde der Wechsel vor dem Ablauf der 2 Jahre präsentirt, so beginnt die Verjährung von dem hiernach zu berechnenden Verfalltage an. Es wird übrigens hier, wie in allen anderen Fällen, der Verfalltag selbst nicht mitgezählt, sondern der erste Tag der Verjährungsfrist ist der dem Verfalltage nächstfolgende Tag. Gesetzt also, ein am 31. Januar 1880 ausgestellter Wechsel wird am 30. Juli 1880 präsentirt, so beginnt die Verjährung mit dem 31. Juli 1880; wird aber der Wechsel in der Zeit vom 31. Januar 1880 bis 31. Januar 1882 nicht präsentirt, so beginnt die Verjährung mit dem 1. Februar 1882.
Art. 776. Zum richtigen Verständniss dies Artikels sind drei Punkte strenge auseinanderzuhalten, nämlich 1, die Valuta (valeur), d. i. das Aequivalent, wofür der Wechselinhaber den Wechsel erlangt hat; 2, die Wechselsumme, welche dem Inhaber von dem Acceptanten auszuzahlen ist und welche er bei ermangelnder Zahlung mittelst Regress (recours) von dem Aussteller oder den Indossanten eintreiben kann; und 3, die Deckung (provision), welche zur Zahlung des Wechsels bestimmt ist, und regelmässig sich bei dem Bezogenen befinden muss, sei es durch unmittelbare Uebergabe Seitens des Ausstellers, sei es durch Compensation oder irgend eine andere geschäftsmässige Rechnung (compte). Nur auf diesen dritten Punkt, die Deckung oder Provision, bezieht sich die Bestimmung des gegenwärtigen Artikels, nicht auch auf die beiden vorhergenannten. Dies ist strenge im Gesicht zu behalten, um nicht bei der Auslegung des Artikels über die richtige Grenze hinauszugehen.
Gesetzt also, Jemand hat seinen Wechsel verjähren lassen, oder durch Verabsäumung des Protestes, der Notification, der Klage u. s. w. sein Recht aus dem Wechsel verloren, so erleidet er offenbar einen Schaden, indem er die Summe, welche ihm auf den Wechsel gezahlt werden sollte, verliert und um so viel in seinem Vermögen geschädigt ist. Dieser Schaden ist auch dann vorhanden, wenn ihm der Wechsel geschenkt worden wäre, oder wenn er ihn unverhältnissmässig billig erworben hätte, ja selbst dann, wenn er ihn gefunden hätte und, was freilich selten vorkommen wird, ihn als rechtmässiger Finder behalten dürfte; denn in allen Fällen bildete der Wechsel einen Theil seines Activvermögens und diese Summe ist nun für ihn verloren. Man kann nun sagen, er müsse eben den Schaden tragen, da er ihn sich selbst durch eigene Nachlässigkeit zugefügt hat. Allein das Recht ist auch dazu bestimmt, Personen welche unschuldig oder unter entschuldbaren Umständen leiden, zu Hülfe zu kommen, und dies findet hier seine Anwendung, da das Wechselrecht so streng formeller Natur ist und durchweg exceptionelle Bestimmungen enthält, die sich als Ausnahmen von den gemeinen Rechtsregeln darstellen und deren Beobachtung von Personen gewöhnlichen Verstandes oder mässiger Sorgsamkeit leicht übersehen werden kann. Die Nachlässigkeit wird hier meist nur Versehen oder Unkenntniss sein, und ist daher nicht ohne weiteres dem davon Betroffenen ausschliesslich zur Last zu legen. Daher ist es nur billig, wenn man im Wechselrechte ein Auskunftsmittel begründet, durch welches solche Versehen etc. wieder gutgemacht werden können, zumal da, wo der Gebrauch des Wechsels noch neu ist und die Vertrautheit mit dessen strengen Formen erst allmählich erworben werden muss. Für solche Fälle unschuldigen oder entschuldbaren Versäumnisses, die übrigens, wie wohl zu beachten , nicht erst bewiesen werden müssen, sondern welche vom Gesetz als vorhanden angenommen werden, gibt nun der Artikel nach dem Vorgänge der übrigen Gesetzgebungen eine Reparatur, durch welche der erlittene Verlust unter gewissen Voraussetzungen einigermassen ersetzt werden kann. Es ist nun aber zu unterscheiden.
Die Valuta, d. h. der Gegenwerth des Wechsels, kann niemals zurückgefordert werden, denn sie beruht auf einem Contract oder sonstigen Rechtsgeschäft, welches die auf dem Wechsel benannten Personen nichts angeht und aus dem Wechsel selbst nicht ersichtlich ist. Wer also einen Wechsel gekauft und bezahlt hatte, der kann nicht etwa den Kaufpreis zurückfordern. Wer Waaren geliefert und von dem Käufer einen Wechsel in Zahlung genommen hatte, kann nicht den Kaufpreis nochmals fordern oder etwa seine Waaren wieder zurückverlangen, denn er hat den gekauften oder in Zahlung genommenen Wechsel richtig erhalten, und wenn er ihn in seinen Händen zum leeren Stück Papier werden liess, so ist das seine Schuld, und er kann dafür keine Entschädigung von dem anderen Theile verlangen, so wenig, wie wenn er einen baar empfangenen Kaufpreis auf dem Wege velieren würde, Papiergeld unachtsamer Weise verbrennen liesse u. s. w.
Ebenso wenig kann er die Wechsel-oder Regress- Summe, nachdem er durch seine Achtlosigkeit den Anspruch darauf verloren hat, zum zweiten Male verlangen. Denn dadurch würde die Wirksamkeit der Verjährung und der formalen Vorschriften geradezu aufgehoben. Diese Bestimmungen sind nothwendig, um die Function des Wechsels als Creditpapier im Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten, und sie können nicht mit der einen Hand aufgestellt, und mit der anderen Hand wieder umgestossen werden. Der Wechseleigenthümer könnte also nicht sagen, ich habe zwar den Wechsel verjähren lassen, den Protest etc. versäumt, allein ich verlange trotzdem meine Bezahlung, gleich als wäre der Wechsel nicht verjährt, der Protest nicht versäumt. Damit wäre das ganze Wechselrecht mit seinen wohlbegründeten formalen Bestimmungen aufgehoben. Der Acceptant, Aussteller etc. kann zwar in solchen Fällen unter Umständen freiwillig und erenhalber zahlen, allein das Recht kann ihn dazu nicht zwingen, denn das Recht kann sich nicht selbst widersprechen und eine vielleicht moralische Schuld nicht zur gesetzlichen Schuld machen.
Anders ist es mit der Deckung oder Provision. Diese ist zur Bezahlung des Wechsels bestimmt, sie gehört contractmässig dem Wechselinhaber, und bleibt nur einstweilen bei anderen Personen, namentlich bei dem Bezogenen liegen, bis sie von jenem eingehoben wird. Strenge genommen ist freilich das Recht des Wechseleigenthümers erloschen; allein wem soll man das Recht auf die Deckung zusprechen? Billiger Weise dem Wechseleigenthümer, denn alle anderen betheiligten Personen haben keinen gerechten Anspruch darauf. Der Wechseleigenthümer hat einen positiven Schaden erlitten, dagegen der Bezogene, Aussteller etc. würde sich damit rein bereichern, ohne wahren Grund, nur zufällig, blos in Folge formeller Rechtsvorschriften. In diesem Conflict zwischen Schaden und Gewinn stellt sich das Recht billiger Weise auf die Seite des Beschädigten und verhilft ihm zum Ersatz, um die Strenge des Wechselrechts erträglich zu machen. Aus diesen Gründen wird dem beschädigten Wechseleigenthümer die Bereicherungsklage gegeben, gegen diejenigen, welche die Deckung lucriren würden.
Hier sind nun folgende Annahmen möglich :
1) Der Wechselinhaber hat seine Ansprüche gegen den Acceptanten verjähren lassen oder sonst durch Nachlässigkeit verloren. In diesem Falle wird ihm in den meisten Fällen kein Recursrecht zustehen gegen den Aussteller und die Indossanten, und sein Recht auf die Wechselsumme wäre gänzlich verloren. Kann er aber beweisen, dass die Deckung dem Acceptanten zugegangen ist und dieser dadurch rein bereichert wurde, so kann er die Bereicherungsklage gegen den Acceptanten anstellen und auf diese Weise seinen Schaden wieder gutmachen. Bravard III. p. 451.
2) die Ansprüche gegen den Aussteller oder Zieher sind verjährt oder präjudicirt, und dieser ist bereichert, sei es dadurch, dass er die nothwendige Deckung an den Bezogenen gar nicht lieferte, oder sie, nachdem die Zahlungspflicht des letzteren erloschen war, von diesem wieder zurückerhielt. Hier, wie in allen anderen Fällen, ist nicht bloss an die directe baare Bezahlung oder Rückzahlung der Deckung zu denken, sondern an jede Art kaufmännischer Ausgleichung mittelst Compensation, Rechnung und irgend welche Creditoperation, par compte, compensation on autrement, wie es im Code de comm. Art. 171 heisst. Bravard III. p. 477. Der Wechselinhaber muss auch hier beweisen, dass der Aussteller an der Deckung einen reinen Gewinn machte, während ihn der Schaden desfalls trifft. Es kann jedoch vorkommen, dass obwohl der Wechsel nicht zur Zahlung gelangte, doch weder der Bezogene noch der Zieher einen Gewinn macht, nämlich dann, wenn der Wechsel nur dem Namen nach von dem Zieher, in Wirklichkeit aber auf Rechnung eines Dritten, z. B. eines Principals oder eines andern Geschäftsfreundes gezogen war. In solchem Falle würde die Bereicherungsklage gegen den Dritten nicht angestellt werden können, denn dieser steht gänzlich ausserhalb des Wechselverbandes und es würde die Billigkeit zu weit getrieben werden, wollte man dem Wechselinhaber Rechte sogar gegen solche Personen einräumen, die aus dem Wechsel überhaupt nicht verpflichtet sind. Der Aussteller kann auch dadurch bereichert sein, dass er die Deckung in Wirklichkeit gar nicht dem Bezogenen schuldete, wenn dieser nämlich nur eine fingirte Person ist. Hier bekam der Aussteller den Gegenwerth für den Wechsel von dem Nehmer, während er gar keine Deckung zahlt; kann nun kein Regress gegen ihn genommen werden, so ist dies für ihn reiner Gewinn ohne irgend eine Gegenleistung. Jedoch muss auch hier, wie sonst, der Nehmer nicht die Bezahlung der Valuta an den Aussteller beweisen, sondern nur, dass dieser keine Deckung an den Bezogenen gelangen liess, sie also selbst noch besitzt.
Schwieriger ist die Bereicherung für die Indossanten nachzuweisen, weil diese überhaupt nicht für Deckung zu sorgen haben und zum Wechselinhaber in keinem Deckungs-, sondern nur in einem Valutenverhältniss stehen. Mit anderen Worten, der Indossant stellt nicht den Wechsel aus, sondern er erwirbt ihn selbst erst, entweder vom Aussteller, oder von dem Nehmer oder einem späteren Erwerber ; er kauft den Wechsel und verkauft ihn wieder, er kann mithin niemals an der Deckung, sondern höchstens an der Valuta einen Gewinn machen. Daher sind Viele der Meinung, dass gegen die Indossanten keine Bereicherungsklage zulässig sei, und diese Meinung ist auch im Holländ. Code Art. 109. 201 und in der D. W. O. Art. 83 sanctionirt worden. Vgl. auch Bravard III. p. 478 ff. Dagegen ist im Code de comm. Art. 171, ebenso in Span. Code Art. 541 die Bereicherungsklage auch gegen Indossanten gestattet, und dieser Ansicht ist der Entwurf gefolgt. Es kann nämlich die Möglichkeit einer Bereicherung der Indossanten durch die Deckung nicht absolut in Abrede gestellt werden. Es kann namentlich der Fall vorkommen, dass der Zieher nur eine fingirte Person ist und der Nehmer sich gegenüber dem Bezogenen zur Deckung verpflichtet hat. Ferner ist der erste Indossant einer Tratte an eigene Ordre zugleich Trassant, und insoferne jedenfalls der Bereicherungsklage unterworfen. Ueberhaupt kann ein Indossant dann stets zur Deckung verpflichtet gewesen sein, wenn er sich gegenüber dem Inhaber, Aussteller oder Bezogenen dazu verpflichtet hat, und mithin durch Verjährung etc. diese Deckung lucriren würde. Gesetzt, mehrere Personen versprechen sich gegenseitig Wechselcredit, in der Weise, dass für Deckung vorläufig nicht gesorgt werden und dieselbe eventuell nur von dem geliefert werden soll, welcher unter gewissen verabredeten Bedingungen, z. B. im Verhältniss einer bestimmten, jeden Contrahenten treffenden Subscription dazu verpflichtet werden würde, so könnte die Deckung eben nur von dem betreffenden Indossanten gefordert und bez. weise lucrirt werden. Es werden also namentlich die Practiken der fictiven Wechselziehung, der sog. Wechselreiterei sein, welche den Indossanten zur Deckung im Hintergründe verpflichten, und diesen Practiken entgegen zu wirken, würde gleichfalls empfehlenswert sein. Man könnte freilich einwenden, dass der Indossant höchstens vertragsmässig, nicht aber gesetzlich zur Deckung verpflichtet sein könne, und dass dem Inhaber aus einem solchen zwischen Dritten geschlossenen, und in den Wechsel nicht gehörigen Contracte keine Rechte zustehen könnten. Allein die Bereicherungsklage hat nicht zum Grunde die Verpflichtung des Trassanten oder Indossanten zur Deckung, denn dann wäre sie überhaupt keine Bereicherungsklage, sondern nur die Thatsache, dass einer der Wechselverpflichteten die Deckung ohne rechtlichen Grund in Händen behält und dadurch zum Schaden des Inhabers einen Gewinn macht. Wenn ein Indossant freiwillig, in Folge irgend welcher Geschäftsbeziehungen oder Operationen, die Pflicht des Ausstellers, für Deckung zu sorgen, auf sich nimmt, muss er auch die correspondirende Verantwortlichkeit dafür gegenüber dem Inhaber auf sich nehmen.
Es ist nicht absolut nothwendig, dass der Wechsel bei der Anstellung der Klage vorgelegt werde, mithin kann diese Klage auch aus einem abhanden gekommenen, gestohlenen etc. Wechsel angestellt werden. Ztschr. für H. R. Bd. 13 p. 305. Dies ist nothwendig, da sehr oft gerade wegen Verlustes etc. etc. eines Wechsels die Präjudicirung eintreten wird. Auch braucht der Kläger nicht zu beweisen, dass die Bereicherung zur Zeit der Klage noch fortbesteht, d. h. dass der Beklagte die Deckung oder deren Aequivalent fortwährend besitze, sondern es genügt der Beweis, dass dieser die Deckung hatte und ohne Befriedigung des Klägers zurückgab, bez. weise nicht lieferte. Borchardt Zus. 667 b. p. 515.
Die Bereicherungsklage ist eine Wechselklage und verjährt daher in der in Art. 774 bestimmten Frist. Die Verjährung läuft von dem Tage an, wo die ursprüngliche Klage verjährt oder die Präjudicirung wechsel mässiger Ansprüche durch Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen Handlungen eingetreten ist. Dies wird in der Deutschen Jurisprudenz ohne Grund anders beurtheilt, indem man glaubt, dass diese Bereicherungsklage der gewöhnlichen 30 jährigen Verjährung unterworfen sei, obwohl dies nicht unbestritten ist. Borchardt, p. 523. Da aber anerkannt ist, dass diese Klage eine Wechselklage und dem Wechselrecht eigenthümlich ist, so scheint kein Grund zu bestehen, die gewöhnlichen Grundsätze über Wechselklagen darauf nicht anzuwenden. Auch im Französ. Recht Code de comm. Art. 189 ist diese Klage von der Wechseljährung nicht aus geschlossen.
Dieser Gegenstand ist in der Deutschen W. O. Art. 83, im Französ. Code de comm. Art. 170 und 171 und in Art. 189 enthalten. Beiden Gesetzgebungen liegt der Gedanke zu Grunde, dass dem Wechselinhaber der Anspruch aus dem Wechsel trotz Versäumung gesetzlicher Fristen verbleiben soll, soweit der Verpflichtete die Deckung erhalten oder etwa nicht gegeben hat. In der Französ. Gesetzgebung tritt dieser Gedanke einfach in der Form hervor, dass unter der Voraussetzung der Provision die unmittelbar vorher aufgestellten Fristen ohne Wirkung bleiben sollen. In England (Smith, p. 253) ist der Zieher nicht zur Notification berechtigt, wenn er vernünftiger Weise nicht erwarten konnte, dass der Bezogene den Brief honoriren werde, hauptsächlich weil er ihm keine Deckung gegeben hatte; denn die Notification soll ihm hauptsächlich die unverzügliche Geltendmachung seiner Rechte gegen den Bezogenen wegen der Deckung möglich machen. Allein dieser Standpunkt ist für den Inhaber gefährlich, denn er kann niemals mit voller Sicherheit wissen, welche Rechnung zwischen dem Zieher und Bezogenen besteht. Es erscheint daher angemessener und logischer, die Bereicherungsklage nicht von dem Ermessen des Inhabers über die Nothwendigkeit der Notification abhängig zu machen, sondern sie vielmehr im Lichte eines Auskunftsmittels zu beurtheilen, nachdem die regelmässige Regressklage verloren gegangen ist.
In dieser Weise wird in der Deutschen W. O. zugleich eine Abhülfe gegen etwaige unbillige Folgen der Verjährung gegeben, und dies ist im Entwurf adoptirt worden, weil es das Verständniss des Gegenstandes erleichtert und vereinfacht, indem die Bereicherungsklage als ein Heilmittel gegen die Versäumung gewisser dem Wechselrecht eigenthümlicher Fristen erscheint. Im Code de comm. Art. 189 wird dieses Heilmittel gegen den Ablauf der Verjährung etwas anders geordnet, indem der Schuldner, und bez. seine Erben, nicht schon durch den einfachen Zeitablauf befreit sein sollen, sondern erst dann, wenn sie eidlich versichern, dass die Schuld nicht mehr bestehe, also bezahlt worden sei, oder dass sie dies wenigstens glauben In vielen Fällen wird dies darauf hinauslaufen, dass der Schuldner beschwört, dass er die Deckung zurückgegeben oder niemals erhalten habe, also factisch gleichen Falls die Bereicherung durch die Deckung betreffen, und es erscheint daher passender, die Bereicherungsklage auf die Verjährung auszudehnen. Die Bestimmung des Code de comm. entspricht einer ähnlichen des Code civil Art. 2275; da dieser jetzt mehr veraltete Standpunkt, wornach durch Verjährung Forderungen nicht erlöschen sollen, überhaupt im Entwürfe nicht angenommen wurde (Art. 407), so konnte er auch hier nicht angewendet werden. Dazu kommt, dass die Tendenz, zweifelhafte Fragen durch eidliche Aussagen lösen zu lassen, in dem modernen Rechte aus allgemeinen Gründen mehr und mehr verlassen wird, und dass sie in diesem Lande ohnehin auf Bedenken stossen müsste.
Cap. 1. Wechselbriefe.
§. 1. Ausstellung der Wechselbriefe.
Art. 777. Die Natur der Wechselbriefe im Unterschiede von den Wechselscheinen wurde bereits oben zu Art. 761 im allgemeinen dargelegt. Zu einem Wechselbriefe gehören immer drei Personen, ein Zieher oder Aussteller (Trassant, tireur, drawer), ein Bezogener (Trassat, tiré, drawee), und ein Nehmer (Remittent, preneur, payee). Der erste gibt den Auftrag zur Zahlung, der zweite soll die Zahlung leisten und der dritte die Zahlung empfangen. Wenn auch nur eine dieser Personen fehlt, so ist der Wechselbrief nicht vollständig und desshalb ungültig. Ausserdem muss aber der Wechselbrief noch alles enthalten, was nöthig ist, damit über den Gegenstand und die näheren Umstände, und über die Strenge der Zahlungspflicht nach Wechselrecht kein Zweifel bestehen kann. Alles dies muss aus dem Wechselbriefe selbst ersichtlich sein, denn der formale Character des Wechsels lässt einen wechselmässigen Anspruch ausschliesslich nur auf Grund des Inhaltes des Wechsels zu.
Das Datum begreift sowohl den Ort, als den Tag, Monat und das Jahr der Ausstellung. Diese Bestimmung hat der Wechsel aus den allgemeinen Gründen der Genauigkeit und Vollständigkeit mit allen streng formalen Schriftstücken gemein, wie z. B. mit einem Notariatsinstrument, einem Testament, einer Vollmacht u. s. w. Sie ist aber beim Wechsel noch aus besonderen Gründen nothwendig, weil von der Angabe des Datums nach Art. 771 das Recht abhängt, nach welchem der Wechsel hinsichtlich seiner Ausstellung zu beurtheilen ist, und dies aus dem Wechsel selbst zu erkennen sein muss. Nach dem Französischen Rechte, welches übrigens in dieser Beziehung im Entwurfe nicht adoptirt wurde, wornach ein Wechselbrief nothwendig von einem Orte auf einen anderen Ort lauten muss, kommt hiezu noch der Grund, dass die Erfüllung dieser Bestimmung nur aus dem Datum ersehen werden kann. Uebrigens ist wohl zu beachten, dass das Datum nicht eine Thatsache, sondern eine Willenserklärung bezeichnet, mithin jedes beliebige Datum gewählt werden kann, wenn es nur nicht eine Unmöglichkeit enthält, wie z. B. wenn es eine spätere Zeitangabe als die Zahlungszeit enthielte. Auch kommt, wenn das Datum ein unrichtiges ist, Art. 774 zur Anwendung, wornach die Unrichtigkeit des Datums den Wechsel gegenüber denjenigen, welche dieselbe kannten, der Gültigkeit beraubt. Endlich versteht sich die Nothwendigkit des Zeitdatums von selbst, wenn die Zahlungszeit binnen einer bestimmten Frist nach dem Datum bestimmt ist, z. B. binnen 4 Wochen a dato. Dies ist von eventueller Wichtigkeit bei allen Wechseln, die auf Sicht oder nach Sicht ausgestellt sind, wie sich später noch näher zeigen wird.
Die Wechselsumme muss im Wechsel enthalten sein als Gegenstand der Wechselverpflichtung. Dieser Gegenstand kann nur eine feste Geldsumme sein, mithin weder eine ungewisse oder schwankende Summe, noch irgend ein anderer Gegenstand. Die Grösse der Summe darf nicht von der späteren Uebereinstimmung der Parteien, noch von der Bestimmung einer dritten Person, noch von dem Eintritt ungewisser Ereignisse, oder von irgend einem Zeitablauf abhängen, wie z. B. Zinsen, die von Tag zu Tag im Betrage wechseln. Daher ist die Zinsstipulation mit dem Wechsel unverträglich. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob mittelst eines Wechsels keine Zinsen versprochen werden könnten, vielmehr sind in den meisten Wechselsummen zugleich Capital und Zinsen enthalten; aber die Zinsen sind im voraus auf einen festen Betrag berechnet und mit dem Capital zu einer festen Summe vereinigt. Der Gegenstand der Wechselverpflichtung kann ferner nur Geld sein, denn Geld ist eine gewisse Sache im Verkehr, da der Werth des Geldes nicht veränderlich ist, indem er vom Staat fest und verbindlich für Jedermann bestimmt wird. Die Lieferung jeder anderen Sache wäre eine ungewisse Verpflichtung, da sie nicht in der Macht des Verpflichteten steht, auch strenge genommen durch gerichtliche Execution nicht erzwungen werden kann. Die absolute Verpflichtung könnte immer nur auf den Geldwerth der Sache gehen, welcher beständigen Veränderungen ausgesetzt ist. Auch würde jede andere Sache der Circulation des Wechsels widersprechen, da nur Geld der allgemeinen Circulation fähig ist. Auch Werthpapiere, ja selbst Münzen können kein Gegenstand der Wechselschuld sein, soferne sie nur als Waare, d. h. nach ihrem veränderlichen Metall- oder Seltenheitswerthe in Betracht kommen. Dagegen sind Papiergeld und Banknoten als Geldsorten anzusehen, da sie Functionen des Geldes gleich dem Metallgeld verrichten, die Wechselsumme kann daher in ihnen gültig ausgedrückt werden. Vgl. z. B. Smith, merc. law p. 202 Note m.
Von dem so eben erörterten Princip finden zwei scheinbare Ausnahmen statt. Einmal kann die Wechselsumme auf eine Geldsorte lauten, welche entweder überhaupt oder doch am Zahlungsorte keinen Cours hat, d. h. als Geld nicht umläuft. Ersteres ist der Fall bei der sog. Rechnungswährung, letzteres bei fremden Geldsurten. Das letztere erklärt sich insoferne von selbst, als der Cours kein allgemeiner zu sein braucht, sondern nur ein Handelscours, namentlich bei Bankiers, Geldwechslern u. dgl. Man wird daher auf fremdes Geld vernünftiger Weise nur dann einen Wechsel ziehen, wenn solches Geld am Zahlungsorte wenigstens bei Bankiers etc. zu haben ist und angenommen wird. Es könnte aber sein, dass die Absicht gar nicht auf die effective Zahlung fremder Münzen gerichtet war, sondern in dieser nur der Bequemlichkeit wegen die Wechselsumme ausgedrückt wurde, indem in Wirklichkeit das am Zahlungsorte coursirende Geld gemeint war. Dies ist sogar als Regel anzunehmen, da man zunächst vermuthen muss, dass Zahlungen in dem Gelde des Zahlungsortes entrichtet werden (Art. 815). Diese Vermuthung ist auch in dem Falle der blossen Rechnungswährung begründet, um so mehr als hier die effective Auszahlung der nominellen Geldsumme gar nicht möglich wäre. In diesen Fällen ist mithin eine bestimmte Geldsumme in der Währung des Zahlungsortes der eigentliche Gegenstand der Wechselschuld, und diese Summe bestimmt sich nach dem Cours der nominellen Summe am Zahlungsorte zur Verfallzeit. Gesetzt, der Wechsel lautete auf 20 Pfund Sterling und der Cours des Englischen Geldes wäre am Zahlungsorte 5 Dollars per Pfund Sterling, so wäre die Wechselsumme als auf 100 Dollars lautend anzunehmen. D. W. O. Art. 37. Allein dieser Cours kann sich mit jedem Tage verändern, und die Wechselsumme ist mithin hier schwankend; sie könnte auch 99 oder 101 Dollars betragen, je nach dem jeweiligen Course. Dies ist allerdings eine Ausnahme von der oben bemerkten Regel, allein sie rechtfertigt sich nicht nur durch das unzweifelhafte Handels- und Verkehrsbedürfniss, da sonst die Geld- und Wechselcourse beim Wechselveikehr gar nicht berücksichtigt werden könnten, sondern auch durch die Natur der Geldschulden im allgemeinen. Jede Geldschuld ist eine generelle Schuld, die in verschiedenen Species gezahlt werden kann, sowohl nach dem Princip der Doppelwährung in einem und demselben Land, als nach dem Handelsverkehr zwischen verschiedenen Ländern. Eine bestimmte Geldsumme kann daher auf verschiedene Summen von Gold- oder Silbermünzen lauten, je nach dem Zahlungsorte und der Zahlungszeit, und es würde dem Geldwesen Zwang angethan, wenn man diese Freiheit des Geldgebrauches bei Wechseln ausschliessen wollte. Auch ist, strenge genommen, bei solchen Wechseln die Summe nicht ungewiss oder schwankend, sondern nur vorläufig unbekannt, sie ergibt sieh mit voller Gewissheit und Nothwendigkeit aus der Coursberechnung, die nach mathematischen Regeln vor sich geht und von jeder Willkür des Entschlusses unabhängig ist.
Die zweite Ausnahme bezieht sich darauf, dass neben die Wechselsumme noch der Ausdruck „oder Werth” gesetzt sein kann. Die Gültigkeit dieser sog. Werthwechsel ist bestritten, jedoch in Deutschland gerichtlich anerkannt. Thöl, Wechselrecht § 47. Zeitschr. für H. R. Bd. 16 p. 647 ff. Der Zweifelsgrund liegt darin, dass der Ausdruck einer bestimmten Geldsumme oder deren Werth eine alternative Verbindlichkeit zu bezeichnen scheint, deren Erfüllung in dem einen oder anderen Gegenstände regelmässig von der Wahl des Schuldners abhängt, wesshalb der Gegenstand der Verpflichtung hier nicht von vorneherein fest und gewiss ist. Hiegegen ist aber zu erwägen, dass das Erfordern iss einer bestimmten Geldsumme nicht mit dem einer einzigen oder bestimmten Geldsorte verwechselt werden darf. Kann eine bestimmte Geldsumme von selbst in verschiedenen Geldsorten gezahlt werden, so steht nichts im Wege, dieses in dem Wechsel ausdrücklich zu sagen, denn die Wahl, die hienach dem Schuldner freisteht, erhält er nicht von dem freien Willen der Contrahenten, sondern durch die Natur des Geldes und kann ihm gar nicht genommen werden. Die Clausel „oder Werth” besagt mithin nichts weiter, als dass die im Wechsel ausgedrückte Geldsumme in verschiedenen am Zahlungsorte coursirenden Geldsorten gezahlt werden kann; sie ist daher selbstverständlich und unwesentlich, und wird nach Art. 769 als nicht vorhanden angenommen, oder doch nur in dem Sinne genommen, dass mit der in dem Wechsel bezeichneten Geldsumme nicht eine bestimmte Geldsorte mit Ausschluss aller übrigen gemeint sei. Lautet z. B. ein in Yokohama zahlbarer Wechsel auf 20 Pfund Sterling oder Werth, so kann der Inhaber nicht ausschliesslich Englisches Geld verlangen, sondern er muss jede an dem Orte coursirende Geldsorte annehmen, und das wäre auch ohne den Zusatz der Fall gewesen. Anders wäre zu urtheilen, wenn mit dem Ausdruck „oder Werth” wirklich eine alternative Verbindlichkeit gemeint wäre, etwa der Werth der Summe in Waaren, Papieren oder in Arbeitsleistungen. In diesem Falle wäre die Wechselschuld als ungewiss, und der Zusatz desshalb als ungesetzlich zu betrachten, wesshalb ein solcher Wechsel ungültig wäre. Allein aus den blossen Worten ,,oder Werth” wäre dies nicht von selbst zu folgern, und solche Wechsel sind daher, wenn sie keinen weiteren Zusatz enthalten, als gültig anzusehen.
Die Geldsumme muss in Worten geschrieben sein, um der grösseren Deutlichkeit und Sicherheit willen, da in Zahlen viel leichter Irrthümer möglich sind. Dies bezieht sich auf den Text des Wechselbriefes: Zahlen Sie zwanzig Pfund St. u. s. w. Es kann ausserdem die Summe noch einmal auf dem Wechsel stehen und es ist dies sogar die Regel, indem man die Summe an einem leicht übersichtlichen Platze für sich bemerkt. Dies kann in Zahlen geschehen, oder auch ganz unterbleiben, nach dem Belieben der Betheiligten. Wenn sich die Summe im Texte und an anderen Stellen des Wechsels widersprechen, ist immer die im Texte genannte entscheidend, weil sie als der eigentliche Gegenstand des Contractwillens anzusehen ist, während die andere nur aus äusserlichen Gründen hinzugefügt wird.
In der D. W. O. Art. 5 ist vorgeschrieben, dass wenn die Wechselsumme mehrfach auf dem Wechsel steht, bei Abweichungen die mit Worten geschriebene, und bei gleichmässig in Worten oder Ziffern geschriebenen die kleinere Summe entscheiden soll. Diese Vorschrift ist besonders im letzteren Theile schwer zu rechtfertigen und es scheint die vorstehende Berichtigung practisch nützlicher und theoretisch richtiger. Gesetzt, ein Wechsel lautete im Text auf dreissig tausend Dollars, es würde aber oben in der Ueberschrift aus Versehen die Summe von dreitausend Dollars gesetzt, zufällig auch in Worten, so würde die letztere Summe gültig sein und der Gläubiger 27000 D. durch dieses Versehen verlieren. So schwere Folgen können einer so willkürlichen, wenn auch scheinbar billigen Interpretationsregel nicht beigelegt werden, vielmehr ist der Natur der Sache nach nicht aus einer beliebigen Ueberschrift oder dergleichen, sondern aus dem wirklichen Inhalte der Willenserklärung der Gegenstand der Verpflichtung zu entnehmen. Ebenso wäre zu entscheiden, wenn in der Geldsorte Abweichungen vorkämen, z. B. im Texte Dollars und in der Ueberschrift Yen genannt wären; auch hier wäre stets die Bezeichnung im Texte die entscheidende.
Wenn ein Wechsel einfach auf eine Summe in Yen lautete, so könnte man versucht sein, einen solchen Wechsel für undeutlich und desshalb für ungültig zu halten. Denn es bliebe zweifelhaft, ob Papier Yen oder Silber Yen gemeint seien, und 100 Yen in Papier sind eine andere Geldsumme als in Silber, so lange der Papier-Yen nicht zum vollen Nominalwerth coursirt. Dagegen ist aber zu erwägen, dass man zur Zeit in Japan unter Yen regelmässig nur Papier-Yen versteht und dass die Papier-Yen gesetzlichen Cours haben, somit eine Zahlung in Yen gültig geleistet werden kann. Daher scheint es richtiger, einen solchen Wechsel für gültig zu erklären und auf Papier-Yen zu beziehen. Da aber auch der Silber-Yen gesetzliches Zahlungsmittel ist, so könnte der Wechsel auch in Silber-Yen nach dem Course gezahlt werden, um so mehr, wenn der Zusatz „oder Werth ” beigefügt wäre. Ginge die Absicht auf ausschliessliche Zahlung in Silber-Yen, so müsste dies ausdrücklich im Wechsel gesagt sein.
Der Name des Bezogenen muss genannt sein, weil es sonst an der Person fehlen würde, welche zahlen soll. Bei Handelsleuten, insbesondere bei Handelsgesellschaften, bedient man sich zur persönlichen Bezeichnung der Firma anstatt des einfachen bürgerlichen Namens. Handelsgesellschaften können nur durch ihre Firma genau und deutlich bezeichnet werden, hier wäre daher der blosse Name eines Gesellschafters ungenügend. Anders wäre cs bei Einzelkaufleuten, auch wenn sie eine von ihrem bürgerlichen Namen verschiedene Firma führten ; sie können auch mit dem letzteren deutlich bezeichnet werden. Nur würde damit eben nur die Person, nicht die Firma der betreffenden Person bezeichnet, und wenn die Firma auf eine andere Person überginge, könnte diese nicht mehr gültig acceptiren. Daher ist Vorsicht rathsam, je nachdem man die bürgerliche Person oder die Firma bezeichnen will. Der Name oder die Firma muss so deutlich und genau geschrieben sein, dass kein Zweifel besteht, wer gemeint sein soll, indem das Weglassen des Vornamens oder des Wohnortes, oder das unrichtige Schreiben des Namens zwar nicht an sich und nothwendig den Wechsel ungültig macht, aber doch leicht einen Mangel der erforderlichen Deutlichkeit zur Folge haben kann. So z. B. können Meyer und Meier zwei verschiedene Personen sein, ebenso H. Meyer und M. Meyer u. s. w. Es kann zwar die mangelhafte Adresse durch die vollständige und richtige Unterschrift des Bezogenen ergänzt werden, allein es ist jedenfalls anzurathen, durch möglichste Genauigkeit und Vollständigkeit der Adresse jeder möglichen Undeutlichkeit vorzubeugen. Die Angabe des Wohnortes des Bezogenen ist nicht nothwendig, äusser soweit der Wohnort zur Vollständigkeit des Namens, insbesondere der Firma gehört, da es genügt, wenn nur der Zahlungsort angegeben ist; soll aber die Zahlung am Wohnort des Bezogenen erfolgen, so ist es am zweckmässigsten, mit dem Namen den Wohnort des Adressaten zu verbinden. Umgekehrt gilt der Zahlungsort auch als Wohnort des Adressaten, wenn kein besonderer Wohnort auf dem Wechsel angegeben ist.
Ferner ist wesentlich die Bezeichnung desjenigen, an welchen gezahlt werden soll. Dies geschieht regelmässig durch Angabe seines Namens oder seiner Firma; die Angabe seines Wohnortes ist nicht nothwendig, da die Zahlung dort nicht zu erfolgen hat (Art. 816). Es wurde hier aber der Ausdruck Bezeichnung gewählt, weil die Zahlung auch an eine ungenannte Person geschehen kann, wenn der Wechsel nämlich ein Inhaberwechsel ist. Es sind daher folgende Bezeichnungen möglich : an H. Meyer; an H. Meyer oder Ordre; an H. Meyer oder Inhaber; an den Inhaber. Nach den früheren Ausführungen zu Art. 761 ist der Wechsel in jedem Falle übertragbar, auch wenn die Ordreclausel nicht ausdrücklich beigefügt ist, da der Wechsel diese Eigenschaft nach Handelsgebrauch und nach allen Gesetzgebungen von selbst in sich trägt.
Die Bestimmung der Verfallzeit ist in Art. 780 näher vorgeschrieben. Eine unmögliche Verfallzeit, z. B. früher als das Datum der Ausstellung, macht den Wechsel ungültig; ebenso eine unbestimmte oder mehrfache Verfallzeit. Unbestimmtheit läge z. B. vor, wenn gesagt wäre, bis zum 1. Mai, weil hier in der ganzen Zwischenzeit bis zum 1. Mai gezahlt werden könnte, also eine unbestimmte Reihe vieler Verfalltage genannt wäre. Die Verfallzeit kann immer nur ein bestimmter Tag sein, der nicht mehr von Willkür oder von zufälligen Umständen abhängt. Es genügt aber, wenn der Verfalltag deutlich zu erkennen ist. Wenn keine Jahreszahl beigefügt ist, so gilt das Jahr des Datums; ebenso ist in Bezug auf den Monat zu urtheilen, ausgenommen wenn hiedurch die Verfallzeit unmöglich würde, in diesem Falle wäre der Wechsel ungültig. Eine unmögliche Verfallzeit wäre z. B. auch der 31. Februar oder 36. März u. dgl. Die Worte inst. oder curr. bedeuten den laufenden Monat oder das laufende Jahr, und letztere sind aus dem Datum zu ersehen. Dato, a dato, de dato bedeutet nach dem Datum, oder vom Datura an gerechnet; z. B. 3 Monate dato heisst 3 Monate vom Datum der Ausstellung an. Dagegen wäre die Bezeichnung ungenügend, wenn es nur hiesse, in 3 Monaten oder in einem Jahre, weil die Berechnung vom Datum an sich nicht von selbst verstünde; ebenso wenn es hiesse, Ende December, oder zu Weihnachten, oder Mitte Januar u. dgl. in. Die Verfallzeit darf nicht von anderen Thatsachen, z. B. von vorheriger Kündigung abhängig gemacht werden; denn Kündigung ist eine besondere Rechtshandlung, die mit der blossen Vorzeigung von Sichtwechseln nicht zu verwechseln ist.
Als Ort der Zahlung ist die Ortschaft zu nennen (Stadt, Dorf), wo zu zahlen ist. Die Angabe der Vorstadt, Strasse oder Hausnummer ist nicht erforderlich, aber auch für sich allein nicht genügend, es müssten denn besondere Umstände vorliegen, die jeden Zweifel ausschliessen. Borchardt, p. 70. 81. Die Ortsbenennung kann nicht wegbleiben, auch wenn der Wohnort des Bezogenen allgemein bekannt ist, wie z. B. London für die Bank von England, Berlin für die Deutsche Reichsbank, weil die Zahlung am Wohnorte des Bezogenen sich nicht von selbst versteht; umgekehrt wurde bereits bemerkt, dass als Zahlungsort, wenn kein solcher besonders benannt ist, der der Adresse des Bezogenen beigesetzte Ort gilt. Die Benennung mehrerer Zahlungs-Orte macht den Wechsel ungültig; dagegen kann der Zahlungsort von dem Wohnorte des Bezogenen verschieden sein, auch wenn beide genannt sind. Gibt es mehrere Orte gleichen Namens, so muss der wirklich gemeinte Ort speciell bezeichnet sein ; doch kann dies eventuell auch durch die Adresse, ja selbst durch das Accept oder durch die Präsentation geschehen. Der Zahlungsort muss immer ein bestimmter Ort sein ; die Worte zahlbar aller Orten, oder am jeweiligen Aufenthaltsort des Bezogenen machen den Wechsel ungültig. Jedoch darf dieses Erforderniss nicht zu strenge interpretirt werden, da die Möglichkeit des Zweifels durch die Umstände ausgeschlossen sein kann, namentlich wenn zwischen den Betheiligten völliges Einverständniss und Gewissheit bestand.
Die Wechselclausel besteht nach der Deutschen W. O. und einigen anderen Gesetzen in der ausdrücklichen Bezeichnung des Papiers als Wechsel. Dieses Erforderniss ist jedoch im Entwurfe, wie auch in den meisten übrigen Gesetzgebungen nicht adoptirt worden, wie bereits oben zu Art. 761 dargethan wurde. Nach dem Entwurfe, und nach dem überwiegenden Handelsgebrauche ist die Wechselclausel nur so zu verstehen, dass die Zahlung einzig und allein gegen den Brief erfolgen, also von nichts weiter als von der Vorzeigung desselben abhängen soll. Jede andere Bedingung oder Einschränkung macht den Wechsel ungültig, z. B. wenn nach vorheriger Kündigung, Gegenleistung, Abrechnung oder nach dem Eintritt irgend einer anderen Thatsache gezahlt werden soll. Die Wechselschuld muss unbedingt in sich selbst ruhen, jede Beziehung auf irgend ein anderes Rechtsverhältniss ist unstatthaft. Ja selbst von der blossen Vorzeigung auf Sicht kann die Zahlung nicht abhängig gemacht werden, wenn diese an einem bestimmten Tage stattfinden soll, weil es ungewiss ist, ob die Vorzeigung an diesem Tage stattfinden wird. Borchardt, p. 62. Auch ein unbestimmter Verfalltag, z. B. am Hochzeitstage einer Person, hebt die Wechselnatur auf, weil es ungewiss ist, ob die Hochzeit sich ereignen wird. Ebenso ist ein Versprechen „ laut Vertrag” kein Wechselversprechen, und es kann die Wechselformel nicht einem anderen Vertrage angefügt werden, weil die Wechselverbindlichkeit dann nach diesem Vertrage beurtheilt werden müsste.
Ueber die Ausstellung mehrerer Wechselexemplare wurde bereits zu Art. 766 das nöthige erläutert. Die Unterschrift des Ausstellers ist selbstverständlich. Sie muss am Ende des Wechsels stehen, weil der Aussteller nur dadurch sich zu dem vorstehenden Inhalte bekennt. Die Unterschrift an einer anderen Stelle ist ungenügend. Wenn jedoch ein Bevollmächtigter einen Wechsel ausstellt, so genügt es, wenn der Name des Vollmachtgebers im Texte genannt und der Bevollmächtigte am Ende unterschrieben ist. Auch hier ist bei Handelsleuten regelmässig die Firma erforderlich, die Angabe des Wohnortes ist nicht erforderlich, da das Ortsdatum für das Domicil genügt. Es wird gleich hier darauf aufmerksam gemacht, dass die Unterschrift des Ausstellers nicht von diesem selbst geschrieben sein, sondern nur überhaupt auf dem Wechsel stehen muss, was bei der streng formalen Natur des Wechsels genügt. Vgl. hierüber weiter Art. 782.
Die in dem gegenwärtigen Artikel aufgeführten Erfordernisse eines Wechselbriefes bilden dessen absolut nothwendigen Inhalt, und wenn auch nur eines derselben auf dem Wechsel fehlt, kann keine wechsel mässige Verpflichtung daraus entstehen. Das gleiche ist der Fall, wenn der nothwendige Inhalt nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit und Genauigkeit angegeben ist, weil eine Erklärung, deren Sinn oder Ausdruck zweifelhaft bleibt, als nicht vorhanden angenommen werden muss. Ob das Moment der Deutlichkeit und der Genauigkeit gegeben ist, ist eine Thatfrage, worüber in jedem einzelnen Falle der Richter zu entscheiden hat. Es wurden in den vorausgehenden Bemerkungen desfalls bereits die geeigneten Andeutungen gegeben, es ist aber daran zu erinnern, dass in allen Fällen diese Frage ausschliesslich aus dem Wechsel selbst zu beurtheilen ist, und nicht nach anderweitigen Umständen, die besonders bewiesen werden müssen; denn die Rücksichtnahme auf etwas anderes als den reinen Inhalt des Wechsels würde dessen formale Natur zerstören. Eine rein äusserliche Undeutlichkeit liegt auch dann vor, wenn die Schrift unleserlich ist, wenn statt der Buchstaben nur willkürliche Zeichen oder Striche gemacht werden, und wenn zweifelhafte Correcturen oder Rasuren auf dem Wechsel vorkommen. Wenn eine Person nicht schreiben kann, so muss sie entweder durch einen Bevollmächtigten zeichnen oder ihr eigenes Handzeichen auf den Wechsel setzen, das dann in der gewöhnlichen Weise gerichtlich oder notariell beglaubigt werden muss. Correcturen und Rasuren, Ausstreichungen etc. erwecken immer einen gewissen Verdacht der Verfälschung und sind daher möglichst zu vermeiden. Sie sind nur dann unschädlich, wenn sie offenbar nur zur Verbesserung eines Schreibfehlers dienen, unmittelbar in Gegenwart der Betheiligten vorgenommen und durch einen geeigneten Zusatz beglaubigt werden. In allen anderen Fällen läuft man Gefahr, dass der Wechsel, auf dem Rasuren etc. vorkommen, als undeutlich und folglich als ungültig erklärt wird.
Neben dem absolut nothwendigen Inhalt einer Tratte gibt es noch einen relativ nothwendigen, welcher nämlich nicht die Entstehung einer gültigen Tratte selbst bedingt, sondern nur weiter hinzukommende Wechselgeschäfte oder Wechselerklärungen betrifft, die zwar gleichfalls, wenn sie vorkommen, auf dem Wechsel notirt werden müssen, aber an sich selbst nicht nothwendig vorkommen müssen, so dass der Wechsel auch ohne sie vollkommen und gültig ist. Hieher gehört vor allem das Indossament; ferner das Accept, das Ehrenaccept, die Bezeichnung als Depot- oder Pfandwechsel; sodann die Benennung desjenigen, auf dessen Rechnung der Wechsel gezogen ist (ä compte), einer Nothadresse (Recommandatär), eines Domiciliaten, der Aval; ferner die Uebernahme oder Ablehnung gewisser Verbindlichkeiten, wie z. B. mittelst der Worte ohne Obligo, ohne Kosten, ohne Avis; die Bezeichnung nach Nummern im Falle mehrerer Exemplare (Art. 766), die Bezeichnung als Abschrift u. s. w.
Verschieden von diesem absolut oder relativ nothwendigen Inhalte eines Wechsels ist der unwesentliche (Art. 769) und der ungesetzliche Inhalt (Art. 768). Der erstere erzeugt zwar keine wechselmässige Verbindlichkeit, schadet aber der sonstigen Gültigkeit des Wechsels nicht; der letztere erzeugt nicht nur keine Wechselverbindlichkeit, sondern er zerstört die Gültigkeit des Wechsels überhaupt. Ein Beispiel des ersteren ist das Zinsversprechen, ein Beispiel des letzteren die Verpflichtung des Wechselschuldners laut Vertrag u. dgl. Diese Unterscheidungen werden im weiteren Verlaufe der Darstellung noch deutlicher hervortreten.
Der Wechsel ist ein schriftlicher Formalcontract und es genügt zu seiner gültigen Entstehung das Vorhandensein des nothwendigen schriftlichen Inhalts, gleichviel ob derselbe mit der Hand, oder eigenhändig geschrieben, oder gedruckt u. s. w. ist. Die Uebergabe des Papiers an den Berechtigten ist nicht ein weiteres Erforderniss, damit derselbe legitimer Inhaber oder Eigenthümer des Wechsels werde. Denn der Wechsel ist ein Contract und wer aus dem Wechsel contractmässig berechtigt ist, der ist auch dessen Eigenthümer, gleichviel auf welche Weise er den Besitz des Papiers erlangt hat. Hievon sind auch verlorene und gestohlene etc. Wechsel an sich nicht ausgenommen. Indessen wird auch hier zwischen Recht und blossem Besitz unterschieden, wie bei jedem Eigenthum, und es ist auch beim Wechsel ein Schutz des Berechtigten gegen den unberechtigten Besitzer durch Gewährung der üblichen Rechtsmittel eingeführt worden (Art. 772. 773). Die förmliche Uebergabe des Wechsels vom Aussteller an den Nehmer ist in keiner Gesetzgebung als Erforderniss der Gültigkeit des Wechsels bezeichnet.
Im Französ. Code de comm. Art. 110 sind zwei weitere absolute Erfordernisse aufgestellt, welche im Entwurfe, gleichwie in den meisten übrigen Gesetzgebungen, nicht aufgestellt sind, nämlich die Verschiedenheit des Ausstellungs- und des Zahlungsortes, und sodann die Angabe der vorhandenen Valuta oder des empfangenen Gegenwerthes (valeur fournie). Beides widerspricht dem allgemeinen Handelsgebrauch und der modernen internationalen Rechtsüberzeugung. Vgl. die Beschlüsse der internationalen Wechselconferenz vom Jahr 1876 Nr. 3 und 7 (Zeitschrift für H. R. Bd. 22 p. 629). Diese Bestimmungen sollen dazu dienen, die Ausstellung und Circulation fictiver Wechsel ohne Deckung und Werthleistung zu verhüten ; allein sie können, besonders die zweite, da die Valuta auch in blossem Credit bestehen kann, sehr leicht umgangen werden, und werden desshalb auch von der Französischen Jurisprudenz nicht gebilligt. Bravard III. p. 56. Alles unnöthige und wirkungslose ist, namentlich bei Formalcontracten, zu vermeiden, weil es sehr häufig schädlich wirkt; auch widerspricht die Vorschrift des Valutabekenntnisses der formalen Natur des Wechsels, welcher zu seiner rechtlichen Entstehung offenbar der Angabe eines Rechtsgrundes nicht bedarf.
In gleicher Weise ist auch das in der Deutschen W. O. aufgestellte Erforderniss der ausdrücklichen Bezeichnung des Papiers als Wechsel zu beurtheilen. Denn wenn die wesentlichen Erfordernisse fehlen, kann dieser Mangel durch den Namen als Wechsel nicht ergänzt werden; und wenn die wesentlichen Erfordernisse vorhanden sind, kann die Beifügung dieser namentlichen Bezeichnung keine rechtliche Bedeutung mehr haben und erscheint daher völlig überflüssig.
Art. 778. Obwohl jede Tratte wesentlich dreier Personen zu ihrer Gültigkeit bedarf, ist es doch nicht nothwendig, dass diese drei verschiedene Personen seien; vielmehr kann in gewissen Fällen eine Person die Rolle mehrerer Personen auf dem Wechsel übernehmen. Dies ist, wie sich später zeigen wird, auch noch in anderen Beziehungen möglich; so z. B. kann der Bezogene auch Indossant, es kann eine Person mehrfacher Indossant sein u. s. w. In dem gegenwärtigen Artikel wird diese Regel zunächst in Betreff der bei der Ausstellung betheiligten Personen anerkannt. Es kann nämlich der Aussteller zugleich als Nehmer, und auch zugleich als Bezogener bezeichnet sein, letzteres jedoch nur dann, wenn die Zahlung an einem dritten Orte erfolgen soll. Ersteres gestattet auch der Französ. Code de comm. Art. 110 (à l'ordre du tireur lui-même.) In letzterer Hinsicht kennt das Französ. Recht nur das billet à domicile, d. h. den Wechselschein, nach welchem die Zahlung durch den Aussteller selbst, aber an einem anderen Orte als an dessen Wohnort stattfinden soll. In der Deutschen W. O. Art. 6 ist beides ausdrücklich anerkannt. Practisch wirkt die Tratte auf die eigene Person des Ausstellers ganz so, wie ein domicilirter Wechselschein (billet à domicile), indem in beiden Fällen der Aussteller den Wechsel zu zahlen hat. Wenn man dafür trotzdem die Form der Tratte, d. h. eines sich selbst ertheilten Auftrages, anstatt eines einfachen Versprechens wählt, so muss dies seine besonderen Gründe haben, die sich auch unschwer auffinden lassen. Einmal ist die Tratte überhaupt beliebter und häufiger, und daher werthvoller als das Billet, weil sie mehr formelle Garantien bietet, namentlich durch die Möglichkeit des Acceptes (Art. 878). Daher ist die Tratte circulationsfähiger. Der reelle Anlass zur Ausstellung einer eigenen Tratte liegt aber darin, dass Jemand verschiedene Gewerbsunternehmungen und Filialen an verschiedenen Orten haben kann, welche in geschäftlicher Hinsicht als verschiedene Personen behandelt werden. Will also die Hongkong und Shanghai- Bank in Yokohama auf die Hongkong und Shanghai- Bank in Kobe ziehen, so kann sie dies in Form einer Tratte thun, während nach Französischem Rechte nur in Form eines Billets. Die grössere Freiheit, welche die Deutsche W. O. gibt, scheint daher vorzuziehen. Sie ist in beiden Beziehungen auch im Englischen Rechte anerkannt. Smith, merc. law p. 213. 211 Note d. Die Tratte an eigene Ordre wird übrigens nicht erst durch Indossament an einen Dritten gültig, wie es nach Französischem Rechte, obgleich im Widerspruch mit der formalen Natur des Wechsels, wegen der Valutalieferung zu sein scheint (Bravard III. p. 42). Sondern sie ist auch ohne Indossament gültig, schon wegen der Möglichkeit mehrerer Zweiggeschäfte u. dgl. Wenn also der Zieher das Accept des Bezogenen auf einem solchen Wechsel bewirkt, kann er gegen ihn die Rechte des Inhabers geltend machen, und hat dadurch weit höhere Garantien, als wenn er nur die Rechte eines gewöhnlichen Gläubigers besässe.
Art. 779. Die Rechtfertigung dieses Artikels ist bereits in den Erläuterungen zu Art. 761 enthalten. Das Verbot der Inhaberwechsel erscheint unhaltbar, da es auch in Bezug auf Cheques nicht besteht, und da es sehr leicht durch Blanco- Indossirung eines an eigene Ordre ausgestellten Wechsels umgangen werden kann. Bravard III. p. 113. Smith, merc. law p 211. In der That kann für ein solches Verbot kein Rechtsgrund angeführt werden, sondern nur die Befürchtung, dass Inhaberwechsel zur Creirung von Papiergeld oder Banknoten gemissbraucht werden könnten (Protokolle der Leipziger Conferenz p. 11). Indessen sind die in blanco indossirten Wechsel an eigene Ordre juristisch als Inhaberwechsel zu beurtheilen und es ist überhaupt ein förmliches Verbot der Inhaberwechsel in der Gesetzgebung nicht enthalten. Ein solches Verbot wäre auch nicht gerechtfertigt, da Wechsel in der That eine Art kaufmännisches Papiergeld sind; aber da sie nur auf dem privaten Credit beruhen und ihre Gültigkeit von der strengen Beobachtung gewisser Rechtsvorschriften abhängt, anders wie bei dem vom Staat oder von Banken ausgegebenen Papiergeld oder Banknoten, so können sie überhaupt nicht wie Papiergeld oder Banknoten emittirt werden. Um übrigens jener Befürchtung entgegen zu kommen, hat man die Inhaberwechsel auf einen gewissen Minimalbetrag nach dem gleichen Vorgange der Englischen Gesetzgebung beschränkt. 7 Geo. 4. c. 6. und 17 Geo. 3. c. 30 (Smith, merc. law p. 206). Wechsel mit etwas grösseren Beträgen erfordern von selbst mehr Wachsamkeit und strengere Prüfung im Publicum, wesshalb das Verbot auf Wechsel mit kleinen Beträgen unter 25 Yen beschränkt bleiben kann. Nothwendig ist diese Beschränkung jedoch nicht, und sie könnte recht wohl gestrichen werden.
Da übrigens nach Art. 782 Wechsel auch in blanco ausgestellt werden können, so kann man dies zur Creirung von Inhaberwechseln benützen, indem man die Bezeichnung des Nehmers unterlässt, wodurch jeder Inhaber die Rechte des Nehmers erlangt, mit der einzigen Beschränkung, dass der letzte Inhaber seinen Namen an die bisher leer gelassene Stelle des Nehmers setzt. Auch insoferne hat das Verbot der Inhaberwechsel keine grosse practische Wirkung.
Art. 780. Die Verfallzeit muss immer so bestimmt werden, dass der Tag, an welchem die Zahlung zu leisten ist, mit Gewissheit aus dem Wechsel selbst zu ersehen ist. Als Verfalltag kann nun entweder ein fester Tag genannt sein, so dass alle anderen Tage von vorneherein ausgeschlossen sind ; oder ein unbestimmter Tag, der erst durch die Vornahme einer gewissen wechsel mässigen Handlung gewiss wird. Ersteres geschieht durch die unmittelbare Bezeichnung des Verfalltages selbst, oder durch Bezeichnung einer bestimmten Frist nach dem Datum ; z. B. am 31. Mai, oder 4 Monate nach dato, wenn das Datum der 31. Januar ist, so ist auch hier der 31. Mai der Verfalltag. Letzteres geschieht, wenn der Wechsel auf Sicht, oder auf bestimmte Frist nach Sicht zahlbar erklärt wird. Soll die Zahlung auf oder bei Sicht erfolgen, so ist der Tag, an welchem der Wechsel zur Zahlung präsentirt oder vorgezeigt wird, der Verfalltag; wenn dagegen z. B. 4 Wochen nach Sicht, dann ist der Verfalltag der letzte Tag der 4 wöchentlichen Frist, von dem Tage der Vorzeigung an gerechnet. War z. B. der Vorzeigungstag ein Mittwoch, so ist der Wechsel an dem vierten darauf folgenden Mittwoch verfallen (Art. 357). Wenn der hienach sich berechnende Tag gesetzlich nicht existirt, so ist der nächst vorhergehende Tag der Verfalltag. Dies trifft z. B. ein bei Sonn- oder Feiertagen, die gesetzlich als Geschäftstage nicht existiren, aber auch dann wenn der betreffende Tag nach dem Calender nicht existirt, weil der Calender die gesetzliche Zeitberechnung enthält. Wenn z. B. am 31. Januar ein Wechsel auf 3 Monate dato ausgestellt wird, so wäre er am 31. April fällig; allein dieser Tag existirt nicht, da nach dem Calender der April nur 30 Tage hat, folglich ist in diesem Falle der 30. April der Verfalltag.
Der Entwurf lässt nur diese vier Arten der Bestimmung der Verfallzeit zu, weil sie einfach und allgemein geläufig sind, keinerlei Ungewissheit mit sich führen, und überäll und für Jedermann anwendbar sind. Jede andere Verfallzeit ist ungesetzlich und macht den Wechsel ungültig; z. B. nach dem Tode einer Person, am Hochzeitstage, nach Beendigung der Studien oder in irgend einer ähnlichen Weise. Wenn aber Jemand in folgender Weise ziehen würde: an meinem Hochzeitstage, den 31. Mai 1881 — so wären hier zwei Verfallzeiten angegeben, eine unbestimmte und ungesetzliche, und eine gesetzliche. In diesem Falle wäre der Wechsel nach Art. 768 gleichfalls ungültig, weil der feste Tag des 31. Mai 1881 durch den Zusatz, dass es der Hochzeitstag sein soll, wieder ungewiss gemacht würde, denn es ist im voraus niemals gewiss, dass die Hochzeit an dem genannten Tage stattfinden wird.
Hiegegen könnte man einwenden, dass das Moment der vollen Gewissheit auch bei Wechseln auf oder nach Sicht nicht vorhanden ist, da ja auch die Vorzeigung möglicher Weise unterbleiben kann. Dieser Einwand ist strenge genommen richtig, allein die Ungewissheit ist hier eine so entfernte Möglichkeit, dass sie vom Gesetze nicht berücksichtigt wird. Denn man darf sicher erwarten, dass der Inhaber sein Recht auf Zahlung einmal geltend machen wird. Nur das Wann ist also hier ungewiss, und diese schwache Ungewissheit kommt nicht in Betracht, nachdem der Schuldner sich verpflichtet hat, an jedem Tage zu zahlen, wann es dem Gläubiger belieben wird. Uebrigens wird in den Gesetzen, und so auch im Entwurfe (Art. 796 und 818), ein Maximum für die Vorzeigungsfrist vorgeschrieben, damit der Schuldner nicht zu lange in der Ungewissheit zu verbleiben hat. Im Englischen Rechte nimmt manan, dass solche Wechsel binnen angemessener Frist vorgezeigt werden müssen.
Wenn im Wechsel gar keine Verfallzeit angegeben ist, so müsste derselbe, genau genommen, ungültig sein, weil ein wesentliches Erforderniss fehlt. Indessen scheint diese Consequenz hier zu hart, da eine solche Auslassung leicht vorkommen kann, wenn die Betheiligten keine Beschränkung auf bestimmten Verfalltag im Sinne haben. Das richtigere scheint hier zu sein, dass die Zahlung an jedem beliebigen Tage verlangt werden kann, und so ist es auch in der Englischen Jurisprudenz anerkannt. Smith, merc. law p. 210. Für diese mildere Auffassung spricht auch, dass man einen solchen Wechsel hinsichtlich der Verfallzeit als ein Blanket (Art. 782) betrachten kann, dessen beliebige Ausfüllung dem Inhaber überlassen wird. Daraus folgt dann eben, dass der Wechsel verfallen ist an dem Tage, an welchem der Inhaber die Zahlung verlangt.
In anderen Gesetzgebungen kommen noch andere Verfallzeiten vor, so an gewissen Messen oder Märkten, oder nach Usancen. Code de comm. Art. 129—133. D. W. O. Art. 4 Nr. 4. Diese Verfallzeiten schliessen sich an gewisse Handelseinrichtungen und Gewohnheiten an, die auf andere Länder nicht beliebig übertragen werden können. Die Usance- oder Usowechsel sind schon im Deutschen Rechte abgeschafft, da sich damit keine bestimmte Frist verbinden lässt. Die Usancefristen sind von Platz zu Platz äusserst verschieden. Vgl. Levi, intern. comm. law p. 480 ff. Im Code de comm. Art. 132 sind sie für Frankreich auf 30 Tage festgesetzt. Es schien zweckmässiger, diese Einrichtungen, welche täglich mehr veralten, nicht in dieses Land zu verpflanzen.
Art. 781. Das regelmässige ist, dass der Bezogene an seinem Wohnorte zahlt, d. h. an demjenigen Orte, der seinem Namen beigesetzt ist; dieser Ort ist dann zugleich Zahlungsort und Wohnort (Domicil) des Bezogenen in Bezug auf alle wechsel mässigen Geschäfte, wie Präsentation, Notification u. s. w. Es ist aber möglich, dass die Zahlung an einem anderen Orte stattfinden soll, in diesem Falle erhält der Wechsel sein besonderes Domicil, verschieden von dem des Bezogenen, und wird desshalb Domicilwechsel, domicilirter Wechsel genannt. D. W. O. Art. 24. Code de comm. Art. 111. Bravard III. p. 250 ff. Der Domicilwechsel kann wieder verschieden sein, je nachdem an dem dritten Orte der Bezogene selbst, oder eine dritte Person (Domiciliat) zahlen soll. Der Domiciliat kann von dem Aussteller selbst, oder von dem Bezogenen beim Accept auf dem Wechsel benannt werden. Es ist zu bemerken, dass das Domicil des Wechsels von dem Aussteller selbst benannt werden muss; würde es erst vom Acceptanten benannt, so wäre dies ein modificirtes oder eingeschränktes Accept, auf welches Art. 799 Anwendung finden müsste.
Demnach kann der Zahlungsort resp. Domiciliat in folgender Weise von dem Aussteller bestimmt werden.
Herrn Meyer in Tokio, — Herrn Meyer in Tokio, zahlbar in Yokohama — Herrn Meyer in Tokio, zahlbar bei Herrn Müller in Yokohama.
Oder es kann der Acceptant im zweiten Fall erklären: angenommen, zahlbar in Yokohama (oder am Domicil) bei H. Müller.
Die rechtliche Wirkungen eines Domicilwechsels und der Beifügung eines Domiciliaten werden sich später ergeben (Art. 837).
Art. 782. Unter der Ausstellung eines Wechsels in blanco versteht man das Geben der leeren Unterschrift, ohne den Inhalt der Willenserklärung oder der durch die Unterschrift übernommenen Verpflichtung selbst hinzuzusetzen, indem man vielmehr diese Ausfüllung des leeren Platzes auf dem Wechsel dem späteren Inhaber überlässt. Es ist nun ein anerkannter Satz des Wechselrechts, dass die leere Ausstellung ganz ebenso verpflichtet wie die volle, und daraus muss man die Folgerung ableiten, dass nicht nur die Zeit, zu welcher ein Wechsel seine volle Formrichtigkeit erhält, gleichgültig ist, sondern auch die Person, welche den Inhalt thatsächlich niederschreibt. Letzteres wird sogar auf die Unterschrift selbst ausgedehnt; wenn nämlich die Unterschrift des Ausstellers oder Acceptanten etc. nicht von ihm selbst, sondern mit dessen Zustimmung von einer anderen Person geschrieben werde, so ist sie ebenso verpflichtend, als wenn sie der Aussteller selbst geschrieben hätte. Ztschr. für H. R. Bd. 13. p. 260. In derselben Weise und ganz mit derselben Wirkung kann auch ein Accept, Indossament und jede andere Erklärung auf dem Wechsel in blanco gegeben werden.
Wieviel auf dem Wechsel leer gelassen, und wieviel von dem Aussteller etc. selbst ausgefüllt wird, ist ganz gleichgültig. Wenn der Aussteller ein ganz leeres Wechselformular unterzeichnet, so kann die Summe, das Datum, die Verfallzeit, der Zahlungsort, ja auch der Name des Bezogenen von dem Inhaber nach Belieben eingesetzt werden. Ja selbst wenn Jemand nur seine Unterschrift auf ein leeres Blatt setzte, hätte der Inhaber des Blankets die gleiche Befugniss der Ausfüllung, wie wenn etwa nur die Summe, oder der Name des Nehmers etc. leer gelassen worden wäre. Allerdings nur in dem Falle, wenn der Unterzeichner damit einen Wechsel creiren wollte. Fehlt es an dieser letzteren Voraussetzung, so kann gegen den Unterzeichner ein Recht aus dem Wechsel nicht geltend gemacht werden. Denn ein solcher Wechsel wäre in Bezug auf ihn ein gefälschter Wechsel, und es käme Art. 770 zur Anwendung, wornach durch eine Fälschung bereits entstandene Verpflichtungen nicht berührt, also, wenn sie überhaupt nicht bestanden, auch nicht hervorgebracht werden können. Das allgemeine Princip, dass Niemand gegen seinen Willen contractlich verpflichtet werden kann, muss auch im Wechselrechte aufrecht erhalten werden.
Das Geben eines Wechselblankets ist ein Vertrauensact, dem in der Regel gewisse Verabredungen zwischen den Parteien zu Grunde liegen werden, selbst wenn dem Nehmer dadurch ein unbegrenzter und unbeschränkter Credit gewährt werden soll. Dieses Vertrauen darf nicht gemissbraucht werden; gegen jede spätere Ausfüllung, die der Verabredung widersprechen würde, kann der Aussteller daher die Einrede erheben, dass der ausgefüllte Inhalt ihn nicht verpflichte, weil die Ausfüllung wider besseres Wissen und in unredlicher Absicht geschah. Gegen dritte Personen, also spätere Inhaber, ist diese Einrede natürlich nicht zulässig, soferne sie an der Verabredung nicht theilnahmen, ausgenommen, wenn sie bei der Annahme des Wechsels davon wussten; denn auch dann würden sie gegen besseres Wissen und nicht mehr im guten Glauben handeln. Hierauf macht es keinen Unterschied, ob sie selbst die leere Stelle ausfüllten oder ob dieselbe schon ausgefüllt war, als der Wechsel in ihre Hände überging. Ueberdies steht jedem Inhaber eines Wechsels die Vermuthung zur Seite, dass dessen ganzer Inhalt, gleichviel wann und durch wen in gesetzmässiger Weise entstanden sei, und derjenige, welcher dagegen den Einwand des bösen Glaubens erhebt, muss die speciellen Umstände desfalls darthun und beweisen.
Das Recht der Ausfüllung gibt nicht auch das Recht der Aenderung dessen, was bereits ausgefüllt ist, entweder von dem Aussteller, oder von einem früheren Inhaber, oder von dem betreffenden Inhaber selbst. Ebenso wenig dürfen zu dem, was bereits im Wechsel steht, später beliebige Zusätze gemacht werden.
Ebenso wenig können durch Ausfüllung eines Blankets die Personen des Wechselcontracts willkürlich geändert werden. Wer mithin ein Blanco-Accept, d. h. ein bereits aeceptirtes, aber noch nicht mit der Unterschrift eines Ausstellers versehenes Wechselformular als Aussteller unterschreibt, erlangt dadurch kein Wechselrecht gegen den Acceptanten, wenngleich seine Unterschrift in jeder anderen Beziehung für ihn verpflichtend wirkt. Und umgekehrt, wenn Jemand ein nicht für ihn bestimmtes Wechselformular, auf dem aber der Name des Bezogenen ausgelassen war, als Bezogener unterschreiben würde, könnte er dadurch nicht die Rechte des Acceptanten gegen den Aussteller erlangen. Ztschr. für H. R. Bd. 15 p. 97 ff. Die Rechte dritter Personen, namentlich späterer Inhaber, können allerdings durch solche Mängel nicht beeinträchtigt werden; denn sie können von den zwischen den betheiligten Personen, gleichsam hinter den Coulissen, gemachten Vereinbarungen nichts wissen, sie halten sich vermöge der formalen Natur des Wechsels an die blosse Existenz und die augenscheinliche Formrichtigkeit des Wechsels.
Allein es verhält sich anders zwischen denjenigen, welche einer getroffenen Vereinbarung wissentlich zuwider handeln; sie können im Widerspruch damit keine Rechte erwerben, sonst würde der Wechselverkehr den gröbsten Missbräuchen und Betrügereien ausgesetzt. Zwischen dem Aussteller und Bezogenen besteht ein contractliches Verhältniss des Mandats und der Deckung und dieses Rechtsverhältniss kann zwischen ihnen nicht durch den beliebigen Eintrag einer anderen Person geändert werden.
Das Recht der Ausfüllung bezieht sich nur auf den absolut nothwendigen Inhalt eines Wechsels, nicht auch auf den relativ nothwendigen. Denn der Inhaber darf den durch die Existenz des Wechsels geschaffenen Verpflichtungen nicht willkürlich Modificationen oder Zusätze beifügen. Mithin kann der Inhaber nicht einen Domiciliaten beifügen, oder aus einer gewöhnlichen Tratte eine Commissionstratte machen u. s. w. Nur die Existenz des Wechsels — und ebenso des Indossaments, des Accepts etc.— darf durch die Ausfüllung gesichert, nicht aber darüber hinaus der bereits existirende Contract einseitig geändert werden. Mithin ist jeder Zusatz zu dem Inhalte eines bereits vollständigen Wechsels als eine Fälschung zu beurtheilen. Thöl, Wechselrecht § 34 fin.
Wenn Jemand durch Missbrauch des Vertrauens, mittelst falscher Ausfüllung eines Blanco-Wechsels, den Aussteller oder Acceptanten in Schaden bringt, kann er, jedoch nicht der gutgläubige dritte Besitzer, nach Art. 772 von dem Aussteller oder Acceptanten zur Herausgabe des Wechsels angehalten werden. Ebenso können verlorene etc. Blancowechsel zur Amortisation aufgeboten werden.
§ 2. Indossament.
Art. 783. Der Wechsel ist ein zum Umlaufe bestimmtes Papier und kann daher in der Regel von jedem Inhaber an eine andere Person übertragen werden. Dies liegt so sehr in der Natur des Wechsels und in den Bedürfnissen des Handelsverkehrs, dass es von einer ausdrücklichen Ermächtigung dazu nicht abhängig gemacht werden kann. Eine solche Ermächtigung durch die Beifügung der sog. Ordreclausel wird allerdings nach der älteren Wechselgesetzgebung mancher Länder, z. B. Frankreichs und Englands, verlangt, es wurden aber bereits früher zu Art. 761 die Gründe auseinandergesetzt, aus welchen diese Einschränkung nicht empfehlenswerth erscheint. In der Deutschen W. O. Art. 9 ist dieselbe nicht vorgeschrieben, und der Entwurf bat diesen letzteren Standpunkt adoptirt.
Die Uebertragung erfolgt, von gewissen Ausnahmen (Art. 786) abgesehen, regelmässig durch Indossament, d. h. einen formalen schriftlichen Act, der auf dem Wechsel selbst, meist auf dessen Rückseite, aufgezeichnet wird ; gewöhnlich mit den Worten: Für mich an Herrn Meyer. Der neue Erwerber, Indossatar, tritt dadurch an die Stelle des vorigen Inhabers und kann, den Besitz des Wechsels vorausgesetzt, alle Rechte aus demselben geltend machen, gleichwie der vorige Inhaber selbst gekonnt hätte, wenn er Inhaber des Wechsels geblieben wäre. Jeder Indossatar kann wieder an eine andere Person indossiren u. s. w.
Es ist wohl zu beachten, dass der Indossant nicht seine Rechte aus dem Wechsel überträgt, sondern die Rechte, welche der Wechsel als Formalcontract gewährt. Da diese Rechte dem jeweiligen Inhaber zustehen, so wurde der Ausdruck gewählt, dass durch Indossament der Wechsel übertragen wird, um damit anzudeuten, dass jeder folgende Inhaber die dem Wechsel anhaftenden Rechte aus seiner eigenen Person geltend machen kann, nicht etwa nur aus der Person des Indossanten. Das Indossament ist, mit anderen Worten, keine Cession, und es können gegen den Indossatar die Einreden nicht erhoben werden, die etwa gegen den Cessionar aus der Person des Cedenten erhoben werden könnten. Man kann zwar auch, obwohl dies selten geschieht, einen Wechsel durch Cession übertragen, allein dies ist dann kein Indossament, sondern durch Cession tritt der Cessionar nur in die persönlichen Rechte des Cedenten ein, während das Indossament dem Indossatar durchaus selbständige Rechte aus dem Wechsel verleiht.
Durch das Indossament erlischt das Recht des Indossanten aus dem Wechsel, d. i. auf die Bezahlung desselben durch den Bezogenen, und es ist insoferne eine Novation. Zugleich aber entsteht ein neues Recht aus dem Wechsel in der Person des Indossatars, es entsteht mithin ein neuer Wechsel, der aber, abgesehen von der Person des Wechselgläubigers, den gleichen Inhalt wie der vorige hat. Der Indossant ist insoferne als Aussteller eines Wechsels zu betrachten und haftet daher mittelst Regresses seinem Indossatar und dessen Nachmännern ebenso, wie der erste Aussteller und seine etwaigen übrigen Vormänner ihm selbst regresspflichtig sind. Durch ein Indossament scheidet der Indossant nicht aus der Reihe der an dem Wechsel betheiligten Personen völlig aus, sondern er verliert nur das Recht auf Zahlung durch den Bezogenen. Sein Recht gegen den Aussteller kann nicht verloren gehen, weil er darauf nicht verzichtet, und weil durch sein Indossament der Aussteller nicht aus der Reihe der Wechselverpflichteten gestrichen wird.
Die Indossirbarkeit kann durch eine ausdrückliche Bemerkung auf dem Wechsel ausgeschlossen werden; dies geschieht gewöhnlich durch die Worte „nicht an Ordre,” „nicht an Verfügung” und andere gleichbedeutende Worte. Im Zweifel über den Sinn dieser Clausel muss der Richter nach den Umständen und den Ansichten im Handelsstande entscheiden. Nicht indossable Wechsel wurden Rectawechsel genannt. Thöl, Wechselrecht § 123. Desgleichen kann einem Indossament diese Untersagungsclausel beigefügt werden.
Hinsichtlich der Wirkung der Rectaclausel ist zu unterscheiden. Ist der Wechsel schon vom ersten Aussteller für nicht indossabel erklärt, so kann er überhaupt nicht indossirt werden, und jede dennoch erfolgende Indossirung ist wechselrechtlich wirkungslos, nicht nur gegen den Aussteller, sondern auch gegen den Bezogenen, weil dieser nur zur Bezahlung eines nichtindossirten Wechsels sich verpflichtet, und gegen den Indossanten, weil der Inhalt des Wechsels alle dabei Betheiligten bindet.
Wurde dagegen ein Indossament mit dem Zusatz „ nicht an Ordre ” gemacht, so bindet dies nur den Indossatar gegenüber dem betreffenden Indossanten. Ein solcher Wechsel kann daher weiter indossirt werden, allein die folgenden Indossatare erlangen keine Rechte gegen den betreffenden Indossanten, wohl aber gegen alle übrigen, welche die Indossirung nicht untersagt haben, also gegen den Bezogenen, Aussteller und alle anderen Indossanten.
Das Verbot der Indossirung hat den Zweck, etwaigen Regressansprüchen von Unbekannten und vielleicht weit entfernt Wohnenden und den damit verbundenen Kosten sich zu entziehen. Dieser Zweck ist offenbar nicht unerlaubt, und es ist auch nicht absolut nothwendig, dass ein Wechsel ins weite circulire. Er kann vielmehr von dem ersten Inhaber bis zur Verfallzeit in Gasse behalten werden. Andererseits mindert jenes Verbot die Sicherheit und damit den Handelswerth des Wechsels, weil dadurch die cumulirte Garantie mehrerer Indossanten verloren geht. Nicht indossable Wechsel sind so seltene Ausnahmen, dass man sie nicht wohl als die selbstverständliche Regel legislativ sanctioniren kann.
Art. 784. Der nothwendigen Form -der Wechselausstellung entspricht eine nothwendige Form des Indossaments. Die letztere Form ist begreiflicher Weise viel einfacher, als die erstere. Der Entwurf verlangt vor allem, dass das Indossament schriftlich und auf dem Wechsel selbst geschehe; es wäre unwirksam mittelst blosser Worte oder mittelst eines besonderen Schriftstückes. Sodann muss das Indossament den nothwendigen Inhalt der dadurch gegebenen Willenserklärung erkennen lassen, also vor allem die Person des Indossatars und die Unterschrift des Indossanten. Das letztere Erforderniss wird im Französ. Code de comm. Art. 137 nicht ausdrücklich erwähnt; es versteht sich aber von selbst, ebenso wie die des Ausstellers im Art. 110. Bravard III. p. 158. Auch wird das Datum der Indossirung verlangt, ebenso wie im Code de comm. Art. 137, aus gleichen Gründen, aus denen auch für die Ausstellung das Datum wesentlich erscheint. Wenn die gesetzlichen Erfordernisse fehlen, ist das Indossament ungültig und erzeugt keine wechselmässigen Rechte oder Pflichten. Indessen gilt für das Indossament dasselbe wie für die Ausstellung, es kann auch in blanco gemacht, und folglich eine etwaige Leere durch den Inhaber ausgefüllt werden; daraus erklärt es sich, dass ein Indossament auch schon gültig ist, wenn es nur die Unterschrift des Indossanten enthält. Deutsche W. O. Art. 12. 13. Allerdings besteht in dieser Beziehung ein kleiner Unterschied zwischen der D. W. O. und dem Entwurfe, der aber bedeutende practische Folgen haben kann und desshalb nicht unbemerkt bleiben darf. Nach Deutschem Rechte ist das Indossament gültig, auch wenn nur der Name des Indossanten auf die Rückseite geschrieben wird; und so wird es auch in England gehalten. Smith, merc. law p. 223. Auf diese Weise kann es kommen, dass auf der Rückseite lauter Unterschriften von Indossanten stehen, dagegen nicht die Namen der Indossatare, was zu grossen Missbräuchen und Betrügereien Anlass gibt, ja die ununterbrochene Reihe der Indossamente, die zur Gültigkeit jedes einzelnen nothwendig ist, zur blossen Fiction macht. Denn aus einer solchen Reihe von Unterschriften der Indossanten kann man nicht erkennen, an wen die Indossirung im einzelnen Falle erfolgte, wer also zur Weiterbegebung berechtigt war. Das ist nicht mehr Indossirung in blanco, sondern Indossirung an den blossen Inhaber. Der Entwurf hat daher in Uebereinstim-mung mit dem Franzos. Rechte (Bravard III. p. 177) das Blancoindossament zwar zugelassen, aber nur im ordentlichen Sinne, so dass es ausgefüllt werden muss, aber nach Analogie des Art. 782 allerdings von jedem späteren Inhaber ausgefüllt werden kann, da auf die Zeit und die Handschrift selbst nichts ankommt. Das Indossament vermittelst der blossen Unterschrift ist daher nicht ungültig, aber es muss später ausgefüllt werden, und so dass die Reihe der Indossamente nicht unterbrochen erscheint. Mithin kann allerdings ein in blanco indossirter Wechsel durch blosse Uebergabe von einem Inhaber zum andern wandern, aber ein weiteres Indossament mittelst Unterschrift kann nur derjenige vornehmen, welcher als Indossatar auf dem vorhergehenden Indossament erscheint, der also dieses mit seinem Namen ausgefüllt hat. Dies erscheint nicht nur mehr der Ordnung angemessen, sondern auch sicherer.
Art. 785. Diese Bestimmung findet sich auch im Code de comm. Art. 139, und rechtfertigt sich dadurch, dass es nothwendig erscheint, die betrügerische Verheimlichung von vorhandenem Vermögen zum Nachtheile der Gläubiger eines in Concurs gerathenen oder demselben nahen Schuldners zu verhüten. Ein Wechsel repräsentirt eine Summe Geld, und diese muss den Gläubigern zu ihrer Befriedigung erhalten bleiben. Dürfte man Wechsel zu beliebigem Datum datiren, so könnte man alles in Wechseln enthaltene Vermögen mittelst fictiver Indossamente an Andere übertragen, von denen man es sich später wieder zurückgeben liesse, und diese Indossamente, obwohl fictiv und betrügerisch, könnten nicht angefochten werden, da sie dem Datum nach in eine frühere Zeit fielen, wo der Schuldner noch die freie Verfügung über sein Vermögen hatte. Die Bestimmung des gegenwärtigen Artikels, welche eine solche Manipulation als Fälschung strafbar macht, bezieht sich auf alle Indossamente, gleichviel ob sie vom Indossanten selbst geschrieben oder von Anderen, im Falle der Blanco-Indossirung, ausgefüllt werden. Die Vordatirung eines Wechsels durch den Aussteller unterliegt nicht der gleichen Bedenken, weil die Wechselausstellung nur eine Verpflichtung erzeugt, dagegen nicht unmittelbar das Vermögen des Ausstellers in andere Hände bringt.
Art. 786. Der in diesem Artikel enthaltene Grundsatz ist in allen Gesetzgebungen anerkannt und erklärt sich von selbst durch die Natur der Sache. Ein Wechsel auf den Inhaber kann durch blosse Uebergabe erworben und ebenso durch blosse Uebergabe weiter übertragen werden. Bei einer Indossirung in blanco wird der Indossatar nicht namentlich genannt, er erhält den Wechsel als blosser ungenannter Inhaber, und kann ihn daher als solchen durch blosse 39
Uebergabe weiter übertragen. Alle auf diese Weise in den Besitz des Wechsels gelangenden Inhaber sind keine genannten Indossatare, sie können daher auch nicht unter ihrem Namen weiter indossiren, wenn nicht mit ihrem Namen das Bianco-Indossament ausgefüllt wird. Die Vordatirung des Indossaments ist jedem Blanco-Indossatar gleichfalls untersagt.
Art. 787. Die Frage, ob ein bereits verfallener Wechsel noch indossirt werden könne, ist in der Französ. Gesetzgebung nicht berührt, jedoch in der Jurisprudenz überwiegend bejaht (Bravard III. p. 154 ff.), ebenso wie in Deutschland und England (D. W. O. Art. 16. Smith, merc. law. p. 226. 227.) Um etwaigen Zweifeln über diese Frage zuvorzukommen, wird in dem gegenwärtigen Artikel dieselbe ausdrücklich entschieden, da in der Handelspraxis die Uebertragung verfallener Wechsel, wenn auch nicht sehr häufig, doch immerhin zuweilen vorkommt.
Der Zweifelsgrund bezüglich bereits verfallener Wechsel ist der, dass ein solches Indossament als eine neue Tratte mit einem unmöglichen Verfalltage erscheint, weil der Verfalltag dem Datum des Indossaments vorausgeht, folglich der Wechsel an dem darin bezeichneten Verfalltage nicht mehr bezahlt werden kann. Allerdings bleibt der Acceptant dem Wechselinhaber bis zum Ablaufe der Verjährungsfrist fortwährend verpflichtet, und zwar an jedem Tage der Verjährungsfrist. Man könnte daher in gewisser Hinsicht das Nachindossament als ein Indossament mit einer neuen Verfallzeit, die hier immer auf Sicht bestimmt ist, bezeichnen. Allein es entsteht dann die Frage, ob ein solches Indossament möglich ist, da der Acceptant dagegen einwenden kann, dass er nur bezüglich der alten, nicht aber bezüglich einer neuen Tratte verpflichtet sei, und ebenso sämmtliche Regresspflichtige den Einwand erheben können, dass durch die Aenderung der Verfallzeit ihre Verpflichtung, die ausschliesslich sich auf den ursprünglichen Inhalt des Wechsels bezog, erloschen sei. Formell ist dieser Einwand auf Seiten des Acceptanten und der Regresspflichtigen richtig, allein er stösst die Thatsache nicht um, dass trotz des eingetretenen Verfalls der Acceptant und die Regresspflichtigen aus dem Wechsel verpflichtet bleiben, dass mithin der Wechsel immer noch gezahlt werden kann, folglich einen Werth besitzt, und dieser Werth muss immer noch der Uebertragung auf Andere fähig sein. Daher hat sich der Entwurf dem in den übrigen Ländern geltenden Rechte ausgeschlossen; die Wirkungen eines Nachindossaments können jedoch nicht dieselben sein, wie die eines ordentlichen Indossaments, sie werden in den folgenden Artikeln dargestellt.
Offenbar ist das Nachindossament ein irreguläres Indossament, da es einen von dem ordentlichen oder reinen Indossament abweichenden Inhalt hat. Unter den gleichen Begriff fallt auch dasjenige Indossament, welches zwar rechtzeitig vor Verfall, aber nicht für den Zweck der reinen Uebertragung des Wechsels, sondern für einen anderen und zwar gleichfalls beschränkten Zweck vorgenommen wird. Als solche Zwecke bezeichnet der Entwurf die Stellvertretung und die Bestellung einer Sicherheit. Die Stellvertretung hat offenbar nicht den Zweck, dem Bevollmächtigten die vollen Rechte eines selbständigen Wechseleigenthümers zu übertragen, sondern soll ihm nur die Ausübung gewisser Befugnisse an Stelle des Eigenthümers ermöglichen. Der Indossant bleibt daher in diesem Falle Wechseleigenthümer, aber auch der Bevollmächtigte soll zur Aussübung der ihm übertragenen Vollmacht die Befugnisse des Eigenthümers ausüben können. Es entsteht daher hier ein gemischtes Verhältniss, worüber besondere Bestimmung zu treffen ist.
Aehnlich verhält es sich mit dem Indossament zum Zweck der Sicherheit. Hier kommt der Character des Indossaments in Collision mit den Grundsätzen der Pfandbestellung, und es muss auch dieser Conflict durch eine ausdrückliche legislative Vorschrift gelöst werden.
Art. 788. Der in diesem Artikel ausgesprochene Grundsatz ist auch in der Französischen Jurisprudenz anerkannt (Bravard III. p. 427); ebenso in Deutschland (Borchardt, p. 142. Thöl, Wechselrecht § 128) und in England (Smith, merc. law. p. 143). Er findet seine Rechtfertigung darin, dass derjenige, welcher einen Wechsel unter Umständen indossirt, welche die rechtzeitige Präsentirung zur Zahlung und die Protesterhebung unmöglich machen, als auf diese Handlungen verzichtend angesehen werden muss, da man keine Rechte aus der Unterlassung eines Anderen herleiten kann, welche man selbst und freiwillig verschuldet hat. Bravard III. p. 428. Dieser Verzicht gilt aber nur für die Person des Nachindossanten und für diejenigen, welche etwa nach ihm den bereits verfallenen Wechsel weiter indossirt haben; denn die letzteren haben unter den gleichen Umständen nachindossirt, wie der erste Nachindossant. Er gilt aber nicht für den Aussteller und für die Vormänner des ersten Nachindossanten, da diese an der verspäteten Indossirung persönlich nicht betheiligt sind.
Die Umstände, welche die rechtzeitige Präsentirung unmöglich machen, sind Zeit und Entfernung. Gesetzt, ein in Osaka fälliger Wechsel wird indossirt in Tokio am Verfalltage selbst oder so kurz vorher, dass er bis zum Verfalltage nicht mehr nach Osaka geschickt werden kann, so ist einem solchen Indossatar die rechtzeitige Präsentirung in Osaka am Verfalltage unmöglich, und selbst die Protesterhebung am darauf folgenden Tage wäre wirkungslos, da diese stets die Präsentirung zur Zahlung am Verfalltage voraussetzt (Art. 836. 838). Würde ein Wechsel am Verfalltage indossirt, am Zahlungsorte selbst, so würde die Präsentirung an demselben Tage in den meisten Fällen noch möglich sein, hier würde daher der Art. 788 nur unter ganz besonderen Umständen anwendbar werden.
Art. 789. In diesem Artikel werden die Wirkungen der Indossirung eines verfallenen oder als verfallen anzusehenden (Art. 788) Wechsels festgesetzt. Nach manchen Gesetzen (Holländ. H. G. B. Art. 139. Span. H. G. B. Art. 474. Italien. H. G. B. Art. 224) ist ein solches Indossament wie eine gewöhnliche Cession anzuschen, nach dem Holländischen Gesetzbuch kann sogar die Indossirung in wechselmässiger Form gar nicht geschehen, sondern nur mittelst eines besonderen Cessionsactes. Dies scheint aber zu weit zu gehen und ist auch in den zu Art. 787 angeführten Gesetzgebungen nicht anerkannt. Der Entwurf lässt gewisse beschränkte Wirkungen des Indossaments über den Begriff der Cession hinaus zu, er macht jedoch einen Unterschied zwischen den dem (ersten) Nachindossanten aus dem Wechsel Verpflichteten (Acceptant, Aussteller, Vorindossanten) einerseits, und dem Nachindossanten und dessen etwaigen Nachmännern andererseits.
1. Gegenüber dem Acceptanten, Aussteller und den Vormännern des Nachindossanten erlangt der Nachindossatar nur die Rechte, welche dem Nachindossanten selbst zustanden, er muss aber auch die gleichen Pflichten, insbesondere die gleichen Förmlichkeiten erfüllen, wie dieser sie hätte erfüllen müssen. Hatte der Nachindossant bereits rechtzeitig präsentirt und protestirt, auch den Protest notificirt, so kann der Nachindossatar die Regressansprüche unbeschränkt geltend machen und würde in dieser Hinsicht nur durch den Ablauf der Verjährungsfrist präcludirt. Er könnte aber auch die Zahlung der Regresssumme nur gegen Auslieferung des Wechsels und des Protestes verlangen (Art. 849). Hätte der Nachindossant zwar recht zeitig präsentirt, aber nicht rechtzeitig protestirt und notificirt, so wäre der Regress für ihn und damit auch für den Nachindossatar verloren. Bekäme der Nachindossatar den präsentirten Wechsel unter Umständen, dass er noch rechtzeitig protestiren und notificiren könnte, so müsste er diese Handlungen nach dem Gesetze vornehmen, widrigenfalls er für seine Person den Regress verlieren würde. Kurz, alle Einreden, welche gegen den Nachindossanten nach Wechselrecht wegen unterlassener Förmlichkeiten oder aus anderen Gründen erhoben werden können, sind auch gegen den Nachindossatar zulässig, gleichviel ob sie in der Person des Nachindossanten oder des Nachindossatars begründet sind. Allein dies gilt nur für Einreden nach Wechselrecht, nicht nach gewöhnlichem Civilrecht; in soferne bleibt das Nachindossament ein wechselrechtlicher Act, und kein gewöhnlicher Cessionsact. Dies hat auch dahin seine Wirkung, dass der Schuldner, d. i. hier der Bezogene, nicht speciell benachrichtigt zu werden braucht, und dass der Nachindossant nicht blos für die Zahlungspflicht, sondern auch für die Zahlungsfähigkeit des Bezogenen haftet. Code civil Art. 1690. 1693. 1694.
Da es zur Erhaltung des Wechselrechts gegen den Acceptanten der Präsentirung am Verfalltage und der Protestirung nicht bedarf, kann ein verfallener Wechsel gegenüber dem Acceptanten nicht als präjudicirt angesehen werden. Gegen diesen kann daher der Nachindossatar seine Rechte während der Verjährungsfrist unbedingt geltend machen, jedoch nur in derselben Weise wie der Nachindossant. Denn er hat sich durch sein Accept nur verpflichtet, dem Inhaber zur Verfallzeit zu zahlen; dieser Inhaber kann zwar seine Rechte an einen Anderen abtreten, allein nicht zum Nachtheil des Schuldners, der mithin dem Nachindossanten dieselben Einreden entgegensetzen kann, die er auch dem Indossanten entgegensetzen könnte. Manche sind zwar der Meinung, dass das Indossament eines präjudicirten Wechsels als ein neuer Wechsel auf den Acceptanten, zahlbar auf Sicht, zu betrachten sei. Allein dies wäre eine neue, doppelte Verfallzeit, und würde beide Wechsel ungültig machen. Ein Wechsel kann offenbar nicht nach der einen Seite als einer, und nach der anderen Seite als ein zweiter Wechsel behandelt werden. Dieser zweite Wechsel müsste von neuem präsentirt und protestirt werden, was die grössten Inconvenienzen nach sich ziehen würde. Obgleich jene Auffassung in der Deutschen Jurisprudenz hervortritt (Thöl, Wechselrecht § 128), folgt der Entwurf doch dem einfacheren Princip, dass der Nachindossatar nur die Rechte des Nachindossanten gegen den Acceptanten geltend machen kann und mithin auch den gleichen wechselmässigen Einreden wie dieser unterliegt. Insoweit hat mithin das Nachindossament gegenüber dem Acceptanten und den Regresspflichtigen nur die Bedeutung einer wechselmässigen Stellvertretung.
2. Anders verhält es sich gegenüber dem Nachindossanten und dessen etwaigen Nachmännern; denn es kann vorkommen, dass ein bereits präjudizirter Wechsel noch öfter als einmal indossirt wird. Gegenüber diesen Personen soll der Inhaber ein selbständiges Regressrecht haben, d. h. ein Regressrecht in eigener Person, nicht aus der Person des Nachindossanten. Dies versteht sich von selbst zwischen dem ersten Nachindossatar und dem ersten Nachindossanten, nach dem, was zu Art. 788 über den stillschweigenden Verzicht auf die unmöglich gewordene Protestirung gesagt wurde. Es muss aber auch für alle späteren Indossanten gelten, weil diese keinen neuen Wechselinhalt schaffen, sondern nur unter den gleichen Bedingungen wie der erste Nachindossant weiter indossiren können.
Dieses Regressrecht muss aber hier modificirt werden, da der Verfalltag bereits vorüber ist und ein neuer Verfalltag auf einem und demselben Wechsel nicht geschaffen werden kann. Zur Ausübung dieses modificirten Regressrechts kann es mithin weder der Präsentation an einem bestimmten Tage, noch der Protesterhebung bedürfen. Der Wechsel kann vielmehr an jedem beliebigen Tage innerhalb der Verjährungsfrist, ohne Beschränkung auf die 2 jährige Frist bei wirklichen Sichtwechseln (Art. 818), zur Zahlung präsentirt werden, und er wird durch diese Präsentation nicht erst fällig, da er ja bereits seit dem im Wechsel benannten Tage fällig geworden ist. Diese Vorzeigung kann daher nicht die formale Bedeutung der regelmässigen Präsentation zur Zahlung haben, und es kann weiter auch die unmittelbar darauf folgende Protesterhebung nicht wesentlich sein, da der Protest nur den Sinn hat, dass unmittelbar nach Verfall die Unterlassung der Zahlung manifestirt werden soll. Folglich kann in diesem Falle der Regress nicht an die gewöhnlichen Formalitäten der Regresserhebung gebunden werden; er unterscheidet sich aber immer noch darin von dem civilrechtlichen Anspruch eines Cessionars, dass dem Wechselinhaber die Einreden aus der Cession nicht entgegengehalten werden können.
Art. 790. Das Indossament nach Verfall ist immer aus dem Wechsel ersichtlich, da man nur das Datum des Verfalls mit dem des Indossaments zu vergleichen braucht. Dagegen das Indossament für Stellvertretung oder Sicherheit ist nicht immer ersichtlich, da der specielle Zweck nicht nothwendig angegeben werden muss. In diesem Falle behält zwar die zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten etc. getroffene Verabredung ihre volle Wirksamkeit, namentlich in der Richtung, dass der Bevollmächtigte gegen den Vollmachtgeber keinen Regressanspruch hat. Allein allen anderen Personen, dem Acceptanten und allen früheren Indossanten und dem Aussteller gegenüber, gilt dann der Stellvertreter als voller Wechseleigenthümer, er kann also persönlich den Wechsel quittiren, protestiren, indossiren etc., wie ein gewöhnlicher Wechseleigenthümer, und gegen dritte Personen könnten wegen etwaiger Ueberschreitung des Mandats Ansprüche oder Einreden nicht erhoben werden. Auch würde die unbeschränkte Haftung des Stellvertreters aus seiner Unterschrift nach Art. 765 eintreten. In dieser Weise werden sehr häufig Wechsel an Comissionäre oder Bankiers zum Zweck der Einziehung (Incasso), Protestirung etc. indossirt. Ganz die gleichen Grundsätze gelten, wenn Wechsel zum Zweck einer Sicherstellung an Jemanden indossirt werden, obgleich die eigentliche Pfandbestellung nach Art. 425 regelmässig auf dem Wechsel bemerkt werden soll.
Art. 791. In diesem Artikel wird vorausgesetzt, dass der Zweck der Stellvertretung auf dem Wechsel bemerkt worden ist, und es wird bestimmt, dass auch der blosse Procura- Indossatar das Recht der weiteren reinen Indossirung haben soll, falls nicht das Gegentheil durch den Zusatz „nicht an Ordre” oder in ähnlicher Weise angedeutet wurde. Dies ist in der Deutschen W. O. Art. 17 nicht zugelassen, es entspricht aber offenbar den Bedürfnissen des Handels, da ein Incasso-Indossatar sehr häufig, namentlich vor der Verfallzeit, gezwungen ist, den Wechsel zu verkaufen, um die Wechselsumme zu erheben, oder wenigstens diese Befugniss zum Vortheil des Mandanten selbst gereichen kann. So ist es auch im Holländ. H. G. B. Art. 135 und nach Ungarisch. W. O. Art. 34 ff. Auch der Art. 138 des Französ. Code de comm. wird von der Französichen Jurisprudenz in diesem Sinne interpretirt. Bravard III. p. 175—177. Vgl. ferner für England Smith, merc. law p. 224. Die entgegengesetzte Ansicht, obwohl sie früher in Geltung stand, muss jetzt als veraltet bezeichnet werden. In einem Urtheil des Pariser Cassationshofes (Bravard III p. 177) ist ausdrücklich ausgesprochen, dass der Wechselinhaber kraft irregulären Indossaments den Wechsel umsetzen kann (negocier), was offenbar über die Befugniss der blossen Eincassirung hinausreicht. Und in der Englischen Jurisprudenz gilt das Princip, dass das Verbot der weiteren Indossirung sehr bestimmt auf dem Wechsel ausgedrückt sein müsse, wenn es den Procura- Indossatar binden solle, weil für dessen Befugniss hiezu die Vermuthung spricht. Der irreguläre Indossatar hat alle Rechte des gewöhnlichen Indossatars in Bezug auf den Wechsel; er kann denselben mithin auch einklagen und sonstige gerichtliche Handlungen damit vornehmen. Nur ist er dem Indossanten zur Rechenschaft verpflichtet, wie jeder Mandatar. Er kann mithin den Wechsel einfach einlösen, oder giriren, oder sonstwie weiter veräussern, Vergleiche schliessen, schiedsrichterlichem Urtheil sich unterwerfen, und auf jede andere gerichtliche oder aussergerichtliche Weise die Wechselsumme erlangen.
Der etwaige Einwand gegen die Befugniss des Procura-Indossatars zur Weitergirirung des Wechsels, dass derselbe selbst nicht Eigenthümer des Wechsels sei, also das Eigenthum daran auch nicht auf Andere übertragen könne, widerlegt sich durch die einfache Betrachtung, dass er das Eigenthum am Wechsel als Stellvertreter des Indossanten überträgt, und in dieser Beziehung kein weiteres Recht ausübt, als der Commissionär oder ein sonstiger Mandatar.
Art. 792. Ein Sicherheits-Wechsel, d. i. zur Sicherung eines anderweitig bestehenden Forderungsverhältnisses kann in doppelter Weise gegeben werden, entweder dadurch dass der Schuldner, als Inhaber eines bereits vorhandenen Wechsels, oder ein anderer Wechselinhaber auf Rechnung des Schuldners, denselben an den Gläubiger indossirt, oder dadurch dass ein neuer Wechsel geschaffen und dem Gläubiger als Nehmer ausgehändigt wird, wobei der Schuldner als Bezogener oder Aussteller die Wechselschuld auf sich nimmt. Es ist nun als Princip festzuhalten, dass der Zweck, zu welchem ein Wechsel ausgestellt oder weiterbegeben wird, die Natur der Wechselausstellung und der Indossirung an sich nicht ändern kann, da seine formale Natur der Rücksichtnahme auf andere dem Wechsel zu Grunde liegende Rechtsverhältnisse widerstrebt. Es macht auch keinen Unterschied, ob der Zweck der Sicherheit auf dem Wechsel oder bei dem Indossament selbst bemerkt wird oder nicht; im letzteren Falle würde ein unwesentlicher Inhalt des Wechsels vorliegen, der denselben zwar nicht ungültig macht, aber doch wechselrechtliche Bedeutung nicht besitzt (Art. 769). In diesem Sinne ist der erste Theil des gegenwärtigen Artikels zu verstehen. Die Indossirung, wie überhaupt die Ausstellung eines Wechsels zum Zweck der Sicherheit ist nicht weniger als eine gewöhnliche volle Indossirung, der Indossatar kann also unter allen Umständen den Wechsel weiter giriren, gleichwie er ihn auch quittiren oder sonst darüber verfügen kann. Diese Befugnisse muss der Gläubiger haben, da er dadurch auf die einfachste Weise sich für seine Forderung bezahlt machen kann. Nach Art. 442 kann derjenige, dem eine Forderung verpfändet worden ist, dieselbe entweder verkaufen oder selbst beitreiben; zum Verkaufe ist aber in den meisten Fällen die Befugniss der reinen Indossirung nothwendig. Wer nun einen Wechsel erhalten hat, um sich mittelst desselben für eine andere Forderung zu befriedigen, ist in keiner anderen Weise Wechseleigenthümer, wie jeder andere Wechselinhaber, er kann mithin die Rechte aus dem Wechsel gegen den Acceptanten, den Aussteller und die Indossanten ganz in der gewöhnlichen Weise geltend machen, ist aber dabei auch den gewöhnlichen Beschränkungen wie jeder andere Wechseleigenthümer, z. B. nach Art. 789 oder Art. 794 u. s. w. unterworfen. Es kann also einem solchen Wechselinhaber die weitere Indossirung des Wechsels auch mit der in Art. 794 bemerkten Folge untersagt werden. Soweit aber der Sicherheitsgläubiger Rechte aus dem Wechsel besitzt, kann er sie offenbar in derselben Weise ausüben, wie jeder andere Inhaber, also lediglich kraft der formalen Natur des Wechsels, und es können ihm Einreden aus dem zu Grunde liegenden Schuldverhältnisse, zu dessen Sicherung der Wechsel gegeben wurde, nicht entgegengesetzt werden, z. B. indem jene Forderung aus irgend einem Grunde bestritten werden wollte. Alle Einreden aus dem anderweitigen Schuldverhältniss, z. B. die Einrede des Irrthums, der Nichterfüllung einer Bedingung, der mangelnden Gegenleistung etc. können im Wechselrecht nicht berücksichtigt, sondern müssen im ordentlichen Verfahren erledigt werden. Dies ist z. B. in einem Erkenntniss des Berliner Obertribunals vom 27. März 1858 ausdrücklich anerkannt. Ztschr. für H. R. Bd. 2 p. 132. Bd. 11. p. 287.
Von diesen Principien statuirt nun der Entwurf eine Ausnahme, indem die Einrede der Zahlung oder anderweitigen Tilgung der Schuld, um deren Sicherung es sich handelt, zugelassen wird. Die Gesetze sprechen sich über diesen Punkt nicht ausdrücklich aus; es folgt jedoch diese Zulassung aus der Natur der Pfandsicherheit. Das Pfandrecht erlischt, wenn die Forderung, zu deren Sicherung es dienen sollte, bezahlt wird, und der Schuldner hat das Recht, durch Zahlung das von ihm bestellte Pfandrecht aufzuheben. Art. 429. In diesem Falle hätte der Schuldner das Recht, nach Art. 772 die Rückgabe des dem Gläubiger zur Sicherheit anvertrauten Wechsels zu verlangen. Das Pfand- oder Deckungsverhältniss besteht jedoch rechtlich nur zwischen dem Gläubiger und Schuldner; wenn ersterer den Wechsel etwa weiter indossirt hätte, wozu er nach Art. 792 befugt ist, so könnten daraus gegen die späteren Indossatare Ansprüche nicht erhoben werden. Die Einrede der Zahlung ist daher nur gegen den speciellen Indossatar zulässig, der den Wechsel zur Sicherheit erhielt; gegen diesen soll nun aber auch die Einrede der Zahlung der zu Grunde liegenden Schuld erhoben werden können, nicht blos die Einrede der Zahlung der eigentlichen Wechselschuld, damit er seinen Forderungsbetrag nicht doppelt erhalten kann, einmal durch Geltendmachung seiner Rechte aus dem Wechsel und sodann durch Zahlung der zu Grunde liegenden Schuld. Beide Zahlungen substituiren sich gegenseitig, durch die eine wird die Verpflichtung zur anderen nothwendig beseitigt. Diese Einrede der Zahlung soll nicht blos dem speciellen Indossanten zustehen, sondern allen aus dem Wechsel Verpflichteten, und es wird hierdurch die nach Art. 873 begründete Gemeinsamkeit der Einrede der Wechselzahlung in diesem speciellen Falle auch auf die anderweitige Zahlung ausgedehnt, obwohl sonst Einreden aus einem obligatorischen Verhältnisse nur von denen erhoben werden können, zwischen denen das Verhältniss besteht. Diese Ausnahme erscheint durch die natürliche Billigkeit geboten, um so mehr als ausserdem das Geben eines Wechsels zur Sicherheit jeder rechtlichen Bedeutung zum Vortheil des Schuldners entbehren würde. Borchardt, Zus. 179. 631.
Demnach würde also dem Indossatar, welchem ein Wechsel pfandweise übertragen wurde, nachdem er die Bezahlung seiner Forderung erhielt, die Einrede der Zahlung entgegenstehen, sowohl von Seiten des Bezogenen, als von Seiten des Indossanten und dessen Vormänner, wenn er Regress gegen diese suchen würde. Hätte er aber den Wechsel weiter indossirt, so würde diese Einrede den nachfolgenden Indossataren nicht im Wege stehen, denn für diese wäre das Pfandverhältniss ein durchaus fremdes Verhältniss. Würden sie aber vom Bezogenen keine Zahlung erhalten und gegen ihren Pfandindossanten desshalb Regress suchen, so wäre dieser dazu verpflichtet, allein ihm selbst stünde von Seiten des Verpfänders und dessen Vormänner wiederum die Einrede der Zahlung entgegen, wenn er seiner Seits Regress gegen dieselben suchen würde.
Art. 793. Das in diesem Artikel ausgesprochene Princip findet sich ausdrücklich auch in der Deutschen W. O. Art. 36. Es folgt mit Nothwendigkeit aus der Formalnatur des Wechsels, vermöge deren nur der Inhalt desselben obligatorische Wirkung haben kann. Der Wechsel kann nur durch Indossament auf dem Wechsel übertragen werden, soweit nicht die in Art. 786 bemerkten Ausnahmen vorliegen; daher kann jeder Indossatar nur dann Wechseleigenthümer werden, wenn ihm der Wechsel durch den Nehmer oder einen anderen Wechseleigenthümer übertragen wurde. Die Reihe der Indossamente ist daher nur dann ununterbrochen, wenn das erste Indossament mit dem Namen des Nehmers, das zweite Indossament mit dem Namen des ersten Indossatars und jedes folgende Indossament mit dem Namen desjenigen unterzeichnet ist, welchen das unmittelbar vorhergehende Indossament als Indossatar benennt. Es ist jedoch wohl zu beachten, dass das Gesetz nur eine ununterbrochene Reihe der Indossamente, nicht der Uebertragungen verlangt. Es kommt also nur darauf an, ob die Indossamente der äusseren Form nach in Ordnung sind, nicht auch auf die Aechtheit der Unterschriften, auf die Legitimation der Unterzeichner, z. B. ob handelsfähig oder nicht; aus solchen besonderen Mängeln können zwar unter Umständen Einreden abgeleitet werden, allein die Gültigkeit des Indossaments in der Form, und namentlich für andere Personen, wird davon nicht betroffen (Art. 763. 767). Es ergibt sich dieses Princip zwar auch schon als blosse Folgerung aus den nothwendigen Erfordernissen des Indossaments nach Art. 784, allein es ist von Werth, dasselbe bestimmt auszusprechen, um die etwaige Meinung auszuschliessen, als könnte jedes Indossament für sich allein gültig sein ohne Zusammenhang mit den übrigen, oder als sei das Indossament von dem Vorhandensein anderer Erfordernisse als der in Art. 784 bezeichneten schriftlichen Erklärung abhängig. Es muss dazu bemerkt werden, dass auf dem Indossament weder die Erklärung des erhaltenen Gegenwerthes (valeur fournie) nothwendig, noch seine Gültigkeit durch solche materielle Erfordernisse bedingt ist. Trotz dieses Zusammenhanges aller Indossamente unter einander ist jeder Indossatar dennoch Wechseleigenthümer aus eigenem Rechte, nicht aus der Person seines Indossanten, und es können gegen ihn keine Einwendungen erhoben werden, die vielleicht gegen den letzteren statthaft gewesen wären, soweit sie nicht durch gesetzliche Vorschrift allgemeine Bedeutung erlangt haben, wie z. B. nach Art. 770. 792 u. dgl. m.
Wenn nun ein Indossament vorkommt, welches sich nicht unmittelbar an das vorhergehende anschliesst, so ist es offenbar wirkungslos und zwar nicht bloss dieses selbst, sondern alle darauf weiter folgenden, da ausserdem der formale Character des Wechsels durchbrochen wäre. Hiegegen gibt es nun, soferne daraus etwa Inconvenienzen entstehen können, mehrere Auskunftsmittel.
Einmal können Indossamente, durch welche die Reihe derselben in ungehöriger Weise unterbrochen wäre, ausgestrichen und dadurch ungültig gemacht werden. Z. B. A hat an B indossirt; da dieser aber nicht den Preis des Wechsels bezahlte, ihn wieder an zurückgenommen und noch einmal an C indossirt. Strenge genommen, müsste B indossirt haben; allein dessen Recht aus dem Wechsel ist wieder aufgehoben und das Eigenthum an A zurückgegangen. Um nun das Indossament des A an C rechtsgültig zu machen, hat man nur nöthig, das Indossament an B auszustreichen. Ebenso wäre zu verfahren, wenn von einem Diebe oder unehrlichen Finder u. dgl. Indossamente vorgenommen wären. Der Art. 793 ist mithin in dem Sinne zu verstehen, dass die Indossamente nicht nur Zusammenhängen, sondern auch bei Bestand bleiben müssen; jedes ausgestrichene oder sont undeutlich gemachte Indossament ist als nicht vorhanden anzusehen.
Es kann aber auch zuweilen wünschenswerth erscheinen, ein Indossament nicht durchzustreichen, um gewisse Einreden daraus zu conserviren, die durch das Durchstreichen verloren gehen würden. Solche Fälle werden hauptsächlich in Folge der unregelmässigen Indossirung an Stellvertreter oder Pfandinhaber vorkommen, und diesem Bedürfniss kommt daher der zweite Theil des gegenwärtigen Artikels entgegen. Der Vollmachtgeber und Bevollmächtigte bilden in rechtlicher Hinsicht eine einzige Person; was der Bevollmächtigte für den Vollmachtgeber thun könnte, muss dieser selbst thun können. Aehnlich steht es auch mit dem Pfandinhaber; er besitzt im Namen des Verpfänders und dessen Recht lebt wieder auf, wenn das Pfandobject in seinen Besitz zurückfällt. Auch der Pfandinhaber ist in gewissem Sinne, wenngleich für sein eigenes Interesse, Vertreter des Verpfänders, und beide Fälle können daher gleich behandelt werden. Der Verpfänder wird regelmässig den Wechsel nicht wieder zurückerhalten, wenn er nicht die Schuld getilgt oder anderweite Sicherheit gegeben hat; sollte er ihn heimlich und durch List an sich gebracht haben, so könnte er ihn allerdings zum Nachtheil des Gläubigers weiter übertragen, allein hiegegen bedarf es keiner besonderen Vor sichtsmassregeln, da jeder Gläubiger sich selbst schützen muss, und der gleiche Nachtheil ihm durch die heimliche Wiedererlangung und den Verkauf jeder anderen Sache zugefügt werden könnte.
Nach Deutschem und Englischem Rechte gibt es noch eine weitere Ausnahme von der Reihenfolge der Indossamente, nämlich im Falle vom Blanco-Indossamenten, welche den Indossatar nicht benennen; hier söll der darauf folgende Indossant als der Erwerber des Wechsels mittelst Blanco-Indossament angesehen werden. Diese Ausnahme ist jedoch den Principien des Entwurfes nicht angemessen und daher, wie bereits zu Art. 784 erklärt ist, nicht als annehmbar erschienen.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass entsprechend der formalen Natur des Wechsels jeder Inhaber desselben das Recht hat, Durchstreichungen vorzunehmen, so lange er ihn nicht wieder aus der Hand gegeben hat, ebenso wie jeder Inhaber leer gelassene Stellen ausfüllen kann. Bravard III. p. 161.
Art. 794. Der Regel nach ist jeder Wechsel, als ein für den Umsatz bestimmtes Werthpapier, auch der unbegrenzten Indossirung wenigstens bis zum Verfalltage fähig, und in beschränkter Weise selbst darüber hinaus (Art. 789). Diese Eigenschaft der Indossirbarkeit haftet dem Wechsel so sehr an, dass sie ihm auch durch gegentheilige Bestimmung nicht genommen werden kann, und ein desfallsiger Vertrag wäre ebenso wirkungslos, wie jeder andere vertragsmässige Verzicht auf das Recht der Veräusserung des Eigenthums (Puchta, Pandekten § 145). Hat also ein Indossant seinem Indossamente die Worte „nicht an Ordre” oder eine andere gleichbedeutende Bemerkung beigefügt, so ist ein von dem Indossatar weiter vorgenommenes Indossament nichts desto weniger gültig, und die gleiche Regel gilt, wenn der Aussteller in dieser Weise die Indossirung des Wechsels untersagt hätte. Die Wirkung einer solchen Clausel ist nur die, dass der Indossant und bez. Aussteller nicht von späteren Nachfolgern seines Indossatars oder des Nehmers in Anspruch genommen werden kann, indem er dadurch die Erklärung abgegeben hat, dass er nur seinem unmittelbaren Indossatar, resp. dem Nehmer ausschliesslich haftbar sein wolle. Diese Erklärung ist gültig, sie versteht sich sogar nach Französ. Rechte von selbst, wenn die Ordreclausel nicht ausdrücklich beigefügt wurde, da nach dem Code de comm. die Hinzufügung dieser Clausel in allen Fällen nothwendig ist, um einen Wechsel umsatzfähig zu machen.
Dieser letztere Princip ist im Entwurfe und in der Deutschen W.
O. nicht angenommen, desshalb muss hiernach die Untersagung der Indossirung ausdrücklich erfolgt sein, um den Indossanten von den Ansprüchen späterer Indossatare zu befreien. D. W. O. Art. 15. Der Entwurf macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen dem Aussteller und Indossanten; er befreit vielmehr beide gleichmässig von dem Regress, wenn sie die Indossirung untersagt haben. Nach Deutschem Rechte Art. 9 ist aber die Wirkung eine andere, wenn der Aussteller die Indossirung untersagt hat; es soll dann nämlich das Indossament überhaupt keine wechselrechtliche Wirkung haben, also auch in Bezug auf den Acceptanten und den Indossanten selbst, gegen welchen dann der spätere Indossatar keine wechselmässigen Rechte haben soll. Hiefür lässt sich höchstens der Grund anführen, dass der Acceptant gemäss dem von dem Aussteller gegebenen Auftrag zu zahlen hat, und wenn er diesem Auftrag entgegen an eine andere Person zahlt, denselben überschreiten und dadurch seine Ansprüche gegen den Aussteller verlieren würde. Dies dürfte jedoch die Formalität zu weit treiben, da der Aussteller durch Zahlung des Acceptanten an eine andere Person keinen Nachtheil erleidet; es empfiehlt sich daher die Verbotclausel nur auf den Aussteller zu beziehen, der dadurch von den Regressansprüchen anderer Personen befreit sein soll. Was den Indossanten betrifft, so besteht kein Grund, ihn von der wechselmässigen Haftung aus seinem Indossamente zu befreien, wenn er auch keinen Regressanspruch gegen den Aussteller übertragen kann. Denn jedes Indossament ist als eine neue Tratte auf den Bezogenen aufzufassen und der Indossant muss ein Recht dazu haben, weil der Acceptant ihm auf Höhe der Wechselsumme verpflichtet ist. Die bezügliche Bestimmung der Deutschen W. O. dürfte daher als eine inconsequente Folgerung aus dem in der neueren Jurisprudenz nicht mehr anerkannten Princip, betreffend die Ordreclausel, anzusehen sein und ist daher im Entwurfe nicht adoptirt worden. Hiedurch wird auch eine grössere Uebereinstimmung der Principien bewirkt, indem die Nicht-an Ordre-Clausel in beiden Fällen, sowohl im Falle des Ausstellers als in dem der Indossanten, als nur an die Adresse des Nehmers und resp. der Indossatare gerichtet angesehen wird.
§ 3. Annahme.
Art. 795. Die Annahme (das Accept) ist derjenige Act, durch welchen sich der Bezogene wechselmässig verpflichtet, die Wechsel stimme am Verfalltage zu bezahlen. Nothwendig ist dieselbe nicht, da die Zahlung ja immerhin auch ohne vorheriges Accept erfolgen kann, wenn der Bezogene überhaupt an keine Weigerung denkt oder später die erforderliche Deckung erhält u. dgl. Allein es liegt darin eine Sicherheit für den Wechselinhaber, da die ausdrückliche Annahme nicht nur die spätere Zahlung viel wahrscheinlicher macht, sondern auch dem Inhaber gegen den Acceptanten einen wechselmässigen Anspruch auf die Zahlung verleiht, den er ausserdem nicht gehabt hätte. Daher ist im Entwurfe nur gesagt, dass der Inhaber den Wechsel zur Annahme präsentiren kann, aber dies zu thun nicht verpflichtet ist, auch dazu, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, von dem Aussteller nicht besonders verpflichtet werden kann. Das gleiche ist vorgeschrieben in der Deutschen W. O. Art. 18. Auch nach der Französischen und den übrigen Gesetzgebungen ist die Präsentation zur Annahme keine nothwendige Bedingung für die Geltendmachung der Rechte aus dem Wechsel. Bravard III. p. 263. Ebenso liegt die Zeit der Präsentation ganz in dem Belieben des Inhabers; jedoch kann sie nur bis zum Zeitpunkte der Fälligkeit geschehen, da es sich nach diesem Zeitpunkte nicht mehr um die Annahme, sondern um die Zahlung selbst handelt. Ferner kann entweder der erste Nehmer, oder jeder spätere Inhaber des Wechsels, auch in Folge eines unregelmässigen Indossaments, die Präsentation zur Annahme vornehmen. Die Präsentation muss immer bei dem Bezogenen geschehen, also an dessen Wohnorte, nicht etwa am Zahlungsorte, wenn derselbe von dem Wohnorte des Bezogenen verschieden sein sollte, wie es bei den sog. Domicilwechseln der Fall ist. Die Präsentation besteht in nichts weiter, als in der Vorzeigung des Wechsels mit der Aufforderung an den Bezogenen, sich über die Annahme zu erklären und dieselbe auf dem Wechsel zu bemerken. Wenn die Annahme verweigert wird oder wenn der Bezogene an seinem Domicil nicht anzutreffen ist, muss der Mangel der Annahme spätestens am darauf folgenden Tage förmlich durch einen Protestact canstatirt werden. Unterbleibt der Protest, so kann der Regressanspruch wegen mangelnder Annahme nicht erhoben werden.
Nach den vorausgehenden Bemerkungen ist es die Regel, dass der Wechselinhaber zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, die Annahme des Wechsels zu bewirken. Beides, sowohl sein Recht, wie seine Pflicht, kann aber vom Aussteller durch ausdrückliche Bemerkung ins Gegentheil verkehrt werden, wie es auch in der Französischen und Deutschen Jurisprudenz anerkannt ist. Bravard III. p. 261.263.
Thöl, Wechselrecht § 76. III. Es kann mithin einerseits dem Inhaber das Recht zur Acceptation entzogen werden, was hauptsächlich bei solchen Wechseln geschehen wird, deren Betrag gering oder deren Verfallzeit eine sehr kurze ist, oder deren Deckung der Aussteller vielleicht nicht sofort beschaffen kann. Auch kann ein Motiv dafür darin liegen, dass man die etwaigen Protestkosten vermeiden will. Die Folge davon ist, dass eine Protesterhebung und ein Anspruch auf Sicherheit gleichfalls nicht stattfindet. Dies kann unter Umständen den Werth und die Circulationsfähigkeit des Wechsels beeinträchtigen, allein man kann den Aussteller nicht hindern, wenn er genügende Gründe dafür hat, einen Wechsel von geringerer Qualität in Umlauf zu setzen.
Umgekehrt kann der Aussteller die Präsentation zur Annahme vorschreiben, und zwar mit oder ohne Beifügung einer bestimmten Präsentationsfrist. Dies kann geschehen, sowohl um dem Wechsel im allgemeinen vollkommene Umlaufsfähigkeit zu verschaffen, da acceptirte Tratten viel leichter angenommen werden, wie nicht acceptirte, als auch um das Verhältniss zum Bezogenen möglichst bald klar zu stellen. Insbesondere bei Sichtwechseln wird eine solche Vorschrift häufig vorkommen, damit nicht der Wechselinhaber die Präsentation zur Zahlung unnöthig hinausschieben und hierdurch den etwaigen Verlust der Deckung bei dem Bezogenen herbeiführen kann. Wird nun die Präsentation zur Annahme trotzdem unterlassen oder verspätet, so kann zwar trotz alledem Zahlung am Verfalltage verlangt werden. Allein es ist nicht nur kein vorheriger Securitätsregress gestattet, sondern auch der Regress wegen unterlassener Zahlung kann möglicher Weise verloren gehen, wenn durch die Verzögerung des Inhabers die Deckung bei dem Bezogenen, der vielleicht inzwischen bankerott geworden ist, verloren ging. Es würde hiernach der allgemeine Grundsatz zur Anwendung kommen, dass wer seinen Schaden durch eigene Nachlässigkeit verschuldet hat, dafür nicht bei einem Anderen Ersatz beanspruchen kann (Commentar zu Art. 380). Dagegen bliebe der Regressanspruch bestehen, wenn die Unterlassung der Präsentation nicht als Saumseligkeit bezeichnet werden könnte, was namentlich dann der Fall wäre, wenn der Bezogene schon von Anfang an zahlungsunfähig war, oder niemals eine Deckung erhielt u. dgl.
Die Präsentation zur Annahme kann von dem Aussteller auch bei Domicilwechseln zur Pflicht gemacht werden. Da dies aber ein ganz besonderer Fall ist, der auf anderen Erwägungen beruht und auch zum Theil andere Folgen haben muss, so wurde er in dem gegenwärtigen Artikel besonders erwähnt. Ein Domicilwechsel ist nach Art. 781 ein solcher, auf welchem ein besonderer, von dem Domicil des Bezogenen verschiedener Zahlungsort genannt ist, und es ist in dem genannten Artikel bereits gesagt, dass an dem besonderen Domicil entweder der Bezogene oder eine andere auf dem Wechsel zu nennende Person Zahlung zu leisten hat. Der Domiciliat kann von dem Aussteller oder von dem Bezogenen genannt werden. Der Domicilwechsel hat somit das eigenthümliche, dass auf ihm nicht drei, wie bei gewöhnlichen Tratten, sondern vier Personen nothwendig genannt werden müssen, indem die Person des Bezogenen sich in zwei spaltet, eine welche annimmt, und eine andere welche zahlt. Thatsächlich findet dies seine Erklärung darin, dass der Domicilwechsel meist durch ein complicirteres Stellvertretungsverhältniss veranlasst wird, indem der Zieher sich nicht unmittelbar an den zahlenden Domiciliaten wendet, sondern nur mittelbar durch Vermittlung des Bezogenen, der gegenüber dem Domiciliaten für den nöthigen Zahlungsfonds zu sorgen oder die sonst dem Aussteller obliegender Verpflichtungen gegenüber jenem übernimmt. Auch wenn der Bezogene selbst der Domiciliat ist, setzt dies dennoch betreffs der Zahlung besondere Arrangements voraus, oder es ist eine Filiale des Bezogenen mit gesonderter Rechnungsführung, u. dgl. m. Der Bezogene nimmt dadurch gegenüber dem Domiciliaten einigermassen den Character des Ausstellers an, oder es kann dies wenigstens der Fall sein, wenn der eigentliche Aussteller nicht unmittelbar zu dem Domiciliaten in Geschäftsbeziehungen steht. Es kann daher im Interesse des Ausstellers und des Wechsels überhaupt liegen, dass der Bezogene die hier mehr vorbereitenden Verpflichtungen betreffs Bewerkstelligung der künftigen Zahlung rechtzeitig und förmlich übernehme, d. h. die Annahme des Wechsels erkläre, und daher muss man dem Aussteller das Recht einräumen, in diesem Falle dem Inhaber die Präsentation zur Annahme vorzuschreiben, und zwar bei Verlust des Regressanspruches ohne dass dieser Verlust noch etwa weiterhin durch den Nachweis einer besonderen und thatsächlichen Saumseligkeit bedingt sein soll, da die Spaltung des Verhältnisses in mehrere Personen eine grössere Strenge nothwendig macht. Hiezu kommt noch die Erwägung, dass wenn der Domiciliat nicht schon vom Aussteller benannt ist, der Bezogene in die Möglichkeit versetzt werden muss, denselben zu benennen, was nur durch Präsentation zur Annahme geschehen kann; und dass es unvernünftig wäre, dem Inhaber zur Verfallzeit, wenn die Zahlung nicht erfolgen kann, da der Domiciliat nicht benannt ist, einen Protest gegenüber einer niemals bekannt gegebenen Person zu gestatten. Die gleiche Auffassung findet sich in der Deutsehen W. O. Art. 24, und auch der Art. 123 des Französ. Gode de comm. wird in diesem Sinne interpretirt. Bravard III. p. 53. 246.
Art. 796. Wie bereits zum vorigen Artikel bemerkt wurde, kann der Aussteller namentlich bei Sichtwechseln die Präsentation zur Annahme binnen bestimmter Frist ausdrücklich vorschreiben, und diese Befugniss wird ihm in dem gegenwärtigen Artikel wiederholt zugesprochen. Dies ist auch in Frankreich zulässig nach dem Gesetze vom 19. März 1817. Bravard III p. 412. Es wird jedoch eine Beschränkung hinzugefügt, dass nämlich die Präsentationsfrist nicht länger als zwei Jahre dauern darf; eine Beschränkung, die mehr oder weniger übereinstimmend in allen Gesetzgebungen anzutreffen ist. Deutsche W. O. Art. 19. Code de comm. Art. 122. 160. Nach Englischem Rechte müssen solche Wechsel binnen vernünftiger Frist (reasonable time) präsentirt werden und es soll zugleich eine Rechtsund eine Thatfrage sein, was als vernünftige Frist in jedem Falle anzusehen ist. Smith, merc. law. p. 239. In Frankreich beträgt die Frist nach dem Code de comm. Art. 160 sechs Monate bis zwei Jahre, je nach gewissen Entfernungszonen, sie ist jedoch durch ein neueres Gesetz vom 3. Mai 1862 auf die Hälfte, nämlich drei Monate bis ein Jahr herabgesetzt worden; in Kriegszeiten soll die Frist das doppelte betragen. Nach der Deutschen Gesetzgebung ist die Frist in allen Fällen zwei Jahre, und dies ist im Entwurfe adoptirt worden, da Japan bei seiner isolirten insularen Lage vielfach mit weit entfernten ausländischen Handelsplätzen in Wechselbeziehungen steht und die Abstufung verschiedener Entfernungen etwas willkürliches hat und der etwaigen Vereinbarung der Parteien zu grosse Schranken zieht. Höchstens für Inlandwechsel, d. h. für Wechsel, die im Inlande sowohl gezogen als zahlbar sind, könnte man eine kürzere Präsentationsfrist vorschreiben; indessen ist auch dies bei der weiten Ausdehnung des Japanischen Staatsgebietes und der verhältnissmässig geringen Entwicklung des schnellen Verkehrs, durch Eisenbahnen und Dampfschiffe, nicht gerade sehr empfehlenswerth, und es kann für die Fälle wirklichen Bedürfnisses der Vereinbarung der Parteien überlassen bleiben. Eine einheitliche Frist für eine und dieselbe Sache hat immer grosse Vorzüge und man sollte davon nicht ohne zwingende Gründe abweichen.
Der Artikel verlangt demnach, dass Sichtwechsel entweder binnen längstens 2 Jahren oder binnen der auf dem Wechsel bemerkten kürzeren Frist präsentirt werden müssen. Die gesetzliche Frist von 2 Jahren gilt nach Art. 818 auch für die bei Sicht fälligen Wechsel; bei diesen ist jedoch eine Präsentation zur Sicht an sich nicht nothwendig, da bei ihnen die Verfallzeit nicht mittelst einer Frist nach Sicht, d. h. nach geschehener Präsentation zu berechnen ist. Daher spricht der Artikel 796 nur von Wechseln, die auf eine bestimmte Zeit nach Sicht lauten, indem das Datum der Sicht, d. h. der Vorzeigung des Wechsels, als der Anfangspunkt gelten muss, von welchem an die Frist bis zum Verfalltag läuft. Gesetzt, ein Wechsel lautet auf 3 Monate Sicht, so ist er am 1. April fällig, wenn er am 1. Januar präsentirt wurde; und es leuchtet ein, dass ohne vorhergehende Präsentation der Verfalltag gar nicht eintreten könnte. Darum muss bei diesen Wechseln die Präsentation dem Inhaber zur Pflicht gemacht werden. Er kann aber auch die Präsentation nicht beliebig hinausschieben, weil dies den Aussteller zwingen würde, auf unbestimmte Zeit hinaus für Deckung zu sorgen, und den Bezogenen, auf unbestimmte Zeit hinaus die Deckung für den Inhaber aufzubewahren, wovon beide sich nicht einmal durch gerichtliche Deponirung der Summe befreien könnten, da diese nur vom Verfalltage an zulässig wäre.
Es sind nun folgende Fälle zu unterscheiden :
1. Auf Seiten des Inhabers. — Der Inhaber kann den Wechsel entweder zur Annahme oder zur blossen Sichterklärung präsentiren. Ersteres steht ihm frei unter den Beschränkungen des Art. 795; wählt er die Vorzeigung zur Annahme, so muss sich der Bezogene darüber erklären, und diese Vorzeigung gilt selbstverständlich zugleich als Vorzeigung zur Sicht, da das Weniger offenbar in dem Mehr von selbst enthalten ist. Er kann aber auch auf die Annahme verzichten und muss sodann die Sichterklärung verlangen, damit ein bestimmter Tag für die Berechnung der Zahlungsfrist gewonnen wird. Unterlässt er aber die eine oder die andere Vorzeigung, so verliert er seinen Regress gegen den Aussteller und den Indossanten, weil diese nur für die Zahlung am Verfalltag haftbar sind, und die Zahlung an diesem, d. h. innerhalb der vertragsmässigen oder gesetzlichen Frist von dem Inhaber nicht verlangt wurde, mithin dieser selbst für jeden weiteren Verzug verantwortlich sein muss. Der Anspruch gegen den Bezogenen geht nicht verloren, weil dieser während des ganzen Laufes der Verjährungsfrist zur Zahlung verpflichtet bleibt.
2. Auf Seiten des Bezogenen. — Hier sind wiederum folgende Fälle zu unterscheiden.
Der Bezogene acceptirt und datirt sein Accept. In diesem Falle ist der Zweck der Präsentation erreicht, indem der Bezogene nicht hur die Zahlungsverpflichtung formell übernahm, sondern auch ein Datum hinzufügte, nach welchem der Verfalltag sich berechnet. Lautet der Wechsel z. B. auf 3 Monate Sicht und das Accept ist vom 1. Januar datirt, so muss nunmehr der Wechsel am 1. April gezahlt werden. Der Inhaber hat damit seiner Verbindlichkeit, einen bestimmten Verfalltag herbeizuführen, vollkommen genügt und er kann seine Rechte an diesem Tage weiter verfolgen.
Der Bezogene acceptirt zwar, aber er verweigert die Datirung seines Accepts. Das Accept verpflichtet ihn zur Zahlung am Verfalltage; da aber dieser Verfalltag aus dem Accept nicht ersichtlich ist, muss er anderweitig constatirt werden. Dies geschieht durch Protesterhebung am folgenden Tage. Unterbleibt der Protest, so gilt der letzte Tag der Präsentationsfrist als Verfalltag; der Acceptant muss also zwei Jahre nach dem Datum der Ausstellung zahlen. D. W. O. Art. 20. Im Französ. Code Art. 122 ist für diesen Fall die Frist vom Datum der Ausstellung an zu berechnen; jedoch wird dieser Artikel von der Jurisprudenz nicht buchstäblich interpretirt, Bravard III p. 211 Note 2 p. 415; und es erscheint zweckmässiger, das pure Accept nicht als Verweigerung desselben, sondern als Versprechen am gesetzlichen Verfalltage zu zahlen aufzufassen. Dieser letztere kann nur der letzte Tag der zweijährigen Präsentationsfrist sein, wenn die Präsentation nicht früher stattfand.
Der Bezogene verweigert die Sichterklärung oder wenigstens die Datirung derselben. Beides hat dieselbe Wirkung, da die Sicht ohne einen bestimmten Tag der Vorzeigung bedeutungslos wäre. Würde der Bezogene nur auf den Wechsel schreiben: gesehen, ohne ein Datum hinzuzufügen, so wäre damit kein Tag für die Fristberechnung gewonnen, er müsste mithin gleichfalls am folgenden Tage durch Protesterhebung constatirt werden. In beiden Fällen gilt der Protesttag als Präsentationstag. Wird nicht protestirt, so muss auch hier der letzte Tag der gesetzlichen Präsentationsfrist als Verfalltag gelten.
Dies hat keine Schwierigkeit in Bezug auf den Bezogenen, da dessen Verpflichtung niemals durch eine Protesterhebung bedingt ist. Dagegen ist es fraglich, ob auch die Unterlassung der Protesterhebung den Verlust des Regressanspruches nach sich, zieht ebenso wie die Unterlassung der Präsentation binnen der gesetzlichen oder vertragsmässigen Präsentationsfrist (oben zu 1.). Die Deutsche W. O. Art. 20 hat diesen Verlust nur beim Ablauf der Präsentationsfrist ausgesprochen, und auch nach dem Französ. Code Art. 160 soll der Verlust des Regresses nur stattfinden, wenn die Präsentation nicht spätestens binnen der gesetzlichen Frist erfolgte. Da nun die Vorzeigung, wenn sie auch einmal erfolglos vorgenommen wurde, während des Laufes der Präsentationsfrist immer von neuem bis zu deren Ablauf wiederholt werden kann, so erscheint es billiger und natürlicher, die Unterlassung des Protestes auch gegenüber den Regresspflichtigen nicht mit dem Verluste der Regressforderung zu bestrafen. Bravard III. p. 418. Gesetzt also, ein Wechsel datirt vom 1. Januar 1880, lautet auf 10 Tage Sicht. Der Inhaber präsentirt ihn am 1. Juli 1880 zum Accept, das Accept erfolgt, aber ohne Datum. Man kann nun nicht sagen, dass die Zahlung am 11. Juli erfolgen muss, weil die Präsentation am 1. Juli nicht datirt wurde, folglich nicht wechselmässig ersichtlich ist. Der Inhaber kann die Constatirung am 2. Juli vornehmen durch Protest, dann ist der 12. Juli der Verfalltag. Wenn er aber nicht protestirt, kann er während der vollen zwei Jahre, bis zum 1. Januar 1882, die Datirung des Accepts wiederholt verlangen, da es ihm vom Anfang an frei gestanden hätte, damit bis zum Ablaufe der zwei Jahre zu warten. Ganz ebenso ist es mit der Vorzeigung zur blossen Sicht. Der Inhaber kann damit gleichfalls zwei Jahre lang warten, wenn ihm keine kürzere Präsentationsfrist vorgeschrieben wurde. Präsentirt er aber früher, so kann er zwar protestiren und dadurch den Tag der Vorzeigung fixiren: thut er dies aber nicht, so bleibt ihm immer noch die Präsentationsfrist offen, so lange sie läuft, da so lange eine frühere Präsentationsfrist nicht fixirt ist, die frühere Präsentation als nicht geschehen angenommen werden muss. Im Grunde ist dasselbe auch in dem ersten Absatz des Art. 20 der Deutschen W. O. enthalten; nur mit dem Unterschiede, dass nach dem Entwürfe blos die Präsentation, dagegen nach Deutschem Rechte auch der Protest innerhalb der Präsentationsfrist stattfinden muss.
Art. 797. An und für sich ist der Bezogene zur Zahlung nicht verpflichtet, da es ihm freisteht, den Auftrag des Ausstellers anzunehmen oder nicht. Hat er aber den Auftrag einmal angenommen, so ist er formell durch den Wechsel verpflichtet, und kann sich von dieser Verpflichtung nicht mehr befreien. Es macht keinen Unterschied, ob er vom Aussteller oder von einem Anderen die zur Zahlung des Wechsels nöthige Summe oder eine sonstige Deckung erhielt oder nicht; diese Deckung kann und wird in den meisten Fällen darin bestehen, dass er Schuldner des Ausstellers oder des Committenten ist. Allein seine Verpflichtung durch Accept ist davon gänzlich unabhängig, denn die formale Natur des Wechsels würde eine Berufung auf andere Rechtsverhältnisse nicht zulassen. . Darin besteht gerade der hauptsächliche Vorzug des Wechsels, dass die absolute Zahlungspflicht dadurch gesichert werden soll, im Unterschiede von anderen Schuldverhältnissen, in welchen alle rechtlich zulässigen Einreden opponirt werden können. Die Verpflichtung besteht gegenüber dem Inhaber des Wechsels. Dies kann der erste Nehmer, oder der letzte Indossatar sein; aber auch der Indossant oder Aussteller, wenn er durch Zahlung der Regresssumme in den Besitz des Wechsels gekommen ist. Ja es kann der Aussteller auch unmittelbar gegen den Acceptanten auftreten, wenn er den Wechsel an sich selbst ausstellte, oder auch wenn der Bezogene ein Blanco-Accept gab, da der Aussteller in diesem Falle seinen Namen an die Stelle des Nehmers setzen kann. D. W. O. Art. 23. Im Französ. Code de comm. Art. 121 ist die Verpflichtung des Acceptanten gegen den Aussteller nicht ausdrücklich ausgesprochen, sie wird jedoch von der Jurisprudenz als vorhanden angenommen, insoweit als der Aussteller den Wechsel in seinem Besitze hat. Bravard III. p. 272.
Das einmal gegebene Accept ist unwiderruflich, es kann von dem Acceptanten nicht wieder zurückgenommen werden. Die Acceptation ist aber nicht schon erfolgt mit dem blossen Niederschreiben derselben, sondern erst mit der Auslieferung des acceptirten Wechsels an den Inhaber. Gesetzt, Jemand hätte sein Accept auf den Wechsel gesetzt, aber nachher dasselbe bereut und durchstrichen, so gilt die Acceptation als überhaupt nicht erfolgt. Ja es wird sogar in der Regel dem Bezogenen eine gewisse Frist, meist von einem Tage, gelassen, um sich die Annahme oder deren Ablehnung zu überlegen. So ist es auch in England. Smith, merc. law p. 232. Bravard III. p. 256 Note. Borchardt, Zus. 169. Das Accept kann, wenn ausgegeben, zwar nicht einseitig, aber durch Uebereinkunft gestrichen werden, wenn nämlich der Inhaber Seine Zustimmung dazu gibt. Nur hat dies die Wirkung für den Inhaber, dass er seinen Regress auf Sicherstellung gegen den Aussteller und den Indossanten verliert, da er deren Lage durch seinen Verzicht nicht schlechter machen kann. Borchardt, Zus. 169 b.
Auf das Wechselaccept findet ferner das allgemeine Princip des Art. 767 Anwendung, dass es wie jeder andere Wechselinhalt unmittelbar durch seine Existenz verpflichtet, und der Regel nach nicht mehr angefochten werden kann, aus solchen Gründen, mit welchen man im ordentlichen Rechtsverkehr Verpflichtungen anfechten kann. Insbesondere wäre die Anfechtung wegen nicht erhaltener Gegenleistung oder Deckung unstatthaft, ausgenommen etwa gegenüber dem Deckungspflichtigen selbst; auch könnte sich der Acceptant nicht etwa auf den inzwischen erfolgten Bankerott des Deckungspflichtigen berufen, der für ihn den Verlust der Deckung bewirken würde. Code de comm. Art. 121. Ebenso ist die Anfechtung wegen Irrthums ausgeschlossen. Der Entwurf lässt die Anfechtung nur aus zwei Gründen zu, wegen Betruges und wegen Zwanges, in Uebereinstimmung mit dem Französichen Recht (Bravard III. p. 257. 258), da der gute Glaube auch im Wechselverkehr aufrecht erhalten werden muss und physischer Zwang gegen eine Person niemals deren rechtliche Verantwortlichkeit begründen kann. Indessen sind auch diese Einreden nur zulässig gegen denjenigen, welcher selbst den Betrug oder Zwang verübt hat, oder wissentlich davon Gebrauch machen will nach Analogie der Einrede wegen Fälschung (Art. 770), obgleich sonst nach gemeinem Deutschen und nach Französischem Rechte die Einrede des Zwanges und der Drohung gegen Jedermann geht, der einen Vortheil daraus geltend machen will, oder wie man zu sagen pflegt, nicht in personam, sondern in rem ist. Puchta, Pandekten § 385. Code civil Art. 1111.
Dagegen wäre die Acceptation unzweifelhaft anfechtbar wegen mangelnder Wechselfähigkeit des Acceptanten auf Grund des Art. 762. Da ein Unfähiger sich überhaupt nicht verpflichten kann, so folgt von selbst, dass diese Einrede gegenüber Jedermann vorgebracht werden kann. Gesetzt, das Accept war nicht datirt und der Acceptant würde behaupten, dass er zur Zeit der Annahme wechselunfähig war, so müsste letzteres vom Acceptanten bewiesen werden, mithin auch die Zeit der erfolgten Annahme. Borchardt, p. 166.
Art. 798. Die einfachste Art der Annahme liegt darin, dass der Bezogene die Erklärung des Accepts auf den Wechsel setzt und unterzeichnet. Das Wort „ angenommen ” ist nicht absolut wesentlich, es genügt auch ein anderer gleichbedeutender Ausdruck, z. B. anerkannt, zahlbar. Dagegen sind die Worte „ gesehen ” oder „ erhalten ” nicht als unzweifelhafte Annahmeerklärung anzusehen. Andererseits soll die blosse Unterschrifdes Bezogenen auf dem Wechsel als Accept gelten. Deutsche W. O. Art. 21. Nach dem Code de comm Art. 122 muss das Wort „acceptirt” auf den Wechsel gesetzt werden; allein dies wird von der Jurisprudenz so interpretirt, dass die blosse Unterschrift Seitens des Acceptanten genügt, indem das Wort „acceptirt” von jedem Anderen sodann auf den Wechsel gesetzt werden kann. Dies ist zwar eine gezwungene Auslegung, aber sie entspricht der Natur der Sache und den Bedürfnissen des Verkehres. Denn die Rolle des Bezogenen ist durch den Wechselbrief von selbst bestimmt, es bedarf nichts weiter als seiner förmlichen Uebernahme der Verpflichtung. Hiefür muss die reine Unterschrift genügen, da in derselben nur ein Beitritt zur Wechselverpflichtung liegen kann, und keinesfalls eine Ablehnung oder Beschränkung derselben. Die blosse Unterschrift ist mithin von selbst eine genügende Erklärung, so dass sie nicht mehr wohl als ein noch der Ausfüllung bedürfendes Blanket angesehen werden kann. Die gleiche Regel herrscht in England. Bravard III. p. 231. 232. Smith, merc. law. p. 231. 19 und 20 Vict. c. 97. s. 6. 41 und 42 Vict. c. 13. (Gesetz vom 16. April 1878). Früher wurde bereits ausgeführt, dass ein Accept auch in blanco gegeben werden kann, d. h. auf einem noch nicht vollständig ausgefüllten Wechsel, ja sogar auf einem leeren Blatt oder Wechselformular, wenn nur die Absicht einer Accepterklärung bestand. Das Accept muss nicht nothwendig, es kann aber datirt werden, ausgenommen im Falle des Art. 796 ; in dieser Beziehung unterscheidet sich das Accept sehr wesentlich sowohl von der Ausstellung als von der Indossirung, da es in keiner Beziehung zur Begründung oder Sicherung wechselrechtlicher Folgen der Datirung bedarf. Das Accept verpflichtet nur zur Zahlung am Verfalltage, der auf dem Wechsel bereits erkennbar sein muss, die Zeit der Acceptation ist unwesentlich, da sie auch ganz unterbleiben kann. Uebrigens ist die eigenhändige Unterschrift zur Gültigkeit des Accepts nicht erforderlich.
Das Accept ist nicht verpflichtend, wenn es in anderer Weise gegeben wird, d. h. entweder mündlich oder mittelst einer anderen schriftlichen Erklärung ausserhalb des Wechsels, entweder per Correspondenz oder mittelst Ausstellung einer besonderen Urkunde. Jede solche andere Erklärung der Annahme wäre zwar nicht an sich wirkungslos, aber es hätte nur die Kraft eines gewöhnlichen Versprechens, welches nicht wechselrechtlich verfolgt werden könnte. Dies wird in allen Gesetzgebungen anerkannt, auch in der Französischen Jurisprudenz, obwohl der Code de comm. Art. 122 darüber einigen Zweifel zu lassen scheint. Bravard III. p. 239.
Das Accept hat äusser der unmittelbaren Wirkung der Verpflichtung des Acceptanten zur Zahlung noch eine andere mittelbare, nämlich die einer Vermuthung der empfangenen Deckung gegen den Acceptanten, und es soll diese Wirkung nicht blos der förmlichen Acceptation, sondern auch der unförmlichen zukommen, die sonst wechselmässig nicht verpflichtet, sie müsste denn ausdrücklich unter der Bedingung des Empfanges der Deckung oder unter einer anderen Einschränkung gegeben sein. Diese Vermuthung, welche sich auch im Französischen Rechte findet (Code de comm. Art. 117), kann jedoch erst später im Zusammenhänge besprochen werden (Art. 866). Sie wurde hier nur vorläufig im Bezug auf die unvollständige Annahmeerklärung ausgesprochen, um deren rechtliche Wirkung nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Bravard III. p. 273.
In der älteren Jurisprudenz war die Annahmeerklärung auf dem Wechsel kein förmliches Requisit, vielmehr liess man jede Art der Annahme, mündlich oder schriftlich, gelten. Smith, merc. law p. 230. Nachdem man nun in dieser Hinsicht in neuerer Zeit strenger geworden ist, fragt es sich, ob der unförmlichen Annahmeerklärung, welche ausserhalb des Wechselrechts vollkommen verpflichtend sein würde, gar keine rechtliche Wirkung verbleiben kann. Unzweifelhaft kann man darin wenigstens eine indirecte Anerkennung der Verpflichtung zur Honorirung des Wechsels erkennen, da Niemand ohne Vorbehalt diese Verpflichtung übernehmen wird, wenn er nicht wirklich verpflichtet ist, durch ein Schuldverhältniss, durch Crediteröffnung oder sonstwie. Diese Erklärung der Annahme, selbst der unförmlichen, entspricht der Handelspraxis und dem guten Glauben. Allerdings kann diese Vermuthung, denn mehr kann sie nicht sein, im einzelnen Falle unbegründet sein, denn man kann wohl einmal die Acceptation versprechen, ohne vorherige Deckung erhalten zu haben. Der Regel nach aber kann man die Vermuthung als zutreffend betrachten, und der Gegenbeweis würde dann dem Acceptanten zur Last fallen.
Verschieden von dem unförmlichen Accept ist die unförmliche Anerkennung eines förmlichen, jedoch unächten Acceptes. Gesetzt, Jemand erklärt, mündlich oder schriftlich, auf Befragen, dass seine Unterschrift ächt sei oder eine ähnliche Anerkennung des Accepts, so entsteht die Frage, ob diese Erklärung oder Anerkennung, da sie irrthümlich erfolgte, später wiederrufen werden könne oder bindend sei. Es wurde bereits oben gezeigt, dass das einmal gegebene Accept später wegen Irrthums nicht mehr angefochten werden kann; doch bezog sich dies nur auf ein ächtes Accept. Ein unächtes Accept dagegen ist von Anfang an nicht bindend, und es möchte scheinen, dass es durch eine irrthümliche Erklärung des Betreffenden ausserhalb des Wechsels nicht bindend gemacht werden kann. Indessen handelt es sich hier nicht sowohl um die bindende Kraft des Acceptes, als vielmehr darum, wer den durch den Irrthum verursachten Schaden zu tragen habe. Dies kann offenbar nur derjenige sein, welcher die irrthümliche Erklärung abgab, da der andere Theil durch sein Befragen seiner Seits alles gethan hat, um den Nachtheil einer Fälschung von sich abzuwenden, während derjenige, welcher den Irrthum beging, es an der erforderlichen Sorgfalt (Art. 334) fehlen liess. So ist diese Frage auch von Deutschen Gerichtshöfen entschieden worden. Borchardt, Zus. 256. Die Erklärung könnte daher höchstens dann widerrufen werden, wenn der Irrthum ein durchaus entschuldbarer war,
Art. 799. Der Bezogene kann die Annahme ausdrücklich und ohne weiteres verweigern; einer solchen Verweigerung steht gleich die Abgabe einer unförmlichen Annahmeerklärung, da diese ihn nicht wechselmässig verpflichten würde. Es werden nun aber in dem gegenwärtigen Artikel noch die übrigen Fälle aufgeführt, die einer Verweigerung der Annahme gleich zu achten sind. Einmal nämlich, wenn der Bezogene seine Erklärung ungebührlich verzögert; häufig, so im Französ. Code de comm. Art. 125, wird dem Bezogenen desfalls eine 24stündige Frist zur Ueberlegung gewährt, es erscheint jedoch einfacher und jedenfalls genügend, die Frist für den ganzen Zeitraum des Tages, an welchem die Annahme begehrt wird, zu bemessen. Sodann wenn die Annahme zwar erfolgt, aber nicht auf die volle Verpflichtung, wie sie im Wechsel ausgedrückt ist, nämlich unter einer Bedingung oder unter einer anderen Einschränkung, z. B. der Zeit oder dem Orte nach. Darin würde eine Abänderung der Wechselschuld liegen, welcher der Inhaber sich nicht zu unterwerfen braucht. Er kann dies allerdings thun, wenn er will, nur verliert er dann den Regress gegen den Aussteller und die Indossanten; will er aber nicht, so ist für ihn der Wechsel vollständig dishonorirt und er kann deshalb Protest erheben. Eine Beschränkung des Accepts liegt nicht vor, wenn der Bezogene acceptirt unter Benennung einer anderen Person, welche an demselben Orte zahlen wird; denn der Acceptant kann zwar keinen verschiedenen Zahlungsort bestimmen, überhaupt keinen Domicilwechsel ausstellen, er kann aber ohne Zweifel sich verpflichten, durch eine andere Person zahlen zu wollen. Dies ist daher ein reines Accept. Dagegen wäre es eine Einschränkung des Accepts, wenn dasselbe mit dem Zusatze „ nicht an Ordre ” gegeben würde, weil es die Rechte des Inhabers aus dem Wechsel verkürzt. Dies sollte man consequentermassen auch annehmen, wenn die Acceptation nur für einen Theil der Wechselsumme erfolgt, und nicht für den ganzen Betrag derselben. Allein in diesem Punkte wird eine Ausnahme gemacht, indem die Verweigerung des Accepts nur für den nicht acceptirten Betrag angenommen werden soll. D. W. O. Art. 22. Code de comm. Art. 124. Der Entwurf ist diesen Gesetzgebungen gefolgt, obgleich es nach Englischem Rechte anders zu sein scheint. Smith, merc. law. p. 232. Allein der Inhaber ist auch verpflichtet, selbst eine Theilzahlung anzunehmen, und obwohl dies den allgemeinen Grundsätzen (Art. 354) widerspricht, ist es doch als geltendes Wechselrecht anzuerkennen.
Mag nun der Bezogene auch nur beschränkt acceptiren, so bleibt er doch durch sein Accept verpflichtet, auch wenn der Inhaber sich nicht damit zufrieden gibt, sondern Protest erhebt. D. W. O. Art. 22. Bravard III. p. 227. Er kann also, wenn er von dem Aussteller keine Befriedigung erhält, sich an den Acceptanten auf Grund des Accepts halten, und es kann der Aussteller, wenn er den Inhaber befriedigt hat, den Acceptanten gleichfalls aus dem Accepte belangen.
Art. 800. Wenn die Annahme des Wechsels von dem Bezogenen verweigert oder als verweigert anzusehen ist, steht es dem Inhaber frei, auf die Zahlung bis zur Verfallzeit zu warten. Da aber diese Zahlung bei verweigertem Accept unsicher geworden ist, kann er von den übrigen Wechselverpflichteten Sicherheit verlangen. Zu, diesem Ende muss er am nächst folgenden Tage Protest erheben und denselben denjenigen notificiren, die er für Sicherheit angeben will. Wird die Sicherheit im gütlichen Wege verweigert, so kann Klage darauf erhoben werden. Das gleiche Recht hat jeder Indossant gegenüber seinen Vormännern bis hinauf zum Aussteller. Es bedarf hiezu nur der Vorlage des Protestes, nicht auch des Wechsels, da dieser dem Inhaber zur Erhebung der eventuellen späteren Zahlung verbleiben muss. Die Sicherheit muss durch Caution, Pfand oder Bürgen auf den protestirten Betrag mit Einschluss der durch die Nichtannahme verursachten Kosten geleistet werden. D. W. O. Art. 25. 26. Code de comm. Art. 120. Nach Englischem Rechte ist Protesterhebung nur bei ausländischen Wechseln erforderlich, und der Protest muss der Notification nicht beigefügt werden; auch kann der Inhaber die unmittelbare Zahlung der Wechselsumme nebst Kosten verlangen. Smith, merc, law. p. 245 ff. Levi, internat. merc. law. I. p. 409. Da indessen der Wechsel zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfallen ist, so erscheint es angemessener, das Recht des Inhabers auf Sicherheitsleistung zu beschränken ; und es genügt, wie auch nach Französischem und Deutschem Recht (Code de comm. Art. 120. D. W. O. Art. 25), dass dem Regresspflichtigen die Freiheit gelassen wird, statt der Sicherheitsleistung sofort die Zahlung oder Deponirung der Wechselsumme selbst vorzuziehen. Bravard III. p. 280.
Jeder Indossant kann von seinen Vormännern und dem Aussteller gleichfalls Sicherheit verlangen, und zwar ohne dass er selbst bereits Sicherheit bestellt zu haben braucht. D. W. O. Art. 26. Denn es handelt sich hier noch nicht um die Zahlung der Wechselnder Regresssumme selbst, und jeder Indossant steht in Gefahr, dass er, wenn nach Verfall die Zahlung durch den Bezogenen unterbleibt, von dem Inhaber oder einem Indossanten zur Zahlung der Regress-summe angehalten wird. Um für diesen Fall sich seinerseits Sicherheit für seinen Regress zu verschaffen, kann er schon in diesem Stadium den Securitätsprotest geltend machen.
Wenn der Inhaber oder ein Indossant seinen Anspruch auf Sicherheit gegen mehrere Regresspflichtige geltend macht, so ist zu bemerken, dass trotzdem ihm nicht öfter wie einmal Sicherheit geleistet zu werden braucht; denn wie später (Art. 870) gesagt ist, haften die Regresspflichtigen solidarisch für die Annahme, jede solidarische Verbindlichkeit braucht aber nur einmal erfüllt zu werden, und durch die einmalige Leistung werden alle übrigen solidarisch Verpflichteten von selbst frei. Code civil Art. 1200. Puchta, Pand. § 233. Dies gilt jedoch nur in Bezug auf denjenigen, welchem eine bestimmte Sicherheit geleistet wurde, nicht auf andere, welche gleichfalls Sicherheit zu verlangen berechtigt sind. Wenn z. B. der Wechselinhaber von dem Aussteller Sicherheit erhalten hat, so kann er nicht wiederholt Sicherheit verlangen von den Indossanten A, B oder C. Jedoch kann der Indossant C gleichfalls Sicherheit von dem Aussteller verlangen und dieser kann sich nicht etwa diesem Verlangen entziehen mit Berufung darauf, dass er bereits dem Inhaber Sicherheit leistete. Dies ist im Französ. Code de comm. Art. 120 ausdrücklich ausgesprochen mit den Worten: la caution, soit du tireur, soit de l'endosseur, n'est solidaire qu'avec celui qu'elle a cautionné; anders in der Deutschen W. O. Art. 27. Jedoch fällt die Verpflichtung Sicherheit zu leisten weg, wenn Zahlung geleistet wurde, denn die Zahlungseinrede ist nicht nur allen Verpflichteten aus dem Wechsel gemeinsam, sie kann auch gegen jeden Berechtigten erhoben werden. Hat der Wechselinhaber Zahlung erhalten, so kann er nicht mehr Sicherheit fordern, und ebenso ist dann jedem Indossanten der Anlass hiezu entzogen, da er nicht mehr in den Fall kommen konnte, sich für die eventuelle Leistung der Regresssumme im voraus zu sichern.
Weder nach Französischem noch nach Deutschem Rechte ist die Erhebung des Protestes oder die Notification desselben an den Aussteller und die Indossanten überhaupt oder binnen einer bestimmten Frist vorgeschrieben, da der Inhaber es in seiner Wahl hat, die Annahme zu verlangen oder nicht, und folglich durch Unterlassung des Protestes und der Notification nicht schlechter gestellt werden kann, als wenn er gar nicht zur Annahme präsentirt hätte. Dies ist jedoch nicht als ganz zutreffend anzusehen. Denn man wird die Präsentation zur Annahme unterlassen, wenn man über die spätere Zahlung kein Bedenken hegt; man wird die Annahme zu erlangen suchen, wenn man in die Zahlungsfähigkeit oder Zahlungswilligkeit des Bezogenen Zweifel setzt. Wird nun die Annahme verweigert, so ist der Wechsel in Gefahr und alle Betheiligten sind dabei interessirt, so schnell als möglich davon Nachricht zu erhalten, um die nöthigen Sicherheitsmassregeln ergreifen zu können. Das Englische Recht schreibt daher dem Regresssuehenden vor, ohne jeden Verzug die Notification an die Vormänner zu machen, und diese Vorschrift ist im Entwurfe adoptirt worden. Wird diese Notification nicht oder verspätet gemacht, so ist der Regress verloren, und zwar nicht blos der Regress Mangels Annahme, sondern auch der spätere Regress Mangels Zahlung, überhaupt jeder Regressanspruch. Dies ist nicht der Französischen oder Deutschen Gesetzgebung gemäss, wohl aber der Englischen, welche in dieser Beziehung eine consequentere und heilsamere Strenge bewährt Die ersteren beruhen auf der Erwägung, dass da der Wechselinhaber nicht zur Präsentation zur Annahme oder Protestirung verpflichtet ist; er aus der Unterlassung der Notification auch keine Nachtheile haben kann, sondern nur den Vortheil der Sicherheit verliert. Allein ein dishonorirter Wechsel ist nicht gleich einem nicht präsentirten ; durch die Verweigerung der Annahme ist die Wahrscheinlichkeit der späteren Nichtzahlung eingetreten, und jeder Betheiligte hat ein Recht darauf, dass er durch unverzügliche Mittheilung in den Stand gesetzt werde, gegen den ihm dadurch drohenden Verlust Vorkehrung zu treffen. Der Indossant oder Aussteller, dem von der Dishonorirung des Wechsels durch verweigerte Annahme keine Notification zuging, könnte auf den späteren Regress Mangels Zahlung mit Recht erwidern, dass er zu dieser Regresszahlung nicht mehr verpflichtet sein könne, da durch die Unterlassung der Notification wegen verweigerter Annahme — notice of dishonor — ihm die Möglichkeit genommen wurde, sich seiner Seits wegen des ihm zustehenden Regresses Sicherheit zu verschaffen. Wollte der Regredient darauf entgegnen, dass es sich früher nur um Sicherheit, nicht um Zahlung handelte und es ihm freistand, auf Sicherheit zu verzichten, so würde hierauf zu antworten sein, dass er nur für sich, nicht aber für Andere auf Sicherheit verzichten konnte. Uebrigens ist nicht nöthig, dass jeder Regredient persönlich die Notification besorgt, sondern es soll die Notification eines Betheiligten allen seinen Nachmännern zu Gute kommen, mithin jeder Nachmann sich auf die von einem seiner Vormänner geschehene Notification berufen können; insoferne wird auch das durch Notification entstehende Recht activ als ein solidarisches behandelt. Es ist jedoch, um etwaige spätere Einwendungen zu vermeiden, rathsam, den Protest möglichst Vielen zu notificiren, gegen die man überhaupt Regress zu erheben gedenkt, da man nicht wissen kann, ob ein Vormann denjenigen notificiren wird, denen man nicht selbst notificirte.
Man kann nun noch die Frage erheben, ob die Protesterhebung überhaupt nothwendig und ob nicht das einfachere und weniger kostspieligere Englische System der blossen Notificirung wenigstens bei Inland-Wechseln, vorzuziehen und hinreichend sei. Der Protest ist ein förmlicher Beglaubigungsact, der in der Regel von öffentlichen und rechtskundigen Beamten vorgenommen wird (Art. 851). Er erlangt dadurch öffentliche Glaubwürdigkeit und gewährt die Garantie, dass nicht nur alle nothwendigen Formen, sondern auch alle einschlagenden Rechtsvorschriften sicher und genau beobachtet werden. Dies ist für Wechsel, die man im Ausland zu verfolgen hat, von unerlässlicher Wichtigkeit; es ist aber auch für das Inland von überwiegendem Nutzen, so dass die Kosten und Umstände der Protesterhebung daneben nicht in Betracht kommen. Die Honorirung von Wechseln ist so sehr eine absolute Nothwendigkeit, ja eine Ehrensache namentlich für den Kaufmann, dass sie abgesehen von einzelnen wenigen, wirklich begründeten Streitfällen, fast nur im Falle der Unmöglichkeit unterbleibt. Zahlungsunfähigkeit und Bankerotterklärung ist die regelmässige Folge jeder Dishonorirung eines Wechsels, daher ist sie geradezu eine Existenzfrage für den Kaufmann und folglich mit der grössten Sorgfalt und Genauigkeit zu behandeln, um so mehr als an die Insolvenz einer Partei meist die Anderer sich anschliesst. Die Nachricht von der Dishonorirung eines Wechsels muss immer den Credit einer oder mehrerer Firmen erschüttern und sollte nicht durch blosse private Mittheilung in die Welt hinaus gesandt werden dürfen. Daher erscheint das System der Protesterhebung in allen Fällen vorzuziehen, obgleich zuweilen, wie z. B. in Belgien durch Gesetz vom 28. März 1870 (Zeitschrift für H. R. Bd. 17 p. 519), untergewissen Bedingungen die einfache Erklärung der Parteien dem Proteste gleichgestellt wurde.
Art. 801. Diese Bestimmung findet sich auch im Code de comm. Art. 120 und in der D. W. O. Art. 25, nur dass in der letzteren nicht schon die Zahlung, sondern nur die Deponirung der Regresssumme gestattet wird. Dies ist jedoch eine überflüssige Genauigkeit, darauf beruhend, dass der Wechselinhaber nicht verpflichtet ist, Zahlung vor der Verfallzeit anzunehmen. Letzteres ist zwar im allgemeinen richtig (Art. 385), allein gerade bei Wechselzahlungen empfiehlt es sich, davon eine Ausnahme zu gestatten, weil sie ohnehin mit schwereren Folgen für den Schuldner verbunden sind und weil den Regresspflichtigen dadurch die oft ziemlich beträchtlichen Kosten der weiteren Protestirung etc. erspart werden. Die Deponirung kann bei Gericht oder bei einer Bank erfolgen, die hinlängliche Sicherheit bietet, mithin nicht bei Privaten; es müsste denn einer Bank die Annahme von Depositen gesetzlich untersagt sein, was nicht leicht vorkommen wird. Diese Deponirung wird dann am Platze sein, wenn etwa begründete Einwendung gegen den Anspruch des Wechselinhabers vorliegen, die erst gerichtlich erledigt sein müssen, es kann daher unter Umständen von Werth sein, dem Regresspflichtigen ausser der effectiven Zahlung auch das Recht der Deponirung einzuräumen.
Wenn der Wechselinhaber rechtzeitig Protest erhoben und notificirt und daraufhin Sicherheit erlangt hat, so nützt dieselbe auch seinen Nachmännern, da diese gegen ihn selbst Regress erheben könnten; er kann mithin auch den Wechsel weiter indossiren und es geht der Anspruch auf die geleistete Sicherheit mit dem Wechsel auf jeden späteren Indossatar über. Denn die Sicherheit dient nicht blos der Person desjenigen, der sie speciell erhielt, sie bildet eine Pertinenz des Eigenthums am Wechsel.
Art. 802. Die Bestimmung dieses Artikels rechtfertigt sich dadurch, dass der Anspruch auf Sicherheit erlischt, wenn die Forderung, die dadurch gesichert werden soll, erloschen ist. Ueberdies können dem Gläubiger rücksichtlich der Sicherheit dieselben Einreden opponirt werden, wie rücksichtlich der Hauptschuld. Code civil Art. 2036. Hat daher der Wechselinhaber sein Recht aus dem Wechsel durch Verjährung oder durch Versäumniss des Protestes Mangels Zahlung und der Notification desselben (Art. 842) verloren, so kann er auch den Anspruch in Betreff der geleisteten Sicherheit nicht mehr geltend machen.
Es ist gleichgültig, von wem die Zahlung der Wechselsumme oder der Regresssumme erfolgt ist, es muss dies nicht durch denjenigen geschehen, der die Sicherheit bestellte; denn da die Haftung aller Wechsel verpflichteten eine solidarische ist, so werden durch Zahlung eines Verpflichteten alle übrigen Mitverpflichteten befreit.
Ebenso versteht es sich von selbst, dass die nachträgliche Annahme des Bezogenen die weitere Verpflichtung zur Sicherheitsbestellung aufhebt, da wenn anfangs die Annahme erfolgt wäre, überhaupt keine Sicherheit hätte gefordert werden können. Denn ein bestimmter Zeitpunkt der Annahme ist für deren Gültigkeit nicht erforderlich, wenn sie nur vor der Verfallzeit erfolgt. Es kann sein, dass der Bezogene die Annahme verweigerte, da er keine Deckung erhalten hatte, und sie nun nachträglich erhält. Dies wird für den Aussteller oder die Indossanten meist vortheilhafter sein, als Sicherheit zu leisten. Auch der Wechselinhaber verliert dadurch nichts, weil ihm nun der Bezogene als Sicherheit dient. Sollte dieser aber unsicher sein, so stehen dem Wechselinhaber ohnehin nach Art. 840 besondere Ansprüche zu.
In der Deutschen W. O. Art. 28 findet sich noch die weitere Bestimmung, dass die Sicherheit auch zurückzugeben ist, wenn die Wechselklage binnen Jahresfrist von dem Verfalltage an nicht erhoben wird. Darin liegt die Anordnung einer speciellen Verjährungsfrist für den hier vorliegenden Fall, für welche weiter nichts spricht, als dass ausserdem die Sicherheit zu lange in der Schwebe bleiben müsste. Diese Erwägung dürfte aber nicht hinreichen, um gerade hier ein Abgehen von der allgemeinen Verjährungsfrist zu motiviren.
Art. 803. Diese Bestimmung correspondirt mit der analogen Bestimmung des Art. 849, ist jedoch hier etwas anders gefasst, da im Zeitpunkt der Annahme der Wechsel noch nicht verfallen ist, mithin unbeschränkt weiter indossirt werden kann. Wer den derzeitigen Wechselinhaber durch Zahlung befriedigt hat, kann unter allen Umständen die Auslieferung des Wechsels verlangen, da die Wechselzahlungen stets nur gegen den Wechsel geleistet werden. Dies kann dem Zahlenden zuweilen genügen, um seinen Recurs gegen seine Vormänner zu verfolgen. Er kann jedoch Gründe haben, lieber die Stellung eines einfachen Wechselinhabers zu erlangen, um die Rechte eines solchen gegen den Bezogenen bei Verfall geltend machen zu können, für den Fall dass derselbe vielleicht später bezahlen sollte Wer auf diese Weise Wechseleigenthümer geworden ist, figurirt mit seinem Namen zweimal auf dem Wechsel, und er kann sodann alle dazwischen liegenden Indossamente ausstreichen, und sich auf diese Weise von den Ansprüchen seiner früheren Nachmänner befreien.
Man kann hiegegen nicht etwa einwenden, dass ein einmal bezahlter Wechsel erledigt ist und nicht wiederholt indossirt und bezahlt werden kann; denn so lange der Wechsel nicht förmlich quittirt ist, gilt er als unbezahlt. Es ist dies ein Mittel, um von neuem die Rechte eines Wechselinhabers zu erlangen und in die Regressrechte des Austretenden einzutreten, nachdem man vielleicht seine eigenen durch Versäumung der Notification verloren hat.
§ 4. Ehrenannahme (Intervention).
Art. 804. Aus den vorhergehenden Erörterungen erhellt, dass der Aussteller eines Wechsels zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist, wenn der Bezogene die Annahme verweigert hat. Es ist nun möglich, dass der Aussteller dies voraussah oder befürchtete, und für diesen Fall eine zweite, sog. Nothadresse (personne au besoin) auf dem Wechsel angab, damit die Annahme durch den Nothadressaten (Recommandatar) erfolge. In diesem Falle muss, ehe der Regress Mangels Annahme verfolgt werden kann, zuerst der Wechsel nebst dem Proteste dem Nothadressaten zur Annahme präsentirt werden. Dies muss ohne Verzug geschehen, also entweder am gleichen Tage oder an dem auf den Protest folgenden Tage. Ein längerer Verzug ist aus gleichen Gründen wie bei dem ersten Adressaten unstatthaft, und würde den Verlust des Regresses gegen den Aussteller zur Folge haben. Der Nothadressat ist gleichsam ein Bürge, den der Aussteller im voraus freiwillig bestellt, ohne erst durch den Regress des Inhabers dazu gezwungen zu werden. Der letztere kann daher die Präsenta tion des Wechsels an den Recommandatar nicht nach seinem Belieben unterlassen; würde er dies dennoch thun, so hätte dies für ihn dieselben Folgen, als wenn er den Regress auf Sicherstellung unterlassen hätte. Würde jedoch der Recommandatar gleichfalls die Annahme verweigern, so könnte nunmehr der Regress nach Art. 800 verfolgt werden, weil dann die freiwillige Sicherstellung unwirksam geblieben wäre. D. W. O. Art. 56. Die Nothadresse kann von jedem Regresspflichtigen, mithin sowohl von dem Aussteller, als von einem Indossanten ausgestellt werden. Thöl, Wechselrecht § 132. Auch im Französ. Code de comm. Art. 173 ist der Indossant von der Ernennung eines Recommandatars nicht ausgeschlossen, und es wird ihm das Recht hiezu von der Jurisprudenz unbedenklich zugestanden. Bravard III. p. 437. Die Bestellung einer Nothadresse durch den Aussteller und durch einen Indossanten hat jedoch den selbstverständlichen Unterschied, dass die Nothadresse eines Indossanten nur ihn und seine Nachmänner von dem Regress auf Sicherstellung befreit, dagegen die des Ausstellers sämmtliche Regresspflichtige, d. h. den Aussteller selbst und alle seine Nachmänner, also sämmtliche Indossanten.
Art. 805. 806. Hat nun der Aussteller oder ein Indossant keine Nothadresse benannt, so ist es ein herkömmlicher Grundsatz, dass jeder Dritte freiwillig sich erbieten kann, durch Acceptation des Wechsels dessen Ehre, d. h. die Ehre und den Credit der Regresspflichtigen aufrecht zu erhalten. Dritte Personen können jedoch nur dann interveniren, wenn sie am Zahlungsort ihr Domicil haben und nicht bereits anderweitig Wechselschuldner sind; mithin sind der Aussteller und die Indossanten, sowie der Acceptant, oder Avalist von der Intervention ausgeschlossen. Dagegen kann der Bezogene, nachdem er das Accept verweigert hat, gleichwohl noch interveniren, sowohl zu Ehren eines Indossanten, um sich gegen diesen einen wirksameren Anspruch zu verschaffen, als auch zu Ehren des Ausstellers selbst, um sich von dem Nachtheile einer Vermuthung der erhaltenen Deckung zu befreien (Art. 866). Die Intervention zu Ehren eines Wechselschuldners bedeutet, dass dieser und seine Nachmänner dadurch von dem Anspruch des Inhabers auf Sicherheit befreit sein sollen, indem der Intervenient dafür eintritt. Es ist also die freiwillige Sicherheitsleistung von Seiten einer dritten Person, an Stelle der aus dem Wechsel Verpflichteten. Da der Intervenient freiwillig eintritt, ohne den Auftrag eines bestimmten Wechselschuldners, steht es ihm auch völlig frei, den oder die Honoraten zu bezeichnen.
Indessen wird allgemein die Beschränkung gezogen, dass unter mehreren Intervenienten, die sich concurrirend melden, derjenige den Vorzug haben soll, durch dessen Intervention die meisten Verpflichteten befreit werden, d. h. zunächst der Aussteller und die der Reihe nach auf diesen folgenden Indossanten, von denen jeder folgende immer weniger Nachmänner hat. D. W. O. Art. 56. 59. Im Code de comm. ist dieser Punkt nicht ausdrücklich erwähnt, er wird jedoch von der Jurisprudenz nach Analogie der Ehrenzahlung (Art. 159) gleichfalls so entschieden; der Intervenient muss daher immer erklären und es muss im Accept und im Protest speciell erwähnt werden, für wen die Intervention stattfindet. Bravard III. p. 298 Note.
Es entsteht nun die weitere Frage, ob der Wechselinhaber sich die Intervention einer beliebigen dritten, vielleicht zahlungsunfähigen Person gefallen lassen muss. In diesem Punkte unterscheidet sich die Deutsche von der Französischen Gesetzgebung. In der letzteren ist dem Wechselinhaber das Recht der Zurückweisung eines dritten Intervenienten nicht eingeräumt, er behält jedoch trotzdem, dass eine Ehrenannahme erfolgte, sein Recursrecht ungeschmälert gegen den Aussteller und die Indossanten. Code de comm. Art. 128. Nach der Deutschen W. O. Art. 57. 61 dagegen ist der Inhaber zur Anerkennung einer freiwilligen Intervention nicht verpflichtet, er verliert aber im Falle der Anerkennung sein Recursrecht. Das letztere System, welches auch von der Französischen Jurisprudenz (Bravard III. p. 304 Note) als logischer und den Absichten der Parteien angemessener erklärt wird, ist im Entwurfe angenommen worden. Die Intervention eines unsicheren oder zahlungsunfähigen Intervenienten würde dem Wechselinhaber nichts nützen, sie kann ihm daher auch nicht wohl aufgedrungen werden, da eine solche Sicherheit keinen Werth hätte, und da er auch auf seinen Regress hin keine ungenügende Sicherheit anzunehmen brauchte. Hat er aber den Intervenienten zugelassen, so hat er ihn dadurch als genügende Sicherheit anerkannt, und es kann ihm logischer Weise das Recht einer weiteren Sicherstellung nicht mehr zugestanden werden.
Der Inhaber kann einen freiwilligen Intervenienten nicht blos wegen Unsicherheit zurückweisen, sondern auch wegen Verspätung. Die Intervention ist verspätet, wenn die Notification des Protestes (Art. 800) von dem Inhaber bereits abgeschickt wurde, was spätestens am Tage nach der Protesterhebung geschehen muss. Die Intervention kann daher zwar nicht am Tage der Präsentation, da hier noch kein Protest vorliegt, sondern erst am darauf folgenden Tage der Protesterhebung erklärt werden, an dem zunächst folgenden Tage nur noch solange, als die Notification noch nicht zur Post gegeben ist. Bravard III. p. 294.
Art. 807. Die Intervention ist, wie gezeigt wurde, eine freiwillige Sicherheitsleistung an Stelle derjenigen, welche ausserdem in Folge Recurses des Inhabers bestellt werden müsste. Art. 800. Sie befreit daher die Regresspflichtigen von dieser Sicherheitsbestellung, und dies wird in dem gebräuchlichen Ausdruck „zur Ehre” oder „zum Vortheil” der hiebei benannten Personen zu verstehen gegeben. Der Intervenient hat die freie Wahl derjenigen, zu deren Gunsten er interveniren will, mit der alleinigen in Art. 806 bemerkten Ausnahme. Die Folge ist jedoch die, dass zwar der Inhaber keinen Recurs mehr verfolgen kann, weil er bereits durch die Intervention genügende Sicherheit erhielt. Hinsichtlich der Regresspflichtigen ist aber die Wirkung der Intervention insoferne beschränkt, als nur der Honorat und seine Nachmänner von dem Regressanspruche befreit werden. Ist der Honorat der Aussteller, dann werden alle Regresspflichtigen befreit, weil der Aussteller keine Vormänner hat; ist aber der Honorat ein Indossant, dann bleiben dessen Vormänner regresspflichtig, denn zu deren Vortheil ist die Intervention nicht erfolgt. Daher kann der Honorat und jeder seiner Vormänner bis zum ersten Nehmer ungehindert den Regress verfolgen, da diese Personen auch dem Intervenienten gegenüber aus dem Wechsel haftbar bleiben. Dieser Regress muss nach den in Art. 800 angegebenen Grundsätzen verfolgt werden, und zu diesem Zwecke muss der Intervenient die in Art. 810 bezeichneten Vorschriften erfüllen.
Art. 808. Die Ehrenannahme ist ein Accept wie das des Bezogenen, und verpflichtet den Intervenienten ebenso, wie das Accept den Bezogenen verpflichtet haben würde. Jedoch ist die Verpflichtung des Intervenienten nur eine bedingte oder subsidiäre. Der Bezogene bleibt immer zunächst beauftragt zur Zahlung am Verfalltage; er kann immerhin Zahlung leisten, obgleich er nicht acceptirt hat. Erst wenn sich herausstellt, dass der Bezogene nicht zahlt, kann der Intervenient dazu angehalten werden. Daraus folgt, dass die blosse Thatsache, dass der Bezogene nicht zahlt, noch nicht genügt; sondern es muss auch rechtzeitig die Präsentation zur Zahlung und die Protesterhebung stattgefunden haben, wie sich später (Art. 830) zeigen wird. Es ist also wohl zu beachten, dass der Bezogene durch die Verweigerung des Accepts und durch die Annahme eines Dritten nicht überhaupt aus dem Wechsel verbande austritt, sondern dass eine zweite Person hinzutritt, um die etwaige Lücke der ersten auszufüllen, wenn es nöthig sein sollte. Nur für diesen Nothfall (au besoin) ist die Intervention bestimmt.
Art. 809. Die gleiche Bestimmung findet sich auch im Code de comm. Art. 126 und in der Deutschen W. O. Art. 56. 58. Das Accept des Intervenienten kann nur wechselmässige Wirkung haben, wenn es auf dem Wechsel erklärt ist. Dies ist nothwendig, damit jeder spätere Wechselinhaber davon Kenntniss erhält, und damit der Intervenient aus dem Wechsel in Anspruch genommen werden kann. Die Erwähnung auf dem Protest ist nothwendig, damit der Honorat davon authentische Mittheilung erhalten kann. In beiden Beziehungen muss auch der Honorat erwähnt werden, widrigenfalls der Aussteller als solcher angesehen würde (Art. 806). Die letztere Bestimmung ist auch anzuwenden im Falle einer Nothadresse, obgleich genau genommen hier derjenige, welcher die Nothadresse ausstellte, als Honorat angesehen werden sollte; allein die Person des letzteren ist meist nicht zu erkennen, und es muss dem Nothadressaten, wenn er einen Anderen als seinen Auftraggeber, oder gar keinen Honoraten benannt, überlassen bleiben, sich desshalb mit dem Auftraggeber auseinander zu setzen. Sollte die bezügliche Angabe auf dem Wechsel und auf dem Proteste verschieden sein, so würde in jedem Fall diejenige auf dem Wechsel den Ausschlag geben müssen. Bravard III. p. 298.
Art. 810. Die gleiche Bestimmung findet sich im Code de comm. Art. 127, und in der Deutschen W. O. Art. 58. Die Bestimmung des Französ. Code ist nicht erschöpfend, sie wird aber durch die Jurisprudenz in gleicher Weise ergänzt. Pradier-Fodéré Précis de droit comm. p. 230. Diese Vorschrift entspricht derjenigen des Art. 800. Der Intervenient selbst hat kein Regressrecht, er muss aber den Honoraten ohne Verzug in den Stand setzen, das diesem zustehende Recursrecht auszuüben. Wenn er es unterlässt, kann er zwar kein Recursrecht verlieren, da er keines besitzt, er begeht aber eine Nachlässigkeit, für deren Folgen er haftbar werden würde. Denn der Honorat würde dadurch die Möglichkeit verlieren, sich von seinen Vormännern Sicherheit bestellen zu lassen, er könnte also später in den Fall kommen, die Regresssumme bezahlen zu müssen, ohne seinerseits Sicherheit für deren Ersatz zu haben.
Art. 811. Diese Bestimmung, welche dem Art. 61 der D. W. O. und dem Art. 128 des Französichen Code de commerce entspricht, letzterem jedoch nur theilweise, wurde bereits in den Bemerkungen zu Art. 805 erläutert. Man kann hier die Frage aufwerfen, woran man die Zulassung oder Ablehnung eines Intervenienten durch den Wechselinhaber erkennen wird. Schwerlich wird man dem Intervenienten es verwehren können, sein Interventions-Anerbieten auf dem Protest notiren zu lassen, auch wenn der Inhaber damit nicht einverstanden wäre. Ein stärkeres Kennzeichen läge schon in der Zulassung der Annahmeerklärung auf dem Wechsel, weil der Inhaber ihn zu diesem Zweck mindestens auf einen Augenblick aus den Händen geben müsste. Jedoch können Umstände vorkommen, welche eine solche Schlussfolgerung als unbegründet erscheinen lassen. Ein unzweideutiges Kennzeichen liegt aber jedenfalls in der Auslieferung des Protestes und in der Annahme des Betrages der Protestkosten (Art. 810). Daher wird man sagen müssen, dass unter allen Umständen der Wechselinhaber von dem Regress Mangels Annahme ausgeschlossen ist, wenn er den bezüglichen Protest an den Intervenienten verabfolgt hat.
§ 5. Aval.
Art. 812. Die Zahlung eines Wechsels ist auf verschiedene Weise gesichert. Einmal durch das Accept des Bezogenen, sodann durch die Unterschriften des Ausstellers und der Indossanten, und weiterhin gegebenen Falles durch die Intervention eines Nothadressaten oder einer dritten Person. Alle diese Wechsel verpflichteten nehmen eine besondere Stelle im Wechselverbande ein, und ihre Verpflichtung entspringt nur daraus, dass sie diese Stelle eingenommen haben. Ihrer wechsel mässigen Verpflichtung entspricht eine wechselmässige Berechtigung, der Verpflichtung der Acceptanten und Intervenienten der Anspruch auf Deckung, und der des Ausstellers und der Indossanten das im Wechselverkehr durch Verkauf oder anderweit erlangtei Recht auf die Valuta oder den Gegenwerth des Wechsels, obgleich diese Berechtigungen wegen der formalen Natur des Wechsels nicht absolut, wie im gewöhnlichen Rechtsverkehr, durch Einrede geltend gemacht werden können. Verschieden von diesen Verpflichtungen ist nun diejenige, welche man durch Aval, Wechselbürgschaft, übernehmen kann. Aval bedeutet wörtlich unter (a val, a valle) und man bezeichnet damit eine Unterschrift, welche auf dem Wechsel unter die eines anderen Wechselverpflichteten gesetzt werden kann. Der Wechselbürge, Avalist, steht ausserhalb des regelmässigen Wechselverbandes; er tritt nur von aussen hinzu, um die Verpflichtung eines anderen Wechselschuldners mit zu übernehmen, was dadurch geschieht, dass er seine Unterschrift auf dem Wechsel gibt. Er kann sich für den Acceptanten, Aussteller oder einen Indossanten verbürgen; die Person, mit welcher er sich solidarisch verpflichtet, wird durch den Platz bezeichnet, wo sich seine Unterschrift befindet. D. W. O. Art. 81. Code de comm. Art. 141. Es ist gleichgültig, ob blos die Unterschrift gegeben, oder ob der Zusatz „ als Bürge,” „ per aval ” oder eine ähnliche Formel beigefügt wird. Die blosse Unterschrift ist verpflichtend. Der Avalist ist immer in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen verpflichtet, wie derjenige, dessen Unterschrift er die seinige beigefügt hat; jedoch mit dem Unterschiede, dass seine Verpflichtung freiwillig und rein conventionell ist, während die der übrigen Wechselschuldner von selbst durch ihren Eintritt in den Wechselverband entsteht und nothwendig ist. Ein Aval kann nur von Jemandem gegeben werden, der wechselfähig ist (Art. 762), aber von Keinem, der bereits anderweitig aus dem Wechsel verpflichtet ist.
Es ist nicht absolut nothwendig, dass der Name des Avalisten gerade unter der Unterschrift des anderen Verpflichteten steht; er kann auch darüber oder daneben gesetzt werden, ja auch auf einen anderen Platz, wenn nur der Zweck einer solchen Unterschrift deutlich zu erkennen ist. So z. B. wäre die Unterschrift mit dem Zusatze „angenommen” quer über den Wechsel oder auf der Rückseite desselben als gültiger Aval anzusehen, vorausgesetzt dass der Wechsel das Accept des Bezogenen trägt, denn dies wäre immer noch eine genügende Mitunterzeichnung. Dagegen wäre die alleinige Unterschrift des Avalisten wirkungslos, wenn die Unterschrift des Mitverpflichteten fehlte, wenn z. B. der Wechsel nicht von dem Bezogenen, sondern von einer ganz anderen Person allein acceptirt würde. Dagegen hat man den Aval unter dem ausgestrichenen Accept des Bezogenen für verpflichtend erklärt, weil die Verpflichtung eines Solidarschuldners dadurch nicht aufhört, dass der andere Schuldner befreit wird. Borchardt, Zus. 614. Thöl, Wechselrecht § 146 Note 1. Würde ein auf den Ehemann gezogener Wechsel von der Ehefrau mit deren Namen acceptirt, so wäre gleichfalls weder ein gültiges Accept noch ein gültiger Aval vorhanden.
Diese Frage kann besonders verwickelt werden, wenn es sich um Gesellschaftsverhältnisse handelt. Angenommen, ein Wechsel ist auf den Kaufmann A gezogen, der später mit B eine Handelsgesellschaft eingeht mit der Firma A und Co-., und der Wechsel wird sodann von B acceptirt, indem dieser die Firma A und Co-., zeichnet und seinen Namen darunter setzt, so könnte man sagen, der Wechsel ist nicht gültig acceptirt, weil er nicht auf die Firma A und Co., gezogen war, mithin auch die Unterschrift des B wirkungslos. So ist auch von Deutschen Gerichten entschieden worden. Borchardt, p. 399. Diese Entscheidung ist formell richtig, aber der materiellen Gerechtigkeit und auch den Interessen des Handelsverkehrs zuwider. Daher würde es richtiger sein, die Firma A und Co-. als Rechtsnachfolgerin des A in geschäftlicher Hinsicht aufzufassen, welche dann gleich einem Erben, in die Rechtsverhältnisse des A eingetreten wäre und sich für diesen gültig verpflichten könnte. Die genannte Unterschrift wäre dann zwar kein Aval, wohl aber ein gültiges Accept. Immerhin könnte dann nicht B persönlich, wohl aber die Gesellschaftsfirma A und Co-. aus dem Accepte in Anspruch genommen werden.
Der Avalist haftet, wie der Principal-Schuldner, für den ganzen Betrag, mit Ausschluss der Einreden der Theilung und der Vorklage, und es ist auch die Ungültigkeit der Unterschrift des einen auf die Verpflichtung des anderen nach Art. 763 ohne Einfluss; es wäre daher irrelevant, wenn die Unterschrift des einen gefälscht oder auch erst später hinzugefügt wäre. Es kann auch der Aval in blanco, und für eine künftige Wechselschuld gegeben werden. Bravard III. p. 319. Dies ist namentlich von Bedeutung, wenn der Betrag der Wechselsumme erst später zugefügt würde.
Art. 813. Die Bestimmung dieses Artikels bildet eine Ausnahme von der des vorhergehenden Artikels und von dem sonst das Wechselrecht beherrschenden Princip, dass wechselmässige Verpflichtungen nur auf dem Wechsel übernommen werden können. Sie ist in der Deutschen Gesetzgebung nicht zugelassen, wohl aber in der Französischen und in den meisten übrigen Gesetzgebungen. Code de comm. Art. 142. Holländ. H. G. B. Art. 131. Span. H. G. B. Art. 476. Italien. H. G. B. Art. 227. Diese Ausnahme hat überwiegende Gründe des practischen Nutzens für sich. Einmal vermeidet man gerne den Aval auf dem Wechsel, weil er sonst leicht dem Credit des Principalschuldners schaden könnte, der dadurch als verdächtig und unsicher erscheint. Ferner kann man dann für mehrere Wechsel zugleich und auch für zukünftige Wechsel Garantie übernehmen, was namentlich für Bankiers und Wechselmäkler Bequemlichkeit bietet. Sodann gibt die Form der separaten Garantie bessere Gelegenheit, specielle Beschränkungen oder Bedingungen hinzuzufügen und insbesondere die Garantie auf gewisse Personen zu beschränken, was hier unbedenklich zu gestatten ist (Art. 814). Daher kann der Aval auch durch einfache Correspondenz, jedoch immer nur schriftlich gegeben werden.
Art. 814. Ist der Aval auf dem Wechsel gegeben, so verpflichtet er unbeschränkt, oder beschränkt, je nach seinem Wortlaute, gegenüber jedem Wechselgläubiger. Indessen kann mit gewissen Personen die Verabredung getroffen werden, dass die Verpflichtung nur unter bestimmten Beschränkungen oder Bedingungen gelten sollte, und eine solche Verabredung ist gültig zwischen den betreffenden Parteien. Ist der Aval nur mittelst eines besonderen Actes gegeben, so ist auch hier der Vertrag nur bindend, soweit als er geschlossen wurde, also vor allem nur zwischen denjenigen, die den Vertrag geschlossen haben. Code de comm. Art. 142. Span. H. G. B. 477. Holländ. H. G. B. Art. 132. Italien. H. G. B. Art. 227. Die Einrede besonderer Verabredung zwischen bestimmten Personen ist auch nach der Deutschen W. O. Art. 82 zulässig. Der Avalist kann sich daher vor allem die Einrede der Theilung oder Vorklage bedingen. Bravard III. p. 317.
§ 6. Zahlung.
Art. 815. Die Zahlung der Wechselsumme bildet den letzten Act des Wechselverkehrs, wenigstens im regelmässigen Gange der Dinge. Durch die Zahlung wird der Wechsel werthlos als Creditinstrument und verwandelt sich in ein gewöhnliches Beweisdocument. An und für sich gelten nun über die Wechselzahlung ganz dieselben Grundsätze, wie über die Schuldzahlung überhaupt. Allein der strenge Character der Wechselschuld macht sich namentlich bei der Zahlung bemerklich, die daher mit ganz besonderer Pünktlichkeit und Genauigkeit vorgesehen werden muss, sowohl hinsichtlich des Gegenstandes, als der Zeit, des Ortes und der Personen. Daher finden sich in allen Wechselgesetzen noch detaillirte Bestimmungen über die Wechselzahlung.
Die Wechselschuld unterscheidet sich dadurch von allen anderen Schulden, dass sie nur auf eine bestimmte Geldsumme lauten kann; wo dieses Erforderniss fehlt, ist kein Wechsel und keine wechselmässige Verpflichtung vorhanden (Art. 777). Dies wäre selbst dann anzunehmen, wenn der Wechsel auf eine Masse ungeprägten Goldes oder Silbers in Barren (bullion) lauten sollte. Anders verhält es sich mit Papiergeld und Banknoten, die zum coursirenden Gelde gerechnet werden müssen und in denen mithin ein Wechsel vollgültig bezahlt werden kann.
Was nun die speciellen Bestimmungen des gegenwärtigen Artikels betrifft, so sind dieselben grösstentheils schon in den Bemerkungen zu Art. 777, betreffend die Wechselsumme, erläutert worden. Es liegt ihnen zu Grunde die Unterscheidung zwischen Geldsumme und Geldsorte. Geldsumme ist ein in Geld ausgedrückter Werthbetrag; Geldsorten sind die verschiedenen Arten des Geldes. Das Geld an sich ist daher eine Gattung (Genus) und die Geldsorten alle in dieses Genus gehörenden Species. Allerdings muss jede Geldsumme in einer bestimmten Geldsorte ausgedrückt werden, aber durch diese specielle Geldsorte werden die übrigen in die gleiche Gattung fallenden Species der Regel nach nicht ausgeschlossen. Oft wird aber auch die Geldsumme so ausgedrückt, dass man nicht genau weiss, welche Geldsorte damit bezeichnet ist. Es lautet z. B. ein Wechsel auf 100 Yen. Der Yen kann sein Papier- Silber- oder Gold-Yen; die Summe kann gezahlt werden in 1 Yen-, 5 Yen-, 10 Yen-Stücken u. s. w., in Silber-Yen, Gold-Yen, Mexican. Dollars, Doppel-Yen u. s. w. Diese Beispiele zeigen, dass mit einer Geldsumme stets nur ein gewisser Werth in Geld, dagegen eine unbestimmte Menge verschiedener Geldsorten bezeichnet ist. Der Entwurf nimmt nun zwei Möglichkeiten an: Entweder die Wechselsumme ist zugleich in einer speciellen Geldsumme ausgedrückt, z. B. in Silber-Yen, Gold-Yen, Sovereigns u. dgl., dann ist der Wechsel in diesem Gelde zu bezahlen. Oder die Wechselsumme ist nur in einer generellen Geldsumme ausgedrückt, dann kann der Wechsel in jeder Geldsorte gezahlt werden, die am Zahlungsorte unter Handelsleuten Cours hat. Die specielle Bezeichnung der Geldsorte kann entweder ausdrücklich geschehen, oder sie ist aus den Umständen zu entnehmen. Ersteres geschieht durch einen ausdrücklichen Zusatz, welcher die Annahme einer generellen Bezeichnung ausschliessen soll, z. B. „effectiv,” „in keinem anderen Gelde” (pas autrement) u. dgl. Letzteres namentlich durch die Bezeichnung der Wechselsumme in einer Geldsumme, die am Zahlungsorte keinen gewöhnlichen Cours hat, z. B. bei einem in Japan auf Gold-Yen lautenden Wechsel müsste man jedenfalls annehmen, dass ein solcher Wechsel auch in Gold-Yen, und nicht in Silber oder Papier, zu zahlen ist. Im übrigen kommt es auf die Absicht der Parteien an; jeder Theil kann mithin den Beweis einer speciellen Geldsumme erbringen, soweit diese nicht schon von selbst auf dem Wechsel sich ergibt. Der Entwurf betrachtet nun die specielle Zahlung als Ausnahme, und die generelle Zahlung als Regel. Letztere soll daher vermuthet werden, wenn diese Vermuthung nicht durch den Wechsel ausgeschlossen ist. Uebrigens ist eine fremde Geldsumme oder eine veraltete Währung noch nicht von selbst als specielle Bezeichnung aufzufassen, wenn nicht die Umstände dafür sprechen oder eine ausdrückliche Erklärung dafür vorliegt. Ein in Japan zahlbarer, auf Mark, Franken oder Pfund St. lautender Wechsel kann daher sehr wohl primär in Yen gezahlt werden, so lange nicht der Beweis erbracht ist, dass damit eine specielle Geldsumme bezeichnet werden sollte. Der Grund für die Vermuthung der generellen Bezeichnung liegt darin, dass überhaupt Geldschulden in dem gesetzlich am Platze circulirenden Geld zu entrichten sind und Geld, das man einnimmt, auch wieder ausgegeben wird, wesshalb für beide Theile der Gebrauch des coursirenden Geldes offenbar zunächst liegt und am bequemsten ist.
Die Wechselsumme kann aber nur in dem am Zahlungsorte unter Handelsleuten coursirenden Gelde gezahlt werden. Denn der Wechsel, obgleich sein Gebrauch nicht ausschliesslich auf Handelsleute beschränkt ist, gehört doch zu den Handelsgeschäften und unterliegt den Bestimmungen des Handelsrechts. Regelmässig ist zwar das unter Kaufleuten und Nichtkaufleuten coursirende Geld dasselbe, da jedes Land ein einheitliches Geldsystem haben wird. Allein es können hievon aus gewissen Gründen Abweichungen stattfinden, besonders an Seeplätzen, wo fremdes Geld gleichen Cours mit dem einheimischen oder sogar vorwiegenden Cours haben kann. So z. B. wird in Japan ein auf Yen lautender Wechsel zwischen Japanischen Kaufleuten in Papier, dagegen zwischen Ausländern und Japanern, und zwischen Ausländern allein in Silber zu bezahlen sein, da zwischen Ausländern allein und zwischen Ausländern und Japanern nur der Silbercours angewandt wird. Es bestehen in dieser Beziehung an den meisten Plätzen gewisse Handelsgebräuche, nach welchen die Wechselzahlung sich richtet.
Wenn ein Wechsel auf eine gewisse Geldsumme oder deren Werth lautet, ist dies immer als generelle Bezeichnung aufzufassen.
Die vorstehenden Grundsätze sind in den übrigen Gesetzgebungen in der Hauptsache gleichfalls enthalten, oder es wird die Gesetzgebung in dieser Weise interpretirt. Code de comm. Art. 143. Bravard III. p. 326. D. W. O. Art. 37. Italien. H. G. B. Art. 228. Span. H. G. B. Art. 494. Holländ. H. G. B. Art. 156. Die in manchen Gesetzen vorkommende Bestimmung, dass Wechsel, die auf eine fremde Geldsorte lauten, nach dem jeweiligen Cours in dem Gelde des Zahlungsortes zu zahlen sind, ist jedenfalls nicht buchstäblich zu nehmen, sondern nur mit der Einschränkung, wenn sie als generelle Bezeichnung aufzufassen ist.
Obwohl man häufig den Satz antrifft, dass Wechsel nur in Metallgeld, nicht in Papiergeld oder Banknoten gezahlt werden können, stimmt doch damit weder der Handelsgebrauch noch auch die neuere Gesetzgebung überein. Es gelten vielmehr in dieser Beziehung keine anderen Grundsätze für Wechselzahlung, als für Geldzahlung überhaupt (Commentar zu Art. 371).
Art. 816. Die Zeit und der Ort der Zahlung sind im Wechsel absolut bestimmt und es darf davon nicht abgewichen werden, selbst nicht unter Vereinbarung der beiden Theile, weil die Regresspflichtigen dabei gleichfalls betheiligt sind; durch eine Abweichung von der im Wechsel enthaltenen Bestimmung würde der Regress gegen diese verloren gehen. Nur hiedurch kann die strengste Pünktlichkeit und Sicherheit der Zahlung garantirt werden. Wechselschulden haben nach allgemeiner Uebereinstimmung die Eigenthümlichkeit, dass sie, abweichend von der gewöhnlichen Regel, von dem Gläubiger bei dem Schuldner einzucassiren sind; ersterer hat daher am Verfalltage, nicht früher und nicht später, den Wechsel zur Zahlung dem Bezogenen zu präsentiren und gegen den Wechsel die Zahlung in Empfang zu nehmen. Der Schuldner ist nicht verpflichtet, die Schuldsumme dem Gläubiger zuzusenden. Regelmässig hat der Bezogene die Zahlung zu leisten, und ist mithin diesem der Wechsel zu präsentiren. Ist jedoch ein Domiciliat genannt, so muss die Präsentation zur Zahlung bei diesem erfolgen. Wenn der Bezogene nicht acceptirt hatte, obwohl ihm der Wechsel zur Annahme vorgezeigt wurde, muss an ihn gleichfalls die Präsentation erfolgen, da durch den Mangel der Annahme die Möglichkeit der Zahlung nicht ausgeschlossen ist.
Die Präsentation kann durch den Inhaber selbst oder einen Stellvertreter geschehen, und zwar ebenso wohl dem Bezogenen selbst als dessen Vertreter, Gehülfen etc, wenn er selbt nicht anzutreffen ist. Der Ort ist das Domicil des Bezogenen, also regelmässig dessen Geschäftslocal, jedoch nach Ablauf der Geschäftsstunden auch dessen Wohnung. Die Geschäftsstunden sind als regelmässige Zeit für die Präsentation anzunehmen, doch ist sie ausserhalb derselben nicht ausgeschlossen, namentlich wenn für den Verzug ein vernünftiger Grund vorliegt.
Der Entwurf erwähnt noch besonders die Respecttage und die an einem Orte etwa gebräuchlichen Zahlungstage für Wechsel. Die ersteren werden nicht zugelassen, in Uebereinstimmung mit dem Code de comm. Art. 135 und der D. W. O. Art. 33, auch dem Span. H. G. B. Art. 259. 447, Italien. H. G. B. Art. 221 und anderen. Die Respecttage sind eine Verlängerung der auf dem Wechsel bemerkten Verfallzeit zu Gunsten des Acceptanten oder Ausstellers, oder des Wechselinhabers, oder auch beider Theile; sie beträgt bald 3 Tage, wie in England, bald 8 oder 10 Tage, wie in Russland und anderen Ländern. Jedoch sind in England die Respecttage für die auf Sicht oder Verlangen lautenden Wechsel durch Gesetz vom 14. Aug. 1871 abgeschafft. Sie soll dazu dienen, dass Versäumnisse und Versehen wieder gut gemacht werden können. Gesetzt, der Inhaber hätte die Zahlung am Verfalltag nicht begehrt, so würde es ihm hienach nicht schaden, wenn sie nur noch innerhalb der Respect- oder Gnadenfrist, also 3 oder 10 Tage später, begehrt würde. Durch diese Gnadenfristen wird mithin die Wechselfrist durch das Gesetz verlängert und der strenge Character der Wechselverbindlichkeiten gemildert. Ersteres kann der Absicht und dem Interesse der Parteien zuwider sein, wenn nicht die Frist auf dem Wechsel zugleich mit Rücksicht auf die Respecttage normirt wurde. Letzteres ist im Widerspruch mit den Principien des Wechselrechts und kann unter Umständen zu betrügerischem Bankerott gemissbraucht werden. Daher folgte der Entwurf denjenigen Gesetzgebungen, welche diese Zusatzfrist aufgehoben haben, um so mehr, als solche Fristen wahrscheinlich in diesem Lande bisher nicht bestanden haben.
Anders verhält es sich mit den Zahlungstagen. Dieselben bewirken zwar gleichfalls eine kurze Verlängerung der Zahlungsfrist um wenige Tage, sie sind aber allgemein an jedem Handelsplatze und entspringen ganz anderen Rücksichten, indem sie zur Erleichterung der Cassageschäfte, d. h. der Annahme und Vornahme von Zahlungen dienen. Meist sind zwei oder drei bestimmte Tage per Woche als allgemeine Zahlungstage bestimmt, oder auch ein gewisser Wochentag für die Zahlung kleinerer Wechsel betrage. Die Wirkung hievon ist, dass jeder an einem gewissen Tage fällige Wechsel erst an dem darauf folgenden nächsten Zahl- oder Cassir-Tage präsentirt werden kann und muss. D. W. O. Art. 93. Nur die Wechsel auf Sicht sind im Deutschen Gesetz hievon ausgeschlossen, wozu jedoch kein besonderer Grund vorliegt. Im Code de comm. Art. 135 sind auch die localen Zahltage aufgehoben, womit jedoch der Handelsgebrauch nicht übereinstimmen dürfte. Bravard III. p. 340. Es versteht sich von selbst, dass wenn der Verfalltag auf einen Zahltag fällt, dann die Zahlung an diesem Tage zu leisten ist. Auch kann die Vergünstigung der Zahlungstage durch specielle Bezeichnung des Verfalltages, ähnlich wie bei den Geldsorten, ausgeschlossen werden, mittelst der Worte „präcise”, „fixe” oder ähnlicher.
Art. 817. Die gleiche Regel besteht auch in Frankreich und England (Code de comm. Art. 134. Smith, merc. law. p. 242); jedoch theilweise anders nach einem neueren Gesetze vom 25. Mai 1871. Die D. W. O. Art. 92 hat für diesen Fall den nächsten Werktag bestimmt, was mit der strengen Natur der Wechselschulden weniger übereinstimmt. Es kann diese Bestimmung unter Umständen einen sehr unangenehmen und vielleicht mit Verlust verknüpften Aufschub bewirken. Gesetzt, an einem Orte, wo der Mittwoch und Sonnabend Zahltage sind, wird ein Wechsel am Sonntag fällig. Nach dem Entwurfe ist dieser Wechsel am vorhergehenden Sonnabend, dagegen nach der Deutschen W. O. erst am darauf folgenden Mittwoch zu zahlen, ja wenn auch dieser Mittwoch zufällig ein Feiertag wäre, erst am nächsten Sonnabend, also um eine ganze Woche später. Bei solcher Erwägung erscheint die Bestimmung des Deutschen Gesetzbuches nicht empfehlenswerth Vgl. auch Italien. H. G. B. Art. 220; anders jedoch im Holländ. H. G. B. Art. 154.
Art. 818. Die Bestimmungen dieses Artikels entsprechen denen für die binnen bestimmter Frist nach Sicht fälligen Wechsel in Art. 796. Es liegt im Interesse beider Theile, insbesondere aber des Ausstellers, welcher für die Deckung bei dem Bezogenen zu sorgen hat, dass die Zahlung solcher Wechsel nicht zu lange hinausgeschoben werde, damit nicht die Deckung verloren gehe. Der Aussteller kann selbst eine bestimmte Frist vorschreiben, allein wenn dies nicht geschieht, wird sie vom Gesetze für alle Fälle, und als ein Maximum, auf zwei Jahre festgesetzt. In Frankreich (Code de comm. Art. 160) sind hiefür je nach der Entfernung zwischen dem Ausstellungs- und dem Zahlungsort verschiedene Fristen von 6 Monaten bis zu zwei Jahren bestimmt, die jedoch, wie bereits oben gezeigt, durch ein neueres Gesetz auf die Hälfte vermindert wurden. Die Bestimmung des Entwurfes entspricht der des Deutschen Gesetzes Art. 31 und dürfte sich sowohl wegen der grossen Einfachheit einer einheitlichen Frist, als auch wegen der insularen und isolirten Lage des Landes am meisten empfehlen. In England herrscht die Regel, dass solche Wechsel binnen vernünftiger Frist zu präsentiren sind, d. h. dass ihre Präsentation nicht ohne vernünftigen Grund verzögert werden darf. Smith, merc. law. p. 239. Dies macht aber die Frist höchst unsicher und verschieden, indem sie sich von Tagen bis auf Jahre ausdehnen kann. Wenn der Inhaber eines Wechsels dessen Valuta durch Verkauf erlangen kann, hat er nicht nöthig, ihn zur Einlösung beim Bezogenen zu präsentiren; das gleiche kann sein Nachfolger geltend machen und so weiter, daher man, so lange ein Wechsel in Circulation ist, schwerlich von unbegründeter Verzögerung sprechen kann. Es empfiehlt sich desshalb, um chicanöse Processe zu vermeiden, eine feste Frist, die für alle Betheiligten als Maximum bindend ist, wenn keine kürzere Frist ausdrücklich bedungen wurde. Abgesehen hievon, kann daher ein Sichtwechsel an jedem Tage der vom Datum der Ausstellung an zu rechnenden zweijährigen Frist zur Zahlung präsentirt werden, und er ist fällig an dem Tage, an welchem die Präsentation erfolgt. Wird nicht spätestens am letzten Tage der Frist präsentirt, so tritt der Verfall dennoch an diesem Tage ein, und die Verjährungsfrist beginnt nunmehr zu laufen. Art. 774. Jedoch ist wegen Unterlassung der Präsentation ganz wie in allen anderen Fällen der Regress gegen den Aussteller und die Indossanten verloren.
Hier wie beim vorhergehenden Artikel kann die Frage aufgeworfen werden, ob gegen die Versäumniss solcher Fristen keine Abhülfe zulässig sein soll, wenn sie ohne Verschulden des Wechselinhabers herbeigeführt wird, z. B. durch Krieg, ausserordentliche Naturereignisse, Seeunglück und andere Fälle unwiderstehlicher Gewalt. Im Falle eines Krieges werden gewöhnlich die Wechselfristen bis nach Beendigung des Krieges verlängert, so dass die Wechselinhaber von der Stockung und Abschneidung des Verkehres, z. B. der Belagerung einer Stadt nicht zu leiden haben. Dies muss aber durch ein besonderes Gesetz geschehen. In England und Amerika wird auf die Hindernisse durch vis major Rücksicht genommen (Smith, merc. law p. 251 Townsend, commerc. law p. 108). In Frankreich und Deutschland ist dies streitig. Bravard III. p. 341. 426. Thöl, Wechselrecht § 101. Borchardt, p. 256 Note. 302. Jedoch scheint der Art. 157 des Code de comm. gegen die Zulässigkeit einer Berücksichtigung rein zufälliger Hindernisse zu sein. Der Entwurf bestimmt hierüber nichts, um der richterlichen Beurtheilung nicht vorzugreifen. Nach der allgemeinen Regel, dass jeder Eigenthümer den zufälligen Schaden an seiner Sache zu tragen hat, würde die Versäumniss auch durch unwiderstehlichen Zufall den Wechseleigenthümer treffen, und es bliebe ihm nur noch die Bereicherungsklage nach Art. 776 übrig. Indessen ist die Berücksichtigung allgemeiner Hindernisse im Wechselrecht, sowohl durch die Gesetzgebung als durch Richterspruch nicht ausgeschlossen; nur rein individuelle, an sich nicht ausserordentliche Verhinderungen können nicht berücksichtigt werden.
Art. 819. Wie. der Gläubiger, so kann auch der Schuldner die Zahlung am Verfalltage als sein Recht beanspruchen. Es liegt dies in seinem Interesse, um die Gefahr und Kosten der Aufbewahrung des geschuldeten Gegenstandes nicht länger tragen zu müssen. Nach gewöhnlichen Grundsätzen (Art. 353) muss der Schuldner die Zahlung dem Gläubiger erst gehörig anbieten, ehe er auf ihn die Kosten und die Gefahr der Sache überwälzen kann. Dies ist bei Wechselzahlungen nicht thunlich, weil hier der Bezogene wegen der Begebbarkeit der Wechsel den Gläubiger in der Regel nicht kennt. Daher kann er hier sofort, ohne erst nach der Person des Schuldners weiter fragen zu müssen, sich durch Deponirung bei Gericht oder einer Bank frei machen. Wenn dann der Schuldner später Zahlung fordert, kann er sich durch Auslieferung des Depositenscheines seiner Verpflichtung entledigen. Die Gefahr und Kosten des Deposits trägt dann der Gläubiger, und der Schuldner haftet nur für grobe Fahrlässigkeit und natürlich auch für unredliche Absicht. Wo eine besondere öffentliche Gasse zur Annahme von Depositen besteht, wie in Frankreich, wird die Deponirung bei dieser Gasse erfolgen müssen. Bravard III. p. 369. D. W. O. Art. 40. Der Schuldner ist jedoch zur Deponirung nicht verpflichtet, und er hat in keinem Falle Verzugszinsen zu zahlen, wenn die Präsentation zur Zahlung nicht erfolgte. Diese Deponirung kann auch in anderen Fällen erfolgen, z. B. wenn der Inhaber bankerott wurde, wenn sich mehrere Gläubiger, jeder mit einem besonderen Exemplar, zur Zahlung melden, und in ähnlichen Fällen ; so auch in den Füllen der Art. 772 und 773.
Art. 820. Die gleichen Bestimmungen finden sich auch im Code de comm. Art. 144. 146. und im Span. H. G. B. Art. 501. Holländ. H. G. B. Art. 159. Italien. H. G. B. Art. 231. Auch nach Deutschem Rechte gelten die gleichen Grundsätze, Thöl, Wechselrecht § 86 ; ebenso in England, Smith, merc. law p. 256. Es gilt dies übrigens schon nach gewöhnlichen Grundsätzen (Art. 353). Der Inhaber kann ein Interesse daran haben, nicht vor der Verfallzeit bezahlt zu werden, entweder weil er auf den Cours speculirt oder weil er für die Summe zur Zeit keine Verwendung hat u. dergl. Allerdings kann der Wechsel nach Art. 801, nämlich im Falle des Regresses Mangels Annahme, auch schon vor Verfall bezahlt werden, wenn der Regresspflichtige nicht die blosse Sicherheitsleistung vorzieht. Allein in diesem Falle kann der Wechselinhaber auch die Kosten des Protestes und des Rückwechsels verlangen, welche ihn in den Stand setzen, sich in den Bezug der Wechselsumme zur Verfallzeit und am Zahlungsorte zu setzen. Beide Artikel stehen daher nicht im Widerspruch mit einander. Bravard III. p. 282.
Hienach kann der Wechsel vor Verfall nur mit beiderseitiger Einwilligung gezahlt werden. In diesem Falle wird durch Zahlung der Schuldner befreit und die Zahlung auch in anderer Beziehung, z. B. gegenüber dem Aussteller hinsichtlich der Deckung, so angesehen, als wäre sie an dem Verfalltage geleistet worden. Gleich wohl ist die Zahlung vor Verfall eine Abweichung von der Regel, die im Rechte nicht begünstigt wird, weil manche Missbräuche, z. B. Verfälschung, oder auch Verlust meist erst zur Verfallzeit entdeckt werden können. Daher geschieht die Zahlung vor Verfall auf Gefahr des Schuldners; d. h. er wird nicht befreit, wenn er nicht an den wirklichen Gläubiger zahlte. Dies scheint zwar unmöglich, da er ja nur gegen Auslieferung des quittirten Wechsels zahlen wird. Allein der Wechsel kann verloren, gefälscht oder sonst in unrechte Hände gekommen, und es kann mithin die Zahlung an einen unrechtmässigen Inhaber erfolgt sein. Wenn dann später am Verfalltage der rechtmässige Gläubiger sich meldet und Zahlung verlangt, kann diesem die Einrede der bereits erfolgten Zahlung nicht entgegengesetzt werden; denn die Gefahr von dergleichen Verlusten übernimmt der Bezogene, wenn er vor dem Verfalltage zahlt, selbst wenn ihm dabei keine Nachlässigkeit oder Unredlichkeit zur Last fällt. Der Schuldner ist für die Gültigkeit der Zahlung verantwortlich.
Nach Französischem Rechte kann sogar, wenn der Gläubiger in der Zwischenzeit zwischen dem Zeitpunkt der vorzeitigen Zahlung und dem Verfalltag bankerott geworden ist, wiederholte Zahlung zum Vortheil der Concursgläubiger verlangt werden. Bravard III. p. 344. Doch lässt sich die Richtigkeit dieser Ansicht bestreiten, denn das Recht des Gläubigers frühere Zahlung anzunehmen kann nicht wohl zum Nachtheil des Schuldners gewendet werden, wenn der Gläubiger später in Concurs geräth, um so mehr als ja die empfangene Zahlung noch in der Masse sein kann. Diese Frage ist nur nach den Principien des Concursrechts zu entscheiden, obwohl aus practischen Gründen vieles für die Französische Auffassung spricht.
Art. 821. Die gleichen Bedenken liegen nicht vor, wenn es sich um Zahlung bei oder nach Verfall handelt. Die Verfallzeit ist der Termin, an welchem der rechtmässige Gläubiger seine Rechte geltend machen wird, so dass von diesem Zeitpunkte an Betrug oder Missbrauch durch unredliche oder unbefugte Personen weit weniger zu befürchten ist. Auch jetzt darf zwar der Schuldner nur gegen Auslieferung und Quittirung des Wechsels zahlen, und er thut dies ohne solche Vorsicht auf eigene Gefahr. Allein er kann am Verfalltage an den Wechselinhaber zahlen, und soferne ihn dabei kein grobes Verschulden trifft, befreit ihn diese Zahlung von jeder ferneren Zahlungspflicht. Ein solches Verschulden läge vor, wenn er au Jemanden zahlen würde, der kein wirksames Indossament für sich hätte (Art. 793), an eine unbekannte Person, ohne sich von deren Identität gehörig zu überzeugen, auf ein offenbar gefälschtes oder doch verdächtiges Indossament, auf einen als verloren oder gestohlen ihm notificirten Wechsel u. dgl. Dagegen wäre es nicht richtig, den Schuldner stets und in jedem Falle für die Gültigkeit der Zahlung verantwortlich zu machen, vielmehr kommt die Regel des Art. 459 auch hier zur Anwendung. Wenn Jemand, welcher der rechtmässige Wechseleigenthümer zu sein behauptet, gegen die Zahlung an den jeweiligen Inhaber Einsprache erhebt, ist der Schuldner nicht ohne weiteres verpflichtet, dieser Einsprache Folge zu leisten und einen Rechtsstreit mit dem Inhaber und die übrigen Folgen der unterlassenen Wechsel Zahlung auf sich zu nehmen, sondern nur dann, wenn nach den Umständen der Inhaber thatsächlich verdächtig erscheint oder wenn die Einsprache durch gerichtliche Verfügung begründet ist; über den letzteren Fall sind die Bestimmungen in Art. 825 zu beobachten. Code de comm. Art. 145. Ein grobes Verschulden wäre es auch, wenn der Schuldner zahlte, ohne sich den Wechsel zur Prüfung aller Unterschriften aushändigen und quittiren zu lassen, Bravard III. p. 359 ff. 363 Note 3.
Art. 822. Die gleiche Bestimmung findet sich in der Deutschen W. O. Art. 39 und wird auch im Französischen Rechte anerkannt (Bravard III. p. 362 ff), obwohl sie im Code de comm. nicht ausdrücklich ausgesprochen ist. Man kann hier die Frage erheben, ob die Auslieferung des quittirten oder auch unquittirten Wechsels unter allen Umständen den Beweis der Zahlung macht (vgl. Code civil Art. 1282), oder ob der Beweis, dass die Zahlung trotzdem nicht erfolgte, zugelassen werden darf. Diese Frage ist in dem letzteren Sinne zu beantworten, da die Auslieferung selbst des quittirten Wechsels auch ohne vorherige Zahlung durch manche Handelsgeschäfte veranlasst sein kann und in allen Handelssachen das grösste Vertrauen beobachtet werden muss. Vgl. Commentar zu Art. 324. Bravard III. p. 364 Note. Andererseits kann, so lange ein Wechsel circulirt, jeder neue Erwerber desselben ihn für unbezahlt annehmen und Zahlung darauf verlangen, auch wenn sie an einen früheren Inhaber bereits geleistet worden wäre. Dies folgt mit Nothwendigkeit aus der strenge formalen Natur des Wechsels.
Die Bestimmung, dass der Wechselinhaber, im Widerspruch mit den gewöhnlichen Principien, verpflichtet ist, auch eine Theilzahlung von dem Bezogenen oder Acceptanten anzunehmen, ist in den Gesetzgebungen ziemlich allgemein anerkannt. D. W. O. Art. 38. 39. Code de comm. Art. 156. Bravard III. p. 338. Holländ. H. G. B, Art. 168. Ital. H. G. B. Art. 242. In England und den Vereinigten Staaten scheint über diesen Punkt keine feste Regel zu bestehen, doch ist die Regel, dass der Gläubiger eine Theilzahlung anzunehmen nicht verpflichtet sei, als vorherrschend anzunehmen. Smith, merc. law p. 232. 531. Leone Levi internat. comm. law p. 435. Kent, Comment. III. p. 86. 95. Auch nach dem Span. H. G. B. Art. 502 kann Theilzahlung nur nach Vereinbarung mit dem Wechselinhaber geleistet werden. Der Entwurf ist in dieser Beziehung der von der Mehrzahl der Gesetzgebungen adoptirten Meinung gefolgt. Der Grund hiefür ist, dass an der Wechselzahlung oft viele andere Personen, ausser dem Inhaber und dem Bezogenen, in jedem Falle aber zugleich der Aussteller, ein Interesse haben, und dass man die Entscheidung darüber nicht ausschliesslich der Willkür des Inhabers überlassen darf. Der Code de comm. Art. 156 sagt sogar ausdrücklieh, dass durch Theilzahlung der Aussteller und die Indossanten befreit werden, dass mithin diese Bestimmung in deren Interesse getroffen ist, während sie dem Inhaber nicht schadet. Nach dem älteren Rechte wurde die freiwillige Annahme einer Theilzahlung als Novation angesehen, durch welche die Regresspflichtigen vollständig befreit wurden. Indessen kann die blosse Theilzahlung, ohne die Absicht einer Aufhebung der ganzen Verbindlichkeit, nicht diese letztere Wirkung haben; es erscheint daher angemessen, zwar das Recht eine Theilzahlung zu leisten im Interesse der Mehrzahl der Betheiligten zuzugestehen, allein für den nicht getilgten Rest die Wechselverbindlichkeit in ihrem vollen Umfang fortbestehen zu lassen. Die Theilzahlung wird lediglich auf dem Wechsel notirt, den der Wechselinhaber bis zur vollen Zahlung zurückbehält; die Aushändigung des Wechsels kann daher in diesem Falle von dem Bezogenen nicht verlangt werden.
Art. 823. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf dem Princip, dass die mehreren Exemplare eines Wechsels, die man sich zur Bequemlichkeit und Sicherheit der Versendung ausstellen lässt, doch nur einen Wechsel und eine Wechselverbindlichkeit darstellen, indem jedes Exemplar den ganzen Wechsel repräsentirt. Dies wird nicht sowohl durch den Gleichlaut des Inhalts bezeugt, der jedoch hiefür kein untrüglicher Beweis wäre, sondern durch die Bezeichnung nach Nummern, als erste, zweite, dritte u. s. f, woneben die weitere ausdrückliche Bemerkung, dass die Zahlung auf ein Exemplar nur erfolgen soll, wenn sie nicht schon auf ein anderes erfolgt ist, nicht absolut nothwendig erscheint, denn dies ist eben die consequente Folgerung aus der Eigenschaft einer ersten, zweiten u. s. f.
Das Princip, dass aus den mehreren Exemplaren eines Wechsels immer nur eine einzige Wechselschuld entsteht, erleidet jedoch eine Einschränkung; es gilt nur zwischen denselben Personen, nicht auch in Bezug auf dritte Personen, wenn durch nachfolgende Wechselhandlungen die Wechselverbindlichkeit vervielfältigt worden ist. In dieser Beziehung sind folgende Unterscheidungen zu machen.
Der Aussteller wird aus dem von ihm ausgestellten Wechsel, ohne Unterschied der Zahl der Exemplare, immer nur einmal verpflichtet, da er nur einen Wechsel ausstellte, was durch die numerische Bezeichnung der Exemplare dargethan wird. Er kann daher, wenn der Bezogene mit oder ohne Accept die Wechselsumme an den Inhaber bezahlte, oder wenn er oder ein Indossant die Regresssumme entrichtete, nicht wiederholt in Anspruch genommen werden.
Der Bezogene, welcher die Wechselsumme dem Inhaber gegen Auslieferung und Quittirung eines Exemplars bezahlte, gleichviel ob dasselbe acceptirt war oder nicht, kann von demselben Inhaber eines anderen Exemplars, auch wenn dasselbe acceptirt ist, nicht noch einmal zur Zahlung angehalten werden. Wenn er daher mehrere Exemplare mit seinem Accept versah, so entsteht dadurch gegenüber demselben Inhaber doch nur eine einzige Verpflichtung.
Anders verhält es sich aber gegenüber einem dritten Inhaber eines acceptirten Exemplars. Hat er nur einmal acceptirt, so bleibt er dem dritten Inhaber des acceptirten Exemplars verpflichtet, auch wenn er an den anderen Inhaber des nicht acceptirten Exemplars bereits gezahlt hat, wenn ihm nicht bei der Zahlung das acceptirte Exemplar mit ausgeliefert wird. Hat er mehrmals acceptirt, so findet das gleiche statt; er kann daher gezwungen werden, wiederholt zu zahlen, wenn er nicht die vorherige Auslieferung der anderen acceptirten Exemplare verlangt. Dies wird im folgenden Artikel ausdrücklich ausgesprochen. Ist ein Dritter im Besitze eines weiteren nicht acceptirten Exemplars, so kann ihm dies gleichgültig sein, da er ohne vorheriges Accept aus dem Wechsel überhaupt nicht verpflichtet wird.
Hat der Inhaber eines Wechsels diesen in mehreren Exemplaren an eine und dieselbe Person indossirt, so ist er dieser nur einmal regresspflichtig; hat er aber mehrere Exemplare an verschiedene Personen indossirt, so ist er jedem Indossatar regresspflichtig, denn durch die verschiedenen Indossamente sind verschiedene Wechselverpflichtungen des Indossanten entstanden. Die gleiche Wirkung tritt ein, wenn jedes dieser Exemplare weiter an andere Personen indossirt wird, indem dann auch die Nachmänner des Indossanten regresspflichtig werden.
Diese Grundsätze sind in der D. W. O. Art. 67 ausdrücklich ausgesprochen, im Code de comm. Art. 148 nur in Bezug auf den Acceptanten; sie ergeben sich jedoch nothwendig aus der Natur der Sache. Es können dadurch unter Umständen Betrügereien begangen werden, allein das Gesetz gibt dagegen einigen Schutz, und zwar zunächst dem Wechselinhaber, indem nicht nur jeder Wechseleigenthümer andere Exemplare von einem unbefugten oder blossen Besitzer mit der Eigenthumsklage abfordern kann, sondern auch von einem an sich berechtigten Inhaber, dem aber eine Einrede entgegensteht. Zu diesem Zwecke wurde im Entwurfe hinzugefügt, dass die Art. 772 und 773 auch auf die Herausgabe und den Verlust mehrerer Exemplare eines Wechsels Anwendung finden sollen. Mittelst Anwendung dieser Artikel kann derjenige, welcher ein acceptirtes Exemplar einem Anderen zur Verwahrung gegeben oder für gewisse Zwecke indossirt hat, dasselbe zurückverlangen. Ebenso kann ein verlorenes, gestohlenes etc. Accept durch Amortisation ungültig erklärt werden.
Art. 824. Zum Schutze des Acceptanten in den vorstehend bezeichneten Fällen, und auch der Rechte des Indossanten, dienen die Bestimmungen des gegenwärtigen Artikels. Hat nämlich der Bezogene nur einmal acceptirt, so kann er die Zahlung verweigern, wenn ihm nicht das acceptirte Exemplar mit überliefert wird; hat er aber mehrmals acceptirt, so kann er die Zahlung verweigern, wenn ihm nicht auch die übrigen Accepte überliefert werden. Es ist daher Sache des Inhabers, sich rechtzeitig, bis zum Verfalltage, in den Besitz der Accepte zu setzen, und dazu dient ihm die Anwendung der vorhin erwähnten Art. 772 und 773. Gewöhnlich wird auf den übrigen Exemplaren bemerkt, bei wem sich das acceptirte Exemplar befindet, so dass dieser nöthigenfalls auf Herausgabe verklagt werden kann, doch ist eine solche Bemerkung keine wesentliche Bedingung der Rechte des Inhabers. D. W. O. Art. 68.
In dem Falle nun, dass der Inhaber nicht im Stande ist, rechtzeitig die nothwendigen Accepte herbeizuschaffen, sei es weil er deren Inhaber nicht kennt, oder weil ein desshalb begonnener Process oder das Amortisationsverfahren noch nicht durchgeführt sind, bleibt ihm noch ein anderes Mittel übrig, um die Zahlung der Wechselsumme von dem Bezogenen oder den Regresspflichtigen zu erlangen. Er kann nämlich Sicherheit leisten, für den Fall dass aus demselben Wechsel von dritten Personen Ansprüche erhoben werden sollten. Wird trotz dieser Sicherheit die Zahlung verweigert, so gilt dies gleich jeder anderen Verweigerung der Zahlung am Verfalltage und es kann sodann Protest erhoben und der Regressanspruch verfolgt werden. Code de comm. Art. 153.
Gesetzt, der berechtigte Wechseleigenthümer hätte gar kein Exemplar in Händen behalten, so könnte er nach Art. 822 eine Zahlung überhaupt nicht fordern, und es bliebe ihm in diesem Falle nichts übrig, als entweder nach Anleitung des Art. 766 sich ein neues Exemplar vom Aussteller zu verschaffen, oder nach Art. 772 oder 773 die Herausgabe des Wechsels von dritten Inhabern zu erzwingen. Vgl. Bravard III. p. 371 ff. 376. Würde er auf ein neues Exemplar auch ein erneutes Accept des Bezogenen wünschen, so wäre dieser nach Analogie des Art. 824 dazu nur gegen Sicherheitsleistung verpflichtet.
Art. 825. Dieser Artikel handelt von den Rechten des dritten Wechselinhabers, sowie des ausschliesslich berechtigten Inhabers, soferne derselbe zur Ausübung seiner Rechte unfähig geworden ist.
Ist der Inhaber eines Wechsels aus demselben an sich nicht legitimirt, entweder weil er nicht als Nehmer bezeichnet ist, oder weil es im Falle eines Indossatars an der ununterbrochenen Reihe der Indossamente fehlt, so kann die Zahlung an ihn ohne weiteres verweigert werden, wenn er nicht als Stellvertreter des Inhabers, Procurist, Gehülfe etc. sich legitimirt und dem Bezogenen bekannt ist.
Präsentirt er aber als formell legitimirter Wechseleigenthümer, und im Falle von Inhaber-Wechseln oder Indossamenten, als Inhaber den Wechsel zur Zahlung, so ist der Bezogene, besonders wenn er acceptirt hat, zur Zahlung an ihn verpflichtet, und dieser kann die Zahlung nur dann beanstanden, wenn verdächtige Umstände vorliegen, z. B. der Verdacht einer Fälschung, eines Diebstahls u. dgl. Jedoch geschieht eine solche Weigerung immer auf Gefahr des Bezogenen, welcher für den Verzug verantwortlich bleibt, wenn der Verdacht sich nicht bestätigen sollte. Die blosse Einsprache eines Dritten, welcher gleichfalls Rechte aus dem Wechsel behauptet, kann die Zahlung an den formell logitimirten Inhaber nicht hindern, da man dem Bezogenen nicht zumuthen kann, sich auf eine solche Einsprache hin der Verantwortlichkeit und den Schwierigkeiten eines Processes auszusetzen. Höchstens könnte, wenn die Einsprache von der glaubwürdigen Anzeige verdächtiger Umstände begleitet wäre, der nachfolgende Artikel zur Anwendung kommen.
Die Einsprache gegen die Zahlung an den legitimirten Inhaber ist vielmehr nur dann wirksam, wenn sie auf eine gerichtliche Verfügung gestützt wird. Dies folgt aus der strengen, fast absoluten Zahlungsverpflichtung, die dem Wechsel beiwohnen muss, und soll nach dem Entwurfe in den folgenden Fällen geschehen:
1) wenn der Inhaber des Wechsels in Concurs erklärt ist, und dadurch die Verfügung über sein Vermögen verloren hat, da sodann die Wechselzahlung nur an den Vertreter der Concursmasse erfolgen darf. Dies wird unbedenklich auch auf den Fall Anwendung finden müssen, wenn ein Indossament, um den Folgen der Concurserklärung zu entgehen, fälschlich vordatirt wurde (Art. 785).
2) wenn die Fälle der Art. 772 und 773 vorliegen, d. h. wenn gegen den unbefugten Inhaber eines Wechsels Klage auf Herausgabe erhoben oder im Falle des Verlustes das gerichtliche Amortisationsverfahren eingeleitet ist. Der Kläger kann bei dem Gerichte den Antrag stellen, dass dem Bezogenen die Zahlung bis zum Austrag der Sache untersagt werde, und das Gericht wird einem solchen Anträge stattgeben, wenn der Antrag in glaubwürdiger Weise begründet werden kann. Wenn der Bezogene trotz des richterlichen Verbotes an den Inhaber Zahlung leistet, thut er dies auf seine Gefahr.
Dies ist auch in Art. 149 des Code de commerce ausgesprochen, jedoch nicht erschöpfend, indem der Fall der Klage auf Herausgabe nach Art. 772 darin nicht wörtlich enthalten ist; es erscheint jedoch angemessen, das gerichtliche Verbot auch auf diesen Fall zu erstrecken.
Die Bestimmungen dieses Artikels beziehen sich nur auf die Zahlung bei oder nach Verfall, da die Zahlung vor Verfall ohnehin auf Gefahr des Bezogenen geschieht (Art. 820) und die Rechte des wirklichen Wechseleigenthümers nicht berühren kann.
Art. 826. Die Zahlung der Wechselsumme an den Wechselinhaber kann nach dem vorigen Artikel nur durch gerichtliche Verfügung aufgehalten werden, denn nur die gerichtliche Untersuchung und Entscheidung des Sachverhaltes kann der Geltendmachung der durch den Besitz des Wechsels gegebenen strengen Rechte wirksam entgegengesetzt werden. Dies ist auch die Auffassung des Französischen Rechtes. Code de comm. Art. 149. Code de proced. civ. Art. 558. Daraus folgt nun von selbst, dass der blosse private Einspruch gegen die Auszahlung des Wechsels den Bezogenen nicht binden kann. Wenn der dritte Einsprecher (Opponent) bessere Rechte aus dem Wechsel zu haben behauptet, als der Inhaber desselben, so muss er dieselben gegen den letzteren ausfechten; er kann aber desshalb die Natur des Wechsels selbst nicht abändern, vermöge deren der Bezogene angewiesen und der Acceptant sogar verpflichtet ist, die Wechselsumme an den Wechselinhaber auszuzahlen, wenn derselbe durch den Inhalt des Wechsels als Gläubiger legitimirt ist. Es kann allerdings vorkommen, dass letzteres nur Schein und ein Anderer der wirklich Berechtigte ist; allein wenn dieser den Wechsel nicht besitzt und zur Zahlung nicht präsentiren kann, so ist dies ein Umstand, der entweder von ihm durch Nachlässigkeit verschuldet wurde oder der wenigstens einem unglücklichen Zufall zuzuschreiben ist; in beiden Fällen muss er nach bekannten Grundsätzen selbst den Verlust tragen (casum sentit dominus, factum cuique suum, non alteri nocere potest).
Indessen ist die private Einsprache des Berechtigten gegen die Zahlung nicht ohne jede rechtliche Wirkung, in denjenigen Fällen nämlich, wo es sich um die Mittheilung einer Thatsache handelt, deren Existenz den Bezogenen veranlassen muss, die Zahlung an den Inhaber zurückzuhalten oder doch dabei die grösste Vorsicht zu üben. Gesetzt, der Wechseleigenthümer ist gestorben, und sein Erbe ist minderjährig, oder es sind mehrere Erben da, zwischen denen die Erbschaft noch nicht getheilt ist, oder der Wechsel ist an eine Frauensperson indossirt, welche inzwischen geheirathet hat, oder an eine Person, welche später eine Handelsgesellschaft mit Anderen eingegangen ist; die Anzeige solcher Thatsachen genügt, um die Zahlung des Wechsels zu sistiren oder wenigstens den Bezogenen darauf aufmerksam zu machen, dass er sich die gehörige Legitimation desjenigen, welcher den Wechsel zur Zahlung präsentiren wird, verschaffe. Aehnlich ist es, wenn dem Bezogenen die Anzeige eines Diebstahls eines Verlustes, einer Fälschung gemacht wird, um ihn zur grössten Behutsamkeit gegenüber dem den Wechsel Präsentirenden zu veranlassen. Diese Fälle unterscheiden sich von denen des. Art. 825 dadurch, dass sie blos die Mittheilung von Thatsachen betreffen, während es sich in denen des genannten Artikels um die Behauptung eines Rechtes gegenüber einer anderen Person handelt. Die letztere kann nur mittelst Richterspruches wirksam sein, während die thatsächliche Benachrichtigung schon an sich Wirkungen haben muss, indem sie möglicher Weise den Benachrichtigten in den Stand der Nachlässigkeit und vielleicht des bösen Glaubens versetzt. Wenn es an dieser Benachrichtigung gefehlt hat, kann dem Bezogenen oft keinerlei Schuld beigemessen werden, wenn er an den Wechselinhaber zahlt, sollte dieser auch unfähig zum Empfang sein, da er bei der beständigen Circulation oder doch Circulationsfähigkeit des Wechsels die Person des Gläubigers nicht zu kennen braucht und oft auch nicht kennen kann. Daher kommt bei Wechselzahlungen die gewöhnliche Regel, dass die Zahlung an den zum Empfang nicht befähigten Gläubiger den Schuldner nicht befreit (Code civil Art. 1241) nicht zur Anwendung. Bravard III. p. 353. Diese Regel des Art. 826 kann selbst in den im vorhergehenden Artikel berührten Fällen benützt werden, wenn nämlich keine Zeit mehr war, um eine gerichtliche Verfügung zu Gunsten des Opponenten zu erwirken, so kann derselbe immerhin durch eine thatsächliche Einsprache zur Vorsicht mahnen und vielleicht eine Verzögerung der Auszahlung bewirken, um die gerichtliche Verfügung im Laufe des Verfalltages noch nachzuholen. Dies ist sogar im Span. H.G.B. Art. 498 ausdrücklich ausgesprochen, versteht sich aber nach dem Inhalte der Art. 825 und 826 von selbst.
Die Auszahlung an eine unbekannte Person ist an und für sich kein Gegenstand des Vorwurfes für den Bezogenen, da die Natur des Wechselverkehrs die Entstehung von Schuldverhältnissen zwischen Unbekannten nothwendig bedingt. Man kann es daher nicht als eine absolute Regel aufstellen, dass der Bezogene an eine ihm unbekannte Person nicht zahlen dürfe und sich in allen Fällen erst den Nachweis der Identität verschaffen müsse. Es genügt, wenn der Inhaber sich präsentirt und zu quittiren vermag. Man kann, namentlich in grossen Bankhäusern, in welchen täglich, oder an den Cassirtagen, hunderte und tausende von Wechseln präsentirt werden, nicht die Zumuthung stellen, dass jedem Inhaber der Beweis seiner Identität abverlangt und umständlich geprüft werde. Vielmehr verhält es sich hier ähnlich, wie mit der Einlösung von Banknoten, dem Empfang von Postsachen u. dgl. Der Zahlende ist daher ohne Schuld, wenn er an einen Unbekannten zahlt, so lange in den Umständen nichts vorliegt, was zu einem Verdachte Anlass geben könnte. Dagegen kann unter besonderen Umständen möglicher Weise in der Zahlung an einen Unbekannten allerdings eine Nachlässigkeit liegen, und jedenfalls ist man gegenüber Unbekannten zu besonderer Vorsicht verpflichtet. Demnach kommt also auch im Wechselverkehr die allgemeine Regel des Art. 459, betreffend Ordre- und Inhaberpapiere zur Anwendung.
Art. 827. Die Bestimmung dieses Artikels ist in der Hauptsache auch in Art. 152 des Code de commerce und zum Theile in der D. W. O. Art. 73 enthalten. Es kann nämlich im Interesse des Wechseleigenthümers liegen, nicht blos die Auszahlung an den unbefugten Inhaber zu hindern, sondern auch die Auszahlung an sich selbst zu bewirken, um nicht für unbestimmte Zeit auf die Wechselsumme warten zu müssen. Da aber das Wechseleigenthum zur Zeit noch streitig und ungewiss ist, oder doch der Eigenthümer noch nicht im Stande ist, die Bedingungen der Zahlung an ihn (Art. 822. 824) zu erfüllen, so kann er die Zahlung der Wechselsumme nicht unbedingt fordern, sondern nur gegen Sicherheitsleistung für den Fall, dass ein Dritter sich als besserer Berechtigter ergeben und diesem sodann die Wechselsumme gebühren würde. Es kannt aber äusserdem noch sein, dass der Berechtigte den Wechsel an einen Dritten gegeben oder verloren etc. hat, so dass er sich mit nichts bei dem Bezogenen zum Empfang der Zahlung legitimiren kann. In diesem Falle muss er daher sich an das Gericht wenden und diesem sein Wechseleigenthum durch seine Handelsbücher, Correspondenz etc. glaubhaft machen, und dadurch eine gerichtliche Verfügung auch zu dem Ende erwirken, dass die Zahlung der Wechselsumme nicht blos an den unbefugten Inhaber unterbleiben, sondern an ihn selbst zu erfolgen habe. Das Gericht kann aber eine solche Verfügung, da sie noch keinem rechtskräftigen Urtheile gleichsteht, nur provisorisch erlassen, und den Rechten dritter Personen wird dadurch an sich noch nicht präjudicirt. Daher muss der Opponent Caution leisten für den Fall, dass dritten Personen schliesslich ein besseres Recht zuerkannt werden sollte. Hiedurch unterscheidet sich dieser Fall von dem des Art. 824, wo auf den Wechsel Zahlung gegen Sicherheit verlangt werden kann, wenn derselbe das Accept nicht trägt. Hier kann höchstens über die Qualität der Sicherheit eine richterliche Entscheidung entstehen, die Verpflichtung zur Zahlung gegen Sicherheit versteht sich von selbst, weil der Inhaber als solcher durch den Wechsel sich legitimirt. Der Art. 151 des Französ. Code de commerce, welcher auch hier eine richterliche Verfügung vorschreibt, ist daher ungenau, und muss in dem Sinne verstanden werden, dass der Richter nur im etwaigen Streitfalle über die Solvenz der Caution zu erkennen hat; dies ist auch von der Französischen Jurisprudenz anerkannt. Bravard III. p. 379. Dagegen in den Fällen des Art. 827 hat der Opponent kein Wechselexemplar in der Hand, hier muss daher das Wechseleigenthum vorher glaubhaft gemacht werden, ehe der Richter einen Zahlungsbefehl erlassen kann, und dieser Zahlungsbefehl ist eine wesentliche Bedingung dafür, dass der Bezogene überhaupt an den Opponenten zu zahlen hat. Code de comm. Art. 152. Bravard III. p. 379.
Kann oder will der Opponent keine Sicherheit leisten, so ist der Bezogene nicht verpflichtet an ihn zu zahlen, sondern es kann sodann nur die Deponirung der Wechselsumme begehrt werden. Hiezu ist der Bezogene ohnedies und von selbst berechtigt, wenn am Verfalltage Niemand bei ihm zur Erhebung der Wechselsumme gegen den Wechsel oder gegen Sicherheit sich meldet.
Hier entsteht nun die Frage, ob der Opponent auch dann Caution leisten muss, wenn der Wechsel nicht acceptirt ist; und diese Frage scheint principiell verneint werden zu müssen, da ja dann der Bezogene gegen den Inhaber des Wechsels zur Zahlung nicht verpflichtet ist. Bravard III. p. 381. Allein es handelt sich nicht blos um die Verpflichtung, sondern auch um die Berechtigung des Bezogenen zur Zahlung am Verfalltage. Gesetzt, es melden sich beim Bezogenen am Verfalltage der Indossatar und Inhaber eines Wechsels, und ein Anderer, welcher wirklicher Eigenthümer desselben zu sein behauptet, da er ihn an den Inhaber nur pfandweise indossirt und seither die Schuld bezahlt habe u. dergl. Hier kann der Bezogene erklären: Dieser Wechsel ist auf mich gezogen, ich habe dafür Deckung erhalten, und ich werde ihn und muss ihn bezahlen, um mich nicht Ansprüchen auf Verzugszinsen oder einer Regressklage des Ausstellers auszusetzen. Das Gericht hat mir allerdings verboten, jetzt an den Inhaber zu bezahlen, allein daraus folgt nicht, dass ich ohne weiteres an den anderen Theil zahlen muss. Denn wenn dieser in seinem Rechtsstreite mit dem Inhaber unterliegt, wird dieser letztere von mir Zahlung auf den Wechsel verlangen, und ich käme dann in die Lage, wiederholt zahlen zu müssen, da die Zahlung an den Opponenten von ihm nicht anerkannt werden wird. Ich verlange daher für diesen Fall Caution von dem Opponenten, wenn dieser jetzt schon die Zahlung an ihn fordert.
Dieser Raisonnement erscheint offenbar begründet, wesrhalb der Entwurf, ebenso wie der Art. 152 des Code de comm. es ausdrücklich thut, keinen Unterschied zwischen einem acceptirten und nicht acceptirten Wechsel macht.
Art. 828. Der Protest Mangels Zahlung oder Deponirung ist in allen Gesetzgebungen vorgeschrieben und er empfiehlt sich, im Gegensatze zu einer blossen unförmlichen Notification, aus den gleichen Gründen, wie sie bereits zu Art. 800 in Betreff der unterbliebenen Annahme erörtert wurden. Dieser Protest ist auch nothwendig in den vorhergehend besprochenen unregelmässigen Fällen, nur mit der Modification, dass wenn kein Wechselexemplar vorhanden ist, die wörtliche Abschrift desselben im Proteste (Art. 857) durch die möglichst genaue Angabe seines Inhaltes ersetzt werden muss. In solchen Fällen spricht der Code de comm. Art. 153 von Protestation. Bravard III. p. 385. Der Protest wäre jedoch unwirksam, wenn der Wechseleigenthümer in Fällen, wo er Caution zu leisten hätte, solche nicht leisten würde.
Der Protest muss am nächsten Tage nach dem Verfalltage, Sonn- und Feiertage abgerechnet, erhoben werden. Dies entspricht der gleichen Bestimmung in Art. 795 über den Protest Mangels Annahme. Diese Bestimmung empfiehlt sich, um dem Bezogenen einige Zeit zur Ueberlegung zu gewähren, und damit in unregelmässigen Fällen etwaige Arrangements getroffen werden können. Allerdings kann der Eigenthümer schon am Verfalltage selbst protestiren, allein wenn die Zahlung noch im Lauf dieses Tages erfolgen würde, hätte er die Kosten zu tragen. Die Zahlung gilt daher erst dann als verweigert, wenn sie am Schluss des Verfalltages nicht erfolgt ist. Jedoch hat der Inhaber seine Schuldigkeit gethan, wenn er im Lauf des Verfalltages Zahlung verlangte, und er braucht am Schluss desselben nicht wiederholt zu präsentiren.
Der Protest Mangels Zahlung ist in allen Fällen unterbliebener Zahlung nothwendig, auch wenn etwa bereits Protest Mangels Annahme erhoben wurde, oder im Falle des Todes oder Bankerotts des Bezogenen, denn es handelt sich um die legale Constatirung der Thatsache auch im Interesse der Regresspflichtigen. Code de comm. Art. 163. Der Entwurf spricht daher die unbedingte Nothwendigkeit des Protestes aus und lässt nur eine einzige Ausnahme zu, wenn nämlich die Protesterhebung ausdrücklich auf dem Wechsel erlassen wurde, mit den Worten ohne Protest, ohne Kosten u. dgl. Durch den Erlass des Protestes wird nicht auch zugleich die rechtzeitige Präsentation zur Zahlung erlassen, wenn nicht auch diese ausdrücklich erlassen wurde. Der Erlass steht nur demjenigen entgegen, welcher ihn ausgesprochen hat, nützt jedoch jedem Indossatar; ist der Erlass ausserhalb des Wechsels mittselst besonderen Vertrages vereinbart worden, so hat ein solcher Vertrag nur zwischen den betreffenden Personen Wirksamkeit. Ist kein Protest aufgenommen worden, so beruht der Nachweis der rechtzeitig erfolgten Präsentation zunächst auf der Notification des Inhabers; die Richtigkeit derselben kann zwar in dieser Hinsicht vom Regresspflichtigen bestritten werden, allein er muss sodann die desfallsige Beweislast übernehmen. Der Erlass des Protestes befreit den Inhaber nur von der Pflicht der Protestirung, kann ihm aber nicht das Recht hiezu nehmen, analog wie bei dem Proteste Mangels Annahme; hat er daher trotzdem Protest erhoben, so muss der Regresspflichtige dennoch die Kosten desselben ersetzen. D. W. O. Art. 42. Bravard III. p. 78. Das Französische Gesetz vom 5. Juni 1850 hat bestimmt, dass die Clausel retour sans frais ungültig sein soll, wenn damit die gesetzlichen Vorschriften über die Entrichtung des Wechselstempels umgangen wurden. Nach Englichem Rechte müssen nur ausländische Wechsel protestirt werden.
Ausdrücklich ist zu bemerken, dass die Pflicht der Notification (Art. 842) durch den Erlass des Protestes in keinem Falle aufgehoben wird. Der Protest kann von dem Aussteller, den Indossanten, und im Falle eines Domicilwechsels (Art. 837) auch von dem Acceptanten erlassen werden.
§ 7. Ehrenzahlung.
Art. 829. Die Ehrenzahlung ist die Intervention dritter Personen durch Zahlung zum Vortheil oder zur Ehre der oder gewisser Regresspflichtiger. Sie setzt nothwendig voraus, dass die Zahlung durch den Bezogenen unterblieb, und dass dies, analog wie bei der unterbliebenen Annahme (Art. 805), durch einen Protest constatirt wurde. Denn wie die Ehrenannahme die Regresspflichtigen von der Pflicht zur Sicherheitsleistung, so soll die Ehrenzahlung dieselben von der Pflicht zur Regresszahlung befreien; diese Pflicht wäre aber nicht entstanden, wenn nicht wegen unterbliebener Zahlung Protest erhoben wäre. Wenn der Wechselinhaber von einem Intervenienten Zahlung erhalten hat, ist er von der Nothwendigkeit der Regressverfolgung mittelst Notification und Klage befreit, und es geht dieselbe nunmehr auf den Intervenienten über. Der Intervenient tritt daher durch Ehrenzahlung gegenüber dem Wechselinhaber in die Stellung der Regresspflichtigen, und gegenüber diesen in die Stellung des nicht bezahlten Inhabers ein. Der Intervenient kann hier, wie bei der Ehrenannahme, den Honoraten bezeichnen, für welchen er eintreten will; und es werden, analog wie bei der Ehrenannahme, unter mehreren Intervenienten diejenigen vorgezogen, durch deren Intervention die meisten Pflichtigen befreit werden. Ist kein bestimmter Honorat genannt, so wird auch hier der Aussteller als solcher angesehen (Art. 806).
Die Französischen Ausdrücke für Ehrenzahlung sind paiement par intervention, aprês oder sous protêt, par [honneur; die Englischen payment supra protest oder for honour.
Aus den vorhergehenden Bemerkungen folgt von selbst, dass die Ehrenzahlung nicht vor dem Verfalltage stattfinden kann; würde sie vorher gemacht, so hätte sie nicht die wechselrechtlichen Folgen der Ehrenzahlung und würde überdies auf Gefahr des Intervenienten gehen. Der Bezogene und die Regresspflichtigen würden daher dadurch an sich nicht befreit, ebenso wie auch der Bezogene durch Zahlung vor dem Verfalltage nicht immer befreit wird (Art. 820). Die Zahlung durch einen Dritten vor Verfall muss im allgemeinen als auf Rechnung des Bezogenen gemacht angesehen werden, und nur insoweit kommt die allgemeine Regel, dass eine Schuld auch durch unbetheiligte Dritte getilgt werden kann (Code civil Art. 1236) bei Wechseln zur Anwendung. Die Zahlung vor Verfall und insbesondere ohne vorherigen Protest, verleiht namentlich kein Recursrecht gegen den Honoraten, auch wenn sie von einer Nothadresse nach vorgängigem. Nothaccept erfolgte. Bravard III. p. 393 Note.
Ehrenzahlung kann Jeder leisten, der nicht schon aus dem Wechsel verpflichtet ist. Nicht nur jede dritte Person, sondern der Bezogene selbst, soferne er nicht etwa acceptirt hat, denn durch das Accept hätte er die Verpflichtung zu zahlen übernommen und könnte diese nicht mehr freiwillig auf sich nehmen. Die Intervention des Bezogenen scheint auf den ersten Blick sonderbar, sie kann aber ihre guten Gründe haben, im Gegensatz zur Zahlung als Bezogener. Denn durch die letztere erlangt der Bezogene nur einen Anspruch auf Entschädigung bez. Deckung gegen den Aussteller oder einen anderen Deckungspflichtigen, und es entsteht gegen ihn überdies die Vermuthung des. Empfanges der Deckung, noch mehr wie durch das blosse Accept (Art. 864. 866). Der Bezogene als Ehrenzahler ist aber von dieser Vermuthung befreit und kann seinen Anspruch gegen den Honoraten und dessen Vormänner nach seiner Wahl verfolgen. Aus dem ersteren Grunde kann der Bezogene auch selbst zu Ehren des Ausstellers interveniren. Auch der Ehrenacceptant kann interveniren, obgleich dieser durch sein Accept bereits verpflichtet ist; allein diese Verpflichtung ist nur eine bedingte für den Fall, dass der Wechsel nicht bezahlt werden sollte. Dies muss durch Protest constatirt werden, und daher muss auch der Zahlung des Ehrenacceptanten die Verweigerung der Zahlung und die Protesterhebung desshalb vorausgehen. Dies ist die Auffassung des Französischen und Deutschen Rechts. Code de comm. Art. 158. D. W. O. Art. 62. 63. Vgl. auch Smith, merc. law. p. 256. In England ist die Protesterhebung nur bei ausländischen Wechseln nothwendig, doch findet bei inländischen Wechseln gewöhnlich eine Notirung des Protestes, d. h. eine blosse thatsächliche Aufzeichnung ohne förmliche Ausfertigung statt.
Art. 830. Der Inhalt dieses Artikels findet zum Theil seine Erklärung in den Erörterungen zu dem vorausgehenden Artikel.
Es folgt daraus, dass die Ehrenzahlung einer Nothadresse oder eines anderen Ehrenacceptanten keine freiwillige ist, sondern dass sie von dem Wechselinhaber auf Grund der vorgängigen Protestirung eingefordert werden muss. Der Inhaber kann also nicht das auf dem Wechsel etwa befindliche Accept ignoriren und mit Umgehung desselben sofort den Regress gegen den Aussteller und die Indossanten nehmen; er ist vielmehr verpflichtet, den Wechsel nach der Verweigerung des Bezogenen dem Ehrenacceptanten vorzulegen, und würde, wenn er dies nicht thäte, den Regress gegen den Aussteller verlieren, d. h. gegen den Honoraten und dessen Nachmänner. Es ist möglich, dass auch der Ehrenacceptant nicht zahlt, sei es weil er inzwischen insolvent wurde, oder weil er keine Deckung erhielt, oder aus ähnlichen Gründen. Mag nun die Zahlung durch den Intervenienten erfolgen oder nicht, immer ist beides auf dem Proteste zu bemerken, und daher in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem zu bringen. Es ist wohl zu beachten, dass die Ehrenzahlung nicht etwa den Protest überflüssig macht, wie etwa die Zahlung durch den Avalisten des Bezogenen sie überflüssig machen würde. Der Intervenient zahlt nicht für den Bezogenen, sondern für den Aussteller oder einen anderen Honoraten, diese Zahlung ist daher im Lichte einer Regresszahlung zu beurtheilen und von den gleichen Voraussetzungen abhängig wie letztere. Code de comm. Art. 158.. D. W. O. Art. 62. Bravard III. p. 393.
Art. 831. Diese Bestimmung bezieht sich zunächst auf die freiwillige Intervention eines Dritten, im Unterschiede von den etwaigen Nothadressen; jeder Intervenient kann mithin, soferne es nur rechtzeitig geschieht, sich zur Zahlung erbieten und muss dieselbe, wenn sie angenommen wird, auch sofort leisten. Wird sie nicht angenommen, so muss dies gleichfalls auf dem Proteste bemerkt werden, da es von rechtlichen Wirkungen begleitet ist (Art. 835). Im Falle der Annahme und Leistung der Ehrenzahlung wird unmittelbar der Wechsel nebst dem Proteste dem Intervenienten gegen Erstattung der Protestkosten ausgehändigt. Der Intervenient darf also weder den Wechsel noch den Protest in den Händen des Inhabers lassen, es kommen hier vielmehr die gleichen Bestimmungen, wie bei der Zahlung durch den Acceptanten (Art. 822) zur Anwendung. Nur mit dem Unterschiede, dass in diesem Falle der Wechsel nicht quittirt wird, da er ja ausdrücklich als nicht bezahlt protestirt werden müsste. Ebenso wenig darf die Indossirung des Wechsels an den Ehrenzahler stattfinden, weil er dadurch auch Regressrechte gegen den letzten Inhaber erlangen würde. Es verhält sich hier anders, als wenn ein Regresspflichtiger den Wechselinhaber in Folge des Protestes Mangels Annahme befriedigt. Der Regresspflichtige ist selbst ein Indossant, mithin ein Vormann des Inhabers, und kann mithin durch die nachträgliche Indossirung keine Regressrechte gegen den Inhaber erlangen, was bei einem Intervenienten anders sein würde. Daher wurde in Art. 803 auch die Indossirung des Wechsels zugelassen, obwohl sie nicht nothwendig ist, während im gegenwärtigen Artikel, wo es sich um Intervention eines Dritten und um Zahlung nach Verfall handelt, die Indossirung ausgeschlossen ist, indem dem Intervenienten zur Geltendmachung seiner Ansprüche der Besitz des Wechsels und des Protestes genügen muss.
Die Ehrenzahlung ist unwiderruflich, wie das Accept (Art. 797). Es fragt sich aber, ob nicht der allgemeine Grundsatz, dass derjenige, welcher irrthümlich eine Schuld bezahlt, ohne wirklich Schuldner zu sein, das gezahlte zurückfordern kann, auf den Ehrenzahler Anwendung findet? Code civil Art. 1235. 1376. 1377. Dieser Grundsatz passt im allgemeinen nicht auf den Ehrenzahler, weil dieser freiwillig zahlt, wobei etwaige irrthümliche Motive seines Entschlusses nicht berücksichtigt werden können. Allein da der Ehrenzahler zu Ehren eines Indossanten oder des Ausstellers zahlt, so könnte er zur Rückforderung berechtigt sein, wenn er den Honoraten irrthümlich für verpflichtet hielt, z. B. dessen Unterschrift auf dem Wechsel gefälscht war, da ihm dann kein Regressrecht gegen diesen zustände. In diesem Sinne ist die Frage von der Französischen Jurisprudenz bejaht worden. Bravard III. p. 408.
Art. 832. Diese Bestimmung findet sich auch im Code de comm. Art. 159 und in der D. W. O. Art. 63. Es wurde jedoch der grösseren Deutlichkeit wegen hinzugefügt, was im Code de commerce nicht ausdrücklich gesagt ist, dass der Ehrenzahler nur die Rechte des Inhabers gegen den Acceptanten und die Regresspflichtigen erwirbt. Er kann also den Acceptanten auf Zahlung verklagen, und den Aussteller und die Indossanten, mit der im folgenden Artikel bezeichneten Beschränkung, regresspflichtig machen. Er würde seinen Regress verlieren, wenn er den erhobenen Protest nicht rechtzeitig notificirte (Art. 842). Ebenso ist sein Regress dadurch bedingt, dass ein rechtsgültiger Protest vorliegt, dass also die Zahlung von dem Bezogenen am Verfalltage gefordert und Protest binnen der gesetzlichen Frist und in den gesetzlichen Formen erhoben wurde.
Andere Rechte erwirbt der Ehrenzahler nicht, er kann also namentlich den ihm ausgelieferten Wechsel nicht weiter giriren, was schon desshalb nicht möglich wäre, weil der Wechsel auf ihn selbst nicht girirt wurde. Bravard III. p. 406. Es steht jedoch einer civilrechtlichen Cession des dem Inhaber zustehenden Wechselrechts an den Ehrenzahler nichts im Wege, nur würde dann der Cessionar lediglich nach den Grundsätzen über Cession zu beurtheilen sein.
Art. 833. 834. Die gleichen Bestimmungen enthalten der Code de comm. Art. 159 und die D. W. O. Art. 63. 64. Dem Ehrenzahler bleibt mithin nur der Regress gegen den Honoraten und dessen Vormänner. Ist der Aussteller der Honorat, so werden alle Indossanten befreit. Die Vorschrift, dass unter mehreren Intervenienten derjenige den Vorzug haben soll, durch den die meisten Verpflichteten befreit werden, correspondirt mit der Vorschrift des Art. 806 bezüglich der Ehrenannahme. Dass der Bezogene vor anderen Intervenienten den Vorzug haben soll, erklärt sich daraus, dass dieser aus dem Wechsel ein Regressrecht nur gegen den Aussteller oder einen anderen Deckungspflichtigen hat, somit durch seine Intervention in der Regel die sämmtlichen Indossanten befreit werden. Uebrigens ist die Bevorzugung des Bezogenen nur unter dieser Beschränkung zu verstehen. Hat der Bezogene für einen Indossanten intervenirt, so gebührt ihm zwar der Vorzug gegenüber jedem anderen Intervenienten für den gleichen Honoraten; würde aber durch den anderen Intervenienten eine grössere Anzahl von Pflichtigen befreit, so würde diesem, und nicht dem Bezogenen, der Vorzug einzuräumen sein. In diesem Sinne wird die gleiche Vorschrift des Code de comm. Art. 159 auch von der Französischen Jurisprudenz interpretirt. Bravard III. p. 400.
Wenn der Bezogene ohne Protest gezahlt hat, kann er nicht hinterher die Rechte eines Intervenienten geltend machen ; sondern dazu ist erforderlich, dass er ausdrücklich als Intervenient und unter Beobachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten zahlte. Jedoch ist ein vorheriger Protest Mangels Annahme nicht erforderlich; nur nach erfolgter Acceptation kann der Bezogene nicht mehr interveniren. Code de comm. Art. 159. Bravard III. p. 401. Borchardt, Zus. 511.
Art. 835. Dieser Artikel ist nur auf die freiwillige Intervention anzuwenden, nicht auf die Ehrenzahlung durch einen Nothadressaten oder einen anderen Ehrenacceptanten, worüber bereits in Art. 830 Bestimmung getroffen wurde. Die letztere Ehrenzahlung kann der Inhaber niemals zurück weisen, so wenig als die des ursprünglichen Acceptanten; er würde dadurch seinen Regress gegen alle Verpflichteten verlieren, wenngleich vielleicht die Nothadresse nicht von dem Aussteller, sondern von einem späteren Indossanten herrühren mag. Allerdings ist die Nothadresse im letzteren Fall eine blos den Nothadressanten und dessen Nachmänner betreffende Angelegenheit, von welcher dessen Vormänner an sich Nutzen zu beanspruchen nicht befugt sind. Aus diesem Grunde hat insoweit die D. W. O. Art. 62 die Zurückweisung der Zahlung auch von Seiten eines Nothadressaten zugelassen. Allein abgesehen davon, dass der Nothadressant sehr häufig aus dem Wechsel nicht ersichtlich ist, spricht gegen diese Auffassung, dass die Nothadresse oder das Ehrenaccept einen Bestandtheil des Wechselinhalts bildet, und kein genügender Grund besteht, diesen Inhalt nicht in Bezug auf alle Betheiligten wirksam sein zu lassen. Daher wird auch im Französischen Rechte die Zurückweisung einer Ehrenzahlung überhaupt nicht gestattet, indem man darauf einfach die Grundsätze des Civilrechts anwendet. Bravard III. p. 405. Würde daher der Wechselinhaber die Zahlung eines Intervenienten zurückweisen, so hätte dieser das Recht zur gerichtlichen oder bankmässigen Deponirung der Wechselsumme (Art. 819) und dadurch wäre jeder Anspruch des Inhabers auf weitere Zahlung aufgehoben.
Anders verhält es sich jedoch im Falle eines freiwilligen Intervenienten. Dessen Name steht nicht auf dem Wechsel, es liegt mithin für alle übrigen keine Wechselbetheiligung vor, seine Intervention ist eine rein persönliche Angelegenheit zwischen dem Intervenienten, dem Wechselinhaber und dem Honoraten, sowie dessen Nachmännern. Warum die anderen Verpflichteten von dieser Intervention Nutzen ziehen sollen, ist nicht ersichtlich. Man könnte zwar fragen, welches Interesse der Inhaber daran haben könne, eine solche Ehrenzahlung zurückzuweisen, da es ihm doch nur überhaupt um Zahlung, nicht um Zahlung von bestimmter Person zu thun sein könne. Allein ein solches Interesse ist bei der grossen Verschlungenheit der Handelsbeziehungen sehr wohl denkbar. Die Zurückweisung der Ehrenzahlung kann vielleicht auf Chicane beruhen, um eine andere Person mit dem Regress verfolgen zu können, oder nm den Intervenienten um den Vortheil seiner Intervention zu bringen. Es kann aber auch die Intervention auf Chicane beruhen, um den Honoraten oder einen seiner Vormänner mit einem Regress verfolgen zu können, den vielleicht der Inhaber gegen diese Personen nicht verfolgt haben würde. Wenn der Inhaber dies weiss und den Ruin des Honoraten davon befürchtet, könnte man seine Zurückweisung der Intervention schwerlich missbilligen. Der Inhaber kann auch ein Interesse haben, sich einem Regresspflichtigen durch Nachsicht gefällig zu erweisen, um dadurch engere Beziehungen zu ihm anzuknüpfen u. dgl. m. Daher hat in solchen Fällen der Entwurf die Zurückweisung der Intervention gestattet, ohne jedoch die Intervention selbst für ganz unwirksam zu erklären. Die Intervention wird hier gewissermassen als eine substituirte Wechselziehung angesehen, nämlich der Intervenient als Trassat, und der Honorat als Trassant. Innerhalb dieses Personenkreises soll nun die Intervention wirksam sein, in der Weise dass der Inhaber durch ihre Zurückweisung seine Rechte gegen den Honoraten als Quasi-Aussteller und dessen Nachmänner verlieren soll. Der Honorat würde zwar durch die Intervention nur von dem Regress des Inhabers, nicht auch des Intervenienten befreit; allein der letztere kann für ihn minder gefährlich oder lästig sein, und auch wenn dies nicht der Fall wäre, könnte er doch immer dem Regresse des Inhabers erwidern, dass dieser bereits zu seinen Gunsten hätte Zahlung erhalten können, und dann den Regress gegen ihn verloren hätte; dass es also nicht seine, sondern des Inhabers Schuld sei, wenn er die Zahlung nicht annahm, und desshalb auch gegen ihn keinen weiteren Anspruch verfolgen könne. Diese Erwägungen gewinnen noch mehr Gewicht, wenn man annimmt, dass die Intervention auf einer Vereinbarung zwischen dem Intervenienten und dem Honoraten beruhte, wie es in den meisten Fällen thatsächlich sein wird. Demnach erscheint der von dem Entwurfe eingeschlagene Mittelweg den Interessen aller Theile und der juristischen Consequenz am meisten angemessen; und die Bestimmung der D. W. O. Art. 62, welche in dem vorliegenden Falle dem Inhaber nur den Regress gegen die Nach männer des Honoraten, nicht auch gegen diesen selbst, weil gegen diesen auch der Intervenient Regress gehabt hätte, nicht nachahmenswerth. Denn dieser Grund kann als durchschlagend nicht zugegeben werden. Vgl. auch Leipziger Protocolle S. 128.
§ 8. Regress.
Art. 836. Der Inhalt des gegenwärtigen Paragraphen betrifft die Vorschriften über das, was der Wechselinhaber zu thun hat, um sich die Erhaltung seines Wechsel rechtes zu sichern, für den Fall dass der regelmässige und einfache Fall der Bezahlung am Verfalltage durch den Bezogenen nicht eintritt. Der Wechselinhaber hat einen Regressanspruch gegen die übrigen Personen, welche den Wechsel unterschrieben haben, und zwar gegen den Aussteller und die Indossanten. Die Strenge des Wechselrechts erschöpft sich mithin nicht blos gegenüber dem Acceptanten, sie ergreift vielmehr alle anderen Verpflichteten, um so mehr als sie sämmtlich für die Bezahlung des Wechsels solidarisch haftbar sind (Art. 870). Im allgemeinen lassen sich die Vorschriften dieses Paragraphen auf folgende drei Hauptsätze gründen: 1, der Inhaber muss am Verfalltage die Zahlung des Wechsels verlangen ; 2, der Inhaber muss, wenn die Zahlung unterbleibt, am darauf folgenden Tage Protest erheben ; 3, der Inhaber muss ausserdem binnen bestimmter Frist seinen Regressanspruch gegen die Regresspflichtigen geltend machen und durchführen. Werden diese drei Voraussetzungen nicht, und zwar in der näher zu bestimmenden Form erfüllt, so findet kein Regressanspruch statt, und bleibt dem Inhaber dann nur der Anspruch gegen den Bezogenen, wenn dieser acceptirt hatte, oder die etwaige Bereicherungsklage nach Art. 776.
Der Art. 836 spricht nun zunächst das bereits im Art. 828 mehr allgemein und in anderem Zusammenhange dem Inhaber zugesprochene Regressrecht bestimmt und detaillirt aus. Es ist hiebei von dem Fall der Ehrenzahlung durch einen Intervenienten Umgang genommen, worüber bereits in dem vorhergehenden Paragraphen Verfügung getroffen wurde. Auch in diesem Fall muss zwar Protest erhoben und kann Regress genommen werden, allein wegen des Dazwischentrittes des Intervenienten nimmt die Ausübung des Regressrechtes eine andere persönliche Richtung. Ist aber der Inhaber durch einen Intervenienten nicht befriedigt, dann steht ihm die Ausübung des Regressrechtes selbst zu. Es ist nun zunächst gleichgültig, ob der Inhaber persönlich oder durch einen Stellvertreter handelt, mit oder ohne Indossament (Art. 791). Der Indossatar kann mithin zur Verfallzeit den Wechsel auch ohne Indossament an den Zahlungsort einem Stellvertreter zusenden, welcher unbeschränkt den Indossatar in jeder Beziehung vertreten kann, wenn er sich gehörig zu legitimiren vermag, durch eine besondere Vollmacht, Correspondenz, Telegramm oder auf andere Weise. Die Verweigerung der Zahlung an den gehörig legitimirten Stellvertreter hat dieselben Folgen, wie die Verweigerung der Zahlung an den Inhaber selbst. Andererseits muss aber auch der Stellvertreter ganz dieselben Verpflichtungen und Förmlichkeiten erfüllen, wie der Inhaber, und ausdrücklich erklären, dass er im Namen des Inhabers handelt, weil ausserdem die Handlungen auf seinen eigenen Namen gehen würden und ungültig wären, wenn sein Name nicht auf dem Wechsel ersichtlich wäre. Auch die Protesterhebung und die Notification derselben, sowie die Erhebung der Klage und andere gerichtliche Schritte können von dem Stellvertreter mit voller Wirkung für den Wechselinhaber vorgenommen werden. Der Regress oder Recurs ist ein Anspruch auf Ersatz dafür, dass die Wechselsumme am Verfalltage nicht entrichtet wurde, also auf die Wechselsumme selbst, auf Verzugszinsen, und auf die durch die Nichtzahlung verursachten Kosten, wie aus Art. 847 näher zu ersehen ist.
Der Wechselinhaber hat aber nicht nur einen Regressanspruch gegen den Aussteller und die Indossanten, sondern zur Sicherung seines Anspruches gegen sämmtliche Wechselverpflichtete, mit Einschluss des Acceptanten, ein Recht auf provisorische Execution, wodurch er auf dem kürzesten Wege zur Realisirung seines Anspruches gelangen kann. Von diesem Rechte ist später in Art. 848 die Rede.
Art. 837. Die Regressschuld des Ausstellers und der Indossanten ist eine eventuelle, und kann erst entstehen, wenn die Hauptschuld nicht rechtzeitig, ohne Verschulden des Gläubigers, bezahlt wird. Um dies zu constatiren, müssen die in Art. 838 ff. behandelten Vorschriften betreffs der Protestation und Notification beobachtet werden, welche mithin im Interesse der Regresspflichtigen liegen, und deren Verletzung den Verlust des Regressanspruches gegen diese letzteren zur Folge hat. Anders verhält es sich gegenüber dem Acceptanten. Dessen Verpflichtung aus dem Wechsel ist eine principale, sie ist von nichts weiter bedingt, als von der Acceptation. Art. 797. Der erste Absatz des gegenwärtigen Artikels entspricht nur der allgemeinen Regel, dass der Gläubiger seine Forderung nicht verliert, wenn er sie auch nicht am Verfalltage geltend macht. Es schien zweckmässig, dies in Bezug auf den Acceptanten ausdrücklich auszusprechen, um jede Anwendung der nur für die Regresspflichtigen gültigen Vorschriften dieses Paragraphen zu verhüten. D. W. O. Art, 44. Code de comm. Art. 121.
Bravard III. p. 470. Das Wechselrecht gegen den Acceptanten geht daher erst durch Verjährung verloren, mithin durch den Ablauf von 3 Jahren. Art. 774. Von selbst versteht es sich übrigens, dass der Inhaber sein Wechselrecht gegen den Acceptanten, auch das Recht der vorläufigen Execution nach Art. 848, sofort am und vom Verfalltage an ausüben kann, und nicht erst den Erfolg seiner Schritte gegen den Aussteller und die Indossanten abzuwarten braucht.
Von dieser Regel findet nun eine Ausnahme statt im Falle von domicilirten Wechseln, d. h. solchen, auf welchen ein von dem Domicil des Bezogenen verschiedener Zahlungsort benannt ist, häufig auch ein besonderer Domiciliat, d. h. eine von dem Bezogenen verschiedene Person, welche die Zahlung auf den Wechsel zu leisten hat, obwohl letzteres zum Begriffe eines Domicil-Wechsels nicht nothwendig gehört. Solche Wechsel müssen am Verfalltage bei dem Domiciliaten, oder dem Bezogenen an dem besonderen Domicil, präsentirt und protestirt werden, widrigenfalls das Wechselrecht nicht nur gegen den Aussteller und die Indossanten, sondern auch gegen den Acceptanten verloren geht. D. W. O. Art. 43. 44. Code de comm. Art. 123. 173. Bravard III. p. 471 Note 1. Durch die Domicilirung eines Wechsels spaltet sich die Person des Principal -schuldners gewissermassen in zwei Personen, nämlich in diejenige, welche die Zahlung durch Accept verspricht oder dafür sorgen zu wollen erklärt, und in diejenige, welche die Zahlung selbst leisten wird. Auch wenn kein besonderer Domiciliat benannt ist, wird doch der Bezogene durch die Verschiedenheit des Zahlungsortes in Bezug auf die Zahlung anders verpflichtet, als in Bezug auf das Accept. Der Bezogene wird durch sein Accept gewissermassen zu einem zweiten Wechselaussteller, indem er einen Dritten zur Zahlung an einem anderen Orte anweist oder sich selbst dazu verpflichtet. Er nimmt insoferne gegenüber dem Domiciliaten und in Bezug auf die Zahlung die Stellung eines Regresspflichtigen ein, und daraus erklärt sich, dass in diesem Falle gegen ihn die gleichen Vorschriften erfüllt werden müssen, um seine eventuelle Verpflichtung entstehen zu lassen.
Die Protestirung scheint zwar überflüssig zus ein, wenn kein Domiciliat genannt ist, mithin der Acceptant als solcher gelten muss, da ein Protest nur dazu bestimmt sein kann, dritten Personen gegenüber förmlichen Beweis zu schaffen; und dies scheint auch die Auffassung der Deutschen Jurisprudenz zu sein, obwohl darüber Streit herrscht. Borchardt, Zus. 420 p. 268. Thöl, Wechselrecht § 163
Note 14 ff. Allein es kommt auch eine Protesterhebung bei der eigenen Person vor, z. B. wenn der Wechselinhaber zugleich Domiciliat oder dieser der Aussteller eines an eigene Ordre gestellten Wechsels wäre, und der Protest ist so sehr die allgemeine Beweisform für die Nichterfüllung einer Wechselschuld, dass davon in einzelnen Fällen keine Ausnahme gemacht werden kann, um so mehr als auch in dem supponirten Falle immerhin thatsächlich verschiedene Personen vorhanden sein können, z. B. der Verwalter einer Filiale, ein Procurist u. s. w. Daher sind die Vorschriften des zweiten Satzes in diesem Artikel auf alle Domicilwechsel anzuwenden, gleichviel ob ein besonderer Domiciliat darauf benannt ist oder nicht; mithin in allen Fällen am Zahlungsorte zu präsentiren und zu protestiren. Von selbst versteht es sich, dass zur Erhaltung des Wechselrechts gegen Aussteller und Indossanten die Präsentirung und Protestirung schon nach der allgemeinen Regel unerlässlich sind.
Uebrigens ist der Acceptant auch eines Domieilwechsels schon durch sein Accept verpflichtet, es bedarf daher gegen ihn nicht auch der Notification nach Art. 842, ohne welche in den wirklichen Regressfällen der Regressanspruch nicht entstehen kann. Die Bestimmungen des Art. 837 betreffen nur die Erhaltung, nicht die Entstehung des Wechselrechts gegen den Acceptanten. Die gleiche Auffassung herrscht in der Deutschen Jurisprudenz. Erk. vom 16. Oct. 1874 (Basch p. 23 Note 4).
In England gilt gleichfalls als Regel, dass wenn die Zahlung an einem besonderen Platze erfolgen soll, die Präsentirung dort erfolgen muss; Proteste kommen jedoch dort nur bei ausländischen Wechseln vor. Smith, merc. law p. 237. Kent, Comment. III. p. 99 Note.
Art. 838. In den folgenden Artikeln werden die Erfordernisse eines wirksamen Regressanspruches gegen Aussteller und Indossanten speciell entwickelt. Zunächst wird in dem gegenwärtigen Artikel zweierlei vorgeschrieben, nämlich die Präsentation zur Zahlung, bei dem Bezogenen oder Domiciliaten, am Verfalltage, und sodann die Constatirung der unterbliebenen Zahlung durch einen Protest Mangels Zahlung, d. h. einen förmlichen Act, dessen Erfordernisse später noch näher erklärt werden (siehe § 8.). Der Protest muss unverzüglich erfolgen, mithin an dem nächstfolgenden Tage, an welchem solche Acte vorgenommen werden können, also Werk-oder Geschäftstage. Dies gilt auch für den sog. Contraprotest, der beim Nothadressaten zu erheben ist. Ztschr. für H. R. Bd. 23 p. 271. Thöl, Wechselrecht § 131. S. auch Art. 830. Der nächstfolgende Tag empfiehlt sich, damit während des ganzen Laufes des Verfalltages dem Bezogenen Zeit gelassen werden kann, die Zahlung zu leisten. Ist übrigens die Präsentation etwa am Vormittag erfolgt, so braucht sie nicht noch einmal oder öfter wiederholt zu werden. S. Code de comm. Art. 161. 162. D. W. O. Art. 41. Holland. H. G. B. Art. 179. 180. Ital. H. G. B. Art. 247. 248. In allen Gesetzbüchern ist der nächstfolgende Werktag als Protesttag bezeichnet, mit Ausnahme des Deutschen, welches die Protestirung bis zum zweitfolgenden Werktag zulässt. Diese Verlängerung der Protestfrist scheint jedoch dem strengen Character der Wechselschuld nicht angemessen, und es muss offenbar als im Interesse der Regresspflichtigen liegend angesehen werden, dass sie sobald als möglich von der Dishonorirung des Wechsels Kenntniss erhalten.
Gesetzt, der Bezogene hätte auf einen anderen Tag acceptirt, als auf den vom Aussteller bezeichneten Verfalltag, so muss doch nach Art. 799 die Präsentation und resp. die Protestirung an dem letzteren Verfalltage erfolgen, da die etwaige Vereinbarung eines anderen Zahlungstages eine lediglich zwischen Bezogenem und Inhaber gültige Angelegenheit ist, und den Aussteller nicht verpflichtet, um so mehr als ja das Accept auf einen anderen Verfalltag von dem Inhaber zurückgewiesen werden kann.
Wenn die rechtzeitige Präsentation oder Protestation durch höhere Gewalt, Krieg oder Naturgewalt, nicht auch durch blossen Zufall unmöglich gemacht wird, wird der Inhaber nach den meisten Gesetzgebungen entschuldigt, wenn er nur so bald als möglich nach entferntem Hinderniss das Versäumte nachholt. Bravard III. p. 426. In der Deutschen Jurisprudenz (Thöl, Wechselrecht § 101) ist man zwar theilweise darüber entgegengesetzter Ansicht, jedoch hat die Berücksichtigung unwiderstehlicher Hindernisse die Gerechtigkeit und die Praxis für sich. Doch bleibt diese in jedem Falle der richterlichen Würdigung überlassen, und es ist zweckmässig und gewöhnlich, in manchen länger andauernden Fällen, wie Krieg oder innere Unruhen, das Nähere durch ein Gesetz zu bestimmen, wie es z. B. in Frankreich durch Gesetz vom 13. Aug. 1870 geschah. Ztschr. f. H. R. Bd. 16. p. 413. Bd. 17 p. 294.
Dem Argument, dass auch bei dem Aussteller und Bezogenen keine Rücksicht auf vis major hinsichtlich der Bestellung der Deckung und der Wechselzahlung genommen werde, steht der Einwand entgegen, dass hier nicht der Verlust eines Rechts, sondern die Befreiung von einer Verbindlichkeit in Frage steht, welche letztere offenbar nicht so leicht bewilligt wird. Auch handelt es sich nicht um Nachsicht hinsichtlich der Form, sondern nur der Zeit der Handlung.
Art. 839. Dieser Artikel erklärt sich aus der Natur des Protestes als eines förmlichen Beweismittels für die nichterfolgte Zahlung gegenüber den Regresspflichtigen, es kann daher durch keine andere Thatsache ersetzt werden. Ebenso ist verfügt im Code de comm. Art. 163. Ist der Bezogene nicht aufzufinden, so ist der Protest nach Vorschrift des Art. 853 vorzunehmen; ist jedoch die Wohnung des Bezogenen bekannt, und nur derselbe hier nicht anwesend, so wird der Protest in dieser Wohnung vorgenommen. Code de comm. Art. 173. D. W. O. Art. 91.
Ist der Bezogene gestorben, so muss der Protest gleichwohl in seinem Domicil oder Geschäftslocal vorgenommen werden, jedoch können seine Erben oder sonstige Vertreter resp. Rechtsnachfolger zugegen sein und die betreffenden Erklärungen abgeben. Das Gleiche ist der Fall bei eingetretenem Concurse, wo insbesondere der Concursverwalter die Vertretung zu übernehmen hat. Bravard III. p. 423. 424. Deutsche Erkenntn. vom 21. April 1871 und 25. Mai 1878 (Basch p. 39 Note 4 und p. 22 Note 8). Der Concursverwalter kann übrigens den Wechsel nicht bezahlen, da auch der Wechselgläubiger nicht mehr als seinen relativen Antheil aus der Concursmasse erhalten darf. Die Nothwendigkeit des Protestes wird durch das vorhandene Concurs-Erkenntniss nicht aufgehoben, da von dieser Förmlichkeit die weitere Entstehung von Wechselrechten, z. B. das Eintreten eines Ehrenzahlers, bedingt ist.
Art. 840. Der regelmässige Protest Mangels Zahlung kann nur nach Verfall erhoben werden, da vorher die Zahlung nicht verlangt werden kann. Anders verhält es sich mit dem sog. Sicherheits-Protest, der schon bei eingetretener Unsicherheit des Bezogenen gestattet ist; die Unsicherheit ist sowohl im rechtlichen Sinne, nämlich bei gerichtlich erklärter Zahlungsunfähigkeit, als im thatsächlichen Sinne voraussichtlich eintretender Zahlungsunfähigkeit, zu verstehen. In der D. W. O. Art. 29 Ziff. 2 sind einzelne Hauptfälle der Unsicherheit, nämlich Fruchtlosigkeit der Execution oder Verhängung des Personalarrestes, namentlich aufgeführt, doch ist eine Beschränkung auf diese Fälle nicht zu rechtfertigen; andere Fälle sind z. B. Flucht wegen Vermögensverfall, die eigene Erklärung der mangelnden Zahlungsmittel durch den Schuldner, Verborgenhalten etc. In Frankreich Code de comm. Art. 163 ist der Securitätsprotest nur im Falle erklärten Concurses gestattet, was aber, obgleich es die Regel zu sein scheint, offenbar nicht zu billigen ist. Thöl, Wechselrecht § 106. Renaud, Wechselrecht § 39 Note 27. Zweck dieses Protestes ist, Sicherheit zu verlangen, und zu constatiren, dass diese Sicherheit nicht geleistet wurde. Da alsdann voraussichtlich die Zahlung am Verfalltage nicht erfolgt, genügt der bereits erhobene Securitätsprotest für die Verfolgung des Regresses und es braucht nicht nochmals Protest Mangels Zahlung erhoben zu werden ; der Regress ist hier also schon vor Verfall möglich. So ist es wenigstens nach Franz. Recht Code de comm. Art. 163, während nach der Deutschen W. O. Art. 29 nur Sicherheitsleistung, wie im Falle nicht erfolgter Annahme Art. 800. Allein bei eingetretener Unsicherheit ist die Zahlung nicht mehr zu erwarten, während sie bei nicht erfolgter Annahme immer noch erfolgen kann; daher der Unterschied der gesetzlichen Bestimmungen.
Dieser Protest ist nur zulässig gegenüber dem Acceptanten, da ohne Accept keine Verpflichtung des Bezogenen besteht und folglich auch keine Sicherheit von ihm verlangt werden kann. Code de comm. Art. 163. D. W. O. Art. 29.
Art. 841. Die Bestimmung dieses Artikels folgt aus der solidarischen Natur der Wechselverbindlichkeit, nur durch die Zahlung eines Verpflichteten werden alle übrigen befreit. Code de comm. Art. 164. D. W. O. Art. 49. Ebensowenig findet eine Verpflichtung statt, bei der Regressverfolgung die Reihenfolge der Indossamente einzuhalten. Jedoch kann die Regressklage nur gegen diejenigen erhoben werden, denen gegenüber nach Art. 842 das Regressrecht durch Notification erlangt wurde.
Art. 842. In der Mehrzahl der Gesetzgebungen entsteht das Regressrecht nicht schon durch die Unterlassung der Zahlung, oder durch Vornahme des Protestes, sondern durch ausdrückliche und unverzügliche Erklärung des Regressanspruches. Der Grund hiefür liegt theils darin, dass die Regresspflichtigen meist von dem Schicksal des Wechsels nichts wissen können und daher specielle Nachricht davon erhalten müssen, theils darin dass sie ein Interesse haben, sobald als möglich diese Nachricht zu erhalten, um ihrer Seits die nöthigen Schritte zu ihrer Sicherung und Befriedigung thun zu können. Diese Erwägungen hält man für so stark, dass man fast überall die Entstehung des Regressrechts von der Vornahme der sog. Notification abhängig gemacht hat. So ist es namentlich in England und Frankreich. Smith, merc. law. p. 244. 249. Code de comm. Art. 165—167. Der Entwurf ist dem einfacheren und natürlichen, Englischen System gefolgt, wornach man denen, gegen die man recursiren will, Nachricht geben muss, und zwar unmittelbar, also am ersten Tage nach der Protestirung. Hiedurch ist dann das Regressrecht entstanden und die Klage kann, wenn keine Bezahlung der Regresssumme erfolgt, binnen der gewöhnlichen Verjährungsfrist von 3 Jahren angestellt werden. Art. 974. So war es auch nach dem älteren Französ. Recht, Ordonnance von 1673 V. 13. Bravard III. p. 441 Note 3, indem man die Notification bereits als einen Act der Regressverfolgung betrachtete. Nach dem Code de comm. Art. 165, auch dem Ital. Code Art. 251, ist jedoch die Notification unwirksam, wenn nicht binnen 14 Tagen vom Datum des Protestes oder gewissen längeren Fristen je nach bestimmten Entfernungszonen die Anstellung der Regressklage hinzukommt. Diese Aufstellung besonderer, local verschiedener Verjährungsfristen empfiehlt sich nicht, da sie gekünstelt erscheint und leicht zum Verlust des Regressrechts führen kann; auch scheint es nicht juristisch logisch, für die Entstehung und Verjährung eines Rechtes die gleiche Frist zu bestimmen. Die Klaganstellung kann daher nicht wohl als wesentlicher Anfang der Regressverfolgung angesehen werden, und es scheint diese Vorschrift auf einer allzu buchstäblichen Interpretation der Ordonnance von 1673 zu beruhen. Nach Deutsch. (D. W. O. Art. 41. 45) und Holländ. Recht (Holländ. H. G. B. Art. 184. 185) ist die Notification für die Entstehung des Regressrechts nicht nothwendig, dagegen ist die Verpflichtung hiezu von Vormann zu Vormann, mithin nicht nach Beiieben des Recurrenten, gesetzlich vorgeschrieben, und deren Unterlassung wird mit dem Verlust der Nebenansprüche, Zinsen und Kosten, und mit der Verpflichtung zu etwaigem Schadensersatz bedroht. Diese Vorschriften sind nicht nachahmenswerth, da es hiernach vorkommen kann, dass Jemand in Anspruch genommen wird, der gar keine Notification erhalten hat, oder doch lange bevor er solche erhält, wenn z. B. der Inhaber dem letzten Indossanten notificirt und gleichzeitig den Aussteller auf Zahlung der Regresssumme verklagt. Auch ist der Verlust des Regressanspruches dem strengen System des Wechselrechts angemessener, als die blosse Verpflichtung zum Schadensersatz, die bei oft schwierigem Beweise des Schadens leicht werthlos sein kann, und der Verlust von Nebenansprüchen, für den eine innere Begründung nicht wohl vorhanden ist. Im Entwurfe ist man daher dem Englischen System beigetreten, das sich wegen seiner Natürlichkeit und Einfachheit am meisten empfiehlt; das Französ. System ist überdies auch wegen der Schwierigkeit der Festsetzung der Regressfristen bedenklich, und sind die Fristen des Code de commerce bereits durch ein Gesetz von 1862 abgenändert, nämlich auf die Hälfte herabgesetzt worden, was bei der stetigen Veränderung und Entwicklung der Verkehrsmittel immer wieder von neuem geschehen müsste.
Auch die Frist der Notification wurde nach dem Englischen System auf einen Tag festgesetzt, da dies zu deren Vornahme vollständig genügt und längerer Verzug nur schädlich wirken kann. Der Inhaber muss am Tage nach dem Protest, Jeder andere, nämlich jeder Indossant, am Tage nach erhaltener Notification seinerseits notificiren. An entfernt Wohnende geschieht sie per Post, und ihr Beweis erfolgt im Falle Widerspruchs durch Vorlage des betreffenden Postscheins. Sonntage und andere öffentliche Ruhetage werden nicht gezählt, auch wenn an ihnen die Post offen ist.
Um die Pflicht der Notification zu erleichtern und zugleich deren Kosten zu vermindern, wurde zugleich conform mit dem Engi. Recht (Smith, merc. law. p. 245. Bravard III. p. 450 Note) bestimmt, dass die Notification eines Vormannes auch dessen sämmtlichen Nachmännern nützen soll. So kann z. B. der Inhaber den Aussteller in Anspruch nehmen, wenn auch diesem nicht durch ihn selbst, sondern durch seinen Indossanten oder einen anderen Vormann notificirt wurde. Die Rechtfertigung hiefür liegt darin, dass das Factum einer Person auch denen nützen muss, denen er bezüglich derselben Sache verpflichtet ist, denn es könnte sein, dass er die erlangte Regresssumme auf dem Wege des Recurses wieder an einen Nachmann herausgeben muss.
Die Notification darf keine blosse private und beliebige Mittheilung, sondern sie muss speciell und förmlich beglaubigt sein. Dadurch rechtfertigt sich die Vorschrift der Beilegung einer Copie des Protestes, woraus die wörtliche Identität des betreffenden Wechsels, und die Thatsache der rechtzeitig erfolgten Präsentirung und Protestirung, sowie der nicht erfolgten Zahlung erhellt. Diese förmliche Beglaubigung kann durch die blosse Correspondenz des Inhabers nicht ersetzt werden.
Art. 843. In diesem Artikel wird das Princip des sog. springenden Regresses (regressus per saltum) oder des Variationsrechtes im Gegensatz zum sog. Reiheregress (regr. per ordinem) sanctionirt. Das gleiche Princip ist in der D. W. O. Art. 49 und im Englischen und Französischen Rechte anerkannt. Smith, merc. law p. 244. Code de comm. Art. 164. Bravard III. p. 456. Dieses Princip schliesst zugleich mit ein, dass die übersprungenen Pflichtigen an und für sich nicht befreit werden, und dies wurde ausdrücklich ausgesprochen, da nach manchen älteren Gesetzgebungen das Gegentheil stattfand. S. Renaud, Wechselrecht § 86 Note 4. Offenbar würde die Freiheit der Auswahl zu sehr beschränkt, wenn dadurch der Anspruch gegen die Nachmänner verloren würde, und es kann für letzteres auch kein innerer Grund angeführt werden. Der Regredient muss diese Freiheit der Auswahl haben, um hinsichtlich des Ortes, der Zahlungsfähigkeit und anderer Umstände am schnellsten und für ihn bequemsten zu seinem Gelde zu gelangen. Das gleiche Recht, wie dem Wechselinhaber, steht natürlich auch jedem Indossanten gegen seine Vormänner zu, nach Analogie des Art. 841.
Art. 844. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf dem Grundsatz, dass man nur auf eigene, nicht auf fremde Rechte verzichten kann. Der Erlass des Protestes wirkt daher stets nur in Bezug auf den, welcher ihn ausdrücklich aussprach, und nur zu seinem Nachtheil, nicht zum Nachtheil des Inhabers. Vgl. Art. 828. Dem letzteren kann das Recht, sich die Vortheile eines förmlichen Protestes zu sichern, nicht von dem Regresspflichtigen genommen werden, wohl aber kann der letztere auf die Levirung des Protestes für seine Person verzichten; er muss aber, wenn trotzdem protestirt wird, den Protest anerkennen und namentlich auch die Protestkosten bestreiten. Im Falle der Unterlassung des Protestes soll sodann die blosse Notification genügen, der, um sie hinreichend speciell und bestimmt zu machen, eine Abschrift des fraglichen Wechsels beigefügt werden soll. Die Wirkung ist dann, dass der Regresspflichtige auf den Beweis der im Protest beglaubigten Thatsachen verzichtet und wenn er dieselben bestreiten will, seinerseits den Gegenbeweis führen muss. Auch wird durch den Erlass des Protestes nicht auch die Pflicht der rechtzeitigen Präsentation zur Zahlung erlassen; und der Erlass des Protestes wirkt gegenüber allen Nachmännern des Erlassenden, da sie nach diesem den Wechsel mit der betreffenden Clausel übernommen haben. Hat also der Aussteller auf den Protest verzichtet, so gilt dies gegenüber sämmtlichen späteren Indossataren. D. W. O. Art. 42. Thöl, Wechselrecht § 99. Das gleiche Princip gilt in Frankreich und England. Bravard III. p. 78 ff. 421. Story, Engl. Wechselrecht § 216. 275; jedoch hat in Frankreich der Protesterlass einen mehr absoluten Character, indem er gegenüber allen Wechselverpflichteten gilt und zur Forderung der Protestkosten nicht berechtigt.
Der Protesterlass kann durch die Worte „ohne Protest” oder „ohne Kosten”, aber auch auf jede andere verständliche oder übliche Weise ausgedrückt werden.
Art. 845. Der Inhalt dieses Artikels findet seine Erklärung in den Bemerkungen zu Art. 842. Er folgt zwar aus dem Wesen der Verjährung von selbst, er wurde aber ausdrücklich ausgesprochen, um nicht die Annahme entstehen zu lassen, als sei, wie im Französ. Rechte, die sofortige Anstellung der Regressklage erforderlich. Jeder Regressanspruch hat seine mit der Notification beginnende besondere Verjährungsfrist, sie beträgt aber in allen Fällen gleichmässig 3 Jahre. Anders nach Französ. und Deutsch. Rechte. Code de comm. Art. 165 und Gesetz von 1862. D. W. O. Art. 78. 79.
Art. 846. Der Aussteller oder ein anderer Deckungspflichtiger haben nicht blos dafür zu sorgen, dass der Bezogene die Deckung erhält und folglich Zahlung am Verfalltag leistet; sie sind zugleich Garanten für diese Zahlung und müssen dafür einstehen, wenn etwa der Bezogene trotz Accepts und empfangener Deckung nicht zahlen sollte. Insoferne geht die Deckung auf ihre Gefahr, nicht auf Gefahr des Inhabers. Im Französ. Rechte gilt der an sich nicht unrichtige Grundsatz, dass der Inhaber Eigenthümer der Deckung sei, allein es wäre falsch, daraus etwa zu schliessen, dass er auch die Gefahr dafür trägt und dass die Regresspflichtigen von ihrer Verpflichtung frei werden, sobald sie die Deckung berichtigt haben. Allerdings können sie dadurch in die Lage kommen, zweimal zahlen zu müssen, nämlich einmal die Deckung und sodann die Regresssumme. Allein als Garanten der Wechselzahlung können sie diese Gefahr nicht von sich abwenden. Um nahe liegenden Irrthümern vorzubeugen, schien es zweckmässig, den richtigen Grundsatz direct auszusprechen, da hierauf in hohem Grade die strenge Sicherheit des Wechselcredits beruht.
Der zweite Absatz des Artikels behandelt den umgekehrten Fall, dass nämlich die Einrede der fehlenden Deckung gegen den Regressnehmer erhoben wird. Diese Einrede ist begründet, wenn sich der letztere zur Deckung verpflichtet hatte. Dies ist in Betreff des Ausstellers gegenüber dem Bezogenen immer von selbst der Fall, auch ohne ausdrücklichen Vertrag, Indossanten können dazu nur durch besondere Vereinbarung verpflichtet werden. So kann namentlich derjenige, auf dessen Rechnung und Auftrag der Wechsel gezogen wurde, später Inhaber desselben werden, oder von vorneherein die Stellung des Remittenten (Nehmers) einnehmen. Ein solcher hat keinen Regress, wenn er die versprochene Deckung zu geben unterliess. Der Aussteller hat stets gegen den Bezogenen einen Regressanspruch, der aber etwas anderer Natur ist und in Art. 871 sich behandelt findet. Auf diesen Anspruch muss die Einrede der nicht gegebenen Deckung nach Art. 846 gleichfalls Anwendung finden. Ztschr. für H. R. Bd. 13 p. 261 ff. Ist die Pflicht zur Deckung auf Rechnung eines Dritten übernommen worden, so kann übrigens die Einrede gegen den nur nominell Verpflichteten nicht erhoben werden. Dass ein das Recht auf Deckung begründendes Rechtsverhältniss zwischen dem Deckungspflichtigen und dem Bezogenen bestehe, braucht nicht bewiesen zu werden; denn der Aussteller ist hiezu von selbst verpflichtet, jede andere Person kann diese Verpflichtung durch formelle Erklärung auf sich nehmen.
Es ist wohl zu beachten, dass Art. 170 des Franz. Code de comm., welcher dem Aussteller die Einrede der geleisteten Deckung zugesteht, nur für den Fall gilt, dass der Wechselinhaber durch seine Nachlässigkeit die gesetzliche Präsentations- oder Protestfrist versäumt hat. Bravard III. p. 450 ff.
Art. 847. Der Regressanspruch enthält keinen Anspruch auf etwaigen Schadensersatz, sondern nur auf die übliche Zinsentschädigung und den Ersatz der direct verursachten Auslagen; ausser den Protestkosten gehören hieher namentlich Commissions- und Maklergebühren, Stempel und Porto. Die Kosten des Rückwechsels sind in Art. 861 näher angegeben. Aehnlich bestimmt auch Code de comm. Art. 181. 184. 185. Letzteres Gesetzbuch macht hiebei die Unterscheidung zwischen den Zinsen der Wechselsumme selbst, und den Zinsen der Kostensumme, welche der Regredient auslegen musste; erstere können vom Verfalltage an, letztere nach gewöhnlichen Grundsätzen erst vom Tage der Klaganstellung gefordert werden. Die D. W. O. Art. 50. 51. räumt dem Regredienten noch eine Provision von 1/3 procent der Wechselsumme resp. Regresssumme ein, was als ein ungefährer und durchschnittlicher Schadensersatz zu verstehen ist. Hievon soll nur eine Ausnahme stattfinden, wenn die Pflicht der rechtzeitigen Notification nicht erfüllt wurde. D. W. O. Art. 45.
Die Beschränkung des Regressanspruches auf Zinsen und directe Auslagen, wie sie der Entwurf annahm, ist auch im Englischen Rechte geltend. Smith, merc. law p. 258. Sie folgt mit logischer Nothwendigkeit schon daraus, dass die Wechselschuld eine streng formelle Geldschuld ist, ohne dass auf das zu Grunde liegende Rechtsverhältniss Rücksicht genommen wird, so dass die Ermittlung eines materiellen Schadens geradezu ausgeschlossen erscheint. Der Wechselgläubiger wird übrigens durch Zulassung des Anspruchs auf Kostenersatz günstiger behandelt, als der gewöhnliche Gläubiger einer Geldsumme. Vgl. oben Art. 374. Code civil Art. 1153. Bravard III. p. 505 Note.
Art. 848. Nach der älteren Gesetzgebung bestand die Strenge der Wechselschuld vornehmlich in der persönlichen Schuldhaft des nicht zahlenden Schuldners, so dass mithin die Person desselben ebenso ein Executionsmittel war, wie sein Vermögen. Diese persönliche Schuldhaft ist in der neueren Gesetzgebung fast durchweg aufgehoben worden. Französ. Gesetz vom 22. Juli 1867, betreffend die Aufhebung der contrainte par corps. Deutsches Gesetz vom 29. Mai 1868 betr. die Aufhebung der persönlichen Schuldhaft. England Gesetz vom 9. Aug. 1869 (Act for the abolition of imprisonment for debt), ausgenommen für kleine Schulden bis zu 50 Pfd. St., wenn der Schuldner sich zu zahlen weigert, obgleich er zahlen kann, und gewisse andere besondere Fälle. Ztschr. für H. R. Bd 17 p. 378 ff.
Diese Aufhebung betrifft jedoch nur die Personalhaft als Sicherungsmittel für die Execution eines Schuldurtheils, nicht auch den Personalarrest als Sicherungsmittel für die Wirksamkeit der zukünftigen Execution, also besonders wenn der Schuldner fluchtverdächtig ist und Vermögen bei Seite schafft. Dieser Sicherheitsarrest gegen unredliche Schuldner ist in allen Gesetzgebungen wie früher in Geltung geblieben. Code de comm. Art. 455. 456 nach dem Gesetze vom 14. Mai 1838. Bravard V. p. 115 ff. England Gesetz vom 9 Aug. 1870 (Act to facilitate the arrest of absconding debtors). Deutschland Civil—Proz. Ordn. v. 30. Jan. 1877 § 798. Thöl, Wechsel recht § 203. Dieser Personalarrest kann insbesondere dazu dienen, den Schuldner zu nöthigen, im Auslande befindliche oder versteckte Executionsmittel herbeizuschaffen. Da indessen die Personalhaft als solche nicht ausschliesslich das Wechselrecht betrifft, so wurde darüber in den Entwurf keine Bestimmung aufgenommen.
Die Bestimmung des gegenwärtigen Artikels, betreffend die vorläufige Execution in das bewegliche Vermögen des Schuldners findet sich namentlich auch im Code de comm. Art. 172. Bravard III. p. 410. Aehnlich, jedoch in mehr allgemeinem Sinne, in Deutschland nach der Civ. Proz. O. von 1877 § 797. 806. Dieses Executionsrecht ist von der vorherigen Erwirkung eines Urtheiles unabhängig, sondern kann durch einfachen Antrag an das zuständige Gericht, der jedoch durch die für jeden Regressanspruch nöthigen Documente und Thatsachen unterstützt werden muss, ausgeübt werden. Ein besonderer Nachweis thatsächlicher Voraussetzungen, wie Fluchtverdacht u. dgl., ist hier nicht erforderlich. Nur muss die Klage binnen 14 Tagen wirklich angestellt werden, damit nicht etwa die Execution zum Nachtheil des Schuldners grundlos in die Länge gezogen werden kann.
Diese Execution ist gegen alle Regresspflichtigen zulässig, mithin gegen Aussteller und Indossanten, sowie deren Avalisten; jedoch auch gegen den Acceptanten, auch nur per Intervention, dagegen nicht gegen den Domiciliaten, oder blossen Nothadressaten (Re-commandatair), der nicht acceptirt hatte. Der Grund hiefür ist, dass in allen Fällen eine feste und klare Wechselschuld vorliegen muss.
Art. 849. Diese Bestimmung, die sich auch in der D. W. O. Art. 54 findet, erklärt sich dadurch, dass durch Zahlung der Regresssumme alles Recht aus dem Wechsel auf den Regresspflichtigen übergeht, ihm daher alle zur Geltendmachung seines Rechtes nöthigen Documente ausgeliefert werden müssen. Die Quittirung des Wechsels ist nicht erforderlich, es genügt in dieser Beziehung die quittirte Retourrechnung.
Art. 850. Eie gleiche Bestimmung findet sich auch in der D. W. O. Art. 48. Leipz. Protocolle p. 183 ff. Thöl, Wechselrecht § 143. Das Gleiche gilt nach Französ. Recht. Code civil Art. 1236. 1251. Code de comm. Art. 159. Die Rechtfertigung besteht in Bezug auf Wechsel darin dass jeder Wechselschuldner, wie er solidarisch verpflichtet ist, so auch solidarisch berechtigt sein muss bezüglich der Zahlung und dass es seinen kaufmännischen Interessen vielfach entsprechen wird, ein solches Recht auszuüben, entweder um den Wechsel rasch zur Zahlung zu bringen, oder um sich ein Recursrecht gegen andere Schuldner zu erwerben u. dgl. Kein Wechselschuldner braucht mithin zu warten, bis er vom Inhaber oder einem Recursberechtigten angegangen wird, er kann freiwillig die Zahlung anbieten, und es muss ihm daraufhin der Wechsel nebst Protest ausgeliefert werden, gleichviel ob an ihn Notification erging oder nicht. Durch die Zahlung tritt der zahlende Schuldner in die Rechte des Bezahlten ein, ähnlich wie im Falle der Intervention, Code de comm. Art. 159, es versteht sich aber von selbst, dass er gegen seine eigenen Nach männer keinen Regress haben kann, sondern nur gegen seine Vormänner; es muss jedoch die von dem Inhaber bewirkte Notification auch ihm zu statten kommen. Zu den Wechselschuldnern gehört auch der Acceptant, der mithin gleichfalls trotz vorher verweigerter Zahlung den Wechsel an sich bringen kann; allein er kann nur ein Recursrecht gegen den Aussteller, nicht gegen die Indossanten haben, da er von letzteren kein Mandat zur Zahlung erhalten hat, Bravard III. p. 490, während umgekehrt die Indossanten allerdings den Acceptanten wegen Zahlung des Wechsels verfolgen können.
Wenn der Inhaber die Annahme einer solchen Zahlung verweigert, verliert er zwar nicht seinen Regress gegen den Offerenten und dessen Nachmänner (Vgl. oben Art. 353), allein der Offerent ist zur gerichtlichen Deponirung der Summe berechtigt (Art. 819), und kann überdies von dem Inhaber den Ersatz etwaigen Schadens verlangen.
§ 9. Protesterhebung.
Art. 851. Nach den neueren Gesetzen ist die Zuziehung von Zeugen bei der Vornahme des Protestactes nicht mehr erforderlich. D. W. O. Art. 87. Belg. Gesetz vom 10. Juli 1877 und Verordn. vom 13. Aug. 1877. Ztschr. für H. R. Bd. 23 p. 177. 181. Levi, intern. comm. law. 1 p. 440. Auch in Frankreich sind die zu umständlichen Vorschriften des Code de comm. Art. 173 in dieser Beziehung durch ein Decret vom 23. März 1848 vereinfacht worden, so dass nunmehr die Gegenwart eines Notars oder Huissiers genügt, ohne dass Zeugen resp. ein zweiter Notar erforderlich wären. Welche Gerichtsbeamten Proteste aufnehmen können, ist nöthigenfalls durch Verordnung der Regierung zu bestimmen. S. die oben citirte Belgische Verordnung von 1877 ; auch ein Preuss. Gesetz vom 21. Aug. 1876. Ztschr. für H; R. Bd. 22 p. 242. Insbesondere können Gerichts-Secretäre, Gerichtsvollzieher (Huissiers) und ähnliche subalterne Gerichtsbeamte dazu bestimmt werden. Proteste können nach Deutschen Verordnungen, so z. B. vom 18. Juli 1876 (Ztschr. für H. R. Bd. 23 Beil. p. 21), auch durch die Post vermittelt, d. h. im Falle der Nichtzahlung an die betr. Gerichtsperson weiterbefördert werden, in Belgien können sogar die Proteste selbst durch Postbeamte aufgenommen werden. Ztschr. für H. R. Bd. 23 Beil. p. 181. Diese Befugniss erscheint bedenklich, da Postbeamte die erforderliche juristische Kenntniss und Erfahrung nicht besitzen. Vgl. Schriften hierüber in Ztschr. für H. R. Bd. 24 p. 307.
Art. 852. Aehnlich bestimmt auch die D. W. O. Art. 91 und es ist dies der practischen Wirklichkeit gemäss. Der Code de comm. Art. 173 nennt nur das Domicil, allein es wird dasselbe in gleicher Weise verstanden. Bravard III. p. 433. Ist der Ort auf dem Wechsel benannt, so muss daselbst der Act vorgenommen resp. der Protestat aufgesucht werden. Die D. W. O. hat noch die Bestimmung, dass an einem anderen Orte, z. B. an der Börse, mit beiderseitiger Einwilligung protestirt werden darf. Da indessen der Act auch im Interesse anderer Personen liegt und darunter leicht die Förmlichkeit und Genauigkeit leiden könnte, so wurde diese Bestimmung nicht adoptirt. Wenn der Protestat durch Abwesenheit oder sonst die Protestaufnahme unmöglich zu machen sucht, wird dieselbe gleichwohl vorgenommen und die Thatsache, sowie namentlich der Grund der fehlenden Unterschrift im Proteste bemerkt. Code de comm. Art. 174. Ausserdem kommt für Frankreich noch Art. 68 des Code de procedure civile zur Anwendung.
Art. 853. 854. Aehnlich vefügt der Code de comm. Art. 173, indem ein acte de perquisition, d. h. Nachfrage am Orte vorgeschrieben ist. D. W. O. Art. 91. Es besteht weder ein Recht noch eine Verpflichtung, den Protest in einer anderen Ortschaft vorzunehmen; auch wenn diese als nunmehriges Domicil des Protestaten bekannt wäre, braucht man diesem dorthin nicht zu folgen. Der regelmässige Protestort ist der Zahlungsort und es darf darin keine beliebige Aenderung vorgenommen werden. Ist der Protestat zufällig abwesend, ohne einen Vertreter zurückgelassen zu haben, so hindert dies gleichfalls die Vornahme des Protestes nicht.
Art. 855. Diese Bestimmungen sind den allgemeinen Grundsätzen und dem gewöhnlichen Gebrauche gemäss. S. auch D. W. O. Art. 92. Borchardt, Zus. 724. Smith, merc. law. p. 242. 243. Insbesondere sind bestimmte Geschäftsstunden für den Protest nicht vorgeschrieben und es braucht auch die Angabe der Stunde nicht im Proteste zu stehen. Indessen kann man immerhin die Ansicht aufstellen, dass die Protesterhebung ausserhalb der gewöhnlichen Geschäftsstunden durch besondere Umstände gerechtfertigt sein muss, da der Geschäftsmann nach Schluss der Geschäftszeit das Bureau zu schliessen und zu verlassen pflegt. Ein Preuss Gesetz vom 15. Febr. 1850 hat allerdings bestimmt, dass Proteste nur von 9 Uhr Vormittag bis 6 Uhr Abends, zu einer früheren oder späteren Zeit aber nur mit Zustimmung des Protestaten erhoben werden dürfen. Ztschr. für H. R. Bd. 23 p. 270. Andere Bestimmungen dieser Art, bis 7 oder 8 Uhr Abends, s. bei Renaud Wechselrecht § 28 Note 12. Doch ist in der W. O. selbst darüber nichts verordnet. Ein an Sonn- oder Feiertagen aufgenommener Protest muss der richtigeren Ansicht nach als ungültig betrachtet werden, da hierdurch die Zeit dem Protestaten verkürzt wird und das Gebot öffentlicher Ruhetage keinen Verzicht Einzelner zum Nachtheil Anderer zulässt. Borchardt, Zus. 751.
Art. 856. Ebenso bestimmt die D. W. O. Art. 91. Alle wechselmässigen Handlungen sind formelle Acte, deren Genauigkeit und Gleichmässigkeit nothwendig erscheint und daher durch gesetzliche Vorschriften gesichert werden muss.
Art. 857. Die Vorschrift dieses Artikels hat zum Zweck, die Identität des Wechsels, wegen dessen Nichtzahlung protestirt wird, und alle hiebei wesentlichen Momente festzustellen. Vgl. auch Code de comm. Art. 174. D. W. O. Art. 88. Daher sind Fehler oder Auslassungen, welche die Identität des Wechsels nicht in Zweifel stellen, ohne Einfluss auf die Gültigkeit des Protestes. Hinsichtlich der Person des Protestaten, dessen An- oder Abwesenheit bemerkt werden muss, ist zu erinnern, dass derselbe persönlich benannt werden muss, nicht bloss etwa die Collectiv-Firma, oder die Actienfirma u. dgl.; mithin muss auch ein etwaiger Procurist oder sonstiger Stellvertreter persönlich benannt werden. Die Unterschrift aller Anwesenden ist erforderlich, schon aus Gründen der Ordnung, wie bei jedem Protocoll; jedoch ist sie nicht absolut wesentlich, wenn ihr Fehlen wegen Weigerung etc. ausdrücklich constatirt wird. In diesem Falle genügt sodann die amtliche Beglaubigung des Notars. In der D. W. O. ist die Unterschrift der Parteien nicht vorgeschrieben, doch ist dies von geringer Wichtigkeit. Derjenige, für welchen protestirt wird, braucht keinesfalls anwesend zu sein, da er durch den Notar oder einen anderen Stellvertreter (Art. 851) repräsentirt wird. Eine einzige Protesturkunde genügt für die Protestirung mehrerer Wechsel ; ebenso wenn bezüglich eines Wechsels gegen mehrere Personen Protest erhoben werden muss.
Art. 858. Nach Art. 827 können auch verlorene oder sonst dem Berechtigten abhanden gekommene Wechsel präsentirt und protestirt werden. Da hier der Wechsel selbst nicht vorliegt, muss die wörtliche Abschrift so viel wie möglich durch genaue Inhaltsangabe ersetzt werden, und es muss im Proteste ausdrücklich erklärt werden, aus welchem Grunde, also weil der Wechsel gestohlen, verbrannt wurde u. dgl., er nicht wörtlich abgeschrieben werden konnte.
Art. 859. Ebenso verfügen Code de comm. Art. 176 und D. W. O. Art. 90. Die Ausfertigung der Proteste ist oft in mehreren Exemplaren nöthig, wenn gegen Mehrere gleichzeitig Regress erhoben wird, oder auch wenn die Protesturkunde verloren wurde u. dgl. Bravard III. p. 439.
§ 10. Rückwechsel.
Art. 860. Der Rückwechsel ist in allen Gesetzgebungen anerkannt. Code de comm. Art. 177—186. D. W. O. Art. 53. Holländ. H. G. B. Art. 187-197. Span. H. G. B. Art. 549-557. Ital. H. G. B. Art. 263—271 (ricambio). Ebenso findet der Gebrauch des Rückwechsels in England statt, jedoch nur für ausländische Wechsel. Smith, merc. law p. 259. Levi, internat. commerc. law. I. p. 459. Der Nutzen des Rückwechsels besteht darin, dass sich der Inhaber, wenn die Zahlung durch den Bezogenen am Verfalltage nicht erfolgt, ohne Verzug am Zahlungsorte in den Besitz der Wechselsumme nebst den ihm gebührenden Zinsen und Kosten setzen kann, dadurch dass er auf einen Regresspflichtigen einen Wechsel zieht und diesen am Zahlungsorte an einen Bankier oder sonst negociirt. Dieser Wechsel trägt zwar nicht das Accept des bezogenen Regresspflichtigen, und seine Honorirung ist insoferne allerdings zweifelhaft, allein an Stelle des Acceptes steht die Unterschrift des Bezogenen auf dem protestirten Wechsel als Aussteller oder Indossant, sowie der beifolgende Protest, so dass über die Verpflichtung zur Honorirung des Rückwechsels durchaus kein Zweifel obwalten kann. Ebenso ist der zulässige Betrag der Summe des Rückwechsels gesetzlich geregelt, und dadurch voraussichtlich Streit hierüber ausgeschlossen. Ausserdem erhöht das Princip des Rückwechsels die heilsame Strenge der Wechselschulden, indem durch die Befürchtung kostspieliger Rückwechsel die Ausstellung und Annahme zweifelhafter Wechsel verhütet wird. Ein Nachtheil kann aus dem Gebrauche der Rückwechsel nach keiner Seite entstehen, da die einzige Gefahr einer möglichen unverhältnissmässigen Vertheuerung des Regresses für die Regresspflichtigen wegen Häufung von Kosten und Cursvergütungen durch gesetzliches Verbot verhütet werden kann. Uebrigens ist zuzugeben, dass der Gebrauch des Rückwechsels gerade nicht sehr häufig ist, und vorzugsweise nur im ausländischen Wechselverkehr stattfindet.
Der Rückwechsel vertritt die Stelle der Rückverfolgung mittelst gerichtlicher Klage und vorheriger Notification, er macht aber die letztere nicht überflüssig; denn wenn der Rückwechsel nicht honorirt würde, bliebe dem Inhaber des Hauptwechsels nur die gerichtliche Regressnahme übrig. Diese wäre aber inzwischen verloren gegangen, wenn nicht gemäss Art. 842 die Notification erfolgt wäre. Daher ist es durchaus rathsam, auch wo ein Rückwechsel gezogen wird, dennoch die rechtzeitige Notification nicht zu unterlassen. Dass die rechtzeitige Präsentirung und Protestirung wesentliche Bedingungen für die Gültigkeit des Rückwechsels sind, versteht sich von selbst, und ist überdies aus dem Inhalte des Art. 862 zu entnehmen.
Wegen eines unbezahlt gebliebenen Rückwechsels könnte möglicher Weise wieder ein Rückwechsel auf die nunmehrigen Regresspflichtigen, und im Falle der Dishonorirung dieses wieder ein neuer Rückwechsel und so fort ins Unendliche gezogen werden. Dass dies Bedenken hätte, leuchtet von selbst ein, und es dürfte sich vielleicht die gesetzliche Bestimmung rechtfertigen, dass Rückwechsel nur einmal gezogen werden können, d. h. stets nur wegen eines protestirten Hauptwechsels und nicht auch wegen eines Rückwechsels. Dagegen ist die Häufung mehrerer Rückwechsel auf Indossanten bis zurück zum Aussteller nicht ausgeschlossen (s. Art. 861).
Art. 861. Der Rückwechsel ist eine Operation, durch welche man dem Regresspflichtigen die Entrichtung der Regresssumme in der Form besonderer Wechselzahlung auferlegt. Die Summe des Rückwechsels kann daher nicht mehr enthalten als die Beträge, aus denen die Regresssumme sich zusammensetzt. Es wird dabei vorausgesetzt, dass der Inhaber sich die Wechselsumme, welche vom Bezogenen unbezahlt geblieben ist, nebst den dadurch veranlassten Zinsen und Kosten von einem Anderen, Bankier oder sonst Jemandem, ausbezahlen lässt und was er diesem dafür zu leisten hat, durch den Rückwechsel von dem Regresspflichtigen ersetzen lässt. Der Dritte ist dann regelmässig derjenige, an welchen die Auszahlung des Rückwechsels zu erfolgen hat. Am einfachsten geschieht dies dadurch, dass der Rückwechsel an die Ordre des Dritten gezogen oder an denselben indossirt wird. Zu den allgemeinen Kosten, für Protest etc., kommen hier noch die speciellen Kosten des Rückwechsels, die im Entwürfe ähnlich wie im Code de comm. Art. 181 specificirt sind. Commissions- oder Maklergebühren sind zulässig, weil Wechsel regelmässig durch Dritte, insbesondere Börsenmäkler oder Agenten negociirt werden. Der Curs des Rück Wechsels, der in anderen Sprachen häufig im engeren Sinne rechange, reexchange genannt wird, ergibt sich daraus, dass eine und dieselbe Geldsumme, in gleicher oder in verschiedenen Münzen, also an sich dieselbe Menge Silbers oder Goldes, oft an verschiedenen Handelsplätzen einen verschiedenen Werth hat. Hundert Pf. St. in Yokohama sind nicht immer 100 Pf. St. in London werth; dies folgt schon daraus, dass man das Porto darauf zahlen müsste, wenn man sie baar von Yokohama nach London senden wollte. Da man nun die Baarsendungen möglichst vermeidet und lieber in Wechseln zahlt, und da auch abgesehen hievon Wechsel die regelmässige Zahlungsart im Handel bilden, so folgt, dass der Werth des Geldes an einem Orte von dem jeweiligen Wechselcurs abhängt. Gesetzt also, 100 Pf. St. in Yokohama kosten 103 Pf. St., d. h. einen Curszusatz von 3 procent für einen Wechsel auf London, so würde der Inhaber nur 97 Pf. St. bekommen, wenn er den Wechsel nur auf 100 Pf. St. ausstellte; um 100 Pf. St. zu bekommen, muss daher die Wechselsumme auf 103 Pf. St., und mit Einrechnung der Zinsen und anderweitigen Kosten, vielleicht auf 110 Pf. St. ausgestellt werden. Diese Summe von 110 Pf. St. wäre daher hier die Regresssumme, über welche auf den Aussteller in London, oder auf irgend einen Indossanten, ein Rückwechsel ausgestellt werden könnte, um für die Nichtzahlung des protestirten Hauptwechsels Ersatz zu erhalten.
Um den zuletzt regresspflichtigen Aussteller vor übermässiger Vertheuerung seiner Ersatzleistung zu beschützen, ist nun gewöhnlich, und auch im Entwürfe, verordnet, dass 1, der Curs des Rück Wechsels nur zu dem thatsächlich bestehenden Satze angerechnet werden, und 2, der Aussteller in keinem Falle eine höhere Cursvergütung zu tragen hat, als der Curs vom Zahlungsort auf den Ausstellungsort für Sichtwechsel zur Zeit der Ausstellung des Rückwechsels beträgt. Beide Curse müssen zur Sicherung des Ausstellers beglaubigt werden. Die letztere Bestimmung wird dann wichtig, wenn ein Rückwechsel zunächst auf einen Indossanten, von diesem wieder an einen Indossanten u. s. w. und erst schliesslich auf den Aussteller gezogen wird. Die Cursvergütungen aller dieser Rückwechsel dürften in dem obigen Beispiele zusammengenommen niemals den Betrag von 3 procent übersteigen; mithin haben die späteren Zieher von Rückwechseln etwaigen Cursverlust selbst zu tragen und können ihn nicht unbeschränkt auf den Aussteller wälzen. Diese Bestimmung erscheint gerecht, wenn man bedenkt, dass natürlicher Weise der Rückwechsel unmittelbar auf den Aussteller gezogen werden sollte, da in ihm die Verantwortlichkeit für den Hauptwechsel sich schliesslich concentrirt.
In der vorstehenden Weise werden die übrigens nicht klaren Vorschriften des Code de comm. Art. 178. 179 interpretirt, obgleich nach einer anderen Ansicht der Curs eines auf einen Indossanten gezogenen Rückwechsels von diesem dem Inhaber vollständig vergütet werden muss, während der Indossant dafür nur soviel an Cursvergütung anrechnen darf, als der Wechselcurs vom Orte der Indossirung auf den Ort, wo die Auszahlung des Rückwechsels stattfindet, beträgt. Gesetzt also, ein Wechsel ist von London nach Yokohama gezogen, und in Paris indossirt worden, dann kann nach der im Entwurfe adoptirten Ansicht der Inhaber, wenn der Wechsel in Yokohama dishonorirt wird, als Cursvergütung in jedem Falle nur den Cursbetrag zwischen Yokohama und London anrechnen, mag er nun den Rückwechsel auf den Aussteller in London oder auf den Indossanten in Paris ziehen; nach der anderen Ansicht kann er, wenn er auf den Indossanten in Paris zieht, den vollen Wechselcurs zwischen Yokohama und Paris anrechnen, der Indossant in Paris kann aber, wenn er seinerseits durch einen Rückwechsel auf den Aussteller in London Ersatz sucht, diesem nicht mehr an Cursvergütung anrechnen als der Curssatz zwischen Paris und London beträgt. Das erstere System erscheint jedoch einfacher und logischer, obwohl der Wortlaut des Code de comm. Art. 179 für das zweite System zu sprechen scheint. Bravard III. p. 521 ff. An und für sich hat der Indossant nicht das gleiche Interesse, sich mittelst Rück Wechsels Ersatz zu verschaffen, wie der Inhaber, der gerade am Verfalltag Geld erhalten sollte und nicht erhielt; daher kann dem Indossanten auch kein selbständiges Cursvergütungsrecht eingeräumt werden, er kann also auch keinen neuen Curszuschlag machen, ausgenommen soweit das normale Cursmaximum durch den auf ihn gezogenen Rückwechsel noch nicht erschöpft wurde.
Die Vorschriften des Code de comm. Art. 179 sind auch enthalten im Span. H. G. B. Art. 551—555, im Holländ. H. G. B. Art. 187—192, und im Ital. H. G. B. Art. 264. 265, während in der D. W. O. Art. 50—53 die gleiche Beschränkung der Cursvergütung nicht enthalten ist, vielmehr soll in allen Fällen der Curs eines vom Zahlungsorte oder vom Regressorte auf den Wohnort des Regresspflichtigen gezogener Sichtwechsel berechnet werden.
Art. 862. Die Beilage der in diesem Artikel genannten Documente zum Rückwechsel ist nothwendig, weil dadurch der Rückwechsel als solcher legitimirt und gewissermassen das Accept des Rücktrassaten ersetzt wird. Diese Documente sind auch mitzuübergeben, wenn der Rückwechsel vom Rücktrassaten eingelöst wird. Vgl. auch Code de comm. Art. 180. 181. Ital. H. G. B. Art. 266. 267. Holländ. H. G. B. Art. 191. 192. D. W. O. Art. 54. Span. H. G. B. Art. 550. Wird nun der Rückwechsel von dem Rücktrassaten nicht eingelöst, so kann unmittelbar die Regressklage aus dem protestirten Hauptwechsel angestellt werden, und es bedarf nicht eines neuen Protestes und einer neuen Notification, um zu einem solchen Regressrechte zu gelangen. Mit anderen Worten, das bereits erlangte Regressrecht hinsichtlich des protestirten Hauptwechsels dauert fort und wird geltend gemacht, sobald der Rückwechsel nicht bezahlt wird. Daher muss der Inhaber des Rückwechsels auch die zur Geltendmachung des Regressrechtes nöthigen Documente in die Hände bekommen.
Im Code de comm. Art. 182 und in anderen Gesetzbüchern—Span. Art. 554 Holländ. Art. 193. Ital. Art. 268 — findet sich die Vorschrift, dass es für einen Wechsel immer nur eine Retourrechnung geben darf und dieselbe von einem Indossanten dem anderen und zuletzt vom Aussteller zu vergüten ist. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die Kosten des Rückwechsels und hat den Sinn, dass nur die zwischen dem Inhaber und dem Aussteller des protestirten Hauptwechsels anzusetzende Rechnung und nicht mehr zu vergüten ist, entweder unmittelbar vom Aussteller, oder mittelbar durch die Indossanten, die dann den gezahlten Kostenbetrag wieder von ihrem Vormann ersetzt bekommen. Diese Bestimmung dient offenbar dazu, das Ziehen von Rückwechseln durch Zwischenpersonen, nämlich die Indossanten, zu vertheuern und dadurch zu verhindern, da die neuen Kosten des Rückwechsels meist auf ihnen liegen bleiben würden.
Noch ist zu bemerken, dass in Frankreich durch Decret vom 24. März 1848 die Cursvergütung für Rückwechsel innerhalb Frankreichs selbst auf bestimmte gleichbleibende Beträge normirt wurde, während für ausländische und Colonialwechsel der Handelsgebrauch massgebend sein soll.
Art. 863. Dieser Artikel bezieht sich auf die Indossanten, welche gleich dem Inhaber einen Rückwechsel auf ihre Vormänner bis zum Aussteller ziehen können, um für die von ihnen geleistete Zahlung der Regresssumme Ersatz zu erlangen. Code de comm. Art. 178. D. W. O. Art. 51. 53. Dieses Recht der Indossanten ist nur hinsichtlich der Anrechnung der Kosten nach Art. 861 beschränkt, im übrigen dem des Inhabers gleich.
§ 11. Deckung.
Art. 864. Der Ausdruck Deckung bezeichnet die Geldsumme, welche dem Bezogenen übermittelt wird zu dem Zwecke oder dafür, dass dieser die Wechselsumme an den Inhaber auszahlt. Natürlich und einfacher Weise kann daher die Deckung mit der Wechselsumme zusammenfallen, und die Zahlung erfolgt sodann von dem Aussteller oder anderen Deckungspflichtigen durch Vermittlung des Bezogenen. Allein in den meisten Fällen ist der Hergang nicht so einfach. Vielmehr bezahlt der Bezogene meist aus seinen eigenen Fonds und die Deckung bildet nur einen—vorhergehenden oder nachfolgenden— Ersatz für diese Zahlung, wobei sich die ökonomische Thatsache herausstellt, dass die Deckungsbeträge verhältnissmässig kleiner sind als die Beträge der circulirenden Wechsel, indem, ähnlich wie bei Banknoten, zu bestimmten Zeiten immer nur ein Theil der Wechsel zur Einlösung präsentirt wird, während der andere Theil in Circulation sich befindet. Aus diesem Grunde ist es juristisch und volkswirthschaftlich wichtig zu bemerken, dass die Lieferung der Deckung keine wesentliche Voraussetzung für die Zahlung der Wechselsumme sein kann, und dass die Verpflichtung des Bezogenen hiezu selbständig auf dem Accept beruht und von dem Empfang der Deckung durchaus unabhängig ist. So erklärt es sieh, dass der Bezogene aus dem Wechsel selbständig und unmittelbar, und durchaus nicht etwa als Mandatar oder Commissionär oder Agent des Ausstellers verpflichtet ist.
Nach den Grundsätzen des Civilrechts würde in der Ausstellung eines Wechselbriefes ein Mandat des Ausstellers an den Bezogenen zu erblicken, und letzterer nach allgemeinen Grundsätzen zum Ersätze seiner für die Ausführung des Mandats gemachten Auslagen berechtigt sein. Thöl, Wechselrecht § 71. Bravard III. p. 86 ff. Noch mehr liegt ein Mandatsverhältniss vor, wenn der Wechsel von dem Aussteller selbst auf Rechnung und im Auftrag eines Dritten gezogen wurde, und dieses Verhältniss würde noch verwickelter sich gestalten, wenn etwa dieser Auftrag von dem Nehmer (Remittenten) ertheilt worden wäre. Gleich wohl genügt der Standpunkt des Mandatsverhältnisses für das in Wechselform übergangene Rechtsverhältniss nicht; letzteres muss vielmehr selbständig und nach den Principien des Wechselrechts benrtheilt werden, und daher sind besondere Bestimmungen über Deckung erforderlich. Dieselben finden sich im Code de comm. Art. 115—117, im Ital. II. G. B. Art. 201—204, im Holländ. H. G. B. Art. 140—148, im Spanischen H. G. B. Art. 448— 454. In Betreff des Englischen Rechts s. Levi, internat. comm. law. I. p. 454. Die Deutsche W. O. enthält über diesen Gegenstand keine Bestimmungen, weil sie unrichtiger Weise darauf das dem Wechselrechte fremde Mandatsprincip angewandt wissen will. Vgl. Ztschr. für H. R. Bd. 13 p. 263 ff.
Indem der Artikel die Verpflichtung der Deckungspflichtigen ausspricht, begründet er diese auf wechselrechtliche Principien, und zwar auf den Inhalt des Wechsels, und hieraus folgt, dass ein weiterer Rechtsgrund nicht mehr erforderlich ist, insbesondere auf die Thatsache eines wirklich geschlossenen Mandatsvertrages nicht weiter Rücksicht genommen wird. Der Bezogene kann also Deckung von jedem Aussteller eines Wechselbriefes verlangen, und er braucht nicht weiter zu beweisen, dass zwischen ihm und dem letzteren ein Mandatsverhältniss bestehe. Die Regel des Art. 761 findet mithin auch auf das Deckungsverhältniss Anwendung, nicht blos auf die Verpflichtung zur Zahlung der Wechselsumme. Der Zieher oder Aussteller eines Wechsels ist immer von selbst zur Deckung verpflichtet, und sein Namen muss immer nothwendig auf dem Wechsel stehen. Dagegen derjenige, auf dessen Rechnung derselbe gezogen wurde, wird zwar regelmässig mit seinem Namen auf dem Wechsel bezeichnet sein, obgleich dies nicht absolut nothwendig ist; anders verhält es sich mit den Indossanten insoferne, als deren Namen zwar immer auf dem Wechsel stehen muss, jedoch ohne dass die Uebernahme einer Deckungsverpflichtung dazu ausgedrückt werden müsste. Es besteht nun in dieser Beziehung der Unterschied, dass die Person des Ausstellers immer aus dem Wechsel ersichtlich sein muss, da ausserdem ein gültiger Wechsel überhaupt nicht existiren würde. Die Person des Committenten (donneur d'ordre), auf dessen Rechnung der Wechsel gezogen ist, braucht nicht nothwendig im Wechsel bezeichnet zu sein, häufig geschieht es nur mit Initialen, und es wird die weitere Notiz dem Avisbrief überlassen; der Indossant, welcher die Deckungsleistung übernimmt, muss zwar immer aus dem Wechsel ersichtlich sein, allein die Verpflichtung zur Deckung kann entweder gleichfalls auf dem Wechsel oder daneben mittelst besonderer Vereinbarung übernommen werden. In allen diesen Fällen genügt entweder der einfache Inhalt des Wechsels, oder der Nachweis einer ausdrücklichen Uebernahme der Verpflichtung, ohne dass dei- Beweis eines materiellen Rechtsgrundes noch hinzukommen müsste. Von selbst versteht es sich übrigens, dass der Committent nicht verpflichtet sein kann, wenn seine Person fälschlich auf den Wechsel gesetzt wäre, ohne dass er in Wirklichkeit Auftrag gegeben hätte; denn ein solcher Wechsel wäre offenbar insoweit gefälscht und nach Art. 770 könnte daraus gegen denjenigen, dessen Namen gefälscht wurde, keine Verpflichtung abgeleitet werden. Bravard III. p. 47 ff. Borchardt p. 175 Note. Thöl, Wechselrecht § 72.
Wechsel auf Rechnung eines Dritten werden namentlich von Commissionären und Agenten, überhaupt von Handlungsbevollmächtigten ausgestellt, und werden insoferne Commissionstratten genannt; sie können aber auch aus anderer Veranlassung ausgestellt werden, z. B. von dem Gläubiger, der mit Genehmigung seines Schuldners einen Wechsel auf einen Dritten zieht, der vielleicht wieder Schuldner jenes Schuldners ist. Bravard III. p. 40. So kann insbesondere ein Verkäufer auf den Käufer seines Käufers auf Rechnung des letzteren ziehen für Waaren, die dieser bereits an jenen W'ieder verkauft hatte. Bei der Negocirung des Wechsels kann je nach der Höhe des Wechselcourses möglicher Weise ein Profit gemacht werden, und dies gibt Veranlassung insbesondere für Bankiers, von ihren Agenten oder Commissionären Wechsel auf ihre Rechnung auf solche Plätze, auf welche der Curs hoch steht, ziehen zu lassen, die dann auf Speculation an der Börse oder sonst verkauft werden.
Mit dem Committenten oder donneur d'ordre darf der Käufer oder Besteller eines Wechsels (donneur de valeur) nicht verwechselt werden; letzterer ist niemals aus dem auf seine Veranlassung gezogenen Wechsel haftbar. Z. B. Jemand wünscht Geld nach einem anderen Platze zu senden, und thut dies mittelst eines Wechsels, den er bei einem Bankier oder sonstwo bestellt und bezahlt. Dieser Wechsel wird den Namen des ausstellenden Bankiers, den Namen des Bezogenen, und den Namen des Nehmers oder Remittenten, d. h. dessen, an den das Geld geschickt werden soll, enthalten. Die Person des Bestellers, obgleich die ganze Operation in ihrem Auftrag geschieht, kommt dabei nicht zum Vorschein und es entspringt für sie keinerlei Verpflichtung. Denn sie hat den Wechsel, den sie ausstellen lässt, bereits an den Aussteller vergütet. Eine solche Geldsendung mittelst Wechsel kann in eigenem oder fremdem Namen erfolgen, an dem rechtlichen Verhältniss wird durch nichts geändert. Es kann z. B. Jemand für einen Anderen eine Summe Geldes baar einziehen und damit auf dessen Rechnung einen Wechsel kaufen, um denselben einer dritten Person zu übersenden. Bankiers, welche Geldgeschäfte für Andere besorgen, können sehr häufig auf deren Rechnung Wechsel ausstellen und verschicken lassen, ohne dass ihr Namen auf dem Wechsel erscheint und eine Verpflichtung für sie aus demselben entsteht. Bravard III. p. 51.
Dass auch ein Indossant sich zur Deckungsleistung verpflichten kann, wurde bereits in den Bemerkungen zu Art. 776 dargelegt, und es schien nothwendig, in dieser Beziehung den Code de comm. Art. 115, welcher nur von dem Zieher und von dem Mandanten des Ziehers spricht, zu ergänzen. Diese Fälle werden namentlich dann vorkommen, wenn die Person des Ausstellers fingirt wird oder nur einen Strohmann bezeichnet, und der Wechsel hauptsächlich nur auf Rechnung des Nehmers und zum Zwecke der weiteren Indossirung an Dritte geschaffen wurde, um dem Nehmer in der Zwischenzeit bis zum Verfall Geld zu verschaffen. Da aber solche Manipulationen aus der Stellung eines Indossanten nicht von selbst folgen, so müssen die bezüglichen Vereinbarungen ausdrücklich erklärt worden sein, einerlei übrigens, ob auf dem Wechsel oder anderwärts; nur wird die Erklärung, wenigstens nach Art. 322, eine schriftliche sein müssen. Indossanten sind, in Bezug auf die durch ihr Indossament entstehende Wechselschuld, gewissermassen als erneute Zieher (Trassanten) anzusehen, und es kann daher ihrer Deckungsverpflichtung kein principielles Bedenken entgegenstehen. Thöl, Wechselrecht § 72 Nr. 2.
Es kann auch der Gläubiger auf seinen Schuldner, an seine Ordre einen Wechsel durch einen dritten Aussteller ziehen lassen, um das Accept des Schuldners zu bekommen; die Deckung für den Bezogenen liegt hier in seiner Schuld an den Nehmer.
Das Verhältniss der verschiedenen Deckungspflichtigen zu einander ist kein solidarisches, so dass etwa die Verpflichtung des Einen fortbestünde, auch wenn daneben die eines Anderen existirte, ausgenommen, wenn eine solidarische Verbindlichkeit aus den Umständen und der Absicht der Parteien entspringt. Daher ist der Aussteller nicht verpflichtet, wenn er den Wechsel auf Rechnung eines Committenten gezogen hat, denn der Bezogene hat sodann den letzteren als den eigentlichen Verpflichteten acceptirt. Der Code de comm. Art. 115 hat dies zwar in Bezug auf den Aussteller ausdrücklich anerkannt, und der Französ. Cassationshof hat diese Bestimmung richterlich adoptirt. Allein ein Gesetz vom 19. März 1817 hat verfügt, dass der Aussteller in einem solchen Falle nur dem Nehmer und den Indossanten regresspflichtig bleibe, nicht auch dem Bezogenen, und die Französ. Gerichte sind überwiegend dafür eingetreten. Bravard III. p. 50. 485 ff. Das gleiche Princip gilt auch in Deutschland, Holland und Spanien. Borchardt Zus. 281. Ztsehr. für H. R. Bd. 8 p. 146. Holl. H. G. B. Art. 106. 141. Span. H. G. B. Art. 449. Der Bezogene kann in solchem Falle sich einen Regressanspruch gegen den Aussteller nur dadurch erwerben, dass er für diesen als Intervenient acceptirt oder bezahlt. Bravard III. p. 489. Vgl. Art. 805. 829. Wenn der Remittent und resp. Indossant durch das Versprechen selbst für Deckung sorgen zu wollen, den Aussteller zur Unterschrift des Wechsels bewegt, ist nicht der letztere, sondern nur der erstere diesem gegenüber zur Deckung verpflichtet; auch würde ein solcher Einwand dem Regressanspruche des Einen gegen den Anderen entgegenstehen. Borchardt Zus. 651 Nr. 1. p. 477.
Die Deckung ist nicht wie die Wechselsumme eine feste Geldsumme, sondern sie umfasst gleich der Regresssumme nebst dem Capital auch Zinsen und Kosten. Holl. H. G. B. Art. 142. Span H. G. B. Art. 451. Eine besondere Vergütung, die meist in 1/2 oder 1/3 procent der Wechselsumme besteht, kann nur gefordert werden, wenn sie ausdrücklich versprochen wurde oder üblich ist, wie z. B. für (Kommissionäre, Bankiers etc. Gegen die Deckung hat der Bezogene den Wechsel auszuliefern. Thöl, Wechsel recht § 71.
Art. 865. Die Deckung ist nur dann vorhanden, wenn sie am Verfalltage am Zahlungsorte zur Verfügung des Bezogenen steht, also nicht für andere Zwecke bereits engagirt ist. Eine zur Bezahlung einer anderen Schuld bestimmte, so etwa zur Auszahlung einer Cheque dienende, oder zur Verfallzeit noch nicht fällige oder flüssig gemachte Summe ist keine disponible Deckung. Ist bei einem Bankier eine Summe auf festes Deposit für 12 Monate hinterlegt, so kann sie vor Ablauf der 12 Monate ohne Einwilligung des Bankiers nicht als Deckung benützt werden. Deckung und Sicherheit sind mithin wohl von einander zu unterscheiden. Ein noch nicht fälliges Deposit kann eine vollkommene Sicherheit sein, ohne zugleich als Deckung verwendbar zu sein. Ist Deckung nur zum Theil vorhanden, so braucht auch Accept und Zahlung nur zum Theil zu erfolgen.
In diesem Sinne ist der gegenwärtige Artikel zu verstehen, der im übrigen mit dem Art. 116 des Code de comm. correspondirt. Vgl. auch oben Art. 657. Pradier-Fodéré Précis de droit comm. p. 214. Es ist nicht nothwendig, die Momente der Fälligkeit am Zahlungstage und Zahlungsorte und der Disponibilität ausdrücklich auszusprechen, da sie sich von selbst verstehen, sobald man nur Deckung und Sicherheit zu unterscheiden weiss. Auch im Französ. Code ist dies nur theilweise geschehen und könnte ohne richtige Interpretation eher missvertanden werden.
Eine Deckung ist in strengem Sinne nicht vorhanden, wenn dem Bezogenen Waaren zugesandt wurden, aus deren Erlös der Wechselinhaber bezahlt werden sollte, die aber unverkauft geblieben sind, es müsste denn letzteres einem Verschulden des Bezogenen zuzuschreiben sein. Fiele jedoch der Bezogene oder Aussteller unter solchen Umständen in Concurs; so ist man geneigt, aus Billigkeitsgründen die Waaren als Deckung anzusehen, und sie dem Inhaber zuzusprechen. Levi, internat. comm. law I p. 454. 455.
Art. 866. 867. Der in der Deutschen Gesetzgebung nicht angenommene Grundsatz, dass durch die Acceptation eine Vermuthung für den Deckungspflichtigen betreffs der geleisteten Deckung entsteht, ist der Französischen Gesetzgebung, Code de comm. Art. 117, entnommen und findet sich auch im Ital. H. G. B. Art. 203. In der D. W. O. Art. 23 liegt zwar diese Vermuthung der Bestimmung des zweiten Satzes zu Grunde, wornach der Bezogene dem Aussteller, dem Bezogenen, wie auch dem Inhaber, wechselmässig haftet; allein sie ist in der D. W. O. nirgends als Rechtssatz ausgesprochen, und kommt in jener Beziehung nur als specielles legislatives Motiv in Betracht. Es lässt sich vielleicht über die thatsächliche Richtigkeit der bezeichneten Vermuthung streiten, Thöl, Wechselrecht § 71. Allein in der Handelspraxis findet das Accept regelmässig nur dann statt, wenn der Bezogene dafür Vergütung oder Garantie derselben erhalten, oder wenn er dem Aussteller einen Credit eröffnet oder sonst sich zum Accept verpflichtet hat. Brauer, Commentar zur D. W. O. Art. 23. Auch ist der Handel gewohnt, das Accept im Sinne einer Verpflichtung sowohl gegen den Aussteller als gegen den Inhaber anzusehen. Eine Verpflichtung übernimmt man aber nicht wohl ohne einen genügenden Rechtes- oder Verpflichtungsgrund, und es ist daher die Annahme begründet, dass das Deckungsverhältniss geordnet sei, wenn die Acceptation stattfindet. Uebrigens soll diese Annahme nur eine Vermuthung sein, mithin den Gegenbeweis zulassen; allein die Last des Beweises würde dann dem Acceptanten, nicht dem Aussteller zufallen. Bravard III. p. 273. Diese Vermuthung soll übrigens nur zwischen dem Aussteller und dem Bezogenen gelten, nicht auch zwischen dem Aussteller und dem Inhaber, wie in Art. 867 ausdrücklich erklärt wurde, auch nicht zwischen dem Bezogenen und dem Inhaber, da die Deckungsfrage auf Geschäftsbeziehungen zwischen dem Bezogenen und dem Deckungspflichtigen ausschliesslich beruht.
Um das Verständniss des Art. 117 des Code de comm. zu erleichtern, ist zu bemerken, dass der erste Absatz desselben sich auf das Verhältniss zwischen Zieher und Bezogenem bezieht, der zweite auf das Verhältniss zwischen Indossanten und Bezogenem, und der dritte auf die Regress- und resp. Bereicherungsklage des Inhabers und der Indossanten gegen den Aussteller, und in letzter Beziehung mit dem Art. 170 des Code de comm. im Zusammenhang steht. Auch nach Versäumniss der Regressfrist soll der Aussteller der Regressklage ausgesetzt bleiben, wenn er nicht beweist, dass er beim Bezogenen zur Verfallzeit Deckung bestellt hatte. Es wird hierdurch eine Vermuthung gegen den Aussteller aufgestellt und die Last des Beweises diesem letzteren aufgebürdet. Dies entspricht jedoch nicht dem in Art. 776 angenommenen Princip der Bereicherungsklage, bei welcher die Beweislast ganz den gewöhnlichen Grundsätzen unterliegen soll. Es wird daher in Art. 867 einfach erklärt, dass die Acceptation eine Vermuthung der Deckung gegen den Wechselinhaber nicht begründet, aber auch nicht für den Zieher, so dass es in dieser Hinsicht bei der gewöhnlichen Beweisregel verbleibt, wornach der Kläger und resp. Beklagte, jeder seine Behauptungen zu beweisen hat.
Die Vermuthung der geleisteten Deckung soll eintreten auch im Falle einer blos unförmlichen Acceptation, also namentlich wenn dieselbe nicht schriftlich, oder nicht auf dem Wechsel, sondern mittelst eines Briefes etc., oder ohne Datum erfolgte. Der Grund hiefür ist, dass auch in dem unförmlichen Accept die Annahme des dem Bezogenen gegebenen Auftrages liegt, und dass aus der Annahme des Auftrages auf die Zuweisung der zur Ausführung desselben nöthigen Fonds geschlossen werden darf. In diesem Sinne einer freiwilligen Verpflichtung gegen den Zieher wird die unförmliche Acceptation auch in Frankreich noch anerkannt. Bravard III. p. 242 ff. Oben Art. 798.
Die Vermuthung der Deckung fällt weg, wenn die Acceptation durch Intervention oder aus Gefälligkeit erfolgte. Ersteres wurde bereits in den Erörterungen zu Art. 805 und 829 erklärt. Ein Gefälligkeitswechsel (par accomodation) ist ein solcher, bei dem man seine Unterschrift gibt, ohne Deckung oder ein anderes Aequivalent dafür zu besitzen, so dass derjenige, zu dessen Gefallen die Unterschrift gegeben wird, keinen Rechtsanspruch gegen den Unterzeichner erwirbt und für diesen das Risiko übernimmt. Früher nahm man an, dass Wechselunterschriften aus Gefälligkeit überhaupt nicht bindend seien. Dies ist jetzt nicht mehr die herrschende Meinung, vielmehr verpflichtet das Gefälligkeits-Accept oder eine andere Unterschrift aus Gefälligkeit ebenso wie jede andere, allein der Acceptant steht gegenüber dem Aussteller nicht als Verpflichteter, und er kann von diesem weder auf Zahlung des Wechsels belangt, noch kann die Vermuthung der erhaltenen Deckung gegen ihn geltend gemacht werden. Smith, merc. law p. 272. Kent, Comment. III. p. 86. Borchardt Zus. 282. 284. 651. In allen Fällen muss jedoch der Gefälligkeits-Acceptant den verfallenen Wechsel bezahlen, und zwar aus eigenen Mitteln, wenn er nicht rechtzeitig Deckung vom Aussteller erhält. Ein Gefälligkeits-Accept ist mithin ein Accept ohne Deckung, entweder weil diese erst später bei Verfall erwartet wird, oder weil der Acceptant überhaupt nicht zahlen zu müssen erwartet, indem der Aussteller für ihn eintreten wird. Gegenüber dritten Personen sind solche Verabredungen übrigens gänzlich wirkungslos. Borchardt p. 456. 488. ff.
Art. 868. In diesem Artikel wird zweierlei verordnet. Einmal, der Bezogene kann seinen Anspruch auf Deckung erst geltend machen, nachdem er den Wechsel bezahlt hat, und sodann, er hat in diesem Falle die Wechselklage gegen den Aussteller. Vor der Bezahlung des Wechsels steht der Bezogene im blossen Mandatsverhältniss zum Aussteller, und kann zwar auch von diesem Deckung verlangen, aber nur auf dem Civilweg und nach Inhalt des zwischen ihnen vereinbarten Mandatsvertrages. Bravard III. p. 268. Nach der Zahlung aber bekommt der Bezogene den Wechsel in seine Hände, und kann aus diesem, obgleich er nunmehr quittirt ist, seine Rechte gleich dem Inhaber geltend machen. Bravard III. p. 483. Letzteres ist zwar bestritten und auch in der D. W. O. Art. 23 ausdrücklich verneint, indem man davon ausgeht, dass der Bezogene zur Begründung seiner Deckungsklage sein Klagerecht durch Berufung auf ein besonderes zwischen ihm und dem Aussteller bestehendes Rechtsverhältniss nachweisen müsse. Thöl, Wechselrecht § 71. Allein der Aussteller ist durch seine Unterschrift auf dem Wechsel gegen den Bezogenen ebenso verpflichtet, wie gegen den Inhaber und die Indossanten ; und wenn er durch die Zahlung des Bezogenen der Regressklage von Seiten des Inhabers entgeht, so ist nicht einzusehen, warum er von der Deckungsklage aus dem Wechsel befreit sein solle. Die Deckungsklage gleicht der Regressklage auch insoferne, als sie nicht blos auf eine feste Summe, sondern auch auf Zinsen und andere Nebenbeträge geht. Auch kann man sich auf das Princip der Zahlung durch Intervention berufen (Code de comm. Art. 159), nur dass der Bezogene blos einen Deckungsanspruch gegen den Aussteller oder die übrigen Deckungspflichtigen hat, und nicht auch gegen die Indossanten, soweit diese blos regresspflichtig sind. Vgl. ferner Code civil Art. 1251 Ziff. 3. Bravard III. p. 482.
Art. 869. Der gleiche Grundsatz wurde bereits bezüglich der Ehrenzahler in Art. 832 ausgesprochen. Code de comm. Art. 159. Es kann aber auch sein, dass ein Dritter ohne Intervention an Stelle des Bezogenen bezahlt, z. B. ein Indossant, um sich dadurch von den Regresskosten zu befreien, oder ein Dritter, nachdem die Zeit zum Eintritt als Intervenient bereits verstrichen ist. Ein solcher Zahler soll in die Rechte des Inhabers nicht blos gegen die Regresspflichtigen, sondern auch gegen den Bezogenen eintreten, er hat daher auch das Recht, die Auslieferung des Wechsels und aller dazu gehörigen Documente an ihn zu verlangen. Ztschr. für H. R. Bd. 13 p. 326.
Art. 870. Die Haftung des Ausstellers und der Indossanten aus ihrer blossen Unterschrift, ohne die Nothwendigkeit eines Nachweises für die Existenz eines materiellen Verpflichtungsgrundes, folgt aus der in Art. 761 und 767 aufgestellten Formalnatur des Wechsels, und steht mit der streng formalen Haftung des Acceptanten aus seinem Accept auf gleicher Linie. Es kann daher auch nichts darauf ankommen, wie es mit der Deckung in Beziehung zum Bezogenen sich verhält, da sie als Garanten für den letzteren anzusehen sind. Code de comm. Art. 140. D. W. O. Art. 8. 14. Ital. H. G. B. Art. 225. Holl. H. G. B. Art. 146. So wenig der Acceptant die Wechselzahlung verweigern kann, auch wenn er keine Deckung erhielt, so wenig kann der Aussteller die Regresszahlung verweigern, unter Berufung darauf, dass er dem Bezogenen bereits Deckung geleistet habe und desshalb nicht zum zweitenmal zu zahlen brauche. Holländ. H. G. B. Art. 119. Auch braucht der Inhaber nicht etwa zu beweisen, dass der Aussteller die von ihm geleistete Deckung wieder zurückerhalten habe, und sie desshalb ihm, dem Inhaber, schulde. Diese Voraussetzung würde nur zutreffen für die Anstellung der Bereicherungsklage nach Art. 776, mithin nach dem Versäumniss der gesetzlichen Regressfristen, und in derselben Weise ist auch die analoge Bestimmung des Code de comm. Art. 171 zu verstehen. Vgl. oben Art. 746.
Diese Haftung kann jedoch durch besonderen Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden. Es handelt sich hier nicht blos um die formelle Beschränkung der Garantieschuld durch ausdrückliche Bemerkungen auf dem Wechsel, etwa „ohne Garantie,” „ohne Obligo”—über die Clausel „nicht an Ordre” vgl. oben Art. 794 D. W. O. Art. 14—sondern auch um besondere Vereinbarungen ausserhalb des Wechselbriefs mittelst Correspondenz oder auch durch mündliche Verabredung, nur dass solche besondere Vereinbarungen lediglich für diejenigen gelten, zwischen denen sie abgeschlossen wurden, während die Erklärungen auf dem Wechsel allgemein verbindliche Kraft haben. Bravard III. p. 84. 171. In der Französ. Jurisprudenz wird die Ansicht aufgestellt, dass in solchen Fällen der Aussteller von seiner Haftung nur befreit werde, wenn er beweist, Deckung geliefert zu haben, da er ausserdem sich unrechtmässig bereichern würde, indem er für die Valuta des gegebenen Wechsels keine Gegenleistung gäbe. Allein Entscheidungen des Pariser Cassationshofes enthalten das Gegentheil, welches richtiger zu sein scheint. Bravard III. p. 30.85 Note. Denn nicht in allen Fällen erhält der Aussteller dafür, dass er seine Unterschrift auf den Wechsel setzt, die Valuta desselben vergütet, und es ist sehr möglich, dass sein Namen nur aus Gefälligkeit oder zum Schein figurirt und er sich niemals zur Deckung oder Garantie verpflichten wollte. Man darf daher der Vertragsfreiheit nicht zu enge Grenzen setzen. Dieselbe Regel ist auch in England anerkannt. Smith, merc. law. p. 224. Bravard III. p. 172 Note. Es versteht sich übrigens von selbst, dass solche Nebenverabredung, um bindend zu sein, dem guten Glauben gemäss und nicht auf Betrug berechnet sein darf.
Zwischen den Clauseln „ohne Garantie ” und „ nicht an Ordre” besteht der Unterschied, dass im ersten Falle die Haftung überhaupt ausgeschlossen wird, im zweiten Falle jedoch gegen den unmittelbaren Nachmann bestehen bleibt und nur gegen dessen Nachmänner ausgeschlossen wird.
Art. 871. Bisher war von dem Anspruche des Bezogenen auf Deckung und Schadloshaltung die Rede für den Fall, dass derselbe den Wechsel acceptirt und bezahlt. Es kann aber auch umgekehrt der Fall eintreten, dass der Bezogene am Verfalltage nicht zahlt, obgleich er Deckung erhielt, und dadurch widerrechtlicher Weise den Aussteller und die Indossanten der Regressklage aussetzt. Die Indossanten haben in solchem Falle ihr Regressrecht gegen ihre Vormänner nach Art. 841, soweit nicht etwa der Art. 869 anwendbar sein sollte. Alle Regressansprüche müssen schliesslich auf den Aussteller zurückfallen, und mit Recht, da dieser die Wechselvaluta vom ersten Nehmer erhalten hat und dieselbe nicht zum Nachtheil seiner Nachmänner, denen er Garantie schuldet, lucriren darf. Allein der Aussteller müsste doppelt zahlen, wenn er sowohl den Regressanspruch befriedigen, als auch dem Bezogenen Deckung liefern müsste, und es ist klar, dass hier ein Ausweg gegeben werden muss. Derselbe kann nur darin gefunden werden, dass man den Bezogenen für ersatzpflichtig erklärt, wenn er trotz erhaltener Deckung den Aussteller in Schaden gebracht hat. Der Bezogene muss dem Aussteller nicht nur die empfangene Deckung zurückgeben, sondern ihm ausserdem auch allen Schaden ersetzen, den er diesem durch die Unterlassung der Zahlung verursacht hat. Bravard III. p. 484. Dem Empfang der Deckung muss offenbar gleich stehen die ausdrückliche Verpflichtung den Wechsel honoriren zu wollen; diese würde aber einen besonderen Vertrag oder ein besonderes Versprechen des Bezogenen voraussetzen, und kann übrigens auch schon in dem Accepte gefunden werden, obgleich dieses zunächst nur dem Inhaber gegenüber stattfindet und nur eine Vermuthung für die empfangene Deckung begründet, der Deckungsleistung selbst mithin nicht gleichstehen kann. Ein solches Versprechen wird gewöhnlich im Correspondenzwege gemacht werden und der Regel nach schriftlich sein müssen. In Art. 23 der D. W. O. ist ausdrücklich gesagt, dass der Bezogene aus dem Accept auch dem Aussteller wechselmässig haftet; will sich der Acceptant der Klage des letzteren entziehen, so muss er seinerseits beweisen, dass er keine Deckung erhalten hat. Hätte aber der Bezogene die Zahlung des Wechsels in jedem Falle versprochen, so bliebe ihm auch der Gegenbeweis hinsichtlich der nicht geleisteten Deckung nicht mehr offen. Borchardt Zus. 278.
Zur Entstehung des Ersatzanspruches gegen den Bezogenen ist dessen vorherige Notification nicht erforderlich, und derselbe unterscheidet sich in dieser Beziehung von dem Regressanspruch gegen die Indossanten und den Aussteller. Der Grund hiefür liegt darin, dass dieser Anspruch seinen Rechtsgrund in der Annahme der Deckung oder in dem besonderen Versprechen hat, mithin eines neuen Entstehungsgrundes nicht mehr bedarf.
Dem Aussteller steht in dieser Hinsicht jeder andere Deckungspflichtige gleich, da auch bei den letzteren das Motiv des Verlustes der geleisteten Deckung oder des abgegebenen Versprechens zutrifft. Hat also z. B. ein Committent den Aussteller für die diesem auferlegte Regresszahlung schadlos halten müssen, so ist der Bezogene gleichmässig verbunden, ihm dafür vollen Ersatz zu leisten.
Wenn der Bezogene in Concurs gerathen ist und die Deckung noch in natura, etwa in Gestalt von speciell zu diesem Zweck consignirten Gütern, sich bei ihm vorfindet, kann der Aussteller diese Güter aus der Masse zurückziehen. Auch können Güter oder deren Erlös, die zum Zweck der Deckung dem Bezogenen übersandt wurden, nicht von diesem unter einem anderen Rechtstitel, etwa kraft eines allgemeinen Retentionsrechtes, zurückbehalten werden. Levi, internat. comm. law I p. 451. 454.
§ 12. Wechselklage.
Art. 872. Der Wechselprocess gehört zu den ausserordentlichen Processarten, in welchen man durch abgekürztes Verfahren und durch Beschränkung der Verhandlungen auf gewisse Hauptpunkte oder auf gewisse Arten des Beweises, namentlich auf Urkundenbeweis, ohne langen Verzug ein vollstreckbares Urtheil erlangen kann. In der Deutschen Civilprocess-Ordnung Art. 565—567 ist der Wechselprocess zu einer Unterart des Urkundenprocesses gemacht, was jedoch, abgesehen von anderen Bedenken, mindestens insoferne wenig empfehlenswerth erscheint, als dadurch nur Urkundenbeweis in Wechselstreitigkeiten für zulässig erklärt ist, wofür sich durchaus keine genügenden Gründe anführen lassen und was auch bereits von vielen Seiten bekämpft worden ist. Ztschr. für H. R. Bd. 25. p. 402. 490. Für manche Sachen, wie z. B. Kosten und andere Nebensachen für die Präsentation des Wechsels zur Zahlung beim Bezogenen, soferne es sich um Klage gegen diesen handelt, ist entweder überhaupt nicht oder nur unter Umständen und Kosten, wie z. B. durch Protesterhebung, urkundlicher Beweis zu beschaffen, und dadurch werden viele Fälle von den Vortheilen des Wechselprocesses ausgeschlossen. Daher wurde in dem Entwurfe (Art. 873) die Behandlung des Wechselprocesses als Urkundenprocess nicht adoptirt. Nach Französischem und Spanischem Rechte sind auf Wechselsachen die besonderen für Handelssachen überhaupt geltenden Grundsätze anwendbar. Code de procedure civile tit. 25 Art. 414—442. Code de comm. Art. 642 ff. Span. H. G. B. Art. 1199. 543. 544. 566. Nach dem letzteren Gesetzbuche sollen Wechsel insbesondere als Rechtstitel gelten, welche sofortige Execution nach sich ziehen können. In England besteht ein besonderes Verfahren für Wechselsachen nicht. Indessen gehören die näheren Bestimmungen über das Verfahren nicht hieher und es wurde diese kurze Erläuterung nur zur Erklärung der folgenden Artikel vorausgeschickt.
In dem gegenwärtigen Artikel wird zunächst das Princip der solidarischen Verbindlichkeit aller Wechselschuldner ausgesprochen, wie auch im Code de comm. Art. 140. 164 und in der D. W. O. Art. 49. Bravard III. p. 221. Die nämliche Regel herrscht in England. Diese Solidarität entspringt aus der Identität des Gegenstandes der Wechselverbindlichkeit, nicht aus dem freien Willen oder vertragsmässiger Verpflichtung der Wechsel verpflichteten, sie schliesst daher die persönliche Jdentität derselben nicht mit ein; sie ist mit einem Worte Solidarität im engeren Sinne, nicht Correalität, oder wie Bravard III. p. 220 es ausdrückt, nur eine unvollkommene Solidarität. Durch Klage gegen den einen wird daher die Rechtsverfolgung gegen die übrigen nicht aufgehoben, ebenso kommt die Verjährung für einen den übrigen zu statten. Auch steht keinem die Einrede der Theilung oder der Vorausklage zu.
Auch der zweite Absatz dieses Artikels findet sich in den übrigen Gesetzgebungen anerkannt. D. Civilproc.- Ordnung § 566.
Code de proced. civ. Art. 59. Bravard III. p. 168. Es ist dies eine Nothwendigkeit, weil der Gläubiger offenbar den Vortheil der Sammtverbindlichkeit verlieren würde, wenn er die Klage bei verschiedenen Gerichten anstellen und sich der Möglichkeit verschiedener Urtheile aussetzen müsste.
Art. 873. Gegen die Wechselklage sind nur solche Einreden zulässig, welche sofort liquid sind, d. h. sofort bewiesen werden, also keine weitere Verzögerung des Verfahrens und des Endurtheils bedingen, und welche ausdrücklich oder mittelst Schlussfolgerung auf die besonderen Grundsätze des Wechselrechts gegründet sind. D. Civil. Proc. O. § 561. D. W.O. Art. 82. Thöl, Wechselrecht § 201.181. Der Grund hiefür liegt darin, dass die Wechselschuld eine besondere Art von Obligation ist, durch welche sich der Schuldner zur Zahlung einer festen Geldsumme auf den blossen Wechsel hin verpflichtet, ohne dass auf den materiellen Rechtsgrund, wie er in dem zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfte enthalten ist, weiter Rücksicht genommen würde. Mithin können Einwendungen, welche zwar sonst dem Rechte gemäss sind, aber ausserhalb des speciellen Rechtsgebiets des Wechsels liegen, hier nicht mit Erfolg vorgebracht werden, da dadurch die Wechselschuld in eine gewöhnliche Contractsschuld umgewandelt würde. Gesetzt also, es hätte Jemand einen Wechsel ausgestellt, um einen Kaufpreis zu bezahlen, so kann diese Wechselschuld nicht mit Berufung darauf angefochten werden, dass der Kaufpreis wegen mangelhafter Beschaffenheit der Sache, oder wegen späterer längerer Stundung des Preises, oder wegen mangelnden Consenses der Parteien u. dgl. nicht geschuldet werde. Und da ein und derselbe Wechsel durch successive Indossamente in viele Hände kommen kann und jedem Indossamente ein besonderes Rechtsgeschäft zu Grunde liegen wird, da man sich ohne materiellen Rechtsgrund nicht zur Bezahlung einer Geldsumme verpflichtet, so können so viele verschiedene Einwendungen gedacht werden, als es Unterschriften auf dem Wechsel gibt; allein alle diese verschiedenen Einwendungen sind unstatthaft, wenn sie nicht dem Wechselrechte angehören, gleichviel ob sie gegen eine Person vorgeschützt werden, mit welcher das betreffende Rechtsgeschäft unmittelbar abgeschlossen wurde, oder gegen die übrigen Wechsel verpflichteten. Es kann also nach obigem Beispiele die Einrede der mangelnden Qualität der Sache weder von dem Aussteller als Käufer, noch von dem Acceptanten oder irgend einem Indossanten vorgebracht werden, zumal da die letzteren beiden an dem fraglichen Kaufgeschäft überhaupt nicht betheiligt waren ; noch auch dem ersten Nehmer als Verkäufer, oder irgend einem seiner Nachfolger im Wechsel entgegengehalten werden, da der gleiche Grundsatz in activer wie in passiver Hinsicht gelten muss. In der D. W. O. Art. 82 sind allerdings solche Einreden zugelassen, welche dem Wechselschuldner unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger zustehen, also z. B. Einreden des Käufers gegen den Verkäufer, aber nicht gegen andere Wechselschuldner. Allein diese übrigens nichts weniger als deutliche Vorschrift entkleidet die Wechselschuld ihrer eigenthümlichen Rechtsart, wenn auch nur zwischen zwei bestimmten Rechtsparteien, und ist mit Recht angefochten worden; auch hat ihre Anwendung in der Praxis, da sie dunkel und incorrect ist, zu grosser Unsicherheit und Verschiedenheit der Urtheile geführt. Vgl. Thöl, Wechselrecht § 181.
Als wechselrechtlich zulässige Einreden sind folgende drei Arten anzusehen:
1) solche Einreden, die auf ausdrücklichen Bestimmungen der Wechselordnung beruhen;
2) solche, welche durch Schlussfolgerung aus diesen Bestimmungen abgeleitet werden können;
3) solche, die zwar allgemeinen Rechtsprincipien entspringen, die aber derart absoluter Natur sind, dass sie auch im Wechselrechte anerkannt werden müssen. Ueber letztere nach Englischem Rechte s. Smith, merc. law. p. 259 ff.
Zur ersten Classe gehört ausser denjenigen, welche sich auf den Mangel von Förmlichkeiten, z. B. die Unterlassung des Protestes, der Notification etc. beziehen, z. B. die Einrede der nicht empfangenen Deckung gegen die Klage des Ausstellers nach Art. 871; zur zweiten Classe, die Einrede dass der Wechselinhaber ein Eigenthum an der Deckung habe und dieses Eigenthum im Falle des Bankerotts des Bezogenen geltend machen könne (vgl. die Schlusserörterung zu Art. 871). Zur dritten Classe gehören vor allem die im gegenwärtigen Artikel selbst hervorgehobenen Einreden der Zahlung oder sonstigen Befriedigung des Klägers, des Zwanges, Betruges, der Gesetzwidrigkeit ; aber auch andere, wie z. B. die Einrede des mangelnden Consenses (Art. 320), wenn die Unterschrift gar nicht für eine Wechselschuld bestimmt war oder im Zustande völliger Trunkenheit gegeben wurde. Die oft vorkommende Einrede, dass die ernstliche Eingehung einer Wechselschuld nicht beabsichtigt war, vielmehr die Unterschrift nur aus Gefälligkeit und der Form wegen gegeben wurde, ist dritten Personen gegenüber im allgemeinen gar nicht statthaft, den betreffenden Parteien gegenüber in der Regel nur dann, wenn darin die Einrede des Betruges enthalten ist. Auch die Einrede des mangelnden Rechtsgrundes oder der mangelnden oder ungenügenden Gegenleistung (consideration) ist dritten Personen gegenüber unstatthaft, zwischen den betheiligten Parteien aber nur als Einrede des Zwanges, Betruges oder der Gesetzwidrigkeit, da ausserdem ein Eingehen auf das zum Grunde liegende Rechtsgeschäft nothwendig wäre, das im Wechselprocess nicht zulässig ist, da der Wechsel seinen Rechtsgrund in sich selbst trägt. Die Einrede der Illegalität macht hievon eine nothwendige Ausnahme, da die Gesetzwidrigkeit auch nicht durch die Wechselform verhüllt werden darf. Beispiele der letzteren Art sind z. B. Wechsel für Spielschuld, für Prostitution, für Schmuggel und andere strafbare Handlungen u. dgl. m. Smith, merc. law p. 263. Renaud, Wechselrecht § 83. Thöl, Wechselrecht § 182. 184 ff. Die Einrede der Compensation, d. h. dass die betreffende Wechselforderung durch die Existenz einer Gegenforderung des Schuldners getilgt sei, ist zwar nach Deutschem Rechte zulässig gegenüber dem Kläger, gegen welchen die Gegenforderung geht, wegen der in Art. 82 der D. W. O. enthaltenen Bestimmung über Einrede aus dem unmittelbaren Rechtsverhältniss zwischen Kläger und Beklagten; allein diese Zulässigkeit empfiehlt sich nicht, da jede Wechselschuld auf strenge Zahlung geht und jeder Wechsel gewissermassen baares Geld repräsentirt, welches dem Inhaber nicht durch Berufung auf andere Rechtsverhältnisse aus der Hand gewunden werden sollte.
Ueber die Einrede der Zahlung besteht nach Deutscher, jedoch nicht übereinstimmender Auffassung (Borchardt, p. 436 ff. Thöl, Wechselrecht § 184) eine andere Meinung, indem man die Gemeinsamkeit dieser Einrede bestreitet, soferne die Zahlung nicht als ein unmittelbar zwischen den Parteien stattgefundenes Rechtsgeschäft anzusehen ist. Allein diese Auffassung ist überkünstlich und mit der Solidarität der Wechselschuld (Art. 872) unvereinbar. Der Zahlung steht natürlich gleich die gerichtliche oder sonstige Deposition, wenn sie gesetzlich dem Wcchselschuldner zusteht, z. B. nach Art. 819. 827.
Die Bestimmungen dieses und des folgenden Artikels sind übrigens nicht nur auf alle Einreden im engeren Sinne, sondern auf alle processualischen Einwendungen, also auch auf Repliken, Dupliken u. s. w. anzuwenden.
Art. 874. Das Wechselverfahren hat den Zweck, dem Gläubiger im Fall der Zahlungsweigerung des Schuldners auf dem kürzesten geraden Wege zum Erlass eines vollstreckbaren Urtheils zu verhelfen, durch dessen schleunigen Vollzug er in den Besitz der Wechselsumme gelangen kann. Es liegt dem die Annahme zu Grunde, dass der Wechsel durch sich selbst in der Regel vollen Beweis liefert und durch seinen Inhalt das zu Grund liegende Rechtsverhältniss erschöpft, weil sonst eine Wechselschuld nicht eingegangen worden wäre, die zur Bezahlung auf den blossen Wechsel hin verpflichtet. Allein diese Annahme kann in manchen Fällen nicht zutreffen, indem der Schuldner durch das Vertrauen auf die Ehrlichkeit des anderen Theiles oder auf andere Umstände veranlasst worden sein kann, einen Wechsel zu unterschreiben, ohne doch in Wirklichkeit dem anderen Theil etwas schuldig geworden zu sein, oder während die Schuld später rückgängig oder anfechtbar wurde u. dgl. Es handelt sich also hier um Einreden, welche das der Ausstellung oder Indossirung oder Acceptirung des Wechsels zu Grunde liegende Rechtsverhältniss betreffen, oder sich auf Umstände beziehen, die über den formellen Inhalt des Wechsels hinausgehen, aber doch die materielle Rechtmässigkeit des zwischen den Parteien abgeschlossenen Geschäftes beeinflussen. Solche Einwendungen sind regelmässig nur zwischen den betreffenden Parteien zulässig, da andere Wechselparteien davon nicht berührt werden und jede einzelne zu einem Wechsel gehörige Schuld als eine selbständige Schuld zu beurtheilen ist. Z. B. wer einen Wechsel gekauft und den Preis dafür nicht bezahlt hat, kann den Verkäufer offenbar nicht zur Zahlung der Wechselsumme an ihn anhalten, obgleich ein dritter Inhaber, der denselben Wechsel in gutem Glauben kaufte und auch bezahlte, dies könnte. Wenn ein Wechsel für Bezahlung eines Kaufpreises statt baaren Geldes gegeben, der Kauf-contract aber später aufgelöst und das Kaufsobject vom Käufer zurückgegeben werde, so kann von ihm nicht die Bezahlung des Wechsels gefordert wurden, da er auch nicht mehr zur Zahlung eines Kaufpreises verpflichtet wäre. Ebenso sind zu beurtheilen besondere Verabredungen zwischen bestimmten Parteien, z. B. über Fristverlängerung, über gewisse Zahlungsweisen, etwa auch eventuell in Waaren statt in Geld u. s. w. Der Artikel lässt mithin zur Verhandlung im gewöhnlichen Verfahren einmal solche Einreden zu, welche nicht speciell dem Wechselrechte, sondern dem allgemeinen Rechte angehören, indem das Geben und resp. Unterschreiben eines Wechsels nicht als selbständiges, in sich abgeschlossenes Geschäft, sondern gleich dem Geben einer Summe baaren Geldes als Bestandteil eines anderweitigen Rechtsgeschäftes aufgefasst wird, dessen ganzer rechtlicher Umfang in dem ordentlichen Verfahren untersucht werden soll, und sodann illiquide, d. h. solche Einreden irgend welcher Art, die im Wechselverfahren nicht sofort bewiesen werden, die also die vorläufige Verurteilung im Wechselverfahren nicht aufhalten konnten. Dagegen bleiben auch im gewöhnlichen Verfahren diejenigen Einwendungen unzulässig, die gegen eine Wechselklage überhaupt nicht vorgebracht werden können, weil sonst das Wechselrecht selbst zerstört werden würde; z. B. Einreden aus einem mit einer dritten Person abgeschlossenen Vertrage, Einwendungen gegen die gesetzlich normirte Regresspflicht, gegen die absolute Verbindlichkeit der Unterschrift, gegen die gesetzlichen Fristen zur Präsentation oder Protestation, gegen die gesetzlich normirte Regresssumme, gegen das Recht der Intervention, der Ziehung eines Rückwechsels etc. etc.
Für die Einleitung des gewöhnlichen Verfahrens bedarf es nicht der Anstellung einer neuen Klage, sondern es geht der einmal begonnene Process einfach seinen Gang weiter, nachdem die Verurtheilung im Wechselprocesse erfolgt und vollstreckt ist, jedoch nunmehr in den Fristen und nach den Grundsätzen des ordentlichen Verfahrens. Ein ausdrücklicher Vorbehalt des späteren Verfahrens ist in dem Urtheile des Wechselverfahrens nicht erforderlich. D. C. Pr. O. § 562. 563. Thöl, Wechselrecht § 200. Renaud, Wechselrecht § 82. 83.
Cap. 2. Wechselscheine.
Art. 875. Der Unterschied zwischen Wechselbriefen und Wechselscheinen (eigenen oder trockenen Wechseln, billets à ordre, pro-missory notes) wurde bereits oben zu Art. 761 erörtert. Wechsel-scheine enthalten nicht den Auftrag an einen Dritten, den Bezogenen, eine bestimmte Summe zu zahlen, sondern das Versprechen des Ausstellers selbst zu bezahlen. Der Wechselschein bezieht sich daher immer nur auf zwei Personen, diejenige welche zu zahlen verspricht, und diejenige, an welche die Zahlung versprochen wird, so dass mithin die dritte Person des Wechselbriefes, der Adressat, Trassat, hier absolut fehlt. Im übrigen enthält der Wechselschein gleichfalls eine wechsel mässige Verpflichtung zur strengen Zahlung einer festen Geldsumme, und es finden daher die Grundsätze des Wechselrechts auch auf Wechselscheine Anwendung, soweit sie nicht die Person, sowie die Rechte und Pflichten des Bezogenen betreffen; vielmehr könnte man in gewisser Hinsicht sagen, dass bei dem Wechselschein der Aussteller und Bezogene in einer Person vereinigt sind, nur dass die den Bezogenen als solchen betreffenden Förmlichkeiten und Acte hier nicht mehr am Platze sind (Art. 878). Hierdurch erklärt sich der nothwendige Inhalt eines Wechselscheines von selbst, der übrigens im einzelnen ganz wie der des Wechselbriefes (Art. 777) zu beurtheilen ist. In gleicher Weise wird der Wechselschein auch in den übrigen Gesetzgebungen dem Wechselbriefe gleichgestellt. Code de comm. Art. 187. 188. D. W. O. Art. 96—98. Holländ. H. G. B. Art. 208. 209. Span. H. G. B. Art. 558. Ital. H. G. B. Art. 272—274.
Nach dem Französischen Rechte Code de comm. Art. 636 sollen Ordrebillets, wenn sie nicht auf Grund von Handelsgeschäften ausgestellt wurden, nicht zu den Handelssachen gehören, mithin der Aburtheilung vor den gewöhnlichen Civilgerichten unterliegen, und eine ähnliche Bestimmung findet sich auch im Ital. H. G. B. Art. 2 Ziff. 7 und Art. 3 Ziff. 2. Zu dieser Beschränkung ist aber kein stichhaltiger Grund gegeben, und sie soll auch nur auf Verlangen des Beklagten stattfinden, ein Beweis, dass sie durch keine innere Nothwendigkeit geboten ist. Auch wird in Deutschland und England zwischen Wechselbriefen und Wechselscheinen kein derartiger Unterschied gemacht. Bravard III. p. 538. Es ist in der That auch ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wechsel Verpflichtung aus einem Scheine oder Briefe nicht einzusehen, da ja auch der Aussteller eines Wechselbriefes stets für die Zahlung verpflichtet bleibt, und diese Verpflichtung sofort in Kraft tritt, wenn der Bezogene nicht acceptirt oder nicht zahlt, was sehr häufig nach dem Willen des Ausstellers und im Einverständniss mit diesem eintritt. Auch steht es dem Aussteller frei, als Bezogenen eine fingirte Person u. dgl. zu bezeichnen. Die Bestimmung des Französischen Code ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäss, und muss als ein Nachklang der Zeit angesehen werden, in welcher der Gebrauch des Wechsels überhaupt nur für Handelssachen stattfandn und den Kaufleuten reservirt war. Gegenwärtig werden Handelssachen nicht mehr nach professionellen Standesunterschieden beurtheilt, sondern nach dem objectiven Character der betreffenden Rechtsgeschäfte, und hier ist nicht zu läugnen, dass die Ausstellung eines Wechselscheines ebenso wohl zu den Operationen des Creditumlaufes gehört, wie die eines Wechselbriefes.
Für das Französ. Recht hat der eben erörterte Unterschied besonders die practische Bedeutung, dass Ordrebillets auch zur Zahlung an demselben Orte ausgestellt werden können und die Schuldhaft regelmässig nicht zulassen; beides ist jedoch durch die neuere Gesetzgebung und das im Entwurfe angenommene System ohnehin beziehungslos geworden.
Nach dem Ital. H. G. B. Art. 275—281 können Ordrebillets auch auf Bodenerzeugnisse (derrate) ausgestellt werden, was namentlich für Getreide und Oel in Italien geschehen soll. Dies widerspricht dem sonst allgemein geltenden Princip, dass Wechsel nur auf eine feste Geldsumme lauten sollen. Auch sind jene Ital. Ordrebillets auf Bodenerzeugnisse kein wirklicher Wechsel und unterliegen vielfach anderen Regeln. S. darüber die Bemerkungen von Mittermaier in der Ztschr. für H. R. Bd. 20 p. 330. Castellano, istitutioni di diritto commerc. Napol. 1842 p. 179 ff. Unzweifelhaft sind Ordrepapiere auf Bodenerzeugnisse, insbesondere auf Quantitäten fungibler Sachen wie Reis, Thee etc. durchaus zulässig und nützlich ; allein sie können nicht dem Wechselrecht unterliegen, sondern müssen nach dem Entwurf den Bestimmungen über Ordrepapiere unterworfen werden. Titel VII. § XI.
Man kann fragen, worin der Unterschied zwischen Wechselscheinen auf den Inhaber und Banknoten oder Papiergeld besteht? Aeusserlich gibt es keinen solchen Unterschied, da in beiden Arten von Papieren der Aussteller dem Inhaber auf Verlangen eine bestimmte Summe Geldes auszuzahlen verspricht, und so wird auch in der Englischen Jurisprudenz die Banknote ein von einem Bankier ausgestellter Wechselschein genannt. Smith, merc. law p. 199 Note. Indessen ist diese äusserliche Aehnlichkeit nur scheinbar; es bestehen vielmehr zwischen beiden Arten von Papieren sehr tiefe und bedeutende Unterschiede. Vgl. Ztschr. für H. R. Bd. 14 p. 657. Goldschmidt, Handelsrecht II. § 107—109. Jeder Wechsel, und so auch der Wechselschein, entspringt dem privaten Credit, dagegen Banknoten dem öffentlichen Credit. Wechsel kann Jeder ausgeben vermöge des Rechts Verträge zu schliessen; Banknoten können nur auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung emittirt werden und gehören eigentlich in das Gebiet der Verwaltung. Daher wird nur gewissen Banken die Ausgabe von Banknoten gestattet, und zwar nach bestimmten gesetzlichen Vorschriften, unter bestimmten Bedingungen der Sicherheit und Controle, und die Verwaltung solcher Notenbanken unterliegt, soweit die Sicherung der Banknoten in Frage kommt, der gesetzlichen Regelung und administrativen Aufsicht., Gewöhnlich sind auch die Beträge, worauf Banknoten lauten können gesetzlich vorgeschrieben, und die Art und Weise ihrer Metalldeckung. Hiedurch erklärt sich, dass Banknoten öffentliches oder allgemeines Zahlungsmittel (legal tender) werden können, gleich dem vom Staate geprägten Gelde, während mittelst Wechsel niemals definitive Zahlung bewirkt wird. Auch kann die baare Einlösung der Banknoten durch Gesetz oder auf Grund gesetzlicher Ermächtigung aufgehoben oder suspendirt werden, was bei Wechseln wiederum, abgesehen vom Falle allgemeiner Moratorien in öffentlichen Nothständen, nicht möglich wäre. Hieraus erhellt, dass zwischen Wechseln und Banknoten ein tief greifender Unterschied besteht, und dass in der Gesetzgebung über Wechsel die Banknoten und das Papiergeld nicht inbegriffen sein können, letztere vielmehr in besonderen Gesetzen und Reglements geregelt werden müssen. Hierauf in einem besonderen Artikel hinzuweisen, erschien nicht nothwendig, um so mehr als der allgemeine Hinweis in Art. 3 auch hiefür genügen dürfte. Vgl. Levi, intern. comm. law I. p. 498.
Art. 876. Ein eigener Wechsel an die eigene Ordre des Ausstellers ist desshalb unzulässig, weil dies ein Versprechen des Ausstellers wäre, an sich selbst zu zahlen, was eine juristische Unmöglichkeit wäre, da eine Obligation, in der Gläubiger und Schuldner eine Person sind, nicht entstehen kann. Ein solcher Wechsel könnte nur zu dem Zweck creirt werden, um ihn an andere Personen weiter zu indossiren und durch seine Veräusserung den Wechsel zu Geld zu machen; allein ein an sich ungültiger Wechsel kann auch nicht für den Zweck oder in Beziehung der Indossirung gültig werden, jedes gültige Indossament setzt vielmehr einen an sich gültigen Wechsel voraus. Daher würde auch die Indossirung eines solchen ungültigen Wechsels ungültig sein. Diese Ansicht ist mit Recht in der Deutschen Jurisprudenz aufgestellt worden. Vgl. Basch p. 41 Note 1 zu Art. 96. Tratten können allerdings an die eigene Ordre gestellt werden (Art. 778); allein hier liegt die grosse Verschiedenheit vor, dass der Bezogene der eigentliche Wechselschuldner ist und der Aussteller nur dafür Garantie zu leisten hat.
Art. 877. Die Bestimmung dieses Artikels entspricht dem analogen für Tratten geltenden Satze, dass die Zahlung an dem Wohnort des Bezogenen stattfinden soll, wenn kein besonderer Zahlungsort auf dem Wechsel bezeichnet ist, wie bereits oben zu Art. 777 und 781 erörtert wurde. Allerdings braucht der Ort, welchen das Datum bezeichnet, nicht nothwendig der Wohnort des Ausstellers zu sein, wenigstens kann factisch oft das Gegentheil stattfinden; allein die formale Natur des Wechselinhalts bewirkt, dass wenn kein anderer Ort benannt ist, der Ort des Datums als der massgebende für die rechtlichen Verhältnisse des betreffenden Wechsels angesehen werden muss. Ist übrigens der Unterschrift des Ausstellers ein besonderer Wohnort beigesetzt, so muss dieser letztere als Zahlungsort angenommen werden, denn man kann die Präsumtion dafür sprechen lassen, dass Jeder an dem Orte seines Domicils seine Verpflichtungen erfüllen wird.
Eigene Wechsel, auf denen ein besonderer Zahlungsort benannt ist, sind Domicilwechsel, wie sie auch bei den Tratten vorkommen können. Beim eigenen Domicilwechsel verspricht der Aussteller an einem bestimmten anderen Orte zu zahlen. Nach dem Code de comm. Art. 188 muss gleichfalls ein besonderer Zahlungsort auf dem Ordrebillet nicht benannt sein, und gilt der Wohnort des Ausstellers und eventuell der Ort des Datums als solcher. Bravard III. p. 539 Note 3. Die gleiche Regel ist in der D. W. O. Art. 97 ausgedrückt.
Art. 878. Der Aussteller eines Wechselscheines, der gegen diesen eine feste Geldsumme zu zahlen verspricht, ist durch seine Unterschrift von selbst verpflichtet gleich dem Acceptanten einer Tratte; durch die Ausstellung entsteht daher bereits das Wechselrecht des Nehmers gegen den Aussteller und es bedarf keiner weiteren Erwerbung oder Erhaltung desselben durch Accept, Protest Mangels Annahme oder Mangels Zahlung u. s. w. D. W. O. Art. 99. Thöl, Wechselrecht § 155. Allerdings kann ein eigener Wechsel auch indossirt werden, und es entstehen dann drei Interessenten oder Parteien, nämlich der Indossatar als Wechselinhaber, an den die Zahlung stattfinden muss, der Aussteller, welcher die Zahlung leisten, und der Indossant, welcher sie garantiren soll und im Falle der Nichtzahlung dem Regress ausgesetzt ist, und da eine solche Indossirung mehrfach stattfinden kann, so können so viele Garanten des Wechsels geschaffen werden, als Indossamente stattfinden. Die Eigenschaft des Ausstellers als schliesslichen und hauptsächlichen Garanten der Wechselzahlung geht in diesem Falle unter oder, wenn man will, auf die Person des ersten Indossanten über. Man kann nun verlangen, dass im Interesse dieser Garanten, die sich von der Person des Ausstellers ebenso unterscheiden, wie von der eines Acceptanten, jene Förmlichkeiten des Acceptes, oder doch der Präsentation und Protesterhebung gewahrt werden sollten. Eine solche Vorschrift ist zwar zuweilen in Betreff' der Acceptation erlassen worden, allein sie ist insoweit durchaus nicht empfehlenswerth, da sie unnütze Formalitäten betrifft, die hier durchaus keine innere Begründung haben; denn durch das Accept kann nichts weiter bewirkt werden, als was bereits durch die Unterschrift des Ausstellers bewirkt worden ist, nämlich die bindende Verpflichtung desselben zur Bezahlung des Wechsels. Dagegen sind in Betreff der übrigen Wechselschuldner die Förmlichkeiten, welche zur Regressverfolgung, berechtigen, stricte zu erfüllen, also die rechtzeitige Präsentirung Protestirung und Notification, widrigenfalls das Regressrecht gegen sie verloren sein würde. Die weitere Bestimmung bezüglich der auf bestimmte Zeit nach Sicht lautenden Wechsels rechtfertigt sich durch die Nothwendigkeit eines bestimmten Termines für die Berechnung der Verfallzeit, und bezüglich der Domicilwechsel durch die Analogie des Domiciliaten mit einem Bezogenen, aus den gleichen zu Art. 796 und 887 bereits ausgeführten Gründen.
Art. 879. Es wurde bereits zu Art. 875 erörtert, dass Wechselscheine Wechsel ohne einen Bezogenen sind und daher alle auf diesen Punkt bezüglichen Rechtsbestimmungen bei ihnen keine Anwendung finden können. Dieselben betreffen hauptsächlich die Acceptation und die Deckung, wenngleich letztere nicht absolut, da auch Indossanten oder Committenten zur Deckung verpflichtet sein können, und diesen gegenüber der Aussteller ähnliche Berechtigungen haben muss, wie der Bezogene. Indessen kann auch in solchen Fällen, wie bei der Acceptation (Art. 797), die Verpflichtung zur Bezahlung des Wechsels nicht von dem vorherigen Empfang der Deckung abhängig gemacht werden, und würde daher die nicht empfangene Deckung keine Einrede gegen die Wechselklage begründen, ausgenommen gegenüber demjenigen Wechselgläubiger, welcher sich zur Leistung der Deckung verpflichtet hatte.
Speciell zu bemerken ist, dass ein eigener Wechsel nach Verfall unbeschränkt indossirt werden kann, da die Verpflichtung des Ausstellers, gleich der des Acceptanten, unbedingt bestehen bleibt, und es hier gegenüber jenem keiner rechtzeitigen Präsentirung und Protestirung mehr bedarf. Ein solcher nachindossirter Wechsel ist in Bezug auf den Aussteller gleich einem auf Sicht zahlbaren Wechsel-briefe, obwohl daraus keine neue, besondere Verfallzeit deducirt werden darf, und der Art. 788 findet daher hier nur insoweit Anwendung, als der Aussteller von der Bedingung der rechtzeitigen Präsentirung und Protestirung ausgeschlossen ist. Vgl. oben die Erörterungen zu Art. 787. 788. Wird daher ein verfallener eigener Wechsel indossirt, so hat der Indossatar vollen Anspruch gegen den Aussteller, auch ohne dass Protest wegen Nichtzahlung erhoben worden wäre.
In der Deutschen Jurisprudenz (Thöl, Wechselrecht § 155) wird auch die Abweichung behauptet, dass eigene Wechsel ohne Gefahr vor Verfall bezahlt werden könnten, da hier die Zahlung nicht in Folge des Auftrages eines Anderen, nämlich des Ausstellers im Unterschied vom Bezogenen, erfolge, mithin auch kein Risiko wegen Ueberschreitung eines Auftrages stattfinden könne. Die Richtigkeit dieser Ansicht lässt sich bestreiten, da der Aussteller immer dem wahren Wechseleigenthümer verhaftet bleibt, und wenn er vorher an einen anderen Dieb oder Fälscher etc. zahlt, dadurch von seiner Haftung nicht befreit werden kann.
Im Französ. Code de comm. Art. 187 und noch genauer in der D. W. O. Art. 98 sind die Bestimmungen des für Wechselbriefe geltenden Rechts speciell angegeben, welche auch auf Wechselscheine Anwendung finden sollen. Dies wurde im Entwurfe nicht nachgeahmt, da es im Grunde nicht viel nützt, und doch im einzelnen manches unanwendbar sich ergeben kann. So z. B. würde bei Rückwechseln auf den Aussteller, wenn der Zahlungsort und der Ort der Ausstellung dieselben wären, kein Wechselcours (Art. 861) berechnet werden können, nach dem Französ. Rechte, welches Platzwechsel überhaupt verbietet, wären in solchem Falle Rückwechsel ganz und gar unzulässig. Andere specielle Abweichungen sind bereits in den vorausgehenden Erörterungen enthalten. Es bleibt daher am besten dem richterlichen Urtheile überlassen, wieweit die allgemeinen Bestimmungen der Wechselordnung auch auf Wechselscheine Anwendung finden, und es wird nur die Regel vorgeschrieben, dass diese Anwendung immer stattfinden muss, soweit sie nicht durch die Natur der Sache ausgeschlossen ist, also vernünftiger Weise stattfinden kann.
Cap. 3. Cheques.
Art. 880. Die Benützung der Cheques im Creditverkehr ist modernen Ursprungs und erst in den letzten 15—20 Jahren allgemeiner geworden; daher ist dieser Gegenstand in den älteren H. Gesetzbüchern nur ausnahmsweise berührt.
Im Holland. H. G. Buch handeln davon resp. von Cassierbriefen die Art. 221—229.
Im Portugies. H. G. Buch Art. 430—434.
In Deutschland gibt es überhaupt kein Gesetz über Cheques, sondern die Sache wird in den Bankreglements geregelt. Ztschr. für H. R. Bd. 23 Beil. p. 231 ff.
In Frankreich bestehen darüber die Gesetze vom 14. Juli 1865 und 19. Dec. 1874.
In Belgien vom 20. Juni 1873.
In England vom 23. Juni und 2. Aug. 1856, und vom 15. Aug. 1876.
Alle diese Gesetze werden unzweifelhaft zur Handelsgesetzgebung gerechnet, und man betrachtet den Cheque als eine Unterart des Wechsels, als Bankanweisung. In einem ganz modernen H. Gesetz-Entwurfe durfte jedenfalls ein Abschnitt über Cheques nicht fehlen, da sonst die Vollständigkeit gelitten hätte, und kein Grund besteht, den Gegenstand einem besonderen Gesetze zu überlassen, wenn nicht bereits ein älteres H. Gesetzbuch vorhanden ist.
Nach dem Entwurf gehören Cheques in allen Fällen zu den Handelssachen, da Cheques resp. Cheque-Bücher nur von Banken ausgegeben werden können und die Emission derselben einen Zweig des Bankgeschäftes bildet. Auch dritte Privat-Personen, zwischen denen Cheques in Zahlung gegeben und genommen werden, treten dadurch direct oder indirect in Geschäftsbeziehungen zur Bank, denn Gegenstand der im Cheque ausgedrückten Verpflichtung ist immer eine Geldzahlung der Bank und es muss nach Art. 17 des 1. Titels das Handelsrecht für beide Theile massgebend sein. Cheques werden fast überall zu den Handelssachen gerechnet, wie aus allen Lehrbüchern über Handels- und Wechselrecht erhellt. Mithin sind Streitigkeiten über Cheques in jedem Falle nach den Grundsätzen des Handelsrechts und vor den Handelsgerichten zu entscheiden; ebenso wie Wechselsachen, obschon Wechsel gleichfalls zwischen Privaten, und zwar nur zwischen Privaten, coursiren können. Bei den Cheques kommt noch der Grund hinzu, dass sie regelmässig nur von Banken emittirt werden.
In Frankreich, nach dem Gesetz vom 14. Juli 1865 Art. 4 gehören Cheques allerdings nur dann zu den Handelssachen, wenn ihnen ein Handelsgeschäft zu Grunde liegt, wenn sie also für den Zweck eines Handelsgeschäfts ausgestellt oder übergeben werden; jedoch sollen die commerciellen Grundsätze über solidarische Haftung und Protest und Bürgschaft darauf stete Anwendung finden. In Frankreich sind mithin Cheques an sich nur zum Theil Handelssachen ; eine Anomalie, die ihren Grund darin findet, dass nach Art. 1 des Gesetzes vom 1865 Cheques von Jedermann, nicht blos von Banken ausgestellt werden können.
Im Entwürfe ist gemäss der fast überall sonst herrschenden Auffassung der Character der Cheques als Bank-Anweisung festgehalten und desshalb der Cheque in allen Fällen als Handelssache zu betrachten.
In Belgien, nach Art. 3 des Gesetzes 1873, werden Cheques in den meisten Beziehungen den Grundsätzen des Wechselrechts unterworfen.
In England betrachtet man den Cheque als eine Species der Wechsel. Smith, merc. law p. 199 Note.
In Deutschland kommt der Cheque bis jetzt, wie früher bei der Bank von Frankreich, nur in der Form der Bank-Quittung vor, auf rothem und weissem Formular, je nachdem es sich um blosse Umschreibung oder um Auszahlung handelt, und gehört als solche unzweifelhaft zu den Handelssachen.
Da Cheques hauptsächlich im Handelsverkehr benützt werden, ist es wichtig, sie primär den Principien des Handelsrechts zu unterwerfen.
Cheques sind, obgleich ihre Spuren um mehrere Jahrhunderte zurückzuverfolgen sind, doch verhältnissmässig modern, und selbst in England, wo sie am meisten im Gebrauche stehen, erst in den letzten Decennien mehr ausgebreitet und durch die Gesetzgebung einigermassen geregelt worden. Daher ist ihre juristische Auffassung zur Zeit noch schwankend und unbestimmt. In dem Engl. Gesetze vom 15. Aug. 1876 Art. 3 werden Cheques definirt als eine Tratte öder Anweisung auf einen Bankier, zahlbar auf Sicht an den Inhaber oder an Ordre. Hiernach ist der Cheque weder ein reiner Wechsel, noch eine gewöhnliche Anweisung, sondern eine Mischung von beiden, und es können daher die gewöhnlichen Grundsätze des Wechselrechts darauf keine unbedingte Anwendung finden, sondern nur insoweit als es dem Zweck der Cheques entspricht. Cheques vertreten noch weit mehr wie Wechsel das baare Geld, und müssen möglichst leicht circulirbar gemacht, folglich von Förmlichkeiten möglichst befreit werden.
Der Gebrauch der Cheques rührt daher, dass man sein baares zu verschiedenen Zeiten zur Einnahme gelangendes Geld, statt es in der eigenen Wohnung aufzubewahren, seinem Bankier übergibt und sich vorbehält, dasselbe ganz nach freiem Ermessen, als wenn man es selbst in Casse hielte, durch Vermittlung des Bankiers zu verausgaben. Da nun die Einnahmen selbst wieder in Cheques bestehen können, deren Betrag der Bankier für den Berechtigten einziehen wird, so ergibt sich daraus ein allgemeines Zahlen und Empfangen mittelst Cheques, wobei sehr häufig das baare Geld überflüssig wird, indem Einnahmen und Ausgaben mittelst Cheques durch Umschreibung in den Büchern eines und desselben Bankiers, oder durch Abrechnung zwischen mehreren Banken bewerkstelligt werden. Der Gebrauch von Cheques ist daher nicht nur von grosser Bequemlichkeit für den Einzelnen, und auch insoferne profitabel, als man von seinen laufenden Einnahmen Zinsen beziehen kann, sondern auch von hohem allgemeinem Nutzen, indem das umlaufende Geld sich in den Banken concentrirt, dadurch der Bedarf desselben verhältnissmässig geringer und die Benützung der Creditzahlung möglichst weit ausgebreitet wird. Der Cheque beruht, wie man sieht, in seiner Anwendung auf dem Bankgeschäfte, weil Banken allein im Stande sind, die disponiblen Gelder ihrer Kunden anzusammeln und zu verwalten, mithin sind Cheques auf Privatpersonen unpractisch und nicht empfehlenswerth. Ferner beruht der Cheque auf den disponiblen Fonds, die man bei einer Bank zu bilden oder anzusammeln vermag, und vertreten die Stelle solcher disponiblen Gelder bei Zahlungen, während Wechsel eine viel weitere Grenze der Anwendung besitzen und auf dem gesammten kaufmännischen oder persönlichen Credit, insbesondere auf jeder Art von Capital oder flüssig zu machendem Vermögen beruhen. Ein Wechsel kann daher sehr wohl durch Waarenlager oder Hausbesitz gedeckt sein, dagegen ein Cheque nur durch disponible, bereits flüssig gemachte Gelder, die man in seiner eigenen Tasche haben könnte, die man aber um besserer Sicherheit und Bequemlichkeit willen einer Bank übergeben hat. Indessen kann diese Grenze der Cheques durch, besondere Abmachungen erweitert und ein selbständiger Cheques-Credit darüber hinaus gewährt werden, doch wird derselbe immer weit hinter dem Wechselcredit Zurückbleiben müssen. Zahlungen mittelst Cheques müssen daher im Ganzen so sicher sein, wie Zahlungen mittelst Baargeld, und darauf muss auch die Gesetzgebung hinarbeiten.
Es leuchtet sonach ein, dass der Cheque eine Zahlung mit eigenem Gelde, der Wechsel mit fremdem Gelde, nämlich mit dem Gelde des Bezogenen resp. Ausstellers bedeutet; wenigstens in der Hauptsache, obgleich es auch anders sein kann, wie sogleich sich zeigen wird. Insoferne wäre der Cheque überhaupt kein Creditpapier, sondern nur ein Repräsentant von baarem Geld. Allein da einmal der Bankier die bei ihm deponirten Gelder nicht ihrem ganzen Betrage nach bei sich liegen zu lassen braucht, sondern nur soviel, als jeweilig an Cheques zur Einlösung präsentirt und nicht durch Umschreibung oder Abrechnung getilgt werden, und da zweitens nicht blos auf baare Depositen, sondern auch auf Wechsel und jeden anderen Credit hin Cheques gezogen werden können, so erscheint offenbar auch der Cheque als ein Creditpapier und die Zahlung mittelst Cheque ist eine Creditzahlung, wie die Zahlung mittelst Wechsel, Hierdurch unterscheiden sich die Cheques von den blossen Cassierbriefen oder Cassenscheinen, wie sie ins Holländ. H. G. B. aufgenommen sind, und diese erweiterte Creditnatur der Cheques entspricht dem Bedürfniss und dem modernen Bankverkehr. Bei diesem Creditverhältniss ist in der Hauptsache immer der Aussteller des Cheques der Creditgeber, und der Bankier der Creditnehmer; soweit aber der Bankier Cheque-Credit gegeben hat, ist auch der Aussteller Creditnehmer. Derjenige, welcher einen Cheque in Zahlung erhält, ist in der Regel an dem zwischen jenen beiden bestehenden Creditverhältniss nicht betheiligt, ausser soweit er seinerseits durch Verzögerung der Einlösung Credit gibt oder soweit er selbst als Kunde des gleichen Bankiers dessen Creditgeber oder Creditnehmer ist. Man könnte die Cheques persönlich fundirte Banknoten nennen, da sie durch die Bankfonds jedes Ausstellers gedeckt sein müssen und wie Banknoten das Baargeld ersetzen; auch wird erfahrungsgemäss durch ihren Gebrauch die Emission der Banknoten in hohem Grade überflüssig gemacht.
Man muss folglich die Bankanweisung und die gewöhnliche Anweisung unterscheiden. Der Cheque ist immer eine Bankanweisung, denn nur Banken geniessen den festen und allgemeinen Credit, der die öffentliche Circulation der Cheques ermöglicht. Gewöhnliche Anweisungen zwischen Privaten dagegen beruhen auf zufälligen Umständen, da Niemand seine Gelder regelmässig bei anderen Privaten deponiren wird, ihre Annahme setzt daher in jedem einzelnen Fall die besondere Vereinbarung der Betheiligten gleich einem gewöhnlichen Vertrage voraus. Die Cheques können in weitem Umfange die Banknoten ersetzen, dagegen die gewöhnlichen Anweisungen können dies nicht, da die Circulation der Cheques einen öffentlich anerkannten bankmässigen Credit voraussetzt. In Bezug auf die einzelnen Bankkunden ist der Cheque das bequemste Mittel, die in laufender Rechnung (compte courant, current account) deponirten Gelder zu Zahlungen flüssig zu machen, oder Zahlungen von Anderen in Empfang zu nehmen. Nach allen diesen Erwägungen beruht daher der Art. 4 des Französ. Gesetzes vom 14. Juni 1865, welches die commercielle Natur der Cheques an sich nicht anerkannt hat, unzweifelhaft auf irrthümlicher Auffassung, indem man übersah, dass der Cheque seiner Natur nach ein Bankpapier ist, nur von Banken emittirt werden kann, und von den einzelnen Privaten nur in Circulation gesetzt wird. Es kann daher auf die Natur des Geschäftes, aus dessen Anlass diese Circulation bewirkt wird, nichts ankommen, da es sich in allen Fällen um die Bewerkstelligung eines bankmässig fundirten Creditumlaufes handelt.
Die Bestimmung des Entwurfes, dass der Cheque immer eine Anweisung auf einen Bankier sein muss, wird hiernach hinlänglich gerechtfertigt sein. In dem Englischen Gesetze vom 15. August 1876 Art. 3 ist, wie bereits bemerkt, der Cheque definirt als „ a bill or order to a banker, payable to a certain person or bearer on demand,” und in der Praxis kommen keine anderen Cheques vor, wenn man von den bereits besprochenen gewöhnlichen Anweisungen absieht. Ausserdem wird als wesentlich noch vorgeschrieben 1, die Angabe der Geldsumme, welche, und 2, die Angabe der Person, an welche gezahlt werden soll, 3, dass der Cheque immer auf Vorzeigung zahlbar sein muss; 4, dass der Cheque nur auf Grund eines Cheque-Credits ausgestellt werden darf, den man bei der betreffenden Bank erlangt hat.
Die Person, an welche Zahlung zu leisten ist, kann entweder eine bestimmte, mit Namen bezeichnete Person oder jeder beliebige Inhaber sein. Das gleiche ist bestimmt in dem genannten Englischen Gesetze von 1876 Art. 4 und in dem Französ. Gesetze von 1865 Art. 1: il peut être souscrit au porteur ou au profit d'une personne dénommée. Auch nach dem Reglement der Deutschen Reichsbank können die zur baaren Abhebung von Geldern bestimmten weissen Cheques auf den Inhaber ausgestellt werden, während die rothen Cheques allerdings nur auf Namen lauten dürfen und überdies nicht übertragbar sind. Zeitschr. für H. R. Bd. 23 Beil. p. 233. In der Praxis des Geschäftsverkehrs kommen überwiegend nur Cheques auf den Inhaber vor, wenn gleich der erste Inhaber meist mit Namen genannt ist. Allerdings kann man durch Diebstahl, Verlieren u. dgl. von Inhaber-Cheques leicht in Verlust gerathen, allein dies kann durch Vorsicht vermieden werden und kommt beim baaren Gelde und bei Banknoten und Papiergeld gleicher Weise vor. Cheques, die nur auf den Namen lauten, erfüllen ihre Bestimmung wie umlaufendes baares Geld benützt zu werden, weit weniger, da ihre Uebertragung mehr Förmlichkeiten erfordert und namentlich den Indossanten mit einer Garantiepflicht belastet, die man hier, wie beim Umlauf baaren Geldes oder von Banknoten, am liebsten vermeidet. Die Vorschrift, dass Cheques immer auf bestimmte Namen lauten müssen, würde sie daher ihrem Zweck zu sehr entziehen und ist desshalb im Entwurf nicht angenommen worden.
Die Vorschrift, dass jeder Cheque sofort auf Verlangen auszuzahlen ist, findet sich gleichmässig in der Englischen und Französischen Gesetzgebung. Der Grund hiefür ist, dass der Cheque die Baarzahlung ersetzen soll, also in den Geschäften à comptant, und nicht à terme, mit Zahlungsfristen, gebraucht wird; ein Cheque mit entfernter Zahlungsfrist würde sich von einem Wechsel wenig unterscheiden und überdies das betreffende Geschäft zu einem Fristgeschäft machen, was die Folge hätte, dass Geschäfte à comptant nur noch mit Metallgeld oder Banknoten gemacht werden könnten. Dass dies den privaten und öffentlichen Nutzen der Cheques geradezu aufheben würde, leuchtet von selbst ein. Auch gewinnt nur dadurch der Cheque die ihm nöthige sichere und allgemeine Umlaufsfähigkeit; denn Jeder weiss bestimmt oder kann bestimmt wissen, welche Summe er in jedem Augenblick bei der Bank liegen hat, dafür ist das Chequebuch besonders eingerichtet; man kann aber nie mit Gewissheit wissen, welche Summen man in der Zukunft bei dem Bankier liegen haben wird, wenigstens werden Andere in dieser Beziehung kein Risiko übernehmen wollen, solange sie ein Comptant-Geschäft beabsichtigen und der Schuldbetrag ohne Rücksicht auf Zinsen und Risiko regulirt wurde. Daher sind Cheques in der Regel nicht blos zur sofortigen Auszahlung, sondern auch zur unverzüglichen Vorzeigung zur Zahlung bestimmt, und wer damit länger wartet, muss dies auf eigene Gefahr thun.
Nach Englischem Gesetze (48. Geo. 3. c. 88. s. 2.) ist ein Cheque auf weniger als 20 Shilling (5 Dollars) völlig ungültig. Für eine solche Beschränkung lässt sich kein genügender Grund denken, da der Missbrauch des Bankcredits durch Ausstellung fictiver Cheques nicht leicht eintreten kann, wenn die Vorschrift des Cheques nur auf Grund eines wirklich vorhandenen Credits bei der Bank ausgestellt werden dürfen, beobachtet wird. Diese Frage ist mehr eine Frage der Convenienz und Zweckmässigkeit für die technische Einrichtung des Chequebetriebes, und kann den Bankreglements überlassen bleiben. So wird von manchen Banken ein gewisses Minimum des Betrages für jeden Cheque normirt, während andere Banken eine solche Limitirung unterlassen.
Cheque-Credit erlangt man regelmässig durch Deponirung von Geld in laufender Rechnung, mithin ohne festen Termin der Rückzahlung ; der Deponent kann über sein Deposit zu jeder Zeit mittelst Cheques verfügen, soweit dasselbe bei der Bank liegen bleibt, gewährt dieselbe häufig noch Zinsen zu einem gewissen niedrigen Zinssatze. Ueber das vorhandene Guthaben hinaus darf kein Cheque gezogen werden, wenigstens ist die Bank zu deren Bezahlung nicht verpflichtet, und sie kann überdies im Falle überschiessender Cheques den Bankverkehr mit dem Aussteller abbrechen. Dies ist die regelmässige Fundirung des Cheque-Credits, doch kann derselbe nicht absolut an diese Grenze gebunden werden. Eine Bank kann auch ohne reelles oder gleichzeitiges Deposit Cheque-Credit gewähren, und sie kann darin im Grunde nicht gehindert werden; das Arrangement darüber mit ihren Kunden muss ihr selbst überlassen werden. Gesetzt, Jemand hätte am 30. Mai sein Guthaben erschöpft, und wünscht am 1. Juni eine Zahlung zu machen, während sein Guthaben sich erst am 30. Juni wieder füllen wird. In solchen und ähnlichen Fällen kann man die Benützung des Cheque-Credits offenbar nicht verbieten. Vgl. Ztschr. für H. R. Bd. 10 p. 33. Immer kann ein Cheque nur auf Grund eines bestimmten Bank-Guthabens gezogen werden, gleichviel ob man dieses durch Deposit oder durch anderweitige Crediteröffnung erlangt hat. Die blosse Hoffnung oder Erwartung, dass die Bank den Cheque honoriren werde, genügt nicht, wenngleich ein Wechsel in solcher Erwartung ausgestellt werden kann. In diesem Sinne muss auch die Bestimmung des Französ. Gesetzes Art. 2 in Betreff der nothwendig zu beschaffenden „ provision préalable” verstanden werden. Wenigstens ist der Wortlaut dieser Bestimmung mit der Beziehung derselben auch auf blossen Bankcredit nicht im Widerspruch, und dies wird sowohl durch den Wortlaut des Art. 1 desselben Gesetzes, wo der gleiche Gegenstand mit den Worten „ fonds portes au credit de son compte chez le tiré ” bezeichnet ist, als auch durch den Code de com. Art. 116 .bestätigt, nach welchem auch die Wechselprovision in blossem Credit ohne unmittelbare Baardeckung bestehen kann. Uebrigens muss das Credit-guthaben nicht blos im Zeitpunkt der Präsentation des Cheques zur Zahlung, sondern schon im Augenblick der Ausstellung des Cheques vorhanden sein, denn nur dann kann der Aussteller wissen, dass er die Auszahlung einer ihm wirklich zur Verfügung stehenden Summe anordnet, und nur unter dieser Bedingung kann der Empfänger den Cheque gleich wie baares Geld annehmen und weiter geben. Diese Vorschrift ist auch schon insoferne fast selbstverständlich, als zwischen der Ausstellung und Präsentirung eines Cheques meist nur eine sehr kurze Zwischenzeit liegen wird. Anders bei Wechseln, die in der Regel auf mehrere Monate Verfallzeit gestellt werden.
Art. 881. Die Bestimmungen dieses Artikels finden ihre Erklärung bereits in der vorausgehenden Erörterung der wesentlichen Natur eines Cheques. Dass ein Cheque nur auf Sicht ausgestellt werden kann, ergibt sich daraus, dass die Chequezahlung als Baarzahlung gelten muss und insoferne der Zahlung mit Banknoten gleichsteht. Die Datirung und Unterzeichnung des Ausstellers sind nothwendig wegen der Provision oder des Creditguthabens, das im Zeitpunkt der Ausstellung dem Aussteller bei dem betreffenden Bankier zustehen muss. Ein undatirter oder nicht unterzeichneter Cheque würde des zu seiner rechtlichen Beurtheilung erforderlichen Inhalts entbehren und eine unvollständige Urkunde sein, aus welcher kein Rechtsanspruch abgeleitet werden könnte. Würde ein Bankier einen solchen Cheque trotzdem honoriren, so würde er es auf seine eigene Gefahr thun, auch wenn kein förmlicher Betrug damit beabsichtigt worden wäre.
Im übrigen wird für Cheques eine besondere Form nicht vorgeschrieben, ausgenommen insoweit die bei einer Bank reglementsmässig bestehenden Formvorschriften beobachtet werden müssen. Dieselben sind in der Hauptsache aus den Chequebüchern zu ersehen, die dem Chequekunden übergeben werden, und in welchen sowohl die von Zeit zu Zeit sich ansammelnden Creditguthaben, insbesondere durch Depositen, als auch die laufenden Chequeziehungen der Zeitfolge nach notirt werden. Jeder Cheque wird aus dem Buch ausgerissen und dem Empfänger eingehändigt; ein kleiner Streifen des Blattes bleibt daneben im Buch haften, auf welchem die zur Controle und Unterstützung des Gedächtnisses dienenden gleichlautenden Einträge im wesentlichen wiederholt werden. Jeder Kunde bekommt zwei Chequebücher, eines für das Guthaben und das andere für die Ausstellung der Cheques, also die Anordnung von Ausgaben auf dasselbe. Er muss sie auf seine Gefahr sorgsam aufheben und nur exacte Einträge machen. Es versteht sich von selbst, dass mit dem Gebrauche dieser Chequebücher die Beobachtung gewisser Förmlichkeiten verbunden ist, welche von jeder Bank beansprucht werden kann ; ausserdem können noch mündliche Erläuterungen, z. B. über das Minimum der Chequebeträge, die Bankstunden für Präsentation u. dgl. hinzugefügt werden. In der Annahme solcher Chequebücher liegt die stillschweigende Verpflichtung, die von jeder Bank angenommenen Formen des Chequeverkehres zu beobachten.
Art. 882. Die Zahlung per Cheque ist ebenso eine Art des Creditumlaufes, wie die Zahlung per Gold- oder Silbermünzen eine Art des Geldumlaufes. Zwischen beiden besteht zwar der Unterschied, dass Gold- und Silbermünzen unbegrenzt und unaufhörlich von einer Hand zur anderen wandern, und nicht etwa nur einmal gebraucht werden ; das gleiche gilt auch für Banknoten und Papiergeld, obwohl zuweilen das Gegentheil verordnet ist. So gilt z. B. bei der Bank von England die Regel, dass ihre Banknoten, die von ihr selbst eingenommen oder eingelöst werden, nicht wieder ausgegeben werden dürfen, sondern vernichtet werden müssen, und sie werden daher sofort beim Empfang durch einen Riss für den ferneren Verkehr untauglich gemacht. Für Cheques kann nun sowohl das eine als das andere in Uebung sein, d. h. sie können unmittelbar von dem ersten Empfänger zur Zahlung präsentirt werden, und sind sodann dem weiteren Umlauf ein für allemal entzogen; oder man kann sie weiter an Andere übertragen, so dass erst der dritte, vierte, zehnte u. s. w. Empfänger die wirkliche Auszahlung fordert und erhält. Häufiger kommt es wohl vor, dass Cheques, wenigstens nach vorgenommener Kreuzung (vgl. Art. 885), sofort von dem ersten Empfänger oder dessen Stellvertreter eincassirt werden; allein es besteht kein Grund, die Uebertragung eines Cheques an nachfolgende Empfänger zu verhindern. Die letzteren gleichen in mancher Beziehung den Indossataren eines Wechsels, und wenn der Cheque au porteur lautet, dem jeweiligen Inhaber eines auf den Inhaber ausgestellten Wechsels, nur dass die Geltendmachung der Regressrechte hier weitaus mehr beschränkt werden muss (Art. 884). Durchaus bequemer und der Natur der Cheques entsprechender ist jedoch die Uebertragung durch blosse Uebergabe von Inhaber-Cheques, sowohl weil Cheques wie Baargeld betrachtet werden und ebenso leicht übertragbar wie dieses gemacht werden müssen; als auch weil das eigentliche Creditverhältniss nur zwischen dem Bankier und dem Aussteller besteht und der letztere die hauptsächliche Haftung zu tragen hat, während die Zwischeninhaber verhältnissmässig nur wenig haftbar gemacht werden können und ihr Indossament daher auch keinen grossen Werth hat. Beruft man sich aber darauf, dass wenn der Cheque immer auf Namen lauten muss, er auch immer nur an die dadurch bezeichnete Person ausgezahlt werden darf, mithin Verluste und Veruntreuungen durch Finder, Diebe etc. mehr verhütet werden, so ist darauf zu erwidern, dass der Cheque in dieser Hinsicht nicht besser gestellt werden kann, wie der Wechsel und jedes andere Ordrepapier, wofür die Regel des Art. 459 gilt, dass im Falle von irrthümlichen Zahlungen an die unrechte Person nur für böse Absicht oder grobe Nachlässigkeit Haftung geschuldet wird. Die Vorschrift, dass der Cheque nur an namentlich bezeichnete Personen zahlbar sein soll, sichert daher keineswegs vor den erwähnten Verlusten und Veruntreuungen. Aus diesen Gründen wurde im Entwurf die Uebertragung der Cheques mittelst Indossament und mittelst blosser Uebergabe zugelassen; in Betreff der Indossirung sind hiebei die analogen Grundsätze wie bei der Indossirung von Wechseln zu beobachten. Auch die Indossirung in blanco kann nicht ausgeschlossen werden, da gerade durch sie die Zwischeninhaber sich von aller Haftung frei machen können. Auch nach dem Französ. Gesetze von 1865 Art. 4 sind die Grundsätze über die Indossirung von Wechseln und die Haftung der Indossanten auf Cheques anwendbar. Das gleiche gilt in Belgien nach dem Gesetz vom 20. Juni 1873 Art. 2 und 3, und in England nach dem Handelsgebrauche. Levi, internat. comm. law I. p. 485. Eine besondere Art der Uebertragung von Cheques ist das Kreuzen (crossing) derselben, worüber in Art. 885 gehandelt ist.
Art. 883. Der Cheque ist zwar nicht wie der Wechselschein ein Versprechen des Ausstellers selbst zu zahlen, sondern eine Anweisung an einen Dritten; er bedarf aber gleichwohl nicht der Acceptation wie der Wechselbrief, da dem Bankier die Honorirung des Cheques nicht frei steht, indem er sich durch Gewährung eines Credit-Guthabens, sei es gegen Deposit oder anderweit, dazu ein für allemal verpflichtet hat. Das Credit-Guthaben des Cheque-Kunden wird als disponibler Baarfond des letzteren angesehen, worüber derselbe jederzeit ohne besondere Zustimmung des Bankiers verfügen kann. Die gleiche Bestimmung gilt in England (Levi, internat. comm. law I. p. 488) und in Frankreich, Gesetz von 1865 Art. 2, soferne die Worte „il est payable à présentation ” in dem negativen Sinne zu deuten sind, dass der Inhaber auf jeweiliges Verlangen, mithin ohne vorherige Acceptation, Zahlung zu verlangen berechtigt ist, da die positive Vorschrift der Zahlbarkeit auf Sicht schon vorher in Art. 1 enthalten ist. Das gleiche ist wohl auch in dem Belg. Gesetze vom 20. Juni 1873 vorgeschrieben, wenigstens folgerungsweise, indem die Grundsätze über Wechselaccept nicht unter den Gegenständen aufgezählt sind, welche nach Art. 3 auf Cheques anzuwenden sind. Es ist indessen wohl zu beachten, dass der Bankier zur Bezahlung des Cheques lediglich gegen den Aussteller verpflichtet ist, indem nur dieser in einem obligatorischen Verhältniss zum Bankier steht und der Inhaber des Cheques einfach ermächtigt wird, die betreffende Geldsumme von dem Banker zu erheben. Andererseits kann aber der Bankier auch gegen den Inhaber eine Verpflichtung übernehmen, dadurch dass er sein Accept, oder seine Namens-Initialen, auf den Cheque setzt, wogegen nichts im Wege steht. Allein dies ist in keinem Falle erforderlich, um eine Verpflichtung des Bankiers hervorzubringen, und in den meisten Fällen auch nicht üblich, da sofort auf Vorzeigung die Auszahlung zu erfolgen hat.
In Betreff der Protesterhebung bei unbezahlt gebliebenen Cheques ist der Entwurf nach dem Vorbilde des Englischen Rechts von der Vorschrift einer solchen abgestanden, obwohl dieselbe im Französ. Gesetz von 1865 Art. 4 und im Belgischen Gesetz von 1873 Art. 3 nach den Grundsätzen des Wechselprotestes vorgeschrieben ist. Dieses erschien empfehlenswerther theils wegen der grösseren Einfachheit des ganzen Chequegeschäfts, in welchem die Häufung entbehrlicher Förmlichkeiten besser vermieden wird, theils auch weil Cheques nicht leicht einer so weiten Circulation in beliebigen Distancen fähig sind, mithin die Constatirung der Nichtzahlung auch keiner öffentlichen Beglaubigung bedarf, und besonders weil die Weigerung des Bankiers zu bezahlen noch nicht dessen Zahlungsunfähigkeit bedeutet, somit keine Thatsache von besonderer Wichtigkeit ist. Dazu kommt noch, dass bei Cheques der Aussteller in der Hauptsache der einzige Verhaftete ist, und um seinetwillen allein selbst die blosse Auslegung der Protestkosten dem Cheque-Inhaber nicht wohl zugemuthet werden kann. Der Cheque-Inhaber hat daher die Thatsache der Nichtbezahlung des Cheques einfach dem Aussteller mitzutheilen und damit seine Ersatzansprüche gegen diesen zu verbinden; wenn der Bankier nicht bezahlt, wird es so angesehen, als ob der Aussteller seine Geldschuld am Verfalltage nicht bezahlt hätte. Auch die Formalität einer bestimmten rechtzeitigen Notification (Art. 842) ist beim Chequeverkehr nicht erforderlich.
Die Verjährungszeit von 3 Jahren ist die gleiche wie bei Wechseln, wie auch im Belg. Gesetze von 1873 Art. 3 die Frist der Wechselverjährung auf Cheques ausgedehnt wurde; in England gilt auch für Cheques, wie für alle Credit- und Contractschulden ohne specielle Titel-Urkunde (specialty) die allgemeine Verjährungszeit von 6 Jahren. Ebenso wird wohl auch in Frankreich die 5 jährige Wechsel Verjährung nach Code de comm. Art. 189 auf Cheques ausgedehnt. Eine kurze Verjährungsfrist ist hier durchaus nothwendig, da Cheques zu den Cassaangelegenheiten gehören, die unverzüglich geordnet werden müssen. Es ist indessen wohl zu beachten, dass binnen 3 Jahren nur der Anspruch aus dem Cheque verloren geht, nicht das Recht auf die darin verschriebene Geldsumme überhaupt, also der Anspruch auf einen etwaigen Kaufpreis, Frachtpreis, Dahrlehenszins u. s. w.
Art. 884. Wie bereits oben gezeigt wurde, liegt es in der Natur der Cheques, dass sie nicht in viele Hände nacheinander übertragen werden, sondern dass man sie als eine Anweisung auf baares Geld betrachtet, dass der Inhaber bei der betreffenden Bank ohne Verzug erheben kann und soll. Wenn der Inhaber damit zögert, so zögert er auf seine eigene Gefahr, denn der Aussteller hat ihm das Geld bereits mittelst des Cheques constructive ausbezahlt, kann daher für diesen Betrag eine weitere Haftung nicht übernehmen. Von der Ausstellung des Cheques an liegt das Geld auf Rechnung und Gefahr des Cheque-Inhabers bei dem Bankier, und wenn dieser bankerott wird, hat der Cheque-Inhaber den etwaigen Verlust zu tragen. Aus diesen Gründen wird in England verlangt, dass jeder Cheque spätestens während der Bankstunden des auf den Tag der Ausstellung folgenden Tages zur Zahlung präsentirt, und wenn er auf einen anderen Ort lautet, spätestens binnen dieser Frist zur Einlösung versandt wird. Indessen geht durch Verzug das Recht auf den Cheque nicht verloren, weder gegen den Bankier noch gegen den Aussteller; nur wenn durch den Verzug ein Schaden entstand, hat ihn nicht der daran unschuldige Aussteller, sondern der Inhaber, der ihn durch seinen Verzug verschuldete, zu tragen. Bleibt aber das Geld ungeschmälert bei dem Bankier liegen, so kann es ohne Anstand zu jeder späteren Zeit von dem Inhaber erhoben werden. In dem Französ. Gesetze von 1865 Art. 5 ist die Präsentationsfrist auf 5 oder 8 Tage, und in dem Belgischen Gesetze von 1873 Art. 4 auf 3 oder 6 Tage normirt, je nachdem der Wechsel auf denselben oder auf einen anderen Zahlungsort lautet. Wenn die Präsentation erst nach dem Ablauf dieser Fristen erfolgt, soll der Regressanspruch gegen die etwaigen Indossanten verloren sein, während der Regressanspruch gegen den Aussteller trotzdem fortdauert, ausgenommen wenn der Verlust der Provision durch den Bankier verursacht wurde.
In dem Entwurfe ist für die Vorzeigung der Cheques zur Zahlung keine bestimmte Frist vorgeschrieben, dieselbe vielmehr dem Ermessen jedes Einzelnen, der besonderen Verabredung und dem Handelsgebrauche überlassen. Allein für die Geltendmachung des Regressanspruches für unbezahlt gebliebene Cheques ist eine vom Datum der Ausstellung an laufende 10 tägige Frist normirt worden, und dadurch indirect auch eine 10 tägige Präsentationsfrist, soferne dieselbe nicht nach Handelsgebrauch oder Verabredung im einzelnen Falle kürzer bemessen werden muss. Der Inhaber ist mithin seines Regressanspruches verlustig, wenn er entweder mit der Präsentation zu lange gezögert hat, oder wenn er ihn erst nach Verlauf von 10 Tagen erhebt. Man ging hiebei von der Ansicht aus, dass einerseits zwar die Fixirung einer kurzen Präsentationsfrist von 1 oder 3 Tagen u. dgl. etwas missliches hat und besser dem Handelsgebrauch, der Bankpraxis oder der freien Vereinbarung überlassen bleibt; dass aber andererseits auch Cheques nicht dazu bestimmt sind, lange Zeit in der Tasche herumgetragen oder im Kasten verschlossen zu werden, schon weil sie leicht zu Verlust gehen können. Ganz besonders aber musste man für den Regressanspruch gegen die Indossanten eine kurze Haftungsfrist limitiren, weil diese als Zwischenpersonen an dem mit der Bank bestehenden Creditverhältniss nicht betheiligt sind und die Cheques wie Banknoten von einer Hand in die andere wandern. Daher muss, wenn man überhaupt Regress haben will, die Vorzeigung mindestens binnen 10 Tagen geschehen, widrigenfalls das Risiko des Geldes auf dem letzten Inhaber sitzen bleibt. Keines weiteren Beweises aber bedarf es, dass der Aussteller, wie auch nach den übrigen Gesetzgebungen, nach dem Ablauf von 10 Tagen nicht von der Haftung für sein eigenes Verschulden befreit sein kann. Es ist diesem mithin nicht gestattet, über das Geld anderweit zu verfügen, oder seine Anweisung zu widerrufen, wenn die Zahlung nicht binnen 10 Tagen verlangt wurde; denn durch den Cheque gehörte das Geld dem Inhaber und war von da an der Verfügung des Ausstellers entzogen. Wenn ferner Jemand einen Cheque ausstellt ohne entsprechendes Credit-Guthaben, so ist dies offenbar eine unehrliche Handlungsweise, wofür die Verantwortlichkeit jedenfalls die ordentliche Verjährungszeit hindurch dauern muss und nicht schon nach 10 Tagen aufhören kann. In dem Französ. und Belgischen Gesetz ist dies so ausgedrückt, dass der Aussteller gleich den Indossanten frei von Haftung sein soll, wenn die Provision durch eine Handlung des Bankiers verloren ging. Nach dieser Fassung bildet die Existenz der Provision und deren Verlust durch den Bankier den Inhalt einer Einrede, deren Beweis dem verklagten Aussteller obliegt. Nach dem Entwurfe sind, nach Ablauf der 10 Tage, die angeführten Thatsachen das Fundament des Ersatzanspruches des klagenden Inhabers, welche dieser nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen hat. Der letztere Standpunkt erschien nicht nur principiell richtiger, sondern auch practisch zweckmässiger, weil er einen Impuls abgibt, nicht durch Verzögerung der Vorzeigung und der Regressverfolgung das Risiko der Beweislast auf sich zu laden.
Die Führung des Beweises kann dem Inhaber nicht schwer fallen, da er leicht mittelst der Erklärung des Bankiers und Einsicht der Chequebücher geführt werden kann. Daher schien es nothwendig, dem Aussteller die gerichtliche Vorlage der letzteren auf Verlangen zur Pflicht zu machen. Es kommt hier Art. 38 zur analogen Anwendung, obgleich Chequebücher nicht eigentlich zu den Handelsbüchern gehören und auch von Nicht-Kaufleuten geführt werden. Immerhin ist das Verhältniss ein ähnliches, da Chequebücher, und zwar sowohl die über die Activen als die über die Passiven, über den täglichen Gang des Chequeverkehres einer Person geordnete Auskunft geben müssen. In gewissem Sinne könnte man Chequebücher auch als gemeinschaftliche Urkunden beider Parteien bezeichnen.
Art. 885. Die Querzeichnung (Kreuzen, Crossing) besteht darin, dass quer über den Cheque zwei schräge Parallellinien gezogen werden, zwischen welchen der Name einer bestimmten Bank, oder nichts bez. Weise die Worte „ und Compagnie ” oder eine Abkürzung derselben geschrieben wird. Ersteres ist eine namentliche oder specielle Querzeichnung, letzteres eine allgemeine oder in blanco. Die erstere bewirkt, dass die im Cheque bezeichnete Geldsumme nur an die namentlich genannte Bank, die letztere, dass sie nur an eine Bank überhaupt ausgezahlt werden darf. Dieses Kreuzen dient theils zur grösseren Sicherheit gegen Verluste und Diebstähle u. s. w., indem dadurch die Auszahlung an unbekannte und unlegitimirte Personen verhütet wird, theils zur Bequemlichkeit der Inhaber, indem dadurch ein für allemal ihr Bankier zur Einziehung des Betrages ermächtigt wird. Die in der Querzeichnung genannte Bank kann aber wieder eine andere Bank als Eincassirungs-bevollmächtigte bezeichnen, und hierdurch wird die bankmässige Circulation der Cheques und die Ausgleichung und Abrechnung von Chequeposten nicht wenig befördert. Levi, internat. comm. law I. p. 486. Englische Gesetze vom 23. Juni 1856 (19. und 20. Vict. c. 25), vom 2. Aug. 1858 (21. und 22. Vict. c. 79) und vom 15. Aug. 1876 (39. und 40. Vict. c. 81.) Ztschr. für H. R. Bd. 23 p. 142. 159. Die Querzeichnung ist aber keine eigentliche Uebertragung, wie sie durch Indossirung etc. bewirkt wird, sondern sie erklärt nur den Cheque als ausschliesslich zahlbar bei einer Bank ; ähnlich wie der Bezogene auf einem Wechselbrief noch nicht aufhört dies zu sein, dadurch dass er einen Anderen (Domiciliaten) als Zahler des Wechsels erklärt. Ein gekreuzter Cheque bleibt daher fortwährend übertragbar oder umlaufsfähig (negotiable) nach Art. 882, und er muss, um dies zu verhüten, ausdrücklich durch die Worte „nicht an Ordre” oder einen ähnlichen Vormerk als unübertragbar (not negotiable) erklärt werden, Vgl. Art. 454. 794. Gleichwohl bleibt ein solcher Cheque immer noch übertragbar, allein der neue Erwerber kann aus dem Cheque kein neues selbständiges Recht, sondern nur den Rechtstitel seines Vorgängers geltend machen, mithin ist die Uebertragung eines für nicht umlaufsfähig erklärten Cheques nicht als Indossament, sondern nur als gewöhnliche Cession aufzufassen. Dies ist in der Englischen Jurisprudenz und Gesetzgebung ausdrücklich anerkannt. Vgl. Ztschr. für II. R. Bd. 23. p, 145, Vgl. auch oben Art. 586. Uebrigens kann keine Bank, welche einen Cheque in gutem Glauben und ohne Nachlässigkeit auszahlt oder dessen Betrag für einen Kunden ein nimmt, dem etwaigen wahren Eigenthümer dafür haftbar gemacht werden. Es wäre aber offenbare Nachlässigkeit, wenn ein als gefälscht verdächtiger oder als unübertragbar bezeichneter Cheque an eine nicht gehörig legitimirte Person ausbezahlt würde.
Art. 886. Diese Vorschrift entspricht der gleichen für Wechsel geltenden Bestimmung in Art. 822. Zahlung kann nur auf den Cheque hin erhoben werden und die Quittung auf demselben dient zur Decharge des Bankiers. Auszahlung ohne Auslieferung des Cheques wäre auf Gefahr des Bankiers. Da bei Cheques, die jeder zeit fällig sind, eine Zahlung vor oder nach Verfall nicht Vorkommen kann, so können auch die in dieser Hinsicht für Wechsel geltenden Principien (Art. 819 ff.) auf Cheques keine Anwendung finden. Hinsichtlich der Zahlung selbst sind jedoch die Grundsätze des Wechselrechts (Art. 815-817) gleichmässig anwendbar.
Art. 887. Aehnliche Strafbestimmun gen enthält auch das Französ. Gesetz von 1865 Art. 6 und das Belgische von 1873 Art. 5. Es soll dadurch die Ausgabe und der Gebrauch unächter, gefälschter oder ungedeckter Cheques verhütet werden. Dies liegt im öffentlichen Interesse, da, wo Cheques in der allgemeinen Circulation sich bewegen, man dafür sorgen muss, dass Jeder dabei Sorgfalt und guten Glauben bewährt, damit nicht Andere in Verlust kommen. Cheques gleichen in vieler Hinsicht den Banknoten und es ist von Werth, sie gleich diesen für den öffentlichen Verkehr möglichst sicher und vertrauens-werth zu erhalten. Die auf die genannten Uebertretungen gesetzten Strafen haben daher einen polizeilichen Character der Prävention, und es kommt dabei auf die böse Ansicht des Handelnden nicht weiter an, nach dem in Frankreich und anderwärts geltenden Grundsatz: on ne discute pas la bonne foi en matiere de contravention. Dieselben sind zu beurtheilen wie die Strafen für Uebertretung der Gesetze über den öffentlichen Verkehr auf Strassen oder Flüssen und anderer Polizeigesetze. Der Strafbetrag von 10 procent des Chequebetrages ist auch im Belgischen Gesetze adoptirt, während im Französischen Gesetze der Strafsatz nur 6 procent beträgt; die strengere Strafe erschien empfehlenswerther für den Zweck der Vorbeugung.
Mittelst Cheques können ausserdem, den erforderlichen objectiven und subjectiven Thatbestand, also namentlich die gesetzlich strafbare Absicht vorausgesetzt, auch criminell strafbare Handlungen begangen werden, z. B. Betrug, Fälschung u. dgl. Diese Criminalstrafen kommen selbständig und neben der polizeilichen Contraventionsstrafe in Vollzug, wenn die Umstände des Falles derartig sind, dass eine criminelle Strafe verwirkt ist. Aber auch, wenn der Thatbestand eines criminellen Vergehens nicht vorliegt, ist die angedrohte Polizeistrafe in jedem Falle zu verhängen. Vgl. Französ. Gesetz von 1865 Art. 6; Belgisches Gesetz von 1873 Art. 5. In England wird nach dem Gesetze vom 2. Aug. 1858 (21 und 22. Vict. c. 79) die betrügerische Fälschung von Cheques oder der betrügerische Gebrauch solcher gleich der Wechselfälschung als Verbrechen (felony) bestraft. Levi, internat. comm. law. I. p. 487.
II. BUCH.
VOM SEEHANDEL.
I. Titel. Schiffe.
Art. 888. Das Seerecht im allgemeinen enthält mehrere besondere Theile oder Gruppen, deren innere Verschiedenheit bei der Gesetzgebung über seerechtliche Gegenstände nicht übersehen werden darf. Ein Theil nämlich gehört dem Völkerrecht an, ein zweiter der administrativen oder Polizei-Gesetzgebung; und ein dritter dem Civilrecht. Das internationale Seerecht, oder wie es Französischer Seits genannt wurde, la diplomatie de la mer, enthält die Rechts-principien, welche zwischen verschiedenen Nationen in Bezug auf Seeschiffe und den Seeverkehr beobachtet werden, und in gemeinsamer Anwendung bei den in völkerrechtlichen Beziehungen zu einander stehenden Regierungen stehen, obgleich manche Materien des internationalen Seerechts auch durch die nationale Gesetzgebung geregelt werden, wie z. B. das Prisenrecht, das Blokaderecht, und überhaupt das ganze practische Detail des internationalen Seeverkehrs. Hieher gehören namentlich die Unterscheidung der Kriegs- und Handelsschiffe, die Freiheit des Seeverkehrs für alle, die internationale Seepolizei betreffend das Piratenwesen etc, das See-Ceremoniel u. s. w., sodann das Seekriegsrecht, wie namentlich die Grundsätze über Neutralität, Blokaden, Kriegscontrebande u. s. f. Das Seeverwaltungsoder Seepolizeirecht betrifft die Regeln und Vorschriften, welche von den Seeschiffen eines Landes gegenüber den Verwaltungsbehörden desselben zu beobachten sind. Diese Vorschriften beziehen sich nur auf die Handelsflotte, da die Kriegsflotte, ebenso wie die Armee, unter besonderer Verwaltung steht und keinen Gegenstand der allgemeinen civilen Administration bildet. Hieher gehören z. B. die Errichtung und Thätigkeit der See- und Hafenbehörden, die Schiffsund Hafenpolizei, die Erbauung der Schiffe, das Lootsenwesen, die polizeilichen Verhältnisse der Schiffsmannschaft, wie die Heranbildung und Prüfung derselben hinsichtlich ihrer Qualification u. dgl. m. Das civile Seerecht endlich enthält die Grundsätze, welche zwischen einzelnen Personen in Bezug auf Seeschiffe und die Seeschifffahrt zu beobachten sind. Sie entstehen, wie das Civilrecht überhaupt, durch Gesetzgebung und Gebräuche. Da die Seeschifffahrt hauptsächlich den Zwecken des Seehandels dient, ist das civile Seerecht in der Hauptsache mit dem Rechte des Seehandels identisch, und der See handel tritt wieder hauptsächlich, jedoch nicht ausschliesslich in der Gestalt des Seetransports auf, obgleich auch die Beförderung von Passagieren, die Ausrüstung für den Fischfang, für Entdeckungsoder Vergnügungsreisen hievon nicht ausgeschlossen werden können. Denn die Verhältnisse der Seeschifffahrt bilden die allgemeine Materie des Seerechts, ohne Unterschied des Zwecks, für welchen die Schifffahrt betrieben wird, und es wird der Betrieb der Seefahrt immer als eine commercielle Thätigkeit angesehen, auch wenn dabei kein eigentliches Handelsgeschäft zu Grunde liegt. Seeschiffe gelten daher, wie Wechsel oder Cheques, immer als Handelssachen, und in Wirklichkeit sind weitaus die meisten, ja fast alle Seeschiffe, mit Ausnahme der Kriegsschiffe, auch in der That für den Seehandel oder Seetransport bestimmt. Wenn also Jemand auf einer Vergnügungs-Yacht eine Reise um die Welt macht, so sind auf ihn rücksichtlich seines Schiffes, seiner Mannschaft, seiner etwaigen Contracte in Betreff des Schiffes, und etwaiger Schiffsunfälle dieselben Grundsätze anzuwenden, wie auf wirkliche See-Handelsschiffe; und aus diesem Grunde spricht der gegenwärtige Artikel, gleich dem Code de comm. Art. 190, von Handelsschiffen und anderen Seefahrzeugen, während der Ausdruck des D. H. G. B. Art. 432, welcher von den zum Erwerb durch die Seefahrt bestimmten Schiffen spricht, offenbar zu enge ist. Lewis, Commentar des Deutschen Seerechts 1877 I. p. 2. Es gehören mithin in die Categorie der Seeschiffe, auf welche die Grundsätze des See-Handelsrechts anzuwenden sind, nicht blos die eigentlichen Handelsschiffe, d. h. diejenigen welche für den Güterverkehr auf hoher See oder von Hafen zu Hafen benützt werden, sondern auch alle Transportschiffe, mit Einschluss der Passagierschiffe, ferner die für die Seefischerei, für das Schleppen anderer Schiffe bestimmten Fahrzeuge, wie namentlich Walfischfänger, Remorqueure ; ferner die in den Häfen für den Verkehr benützten Fahrzeuge, wie Leichterschiffe, Signalschiffe etc; sodann Schiffe für den Post- oder Telegraphenverkehr, insbesondere die zum Legen von Kabeln benützt werden; Schiffe für besondere Reisezwecke, wie für Entdeckungen (Nordpolschiffe), für wissenschaftliche oder Vergnügungszwecke, für Vermessungen (Surveyen) und für jede andere Unternehmung zur See (entreprise maritime). Mit einem Worte, alle Seeschiffe, die im Privateigenthum von Unterthanen stehen; und wie es in einem Erkenntnisse des Französ. Cassationshofes heisst, remplissent un service special et suffisent à une industrie particulière; dagegen nicht die Kriegsschiffe, die im Staatseigentum stehen und wesentlich anderen Zwecken als denen des Handelsverkehres und des bürgerlichen Lebens dienen. Die Französische Sprache unterscheidet diese beiden Arten von Schiffen durch den verschiedenen Gebrauch der Worte navire und vaisseau. Bravard-Veyrieres, Manuel de droit de comm. 7. edit. 1868 par Demangeat p. 304. Sollte die Japanische Sprache einen gleichen oder ähnlichen Unterschied besitzen, so wäre darauf hinzuweisen, dass das Seehandelsrecht sich nicht auf Kriegsschiffe und andere für Staatszwecke dienende Schiffe des Staates bezieht. Bravard, Traité IV. p. 4.
In den älteren Seerechten, so in den Roles d'Oleron und im Consolato del mare, sind die obengenannten verschiedenen Bestandtheile des Seerechts zu einem Ganzen vereinigt. Dies ist auch noch zum Theile der Fall in der Französ. Ordonnance de la marine vom Jahre 1681, obgleich dieses Gesetz in 52 Titeln und 5 Büchern hauptsächlich Vorschriften der Schifffahrts-Polizei enthält. In der neueren Gesetzgebung hat man dagegen die verschiedenen Theile des Seerechts zu trennen unternommen. So enthält das zweite Buch des Französ. Code de commerce fast ausschliesslich nur Gegenstände des civilen Rechts, und ebenso auch die übrigen neueren Handelsgesetzbücher, obgleich manche Gegenstände der Schifffahrtspolizei darin beibehalten worden sind, und in der That auch nicht wohl davon getrennt werden konnten, indem sie mindestens zugleich eine administrative und eine civilrechtliche Bedeutung haben, wie namentlich die Vorschriften über die Vermessung und Registrirung der Schiffe, über die Verhältnisse der Schiffsmannschaften, über Schiffsunfälle etc. Der Entwurf hat sich in dieser Beziehung ganz dem Vorgange der vorausgehenden Handelsgesetzgebung angeschlossen, und es bleiben mithin die Grundsätze des internationalen und des administrativen oder polizeilichen Seerechts von dem System des maritimen Handelsrechts ausgeschlossen und einer speciellen Gesetzgebung vorbehalten.
Ueber die zuletzt genannten Materien gilt in Frankreich noch grösstentheils die Ordonnanz von 1681 nebst einigen späteren Gesetzen, von welchen besonders das Gesetz vom 13. Juni 1845 und das Gesetz vom 19. Mai 1866 zu erwähnen sind; in Italien die Gesetze für die Handelsflotte vom 25. Juni 1865 und 24. Mai 1877; in England das Gesetz über Handelsschifffahrt (merchant shipping act) vom 10. August 1854 (17 und 18 Vict. c. 104) nebst verschiedenen Zusätzen und Nachträgen, so vom 14. Aug. 1855 (18. und 19. Vict. c. 91), vom gleichen Datum über Passagierbeförderung (18. und 19. Vict. c. 119), vom 29. Juli 1862 (25. und 26. Vict. c. 63), vom 15. Aug. 1876 (39. und 40. Vict. c. 80), vom 13. Mai 1869 über Handelsschifffahrt in den Colonien und anderen. Für Deutschland sind desfalls besonders hervorzuheben das Gesetz vom 25. Oct. 1867 über die Nationalität der Kauffahrteischiffe, die Noth- und Lootsen-Signalordnung vom 14. Aug. 1876, das Gesetz vom 27. Juli 1877 über die Untersuchung von Seeunfällen, das Gesetz vom 28. Juni 1873 über die Registrirung und Bezeichnung der Kauffahrteischiffe, die Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872, die Seemannsordnung vom 27. Dec. 1872, die Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 u. a.
Der Art. 888 stellt das Princip an die Spitze, dass die Eigenschaft eines Japanischen Seeschiffs nur solchen Schiffen zukommen soll, deren Eigenthümer ausschliesslich Japanische Unterthanen sind. Es wird mithin die Nationalität des Schiffes von der Nationalität des Eigenthümers abgeleitet, und dies ist der in den meisten übrigen Ländern herrschende Grundsatz. Deutsches Gesetz vom 25. Oct. 1867 betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe § 2. Engliches Handelsschifffahrtsgesetz von 1854 Art. 18. Span. Code de comm. Art. 584. Vereinigte Staaten von N. Am. Gesetze vom 31. Dec. 1792 und 18. Febr. 1793. Kent, Comment. III. p. 139 ff. Norwegen Gesetz betr. die Seeschifffahrt vom 24. März 1860 § 1. Holland Gesetz über die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 28. Mai 1869. Auch in Frankreich war der gleiche Grundsatz anerkannt worden mittelst Gesetzes vom 21. Sept. 1793, er wurde jedoch durch Gesetz vom 13. Juni 1845 dahin abgeändert, dass es zur Eigenschaft eines Französischen Schiffes genüge, wenn wenigstens die Hälfte Französischen Unterthanen gehöre. Nach dem Italienischen Rechte beträgt die Quote, die im Eigenthum Italienischer Schiffe fremden Unterthanen zustehen kann, nur den dritten Theil. Ztschr. für PI. R. Bd. 12 Beil. p. 342 ff. Ortolan, diplomatie de la mer. I. p. 190 ff. Auch nach völkerrechtlichen Grundsätzen ist die Nationalität des Eigenthümers das entscheidende für die Nationalität des Schiffes; es wird aber hier ein hauptsächliches Gewicht auf das commercielle Domicil des Eigenthümers gelegt, indem man, insbesondere hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Neutralität in Kriegszeiten, den Handelsschiffen den Character derjenigen Nation beizulegen pflegt, in deren Handel und Verkehr es regelmässig beschäftigt ist; diesem Punkte wird durch die Vorschrift bezüglich der Registrirung in einem bestimmten Heimathhafen Genüge gethan. Phillimore, Internat. law III. p. 734. Wheaton, Elements of internat. law, part IV. chapt. 1 § 21. Engl. Merchant Shipping Act, 1854 Art. 18.
Ein anderes Erforderniss als die Nationalität des oder der Eigenthümer wird im Entwürfe nicht aufgestellt, mit Ausnahme dessen, was in Betreff der Gesellchaften und Körperschaften und sodann in Betreff des Heimathhafens verordnet ist. Der Entwurf folgt hierin dem Beispiel der meisten übrigen Gesetzgebungen und überhaupt der milderen und freieren Richtung des modernen Seerechts. In der älteren Zeit wurden ausserdem noch eine ganze Reihe anderweitiger Erfordernisse aufgestellt, so z B. die Erbauung im eigenen Lande, die Nationalität des Schiffers und der Schiffsmannschaft, oder des grösseren Theiles der letzteren. Ortolan, Dipl. de la mer. I. 190 ff. So besteht z. B. in Frankreich nach dem Gesetz vom 21. Sept. 1793 noch das Erforderniss der Construction des Schiffes in Frankreich oder in einer Französischen Colonie oder Besitzung, ausgenommen wenn es durch ein Französisches Gericht als gute Prise erklärt wurde, in den Vereinigten Staaten nach dem Gesetz vom 31. Dec. 1792. sect. 3. 4. das Erforderniss der Nationalität des Capitains, ja selbst in gewisser Hinsicht auch der Seeleute. Kent, Comm. III. p. 142. 180. Diese weitergehenden Erfordernisse kommen jedoch in der neueren Zeit mehr und mehr ausser Uebung und würden überdies für die derzeitigen Verhältnisse Japans keineswegs passen. An ihrer Stelle genügen jetzt die Controle und die speciellen Vorschriften über die den nationalen Anforderungen entsprechende Qualification der Seeleute. Abbott (Lord Tenterden) Treatise on the law of merchant ships u. seamen 12. edit. 1881 p. 77.
Die Eigenschaft der Nationalität hat die Folge, dass ein Schiff ausschliesslich unter den Gesetzen und der Jurisdiction des betreffenden Staates steht; zunächst in den eigenen Häfen und Gewässern dieses Staates, dann aber auf hoher See, soweit nicht das Völkerrecht, wie z. B. hinsichtlich der Piraten-, Sclavenschiffe etc. Ausnahmen statuirt; ja selbst in den Häfen eines fremden Staates, soweit derselbe eine fremde maritime Jurisdiction in seinem Gebiete zulässt. Ortolan, Dipl. de la mer. I. chapt. 13. Eine weitere Folge ist, dass durch die Nationalität die besonderen Rechte und Privilegien bestimmt werden, die jeder Staat kraft seiner souverainen Gesetzgebungs- und Executivgewalt seinen eigenen Schiffen zuwendet, oder welche durch Staatsverträge den Schiffen gewisser anderer Staaten eingeräumt werden. Endlich werden durch die Nationalität der Schiffe deren Rechte und Pflichten in völkerrechtlicher Hinsicht bestimmt, in Ansehung der Kriegsführung, der Neutralität u. s. w. Daher ist es unter den verschiedensten Gesichtspunkten von grösster Wichtigkeit, dass die Nationalität der Schiffe von klarem Rechte abhängt, dass die Gesetzgebung jedes Landes darüber feste und einfache Grundsätze aufstellt und dass dieselben mit der Gesetzgebung der übrigen Staaten und mit den Grundsätzen des Völkerrechts übereinstimmen. Es kann zwar, namentlich in Kriegszeiten, vorkommen, dass eine gewisse Nationalität eines Schiffes von der Regierung eines anderen Landes unter besonderen Umständen nicht anerkannt, oder umgekehrt behauptet wird; doch betrifft dies völkerrechtliche Streitfragen, auf welche hier nicht weiter eingegangen werden kann. Phillimore, Internat. law III. p. 734.
Die allgemeinste Folge der Nationalität eines Schiffes, und zugleich deren öffentliches Kennzeichen, ist das Recht, die nationale Flagge zu führen. Das Recht unter der Flagge eines Staates zu führen, schliesst alle irgendwie und irgendwo den Schiffen dieses Staates zukommenden Rechte von selbst ein, und wurde daher in dem Artikel ausdrücklich hervorgehoben. Das Recht enthält zugleich die Verpflichtung dazu. Kein Schiff darf unter regelmässigen Umständen unter fremder Flagge fahren und sich die Rechte einer fremden Nationalität anmassen; um dies zu verhüten, wurden die Strafbestimmungen in den Art. 896 und 897 aufgestellt. Ordentlicher Weise beurtheilt man daher die Nationalität jedes Schiffes nach der Flagge, die es führt, solange nicht dargethan wird, dass absichtlich eine falsche Flagge angenommen oder dass das Recht auf die betreffende Flagge thatsächlich nicht begründet ist, oder wenigstens an die Flagge rechtliche Folgen nicht geknüpft werden können. Es wäre z. B. wohl möglich, dass wenn ein Englischer Handelsmann in einem Japanischen Hafen eine Niederlassung hätte und von hier aus Handel triebe, und dabei unter Englischer Flagge führe, die Englische Nationalität dieses Schiffes im Kriege von dem Feinde nicht anerkannt würde, auch wenn er nach Japanischem Gesetze zur Führung der Japanischen Flagge nicht berechtigt wäre.
An Japanischen Schiffen kann nun das Eigenthum, wie bereits bemerkt, in Uebereinstimmung mit den meisten übrigen Gesetzgebungen ausschliesslich Japanischen Unterthanen zustehen, gleichviel ob dasselbe ungetheilt einer einzigen Person gehört oder in mehrere Antheile getheilt ist. Mehrere Personen können, und es kommt dies sehr häufig vor, einzelne Antheile am Eigenthum eines Schiffes erlangen durch Kauf, Capitalbetheiligung an der Ausrüstung oder Erbauung und auf andere Weise; von diesen Schiffsparten, in Frankreich quirats genannt, wird später noch die Rede sein. Von diesem Grundsätze soll jedoch eine Ausnahme stattfinden im Falle von Handelsgesellschaften und Körperschaften, insoferne sie Japanische Schiffe erwerben und besitzen können, auch wenn ihre Mitglieder ganz oder zum Theil Unterthanen einer ausländischen Regierung sind. Dieselbe Bestimmung hat der Englische merchant shipping act von 1854 Art. 18 Nr. 3; und, jedoch mit einiger Beschränkung, auch das Deutsche Gesetz vom 25. Ocrt. 1867 betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe § 2. Es können jedoch nur unter zwei Bedingungen Gesellschaften oder Körperschaften Japanische Schiffe erwerben, nämlich einmal wenn sie ihren Sitz in Japan haben und zweitens wenn sie unter Japanischer Jurisdiction stehen. Es wird aber nicht verlangt, dass die Mitglieder oder ein Theil derselben Nationale seien, oder wenigstens die Verwaltungsmitglieder oder die Mehrzahl derselben, wie letzteres z. B. in Oesterreich und Holland der Fall ist, während in England, Frankreich und Deutschland das im Entwurf angenommene Princip gilt. Ztschr. für H. R. Bd. 12 Beil. p. 347. Durch die genannten Bedingungen wird der nationale Character der Schiffe hinreichend gewahrt, und insbesondere dem Haupterforderniss, nämlich der Anwendung der Japanischen Gesetze und der Ausübung der Japanischen Staatsgewalt, genügt. Es ist dagegen von keinem Belang, ob die Mitglieder solcher Gesellschaften Nationale oder Fremde seien. Unter den jetzigen Vertragsverhältnissen werden es immer nur Nationale sein können; sollten aber die bestehenden Jurisdictionsschranken in der Folgezeit beseitigt werden, so würde kein Grund ersichtlich sein, den von fremden Residenten in Japan errichteten Handelsgesellschaften den Erwerb Japanischer Schiffe zu verwehren. Dies würde sogar vom Völkerrecht postulirt, welches auf das commercielle Domicil der Schiffs-Eigenthümer das entscheidende Gewicht legt. Es würde auch unter dem Gesichtspunkt empfehlenswerth sein, den Zufluss ausländischen Capitals in den Japanischen Schiffsbau und Seehandel, und die Betheiligung ausländischer Intelligenz und Erfahrung daran noch in anderer Weise als mittelst gemietheter Dienstleistungen zu befördern. Die Hebung der Schifffahrt und des Seehandels gehört zu den hervorragenden Interessen Japans, und es wird dieselbe durch Zulassung ausländischen Capitals erheblich gesteigert werden. Der Entwurf macht, gleich dem Englischen Recht, keinen Unterschied zwischen offenen und anderen Handelsgesellschaften. Auch die ersteren sind in gewisser Beziehung selbständige Personen, und können auf ihren Namen Eigenthum jeder Art erwerben (Art. 71). Zwar rechnet das Englische Recht die einfache partnership nicht zu den bodies corporate oder Companies, allein es bleibt auch die Engliche partnership hinter den wesentlichen Eigenthümlichkeiten einer Handelsgesellschaft zurück, und besonders in dem Punkte, dass die partnership kein Gesellschafts-Vermögen als solches kennt. Die solidarische persönliche Haftbarkeit der Mitglieder von Collectivgesellschaften macht sie noch nicht zu persönlichen Eigenthümern des Gesellschaftsvermögens, und es ist jene solidarische Haftung der Mitglieder auch bei den übrigen Handelsgesellschaften, ja selbst bei den Actiengesellschaften, und zwar gerade nach Englischem Rechte nicht ausgeschlossen. Es ist daher keine juristische Nothwendigkeit gegeben, wie es in der Deutschen Gesetzgebung geschehen, diejenigen Handelsgesellschaften auszuschliessen, deren auswärtige Mitglieder persönlich haftende Gesellschafter sind. Mithin können Ausländer, die in Japan sich niederlassen, und unter sich oder mit Japanern eine Handelsgesellschaft errichten, gleichviel ob collectiv oder anderer Art, nach dem Entwurfe auf den Namen der Gesellschaft auch Schiffe Japanischer Nationalität erwerben und für Handelszwecke etc. fahren lassen, vorausgesetzt dass sie unter Japanischer Jurisdiction stehen. Dies erscheint durchaus angemessen, ja wünschenswerth, auch wenn solche Ausländer in Japan nicht naturalisirt wären. Denn das commercielle Domicil muss in dieser Beziehung den Ausschlag geben, und eine Gesellschaft ist eine Person für sich, welche durch ihr Domicil in gewisser Hinsicht nationale Qualität erlangt, da sie sonst keine andere Existenz besitzt. Bei physischen Personen ist dies anders, daher wird bei ihnen das Domicil allein nicht für ausreichend gehalten, sondern wirkliche persönliche Nationalität erfordert.
Art. 889. Dieser Artikel schreibt die Erfüllung zweier Bedingungen vor, bevor Schiffe zur Seefahrt, d. h. zu Seereisen oder zum Gebrauch im Hafen für den Zweck des Seehandels oder für andere Zwecke verwendet werden können, nämlich die amtliche Vermessung und Registrirung. Dies ist auch in den übrigen Gesetzgebungen vorgeschrieben (Merchant shipp. act 1854 Art. 36. 19. Deutsches Gesetz über die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Oct. 1867 § 6. 7. Französ. Gesetz vom. 18. Oct. 1793). Es ist nothwendig, um die Identität und Nationalität jedes Schiffes von Anfang an mit öffentlicher Glaubwürdigkeit festzustellen, und weil die Verpflichtung zur Entrichtung der Schiffsabgaben, sowie die Eingehung der meisten und wichtigsten Schiffsverträge, so namentlich der Fracht- und Versicherungsverträge, darnach sich richtet.
Die Vermessung (jaugeage) ist durchaus technischer Natur und bleibt einem besonderen Gesetze vorbehalten. Sie erfolgt nach der neueren von den meisten Gesetzgebungen adoptirten Englischen Methode (Moorsom'sches System) durch Ermittlung des Rauminhaltes der Schiffe ; die Trag- oder Ladefähigkeit bezeichnet das Volumen, welches der Schiffsraum aufnehmen kann, und wird gewöhnlich in sog. Register-Tons, nach der Deutschen Gesetzgebung jedoch auch in Cubikmetern ausgedrückt. Die Register-Tonne bezeichnet den Raum von 100 Cubikfuss. Merchant Shipp. Act von 1854 Art. 20 ff. Französ. Gesetze vom 24. Dec. 1872 und 24. Mai 1873. Deutsches Gesetz vom 5. Juli 1872. Vereinigte Staaten von N. America Gesetz vom 6. Mai 1854. Holland Gesetz vom 3. Juni 1875. Oesterreich Gesetze vom 15. und 24. Mai 1871. Russland Gesetz vom 26. April 1868. Zwischen den meisten Seestaaten sind Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung der von ihnen ausgestellten Messbriefe getroffen worden, und hiedurch, sowie durch die Nothwendigkeit der Einheit und gleichmässigen Gültigkeit der Vermessung rechtfertigt sich die Vorschrift, dass die Vermessung in gesetzlicher Weise und von gesetzlich hiezu Qualificirten und Bestellten, also amtlich vorgenommen werden muss.
Ueber das Resultat der Vermessung muss eine förmliche Urkunde, Messbrief (certificate of survey), nach gesetzlich vorgeschriebenem Formular ausgestellt werden, der eine der wichtigsten Beilagen des Antrages auf Registrirung bildet. Merch. Shipp. Act. 1854 Art. 36 und Formular A zu diesem Gesetze. Deutsche Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872 Art. 24 nebst Formularen A-E hiezu.
Die Registrirung kann nur für einen in Japan gelegenen Hafen, Heimath- oder Registerhafen, vorgenommen werden. Wenn in dem betreffenden Hafen sich keine Seebehörde befindet, muss die Registrirung von derjenigen Seebehörde ausgehen, in deren Bezirk der Hafen gehört. Die gleiche Vorschrift ist enthalten im Engl. Merch. Shipp Act. 1854 Art. 33. Deutsches eit. Gesetz vom 25. Oct. 1867 § 5. D. H. G. B. Art. 435. Die Behörden, welche die Schiffsregister zu führen haben, müssen durch Verordnung bestimmt werden und können für verschiedene Häfen verschieden sein. Es können besondere Behörden, oder Zoll- oder Verwaltungsbehörden sein. Merch. Shipp. Act. Art. 30. In Deutschland sind es hauptsächlich theils die Gerichte, theils die localen Regierungs- oder Communalbehörden. Vgl. Lewis I. p. 7.
Durch die Registrirung für einen bestimmten Hafen wird der Eigenschaft der Nationalität eine feste territoriale Grundlage gegeben, und verhütet, dass die Unterthanen eines Landes sich mit ihren Schilfen an der Schifffahrt und dem Seehandel anderer Länder betheiligen, und deren Handelsflotte verstärken. Auch bildet der Heimathhafen gewissermassen das Domicil des Schiffes, was insoferne von practischer Bedeutung ist, als das Schiff in mancher Beziehung als Subject selbständiger Rechte und Verbindlichkeiten angesehen wird, oder das maritime Domicil des oder der Schiffseigenthümer, und es entspricht mithin der Heimathhafen dem Sitze der Handelsgesellschaften, die auch immer für einen bestimmten Ort registrirt werden müssen. Vgl. Art. 85. 195. Hiedurch wird die Unterwerfung aller Japanischen Schiffe unter die Japanische Jurisdiction und Gesetzgebung gesichert. Ueber die Berechtigung resp. Verpflichtung, die Registrirung zu bewirken, wird im Entwurfe nichts ausdrücklich bestimmt; anders im Deutschen Gesetz vom 25. Oct. 1867 Art. 12, und im Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 35. Es versteht sich von selbst, dass beides nur dem oder den Schiffseigenthümern zustehen kann, dass aber mehrere Eigenthümer sich durch einander persönlich oder durch andere Agenten vertreten lassen können, und es kann hiebei die Vorschrift des Art. 20 zur Anwendung kommen. Die Unterlassung des Registrirungsantrages bestraft sich an den Betheiligten von selbst dadurch, dass das Schiff weder die Nationalflagge führen noch eine Seereise antreten kann, und es ist daher jene Unterlassung wohl kaum jemals zu erwarten. Nöthigenfalls kann jedoch auch die Bestimmung in Art. 23 angewandt werden.
Registrirt werden sollen nur die einigermassen grösseren Schiffe, und es ist als Minimum ein Gehalt von 15 Tonnen, gleich etwa 250 Koku, angenommen worden, ähnlich wie im Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 19, welches dort jedoch auf 30 Tonnen für die Küstenfahrt und Eischerei in gewissen auswärtigen Besitzungen Englands erweitert ist. In Deutschland ist durch das Gesetz vom 28. Juni 1873 § 1 die Minimalgrenze auf 50 Cubikmeter Brutto-Raumgehalt normirt worden, was nach der Verordnung des Bundesraths vom 13. Nov. 1873 bei Segelschiffen 22 Tonnen, und bei Dampfschiffen 15 Tonnen gleich kommen soll. Solche kleinere Schiffe sind für die nationale Bedeutung der Handelsmarine von geringer Bedeutung, und können überdies nur ausnahmsweise die territorialen Gewässer verlassen, so dass bei ihnen die gleichen Erwägungen wie bei grösseren Schiffen nicht zutreffen. Es ist übrigens zu bemerken, dass solche kleinere Schiffe immerhin auch unter die Bestimmungen des Art. 888 fallen, und namentlich die Landesflagge führen können, auch ohne registrirt zu sein; und ferner dass sie zwar von der Pflicht zur Regi-strirung befreit, nicht aber des Rechtes hiezu beraubt sein sollen. Die gleiche Ansicht herrscht auch im Deutschen Recht. Lewis I. p. 16.
Von den Bestimmungen des Seerechts sollen gänzlich ausgeschlossen sein alle Fahrzeuge, die zur Seefahrt im eigentlichen Sinne ungeeignet sind. Zur Seefahrt gehört wesentlich nicht sowohl eine gewisse Grösse des Fahrzeuges, oder die Bewegung auf offener See sondern die Fähigkeit, Wind und Wellen auf dem Meere Stand zu halten und allen Zufällen und Gefahren der See gewachsen zu sein. Diese Fähigkeit besitzen nur Dampf- und Segelschiffe, nicht aber Ruderboote, da die menschliche zum Rudern angewendete Kraft zu Fahrten auf offener See regelmässig nicht hinreichen würde; obgleich Ruderboote auch zugleich als Segelboote eingerichtet sein können, ist dies doch nur nebenbei und in schwachem Grade der Fall. Daher kann ein Ruderboot durch Ausrüstung mit Segeln noch nicht zum Seeschiffe im rechtlichen Sinne werden. Die gleiche Bestimmung hat in der Hauptsache auch das Engl. Gesetz von 1854 Art. 2 (interpretation of terms). Umgekehrt hört ein Seeschiff nicht auf ein solches zu sein, dadurch dass es aushülfsweise und nebenbei auch durch Ruder bewegt wird, wie z. B. die Japanischen Djunken.
Art. 890. Der Inhalt der Registrirung im einzelnen entspricht dem der übrigen Gesetzgebungen. Vgl. Engl. Merch. Shipp. Act von 1854 Art. 42. 44. Deutsches Gesetz vom 25. Oct. 1867 Art. 6. Die Eintragung des Namens des Schiffers ist allerdings in diesen Gesetzen nicht vorgeschrieben, und wird in England nur in das Schiffscertificat eingetragen. Indessen ist hiefür kein besonderer Grund zu erkennen, und es gehört der Schiffer in vieler Beziehung mit zu dem Rechtscharacter eines Schiffes, so namentlich was die Abschliessung der Schiffscontracte durch ihn betrifft, die persönliche Verantwortlichkeit u. dgl. m. Auch werden die Schiffer meist für längere Zeit oder bleibend für ein Schiff angestellt. Der Schiffer selbst kann sich zwar durch das Schiffscertificat legitimiren, allein für andere Personen, und namentlich in Abwesenheit des Schiffes gibt es kein anderes Mittel als das Register, um die Person des Schiffers sicher kennen zu lernen. Auch ist es im Handelsverkehr üblich, jedes Schiff nicht nur mit seinem eigenen Namen, sondern auch mit dem Namen des Capitains zu bezeichnen.
Art. 891. Dieser Artikel entspricht im wesentlichen der allgemeinen Bestimmung in Art. 20. In gleicher Weise verfügt das Englische Gesetz von 1854 Art. 38—40. 44. Deutsches Gesetz vom 25. Oct. 1867 § 7.8. Eine eidliche Bestätigung der Erklärung, wie sie in Frankreich vorgeschrieben ist, erscheint nicht angemessen. Die Erklärung muss alle Punkte deutlich und genau enthalten, welche zu registriren sind. Die Beilagen, welche der Erklärung beigelegt werden müssen, sind hauptsächlich: das amtliche Vermessungszeugniss, sei es ein einheimisches oder ausländisches; die Kaufs- oder anderweitige Erwerbsurkunde, und im Falle einer Verurtheilung des Schiffes das gerichtlichtliche Urtheil. Die Französischen Bestimmungen über den wesentlich gleichartigen acte de francisation finden sich hauptsächlich im Gesetz vom 18. Oct. 1793. Bravard, Manuel p. 306.
Art. 892. Das Recht, die nationale Flagge zu führen, steht zwar nach Art. 888 allen Japanischen Schiffen von selbst zu, ebenso wie sie auch von selbst unter Japanischer Jurisdiction stehen. Allein die Ausübung dieses Rechts setzt aus Gründen der öffentlichen Ordnung die vorherige Constatirung und Anerkennung der Nationalität voraus, sie kann daher vor der gesetzmässigen Erlangung des Schiffscertificats nicht zugestanden werden. Die Bewirkung der Registrirung würde in vielen Fällen unterlassen und dadurch der Rechtszustand der Schiffe verdunkelt und unsicher gemacht werden, wenn man an diese Unterlassung keine nachtheiligen Rechtsfolgen knüpfte. Vor der Erlangung des Certificats können daher von dem Schiffseigenthümer und dessen Bevollmächtigten, dem Schiffer, die Rechte und Vorzüge der Nationalität nicht geltend gemacht werden, obgleich das Schiff in jeder anderen Beziehung den Japanischen Gesetzen und der Japanischen Jurisdiction unterworfen bleibt Deutsches Gesetz vom 25. Oct. 1867. Engl. Merch. Shipp. Act. 1851 Art. 19.106.
Die Verfügung in dem zweiten Absatz dieses Artikels ist durch die Natur der Sache gerechtfertigt und auch in den übrigen Gesetzgebungen enthalten, welche das Eigenthum Fremder an nationalen Schiffen nicht zulassen. Merch. Shipp Act 1854 Art. 53. Deutsches Gesetz vom 25. Oct. 1867 § 11. Wenn ein Schiff verloren geht, wird das Certificat gegenstandslos und hat keine rechtliche Bedeutung mehr; wird es aber auch nur zum Theile an Ausländer verkauft oder vererbt etc, so verliert es seine nationale Eigenschaft und das Certificat wird gleicher Weise unbrauchbar. Die Zurücklieferung des Certificats, soferne es nicht mit verloren ging, ist nothwendig, um jeden Missbrauch desselben für ein anderes Schilf zu verhüten.
In Fällen unfreiwilligen Eigenthumsüberganges an eine unqualificirte Person durch Erbschaft, Heirath etc. kann indessen die Verpflichtung zur Rückgabe des Certificats abgewendet werden, dadurch dass auf deren Antrag und Rechnung das Eigenthum oder der Eigenthumsantheil an eine qualificirte Person verkauft wird. Dies ist zum Ueberfluss in dem Engl. Gesetze von 1854 Art. 62 und 63 ausdrücklich ausgesprochen, es dürfte sich aber von selbst verstehen, dass der Anfall des Eigenthums durch sofortige Veräusserung wieder rückgängig gemacht werden kann, wenn das Eigenthumsrecht lediglich zu diesem Zweck, und nicht für nationale Schifffahrt ausgeübt wird. Im Span. H. Gesetzbuch Art. 584 ist in den genannten Fällen die sofortige Veräusserung binnen 30 Tagen bei Strafe der Confiscation zur Pflicht gemacht. Ueber den Fall des Eigethumsübergangs von Schiffsantheilen vergl. unten Art. 905.
Die Bedeutung des Schiffsregisters ist lediglich eine politischadministrative, indem dasselbe, wie alle dergleichen Register, die finden Seeverkehr wichtigen Rechtsverhältnisse der Seeschiffe zur allgemeinen Kenntniss bringen und namentlich für die Anerkennung der Nationalität derselben eine sichere Grundlage bilden soll. Das Schiffsregister schafft jedoch nicht, wie die Grund- und Hypothekenbücher formelles Recht zwischen den Parteien und für dritte Personen, vielmehr können alle Einträge als thatsächlich unrichtig angefochten werden und es entspringen aus ihnen keineswegs Rechte oder Pflichten, wenn sie nicht in Wirklichkeit thatsächlich begründet sind. Gesetzt, es wird, um die Anerkennung der Japanischen Nationalität zu erlangen, ein Japaner als alleiniger Eigenthümer in das Register eingetragen, während das Schiff in Wirklichkeit ganz oder theilweise Ausländern gehört, so wird dadurch nicht etwa der Japaner vor den Gerichten und Behörden zum alleinigen Eigenthümer und er kann auch nicht von den Schiffsgläubigern desfalls in Anspruch genommen werden. Zwar können falsche Einträge polizeilich oder auch criminell strafbar sein, auch wird von der Registerbehörde nicht jede beliebige Erklärung eingetragen, sondern es müssen nach Art. 891 die nöthigen Nachweise geliefert werden ; nach Deutschem Rechte sind die einzutragenden Thatsachen vorher glaubhaft zu machen. Gleichwohl erfolgt die Eintragung nicht auf Grund gerichtlichen Urtheiles, welches formelles Recht schaffen würde, sondern sie erfolgt ohne förmliche Prüfung lediglich als eine administrative Vormerkung, sie kann daher von Jedermann auf processualem Wege angefochten werden, und es kommen die Art. 21 und 22 auch hier zur Anwendung. Wenn auch es vorkommen kann, dass die Eintragung durch gerichtliche Anrufung (Art. 21) erstritten werden muss, so betrifft ein derartiger gerichtlicher Beschluss doch nur die äusserliche Zulässigkeit der angemeldeten Eintragung, z. B. hinsichtlich der Personen und Gegenstände, nicht aber das in der Sache selbst bestehende Recht. Ein unter Japanischer Flagge fahrendes, gebührend registrirtes Schiff wird mithin dadurch noch nicht zum wirklichen Eigenthum Japanischer Unterthanen, und wer ein Schiff wirklich gekauft hat, ist wahrer Eigenthümer desselben, auch wenn der Verkäufer noch länger im Schiffsregister eingetragen bleiben sollte. Wenn daher etwa die auf die Registrirung bezüglichen Vorschriften nicht beobachtet werden, so hat dies keinen Einfluss auf die civilen Rechtsverhältnisse, welche thatsächlich bestehen. Der Schlusssatz des Art. 22, dass es ausdrücklich bemerkt sein muss, wenn durch die Eintragung das Rechts-verhältniss selbst bedingt sein soll, findet auch hier volle Anwendung. Lewis I. p. 4. In England betrachtete man früher die Schiffsregister als vollgültiges und unanfechtbares Beweismittel (8 u. 9 Vict. c. 89), jedoch ist dies durch die neuere Gesetzgebung (Merch. Shipp. Act 1854 sect. 107) geändert worden, und es bringen nunmehr die Registereinträge gleichfalls nur präsumtiven (prima facie) Beweis, der jedoch jederzeit durch Gegenbeweis umgestossen werden kann. Abbot's treatise on merchant ships u. seamen p. 21. u. 55.
Art. 893. Diese Bestimmung ergibt sich daraus, dass der Zweck des Registers darin besteht, die auf die Nationalität und die wesentlichen Rechtsverhältnisse bezüglichen Thatsachen zu beglaubigen und zur öffentlichen Kenntniss zu bringen. Die Einträge müssen daher immer möglichst mit den Thatsachen übereinstimmen, sonst wäre das Register blosser Schein. Wenngleich, wie zum vorigen Artikel bemerkt wurde, die Einträge kein formelles Recht schaffen sollen, muss doch die Gesetzgebung dafür sorgen, dass sie möglichst zuverlässig und correct sind, und sie legt daher, wie schon allgemein in Art. 21 geschah, die Verpflichtung auf, Aenderungen in den eingetragenen Thatsachen zur Umschreibung anzumelden. Ebenso auch das Deutsche Gesetz vom 25. Oct. 1867 § 11. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 45, 46. 85 ff. Das Gesetz schreibt nicht die neue Registrirung und die Ausstellung eines neuen Certificats vor, sondern nur die Umschreibung, also die Eintragung eines neuen Eigenthümers,
Schiffers, Namens etc. Indessen steht nichts im Wege, auch eine völlig neue Registrirung und die Ausstellung eines neuen Certificats zu verlangen, wenn der Eigenthümer dies in seinem Interesse findet; dies wird namentlich der Fall sein, wenn das Schiff gründlich umgebaut und wesentlich verändert wurde, mithin die in Art. 890 Ziffer 3 bezeichneten Thatsachen nicht blos im einzelnen, sondern im ganzen unrichtig geworden sind, wenn das Schiff vollständigen Wechsel im Eigenthum erlitt, und nicht etwa blos einzelne Partner wechselten, oder auch etwa wenn der Heimathhafen verändert wurde. Die Englische Gesetzgebung schreibt in manchen dieser Fälle eine neue Registrirung und die Ausstellung eines neuen Certificats vor, doch liegt hiezu kein zwingender Grund vor, da was den letzten Fall betrifft, die verschiedenen Registerbehörden eines Landes sehr wohl auf einem und demselben Document amtiren können. Jedenfalls aber muss in diesem Falle die Registrirung in das Register des neuen Hafens erwirkt werden, was sowohl bei der neuen als bei der alten Behörde beantragt werden kann. (18 u. 19 Vict. c. 91 sect. 12).
Der Schiffsname darf nicht willkürlich geändert werden, da ausserdem leicht Betrug verübt werden könnte, z. B. um einem als seeuntüchtig bekannten Schiffe unter neuem Namen wieder zu Frachten oder zur Möglichkeit der Versicherung zu verhelfen, aber auch aus anderen Gründen, z. B. um die Entdeckung von strafbaren Handlungen, oder welche wenigstens Schadensersatzpflicht nach sich ziehen, wie z. B. Ansegelung, Uebertretung der Zoll- oder anderer Gesetze u. dgl. zu erschweren. Ebenso bestimmt das Deutsche Gesetz vom 28. Juni 1873 § 2 und das Englische Gesetz vom 21. Aug. 1871 (34 u. 35 Vict. c. 110) Art. 6. Die Genehmigung muss in England vom Handelsministerium (board of trade), in Deutschland vom Reichskanzler-Amt ertheilt werden. Einer Centralbehörde ist also jedenfalls diese Angelegenheit zu übertragen; welche dies sein soll, bleibt weiterer Entscheidung vorbehalten.
Diese Bestimmung bezieht sich indessen, wie wohl zu beachten, nur auf den registrirten Namen, und es entsteht die Frage, ob diese Bestimmung auf den in einem ausländischen Register eingetragenen Namen eines Schiffes, wenn dasselbe neuerdings in Japanisches Eigenthum übergeht, bezogen werden kann. Die Englische Gesetzgebung bejaht diese Frage, indem das Gesetz vom 5. Aug. 1873 (36 u. 37 Vict. c. 85) Art. 5 vorschreibt, dass in einem solchen Falle nur der bisherige ausländische Name registrirt werden kann, wenn nicht die gesetzliche Genehmigung zur Aenderung erlangt wird. In Deutschland hat man der Absicht bezüglicher Verkaufe unter Namensänderung wenigstens dadurch zu steuern gesucht, dass bei Verkäufen im Auslande das sog. Flaggen-Attest (Art. 894) nur auf Grund eines amtlichen Zeugnisses über die vorgenommene Untersuchung und die Seetüchtigkeit des Schiffes ertheilt werden darf. Lewis I. p. 10 Note. Auch in Frankreich scheint die in dem Gesetz vom 5. Juli 1836 Art. 8 ausgesprochene Unabänderlichkeit des Namens nur auf den im Act der Francisation eingetragenen Namen bezogen zu werden. In Japan ist es Sitte, jedes vom Auslande gekaufte Schiff mit einem neuen Japanischen Namen zu bezeichnen, daher wird die Aenderung eines ausländischen Registernamens noch nicht unter das Verbot des gegenwärtigen Artikels gebracht werden können. Unter dem registrirten Namen ist mithin der Japanische Registername zu verstehen.
Es sind auch häufig, z. B. in dem Deutschen Gesetz vom 28. Juni 1873 Art. 2, Vorschriften über die Anbringung des Namens des Schiffes und auch des Heimathhafens, in deutlicher und leicht erkennbarer Weise an den äusseren Schiffswänden, so namentlich an beiden Seiten des Bug und am Heck erlassen. Diese Vorschriften, die in England sogar bis auf die Schiffsboote ausgedehnt sind (34 u. 35 Vict. c. 110 Art. 6, 39 u. 40 Vict. c. 36 Art. 175), haben hauptsächlich in den Rücksichten der Polizei und der Zollentrichtung ihren Grund und werden richtiger einem administrativen Gesetze über die Handelsschifffahrt überlassen.
Art. 894. Die gleichen Bestimmungen enthält das Engl. Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 54, nebst 35 u. 36 Vict. c. 73 Art. 4, und das Deutsche Gesetz vom 25. Oct. 1867 § 16. Es wird dadurch die Möglichkeit geboten, auswärts gekaufte Schiffe vom Moment des Kaufs an als Japanische Schiffe mit allen nationalen Rechten und Verpflichtungen zu beglaubigen, und sie sofort unter nationaler Flagge fahren zu lassen. Der Consulatsbeamte vertritt in diesem Falle die Registerbehörde des Heimathhafens und das von ihm auszustellende Flaggen-Attest ist ein provisorisches Schiffs-Certificat, welches später in ein definitives Certificat umgewandelt werden muss. Daher ist der Antrag auf Attestirung und die Attestirung selbst in ähnlicher Weise zu behandeln, wie der Antrag auf Registrirung, und es sind auch die entsprechenden Nachweise beizulegen, soweit sie vorhanden sind. Das consularische Attest hat nur provisorische Gültigkeit, bis höchstens auf die Dauer eines Jahres, in England sogar nur auf 6 Monate. Diese zeitliche Begrenzung der Gültigkeit ist nothwendig, damit nicht die Vorschriften über Registrirung und über den Heimathhafen umgangen werden können.
Etwas anderes ist die Bestellung von wirklichen Registerbehörden in ausländischen Besitzungen und Colonien, oder auch in fremden Häfen, wo man vertragsmässig Jurisdictionsrechte auszuüben hat. Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 30. Merch Shipp. Colonial Act 1869 (32 Vict. c. 11) Art. 6—8. Merch. Shipp. Act 1873 (36 u. 37 Vict. c. 85) Art. 29. Die Certificate solcher auswärtiger Registerbehörden sind vollgültige Certificate und mit den provisorischen Zeugnissen der Consulate nicht zu verwechseln.
Für den Fall, dass später eine Centralbehörde für die Schiffsregister geschaffen würde, könnte wie in England an diese die Einsendung der Abschrift des provisorischen Zeugnisses verordnet werden. Diese Einsendung ist nothwendig, damit die nachfolgende definitive Registrirung controlirt werden kann.
Art. 895. Ebenso verfügt das Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 48. Es ist nothwendig, dass für ein durch Schiffbruch, Brand, oder einen anderen Seeunfall oder sonst irgendwie verloren gegangenes Certificat ein neues erlangt werden kann, da die Führung desselben für jedes Schiff unerlässlich ist. Gerade bei Schiffen, die mancherlei Zufällen und Gefahren ausgesetzt sind, kann ein solcher Verlust leicht eintreten. Ein förmliches Verfahren, wie bei der Amortisation verlorener Wechsel, Actien etc., ist hier nicht nothwendig, da das Certificat ohnedies nur für dasjenige Schiff gilt, für welches es ausgestellt wurde. Jedoch muss selbstverständlich der Grund angegeben werden, aus welchem man ein neues Certificat verlangt, und zugleich die näheren Umstände, unter welchen der Verlust erfolgte; und wenn die Behörde irgendwie Verdacht hegte, dass ein Betrug beabsichtigt würde oder sonst das Verlangen unbegründet sei, könnte das neue Certificat oder Zeugniss verweigert oder doch beanstandet werden, bis zur Beibringung befriedigender Beweise.
Wird ein Certificat im Auslande verloren, so kann für dasselbe bei dem betreffenden Consul ein provisorisches Zeugniss mit zeitlich begrenzter Gültigkeit verlangt werden.
Art. 896. 897. Aehnliche Strafbestimmungen enthält das Deutsche Gesetz vom 25. Oct. 1867 Art. 13—15 und der Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 52.103. Es ist hiebei zu unterscheiden zwischen der unrechtmässigen Anmassung einer fremden, oder Verläugnung der eigenen Nationalität, und zwischen der blossen Uebertretung der hinsichtlich der Registrirung etc. erlassenen Gesetze. Ersteres ist ein internationales Vergehen, das unter Umständen politische Folgen haben, und leicht geeignet sein kann, einem Staat Schaden zuzufügen oder ihn in Verwicklungen mit anderen Staaten zu bringen, z. B. wenn unter fremder Flagge Zoll-, Hafen-, Schifffahrtsund andere Gesetze übertreten werden. Die Strafe hiefür ist daher hoch bemessen, und kann bis zur Confiscation des Schiffes sich steigern. Die Höhe der Strafe hängt hauptsächlich ab von der verbrecherischen Absicht und dem bösen Glauben, sowie der etwaigen Ausübung von Gesetzwidrigkeiten etc.; es lassen sich Umstände eines unschuldigen Gebrauchs fremder Flagge denken, so z. B. wenn man auf der Flucht ist, oder auch aus blosser Nachlässigkeit u. dgl. Nach Englischem Gesetz soll in allen Fällen Confiscation eintreten, ausgenommen wenn der Zweck war das Entkommen vor feindlicher Wegnahme oder die Ausübung von Rechten der Kriegführung. Diese Strenge ist in dem Entwurfe nicht adoptirt, sondern die Möglichkeit leichterer Strafen nach Gestalt der Umstände offen gelassen. Andere Fälle der Confiscation sind in dem Englischen Gesetze von 1854 Art. 103 Ziff. 3 und 4 vorgesehen, jedoch dürfte damit die Strenge zu weit getrieben sein.
Die in Art. 897 genannten Vergehen sind von geringerer Schwere und werden hauptsächlich desshalb bestraft, um die öffentliche Glaubwürdigkeit der Schiffsregister zu sichern. Die Strafe ist jedoch gleichfalls eine Criminalstrafe, da sie den maximalen Betrag der Polizeistrafen übersteigt. In dem Englischen Gesetze werden derartige Uebertretungen als misdemeanor (Vergehen) erklärt und regelmässig mit einer Strafe bis zu 100 Pfd. St. geahndet. Die Strafe beträgt nach der Deutschen Gesetzgebung bis 100 Thaler, und dieses mildere Strafmass wurde im Entwurfe adoptirt. Die übrigen in dem Artikel nicht besonders genannten Uebertretungen bestehen in der ungesetzlichen Namensänderung des Schiffes, der Unterlassung der Anmeldung späterer Aenderungen in den registrirten Thatsachen, die unrechtmässige Zurückbehaltung des Certificats etc.
II. Titel. Schiffseigenthümer.
Capitel I. Erwerb und Uebertragung des Eigentums an Schiffen.
Art. 898. Die Erklärung der Schiffe als bewegliche Sachen findet sich ausdrücklich im Code de com. Art. 190, Ital. H. G. B. Art. 284, Holland. H. G. B. Art. 309, Belg. Code de comm. 1879 Art. 1. Die Folge davon ist, dass sie nicht nach dem Rechte des Immobiliar-Eigenthums behandelt werden, sondern nach den Grundsätzen des beweglichen Eigenthums, und folglich auch nach den Grundsätzen des Handelsrechts, wie es im Span. H. G. B. Art. 585 ausdrücklich erklärt ist. Früher war man geneigt, die Schiffe wegen ihres hohen Werthes gleich den Grundstücken anzusehen, und in internationaler Beziehung gelten auch wirklich die Schiffe in mancher Hinsicht als Theile desjenigen Territoriums, dem sie durch ihre Nationalität angehören. Allein in der neueren Zeit hat man es für überwiegend richtiger gefunden, die Schiffe dem Rechte des beweglichen Eigenthums zu unterwerfen, da dies für Handel und Schifffahrt nützlicher erschien, wie es z. B. in dem Französ. Edicte vom 8. October 1666 ausgesprochen ist.
Die Schiffe sind jedoch bewegliche Sachen nicht schlechthin, wie jede andere bewegliche Sache, sondern von einer besonderen Eigen-thümlichkeit und daher manchen Ausnahmen unterworfen. Im Code de com. Art. 190 wird die hauptsächlichste Ausnahme dahin bezeichnet, dass sie auch im Fall der Veräusserung und nach dem Uebergange in den Besitz einer dritten Person noch für die Verbindlichkeiten des Verkäufers verhaftet bleiben, und namentlich für die privilegirten, d. h. mit Vorzugsrechten ausgestatteten Forderungen. Im Ital. H. G. B. Art. 284 wird nur der privilegirten Forderungen Erwähnung gethan, obgleich dies noch keine besondere Ausnahme wäre, da es für die Privilegien an Mobilien überhaupt gilt. Code civ. Art. 2094 ff. In dem neuen Belg. Seerechte von 1879 Art. 1 wird die Ausnahme auf die Zulässigkeit der Hypothekenbestellung an Schiffen bezogen, im Holländ. H. G. B. Art. 309 auf die Nothwendigkeit der schriftlichen Veräusserung der Schiffe. Diese Uebersicht beweist, dass die Hervorhebung der einen oder der anderen Ausnahme nicht genügend sein kann, andererseits wäre es ebenso unangemessen, alle einzelnen Ausnahmen zusammen hier aufzuzählen. Daher erschien es am passendsten, nur im allgemeinen darauf hinzuweisen, dass die Schiffe nicht in jeder Beziehung als bewegliche Sachen anzusehen sind, sondern nur mit gewissen Ausnahmen, die an den verschiedenen Stellen des Gesetzbuches ersichtlich sein werden. Solche Ausnahmen sind z. B. in den Art. 899—905, Art. 909. 910 u. a. enthalten.
Art. 899. Bewegliche Sachen können an sich ohne jegliche Formalität veräussert werden, nur mit Ausnahme des Erfordernisses der Schriftlichkeit, die aber in gewöhnlichen Fällen schon mit irgend einer Unterschrift des Verpflichteten gegeben ist. Art. 322. 323. Diese Formlosigkeit wird beim Verkauf von Schiffen regelmässig nicht zugelassen, sondern von den meisten Gesetzgebungen ein besonderer Vertragsact, sei es gerichtlich oder aussergerichtlich, vorgeschrieben. Code de comm. Art. 195. Holl. H. G. B. Art. 309. Belg. Code von 1879 Art 2. Das Span. H. G. B. Art. 586 verlangt sogar die Beglaubigung durch einen öffentlichen Act in allen Fällen, was jedoch nicht nothwendig erscheint. Auch das Englische Recht, Merch. Shipp. Act 1854 Art. 55 verlangt für die Veräusserung eines Schiffes in allen Fällen die Errichtung einer besonderen Verkaufsurkunde (bill of sale). Nur das Deutsche Seerecht macht hievon eine Ausnahme, was auf die vorherrschende Geltung der Grundsätze des Römischen Rechts in Deutschland zurückzuführen ist. Jedoch wird in den Art. 439 und 440 des D. H. G. B. den modernen Grundsätzen insoferne eine Concession gemacht, als jede Partei die Ausstellung einer beglaubigten Verkaufsurkunde verlangen kann und auch nach Uebereinkunft der Parteien für den Uebergang des Eigenthums die blosse Vertragsschliessung ohne gleichzeitige Uebertragung des Besitzes hinreichen soll. Dies ist aber nach den Principien des modernen Handelsrechts ohnehin schon die Regel (vgl. Art. 591) und bedarf keiner besonderen Erwähnung mehr. Die Folge hievon ist namentlich, dass Schiffe auch in der Ferne, auf der Reise, verkauft werden können, ein Fall der in Art. 903 mit einer wichtigen Folgerung daraus behandelt ist. Das Erforderniss der Errichtung einer besonderen Verkaufsurkunde schliesst die Veräusserung mittelst blosser Correspondenz oder auf andere formlose Weise aus, obgleich es die Vertragsschliessung zwischen Abwesenden immerhin noch zulässt, da zur Abfassung und Unterzeichnung des Actes die Gegenwart der beiden Parteien nicht erforderlich ist. Ohne die Errichtung einer besonderen Vertragsurkunde wäre der Verkauf ungültig und könnte mithin angefochten werden. Die Französ. Jurisprudenz macht in dieser Beziehung einen Unterschied zwischen dritten Personen, insbesondere den Gläubigern des Verkäufers, und den beiden Parteien selbst, und will in Betreff der letzteren jede Art der schriftlichen Vereinbarung und des schriftlichen Beweises zulassen. Bravard Traité IV. p. 20. Alauzet, Commentaire du Code de comm. V. p. 74. Der Wortlaut und die offenbare Absicht des Französ. Gesetzes sprechen jedoch gegen diese Auslegung, und sie ist auch richterlich widerlegt und sonst bestritten. Audi nach Engl. Rechte können Schiffe nur mittelst bill of sale und auf keinem anderen Wege übertragen werden, und nach der Erklärung des Richters Lord Stowell ist dies das universell anerkannte Prinzip des Seerechts überhaupt. Abbott 12 edit. p. 3. Nach Art. 893 muss jede Veräusserung eines Schiffs oder Schiffsantheiles im Schiffsregister und auf dem Schiffs-Certificat vorgemerkt werden; die Unterlassung dieser Förmlichkeit hat jedoch nicht die Ungültigkeit des Contractcs, sondern nur den Verlust der Rechte der Nationalität und etwa die in Art. 897 angedrohten Strafen zur Folge.
Der zweite Absatz des Artikels handelt nicht von vertragsmässiger, also freiwilliger Uebertragung des Schiffseigenthums, sondern von dem nothwendigen Erwerb desselben auf Grund von Thatsachen, welche eine Transmission des Eigenthums an andere Personen zur rechtsnothwendigen Folge haben. So, wenn Jemand der Erbe oder Legatar des früheren Schiffseigenthümers geworden ist, oder wenn eine Frau solches Eigenthum ihrem Ehemann in die Ehe mitbringt, oder wenn Jemand als Massecurator an die Stelle des insolvent gewordenen Eigenthümers getreten ist u. dgl. Auch in diesen Fällen ist die schriftliche Beglaubigung des Erwerbs nothwendig, und es kann die Berufung auf Zeugen nicht genügen; ebensowenig aber ist die einseitige schriftliche Erklärung des neuen Erwerbers ausreichend, vielmehr ist es nothwendig, jede etwaige Anfechtung und Ungewissheit im voraus durch ein gerichtliches Zeugniss über die betreffende Thatsache, also über die Erbschaft durch Testament oder ohne solches, die Heirath etc. auszuschliessen. Auf Grund eines solchen Zeugnisses kann die Registrirung des neuen Erwerbers ausschliesslich beantragt werden. Dritten Personen, insbesondere den Gläubigern des vorigen Eigenthümers gegenüber, kann diese Bestimmung nur insoweit Anwendung finden, als es sich um den Beweis des Erwerbs durch Erbschaft, Heirath etc. handelt. Der Erwerb an sich ist dagegen von der Ausstellung des gerichtlichen Zeugnisses unabhängig, da er durch die betreffende Thatsache unmittelbar und von selbst erfolgt und nicht von einer persönlichen Willenserklärung abhängt. Eine ähnliche Bestimmung findet sich auch in dem Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 58. 59.
Es ist übrigens zu bemerken, dass dieser Artikel sowie alle übrigen Bestimmungen des Seerechts nach Art. 889 sich nur auf registrirte Schiffe, und nicht auf Ruderboote und dergleichen kleine Fahrzeuge beziehen. Dieselben sind vielmehr in jeder Beziehung bewegliche Sachen und den gewöhnlichen Grundsätzen des beweglichen Eigenthums unterworfen.
Art. 900. Die Regel, dass Schiffe nicht, wie gewöhnliche bewegliche Sachen, auch von dem Nichteigenthümer gültig verkauft werden können (Art. 586), ist auch sonst überall anerkannt. Bravard Traite IV. p. 12 ff. Alauzet V. p. 204. Span. H. G. B. Art. 592. 593. Code de comm. Art. 237. D. H. G. B. Art. 499. Ital. H. G. B. Art. 334. Belg. Gesetz von 1879 Art. 27. Holl. H. G. B. Art. 376. Abbott Treatise p. 1.5 ff Der Besitzer eines Schiffes, auch wenn er den Besitz auf rechtmässige Weise erlangt hat, wie namentlich der Capitain oder etwa der Schiffsdisponent, kann also dasselbe nicht rechtsgültig veräussern, sondern dieses Recht steht nur dem wirklichen Eigenthümer zu oder dem, der von dem Eigenthümer Vollmacht erhalten hat. Schiffe sind wegen ihres hohen Werthes keine gewöhnlichen Handelsartikel, für die ein offener Markt besteht oder deren Bestimmung es wäre, gekauft und verkauft zu werden; ihr Eigenthum beruht stets auf schriftlichen Documenten und der blosse Besitz kann hier nicht dem Rechtstitel gleichstehen. Dies ist in einem Franzos. Cassationsurtheil vom 18. Jan. 1870 (Bravard p. 13) ausdrücklich anerkannt, und der Natur der Sache angemessen, um so mehr als der oder die Schiffseigenthümer meist gezwungen sind, ihre Schiffe in fremde Hände zu geben und in weite Entfernungen zu schicken, woraus mit Nothwendigkeit folgt, dass der blosse Besitz eines Schiffes noch kein Verfügungsrecht darüber verleiht.
Dieses Princip ist hauptsächlich auf den Capitain zu beziehen, dem dadurch die Fähigkeit entzogen werden soll, nach eigenem Ermessen und zum Nachtheil des Eigenthümers über das Schiff zu verfügen, und sich durch dessen Verkauf unerlaubten Gewinn zu verschaffen oder von seinen gesetzlichen Pflichten zur Navigirung des Schiffes zu befreien. Der Capitain kann das Schiff auch nicht verkaufen, wenn der Verkauf wirklichen Vortheil für den Eigenthümer brächte, z. B. wenn er Gelegenheit fände, es weit über seinem wahren Werthe zu verkaufen, ohne eine Vollmacht des Eigenthümers hiezu erlangt zu haben; es kann also in keinem Falle etwa auf den Nachweis einer Beschädigung oder eines zugewendeten Gewinnes ankommen. Dagegen sind alle Gesetzgebungen darin einig, dass sie dem Capitain auch ohne Vollmacht das Recht des Verkaufs zusprechen in Fällen unabwendbarer Nothwendigkeit. Im allgemeinen versteht man darunter die absolute oder relative Seeuntüchtigkeit des Schiffes, wenn sich nämlich dasselbe in einem solchen Zustande befindet, dass es nicht mehr ohne die höchste Wahrscheinlichkeit des Unterganges in See gebracht, und wenn es zugleich nicht oder nur mit unverhältnissmässig grossen Kosten reparirt werden kann. Auch kommt dabei in Betracht, ob der Capitain die Kosten der Reparatur auftreiben kann, und ob er sich in solcher Entfernung vom Eigenthümer befindet, dass er mit diesem nicht correspondiren und dessen Entscheidung nicht anrufen kann. In Gegenwart des Eigenthümers kann mithin der Capitain unter keinen Umständen das Schiff eigenmächtig veräussern, und es bleibt dem Eigenthümer in allen Fällen unbenommen, einen etwa unrechtmässig vorgenommenen Verkauf mittelst Nachweises der betreffenden Umstände, oder wenn der Käufer die Nothwendigkeit nicht darzuthun vermag, anzufechten und das Schiff vom Käufer zurückzufordern.
Die Gesetze verlangen überdies meist noch eine förmliche Beglaubigung der vorhandenen Seeuntüchtigkeit durch die Landesbehörden, Consulate oder wenigstens durch ein Gutachten von Sachverständigen. Dieses Erforderniss ist auch im Entwurfe adoptirt worden. Der Capitain, welcher zum Verkauf des Schiffes schreiten will, muss mithin vor die nächste Behörde gehen und dort die Umstände zu Protocoll erklären, auch die erforderlichen Beweise liefern; es muss also der Zustand des Schiffes vorher zur amtlichen Kenntniss gebracht und erforderlichen Falles amtlich untersucht worden sein, ehe dem Capitain der Verkauf gestattet ist. Auch kann der Capitain nicht privatim, sondern nur mittelst öffentlicher Versteigerung verkaufen, um jede Uebervortheilung des Eigenthümers zu verhüten.
Ist die theilmac Constatirung der Seeuntüchtigkeit unterblieben, so macht dies den Verkauf nicht ungültig, wenn nur jene wirklich vorhanden war, denn dann ist das Interesse des Eigenthümers in Wahrheit nicht verletzt. In diesem Falle würde dagegen die ganze Beweislast auf den Schiffer und bez. Käufer gewälzt. Die Anfechtung der amtlichen Constatirung ist dem Eigenthümer dagegen nicht einzuräumen, wenn nicht etwa Betrug oder grobes Verschulden begangen wurde. Denn es handelt sich um einen Act der Verfügung im Zeitpunkt der vorhandenen Nothwendigkeit, und es muss genügen, wenn diese Nothwendigkeit im Augenblick der Verfügung amtlich nachgewiesen wurde, selbst wenn für andere Personen, oder in einem späteren Zeitpunkte, die Beurtheilung anders hätte ausfallen können.
Es entsteht nun noch die Frage, wie es mit dem ohne Zweifel zulässigen und nicht selten vorkommenden Verkauf eines erst im Bau begriffenen Schiffes gehalten werden soll. Diese Frage hat keine Schwierigkeit, wenn es sich um den Verkauf eines Schiffes handelt, das Jemand, sei es ein Schiffsbaumeister oder eine andere Person, auf eigene Rechnung baut, indem er die Materialien und Arbeitslöhne selbst bezahlt, gleichviel ob für den Verkauf oder zur eigenen Benützung. Denn in diesem Falle ist der Erbauer zugleich Eigenthümer und kann sein Eigenthum ungehindert weiter veräus-sern. Nur wäre eine solche Veräusserung als ein Lieferungsvertrag anzusehen, da das Schiff als solches noch nicht fertig existirt, und es würde das Eigenthum auf den Käufer erst mit der Ablieferung des fertigen Schiffes übergehen. Art. 613. Code civil Art. 1788. Bravard Traite IV. p. 14 ff. Abbott Treatise p. 2. Der Verkauf eines unfertigen Schiffes ist mithin gleich einem Vertrag über die Erbauung eines Schiffes zu beurtheilen, und wenn das Schiff während des Baues zu Grunde gehen sollte, träfe der Verlust den Verkäufer und Erbauer. Es kann aber auch Jemand ein Schiff verkaufen, über dessen Construction er mit einem Anderen einen Vertrag abgeschlossen hat. Auch ein solcher Vertrag ist seiner Natur nach ein Lieferungsvertrag; derjenige für welchen das Schiff' gebaut wird, ist mithin vor der Uebergabe noch nicht Eigenthümer, und es würde daher scheinen, dass er das Schiff nach Art. 900 auch noch nicht verkaufen kann. Indessen verlangt das practische Be-dürfniss die Möglichkeit des Verkaufes auch unvollendeter Schiffe durch den ersten Käufer; man muss einen solchen Verkauf als einen bedingten Vertrag ansehen, unter der Bedingung nämlich, dass das Schiff, nachdem es fertig geworden, an den Käufer übergeben wird, und es steht nichts im Wege, dass der Schiffsbauer von dem ersten Käufer angewiesen wird, das Schiff sofort an dessen weiteren Käufer zu übergeben. Tritt die Bedingung der Uebergabe ein, so wird sie auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück bezogen, der erste Käufer und nachherige Verkäufer ist damit Eigenthümer des Schiffs geworden, und der Vorschrift des Art, 900 ist Genüge geleistet.
Art. 901. Das Institut der Ersitzung hat den Zweck, den Mangel des rechtsgültigen Erwerbs von Sachen durch den Ablauf einer gewissen Zeit zu heben, wenn der Erwerber die Sdche in gutem Glauben und vermöge eines rechtlichen Titels, z. B. Kauf etc. erworben und die gesetzlich bestimmte Zeit hindurch besessen hat. Die Ersitzungszeit ist nach Art der Sachen verschieden bestimmt. Im Römischen Rechte beträgt sie bei beweglichen Sachen 3, bei unbeweglichen Sachen 10 oder 20 Jahre. Die letztere Periode ist im code civ. Art. 2265 ff. auch für Immobilien bestimmt, in Betreff der Mobilien ist man der Meinung, dass bei ihnen eine Ersitzung nicht erforderlich sei, auf Grund der Bestimmung des Art. 2279, wonach hier der blosse Besitz den Rechtstitel ersetzen soll. Doch ist diese Meinung von Einigen bestritten (Zachariä, Franz. Civilrecht I. p. 537 Note 4). Jedenfalls könnte der Besitz allein den guten Glauben nicht ersetzen, und was Schiffe betrifft, so ist man in der Französ. Jurisprudenz darüber einig, dass auf sie die Bestimmung des Art. 2279 keine Anwendung findet, jedoch bestehen über die Ersitzung von Schiffen verschiedene Ansichten. Bravard, Traite IV. p. 28. 29. Alauzet V. p. 75. Boulay-Paty, Cours de droit comm. marit. I. p. 169. 351. Es muss daher ausdrücklich bestimmt werden, wie es mit der Ersitzung von Schiffen gehalten werden soll, wobei die allgemeinen Erfordernisse derselben, nämlich ununterbrochener Besitz, guter Glaube und das Vorhandensein eines ordentlichen Erwerbstitels, nach den Grundsätzen des Civilrechts vorausgesetzt werden. Der Entwurf setzt die Ersitzungszeit auf 20 Jahre fest, da Schiffe zu den werthvolleren Eigenthumsobjecten gleich den Immobilien gehören und bei ihrer Bestimmung für Seereisen sehr leicht aus dem Bereich des wahren Eigenthümers entfernt werden können. Nach dem Span. H. G. B. Art. 507 soll die Ersitzungszeit 30 Jahre betragen, was wohl zu lange erscheinen dürfte, obgleich auch zum Theil die Französische Jurisprudenz diesen Zeitraum verlangt. Bedarride V. Nr. 1931. Dass der Capitain des Schiffes dasselbe niemals ersitzen kann, wie es auch im code de commerce Art. 430 und im Span. H. G. B. ausdrücklich bestimmt ist, rechtfertigt sich dadurch, dass derselbe dem Eigenthümer, in dessen Namen er das Schiff besitzt, unter allen Umständen verantwortlich bleiben muss und keine Gelegenheit erhalten darf, auch durch längeren Zeitablauf diese Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen und das Eigenthum an dem ihm anvertrauten Schiffe sich zuzueignen. Bedarride V. Nr. 1936.
Art. 902. Der Begriff der Zubehör oder Pertinenz (appurtenance, appareil, agres) eines Schiffes ist wichtig in vielen Beziehungen, wenn es sich darum handelt, auf welche Gegenstände sich das Eigenthum an einem Schiff erstreckt. So namentlich bei Veräusserungen und anderem Erwerb von Schiffen, bei Versicherungen, Entschädigungen in Havarie- und anderen Fällen. Im allgemeinen ist mau darüber einig, dass alles, womit ein Schiff für den Zweck der Seereise ausgerüstet wird, gleichviel ob es sich stets auf dem Schiff befindet oder nicht, zugleich mit dem Schiffskörper selbst, dessen Hauptbestandtheil der Kiel ist, als Bestandtheil des Schiffs anzusehen ist und dessen rechtliche Behandlung theilt, soweit nicht besondere Ausnahmen bestimmt worden sind. Abbott, Treatise p. 3. Alauzet V. p. 11. Lewis I. p. 22. D. H. G. B. Art. 443. Das Schiff in dieser Totalität, wodurch es erst ein seefähiges Fahrzeug wird, bildet einen Gegensatz zur Ladung, die keinen Bestandtheil des Schiffes bildet, obgleich die Fracht in manchen Beziehungen dem Schiffe gleich geachtet wird. Man ist jedoch nicht durchaus einig in Betreff der einzelnen Gegenstände, welche zur Zubehör eines Schiffes zu rechnen sind, und der Artikel ist dazu bestimmt, solche Zweifel zu beseitigen. Vor allem ist es nicht nothwendig, dass die Gegenstände auch wirklich im Gebrauch bei der Seefahrt stehen, wenn sie nur dazu erforderlichen Falles bestimmt sind; daher sind auch Reservemasten, Reservesegel etc., gleichviel ob schon fertig gearbeitet oder noch als Rohstoffe wie Segeltuch, Eisen, Planken etc. zur Zubehör zu rechnen. Im einzelnen gehören namentlich Schiffsboote zur Zubehör, da das Schiff für den Zweck der Seefahrt damit ausgerüstet wird, indem sie für den Zweck des Verkehrs mit dem Lande, mit anderen Schiffen und für andere Zwecke unentbehrlich sind; sodann der Proviant, bei Passagierschiffen auch der Proviant und die übrigen Vorräthe für die Bedürfnisse der Passagiere und der Schiffsbesatzung, z. B. Betten, Leinenzeug etc.; ferner die Munition, womit Schiffe für den Zweck der Vertheidigung gegen Seeräuber etc., und Fischerei-Utensilien, womit die für den Fischfang bestimmten Schiffe ausgerüstet werden, auch die für die Ein- und Ausladung dienenden Vorrichtungen auf Transportschiffen; ebenso die Kohlenvorräthe der Dampfschiffe für den Zweck der Heizung der Maschinen, sowie selbstverständlich die Maschinen selbst, nicht minder Vorräthe und Werkzeuge zur Vornahme etwaiger Reparaturen während der Reise.
Dagegen ist nicht zur Zubehör zu rechnen, 1, was nicht dem Schiffseigenthümer, sondern dem Capitain und den Steuerleuten oder Matrosen, wie auch den Passagieren persönlich gehört, wenn es gleich für die Zwecke der Seereise mitgenommen wird, z. B. Schiffschronometer und andere astronomische Instrumente, Ferngläser u. dgl., und 2, was nicht für die Zwecke der Schifffahrt, sondern für persönlichen Genuss und Unterhaltung auf dem Schiff sich befindet, wie z. B. Lectüre, Musikinstrumente, Rauchutensilien u. dgl. m.
Wenn in einzelnen Fällen noch Zweifel entstehen, müssen sie nach den vorstehenden Grundsätzen durch richterliches Ermessen entschieden werden. Transport und Fischfang sind mit der Seefahrt so enge verbunden, dass sie den Inbegriff der Seefahrt selbst bilden ; die Ausrüstung der Schiffe für die Zwecke des Transports und des Fischfangs ist daher immer als eine Ausrüstung für die Zwecke der Seefahrt anzusehen. Würde aber ein Schiff für wissenschaftliche Entdeckungsreisen oder für Vergnügungsreisen ausgerüstet, so würden wissenschaftliche Instrumente oder die persönliche Ausstattung der Reisenden für die Seereise wohl kaum zur Zubehör zu rechnen sein, da in diesem Falle die Seefahrt selbst von den Zwecken der wissenschaftlichen Forschung oder der persönlichen Befriedigung zu scheiden wären.
Art. 903. Die gleiche Bestimmung ist enthalten in dem D. H. G. B. Art. 441 und in dem Span. H. G. B. Art. 595, und auch in der Engl. Jurisprudenz anerkannt. Abbott, Treatise p. 350. Nach Civilrecht gehen mit dem Verkaufe einer Sache zwar die auf derselben haftenden dinglichen Rechte wie Servituten oder Pfandrechte auf den Käufer über, nicht aber die persönlichen Vertragsverhältnisse, deren Gegenstand die verkaufte Sache bildet. So z. B. gehen die Pacht- und Miethgelder von einem Grundstücke oder Hause an und für sich auf den Käufer nicht über, wenn dieser nicht ausdrücklich den Pacht- und Miethvertrag mit übernommen hat. Lewis I. p. 21. Allein die Fracht von einem Schiffe bildet gewissermassen einen juristischen Theil desselben, ähnlich wie die Zubehör, und haftet auch in manchen Fällen (vgl. Titel III) für die das Schiff betreffenden Verbindlichkeiten des Eigenthümers. Daher ist es ein seerechtlicher Grundsatz, dass man die Fracht, aber auch die aus der betreffenden Reise etwa entstehenden Verluste und Beschädigungen zum Schiff rechnet und mit diesem auf den neuen Erwerber übergehen lässt. Auch ist der Frachtvertrag ein untheilbarer (entire) Contract, die Fracht ist der Regel nach nicht im Verhältniss der Zeit des Transports, sondern nur für die vollständige Ausführung des Transports und bei der Ablieferung der Güter am Bestimmungsorte zu zahlen. Ferner sind umgekehrt auch die etwaigen Entschädigungsansprüche der Befrachter (Art. 913 Ziff. 10) gegen das Schiff selbst zu richten und treffen mithin auch vorkommenden Falles den Käufer. Diesen Erwägungen zufolge erscheint es gerechtfertigt, wenn man die volle Fracht, also nicht etwa erst vom Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags, als zum Schiff gehörig bestimmt, ausgenommen, wenn die Parteien ausdrücklich etwas anderes unter sich vereinbart haben.
Art. 904. Es ist ein überall anerkannter Grundsatz des Seerechts, dass gewisse Forderungen, die aus dem Seehandel und den Verträgen oder Thatsachen der Schifffahrt entspringen, unmittelbar das Schiff selbst belasten und mithin der Werth des Schiffes dafür haftet, gleichviel in welchen Händen es sich befindet, insbesondere auch dann wenn es von dem Schuldner an eine andere Person verkauft wurde. Die Aenderung in den Personen der Eigenthümer ändert mithin nichts an dem Rechte der Gläubiger, sich aus dem Schiff selbst bezahlt zu machen, wenngleich dies das Recht jedes Eigenthümers zum Verkaufe seines Schiffseigenthumes, im ganzen oder in Antheilen, durchaus nicht aufhebt. Die Gesetzgebungen sind allerdings nicht darüber einig, für welche Forderungen diese Haftung des Schiffes besteht. Nach dem Französischen Rechte, Code de comm. Art. 190. 196, haftet das Schiff für alle Forderungen der Gläubiger eines verkaufenden Schiffseigenthümers, nach den meisten übrigen Gesetzgebungen nur für gewisse privilegirte Forderungen, in England maritime liens genannt, sowie für hypothekarische Forderungen (mortgages). Abbott, Treatise p. 594. D. H. G. B. Art. 442. 756 ff. Ital. H. G. B. Art. 284. Belg. Gesetz von 1879 Art. 3. Holland. H. G. B. Art. 312-319. Span. H. G. B. Art. 596-599. Der Entwurf folgt in dieser Frage dem Französischen Rechte, doch ist über dieselbe erst im Titel III näher zu handeln. In dem gegenwärtigen Titel war nur Veranlassung gegeben, auszusprechen, dass durch irgend einen Wechsel in den Personen der Eigenthümer die Haftung des Schiffes den Gläubigern gegenüber nicht verändert wird. Dies ist ein ausschliesslich dem Seerechte angehöriges Rechtsprincip; nach gewöhnlichem Civilrecht kann jeder Schuldner seinen Gläubigern nur mit seinem Eigenthum haften, nicht mit dem Eigenthum fremder Personen, ausgenommen er hätte an diese sein Eigenthum zum Scheine oder in betrügerischer Absicht verkauft. Dieser letztere Grundsatz gilt natürlich auch für das Seerecht, und er ist zum Ueberfluss im Code de comm. Art. 196 ausdrücklich ausgesprochen; er verstellt sich aber von selbst und braucht desshalb hier nicht besonders erwähnt zu werden,
Wenn nun auch das Schiff fortwährend verhaftet bleibt für die. Schulden des Verkäufers, so hört doch desshalb dieser selbst nicht auf verpflichtet zu sein. D. H. G. B. Art. 442. Die Gläubiger können sich also trotz des erfolgten Verkaufes noch immer gegen den Verkäufer selbst und dessen anderweitiges Vermögen wenden, sie sind nicht gezwungen, ihre Befriedigung von dem Käufer und aus dem Werthe des verkauften Schiffes zu suchen. Der Verkauf eines Schiffes kann selbstverständlich kein Mittel sein, sich persönlich von einer Schuld frei zu machen.
Das Schiff haftet den Gläubigern mit seinem Werthe, oder mit dem Preise, der dafür an den Verkäufer zu entrichten ist. Die Gläubiger können — ausser dem Falle des Betruges Code de comm. Art. 196 —den Verkauf selbst nicht anfechten; sie können aber verlangen, dass ihnen der Preis zur Befriedigung ihrer Forderungen ausgezahlt werde. Wenn der Käufer diesen, ohne sich um etwaige Gläubiger zu bekümmern, etwa bereits an den Verkäufer ausbezahlt hätte, so müsste er es seiner eigenen Unbesonnenheit zuschreiben, wenn nunmehr die Gläubiger die Execution des Schiffes selbst verlangten ; denn es musste ihm bekannt sein, dass ein Schiff auch im Falle des Verkaufes für die Forderungen gegen den Verkäufer verhaftet bleibt. Bedarride, Comment. I. p. 65. Bravard, Traité IV. p. 31. Dieses Recht steht jedoch offenbar nur denjenigen zu, welche bis zum Zeitpunkt des Verkaufs Gläubiger des Verkäufers waren, nicht auch denen, welche es erst später geworden sind.
Eine Ausnahme von den vorstehenden Grundsätzen tritt ein, wenn das Schiff nicht freiwillig verkauft wurde, sondern in Folge rechtlichen Zwanges, also namentlich in Folge einer gerichtlichen Beschlagnahme, oder im Falle der Noth durch den Schiffer (Art. 900). Code de comm. Art. 193. D. H. G. B. Art. 767. Ital. H. G. B. Art. 290. Belg. Gesetz von 1879 Art. 6. Abbott, Treatise p. 601. In manchen Gesetzen soll die Haftung auch im Falle eines freiwilligen Verkaufes aufhören, wenn der Verkauf öffentlich bekannt gemacht wurde und die Gläubiger keine Einsprache erhoben, oder wenn die Gläubiger ungebührlich lange mit der Geltendmachung ihrer Forderungen zögerten. Es erschien jedoch angemessen, bei den einfacheren und allgemein anerkannten Fällen stehen zu bleiben, und die rechtliche Wirkung solcher besonderer Umstände dem Ermessen des Richters zu überlassen. Alauzet V. p. 59. Bedarride I. p. 184. Dass durch den gerichtlichen Verkauf eines Schiffes alle daran bestehenden Rechte der Gläubiger untergehen, entspricht nur den allgemeinen Grundsätzen über diesen Punkt. Diesem Fall muss aber der eines Verkaufes aus unabwendbarer Nothwendigkeit gleichgestellt werden, da hier von der Absicht einer Benachtheiligung der Gläubiger keine Rede sein kann und der Preis gänzlich an die Stelle des unbrauchbar gewordenen Schiffes treten muss. Der Preis haftet den Gläubigern in diesem Falle, so lange er noch nicht gezahlt ist oder sich noch in den Händen des Capitains befindet.
Cap. 2. Rechte und Pflichten der Schiffseigenthumer.
Art. 905. An und für sich ist das Schiffseigenthum gleich jedem anderen Eigenthum, und es hat mithin der Eigenthümer die volle Berechtigung, sein Schiff nach seinem freien Willen zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, und insbesondere auch durch Verträge oder andere Rechtsgeschäfte darüber frei zu verfügen. Die nachfolgenden Bestimmungen enthalten also nur gewisse Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen des Eigenthums im Interesse der Schifffahrt und wegen der besonderen Eigenthümlichkeit gewisser Arten des Schiffseigenthums, namentlich des Miteigenthums an Schiffen; es ist aber stets im Auge zu behalten, dass soweit das Gesetz keine besonderen Ausnahmen statuirt, die allgemeinen Rechte und Pflichten der Eigenthümer auch in Bezug auf Schiffe Geltung haben.
Der gegenwärtige Artikel untersagt den Schiffseigenthümern die eigene Ausübung ihrer Eigenthumsrechte am Schiff in allem, was den Betrieb der Schifffahrt betrifft, in zwei Fällen, nämlich 1, wenn der Eigenthümer nicht fähig ist Handel zu treiben, und 2, wenn das Eigenthum am Schiff mehreren Miteigenthümern oder Antheilsberechtigten zusteht. In die erstere Classe gehören die Minderjährigen und Ehefrauen. Die ersteren haben regelmässig einen Vormund, der dann zugleich Schiffsdirigent sein kann ; ausserdem muss ein besonderer Dirigent bestellt werden. Wenn die Verwaltung des Vermögens einer Ehefrau dem Ehemann zusteht; kann dieser gleichfalls zugleich Dirigent sein, soferne er nicht selbst minderjährig ist; ausserdem müsste auch hier ein besonderer Dirigent bestellt werden. Der Grund hiefür liegt darin, dass der Betrieb der Schifffahrt zu den Handelsgeschäften gehört, und mithin handelsunfähigen Personen nicht gestattet werden kann.
Im Falle mehrerer Miteigenthümer ist die Bestellung eines Dirigenten nur im Span. H. G. B. Art. 583 ausdrücklich vorgeschrieben; sie ist jedoch in diesem Falle so sehr gebräuchlich und in der Natur der Sache gelegen, dass sie wohl zur gesetzlichen Pflicht gemacht werden kann. Die Antheilseigner eines Schiffes stehen ungefähr gleich den Actionären einer Actiengesellschaft; sie bilden unter sich keine Collectivgesellschaft, einer kann die anderen nicht vertreten, sie sind an sich nichts als ungetheilte Eigenthümer einer und derselben Sache. Sie bedürfen daher nothwendig einer einheitlichen Vertretung, um so mehr als die Personen der Miteigenthümer durch die blosse Veräusserung der Antlieile beständig wechseln können und die Eingehung eines Vertrages mit jedem einzelnen factisch in vielen Fällen unmöglich sein wird. Der Dirigent ist aber nicht sowohl der Vertreter aller einzelnen Miteigenthümer, als vielmehr der Gesammtheit derselben, und nur in Bezug auf den Betrieb der Schifffahrt, wesshalb die Verpflichtungen der Miteigenthümer gegen jeden von ihnen unmittelbar geltend gemacht werden können. Lewis I. p. 40 ff.
Die Befugnisse des Schiffsdirigenten (armateur-gerant, Corres-pondent-Rheder, ships-husband) bestimmen sich zunächst nach der ihm von den Eigenthümern ertheilten Vollmacht. Ist ihm eine solche ausdrücklich begrenzte Vollmacht nicht ertheilt, so sind seine Obliegenheiten und Befugnisse gewöhnlich folgende: Anstellung des Capitains und der Leute der Schiffsmannschaft; Ausrüstung, Instandhaltung und Versorgung des Schiffs mit allem, was zur Seereise nothwendig ist; Abschliessung der Fracht- und Versicherungsverträge; Besorgung der Schiffspapiere; Annahme und Vertheilung der eingehenden Gelder; active und passive Vertretung vor Gericht in Bezug auf die Angelegenheiten der Schifffahrt; Führung der Rechnungen und Rechnungslegung; Vertretung der Gesammtheit der Eigenthümer gegen die einzelnen, insbesondere Einziehung und Einforderung der schuldigen Beiträge. Im übrigen ist der Schiffsdirigent kein Vertreter der Eigenthumsrechte am Schiff, er kann also dasselbe weder verkaufen noch verpfänden, noch Anlehen auf dasselbe aufnehmen, oder Umänderungen in dem Bau oder der Bestimmung des Schiffs vornehmen ; er kann auch keinen weiteren Vertreter für sich selbst bestellen. Dagegen steht ihm die Abschliessung der Verträge mit Arbeitsleuten, Unternehmern, Schiffslieferanten etc. zu. Die Versicherung des Schiffes selbst wird ihm in manchen Gesetzen abgesprochen; doch möchte dies kaum zu billigen sein. Abbott, Treatise p. 62 ff. D. H. G. B. Art. 459. 460. Span. H. G. B. Art. 616 ff.
Art. 906. Im allgemeinen haftet der Schiffseigenthümer nach den gewöhnlichen Grundsätzen mit seinem ganzen Vermögen sowohl für seine eigenen Handlungen, Delicte wie Rechtsgeschäfte, als auch für die Handlungen seiner Bevollmächtigten, soweit der Principal für die Handlungen seiner Stellvertreter zu haften hat (Titel VII § 6). Letzteres gilt auch von dem Capitain und jeder Person der Schiffsbesatzung, soweit sie in Folge eines speciellen Auftrages des Eigenthümers handeln. Ausser diesem Falle aber ist die Haftung des Eigenthümers für die Handlungen des Capitains und der Schiffsleute eine beschränkte, obgleich an sich in der Anstellung für den Schiffsdienst, ähnlich wie in der Anstellung von Handlungsgehülfen, eine Auftragsertheilung für das Gebiet der betreffenden Dienstverrichtungen erblickt werden muss. Er haftet nämlich in der Regel nicht mit seinem gesammten Vermögen, sondern nur mit Schiff und Fracht, dem speciellen Seevermögen, der sog. fortune de la mer, d. h. bis zum Betrage des Werthes des Schiffes und der davon einzunehmenden Fracht, und kann sich mithin von jeder persönlichen Haftung mit seinem ganzen Vermögen frei machen, wenn er den Gläubigern das bezügliche Seevermögen zu deren Befriedigung überlässt. Der gleiche Grundsatz ist auch in den übrigen Gesetzgebungen anerkannt. Code de comm. Art. 216 nebst Gesetz vom 14. Juni 1841. D. H. G. B. Art. 452. Belg. Gesetz von 1879 Art. 7. Ital. H. G. B. Art. 311. Holländ. H. G. B, Art. 321. Span. H. G. B. Art. 621. 622. Es ist in den Gesetzen nur vom Capitain die Rede, allein ohne Zweifel ist das gleiche Princip auch auf die Steuerleute und die übrigen Schiffsleute anzuwenden. Auch bezieht sich die Haftung sowohl auf Verträge und andere Rechtsgeschäfte, als auch auf unerlaubte Handlungen, Delicte und Contraventionen, z. B. Zoll Übertretungen u. dgl. Der Eigenthümer haftet jedoch nur für die in den Kreis der dienstlichen Verrichtungen der Schiffsbesatzung fallenden Handlungen; was der Capitain etc. in seinem eigenen Interesse vornimmt, und die gesetzwidrigen Handlungen, die er etwa für seine eigene Person begeht, können offenbar dem Eigenthümer nicht zur Last fallen, denn die Vertretung des Capitains kann nur soweit reichen, als dessen Rechte und Pflichten in Bezug auf das ihm anvertraute Schiff; sie bezieht sich mithin nicht blos auf die eigentliche Schifffahrt, sondern auch auf die Besorgung der Ladung, der Passagiere und andere Geschäfte. Auch ist die Haftung des Eigenthümers eine rein privatrechtliche, und nicht zugleich eine criminelle, soferne er nicht Mitschuldiger ist durch Anstiftung oder drgl. Ebenso wenig haftet der Eigenthümer denen, welche etwa zugleich mit dem Capitain ein Delict begangen haben, für dessen civilrechtliche Folgen, z. B. den Befrachtern wegen der Beschlagnahme einer vom Capitain nicht verzollten Ladung. Alauzet V. p. 121 ff. Bedarride I. p. 327. Abbott, Treatise p. 84. 340. Lewis I. p. 34. Nach dem Englischen Rechte ist allerdings die unbeschränkte Haftung der Schiffseigenthümer abgesehen von Fällen des Verschuldens nach den gewöhnlichen Grundsätzen der Stellvertretung die Regel; indessen ist diese Haftung durch die Gesetze selbst in manchfacher Weise begrenzt worden. Merch. Schipp. Act 1854 Art. 503 ff. Merch. Schipp. Act amendm. Act (29. Juli 1862) Art. 54 ff. Unter Fracht ist zu verstehen die Fracht derjenigen Reise, auf welcher die Haftung entstanden ist, mithin nicht jeder beliebige frühere oder spätere Gewinn, der mit dem Schiff gemacht werden kann. Auf die Ladung, auch wenn sie dem Eigenthümer gehören sollte, sowie auf die etwaigen Versicherungsgelder erstreckt sich die Haftung nicht. Bedarride I. p. 358. 359. Belg. Ges. von 1879 Art. 7. Im Fall mehrerer Miteigenthümer haftet jeder mit seinem verhältnissmässigen Antheile an Schiff und Fracht, und kann sich durch Aufgabe seines Antheiles von der Haftung frei machen. Es macht keinen Unterschied, ob etwa das Schiff zu Grunde ging; und wenn das Schiff den etwaigen Versicherern überlassen wurde, so geht auf diese die Verpflichtung des Eigenthümers über, und sie müssen entweder die Schuld bezahlen oder das Schiff nebst Fracht den Gläubigern überlassen. Alauzet V. p. 132. 134.
Eine Ausnahme von der Haftung des Eigenthümers für die Handlungen des Capitains und der Schiffsmannschaft wird in manchen Gesetzen (Code de comm. Art. 217. Ital. H. G. B. Art. 312) noch für die Ausrüstung privater Kreuzer in Kriegsfällen gemacht, insoferne als hier die Haftung auf den Betrag der von den Eigenthümern geleisteten Caution beschränkt sein soll. Der Entwurf macht gleich dem Belg. Gesetze von 1879 hievon keine Erwähnung, da die Ausrüstung privater Kreuzer in neuerer Zeit mehr und mehr abkommt, und überdies durch die zwischen der Mehrzahl der Grossmächte vereinbarte Pariser Declaration von 1856 untersagt worden ist.
Ist der Capitain zugleich Schiffseigenthümer, so kann die auf Schiff und Fracht beschränkte Haftung nicht Platz greifen, da es sich hier nicht mehr um die Haftung für die Verträge und Delicte fremder Personen handelt und kein Verhältniss der Stellvertretung vorliegt.
Ebenso aber versteht es sich von selbst, dass wenn der Capitain nur Antheilseigner ist, er als solcher nur im Verhältniss seines Antheils haftet, da die übrigen Miteigenthümer zu ihrem Antheile gleichfalls verhaftet sein müssen. Trifft jedoch den Capitain ein Verschulden, so muss er, obgleich nur Antheilseigner, doch dafür die volle Haftung übernehmen und vollen Schadensersatz bezahlen, da es in Fragen des Verschuldens keine Theilung der Verantwortlichkeit geben kann. Belg. Gesetz von 1879 Art. 7. Absatz 3.
Art. 907. Die gleiche Bestimmung enthält der Code de comm. Art. 218. Ital. H. G. B. Art. 313. Belg. Gesetz von 1879 Art. 8. Holland. H. G. B. Art. 328. Sie folgt im Grunde von selbst aus dem Begriffe des Schiffseigenthums und der Bestellung eines Stellvertreters. Sie wird aber ausdrücklich ausgesprochen, weil die Entlassung auch vertragsmässig durch keine Zeitbestimmung und durch keinen Verzicht gehindert werden kann; jeder Verzicht auf das beliebige Recht der Entlassung, vor oder während einer Reise, wäre daher wirkungslos. Der Capitain — und dies ist von dem Fall der Schiffsmannschaft verschieden—kann auch keine Entschädigung verlangen für vertragswidrige oder grundlose Entlassung. Das Recht hiezu muss dem Schiffseigenthümer absolut verbleiben, wegen der Wichtigkeit der Interessen, die dem Führer eines Schiffes anvertraut sind und welche die Stellung eines Capitains als eminente Vertrauensstellung erscheinen lassen. Eine Entschädigung gebührt dem Capitain nur dann, wenn ihm eine solche ausdrücklich und zwar mittelst schriftlichen Contracts versprochen wurde; hiefür wäre ein schriftlicher Anstellungscontract, wenn derselbe keine Entschädigungsclausel enthielte, noch nicht ausreichend. Bedarride I. p. 373. Es wird jedoch im Französ. Rechte dem Capitain ein Anspruch auf Vergütung für die Bemühungen zugesprochen, denen er sich vor der Reise für den Zweck der Ausrüstung des Schiffs unterzog, und im Fall der Entlassung während der Reise ein Anspruch auf die Kosten der Rückreise in den Heimathhafen, und auf die bereits erworbenen Lohnbeträge und sonstigen Einnahmen. Bravard, Traité IV. p. 163. Französ. Decret vom 7. April 1860 Art. 11. 14. Eine andere dem Capitain günstigere Bestimmung enthält das D. H. G. B. Art. 515 ff.
Art. 908. Der Capitain kann selbst dann nach Belieben jederzeit entlassen werden, wenn er einen Antheil am Schiffseigenthum hat, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sein Antheil weniger als die Hälfte des ganzen Schiffseigenthums beträgt, weil sonst kein gültiger Mehrheitsbeschluss gegen ihn gefasst werden könnte. Auch wäre zu einer solchen Entlassung nach Art. 909 nicht etwa die Einstimmigkeit aller übrigen Antheilseigner, sondern nur ein Beschluss der Mehrheit erforderlich (Bravard IV. p. 165. Bedarride I. p. 380), ausgenommen in sehr schweren Fällen, die aber eine Rechtfertigung vor Gericht erfordern würden. Ein entlassener Capitain kann seinen Antheil wie jeder andere Antheilseigner fortbehalten oder ihn verkaufen; es wird ihm aber auch noch das besondere Recht zugestanden, auf sein Miteigenthum zu verzichten und die Auszahlung des Werthes derselben von den übrigen Miteigenthümern zu verlangen, der dann auf die Gesammtheit derselben, und nicht etwa blos auf die Theilnehmer des etwaigen Mehrheitsbeschlusses übergeht. Dieses Recht des Capitains wird dadurch motivirt, dass die Entlassung thatsächlich eine Kränkung enthält und dass der Antheil oft nur im Hinblick auf die Erlangung der Stellung eines Capitains erworben wird. Bedarride I. p. 381. Auch versteht es sich von selbst, dass der Capitain dieses Recht nicht beliebig später, sondern binnen vernünftiger Frist unmittelbar nach der Entlassung geltend machen muss, widrigenfalls er es verlieren würde, sobald er sich thatsächlich mit der Eigenschaft eines gewöhnlichen Schiffseigenthümers begnügt hätte. Bedarride I. p. 384. Wenn der Capitain vorzieht seinen Antheil einfach zu verkaufen, so steht in diesem Falle den übrigen Miteigenthümern kein Vorkaufsrecht zu. Bravard IV. p. 165. Frankr. Code be comm. Art. 219. D. H. G. B. Art. 522.
Art. 909. Handelsschiffe gehören sehr häufig nicht einem einzigen, sondern mehreren Miteigenthümern, indem das Eigenthum am Schiff in eine gewisse Anzahl von Antheilen getheilt werden kann, die entweder gesetzlich auf eine bestimmte Anzahl festgesetzt sind, wie z. B. in England auf 64, oder herkömmlich eine gewisse Anzahl betragen können, wie in Frankreich 24 quirats. Zwischen solchen Antheilseignern besteht an sich nichts weiter als ein Verhält-niss des Miteigenthums; sie bilden weder eine Handelsgesellschaft, noch überhaupt eine Gesellschaft. Es ist daher nicht nothwendig, dass ein Gesellschaftsvertrag zwischen ihnen bestehe, keiner hat das Recht der Vertretung der übrigen oder der Verfügung über das ganze Schiff, keiner ist an die Gemeinschaft mit den übrigen gebunden, sondern jeder kann nach Belieben austreten und durch Verkauf seines Antheiles einen Nachfolger substituiren. Andererseits hat kein Antheilseigner das sonst schon nach Röm. Recht den Miteigen-thümern zustehende Recht, die Aufhebung des Miteigenthums zu verlangen und so den Werth seines Antheiles mittelst Verkaufs der ganzen Sache zurüekzuerhalten. Als regelmässiges Princip wird nun aufgestellt, dass über das Rechtsverhältniss zwischen den Antheilseignern der unter ihnen abgeschlossene Vertrag entscheidet, und dass sie in dieser Beziehung keiner gesetzlichen Schranke unterliegen. D. H. G. B. Art. 547. Bedarride I. p. 387. Ablauzet V. p. 150. Abbott, Treatise p. 58. Dieser Vertrag hat das eigenthümliche, dass er nicht blos die zeitweiligen Contrahenten, welche den Vertrag unter sich abschlossen, sondern auch deren spätere Nachfolger von selbst bindet, und hat daher eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Statut einer Actiengesellschaft, wie auch der Schiffsdirigent mit den Directoren einer solchen vergleichbar ist. Lewis I. p. 45. Er kann jedoch später durch die Theilnehmer aufgehoben oder verändert werden. Sehr häufig schliesst man aber keine besonderen Verträge unter mehreren Miteigenthümern, sondern überlässt das Rechtsverhältniss dem Gesetze und dem Handelsgebrauche, und es würde in vielen Fällen auch schwer, ja unmöglich sein, bei der vielleicht grossen Anzahl einander unbekannter, und oft entfernt wohnender Miteigenthümer einen Vertrag zu Stande zu bringen. Es ist daher nothwendig, im Gesetze die wesentlichsten Grundsätze auszusprechen, nach welchen das Rechtsverhältniss der mehreren Schiffseigenthümer unter einander beurtheilt werden soll.
Ueber die gesetzliche Anzahl der Schiffsantheile wird im Entwurfe nichts bestimmt, sondern es wird dieser Punkt der etwa sich bildenden Gewohnheit und Volksanschauung überlassen. Die Zahl 24 wie in Frankreich ist jedenfalls zu klein, da hiedurch der Werth eines Antheiles bei allen nicht ganz kleinen Schiffen, und namentlich bei Dampfern, zu gross sich bemessen und mindestens Tausende von Dollars betragen würde, was den Erwerb von Schiffseigenthum nur den reichen Capitalisten zugänglich machen würde. Die Zahl 64 ist in dieser Beziehung jedenfalls passender, aber vielleicht noch immer zu klein, und nicht sehr bequem für den practischen Verkehr. Vielleicht wäre die Zahl 100 für Japanische Verhältnisse am passendsten. Die Schiffsantheile entstehen, besonders in den Deutschen Seestädten, meist dadurch, dass diejenigen, welche ein Schiff zu erbauen wünschen, meist in der Absicht dessen Capitain zu werden, unter Bekannten und anderen Personen Subscriptionen dafür sammeln, und dass die Beitragsleistung sehr häufig auch in Handwerksarbeiten und Lie ferungen für den Schiffsbau und die Ausrüstung bestehen. Daher sind in Deutschland keine festen Antheile vorgeschrieben, und sie können der Grösse und Zahl nach für jedes Schiff verschieden sein; sie betragen manchmal tausend, ja mehrere tausend Antheile. Es steht aber nichts im Wege, dass eine Person eine beliebige Anzahl von Antheilen allein besitzt, und dass wiederum ein einzelner Antheil gemeinschaftlich mehreren Personen gehört, die sodann durch einen gemeinschaftlichen Vertreter repräsentirt werden müssen. Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 37. Merch. Shipp. Act amendment Act vom 2. Aug. 1880 Art. 2.
Die Regel ist nun allgemein die, dass in allen das Schiff betreffenden Angelegenheiten nicht die Einstimmigkeit sämmtlicher Theilnehmer erforderlich ist, sondern nur Stimmenmehrheit und zwar nicht nach der Zahl der Personen, sondern nach der Grösse des Antheiles eines jeden bemessen. Wenn also bei einer Antheilszahl von 100 die Besitzer von 51 Antheilen, bei 64 Antheilen die Besitzer von 33, und bei 24 Antheilen die Besitzer von 13 Antheilen sich für einen Beschluss vereinigen, so ist dieser Beschluss gültig und für die Besitzer der übrigen bindend. Auf die Zahl der Besitzer der Mehrheit kommt nichts an, ja es wäre ganz dasselbe, wenn auch nur eine Person mehr als die Hälfte der Antheile besässe. Code de comm. Art. 220. D. H. G. B. Art. 458. Ital. H. G. B. Art. 315. Belg. Gesetz von 1879 Art. 11. Hölländ. H. G. B. Art. 320. Span. H. G. B. Art. 609. In England herrscht zwar der gleiche Grundsatz, jedoch werden dabei der Minorität gewisse Rechte behufs des Schutzes ihrer Antheile zuerkannt. Abbott, Treatise p. 59.
Es kann sein, dass eine Mehrheit nicht zu Stande kommt, indem die Stimmen gleich getheilt sind oder sich in mehr als zwei Parteien theilen, so dass keine Partei das Uebergewicht der Mehrheit besitzt; oder auch dass eine Mehrheit nicht zu Stande kommen kann, wenn z. B. von 2 Miteigenthümern jeder gerade die Hälfte der Antheile besitzt. In solchen Fällen wird die Bestimmung des nächsten Absatzes anzuwenden sein, dass nämlich, wenn sich auch nur die Hälfte der Antheile dafür erklärt, das Schiff verkauft werden muss. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass eine Gemeinschaft am besten sich auflöst, wenn keine Gemeinsamkeit und Einigkeit unter den Mitgliedern mehr herrscht. Eine 3/4 Mehrheit, wie bei Collectivgesellschaften nach Art. 140, ist hier nicht erforderlich, weil die Miteigenthümer eines Schiffs überhaupt keine Gesellschaft bilden, und weil sie sich nicht nothwendig auf Grund eines einstimmig angenommenen Verträges constituirt haben, der einer späteren Uneinigkeit Schranken setzt. Sollte aber auch keine Hälfte für die Auflösung zu Stande kommen, dann ist überhaupt keine gültige und verpflichtende Abstimmung vorhanden. Hier kann die Frage entstehen, was dann geschehen solle, ob es nämlich nach dem Grundsatz : in pari causa melior conditio prohibentis, beim alten verbleiben muss, mithin keine Neuerung oder Veränderung am Schiff eingeführt werden kann, oder ob diejenige Meinung den Vorzug haben soll, die sich für die Benützung des Schiffes zu Seereisen, d. h. seinem eigentlichen Zweck ausspricht. Die letztere Meinung war mehr im älteren Seerecht vorherrschend, sie muss jedoch in der Neuzeit als durch das Princip der Mehrheit verdrängt angesehen werden, so dass wenn keine Mehrheit zu Stande kommt, überhaupt nichts neues geschehen kann. Bedarride I. p. 394. ff.
Uebrigens ist die Mehrheit nur verpflichtend in allen das Schiff betreffenden Angelegenheiten, d. h. in allem, was den Eigenthümer eines Schiffes als solchen angeht, nicht in anderen Beziehungen, obgleich sie mit dem Schiff in Verbindung stehen; das Schiffseigen-thum bedingt nicht zugleich auch den Betrieb von Handelsspeculationen und anderen Handelsgeschäften, daher kann kein Schiffs-eigenthümer gezwungen werden, sich an der Ladung des Schiffs zu betheiligen. Bravard IV. p. 170. 167. Auch kann der einzelne nicht durch die übrigen gezwungen werden, seinen Schiffsantheil mit zu versichern; denn die Versicherung des Eigenthums ist immer dem freien Willen des Eigenthümers vorbehalten. Bedarride I. Nr. 328. 330. Auch der Verkauf des Schiffes, abgesehen von dem vorhin besprochenen Ausnahmefall, kann von der Mehrheit der Antheile nicht beschlossen werden; denn dies würde nicht mehr eine das Schiff betreffende Angelegenheit sein, sondern die Fortexistenz des Eigenthums selbst betreffen. Nun kann aber Niemand durch den Willen eines Anderen gezwungen werden, sein Eigenthum aufzugeben. Die Geltung der Mehrheitsbeschlüsse bezieht sich nur auf die Verwaltung der Schiffsangelegenheiten. Bedarride I. Nr. 346.
Wird nun die Minderheit überstimmt, so fragt es sich weiter, ob diese auch zur Tragung aller Kosten verpflichtet ist, welche in Folge des Mehrheitsbeschlusses auf das Schiffseigenthum fallen? Diese Kosten werden sich zwar regelmässig durch die Ergebnisse der etwa beschlossenen Unternehmung, Reparatur etc. mit Gewinn wieder ersetzen, allein in der Zwischenzeit bilden sie eine Ausgabenlast und eine vielleicht lästige Vermögensbeschränkung, auch kann möglicher Weise der gehoffte Gewinn ganz ausbleiben, z. B. das Schiff auf der nächsten Reise untergeben. Ebenso ist es möglich, dass der eine oder andere Schiffsmiteigenthümer gar nicht im Stande ist, die auf ihn treffenden Ausgaben zu tragen, da er nicht die Mittel dazu besitzt.
Die Gesetzgebungen sind über diese Frage keineswegs einig und enthalten sehr verschiedenartige Bestimmungen darüber. Der Code de comm. enthält darüber keinen directen Anspruch, es folgt mithin, dass die Verpflichtung der Minorität zur Mittragung aller Kosten von selbst in ihrer Unterwerfung unter die Mehrheitsbeschlüsse enthalten ist; es wird jedoch verlangt, dass die Kosten das nothwendige Mass nicht überschreiten dürfen und daher die Reparaturen etc. durch Sachverständige festgestellt und an den Mindestnehmenden (au rabais) vergeben werden sollen. Bedarride I. Nr. 326. 327. Bravard IV. p. 167. Boulay-Paty, Droit comm. marit. I. p. 340. 341. In diesem Sinne wurde die Frage auch schon in den älteren Seerechten entschieden, und sie ist dem Interesse der Schifffahrt, wie dem Interesse der Mehrheit der Miteigenthümer entsprechend. Aehnliche Bestimmungen enthält auch das Holländ. H. G. B. Art. 322—324 und das Span. H. G. B. Art. 614. Nach Franz. Recht, Code de comm. Art. 233 mit Art. 28 des Gesetzes vom 10. Dec. 1874 über Schiffshypotheken, kann für die mit dem schuldigen Beitrag säumigen Miteigenthümer der Capitain oder Schiffsdirigent die auf sie treffenden Geldbeträge mittelst Anlehen aufnehmen und diese Anlehen auf ihren Antheil hypothecarisch sicherstellen, jedoch wird gerichtliche Genehmigung hiezu erfordert. Nach dem Holländ. Recht haftet der betreffende Schiffsantheil für die Beitragslast des Säumigen, und nach Art. 324 muss der Säumige sogar auf seinen Antheil zu Gunsten der übrigen Miteigenthümer verzichten und der Werth des Antheiles soll durch Sachverständige festgesetzt werden. Nach Deutschem Recht, H. G. B. Art. 467. 468, können die übrigen Miteigenthümer für den Säumigen Vorschüsse machen, wofür sie sich an dessen Antheil entschädigen können; auch kann die Minorität, um sich neuen Ausgaben zu entziehen, ihre Antheile ohne Anspruch auf Entgelt aufgeben, welche dann den Mitgliedern der Mehrheit im gleichen Verhältniss zufallen. In manchen Gegenden Deutschlands besteht auch noch das sog. Setzungsrecht, wornach die Minderheit das Recht hat, für das Schiff' einen gewissen Werth festzusetzen, zu dem entweder die Mehrheit das Schiff gegen Befriedigung der Minderheit daraus übernehmen, oder der letzteren gegen Befriedigung der Mehrheit überlassen muss.
In England geht das Recht der Mehrheit nicht so weit; vielmehr kann zwar die Mehrheit neue Unternehmungen auf ihre eigene Rechnung beschliessen und ausführen, aber sie muss den Werth der Antheile der Minderheit sicherstellen und im Falle Verlustes dafür Ersatz leisten, dagegen hat auch die Minderheit nicht zu den Kosten solcher Unternehmungen beizutragen und keinen Antheil am Gewinn. Abbott, Treatise p. 60. Smith p. 190. Alles dies muss durch Vermittlung des Admiralitätsgerichts gesehen.
Die Grundsätze des Englischen Rechts, welche der Mehrheit gestatten, die Minderheit völlig bei Seite zu schieben, und andererseits der letzteren keine Verantwortlichkeit für ihren Dissens auferlegt, erscheinen nicht nachahmenswerth; ebenso ist die Bestimmung des Deutschen Gesetzes, dass die dissentirende Minderheit ihre Antheile ohne allen Entgelt aufzugeben habe, zu strenge, zumal wenn man bedenkt, dass manche Miteigenthümer zu arm sein werden, um neue Ausgaben zu bestreiten, und dadurch auch noch ihr bisheriges Eigenthum rein weggeben sollen. Der Entwurf hat sich daher den Vorschriften des Französischen Rechts angeschlossen, welche darauf beruhen, dass der Schiffsantheil eines jeden Miteigenthümers für alle darauf fallenden Lasten haftet und letztere aus dem Werthe desselben bestritten werden können auch gegen den Willen der betreffenden Miteigenthümer. Nur schreibt der Entwurf nicht gerade vor, dass ein Anlehen auf die betreffenden Antheile aufgenommen werden soll, was ja auch nicht immer möglich sein wird, wenn die Reparaturkosten den gegenwärtigen Werth des Antheiles übersteigen, und auch nicht nöthig, wenn die übrigen Miteigenthümer selbst die betreffenden Kosten mitzuübernehmen geneigt sind. Der Entwurf lässt also den übrigen Miteigenthümern das Recht, die betreffenden Antheile selbst zu übernehmen; sie können dieselben aber wieder verkaufen oder verpfänden, um zu den nothwendigen Geldern zu gelangen. Ist die neue Ausgabe so gross, dass der ganze Werth des Antheiles dadurch erschöpft wird, so bekommt der betreffende Antheilseigner keine Entschädigung; bleibt dagegen ein Ueberschuss, so muss ihm dieser ausgezahlt werden, denn dieser Werth bildet sein Eigenthum, und kann ihm nur soweit entzogen werden, als er durch die darauf fallenden Ausgaben geschmälert wird. Durch die Aufgabe seines Antheiles wird der bisherige Miteigenthümer von allen ferneren Verpflichtungen frei, er kann aber auch auf keinen Antheil am Gewinn mehr Anspruch machen. Aehnliche Bestimmungen wurden bereits in Art. 264 und 265 hinsichtlich der mit schuldigen Einzahlungen im Rückstände bleibenden Actionäre getroffen. Diese Bestimmungen rechtfertigen sich nur durch das Interesse der nationalen Schifffahrt, welches das unbeschäftigte Liegenlassen der Schiffe wegen mangelnder Mittel einzelner Miteigenthümer möglichst zu verhüten gebietet, sondern auch durch das Interesse der Mehrheit der Antheilseigner, indem der Werth ihres Eigenthums nicht durch die Minderheit vernichtet oder vermindert werden soll. Diejenigen Miteigenthümer, welche ihren Verpflichtungen zum Nachtheil der Mehrzahl nicht nachkommen können oder wollen, müssen daher der letzteren ihre Antheile einräumen.
Art. 910. Die gleiche Bestimmung wurde schon früher hinsichtlich der Handelsgesellschaften ausgesprochen; Art. 137. 269. Obgleich die mehreren Miteigenthümer eines Schiffes keine Handelsgesellschaft bilden, steht doch das Schiff unter einer einheitlichen Verwaltung (Art. 905) und es ist nothwendig, für diese Verwaltung das Princip vorzuschreiben, welches gegenüber allen einzelnen Miteigenthümern beobachtet werden muss; dass nämlich der Antheil eines jeden zunächst für die darauf fallenden Verpflichtungen haftet, und erst nach Befriedigung aller Passiva eine Gewinnauszahlung erfolgen darf. Nur bei der Geltung dieses Princips ist eine geordnete und solide Verwaltung möglich; sie macht übrigens auch indirect den Schiffsdirigenten den Schiffsgläubigern gegenüber haftbar, wenn er die zur vorherigen Befriedigung der letzteren bestimmten Gelder nachlässiger oder gar doloser Weise an die Antheilseigner hinausgeben würde. Der Schiffsdirigent kann also an die Eigenthümer immer nur soviel auszahlen, als nicht voraussichtlich für die Gläubiger zurückzubehalten ist. D. H. G. B. Art. 469.
Art. 911. 912. Jeder Schiffseigenthümer kann sein Eigenthum frei verkaufen, und so auch jeder Eigenthümer eines Schiffsantheiles (Art. 912). Der Verkauf ist auch unbeschränkt an Fremde gestattet, nur dass dadurch, wenn dem nicht vorgebeugt wird, die Eigenschaft der Nationalität verloren geht (Art. 892). Der Verlust der Nationalität ist aber im Falle mehrerer Antheilseigner für 'die übrigen offenbar ein Verlust oder doch ein Eingriff in ihr bisheriges Recht der Nationalität, und man kann ihnen billiger Weise nicht zumuthen, sich diesen Verlust durch die Handlung eines einzelnen unter ihnen ohne Widerstand gefallen lassen zu müssen. Dies liegt auch im Staatsinteresse, da die Verminderung der nationalen Schifffahrt, durch blossen theilweisen Uebergang in ausländisches Eigenthum, nicht wünschenswerth sein kann. Das öffentliche Interesse und das Interesse der übrigen Antheilseigner gebietet somit, dass die Festhaltung der Schiffe im nationalen Eigenthum auf rechtmässige Weise ermöglicht werde. Der Entwurf entspricht dieser Nothwendigkeit dadurch, dass er 1, den übrigen Antheilseignern ein gesetzliches, mithin von der Zustimmung des Verkäufers unabhängiges Vorkaufsrecht einräumt, und zwar zum wirklichen, nicht etwa zu einem fictiven oder unverhältnissmässigen Werthe; und 2, wenn keiner der übrigen Antheilseigner den betreffenden Antheil übernehmen will oder kann, sollen sie das Recht haben, denselben öffentlich versteigern zu lassen, jedoch selbstverständlich nur an eine Person, durch welche das Recht der Nationalität keinem Verluste unterworfen wird, mithin nur an Japanische Unterthanen oder Gesellschaften. In allen Fällen kommt es nichts an auf die Grösse des veräusserten Antheiles; wenn z. B. Jemand ein Schiff zu 7/8 besitzt, während der Andere hur zu 1/8, erscheint es allerdings auf den ersten Blick befremdlich, dass der weitaus grössere Antheil dem Vorrecht des ganz unbedeutenden Antheiles unterworfen sein soll. Allein ein Unterschied zwischen kleinen und grossen Antheilen lässt sich ohne Willkür kaum feststellen, und überdies kommt zu erwägen, dass das öffentliche Recht der Nationalität vor dem blossen privaten Eigenthumsrechte den Vorzug haben muss. Auch kommt der gegenwärtige Artikel zur Anwendung sowohl im Falle freiwilliger Veräusserung durch Verkauf, als des unfreiwilligen Eigenthumsüberganges (Transmission) durch Erbschaft, Heirath etc. Dass in dem letzteren Falle der neue Erwerber überdies das Recht hat, den Verkauf des ihm zugefallenen Antheiles auf seine Rechnung zu beantragen, wurde bereits oben zu Art. 892 bemerkt.
Die älteren Gesetzbücher sind über diesen Punkt nicht übereinstimmend. Der Französ. Code de comm. enthält darüber nichts, wenn man nicht den dritten Absatz des Art. 220 hieher beziehen darf, nach welchem die öffentliche Versteigerung eines Schiffes von mindestens der Hälfte der Miteigenthümer verlangt werden kann. Allein nach Französ. Rechte kann ohnehin die Hälfte des Eigenthums an Schiffen Ausländern zustehen. Ein Vorzugsrecht, wie im Entwurf, binnen längstens 3 Tagen geltend zu machen, wird den Miteigenthümern im Falle freiwilligen Verkaufs im Span. H. G. B. Art. 612, und die Pflicht des Verkaufs bei Strafe der Confiscation im Falle des unfreiwilligen Eigenthumsanfalles in Art. 584 zugesprochen. Ebenso in England, Merch. Shipp. Act 1854 Art. 62—64. In dem Deutschen H. G. B. Art. 470 ist den Miteigenthümern das gesetzliche Vorkaufsrecht ausdrücklich abgesprochen, jedoch ein solches auf Grund privater Vereinbarung nicht ausgeschlossen. Lewis I. p. 67. Im übrigen soll die Veräusserung eines Schiffsantheiles in dem vorausgesetzten Falle ohne die Zustimmung aller Miteigenthümer ungültig sein, ja sie ist in manchen Landesgesetzen überhaupt verboten. Dieser Verschiedenheit der gesetzlichen Bestimmungen gegenüber erscheinen die Vorschriften des Entwurfs am einfachsten und zweckmässigsten, namentlich am wenigsten in das Eigenthumsrecht eingreifend zu sein.
III. Titel. Schiffsgläubiger.
Art. 913. In allen Gesetzgebungen wird den Schiffsgläubigern ein doppeltes Recht eingeräumt, nämlich ein Vorzugsrecht in einer gewissen gesetzlich bestimmten Reihenfolge, und zweitens ein gesetzliches, von der ausdrücklichen und vertragsmässigen Gewährung unabhängiges Pfandrecht an Schiff nebst Zubehör, öfters auch zugleich mit der durch das Schiff verdienten Fracht. Das Vorzugsrecht gewährt den Gläubigern den Vortheil, dass sie nicht sämmtlich mit einander in gleichem Verhältniss ihre Befriedigung erlangen, sondern dass die einen den anderen vorgehen, und mithin die letzteren unter Umständen, wenn der ganze Werth für alle nicht ausreicht, von der Befriedigung ganz oder theilweise ausgeschlossen werden. Das zweite Recht macht das Schiff etc. selbst für die Forderungen der Gläubiger haftbar, nicht blos das persönliche Vermögen des Schuldners, so dass das Schiff ein Befriedigungsobject für sie bleibt, auch wenn es etwa von dem Schuldner an eine andere Person veräussert worden wäre. Code de comm. Art. 190 ff. Ital. H. G. B. Art. 284 ff. Belg. Gesetz von 1879 Art. 3 ff. Holländ. H. G. B. Art. 313 ff. Span. H. G. B. Art. 596 ff. Deutsches H. G. B. Art. 757 ff. Abbott, Treatise p. 594 ff. Es wird hiebei vorausgesetzt, dass das Schiff im Wege des gerichtlichen Zwangsverkaufes zum Vortheil der Gläubiger verkauft wird und der Preis unter die Gläubiger behufs deren Befriedigung vertheilt werden muss. Denn wenn ein Schiffseigenthümer seine Gläubiger freiwillig aus seinem persönlichen Vermögen befriedigt, kann für Vorzugsrechte und Pfandrechte gegenüber dritten Besitzern des Schiffs kein Raum sein. Handelt es sich um die Befriedigung von Gläubigern eines blossen Miteigenthümers, so kann nur dessen verhältnissmässiger Antheil, nicht aber das Schiff im Ganzen ein Executionsobject für die Gläubiger sein. Die Ausübung der Rechte der Schiffsgläubiger ist unabhängig von ihrem Besitz des Schiffs oder des Schiffsantheils.
Das Schiff wird in dieser Reziehung mehr wie eine unbewegliche Sache behandelt; dadurch erklärt es sich auch, dass wenigstens in manchen Gesetzen und für manche Forderungen auch die Fracht als haftbar erklärt wird. D. H. G. B. Art. 759. Code de comm. Art. 259. 260. 271. 280. 320. Holland. H. G. B. Art. 391. 419. 451. Belg. Gesetz von 1879 Art. 63. 71. Die Fracht gehört gleichsam zu den Früchten des Schiffes und wird gleich den zu einem Grundstück gehörigen Früchten als ein Bestandtheil der Sache angesehen. Nach Englischem Recht ergreift zunächst bei der vertragsmässigen Verpfändung des Schiffs das Pfandrecht (Mortgage) auch die noch ausstehende Fracht der letzten Reise, aber auch dem maritime lien als solchem kommt diese Bedeutung vielfach zu, ähnlich wie in Frankreich. Abbott, Treatise p. 23. 49 Note. p. 494. 527. ff. S. f. Smith, merc. law p. 448. Der Entwurf ist in dieser Beziehung mehr dem Deutschen Rechte gefolgt, weil dies der natürlichen Billigkeit und der juristischen Logik am meisten zu entsprechen scheint. Vgl. auch Code de comm. Art. 216 wornach der Schiffseigenthümer sich durch Ueberlassung des Schiffes und der Fracht von seiner Haftung für die Handlungen des Capitains frei machen kann.
Der Grund für die Privilegien der Schiffsgläubiger liegt in der Hauptsache darin, dass den von ihnen herrührenden Geldern oder Arbeitsleistungen das Schiff seine Entstehung oder Erhaltung, oder doch seine Benützbarkeit für die Zwecke der Schifffahrt verdankt, dass es mithin billig erscheint, diejenigen Gläubiger vorzugsweise zu befriedigen, ohne deren Zuwendung die übrigen Gläubiger ohnehin nichts hätten bekommen können. Ausserdem ist auch noch auf die allgemeine Begünstigung der Interessen der Schifffahrt, und wie insbesondere in den zu Ziffer 1 und 2 bezeichneten Fällen, auf die gewöhnlichen Privilegien der Staatscasse zu verweisen. Daneben bleiben allerdings noch andere Fälle übrig, wie z. B. die in Ziffer 10—13 genannten, welche nicht aus jenem allgemeinen Princip, sondern nur aus besonderen Erwägungen zu erklären sind.
Ziffer 1. Hier wird bestimmt, dass die Kosten des Zwangsverfahrens, und zwar gerichtliche wie aussergerichtliche, den ersten Rang einnehmen sollen; denn es versteht sich von selbst, dass eine zur Befriedigung der Gläubiger dienende Activmasse nicht gebildet werden kann, wenn nicht die erforderlichen Kosten dafür aufgewendet werden. Dies ist den Principien des Civilrechts entsprechend. Code civil Art. 2101—2105. Der Entwurf unterscheidet sich darin von dem Code de comm. Art. 191, dass die Kosten der Erhaltung und Bewachung des Schilfs während des Zwangsverfahrens den gerichtlichen Kosten gleichgestellt werden, während sie im Code de commerce erst in dritter Reihe kommen. Es ist aber offenbar, dass jene Erhaltungskosten ebenso nothwendig sind wie die gerichtlichen, damit die Gläubiger überhaupt etwas bekommen können, und man darf es nicht darauf ankommen lassen, dass man vielleicht keine Leute zur Bewachung findet, weil sie möglicher Weise nicht dafür bezahlt werden könnten. Vgl. D. H. G. B. Art. 757. Ueberdies ist die Auslegung des Art. 191 Ziffer 1. des Code de comm. zweifelhaft und bestritten. Bravard IV. p. 35.
Ziffer 2. Ebenso bestimmt der Code de comm. Art. 191 Ziffer 2., während das Deutsche H. G. B. die öffentlichen auf dem Schiffe lastenden Abgaben erst an dritter Stelle placirt. Dem ersteren sind auch das Ital. H. G. B. Art. 285 Ziffer 2. und das Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziffer 2. gefolgt. Es liegt dies im Interesse der Schifffahrt, da die Kosten für die Anlegung und Unterhaltung der Hafenbauten und anderer der Schifffahrt dienender Anlagen vorzüglich aus jenen Abgaben bestritten werden müssen, und ist auch der Gerechtigkeit gemäss, dass ein Schiff, das in einen Hafen eingelaufen, einen Leuchtthurm passirt hat u. s. w., dafür vorzugsweise Zahlung zu leisten hat, weil die weitere Existenz des Schiffs wesentlich von jenen Thatsachen abhängt.
Ziffer 3. Ebenso im Code de comm. Art. 191 Ziffer 3—5. Ital. H. G. B. Art. 285 Ziffer 3—5. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziffer 3—5. Der Entwurf unterscheidet sich hievon nur insoferne, als er diese sämmtlichen Kosten in eine Classe zusammenfasst, mithin kein Vorzugsrecht unter ihnen bestimmt; ein solches Vorzugsrecht ist auch schwer zu rechtfertigen, und es beziehen sich die betreffenden Ansprüche sämmtlich auf Leistungen gleichen Characters für das Interesse des Schiffs und aller Gläubiger, sowie auch auf dieselbe Zeitperiode, nämlich von der Beendigung der letzten Reise bis zum Beginn das Zwangsverfahrens. Unter Schleppung ist die Benützung von Schleppdampfern zu verstehen, um das Schiff von der offenen See ungefährdet in den Hafen und an den ihm dort bestimmten Platz zu bringen; es kann dies theils wegen widriger Winde, stürmischen Wetters etc., theils auch wegen des schlechten Zustandes des Schiffes nothwendig sein. Das Lootsen der Schiffe steht ihrem Schleppen ungefähr an Werth gleich, und wurde daher in diese Classe gesetzt, während die Lootsengelder im Französ. Code mit den öffentlichen Abgaben in der zweiten Classe stehen; allein seitdem der gesetzliche Lootsenzwang aufgehört hat, kann man die Lootsengelder nicht mehr den öffentlichen Abgaben gleich stellen, und das Lootsengewerbe, obgleich öffentliche Anstellung oder wenigstens Prüfung dazu vorgeschrieben ist, gehört nur zu den gewöhnlichen Schiffergewerben, gleich dem Schleppen etc.
Ziff. 4. In diese Classe gehören alle Kosten, welche aufgewendet werden mussten, um das Schiff aus einer wirklichen Seegefahr während der letzten Reise ganz oder theilweise zu retten ; ohne solchen Aufwand wäre das Schiff zu Grunde gegangen, es ist daher billig, dass die betreffenden Gläubiger nur denjenigen nachgehen, welche später im Interesse der Gläubiger dem Schiff nothwendige Dienste geleistet haben. Die Seegefahr kann entweder aus Stürmen und anderen Naturunfällen, oder aus der Möglichkeit der feindlichen Wegnahme oder der obrigkeitlichen Beschlagnahme in einem fremden Hafen entstanden sein. Die Kosten der grossen Havarie sind die Beiträge, welche von Schiff oder Ladung geleistet werden müssen zur Deckung von freiwilligen Verlusten, denen man sich zu einem Theile unterzog, um den anderen Theil zu retten; wenn z. B. ein Theil der Ladung über Bord geworfen wurde, so muss der dadurch entstandene Verlust auf alle Betheiligten repartirt werden, und der Eigenthümer der Ladung erhält dadurch einen Anspruch auf verhältnissmässige Entschädigung gegen das Schiff. Ebenso verhält es sich mit der Entrichtung einer Summe zum Behuf des Loskaufs von der Kaperei, mit dem Aufwande, der gemacht wurde, um ein in Seenoth befindliches Schiff vom Strande aus oder mittelst anderer Schiffe zu retten, mit dem Aufwande für den Zweck der Rettung eines von der Mannschaft verlassenen Schiffes (Bergung) und anderen Kosten. D. H. G. B. Art. 757. Ziff. 5. 6. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 6. Abbott, Treatise p. 527. 537. In dem Französ. Code de commerce ist diese Classe von privilegirten Forderungen nicht aufgeführt.
Ziff. 5. Ueber die privilegirte Natur der Forderungen des Capitains und der Schiffsleute aus ihren Dienstverträgen sind alle Gesetzgebungen einig. Code de comm. Art. 191 Ziff. 6. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 7. Ital. H. G. B. Art. 285 Ziff. 6. D. H. G. B. Art. 757 Ziff. 4. Abbott, Treatise p. 489. 494. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 191. Holländ. H. G. B. Art. 313 Ziff. 5. Span. H. G. B. Art. 596 Ziff. 6. Die Placirung ist nicht überall dieselbe; jedoch werden Capitain und Seeleute durchweg den zuerst bezeichneten Forderungen für die Kosten des Zwangsverfahrens und den Aufwand im Hafen nach-, und dagegen den übrigen mehr aus Creditgeschäften entstandenen Forderungen vorgesetzt, was sich aus der Begünstigung des Seemannsberufes und der unentbehrlichen Natur ihrer Dienstleistungen erklärt. Den Gläubigern der vierten Classe müssen sie offenbar nachgehen, weil ohne solche Rettung etc. vermuthlich die Schiffsmannschaft selbst mit dem Schiffe untergegangen wäre. Nur die Forderungen aus dem letzten Dienstvertrag kommen in Berücksichtigung, einmal weil die Ablehnung der Matrosen regelmässig nach jeder Reise stattfindet und das längere Creditiren des Lohnes auf ihre eigene Gefahr stattfinden muss, und sodann weil, mit Ausnahme der Capitaine, längere Engagements in der Regel nicht stattfinden und jedes Engagement, auch wenn es öfter erneuert wird, doch immer als ein besonderer Vertrag anzusehen ist, dessen Eingehung die Befriedigung für die vorhergegangenen Dienstleistungen vermuthen lässt. In diese Classe gehören übrigens nicht nur die eigentlichen Lohnansprüche, sondern alle übrigen Ansprüche aus dem Dienstvertrag, wie z. B. Entschädigung wegen vorzeitiger Entlassung, die Kosten der Rückreise bei Entlassung in einem fremden Hafen u. dgl-; nicht aber die zwar üblichen, aber nicht von dem Schiffseigenthümer vertragsmässig geschuldeten Gratificationen und dergleichen Einnahmen. Bedarride I. Nr. 71. Bravard IV. p. 45 ff. Gleichgültig ist, ob der Dienstvertrag auf eine bestimmte Zeit, Monat oder Jahr, oder für eine bestimmte Reise, ob gegen festen Lohn oder Antheil am Gewinn etc. geschlossen wurde.
Ziff. 6—8. Es folgen hier 3 weitere Classen von Forderungen, welche sämmtlich mit einander gemein haben, dass es Creditgeschäfte sind, die für die Bedürfnisse des Schiffes eingegangen wurden oder dass ihnen sogar die Existenz des Schiffes selbst zu danken ist; diese Forderungen verdienen mithin einen Vorzug vor anderen, welche diesen Character nicht an sich tragen, da sie zum Vortheil aller Gläubiger ohne Unterschied dienen. Im einzelnen sind zur näheren Erläuterung nur wenige Bemerkungen hinzuzufügen.
Es ist selbstverständlich, dass der Capitain nicht beliebig für das Schiff Anlehen machen, Arbeitsleistungen bestellen, oder Waaren Verkaufen kann, sondern nur in Fällen nothwendigen und unverschiebbaren Bedürfnisses. Diese Bedingung muss daher nachgewiesen werden, um die Rechte eines Schiffsgläubigers in dieser Classe geniessen zu können, und für diesen Nachweis ist im Code de comm.
Art. 192 Ziff. 5. eine protocollarische Bestätigung der Schiffsoffiziere und eine Berechnung des Capitains vorgeschrieben. Nach Französ. Rechte, Code de comm. Art. 234, bedarf der Capitain überdies in solchen Fällen der Genehmigung des Handelsgerichts, oder in ausländischen Häfen des Consuls. Hat der Capitain während einer Reise in verschiedenen Häfen dergleichen Schulden nach einander contrahirt, so pflegt man immer der letzten Forderung den Vorrang vor der früher eingegangenen zu gewähren, weil die letzte Forderung immer auch zum Vortheil der früheren Gläubiger diente. Code de comm. Art. 323 fin. Bravard IV. p. 53. Abbott, Treatise p. 608. Es ist gleichgültig, ob in solchen Fällen der Capitain auch zugleich Eigenthümer oder Miteigenthümer des Schiffs ist. Lewis II. p. 149.
In nächster Reihe stehen der Verkäufer, der Erbauer und die Lieferanten für die erstmalige, oder eine spätere Ausrüstung des Schiffes. Der Verkäufer hat dieses Recht nur nach Französischem, Italienischem und Belgischem, nicht auch nach Deutschem und Englischem Rechte; auch ist man darüber im Zweifel, ob das Privilegium des Verkäufers sich auf alle spätere Zeit, oder nur auf den Zeitraum vor dem Antritt einer Reise erstreckt. Im. letzteren Falle würde der Verkäufer mit dem Schiffsbauer auf gleiche Stufe gesetzt, während er, wenn er das Schiff ohne Reclamation auf Reisen gehen lässt, zugleich mit dem Schiffsbauer sein Vorrecht verlieren würde. Diese Ansicht erscheint an sich zweckmässiger und mit dem Wortlaut des Code de comm. Art. 192 Ziff. 8. mehr übereinstimmend; auch ist zu bedenken, dass in manchen Ländern der Verkäufer gar kein Vorzugsrecht hat, ebenso wenig wie der Schiffsbauer, man also hier dieses Vorzugsrecht nicht zu weit ausdehnen darf. Dass nach Code civ. Art. 2102 Nr. 4 der Verkäufer überhaupt ein Privileg (droit de suite) an der verkauften Sache für seine Kaufpreisforderung hat, kann hieran nichts ändern, da es sich hier nicht um das Privileg an sich, sondern um das Vorzugsrecht im besonderen handelt.
Das Vorzugsrecht das Verkäufers und Schiffsbauers etc. ist verloren, sobald das Schiff seine erste Reise angetreten hat; ebenso für die Forderungen für Ausrüstung, Ausbesserung etc. für eine spätere Reise, sobald diese Reise angetreten ist; das Vorzugsrecht kann mithin auch hier nur vor der Abfahrt des Schiffes geltend gemacht werden. Das Pfandrecht am Schiff (droit de suite) verbleibt jedoch in beiden Fällen, nur kommen die betreffenden Gläubiger nicht mehr an bevorzugter Stelle, sondern erst in der 13. oder allenfalls 12. Stelle zur Befriedigung. Dies ist im Code de comm.
Art. 19 Ziff. 8. ausdrücklich mit den Worten verordnet: avant le depart du navire, s'il a déja navigué. Unter Reise ist jede Seefahrt zu verstehen, auch wenn es keine eigentliche Handelsreise und dgl. ist ; wird z. B. ein Schiff in einem Hafen gekauft und von da in einen anderen Hafen überführt, um von dem letzteren Hafen aus seine Reisen zu machen, so wäre schon diese Ueberführung als eine Reise anzusehen, und der Verkäufer etc. würden dadurch ihr Vorzugsrecht verlieren. Diese Fragen werden übrigens in der Französ. Jurisprudenz nicht einhellig beantwortet. Bravard IV. p. 58 ff. Alauzet V. Nr. 1644 ff. Bedarride I. Nr. 91 ff.
Die in Ziffer 8. genannten Forderungen stehen der Sache nach denen des Schiffsbauers und anderer Lieferanten für den Schiffsbau gleich, unterscheiden sich aber formell dadurch von ihnen, dass sie nicht dem Schiffsbauer etc., sondern anderen Personen zustehen, die das Geld zur Erbauung und Ausrüstung des Schiffes vorgestreckt haben, sei es in der Form von eigentlichen Darlehen oder von Abschlagszahlungen auf den Kaufpreis des Schiffes. Es können dies entweder dritte Personen oder der künftige Schiffseigenthümer selbst sein. Im letzteren Falle hört das Vorzugsrecht natürlich auf, sobald das Schiff ihm übergeben ist; im ersteren Falle besteht das Vorzugsrecht, gleich dem des Schiffsbauers, nur bis zum Antritt der ersten Reise. Diese Fälle sind, obgleich unvollständig, nur im Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 11. erwähnt. Sie gehören aber offenbar hieher, da es wenig Unterschied macht, ob man unmittelbare Arbeiten und Waaren für den Schiffsbau, oder mittelbar das Geld dafür liefert. Nur steht die Betheiligung mit Geld in etwas weiterer Entfernung, wesshalb dieses Vorzugsrecht erst nach denen der Schiffsbauer etc. placirt wurde.
Ziff. 9. Die Forderung wegen Prämien für die Versicherung des Schiffes ist gleichfalls in den meisten Gesetzgebungen privilegirt. Code de comm. Art. 192 Ziff. 10. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 12. Ital. H. Gesetzbuch Art. 285 Ziff. 10. Ist die Versicherung für jede Reise abgeschlossen, dann kommt nur die letzte Reise in Berücksichtigung; wenn für einen bestimmten Zeitraum, etwa ein Jahr, dann diese letzte Versicherungsperiode. Dieses Privilegium rechtfertigt sich durch die grosse Bedeutung, welche die Seeversicherung für die Schifffahrt hat, und speciell dadurch, dass die Versicherung zum Nutzen aller übrigen Schiffsgläubiger dient; denn auf die Versicherungssumme gehen nach dem Untergange der Sache die Vorzugsrechte der Schiffsgläubiger der Regel nach über. S. nachher Art. 922. Dass diese Forderung der Schiffsversicherer erst an dieser Stelle placirt wird, hat seinen Grund darin, dass die Versicherung nicht unmittelbar den Schiffen selbst und der Schifffahrt nützt, sondern nur zur Entschädigung für Verluste im Schiffseigenthum dient. Dieser Grund ist um so mehr einleuchtend, als auch die beiden nachfolgenden Classen von Schiffsgläubigern lediglich Entschädigungsforderungen betreffen.
Ziff. 10. Die gleiche Bestimmung enthält der Code de comm. Art. 191 Ziff. 11. Holländ. H. G. B. Art. 313 Ziff. 10. Ital. H. G. B. Art. 285 Ziff. 11. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 13. D. H. G. B. Art. 757 Ziff. 8. Nach einer alten Rechtsregel haftet das Schiff für die Ladung und die Ladung für das Schiff. Die Ansprüche wegen der Ladung und Reiseeffecten sind nach den betreffenden Bestimmungen über den Seefrachtvertrag etc. zu beurtheilen.
Ziff. 11. Vgl. auch D. H. G. B. Art. 757 Ziff. 10. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4 Ziff. 14. Der Zusammenstoss von Schiffen ist als Beispiel anzusehen für alle anderen Seeunfalle, die durch Verschulden der Schiffsbesatzung herbeigeführt werden, z. B. Uebersegeln eines anderen Schiffes oder Bootes; anderweitiges Verschulden in der Erfüllung vertragsmässiger Verbindlichkeiten gehört nicht hieher. Alauzet V. Nr. 1661. Bravard IV. p. 82. Bedarride I. Nr. 134. Eine andere Meinung ist ausgesprochen für die Deutsche Gesetzgebung bei Lewis II. p. 150, doch wird sie durch den Wortlaut des Gesetzes nicht unterstützt. Die hier in Betracht kommenden Seeunfälle sind erst in neuerer Zeit häufiger und mehr ein Gegenstand der Gesetzgebung geworden, daher es sich erklärt, dass sie in den älteren Gesetzbüchern, wie namentlich im Code de commerce, nicht erwähnt sind.
Ziff. 12. In diese Classe gehören diejenigen Gläubiger, welche zwar den privilegirten Gläubigern Ziff. 1—11. nach-, aber allen übrigen Schifisgläubigern vorgehen, und zwar auf Grund eines ihnen ausdrücklich unter Beobachtung gewisser Förmlichkeiten eingeräumten Vorzugsrechtes, das in den neueren Gesetzgebungen vielfach Hypothek genannt wird, obgleich man sonst diesen Begriff nur auf unbewegliche Sachen anzuwenden pflegt. Den registrirten Forderungen wird die Eigenschaft von Pfandforderungen zugeschrieben, ohne dass wie sonst bei beweglichen Sachen der Gläubiger das Pfandobject zu besitzen braucht, und ohne dass doch das Schiff zu den unbeweglichen Sachen gerechnet werden kann. Trotz dieser Anomalien ist dies doch in allen neueren Gesetzen angenommen worden. Vgl.
Französ. Gesetz vom 10. Dec. 1874. Belg. Gesetz von 1879 Art. 134—155. Preuss. Einführgesetz zum H. G. B. vom 24. Juni 1861 Art. 59 und Gesetz vom 21. März 1868. Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 66 ff. Abbott, Treatise p. 22. 49. ff. Ueber die Stellung der registrirten Gläubiger nach den privilegirten vgl. Franz. Gesetz von 1874 Art. 27. Belg. Gesetz von 1879 Art. 3. Durch die Registrirung wird andererseits ein Vorzugsrecht vor allen übrigen Schiffsgläubigern erlangt, welche nicht zu den privilegirten gehören. Dies wurde der grösseren Deutlichkeit wegen in dem Entwurfe ausdrücklich ausgesprochen, so dass mithin der Entwurf die Rangordnung nicht blos der privilegirten, sondern aller Schiffsgläubiger ohne Ausnahme erkennen lässt. Der Code de comm. Art. 191 ist in dieser Hinsicht durch Art. 27 des Gesetzes von 1874 zu ergänzen. Die registrirten Gläubiger rangiren unter einander nach dem Datum ihrer Registrirung, und bilden mithin eine Ausnahme von der Regel, dass die Gläubiger einer und derselben Classe in gleichem Verhältniss zu befriedigen sind. Code de comm. Art. 191. Belg. Gesetz von 1879 Art. 4. Nach dem D. H. G. B. Art. 773 werden von dieser Regel einige andere Ausnahmen nach der Zeitfolge der Entstehung der Forderungen gemacht; indessen ist dies nicht nothwendig und um grösserer Einfachheit willen nicht adoptirt worden, soweit es nicht anderweitig bestimmt ist. Vgl. die Erläuterungen zu Art. 913 Ziff. 6. Code de comm. Art. 323. Manche Gläubiger einer Classe schliessen übrigens einander thatsächlich gänzlich aus, wie z. B. in Ziff. 7, je nachdem ein Schiff bereits in See gegangen ist oder dies noch nicht der Fall war.
Ziff. 13. Das Recht der einfachen oder sog. chirographarischen Gläubiger am Schiff ist zwar in den meisten Gesetzen, mit Ausnahme der Französischen, nicht anerkannt; der Entwurf folgt jedoch in dieser Frage dem Französischen Muster, obgleich das desfallsige Bedürfniss durch die neuerliche Einführung der Schiffshypotheken oder registrirten Forderungen sehr vermindert worden ist. Auch in Frankreich sind trotz der Einführung der Schiffshypotheken die betreffenden Rechte der gewöhnlichen Gläubiger nicht aufgehoben worden. In Betreff der Gläubiger des jeweiligen Schiffseigenthümers wäre eine solche Aufhebung natürlich unmöglich, denn das Schiff muss immer, wie jedes andere Vermögen des Schuldners, ein Befriedigungsobject seiner Gläubiger sein. Allein das Schiff soll auch, wenigstens unter gewissen Voraussetzungen und für einen bestimmten Zeitraum, für die Schulden des vorigen Eigenthümers verhaftet bleiben, nachdem derselbe das Schiff verkauft hat; natürlich nur für diejenigen Schulden, welche er bis zum Zeitpunkt des Verkaufs eingegangen war. Dies ist eine Ausnahme von der gewöhnlichen Regel, wornach an beweglichen Sachen kein dinglicher Anspruch der Gläubiger (droit de suite) besteht. Als Grund hiefür lässt sich anführen der hohe Werth der Schiffe und die beständige Abwesenheit der Schiffe auf oft weit entfernten Seereisen, wodurch die Gläubiger eines Schiffseigenthümers die meiste Zeit hindurch von der Geltendmachung ihrer Rechte am Schiff thatsächlich ausgeschlossen sind, ferner die Leichtigkeit, durch den Verkauf abwesender Schiffe die Gläubiger zu betrügen. Es sprechen demnach auch heute noch trotz der Einführung der Schiffshypotheken genügende Gründe dafür, dass ein Schiff auch für die Schulden des Verkäufers verhaftet bleibt. Ueberdies können Schiffshypotheken, da ihnen so viele ihrer Natur nach privilegirte Forderungen vorgehen, niemals dieselbe Bedeutung erlangen, wie die Hypotheken an Grundstücken; daher ist zu erwarten, dass vielleicht die Registrirung von Forderungen nicht so allgemeiner Gebrauch werden wird, und auch aus diesem Grunde dürfte man die bisherigen Rechte der einfachen Gläubiger nicht ohne weiteres beseitigen.
Art. 914. Es wurde bereits zu Art. 913 bemerkt, dass die Fracht gleich den Früchten eines Grundstücks anzusehen ist und daher für die Forderungen der Schiffsgläubiger ebenso wie das Schiff selbst haften muss. Dies gilt indessen nur von der ausstehenden Fracht; sobald sie entrichtet und dadurch in das allgemeine Vermögen des Schiffseigenthümers übergegangen ist, gehört sie nicht mehr zum speciellen Schiffsvermögen und haftet auch nicht mehr in der besonderen Weise. Auch haften nicht alle Frachtgelder ohne Ausnahme für die Forderungen der Schiffsgläubiger, sondern nur diejenigen, welche zu der betreffenden Forderung in Beziehung stehen. D. H. G. B. Art. 759. Wenn eine Forderung, wie z. B. die in Ziffer 1. und 3. des Art. 913, zu einer bestimmten Reise in keiner Beziehung steht, kann nur die Fracht der letzten Reise dafür in Anspruch genommen werden, um das Privilegium nicht zu weit auszudehnen. Als eine Reise in dem Sinne dieses Artikels ist anzusehen jede Seefahrt, für welche eine besondere Ausrüstung stattfindet und von welcher die Heimfahrt wieder regelmässig in den Abfahrtshafen stattfindet. Wenn z. B. ein Schiff von Yokohama nach Nagasaki geht, um von dort Kohlen heimzubringen, so wird die Hin- und Rückfahrt als eine einzige Reise anzusehen sein. Würde aber ein Schiff nach Nagasaki geschickt, um eine bestimmte Ladung dorthin zu bringen, so wäre dies eine Reise für sich, wenn nicht die Rückreise mit Ballast oder eventueller Ladung gleichzeitig in Aussicht genommen wäre. D. H. G. B. Art. 760. Lewis II. p. 150. Was von der Fracht, muss consequenter Weise auch von den Passagegeldern bei Passagierschiffen gelten; doch wird hier selten eine Haftung stattfinden können, da dieselben in der Regel vorausbezahlt werden.
Art. 915. Dass die Privilegien der Schiffsgläubiger im Fall eines gerichtlichen oder Nothverkaufes von selbst unter- und auf die Kaufsumme übergehen, wurde bereits zu Art. 904 erläutert. Ausserdem gehen dieselben nothwendig mit dem Erlöschen der Forderungen selbst unter, durch Zahlung, Verjährung etc. Art. 1234 des Code civil. Der gegenwärtige Artikel handelt von dem Untergang der genannten Privilegien im Falle eines freiwilligen Verkaufs. Hier ist nach den meisten Gesetzgebungen die Regel die, dass die Privilegien an sich fortbestehen, und erst nach Ablauf einer gewissen Zeit und unter gewissen Bedingungen untergehen. Der Entwurf schliesst sich hauptsächlich den Bestimmungen des Französ. Code de commerce Art. 193 und 194 an, sucht sie jedoch etwas zu vereinfachen. Die Privilegien sollen nämlich erlöschen, 1, wenn das Schiff nach dem stattgefundenen Verkauf vom Heimathhafen aus unter dem Namen und auf Rechnung des Käufers, und ohne Einsprache der Gläubiger, eine neue Reise gemacht hat, gleichviel ob diese vollendet ist oder nicht, und gleichviel wie lange Zeit sie dauerte, und 2, wenn seit der Abfahrt zu dieser Reise mindestens 60 Tage verflossen sind. Diese Bestimmungen nähern sich am meisten denen des Holländ. H. G. B. Art. 316 und des Span. H.G.B. Art. 599. Im Französischen H. G. B. wird unterschieden zwischen einer vollendeten und unvollendeten Reise und im ersteren Falle nur eine 30 tägige Frist erfordert; die Auslegung der betreffenden Artikel ist jedoch nicht ganz übereinstimmend und es schien einfacher, von diesem Unterschied abzusehen, um so mehr als 30 Tage eine sehr kurze Frist sind. Wird ein Schiff im Ausland verkauft und macht es noch weitere Reisen im Auslande, oder auch nur von anderen inländischen Häfen aus, so bleiben die Rechte der Schiffsgläubiger ungeschmälert. Erst wenn das Schiff in den Heimathhafen zurückgekehrt ist, kann der Verlust dieser Rechte eintreten; denn erst von da an können die Gläubiger ihre Ansprüche gegen das Schiff wirksam geltend machen und insbesondere von dem Verkauf sichere Kenntniss erlangen.
Im Ital. H. G. B. Art. 290 ist einfach eine Frist von 3 Monaten seit dem Verkauf resp. seit der Rückkehr in den Heimathhafen vorgeschrieben, wodurch im Grunde eine gewöhnliche Verjährungsfrist gesetzt ist. Aehnlich im Belg. Gesetz von 1879 Art. 6 unter Voraussetzung der öffentlichen Bekanntmachung des Verkaufs, und im D. H. G. B. Art. 768. Diese letzteren Bestimmungen empfehlen sich durch grössere Einfachheit, allein die Bedingung, dass das verkaufte Schiff von neuem in See gegangen sein muss, ist nicht nur an sich zweckmässig, sondern auch insoferne passend, als durch eine neue Reise die Gläubiger daran erinnert werden, ihre Rechte geltend zu machen.
Wenn die in Art. 915 bezeichneten Voraussetzungen eingetreten sind, hört nur die Haftung des Schiffs nebst Fracht in den Händen des neuen Erwerbers auf. Die Forderung selbst bleibt bestehen und kann gegen den Verkäufer nach wie vor geltend gemacht werden.
Nicht registrirte Forderungen sind nach Art. 915 zu behandeln, gleichviel ob sie privilegirt sind oder nicht. Dagegen findet der Artikel auf die registrirten Forderungen keine Anwendung, und wird es hier vielmehr ebenso gehalten, wie beim Verkauf von Grundstücken, an welchen Hypotheken bestellt sind. Da diese Forderungen in das Schiffs- und Pfandregister eingetragen werden müssen, deren Einsicht Jedermann offen steht, so sind sie als öffentlich bekannt anzusehen und der Käufer kann nicht wohl in die Lage kommen, ohne die grösste Nachlässigkeit seinerseits den Kaufpreis zweimal zahlen zu müssen. In einigen Gesetzen ist im Anschluss hierzu ein öffentliches Aufgebotsverfahren angeordnet, mittelst dessen der Käufer den registrirten Gläubigern Zahlung bis zum Betrage des Kaufpreises anbieten, die Gläubiger dagegen die Versteigerung des Schiffes unter Erbieten eines Preiszuschlages von wenigstens 5—10 procent bewirken können. Französ. Gesetz von 1874 Art. 19—23. Belg. Gesetz von 1879 Art. 150—155. Die Nachahmung dieser complicirten Vorschriften erschien nicht empfehlenswerth; es genügt hier auf Art. 432 zu verweisen, wornach der Käufer eines Pfandobjects die Pfandschuld des Verkäufers aus dem Preise zu berichtigen hat, und auf Art. 915, wornach jeder Schiffsgläubiger, wie insbesondere jeder registrirte Gläubiger, den öffentlichen Verkauf des Schiffes beantragen kann.
Art. 916-919. In diesen Artikeln werden die Förmlichkeiten vorgeschrieben, die wie bei der Eintragung und Löschung aller Registrirungen, so auch bei der Registrirung von Schiffsforderungen zu beobachten sind. Diese Vorschriften sind denen der übrigen Gesetze gleich. Französ. Gesetz von 1874 Art. 1 ff. Belg. Gesetz von 1879 Art. 134 ff. Engl. Gesetz von 1854 Art. 66 ff. Preuss. Gesetz von 1861 Art. 59. Es wurden jedoch mehr die einfachen Formen der Englischen und Deutschen Gesetzgebung vorgezogen. Die Registrirung kann, wie in Frankreich und Belgien, nur auf Grund schriftlichen Vertrages beantragt werden; ein richterliches oder gesetzliches Registrirungsrecht findet nicht statt, vielmehr genügen vom legislativen Standpunkt die im Gesetze angeordneten Privilegien Art. 913 Ziff. 1—11. Die Registrirung dient mithin nur zur Sicherung des freiwilligen Privat-Credits im Schiffseigenthum, und soll dem Schiffsbau und dem Seetransport private Capitalien zuführen. Die Registrirung genügt für die Entstehung der Sicherheit am Schiff, die Uebergabe desselben in den Besitz des Gläubigers, wie beim gewöhnlichen Faustpfand, ist hier nicht erforderlich ; auch schien es nicht nötbig die Fiction des Ital. H. G. B. Art. 287 nachzuahmen, wornach der Capitain als Faustpfandwächter für die Gläubiger aufgefasst wird. Die Registrirung kann nur von dem Eigenthümer oder dessen Special-Bevollmächtigten bewilligt werden. Belg. Gesetz von 1879 Art. 136. Französ. Gesetz von 1874 Art. 3.
Art. 920. Das Recht jedes Pfandgläubigers, die Pfandsache zum Zweck seiner Befriedigung zum Verkauf zu bringen, steht auch dem registrirten und jedem anderen Schiffsgläubiger zu. Da alle Forderungen nach Art. 913 in einer bestimmten Reihenfolge zu befriedigen sind, muss darauf selbstverständlich beim Verkauf Rücksicht genommen werden. Desshalb ist die Mitwirkung des Gerichts unentbehrlich, um alle Gläubiger zur Meldung ihrer Forderungen zu veranlassen und jedem die gesetzmässige Befriedigung aus dem Kaufpreis zu sichern. Im allgemeinen werden hier die gleichen Grundsätze wie beim, gerichtlichen Verkaufe von Liegenschaften beobachtet, und es schien nicht nothwendig, hier ein specielles Executionsverfahren zu normiren, welches am richtigsten den Vorschriften über Civilverfahren vorbehalten bleibt.
Die Vorschrift in Betreff der Schiffsantheile entspricht denen des Französ. Gesetzes von 1874 Art. 18 und des Engl. Gesetzes von 1854 Art. 66—71. Die Bestimmung, dass das Schiff im ganzen von den Gläubigern der grösseren Hälfte beansprucht werden kann, entspricht der anologen Bestimmung in Art. 909 in Betreff der Schiffseigenthümer.
Art. 921. Die gleiche Bestimmung findet sich im Französ. Gesetz von 1874 Art. 5 und im Belg. Gesetz von 1879 Art. 138 und ist durch das Bedürfniss der Creditnahme für noch unvollendete Schiffe geboten.
Art. 922. Ebenso bestimmt das Französ. Gesetz von 1874 Art. 17 und das Belg. Gesetz von 1879 Art. 149. Dass die Ansprüche der Schiffsgläubiger auf die Versicherungssumme übergehen, ist eine wichtige Neuerung, welche aber der Billigkeit gemäss ist. Vgl. Bedarride I. Nr. 127. 140. Bravard IV. p. 77 ff. Nach dem älteren Recht kann die Versicherungssumme nur den nichtprivilegirten Schiffsgläubigern zu Nutzen, wofür kein ausreichender Grund ersichtlich ist. Wenn die Gläubiger ihr Interesse am Schiff selbständig versichert haben, versteht es sich von selbst, dass sie nur den einmaligen Ersatz ihres Schadens erlangen und aus der doppelten Versicherung keinen Gewinn ziehen können.
Art. 923. Dieser Artikel enthält ein hergebrachtes Privilegium der Schifffahrt. Vgl. Code de comm. Art. 215. 231. Span. H. G. B. Art. 606. D. H. G. B. Art. 446. Lewis 1. p. 26. Da mit den Seereisen eines Schiffes die wichtigsten Interessen der verschiedensten Personen, so namentlich der Befrachter oder der Passagiere, verknüpft sein können, ist es natürlich, dass man dieselben nicht dem einseitigen Interesse der Gläubiger opfert, ausgenommen soweit dieselben nicht in der Lage waren, ihre Forderungen früher geltend zu machen, nämlich diejenigen, welche erst für den Zweck der bevorstehenden Reise contrahirt wurden.
Im Code de commerce Art. 215 wird der Begriff der Segelfertigkeit, oder um auch auf Dampfschiffe zu reflectiren, der Abgangsfertigkeit dahin erläutert, dass darunter der Zeitpunkt zu verstehen ist, wenn der Capitain die zum Abgang nöthigen Papiere erhalten hat, nämlich die Schiffsrolle, den Abfahrtspass und die Zollquittungen für die an Bord geladenen Waaren. Bedarride I. Nr. 256. Colface, droit commercial p. 279. In Betreff der Verhaftung von Leuten der Schiffsbesatzung wird im Art. 231 bestimmt, dass diese nicht mehr zulässig sein soll, wenn sie für den Zweck der Abreise an Bord sind oder sich in Booten an Bord begeben, also von dem Zeitpunkt an, wo sie das feste Land verlassen haben. Diese letztere Voraussetzung erscheint jedoch nicht angemessen; es wäre z. B. schwer zu begreifen, warum Seeleute, nachdem das Schiff segelfertig und alles zur Abfahrt bereit ist, noch sollten verhaftet werden können, wenn sie sich auf dem Weg zum Boote, d. h. zum Landungsplatz befinden. Eine solche Eventualität würde wohl in den meisten Fällen nur den Capitain betreffen, da die Matrosen eine bestimmte Zeit vor der Abfahrt an Bord sein müssen, um diese vorzubereiten, und desshalb den Zwecken der Schifffahrt um so empfindlicher schaden.
IV. Titel. Capitain und Schiffsleute.
Capitel 1. Capitain.
Art. 924. In der amtlichen Sprache pflegt man die Bezeichnung als Capitain nur auf die Befehlshaber der dem Staate gehörigen Schiffe, insbesondere der Kriegsschiffe anzuwenden, während die Befehlshaber der Handelsschiffe anders bezeichnet werden, z. B. Schiffer in Deutschland, Master in England, Maitre in Frankreich. In der kaufmännischen und seemännischen Sprache werden jedoch auch die Befehlshaber von Handelsschiffen Capitain genannt, und dieser Sprachgebrauch wurde im Entwurf, ähnlich wie im Französ. Code de commerce Art. 221, beibehalten, jedoch durch den Beisatz „jeder andere Schiffsführer“ angedeutet, dass auf den Namen oder die jeweilige Person des Schiffsführers nichts ankommen soll. Der Haftung des Capitains unterliegt mithin Jeder, welcher auf dem Schiff den obersten Befehl hat, z. B. auch ein Steuermann in Verhinderung des Capitains oder ein Lootse. Jedoch ist in den letzteren Fällen die Haftung des Capitains selbst nicht unbedingt ausgeschlossen, wenn dieser den Umständen nach ein Versehen begeht, namentlich wenn er etwa zugleich mit dem Lootsen auf dem Schiff sich befindet.
Die gleiche Haftung für schwere und leichte Versehen, wie im Entwurfe, ist dem Capitain auch in den übrigen Gesetzgebungen auferlegt. Code de comm. Art. 221. 222. Belg. Gesetz von 1879 Art. 12. D. H. G. B. Art. 478. Abbott, Law of Merchant. Ships. p. 122. Diese weitgehende Verantwortlichkeit erklärt sich einmal aus der Wichtigkeit der ihm anvertrauten Interessen und dem weiten Umfang der ihm zustehenden Machtbefugnisse, und sodann daraus, dass der Capitain in die Categorie der bezahlten Bevollmächtigten gehört. Code civil Art. 1992. Gewöhnlich unterscheidet man ein schweres und leichtes Verschulden, culpa lata und culpa levis, und der Capitain haftet demnach sowohl für das eine als für das andere.
In einzelnen Fällen unterscheidet man sogar noch ein ganz besonders leichtes Verschulden, culpa levissima, das in dem Begehen ganz geringfügiger Versehen besteht, die auch dem tüchtigen und vollkommen pflichtgetreuen Seemann begegnen können. Vgl. oben Art. 334—336. Manche wollen den Capitain auch für diesen geringsten Grad des Verschuldens haftbar machen; allein dies widerspricht sowohl den Vorschriften der Gesetze als auch der gewöhnlichen Ordnung der Dinge, da die Haftung für das allergeringste Versehen eine Anspannung der Kräfte voraussetzt, die man nur in besonderen Umständen erwarten, aber nicht dem Capitain für den ganzen Verlauf seiner dienstlichen Thätigkeit bei Nacht und Tag zur Pflicht machen kann. Bedarride II. Nr. 358. Bravard, Traite IV. p. 200. Lewis I. p. 79. Ob und wieweit im einzelnen Fall ein Capitain seine Pflichten erfüllt oder verletzt hat, ist in der Regel nach seemännischen Anschauungen, also unter Zuziehung von berufsmässigen Seeleuten zu beurtheilen.
Der Capitain haftet für seine Fehler nicht blos dem Schiffseigenthümer, sondern Jedem, den er dadurch in Schaden bringt, also namentlich auch dem Eigenthümer der Ladung und den Passagieren (D. H. G. B. Art. 479. Bedarride II. Nr. 359. 360. Bravard IV. p. 200); ebenso aber auch anderen Personen, z. B. dem Eigenthümer eines anderen Schiffes, das er durch Zusammenstoss zum Sinken gebracht hat. Dass neben dem Capitain auch der Schiffseigenthümer für dessen Handlungen haftet, ist bereits oben in Art. 906 bestimmt. Ausserdem haftet der Capitain auch, wenn er die Zoll- und andere gesetzliche Bestimmungen verletzt, und dadurch Schiff und Ladung der Confiscation oder der Verhängung anderer Strafen aussetzt. D. H. G. B. Art. 482. Nicht minder wäre es ein Verschulden des Capitains, wenn er aus Trägheit oder Furchtsamkeit irgendwo liegen bliebe, anstatt seine Reise ordentlich fortzusetzen, oder wenn er einen unbegründeten Umweg machen oder in einen Hafen einlaufen würde, um seine Privatangelegenheiten zu besorgen.
Die Pflichtverletzungen des Capitains zum Nachtheil des Schiffseigenthümers werden unter der Bezeichnung Baraterie zusammengefasst ; sie können auch criminelle Bestrafung nach sich ziehen. Französ. Gesetz vom 10. April 1825 Art. 11—15. In manchen Staaten versteht man unter Baraterie nur die absichtliche Pflichtverletzung des Capitains. Abbott, Treatise part III. chapt. 5. D. H. G. B. Art. 824 Ziff. 6. Lewis II. p. 278.
Schon von alter Zeit her besteht überall der Grundsatz, dass Capitains, ebenso wie auch Steuerleute, nicht ohne den gesetzlichen Nachweis der genügenden Qualification angestellt werden dürfen. Dieser Nachweis besteht in einem Zeugniss oder Certificat, das nur auf Grund bestandener vorgeschriebener Prüfung und Zurücklegung einer bestimmten Lehr- und Fahrzeit erlangt werden kann. Die Uebertretung dieser Vorschriften hat für den Uebertreter Geldstrafe und für das Schiff die Verhinderung der Abfahrt durch die Behörden zur Folge. Die betreffenden gesetzlichen Vorschriften sind administrativer Natur und gehören nicht in das Handelsgesetzbuch. Sollte eine gesetzlich nicht qualificirte Person zum Schiffer oder Steuermann angestellt worden sein, so ist klar, dass abgesehen von den obigen Straffolgen die civilrechtliche Haftung die gleiche bleibt, wie in jedem anderen Fall, und eher noch verschärft werden muss, weil eine specielle gesetzliche Dienstpflicht übertreten wurde. Art. 925. Hinsichtlich der Qualificationsvorschriften in den einzelnen Ländern vgl. Franzos. Verordnung von 1681, vom 7. Aug. 1825 und 25. Nov. 1827; Decrete vom 26. Jan. 1857 und 22. Oct. 1863. Engl. Merch. Shipp. Act von 1854 Art. 131 ff. 25. & 26. Vict. c. 63. Deutsche Gewerbeordnung von 1869 Art. 31. Prüfungsvorschriften vom 25. Sept. 1869 und 30. Mai 1870. Abbott, Treatise part III. chapt. 1.
Art. 925. In dem vorhergehenden Artikel wurde die Haftung des Schiffscapitains bestimmt, wie sie der Kegel nach stattfinden soll; der gegenwärtige Artikel stellt gewisse Ausnahmen von der Regel fest, und zwar nach zwei Seiten hin, sowohl betreffs einer Aufhebung, als betreffs einer Steigerung seiner gewöhnlichen Haftung.
Dass die Haftung des Capitains durch Vertrag modificirt werden kann, ausgenommen für böse Absicht und grobes Verschulden, folgt schon aus allgemeinen Principien und braucht nicht besonders erwähnt zu werden. S. oben Art. 335. Der Capitain ist aber auch frei von Haftung durch stillschweigende Genehmigung des Beschädigten, wenn nämlich dieser den Capitain zu gewissen Handlungen veranlasste und anwies, sei es durch Willensäusserungen im betreffenden Augenblick, sei es durch vorausgehende Instructionen. Dies kann sowohl der Schiffseigenthümer, als der Ladungseigenthümer oder eine andere interessirte Person sein. Z.B. wäre es ein Verschulden des Capitains, durch Blokadebruch oder Führung von Kriegscontrebande die Confiscation zu riskiren; hätte aber der Schiffs-oder Ladungseigenthümer den Schiffer ausdrücklich dazu beauftragt, so wäre dieser offenbar nicht haftbar, wenn er diesem Auftrag nachkäme. Indessen wird der Capitain durch solche Aufträge nicht überhaupt frei, sondern nur gegenüber dem, der sie gab; sind also noch andere Interessirte vorhanden, so können diese trotzdem Schadensersatz verlangen, wenn der Capitain dabei an sich ein Versehen beging, d. h. nicht nach ordentlichen seemännischen Grundsätzen handelte. Allein auch dem speciellen Auftraggeber gegenüber wird der Capitain nur dann frei, wenn jener von den Umständen des Falles Kenntniss hatte, gleichviel ob er anwesend war oder nicht. Der Capitain ist als Seemann immer Sachverständiger und muss die Regeln seines Berufes beobachten, soweit er nicht davon gültiger Weise entbunden wird. Wenn nun die Ausführung gewisser Instructionen den besonderen Umständen nach den gewollten Zweck verfehlen und dem Betreffenden nur noch mehr Schaden zufügen würde, so ist der Capitain verpflichtet und berechtigt, die Instructionen nach seinem besten Ermessen als Seemann zu modificiren oder ganz unausgeführt zu lassen. Gesetzt, der Schiffer war angewiesen, eine gewisse Ladung einzunehmen und an einen bestimmten Ort zu bringen, aber er unterlässt dies, weil inzwischen die betreffende Waare als Contrebande erklärt wurde, so ist er für diese Unterlassung nicht haftbar ; er würde im Gegentheil haftbar werden, wenn der Eigenthümer die Eigenschaft der Contrebande nicht gekannt hätte und nicht im Stande war, seine Anweisung zu widerrufen.
Auf der anderen Seite ist der Capitain in höherem Grade haftbar, wenn er besondere Dienstpflichten verletzt, d. h. solche, die ihm in den Gesetzen oder in seinen speciellen Dienstinstructionen ausdrücklich auferlegt sind. Hier haftet der Capitain für jeden Schaden, der nicht in höherer Gewalt oder in zufälligen Umständen seinen Grund findet, wofür er nicht verantwortlich gemacht werden kann. Eine gleiche Bestimmung findet sich auch im Französ. Code de comm. Art. 230, im D. H. G. B. Art. 478 und in anderen Gesetzbüchern, es ist aber kein genügender Grund gegeben, diese Haftung auf die Verletzung einzelner besonderer Dienstpflichten zu beschränken. Auch wird der citirte Art. 230 durch Art. 242 herkömmlich in der Art ergänzt, dass der höheren Gewalt auch der blosse Zufall gleichgestellt wird. Bedarride II. Nr. 414. 415. In solchen Fällen haftet daher der Schiffer zwar nur, wenn ihm irgend ein Versehen zur Last fallt, aber es genügt schon das geringste Versehen, d. h. der Capitain haftet jedesmal, soferne er nicht beweisen kann, dass der Unfall ausschliesslich durch höhere Gewalt oder durch den blossen Zufall herbeigeführt wurde. Bravard IV. p. 201. Letzteres zu beweisen, ist dann Sache des Capitains, während der Beschädigte blos die Verle tzung einer besonderen Dienstpflicht zu behaupten und zu beweisen braucht.
Art. 926. Die in diesem Artikel bezeichneten Obliegenheiten sind die nothwendigen Vorbedingungen dafür, dass das Schiff ohne Gefahr für die Ladung oder für das Leben der darauf befindlichen Personen in See gehen kann. Die Haftung dafür ist dem Capitain, wie auch selbstverständlich dem Schiffseigenthümer, in allen Gesetzen zur Pflicht gemacht. Code de comm. Art. 297. D. H. G. B. Art. 480. 481. Ital. H. G. B. Art. 404. Engl. Gesetz vom 15. Aug. 1876 (39. & 40. Vict. c. 80) Art. 4 ff. Nach Engl. Rechte ist das Aussenden eines seeuntüchtigen Schiffes ein Vergehen, jedoch steht der Gegenbeweis offen, dass das Aussenden wegen besonderer Umstände gerechtfertigt war. Jeder Capitain muss den Zustand seines Schiffes genau kennen, und es ist seine Pflicht, den Eigenthümer auf die Nothwendigkeit von Reparaturen aufmerksam zu machen. Wenn er dies thut, aber der Eigenthümer die Reparatur verweigert, bleibt der Capitain nichts desto weniger den übrigen Interessirten verhaftet. Lewis I. p. 82. Ein seeuntüchtiges Schiff kann von den Behörden zurückgehalten werden. Engl. Gesetz von 1876 Art. 6. Durch administrative Gesetze ist in der Regel ein Maximum der Ladung und der Passagierzahl vorgeschrieben. Hiezu gehört auch die im Code de comm. Art. 229 enthaltene Bestimmung wegen der Ladung von Waaren auf dem Oberdeck, die jedoch, da sie die betreffende Frage lange nicht erschöpft, in den Entwurf nicht aufgenommen wurde. Die Frage der Seeuntüchtigkeit ist theils nach speciellen Gesetzen und Verordnungen, theils nach seemännischen Grundsätzen zu beurtheilen. Abbott, Treatise p. 281 ff.
Wenn die Seeuntüchtigkeit während der Reise eintritt, ist der Capitain verpflichtet, die Reparatur sobald als es möglich ist vorzunehmen, und er kann hiezu auch durch eine Klage der Schiffsleute, wenn diese in bestimmter Zahl darauf antragen, angehalten werden. Jedoch werden frivole Beschwerden dieser Art bestraft. Deutsche Seemannsordnung vom 27. Dec. 1872 Art. 47. 94. Engi. Gesetz vom 21. Aug. 1871 Art. 7. Abbott, Treatise p. 309.
Art. 927. Dieser Artikel bildet die nothwendige Ergänzung des vorhergehenden insoferne, als dem Capitain hier die zur Erfüllung seiner Verantwortlichkeit nöthigen Vollmachten oder Befugnisse zugesprochen werden. An sich steht zwar die Verfügung über das Schiff und dessen Verwendung zur Seefahrt nur dem Eigenthümer oder Schiffsdirigenten zu; allein der Capitain ist als Stellvertreter des Eigenthümers anzusehen in allem, was Betrieb der Seefahrt betrifft, und wenngleich dessen Anweisungen wie jeder Stellvertreter unterworfen, doch soweit solche Anweisungen nicht vorliegen, zur selbständigen Besorgung aller auf das Schiff und die Seefahrt bezüglichen Geschäfte berechtigt, soweit sie in den Bereich der Dienstpflichten eines Schiffsbefehlshabers fallen. Diese Befugnisse, welche in der Hauptsache im Artikel 927 zugesprochen werden, jedoch nicht limitativ, sondern nur enunciativ, so dass andere ebenso nöthige Befugnisse nicht ausgeschlossen sind, wie z. B. die Annahme von Passagieren, der Ankauf von Reservemasten und anderen Vorräthen etc., stehen dem Capitain nach allen Gesetzgebungen zu. Code de comm. Art. 223. 232. Belg. Gesetz von 1879 Art. 14. 22. Ital. H. G. B. Art. 320. 329. D. H. G. B. Art. 495. 496.
Im Französischen und in anderen H. Gesetzbüchern wird ein Unterschied gemacht, ob der Capitain sich an dem gleichen Orte mit dem Eigenthümer befindet oder nicht; im Deutschen H. G. B. ist in dieser Beziehung speciell der Heimathhafen bezeichnet. Im ersten Falle soll der Capitain nur mit Genehmigung (de concert), nach Deutschem Recht sogar nur mit besonderer Vollmacht des Eigenthümers handeln dürfen. Die Bestimmung des Französ. Gesetzbuches ist nach Bedarride II. Nr. 366 dahin zu erklären, dass der Capitain die von ihm ausgewählten Schiffsleute dem Eigenthümer benennen muss und dass dieser das Recht hat dieselben zu verwerfen; die übrigen in Art. 232 benannten Geschäfte soll der Capitain nur auf Grund einer besonderen Bevollmächtigung des Eigenthümers gültig für den letzteren eingehen können.
Diese Vorschriften entsprechen jedoch den heutigen Verhältnissen nur sehr wenig und sind desshalb im Entwurf nicht ohne weiteres adoptirt worden. Sie setzen die einfachen Verhältnisse einer früheren Zeit voraus, wo der Schiffseigenthümer in anderen Häfen keine Vertretung hatte und von ihnen aus keinen Verkehr mit dem Capitain unterhalten konnte. Beide Voraussetzungen sind in der Gegenwart grössentheils hinweggefallen, durch die Ausbreitung des Dampf- und Telegraphenverkehrs und durch die Errichtung von Schiffs-Agenturen und Zweiggeschäften an anderen Orten als dem Heimathhafen. Es ist klar, dass z. B. ein Capitain der Mitsu Bishi-Gesellschaft in Nagasaki den Anweisungen des Agenten derselben unterworfen ist, ebenso wie des Agenten in Yokohama; und wenn ein Capitain von dem Eigenthümer auswärts einen telegraphischen Auftrag erhält, so ist dieser für ihn ebenso bindend, wie im Heimathhafen. Aber auch im Heimathhafen und an dem Aufenthaltsorte des Eigenthümers ist der Capitain stets der natürliche Vertreter desselben in allen das Schiff und die Seefahrt betreffenden Angelegenheiten, und es lässt sich nicht rechtfertigen, wenn man hier eine besondere Bevollmächtigung des Capitains verlangt, da dieselbe doch schon in seiner Anstellung zum Commando des Schiffs enthalten ist. Art. 906. Der Capitain kann zwar durch den Eigenthümer in seinen Befugnissen beschränkt werden, und es wird dies namentlich im Heimathhafen der Fall sein oder überall, wo der Eigenthümer weilt oder Agenten bestellt hat. Durch die Verletzung solcher Anweisungen macht sich der Capitain aber nur dem Eigenthümer verantwortlich ; dritten Personen gegenüber können sie nur wirksam sein, soweit sie ihnen bekannt wurden oder bekannt sein mussten. Diese Regeln kommen auch in der Praxis ohne allen Zweifel zur Anwendung, und die Französische Jurisprudenz ist bemüht, die allzu strengen und formellen Vorschriften des Code auch in dieser Beziehung möglichst hinwegzuinterpretiren. Bedarride II. Nr. 435—440. Bravard IV. p. 182 ff. Insbesondere hat sich der Französische Cassationshof dahin ausgesprochen, dass der Mangel einer speciellen Vollmacht die von dem Capitain abgeschlossenen Geschäfte denen gegenüber nicht ungültig mache, welche sie in gutem Glauben eingegangen hätten. Es ist daher das richtige, hier überhaupt die allgemeinen Grundsätze der Stellvertretung anzuwenden.
Im Französ. Code de comm. Art. 225 und in einigen anderen Gesetzbüchern ist dem Capitain zur Pflicht gemacht, das Schiff vor jeder Reise hinsichtlich seines seetüchtigen Zustandes amtlich untersuchen zu lassen. Diese Vorschrift, welche von der Jurisprudenz gemäss dem Gesetz vom 9. Aug. 1791 nur auf weite überseeische Reisen (für sog. langen Cours) angewendet wird, findet sich weder in der Deutschen noch Englischen Gesetzgebung; nach der letzteren (Gesetz vom 10. Aug. 1872 Art. 8) sollen nur Passagierschiffe einmal in jedem Jahre untersucht werden. Da diese Vorschrift mithin nicht allgemein besteht und höchstens in die administrative oder polizeiliche Schifffahrtsgesetzgebung gehört, so wurde sie in den Entwurf nicht aufgenommen.
Art. 928. Gleiche Bestimmungen enthält auch der Französ. Code de comm. Art. 226, das D. H. G. B. Art. 480, das Belg.
Gesetz von 1879 Art. 17, das Ital. H. G. B. Art. 823; ebenso die Englische Gesetzgebung. Abbott, Treatise p. 296. Wenn ausserdem noch besondere Papiere erforderlich sind, z. B. ein Gesundheitsattest gemäss der Gesetzgebung des Landes, wohin das Schiff geht, oder ein Seepass in Kriegszeiten, so müssen auch diese an Bord sein. Von selbst versteht es sich, dass der Capitain keine gefälschten Papiere führen darf, schon desshalb, weil er dadurch das Schiff der Confiscation aussetzt. Die Beobachtung der Vorschrift dieses Artikels ist nicht nur aus Rücksichten der polizeilichen Ordnung erforderlich, sondern auch desshalb, weil die Sicherheit der Rechtsverhältnisse des Schiffes und der Ladung namentlich zur See und im Auslande davon abhängt, da ein Schiff ohne die vorgeschriebenen Papiere angehalten, in der Fortsetzung seiner Reise aufgehalten und manchen anderen Schwierigkeiten unterworfen werden kann. Diese Papiere sind mithin ebenso nothwendig, wie die erforderliche Bemannung oder Ausrüstung des Schiffs u. dgl.
Art. 929. Mit diesem Artikel stimmen in der Hauptsache überein der Französ. Code de comm. Art. 224, das Deutsche H. G. B. Art. 486. 487, das Ital. H. G. B. Art. 321, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 15, das Engi. Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 280 ff. Die darin ausgesprochene Verpflichtung ist daher allen Gesetzgebungen gemeinsam, obwohl sie in den einzelnen Gegenständen der Eintragung unter einander abweichen. Die Vorschrift des Französ. Gesetzbuches ist dem Wortlaute nach am meisten unbestimmt, sie wird aber in der Praxis auf alle Umstände von Bedeutung ausgedehnt. Bedarride II. Nr. 375. 376. Der Entwurf unterscheidet zwei Arten von Einträgen, einmal solche, die stets und unter allen Umständen gemacht werden müssen, und sodann eventuelle Einträge, die von dem Vorkommen gewisser Thatsachen oder von relativen Verhältnissen abhängen; z. B. Lootsen werden nur im Falle des Bedürfnisses angenommen, die Tiefe des Wassers muss nur gemessen werden, wenn die Nähe von Land oder irgend eine Gefahr dies rathsam macht u. s. w. Der Inhalt des Logbuches oder Schiffsjournals dient vor allem dazu, den Nachweis darüber zu erbringen, wie der Capitain seinen dienstlichen Pflichten nachgekommen ist, und im Falle eines Unglücks seine Schuld oder Unschuld darzuthun, sowohl in Bezug auf Schiff und Ladung, als auch auf die Schiffsleute und Passagiere, auf den täglichen Verlauf der Reise, auf die Ausübung der ihm zustehenden Disciplinargewalt u. s. w. Wenn also das Journal ergibt, dass der Capitain das Senkblei nicht auswerfen liess, wo er es hätte thun sollen, dass er einen falschen Cours steuerte, dass er einen unberechtigten Umweg machte u. dgl, so macht er sich dadurch haftbar. Der Capitain würde nach Art. 925 für alle Unfälle haften, wenn er kein ordentlich und vollständig geführtes Logbuch vor weisen könnte. Nach Art. 931 muss der Capitain nach jeder Reise das Logbuch amtlich präsentiren, was als Controle für die Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten anzusehen ist. Die mangelhafte Führung des Logbuches, insbesondere das Machen falscher oder betrügerischer Einträge ist strafbar. Engl. Gesetz von 1854 Art. 284. Jedoch gehören solche Strafbestimmungen nicht in das Handelsgesetzbuch, sondern in die Polizeigesetzgebung, oder in das Strafrecht.
Art. 930. Der Capitain könnte seine dienstlichen Verpflichtungen nicht in vollem Umfange erfüllen, wenn es ihm frei stünde, das Schiff beliebig zu verlassen und das Commando auf demselben einem Stellvertreter zu übergeben. So lange ein Schiff im Hafen liegt, wird es damit weniger genau genommen, weil man annehmen darf, dass hier keine Seegefahr für Schiff oder Ladung zu befürchten ist. Dagegen erfordern die Wechselfälle einer Seereise die beständige Wachsamkeit und Sorgfalt eines hiezu tauglichen Schiffsführers, und es kann dem Capitain nicht gestattet werden, während der Reise einen Stellvertreter für sich zu bestellen. Dies ist der Sinn der Bestimmung des vorliegenden Artikels; den gleichen Sinn hat der Franz. Code Art. 227, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 18, das Ital. H. G. B. Art. 324. Wenn hier blos von der Aus- und Einfahrt in Flüsse oder Häfen die Rede ist, so erklärt sich dies dadurch, dass bei der Aus- und Einfahrt die Anwesenheit des Capitains und sein persönliches Commando auf dem Schiff besonders nothwendig ist, und dass so lange das Schiff sich auf hoher See befindet, ein Verlassen derselben durch den Capitain nicht leicht vorkommen kann oder wird. Dagegen ist leicht zu befürchten, dass ein Capitain, wenn es nahe zum Landen kommt, sich in einem Boote ans Land setzen lässt, um schneller seine Familie aufzusuchen, oder um anderer Privatangelegenheiten willen, und das Schiff unter oft schwierigen Umständen dem Commando eines Steuermanns überlässt. Dies soll als grobe Pflichtverletzung verhütet werden. Bedarride II. Nr. 393. Diese Vorschrift ist auch zu beobachten, wenn ein Lootse an Bord ist, was entweder polizeilich vorgeschrieben oder dem Ermessen des Capitains überlassen sein kann, um so mehr, als hiedurch die Verantwortlichkeit des Capitains für die von ihm etwa begangenen Fehler nicht aufgehoben wird. Bedarride II. Nr. 395. Bravard IV. p. 216.
Im D. H. G. B. Art. 484 ist dem Capitain das Verlassen des Schiffes untersagt vom Beginn des Ladens bis zur Beendigung der Löschung; allein dies geht wohl zu Weit, da das Aus- und Einnehmen der Ladung in der Regel unter der unmittelbaren Aufsicht des Steuermanns vor sich geht und sehr häufig die ganze Zeit in Anspruch nimmt, während welcher ein Schiff im Hafen liegt. Es genügt hier, dass der Capitain die ihm in Art. 926 vorgeschriebene Aufsicht übt, aber er braucht nicht ununterbrochen bei der Ladung zugegen zu sein. Auch ist die Art und Weise des Aus- und Einladens, und der Beginn der Obliegenheiten des Capitains in dieser Beziehung verschieden je nach dem Gebrauche in den einzelnen Häfen. Abbott, Treatise p. 285.
Es versteht sich von selbst, dass die Obliegenheit des Capitains nicht buchstäblich zu nehmen ist, sondern dass er aus gutem und gerechtem Grunde, und bei dringender Nothwendigkeit auch berechtigt und verpflichtet ist, das Schiff zu verlassen, z. B. wenn es der Dienst oder ein amtlicher Befehl etc. erfordert. D. H. G. B. Art. 484.
Der Capitain muss ausserdem die ihm aufgetragene Reise ohne Verzug antreten, d. h. sobald als es das Wetter erlaubt und das Schiff reisefertig ist, und ebenso auch ohne Verzug, insbesondere ohne Abweichung von der kürzesten und regelmässigen Route vollenden. Alles dies ist nach seemännischen Grundsätzen zu beurtheilen; es kommt also auf letztere an, wenn es sich darum handelt, ob das Schiff bei einem gewissen Winde auslaufen konnte, ob der gesteuerte Cours der richtige war, ob die etwaige Verspätung in der Ankunft einem Verschulden des Capitains zuzuschreiben ist u. s. w. Französ. Code de comm. Art. 238. Belg. Gesetz von 1879 Art. 28, Abbott, Treatise p. 298. 306. Bedarride II. Nr. 392. Der Capitain ist befugt, in zweifelhaften Fällen einen Schiffsrath zu berufen; er ist jedoch an dessen Aussprüche nicht gebunden und die Verantwortlichkeit bleibt stets auf ihm allein liegen. Ist der Capitain wegen Krankheit oder aus einem anderen Grunde nicht im Stande, eine Reise anzutreten oder zu vollenden, so muss er womöglich die Verfügung des Eigenthümers oder Dirigenten einholen, ausserdem aber einen tauglichen Stellvertreter ernennen. D. H. G. B. Art. 483. 485.
Art. 931. Die gleiche Vorschrift enthält der Französ. Code de comm. Art. 242—244. 248, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 32—34. 38, das Ital. H. G. B. Art. 338. 339. 341. Das D. H. G. B. Art. 490 schreibt die sog. Verklarung nur bezüglich der auf einer Reise stattgefundenen Unfälle vor, und es kann sich eine Reise auch ohne allen und jeden Unfall ergeben. Auch in der Englischen Gesetzgebung (Merch. Shipp. Act 1854 Art. 273. 286) findet sich die Vorschrift der Abstattung regelmässigen Berichtes nach jeder Reise nebst Vorlage des Logbuches, doch haben die Gegenstände des Berichtes mehr auf die Schifismannschaft und die übrigen an Bord befindlichen Personen Bezug. Der Bericht soll dazu dienen, die Verantwortlichkeit des Capitains während der Reise zu bestärken, die Führung des Logbuches zu controliren, und für etwaige spätere Bedürfnisse das Beweismaterial vorzubereiten. Daher muss er ohne Verzug nach der Ankunft abgestattet werden, zu einer Zeit wo alles noch frisch im Gedächtniss ist. Die blosse Uebergabe des Logbuches würde nicht genügen, weil der Bericht nicht nur ausführlicher sein, sondern sich auch über die Ursachen und das nähere Detail erstrecken soll. Diese Berichterstattung liegt hauptsächlich im Interesse der verschiedenen am Schiff, an der Ladung oder auch persönlich Interessirten und beruht daher auf juristischen Motiven; sie ist mit der polizeilichen Meldung aller ankommenden Schiffe vor den Hafenoder Zollbehörden nicht zu verwechseln, welche durch die Hafenordnungen aus administrativen, insbesondere sanitären und zollamtlichen Rücksichten vorgeschrieben ist. Die letztere liegt allen Schiffen ob, die in einen Japanischen Hafen einlaufen, die erstere nur den unter Japanischer Jurisdiction stehenden Schiffen. Der Bericht ist zu erstatten in den einheimischen Häfen vor der Seebehörde, in den auswärtigen Häfen vor dem Consul, und nur da, wo kein Japanisches ConSulat besteht, vor der auswärtigen Seebehörde des Ortes. Im Französ. Code de comm. ist die Abstattung des Berichtes in den Französischen Häfen vor dem Handelsgerichte oder Friedensrichter vorgeschrieben; für Japan dürfte sich, da es hier besondere Handelsgerichte nicht gibt, die See- oder Ortsbehörde mehr empfehlen. Das Logbuch muss von der Ortsbehörde visirt werden, zum Beweis der erfolgten Vorlage und genommenen Einsicht. Die Gegenstände des Berichtes, welche im Code de commerce etwas zu enge beschränkt sind, wurden schon durch eine Verordnung vom 29. Oct. 1833 weiter ausgedehnt. Bedarride II. Nr. 496 ff. Bravard IV. p. 230 ff.
Der Artikel bezieht sich übrigens, wie wohl zu beachten, nicht blos auf die Beendigung einer Reise, also die Rückkehr in den Hafen, von dem die Abfahrt stattfand, sondern auf jede Ankunft in dem Hafen, in welchen man gelangen wollte, also namentlich in den Hafen, von dem aus die Rückreise stattfinden soll. Wenn ein Schiff während einer Reise mehrere Häfen besucht, wie z. B. die Passagierdampfer zwischen Europa und Asien, so muss der Bericht in jedem Hafen erstattet werden. So ist auch im Code de com. Art. 244 die Berichterstattung bei jeder Ankunft in einem fremden Hafen vorgeschrieben; wenn an einem Orte kein Französ. Consulat besteht, ist dafür der Ortsbehörde zu berichten. Bedarride II. Nr. 510.
Art. 932. Während der vorhergehende Artikel von der Bestimmungs- und regelmässigen Ankunft in einem Hafen handelt, ist die Voraussetzung des gegenwärtigen Artikels die ausserordentliche Ankunft in einem Hafen in Folge eines Unfalls oder um einer drohenden Gefahr zu entgehen; die häufigste Ursache wird der schlimme Zustand des Schiffes in Folge von Sturm u. dgl. sein. Da der Capitain nach Art. 930 niemals ohne genügenden Grund von der regelmässigen Route abweichen darf, so ist das Einlaufen in einen anderen als den Bestimmungshafen ein Ereigniss, das durchaus gerechtfertigt werden muss, durch höhere Gewalt oder eine andere unvermeidliche Ursache, um den Capitain gegenüber denen, deren Interessen dadurch in der verschiedensten Weise verletzt sein können, von Verantwortlichkeit zu befreien. Auch hier ist mithin eine amtliche Berichterstattung zum Zweck der Beweisführung und unmittelbaren Controle des Capitains erforderlich.
Unter Ankunft ist immer der Augenblick zu verstehen, wenn ein Schiff Anker geworfen hat, ohne Unterschied, ob das Schiff in den Hafen selbst einläuft oder aussen auf der Rhede liegen bleibt. Bravard IV. p. 231. Ist der Capitain etwa gestorben oder sonst nicht im Stande den Bericht abzustatten, so tritt der im Range zunächst kommende Schiffsoffizier an seine Stelle. D. H. G. B. Art. 490.
Der Entwurf enthält noch die Bestimmung, dass die amtliche Ausfertigung des Berichts dem Schiffseigenthümer und auf Verlangen auch anderen Interessenten, so namentlich den Ladungseigenthümern zu übermitteln ist. Für den Schiffseigenthümer hat der Capitain als dessen Stellvertreter in allen Fällen die Ausfertigung zu verlangen und auch dafür die Kosten zu erlegen, um sich nach Beendigung seiner Reise wegen des etwaigen Umweges und Verzuges vor jenem rechtfertigen zu können und diesem das Beweismaterial gegenüber etwaigen Ansprüchen Anderer in die Hände zu geben. Sollten auch andere Personen eine solche Ausfertigung wünschen, so können sie dieselbe auf ihre Kosten in Anspruch nehmen. Ueber diesen Punkt findet sich im Französ. Code Art. 246 nur für den Fall wirklich erlittenen Schiffbruches ausdrückliche Vorschrift, sie ist aber zweckmässig auf jede unregelmässige Ankunft in einem Hafen zu erstrecken. Die in Art. 934 vorgeschriebene Untersuchung und Bestätigung der Angaben des Cäpitains durch die Vernehmung anderer Personen ist im Nothfalle auch hier vorzunehmen. Vgl. auch Code de comm. Art. 247. D. H. G. B. Art. 493.
Art. 933. Die gleiche Vorschrift enthält der Französ. Code de comm. Art. 241, Belg. Gesetz von 1879 Art. 31, Ital. H. G. B. Art. 337. Sie ist von selbst einleuchtend, da das Verlassen des Schiffs in den meisten Fällen den Verlust von Schiff und Ladung zur Folge haben wird. Im allgemeinen ist das Verlassen des Schiffs nur gestattet, wenn dasselbe als verloren anzusehen ist und es sich nur noch um Lebensrettung für Passagiere und Mannschaft handelt; oder wenn dies ein Mittel sein kann, um das Schiff zu retten, z. B. um mit weiterer Hülfe zum Schiff zurückzukehren. Abbott, Treatise p. 545. Es versteht sich ferner von selbst, dass der Capitain, auch wenn er das Schiff aufgibt, retten muss was er noch retten kann, vor allem die Personen, dann aber auch an Sachen womöglich das wichtigste und werthvollste, wie Papiere, Postsachen, Gelder u. dgl. Wenn die Möglichkeit einer solchen Rettung bestand und vom Capitain nicht benutzt wurde, z. B. wenn ein anderes in der Nähe befindliches Schiff zur Rettung mithalf und genügende Zeit vorhanden war, bleibt er dafür haftbar. Bedarride II. Nr. 495.
Art. 934. Wenn ein Schiff aufgegeben werden muss, weil es gescheitert ist, oder wegen eines ausgebrochenen Brandes, der nicht mehr gelöscht werden kann, wegen Zusammenstosses oder aus anderen ähnlichen Gründen, besteht ebenso wie im Falle des Art. 932 die Nothwendigkeit, die Ursache und die näheren Umstände des Unglücks ohne Verzug amtlich zu constatiren und zu diesem Zweck die erforderlichen Vernehmungen und Ermittlungen vorzunehmen, soweit sie den Umständen nach möglich sind, um für die betreffenden Entschädigungsansprüche und etwaigen Bestrafungen den nöthigen Beweis vorzubereiten. Die gleiche Bestimmung enthält der Französ.
Code de comm. Art. 246. 247, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 36. 37, das Ital. H. G. B. Art. 338-340, das D. H. G. B. Art. 490-493. Nach den Englischen Gesetzen von 1854 Art. 432 ff. und vom 15. Aug. 1876 Art. 29 ff. soll über jeden Schiffsunfall eine amtliche Untersuchung vorgenommen werden. Vgl. auch D. H. G. B. Art. 526.
Art. 935. Die gleiche Bestimmung enthält der Französ. Code de comm. Art. 249, das Ital. H. G. B. Art. 342, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 39. Die strengen Grundsätze des Privateigenthums können in Fällen äusserster Noth nicht im vollen Umfange aufrecht erhalten werden, und es muss genügen, dass den betreffenden Eigenthümern ein Ersatz für den Werth des ihnen entzogenen Eigenthums geleistet wird; dieser Ersatz kann auch später, nach der Ankunft im Hafen geleistet werden. Es ist dies ein Fall der Expropriation, der nur dadurch eigenthümlich ist, dass sie für private Bedürfnisse gestattet wird. Sie liegt aber auch im Interesse des Schiffs und der Schifffahrt und sie dient insoferne auch einem öffentlichen Interesse. Es ist gleichgültig, ob die zu vertheilenden Lebensmittel den Schiffsleuten, den Passagieren, oder etwa nicht auf dem Schiffe befindlichen Personen, wie z. B. den Ladungseigenthümern, gehören. Wäre das Schiff durch Verschulden des Capitains nicht gehörig verproviantirt gewesen, so würde dafür zwar der Capitain verantwortlich bleiben, aber die in diesem Artikel eingeräumte Befugniss könnte nichts desto weniger ausgeübt werden, da sie zum Besten der Bemannung und des Schiffs dient. Es ist aber auch möglich, dass die Lebensmittel aus arideren Gründen knapp werden, z. B. wegen ungewöhnlicher Verlängerung der Reise durch widriges Wetter, oder weil unterwegs an ein anderes in Noth befindliches Schiff Lebensmittel abgegeben wurden u. dgl. Der Nothfall muss in einem Schiffsrath constatirt und der Beschluss kann nöthigenfalls auch zwangsweise ausgeführt werden. Jedenfalls ist er auch in das Logbuch einzutragen.
Art. 936. Ebenso verfügt der Französ. Code de comm. Art. 234, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 24, das Ital. H. G. B. Art. 331, das D. H. G. B. Art. 497. 504. Ebenso in England. Abbott, Treatise p. 310 ff. Es wurde bereits oben in Art. 900 der Satz aufgestellt, dass der Capitain in Fällen unabwendbarer Nothwendigkeit sogar das Schiff verkaufen kann. Kann das Schiff aber reparirt werden, und es fehlen nur die nöthigen Mittel dazu oder sie sind auf regelmässigem Wege nicht aufzubringen, so kann der Capitain auch auf den Credit des Schiffs oder der Ladung Anlehen aufnehmen oder auch die letztere verkaufen, immer vorausgesetzt, dass dies zum Besten des Schiffs und der Ladung dient, und dass der Capitain das den Umständen nach am wenigsten nachtheilige und den Betheiligten am meisten nützliche Verfahren einschlägt. Bestimmtere Vorschriften lassen sich in dieser Beziehung nicht aufstellen; es muss vielmehr dem besten Ermessen des Capitains vertraut werden. Um jeden möglichen Betrug oder eine unzulässige Anwendung der dem Capitain hier eingeräumten Befugniss zu verhüten, ist er gebunden, vorher einen Schiffsrath abzuhalten und die Genehmigung der Behörde zu erholen. Dies wird in den meisten Fällen ein Consulat sein, da sich solche Nothfälle wohl meist nur im Ausland ereignen werden. In dem Belgischen und Italienischen H. Gesetzbuch ist den Ladungsinteressenten ein Recht des Widerspruchs eingeräumt, wenn sie einstimmig sich dagegen erklären, und ausserdem zur Ausladung und Bezahlung der Fracht bereit sind. Das gleiche ist für Frankreich in dem Gesetze vom 15. Juni 1841 verfügt worden. Hiegegen lässt sich erinnern, dass das Interesse der Schifffahrt mehr Berücksichtigung verdient, und dass es nicht zu billigen ist, wenn man den Verladern das Recht einräumt, das Schiff einseitig im Stich zu lassen. Die Natur der Seefahrt bringt es vielmehr mit sich, dass Schiff und Ladung während der Reise eine Gemeinschaft bilden und jeder Theil den Interessen des anderen zu dienen verpflichtet ist.
Art. 937. Die Bestimmung in Art. 235 des Französ. Code de commerce, welche gleichwohl noch in dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 25 und, jedoch nicht ohne Abänderung, im Ital. H. G. B. Art. 332 aufgenommen ist, beruht auf der etwas altmodisch gewordenen Voraussetzung, dass der Capitain selbst die Ladung des Schiffes besorgt, sei es auf alleinige Rechnung der Eigenthümer, sei es auf gemeinschaftliche Rechnung mit ihnen. Diese Voraussetzung war zutreffend in früheren Zeiten, wo die Seeschiffe von den Handelsherren auf eigene Rettung ausgerüstet und auf Handelsspeculationen ausgeschickt wurden. Dagegen ist sie neuerdings, in der Periode der Dampfschiffe und grossen Schifffahrtsgesellschaften, nicht mehr zutreffend; vielmehr wird jetzt regelmässig die Seefahrt nur als Transportgeschäft für Rechnung anderer Personen betrieben, und für diese Fälle hätte es keinen Zweck und Sinn, dem Capitain die in Art. 235 des Französ. Code bestimmte Rechnungslegung aufzuerlegen. Vielmehr kann man nur verlangen, dass der Capitain den Schiffseigenthümer in be ständiger Kenntniss erhält von allem, was das Schiff betrifft, insbesondere dem Zustande des Schiffs, den zurückgelegten Reisen und den Begebnissen derselben, den von ihm eingegangenen Fracht-, Anlehensund anderen Verträgen, und von den Einnahmen und Ausgaben auf Rechnung des Schiffes. Diese Berichterstattung, womit zugleich die eigentliche Rechnungslegung zu verbinden ist, muss mindestens beim Antritt jeder Reise von einem fremden Hafen aus, und bei Beendigung jeder Reise gemacht werden; beim Antritt der Reisen vom Heimathhafen aus ist sie offenbar nicht nöthig, weil bis dahin der Eigenthümer selbst zugegen sein und alle nöthigen Geschäfte besorgen wird. Ausserdem aber muss der Capitain wie jeder Stellvertreter so oft Rechnung legen, als es der Eigenthümer von ihm verlangt. Nach den vorstehenden Grundsätzen wurde der gegenwärtige Artikel verfasst, um auf die jetzigen Verhältnisse zu passen; ähnlich ist auch bereits im zweiten Alinea des Art. 332 des Ital. H. G. B. und im D. H. G. B. Art. 503 verfügt.
Art. 938. Das gleiche Verbot enthält der Französ. Code de comm. Art. 251, das D.H.G.B. Art. 514, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 66, das Ital. H. G. B. Art. 350. In alter Zeit war es Sitte, die Schiffsleute nicht mit festen Löhnen abzulohnen, sondern mit einem Antheil an Fracht und Gewinn der Reise, indem man ihnen erlaubte, auf dem Schiffe eine gewisse Quantität Waaren auf eigene oder fremde Rechnung mitzunehmen und am Ankunftsorte zu verkaufen. In der neueren Zeit ist der feste Geldlohn die Regel und der Handel im kleinen, wie er damals getrieben werden konnte, ganz und gar unpractisch geworden. Daher wurde in Frankreich schon durch die Ordonnanz von 1681 das Verladen der Waaren auf Rechnung der Matrosen verboten, im Code de comm. Art. 251 aber auch auf Rechnung des Capitains, soferne die Schiffseigenthümer nicht besonders einwilligten. Dieser historische Rückblick erklärt die Stellung dieses Artikels in dem von der Anwerbung der Schiffsleute handelnden Titel, indem damit eigentlich eine den Lohn der Schiffsbesatzung betreffende Bestimmung gegeben wird. Da nun von dieser Art von veralteter Löhnung in der Gegenwart keine Rede mehr sein kann, so ist auch die Stellung des Artikels in dem genannten Titel grundlos geworden, und es erschien zweckmässiger, das Verbot im Zusammenhang mit den Befugnissen und Verpflichtungen des Capitains auszusprechen.
Ueber die Folgen der Uebertretung des Verbotes sind die verschiedenen Gesetzgebungen unter einander nicht einig, ausgenommen darin, dass keine Confiscation der Waaren zum Vortheil der Schiffseigenthümer stattfinden soll. Nach Französ. Rechte hat der Capitain nur den betreffenden Lohn zu entrichten und allenfallsigen Schaden zu ersetzen (Bedarride II. Nr. 557. Bravard IV. p. 259), obwohl manche, wie z. B. früher schon Valin, und neuerdings Boulay-Paty II. p. 187 anderer Meinung sind. Dies erscheint zu milde, da der Capitain auch die Fracht zahlen muss, wenn die Schiffseigenthümer ein willigen, mithin die Uebertretung des gesetzlichen Verbotes dem Capitain meist weiter keinen Nachtheil bringen würde, was gegen die legislative Vernunft verstossen würde. Daher ist in der Deutschen und Belgischen Gesetzgebung die Strafe der Zahlung des höchsten, resp. doppelten Frachtbetrages ausgesprochen. Allein auch dies, obwohl vergleichsweise logischer, erscheint nicht ganz empfehlenswerth, weil es den Capitain, der von seiner Speculation höheren Gewinn erwartet, nicht genügend abhalten wird, blos mit Rücksicht auf die Fracht davon abzustehen. Daher schien es am richtigsten, hier das gleiche Princip, wie sonst bei ungetreuen Procuristen oder Gehülfen anzuwenden und dem Principal den Gewinn aus der verbotenen Speculation des Capitains zuzusprechen. Vgl. oben Art. 51. Hiernach wird zwar die verbotwidrig eingeladene Waare nicht confiscirt, ihr Einkaufswerth verbleibt dem Capitain, allein der Eigenthümer kann den Gewinn daraus nebst der Fracht beanspruchen, somit die Speculation auf seine Rechnung übernehmen.
Capitel 2. Schiffstaufe.
Art. 939. Der Ausdruck Schiffsleute bezeichnet alle diejenigen, welche für irgend einen Dienst auf einem Schiff angeworben sind und unter dem Commando des Capitains stehen; im einzelnen unterscheidet man gewöhnlich 3 Classen derselben: 1, Schiffsoffiziere, insbesondere Steuerleute, Ingenieure und Maschinisten; 2, die Matrosen in ihren verschiedenen Abstufungen; 3, alle anderen Schiffsbediensteten, wie Heizer, Köche, Aufwärter u. dgl. Alle diese Schiffsleute stehen in rechtlicher Hinsicht unter denselben Gesetzen.
Die Gesetzgebung betreffend die Schiffsmannschaft ist in der neueren Zeit sehr ausführlich geworden. S. z. B. Deutsche Seemanns-ordnung vom 27. Dec. 1872. Das Engl. Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 109—290, und spätere Nachträge. Dann Gesetz vom 26. Febr. 1872 betr. die Musterung der Seeleute. Ital. Gesetz über die Handels flotte vom 25. Juli 1865. Eine Anzahl Französischer Gesetze bei Bedarride II. Nr. 538 Note. Diese Gesetze regeln im Detail die Fähigkeit und die Formen der Anwerbung zum Seedienst, die Lohn- und anderen Ansprüche der Seeleute, die Disciplinarverhältnisse, die Bestrafung der Seeleute, und die Errichtung der Seebehörden. Die meisten dieser Vorschriften fallen in das polizeiliche und administrative Gebiet; in das Handelsgesetzbuch gehören blos diejenigen Bestimmungen, welche das Rechtsverhältniss der Seeleute zum Schiffseigenthümer und anderen Personen auf Grund ihres Dienstvertrages oder ihrer Dienstleistungen zum Gegenstand haben.
Nach den meisten Gesetzgebungen kann nicht Jeder ohne Unterschied zum Seedienst angeworben werden, sondern nur diejenigen, welche die gesetzlichen Vorbedingungen hiefür erfüllt haben. In Frankreich besteht in dieser Beziehung die inscription maritime, derzufolge nur solche, die als Seeleute immatriculirt sind, engagirt werden dürfen. In Deutschland nach der Seemannsordnung von 1872 darf nur derjenige als Schiffsmann angeworben werden, der von einem Seemannsamte nach Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen ein Seefahrtsbuch ausgefertigt erhalten hat. Für den gleichen Zweck der Registrirung der Seeleute bestehen Seebehörden (shipping offices) in England. Merch Shipp. Act 1854 Art. 124. Diese wie andere dergleichen Vorschriften müssen jedoch der administrativen Gesetzgebung vorbehalten bleiben.
Der Entwurf stellt zunächst in Uebereinstimmung mit den übrigen Gesetzgebungen zwei nothwendige Erfordernisse für die Anwerbung von Seeleuten auf: sie muss 1, schriftlich und 2, vor einer hiezu bestimmten Behörde geschehen. Diese Behörde ist im Inlande die Seebehörde des Orts der Anwerbung, oder eine andere mit diesen Geschäften betraute Behörde; im Auslande die Consulatsbehörde. Die Anwerbung wird also dadurch perfect, dass die Namen der Con-trahenten und die Bedingungen des Vertrages in eine hiefür bestimmte Urkunde (Schiffsrolle, Musterrolle, rôle d'équipage) amtlich eingetragen werden. Diese Schiffsrolle gehört zu den Schiffspapieren und muss nach Art. 928 bei jeder Reise an Bord sich befinden.
Die Musterrolle muss enthalten : den Namen und die Nationalität des Schiffes, Namen und Wohnort des Capitains, Namen, Wohnort und dienstliche Qualität jedes Schiffsmanns und die einzelnen Bedingungen des Vertrages, insbesondere die Zeitdauer des übernommenen Dienstes und den Betrag des Lohnes und anderweitiger Remunerationen. Wird die Zeitdauer nicht besonders erwähnt, so gilt der Vertrag als für die betreffende Reise einschliesslich der Rückkehr abgeschlossen. Das Vertragsverhältniss kommt zwar durch den Capitain zu Stande, es besteht aber zwischen den Schiffsleuten und dem Schiffseigenthümer; der letztere hat der richtigen Ansicht nach das Recht, aus genügenden Gründen ein anderes Schiff oder einen anderen Capitain zu substituiren. Bedarride II. Nr. 548.
Die Anwerbung erfolgt auf Grund einer vorausgehenden Vereinbarung, die zwar an sich gültig und verbindlich ist, aber zunächst die Schiffsleute nur dazu verpflichtet, sich zur Anwerbung zu stellen und die vereinbarten Bedingungen behufs Aufnahme in die Schiffsrolle anzuerkennen. Diese Vereinbarung kann überall und in jeder beliebigen Form eingegangen werden, die Anwerbung dagegen nur vor einer Seebehörde in der gesetzlich bestimmten Form. Die Seebehörde braucht nicht nothwendig die Behörde des Hafens zu sein, wo das Schiff augenblicklich liegt; es kann vielmehr die Mannschaft eines Schiffes auch an einem anderen Orte angeworben werden, so namentlich für ein im Ausland befindliches Schiff in einem inländischen Orte. Wenn nur einzelne Schiffsleute nachträglich angeworben werden, geschieht dies in gleicher Weise, mittelst eines Nachtrages zur Schiffsrolle.
Die Schiffsrolle enthält die amtliche Aufzeichnung der vertragschliessenden Personen und des Inhaltes des Vertrages; die persönliche Unterschrift der Betheiligten ist nicht erforderlich, kann jedoch durch den Gebrauch eingeführt werden. Die Entlassung aus dem Dienstver-hältniss erfolgt in derselben Weise, wie die Eingehung desselben, nämlich durch die entsprechende Erklärung vor der Seebehörde, welche sodann die Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schiffsrolle amtlich beglaubigt. D. Seemannsordnung von 1872 § 16. 20. Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 170. Ital. H. G. B. Art. 347.
In manchen Gesetzgebungen ist auch vorgeschrieben, dass dem Schiffsmann bei seiner Entlassung ein schriftliches Zeugniss zu ertheilen und der Lohn vor der Seebehörde auszubezahlen sei. Dass der entlassene Schiffsmann, wie jeder Diener, ein Zeugniss verlangen kann, versteht sich von selbst; das nähere muss jedoch den administrativen Verordnungen überlassen bleiben.
Art. 940. Ebenso bestimmt der Französ. Code de comm. Art. 250, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 47, das Ital. H. G. B. Art. 344, Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 12. 25. 27. Regelmässig muss die Schiffsrolle Auskunft geben über den Inhalt des Anwer bungsvertrages; ist jedoch dieselbe verloren gegangen, oder dunkel oder unvollständig, oder sind in gewissen Fällen noch, namentlich mit einzelnen Schiffsleutcn, besondere Verabredungen getroffen worden, so sind dieselben gleichfalls als verpflichtend anzusehen. Auch der Gebrauch und die Ortsüblichkeit, insbesondere wenn sie von der Seebehörde selbst bezeugt werden, so in Betreff des üblichen Schiffslohnes, der üblichen Schiffskost u. dgl. sind bindend (Bedarride II. Nr. 545), obgleich sie in dem Französischen Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt sind. Dass die besonderen Verträge schriftlich oder sogar, wie das Italienische Gesetz vorschreibt, gleichfalls vor der Behörde förmlich beglaubigt werden, lässt sich vernünftiger Weise nicht begründen, weil dadurch der Gegensatz zur Schiffsrolle fast ganz verschwinden würde. Auch in dem Engl. Gesetz von 1854 Art. 165 ist den Schiffsleuten jede Art des Beweises der besonders getroffenen Verabredungen freigegeben.
Durch den üblichen Gebrauch müssen sich insbesondere die Dienstverpflichtungen der Seeleute jeder Classe im einzelnen Detail bestimmen. Dieselben beziehen sich sowohl auf den eigentlichen Schiffsdienst, also die zur Navigation gehörenden Verrichtungen, als auch auf die Aus- und Einladung der Waaren, die Reinigungs-, Ausbesserungsarbeiten u. dgl. Hier besteht nur der Grundsatz, dass jeder Schiffsmann nicht nur zu den gewöhnlich ihm obliegenden und regelmässig vorkommenden, sondern auch zu ausserordentlichen Dienstleistungen verpflichtet ist, und dafür keine besondere Vergütung verlangen kann, selbst wenn sie ihm ausdrücklich versprochen wurde. Dies ist schon bei gewöhnlichen Dienstboten die Regel, beim Schiffsdienste aber ist es in unbeschränkter Weise ganz nothwendig, weil hier die Gefahren der Schifffahrt und die manchfaltigen Wechselfälle des Seelebens leicht das Bedürfniss ausserordentlicher Anstrengungen und des gegenseitigen Ersatzes aller Dienstleistungen herbeiführt. Daher sind alle Schiffsleute, ohne Unterschied zu welcher Classe sie gehören, zu jeder Art von Dienstleistung auf dem Schiffe im Falle der Noth verpflichtet und müssen jeden Befehl des Capitains unweigerlich vollziehen, ohne dafür eine Extravergütung beanspruchen zu können. Es muss also unter Umständen Tag und Nacht gearbeitet werden, Köche und Aufwärter müssen Matrosendienste leisten, Matrosen müssen als Handwerker fungiren etc. Auch kann im Fall der Noth eine Verminderung oder Aenderung der Kost, der Getränke etc. vorgeschrieben werden. D. Seemannsordnung von 1872 Art. 30. 32. Insbesondere ist jeder Schiffsmann verpflichtet, zur Rettung in Seegefahr oder zur Verteidigung vor dem Feinde alles zu thun, was in seinen Kräften steht, und verliert, wenn er dies unterlässt, seinen Anspruch auf Lohn. Engl. Merch. Shipp. Act 1854 Art. 183. 186.
Art. 941. Während der Capitain jederzeit ohne Entschädigung entlassen werden kann (Art. 907), besteht in Ansehung der Schiffsleute allgemein das entgegengesetzte Princip. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass einmal Schiffsleute nicht die eminente Vertrauensstellung des Capitains einnehmen, und sodann dass sie mehr der Willkür ausgesetzt sind und bei ihrem geringen Bildungsgrad und der Harmlosigkeit des seemännischen Characters eines gesetzlichen Schutzes bedürfen. Vgl. Französ. Code de comm. 252-257. 270. Ital. H.G.B. Art. 351 ff. 374. Belg. Gesetz von 1879 Art. 48-53. 62. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 58. 59. Engl. Gesetz von 1854 Art. 167. Im Entwurfe werden nun die ziemlich verwickelten und nicht ganz klaren Bestimmungen der Französischen und der dieser gefolgten Gesetzgebungen nicht adoptirt, sondern es wird statt dessen ein einfaches und allgemeines Princip aufgestellt, welches in allen Fällen gleichmässig zur Anwendung kommen soll und auch leicht in Anwendung zu bringen ist. Dieses Princip, welches namentlich in der Englischen, in der Hauptsache auch in der Deutschen Gesetzgebung enthalten ist, besteht darin, dass die Entschädigung der Hälfte des durch die ungerechte Entlassung dem Schiffsmann entzogenen Lohnes gleichkommen, aber nie mehr als einen vollen Monatslohn betragen soll. Man darf annehmen, dass binnen Monatsfrist Schiffsleute leicht wieder einen anderweitigen Dienst finden, somit durch die Entlassung voraussichtlich nicht brodlos gemacht und ins Elend gestossen werden. Andererseits liegt darin zwar eine genügende Schranke gegen unbegründete Entlassung, aber sie darf auch nicht zu weit ausgedehnt werden, um der Freiheit in der Auswahl passender Schiffsleute nicht zu viel Raum zu nehmen.
Voraussetzung für die Entschädigung ist die Entlassung ohne genügenden Grund. Dies ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden, insbesondere nach Analogie der in Art. 64 aufgestellten Grundsätze. Genügende Gründe der Entlassung sind also namentlich in dem Verhalten oder in den Eigenschaften der Schiffsleute zu suchen, wie z. B. Ungehorsam, Widersetzlichkeit, Verübung strafbarer Handlungen, schuldhafte Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit, und Mangel der zur Erfüllung der übernommenen Dienstpflichten nöthigen Qualification. Code civil Art. 1184. 1741.
Eine andere Frage ist, ob die Schiffsleute rechtmässig entlassen werden ohne Verschulden auf ihrer Seite, wenn der Schiffseigenthü-mer ihre Dienste nicht mehr bedarf oder gebrauchen will. Dies ist im allgemeinen nicht gestattet, da man nicht beliebig von einem rechtsverbindlichen Vertrage einseitig zurücktreten kann. Will also der Schiffseigenthümer resp. der Capitain die betreffende Reise nicht antreten, oder abkürzen, oder abändern, so berechtigt ihn dies nicht zur Entlassung seiner angeworbenen Schiffsmannschaft, und er muss daher in solchen Fällen die gesetzliche Entschädigung zahlen. Nur darin stimmen die verschiedenen Gesetzgebungen überein, dass diese Entschädigungspflicht nicht besteht, wenn die Reise durch eine Verfügung der Staatsgewalt unmöglich gemacht wird. In solchen Fällen trifft den Eigenthümer oder Capitain kein Verschulden, er erleidet ohnedem voraussichtlich durch die Unterbrechung der Seefahrt Verluste, und es wäre ungerecht, ihm auch noch die Entschädigung der Schiffsleute aufzubürden. Solche Verfügungen der Staatsgewalt ergehen hauptsächlich in Kriegszeiten, durch Handelsverbote, Embargo etc. Franz. Code de comm. Art. 253. Belg. Gesetz von 1879 Art. 49. D. Seemannsordnung von 1872 Art. 57. Ital. H. G. B. Art. 352. 353. Bedarride II. Nr. 622 ff.
Das Französische und andere Gesetzbücher unterscheiden zwischen Entlassung wegen Unterlassung oder Unterbrechung der Reise, und wegen anderer Gründe, und lässt in den letzteren Fällen nur einen Entschädigungsanspruch gegen den Capitain zu. Dies scheint aber nicht zu billigen, da der Schiffseigenthümer durchweg vom Capitain vertreten wird und für dessen Handlungen haftet. Auch die weiteren Bestimmungen, dass die Schiffsleute vor dem Abschluss der Schiffsrolle ohne alle Entschädigung entlassen werden können, und dass eine Entlassung im Auslande nicht zulässig ist, erscheinen nicht nachahmenswerth. Allerdings kommt die Anwerbung erst durch die amtliche Einzeichnung in die Schiffsrolle zur Perfection, allein die vorhergehende Verabredung ist für beide Theile bindend und es gebührt dem Schiffsmann, dessen Annahme verweigert wird, nachdem er vielleicht von weither gereist ist, schon nach allgemeinen Grundsätzen eine Entschädigung. Die zweite Bestimmung ist auch in Frankreich bereits durch die Verordnung vom 29. Oct. 1833 insoweit abgeändert worden, als mit Genehmigung des Consuls eine Entlassung aus rechtmässigen Gründen stattfinden kann. Bravard IV. p. 320.
Art. 942. Es ist ein allgemein anerkanntes Princip, dass Seeleute nicht an einem fremden Orte hülflos ausgesetzt werden dürfen ; zur Entschädigung wegen des Lohnes tritt daher in solchen Fällen noch die Vergütung für die Heimreise, soferne nicht die Gelegenheit dazu auf einem anderen Schiffe direct verschafft wird. Die Lohnentschädigung wäre offenbar unvollständig oder wirkungslos, wenn entlassene Seeleute dieselbe für die Kosten der Heimreise auszugeben hätten. Code de comm. Art. 252. Belg. Gesetz von 1879 Art. 48. Ital. H. G. B. Art. 351. D. Seemannsordnung von 1872 Art. 59. Dieser Anspruch besteht nur dann, wenn Seeleute ohne genügenden Grund während einer Reise entlassen werden, und nicht blos dann, wenn sie ohne eigenes Verschulden entlassen werden; daher ist diese Entschädigung nicht zu geben, wenn die im zweiten Absatz des vorhergehenden Artikels bezeichneten Veranlassungen eingetreten sind. Nach Art. 66 der Deutschen Seemannsordnung wird dem Anspruch auf freie Rückbeförderung schon dadurch genügt, dass dem entlassenen Schiffsmann ein entsprechender Dienst auf einem nach dem betreffenden Hafen gehenden Schiffe nachgewiesen wird.
Es bestehen übrigens noch ausserdem Gesetze, nach welchen die Handelsschiffe im Auslande verpflichtet sind, hilfsbedürftige Nationale nach Anweisung einer See- (Consulats-) behörde von dort nach der Heimath mitzunehmen. Deutsch. Gesetz vom 27. Dec. 1872. Französ. Decrete vom 7. April 1860 und 14. Sept. 1864. Bravard. IV. p. 264. Engl. Gesetz von 1854 Art. 205—213. In England ist der Capitain, welcher im Ausland einen Schiffsmann ohne rechtmässigen Grund aussetzt, eines Vergehens schuldig.
Art. 943. Auch diese Bestimmung, welche offenbar der Billigkeit entspricht, findet sich schon in den anderen Gesetzgebungen. Eine Seereise ist so sehr wechselnden Umständen und manchfachen Gefahren ausgesetzt, dass sie möglicher Weise auf die doppelte und dreifache der gewöhnlichen Zeit und noch mehr verlängert werden kann. Eine Reise von Yokohama nach Nagasaki z. B. kann unter günstigen Umständen mit einem Segelschiff in 5 Tagen zurückgelegt werden; es kommt aber auch vor, dass sie bei andauernd widrigen Winden 30 Tage und länger dauert. In solchen Fällen kann man offenbar nicht beim Buchstaben des Vertrages stehen bleiben, der für die Reise, ohne Rücksicht auf ihre Dauer, einen bestimmten Lohn bedingt, sondern es muss der Lohn im Verhältniss der längeren Dauer der Reise erhöht werden, Code de comm. Art. 255. Belg.
Gesetz von 1879 Art. 51. Ital. H. G. B. Art, 354. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 54.
Unter Verlängerung der Reise ist hauptsächlich zu verstehen die absichtliche Abänderung der vertragsmässigen Reise, gleichviel ob aus Gründen des Wetters, oder aus anderen, z. B. mercantilen oder politischen Gründen, entweder so, dass ein Umweg gemacht wird, um inzwischen noch andere Häfen zu berühren, oder so dass ein neuer, entfernterer Bestimmungsort aufgesucht, oder nach dem ersten noch ein zweiter anderer Bestimmungsort aufgesucht wird u. dgl. In solchen Fällen soll die Mannschaft nicht das Recht haben, das Schiff zu verlassen, obgleich sie nach dem Buchstaben des Vertrages dazu berechtigt wäre, sondern verpflichtet sein länger zu dienen, jedoch gegen entsprechenden zusätzlichen Lohn für die längere Dienstzeit. Dass jedoch die betreffende gesetzliche Bestimmung nur von solchen Fällen zu verstehen sei, wie Bedarride II. Nr. 574 und Bravard IV. p. 273 behaupten, lässt sich kaum annehmen, und wird auch von Bedarride II. Nr. 576 nicht principiell festgehalten. Der einzige Massstab kann sein die Verlängerung der Diensteszeit über das gewöhnliche oder durchschnittliche Mass, und es wäre offenbar unbillig, den Schaden einer einfachen Verlängerung der Reise durch langsamere Fahrt den Matrosen aufzubürden und ihnen z. B. für 3 monatliche Arbeit nur einmonatlichen Lohn zu zahlen.
In dem Französ. und in anderen Handelsgesetzbüchern wird im umgekehrten Falle einer Abkürzung der Reise ausdrücklich bestimmt, dass eine entsprechende Verkürzung des Lohnes nicht eintreten soll. Der Entwurf enthält darüber keine besondere Bestimmung, da die Anwendung des in Art. 941 aufgestellten Princips hier vollkommen genügt. Wird die vertragsmässige Reise vollständig, jedoch in ungewöhnlich kurzer Zeit zurückgelegt, so gebührt den Schiffsleuten bei ihrer Entlassung der volle bedungene Lohn, wenn dieser für die ganze Reise festbestimmt war. Wird aber die Reise abgekürzt durch Wahl eines näheren Bestimmungsortes, so fragt es sich, ob die dann erfolgende Entlassung der Schiffsleute mit oder ohne genügenden Grund stattfand. Im ersten Falle gebührt ihnen nur der Lohn bis zum Zeitpunkt der Entlassung, im zweiten Falle die in Art. 941 normirte Entschädigung.
Art. 944. Das gleiche Princip ist anerkannt im Französ. Code de comm. Art. 258. 259 und im Ital. H. G. B. Art. 359. Auch nach Engl. Recht war dieses Princip früher in Geltung, es wurde jedoch durch das Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 185 abgeändert. Nach der Deutschen Seemannsordnung von 1872 Art. 56 gebührt jedoch den Schiffsleuten in den Fällen von Schiffbruch, Wegnahme oder eingetretener Seeuntüchtigkeit der bis zu diesem Zeitpunkt verdiente Lohn und die freie Zurückbeförderung, ebenso nach dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 54, ausgenommen wenn sie nicht alles, was in ihren Kräften stand, zur Rettung des Schiffes gethan haben. Da letzteres in den meisten Fällen schwer zu beweisen sein wird, und im Interesse der Disciplin und der Sicherheit der Schifffahrt, verdient jedoch die Bestimmung des Französischen Gesetzbuches den Vorzug, und sie wurde desshalb im Entwürfe adoptirt. Dagegen hängt der Anspruch auf Schiffslohn nicht ab von der Einnahme von Frachtgeldern, vielmehr ist dies eine Sache der Geschäftsführung, die den Schiffseigenthümer allein angeht. Engl. Gesetz von 1854 Art. 183. Abbott, Treatise p. 464.
Art. 945. Da die Schiffsleute zu jeder ausserordentlichen Dienstleistung für das Schiff oder die Ladung verpflichtet sind, wohin auch jede Art von Rettungsthätigkeit gehört, ist es nicht mehr als billig, dass sie hiefür ebenso wie für den gewöhnlichen Schiffsdienst belohnt werden. Code de comm. Art. 261. Ital. H. G. B. Art. 362. Belg. Gesetz von 1879 Art. 56. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 32.
Art. 946. Nach gewöhnlichen Grundsätzen (vgl. oben Art. 62—64) wird der Dienstvertrag durch Erkrankung oder sonstige Verletzung des Bediensteten während der Dienstzeit nicht beendigt, auch wenn dadurch der Bedienstete zur zeitweisen Ausübung seiner Verrichtungen unfähig wird; jedoch hat der Dienstherr die Kosten der Heilung und Verpflegung nicht zu bestreiten. Letzteres findet allgemein eine Ausnahme zu Gunsten der Schiffsleute, da sie durch die Natur ihres Dienstes eher körperlichen Unfällen ausgesetzt sind und namentlich während der Reise nicht hülflos gelassen werden dürfen. Es ist daher in allen Gesetzgebungen bestimmt, dass erkrankte oder verwundete Schiffsleute auf Kosten des Schiffes zu verpflegen sind, ausgenommen wenn sie sich die Erkrankung oder Verletzung durch eigenes Verschulden zugezogen haben, so z. B. absichtlich, um sich dem Diense zu entziehen, oder durch unerlaubte Handlungen, Schlägereien oder Vergehungen, oder auch wenn sie auf unsittlichen Wegen dazu gekommen sind, wie namentlich durch syphilitische Ansteckung, die gerade bei Schiffsleuten nicht selten eintritt. Code de comm. Art. 262—264. Belg. Gesetz von 1879 Art. 57—59. Ital. H. G. B. Art. 363—366. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 48—50. Engl. Gesetz von 1854 Art. 228. Gesetz vom 20. Aug. 1867 Art. 7. 8. Nach dem letzteren Gesetze soll jedoch der durch eigenes Verschulden erkrankte Schiffsmann nur den Anspruch auf Lohn verlieren.
Ueber die Zeitdauer dieser Verpflichtung ist in dem Französ. Gesetzbuch nichts ausgedrückt, woraus der Schluss folgt, dass sie zeitlich nicht begrenzt ist, mithin so lange dauert als die Krankheit selbst. Es hat sich zwar in manchen Gegenden der Gebrauch gebildet, die Krankheitskosten nur für einen vierzigtägigen Zeitraum zu bestreiten, allein dies ist durch eine Staatsraths Verordnung- vom 27. Aug. 1839 für gesetzwidrig erklärt worden, Bedarride II. Nr. 600. Bravard IV. p. 298. Jedoch hat diese unbegrenzte Verpflichtung schon längst sehr lebhaften Widerspruch gefunden, und es wurde in den Jahren 1875 und 1876 ein Gesetzentwurf vorgelegt, nach welchem die Verpflichtung der Verpflegung und der Lohnzahlung auf eine bestimmte Summe und bez. auf höchstens 4 Monate beschränkt werden sollte. Alauzet, Comment. V. p. 265. In der Deutschen Seemannsordnung von 1872 Art. 48 ist die Verpflichtung hinsichtlich der Verpflegung auf 3 oder 6 Monate begrenzt, je nachdem der Kranke sich in einem einheimischen oder ausländischen Hafen befindet. Im Entwurfe hat man ein Maximum von 3 Monaten für genügend befunden, da zeitweise Krankheiten selten länger andauern, und man dem Schiffseigenthümer nicht wohl zumuthen kann, einen Matrosen, der zufällig in seinem Dienst in eine langwierige Krankheit fällt, deren Keime vielleicht lange vorher in ihm lagen, auf lange Zeit hinaus oder vielleicht auf Lebenszeit ohne irgend eine Gegenleistung von dessen Seite verpflegen zu müssen. Die Art der Verpflegung ist nach der Natur des Falles zu bestimmen. Sie kann entweder auf dem Schiffe vor sich gehen und für diese Fälle müssen auf jedem Schiffe gewisse Heilmittel und Privat-Apotheken gehalten werden; es kann auch, namentlich bei ansteckenden Krankheiten, nothwendig sein, den Kranken bei erster Gelegenheit ans Land zu setzen, wo sodann für dessen genügende Unterkunft gesorgt und der nöthige Geldvorschuss zurückgelassen werden muss. Ohne Zweifel haben solche erkrankte Matrosen auch Anspruch darauf, nach ihrer Heilung an den Abfahrtshafen, oder wenn sie den Dienst fortsetzen können, an den jeweiligen Aufenthaltsort des Schiffes befördert zu werden. Im Fall ihres Todes muss ihnen auch ein passendes Begräbniss gewährt werden.
Sollte trotz dieser wohlwollenden Bestimmung ein erkrankter Seemann, insbesondere im Auslande, in Noth gerathen und hülflos werden, so würde man diese Last nicht seinem zufälligen Dienstherrn ausschliesslich aufbürden können, sondern es wäre Pflicht der Regierung, sich seiner anzunehmen und ihn aus öffentlichen Mitteln zu unterstützen.
Da durch die Erkrankung der Dienstvertrag an sich nicht zu Ende geht, so dauert auch der Lohnanspruch des Erkrankten fort, obgleich er zu Arbeiten und Dienstleistungen nicht fähig ist; es dürfen mithin die Kosten der Krankheit nicht etwa an seinem Lohne abgezogen werden. Bei kurzen vorübergehenden Erkrankungen auf Tage oder Wochen macht dies keine Schwierigkeit; sollte aber die Krankheit lange andauern oder gar unheilbar sein, so kann man offenbar eine so grosse Last ohne Gegenleistung den Schiffseigenthümern nicht aufbürden, und in der Fürsorge für die Matrosen nicht die Schifffahrt zu sehr überbürden. Die Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 49 hat darüber ausdrücklich je nach Verschiedenheit der Fälle verschiedene Vorschriften gegeben, die jedoch kein klares Princip erkennen lassen. In der Französischen und in anderen Gesetzgebungen wird der Lohnanspruch einfach dem Verpflegungsanspruch gleichgestellt. Dadurch ist aber auch dieser Punkt hinsichtlich der Zeitdauer ins ungewisse gestellt. Im Entwurfe wurde darüber nichts ausdrücklich erwähnt, und damit angedeutet, dass dies nach allgemeinen Grundsätzen zu beurtheilen sei. Der Regel nach wird daher allerdings der Lohnanspruch mit den übrigen in diesem Artikel bezeichneten Ansprüchen zugleich sich endigen, also regelmässig nach dem Ablauf von 3 Monaten, wenn die Krankheit so lange dauert. Indessen können doch Fälle eintreten, in denen der Dienstvertrag trotz der fortdauernden Krankheit als beendigt angesehen werden muss, z. B. wenn die Erkrankung kurz vor dem Ende der Reise beginnt und der Kranke mit dem Schiff zurückkehrt. Hier muss ihm zwar auf 3 Monate Verpflegung gewährt werden, allein da der Dienstvertrag mit der Reise sich endigt, so wäre es unbillig, den Matrosen noch einen weiteren Lohnanspruch bis auf 3 Monate zu gewähren; ebenso wenn etwa der Kranke anderswo zurückgelassen werden musste, allein die Reise wäre früher zu Ende gegangen als seine Krankheit. Daher ist in Betreff dieses Punktes der Entwurf in dem Sinne zu verstehen, dass erkrankte Seeleute auch einen 3 monatlichen Lohnanspruch haben, wenn nicht der Dienstvertrag wegen Beendigung der Reise oder aus anderen Gründen früher zu Ende geht; dagegen der 3 monatliche Verpflegungsanspruch wird durch die Beendigung des Dienstvertrages nicht berührt, da man im allgemeinen annimmt, dass die Krankheit etc. aus Anlass des Dienstes entstanden ist.
Nach der Französ. Gesetzgebung sollen diese Ansprüche nur bestehen, wenn die Erkrankung etc. während der Reise eingetreten ist. Dies erscheint jedoch nicht gerecht, da Seeleute auch schon vorher wochenlang im Dienst gewesen sein und sich durch Ueber-arbeiten etc. beschädigt haben können; überhaupt kann zwischen dem Dienst im Hafen und auf hoher See kein so strenger Gegensatz gefunden werden, besonders für Maschinisten, Köche, Aufwärter und alle anderen Classen von Seeleuten, die nicht gerade mit den Verrichtungen der Segelfahrt betraut sind.
Art. 947. Analoge Bestimmungen enthält die Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art, 51. Französ. Code de comm. Art. 265, Belg. Gesetz von 1879 Art. 60. Ital. H. G. B. Art. 368. Das gleiche Princip herrscht auch in der Engl. Gesetzgebung. Schifff. Gesetz von 1854 Art. 184. 194 ff. Abbott, Treatise p. 468. Es erschien zweckmässig, die auch hier etwas zu complicirten Vorschriften des Französ. Gesetzbuches nicht nachzuahmen, und insbesondere zwischen der Anwerbung für eine bestimmte Reise oder auf Zeit keinen Unterschied zu machen, sondern einfach den Grundsatz hinzustellen, dass durch den Tod der Dienstvertrag sich auflöst, mithin auch der Lohnanspruch aufhört, dass aber in Fällen des Todes der letztere nicht davon abhängen soll, dass der betreffende Seemann mit dem Schiffe glücklich zurückkehrt. Indessen findet auch hier der Art. 944 Anwendung, wornach wenn das Schiff überhaupt nicht die Reise glücklich beendigt, auch kein Lohn den Schiffsleuten gebührt, mithin auch nicht den vorher Gestorbenen oder Getödteten, da diese durch ihren früheren Tod nicht besser gestellt werden dürfen, als die übrigen, welche bis zum letzten Augenblick gearbeitet haben.
Ueber die Gefangennahme von Schiffsleuten wurde im Entwurfe nichts gesagt, da sie in neuerer Zeit nur selten vorkommen wird, und nach allgemeinen Grundsätzen von selbst beurtheilt werden kann. Die Wegnahme eines Schiffes endigt offenbar die Reise und zwar in Folge einer staatlichen Gewalthandlung; sie muss daher nach Art. 941 als ein rechtmässiger Grund der Auflösung des Dienstvertrages angesehen werden, es gebührt mithin den Schiffsleuten der Lohn bis zum Zeitpunkt der Gefangennahme. Siehe auch Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 56.
Die Begräbnisskosten im Dienst verstorbener Seeleute anlangend, so werden diese in dem angef. Deutschen Gesetze Art. 51 in allen Fällen dem Schiffseigenthümer aufgebürdet; doch dürfte sich dies nur für die Fälle rechtfertigen, wenn der Schiffsmann auf See oder im Auslande begraben wird. Vgl. auch die Französ. Verordnung vom 29. Oct. 1833.
Art. 948. Die Schiffsleute sind, nachdem sie rechtsgültig angeworben wurden, verpflichtet den Contract zu erfüllen, und zu diesem Zweck vor allem an dem verabredeten Tage oder auf die erste Aufforderung des Capitains sich auf das Schiff zu begeben und ihren Dienst anzutreten. Dies kann sein entweder unmittelbar beim Antritt der Reise, oder auch schon vorher, um bei der Ladung, bei der Ausrüstung etc. mitzuarbeiten. Ohne Erlaubniss dürfen die Matrosen das Schiff niemals verlassen, insbesondere sich nicht auf kürzere oder längere Zeit ans Land begeben, da sie in jedem Augenblick zum Dienst aufgerufen werden können. Auch ist es selbstverständlich, dass sie sich keiner ihnen vom Capitain übertragenen Dienstleistung entziehen oder sonst ungehorsam oder widersetzlich sein dürfen. Diese und andere Pflichtverletzungen bilden den Thatbestand von Vergehungen, welche der Capitain mittelst Anwendung der ihm zustehenden Disciplinargewalt unterdrücken kann und welche überdies einer richterlichen Bestrafung unterliegen. Vgl. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 81—103. Englisches Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 243 ff. Diese Strafbestimmungen gehören in ihrem Detail der polizeilichen Gesetzgebung an, es wurde aber im Princip in Art. 950 auch die Ausübung der Disciplinargewalt des Capitains und der richterlichen Strafgewalt ausgesprochen. Einfachere Pflichtverletzungen werden disciplinarisch mittelst Verlust des Lohnes auf 1 oder mehrere Tage, mit Arrest u. dgl. gestraft. Die grösseren Vergehungen meist mit Gefängniss je nach der Schwere des Falles, insbesondere offene Widersetzung und Verübung von Gewaltthätigkeiten, soferne nicht ausserdem noch ein schwereres Verbrechen, wie z. B. Mord u. dgl. mitunterläuft.
In civilrechtlicher Hinsicht berechtigt nun die einfache Pflichtverletzung hier so wenig zur Aufhebung des Vertrages, wie bei jedem anderen Dienstverhältniss. Die Natur des Schiffsdienstes bringt es aber mit sich, dass dem Capitain stärkere Zwangsmittel gewährt werden, damit die Schifffahrt nicht durch den Geist des Ungehorsams gestört und in Unordnung gebracht werden könne. Hiezu dient einmal die Anwendung der disciplinären Gewalt, die dem Dienstherrn gegenüber gewöhnlichen Dienstboten nicht zusteht; sodann das Recht, Schiffsleute, welche dauernd dem Dienst sich entziehen, mit Zwang zu ihren Pflichten zurückzubringen; endlich gewisse Rechtsnachtheile als Folgen der Dienstverweigerung, wie der Verlust des Lohnanspruches, ja sogar nach manchen Gesetzen, wie z. B. in England, die Verwirkung der von entlaufenen Matrosen zurückgelassenen Kleider und anderen Effecten. Engl. Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 243. 246 ff. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 29. 30. 81 ff. Abbott p. 134. 481.
Als Desertion ist es nicht anzusehen, wenn der Schiffsmann aus einem rechtmässigen Grunde den Antritt oder die Fortsetzung des Dienstes verweigert, wie namentlich wegen Krankheit oder Schwäche, wegen nachgewiesener Seeuntüchtigkeit des Schiffes etc. Früher hat man auch Verheirathung und den Erwerb eines eigenen Schiffes als rechtmässige Weigerungsgründe angesehen, doch gilt dies in neuerer Zeit nicht mehr. Bedarride II. Nr. 547.
Art. 949. Aehnlich verfügt auch der Französ. Code de comm. Art. 272. Belg. Gesetz von 1879 Art. 64. Ital. H.G.B. Art. 380. In diesen Gesetzen werden ausdrücklich genannt die Bestimmungen über den Lohnbezug, Verpflegung und Rückkauf oder Rückbeförderung, welche demnach gleichmässig für die gemeinen Schiffsleute wie für die Offiziere und den Capitain selbst gelten sollen. Nach Bedarride II. Nr. 539 soll dies nur in den Fällen der Erkrankung, der Verwundung oder des Todes der Fall sein; diese Beschränkung liegt aber nicht im Wortlaut des Gesetzes und wird auch von anderen Schriftstellern nicht gebilligt. Alauzet, Comment. V. Nr. 1829. Die Absicht des Gesetzes geht dahin, den Capitain und die Offiziere in allen Beziehungen den einfachen Matrosen gleichzustellen, soweit nicht ausdrücklich eine Ausnahme gemacht wird oder natürlicher Weise gemacht werden muss. So erklärte sich auch bereits Valin in seinem Commentar zur Ordonnanz (von 1668) III. 4. Art. 21. Ausdrücklich ist z. B. bestimmt, dass der Capitain jederzeit ohne Entschädigung entlassen werden kann (Art. 907); ausserdem folgt von selbst, dass der Capitain nicht mittelst der Schiffsrolle angestellt wird, dass der mit ihm abgeschlossene Contract auch nicht nach dem Inhalt derselben beurtheilt werden kann. Dagegen steht nichts im Wege, die Art. 942 und 943 im Falle der Entlassung im Ausland und der Verlängerung der Reise auch auf den Capitain anzuwenden; ebenso den Schlusssatz des Art. 940, wornach auch dem Capitain für ausserordentliche Dienstleistung keine Extra-Vergütung gebührt. Nicht minder sind auf den Capitain anwendbar die Artikel 944—947.
Art. 950. Der Capitain muss eine weit gehende Disciplinarge-walt besitzen, um Schiff und Ladung gegen die nachtheiligen Folgen des Ungehorsams oder gar der Widersetzlichkeit im Dienste zu beschützen; er kann daher alle Massregeln ergreifen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Regelmässigkeit des Dienstes, sowie zur Sicherheit des Schiffes, der Ladung und der Personen erforderlich sind. Die herkömmlichen Disciplinarstrafen sind gewisse Erschwerungen oder Steigerungen des Dienstes, Schmälerung der Kost, auch Fesselung, Einsperrung und sonstige körperliche Zwangsmittel. Das Recht der körperlichen Züchtigung und der Einsperrung wird ihm neuerdings abgesprochen, doch kann er diese Mittel unzweifelhaft als Sicherheitsmassregeln anwenden. Alle Disciplinarund Straffälle müssen in das Logbuch eingetragen werden. Die Verhängung der richterlichen Strafen steht den hiefür bestimmten Seebehörden oder Gerichten zu. Deutsche Seemannsordnung von 1872 Art. 72 ff. Engi. Schifff. Gesetz von 1854 Art. 239.260 ff. Die Festsetzung der einzelnen Straffalle und der hiefür dienenden Strafen muss einem besonderen Gesetze vorbehalten bleiben; indessen kann vorläufig auch schon auf Grund des vorliegenden Artikels die betreffende Strafgerichtsbarkeit ausgeübt werden.
V. Titel. Frachtvertrag.
Capitel 1. Frachtmiethe (Chartepartie).
Art. 951. In der früheren Zeit war es, wie schon früher bemerkt, üblich, dass die Kaufleute, welche Seehandel trieben, ihre eigenen Schiffe auf See schickten und dieselben mit ihren eigenen Waaren beluden. Wo in Folge dessen das Eigenthum am Schiff und an den Frachtgütern einer und derselben Person zustand, konnte von besonderen Frachtverträgen keine Rede sein. Vielmehr setzt der Frachtvertrag nothwendig voraus, dass die Eigenthümer des Schiffes und der Ladung verschiedene Personen sind, insoferne die ersteren das eigentliche Transportgeschäft und die letzteren den eigentlichen Handel über See gesondert betreiben und dies ist in der neueren Zeit in Folge der zunehmenden Specialisirung der Handelszweige weitaus die überwiegende Regel geworden. Der Frachtvertrag gehört in die Kategorie der Miethe, und ist nach der Begriffsbezeichnung des Röm. Rechts als eine Werkmiethe (locatio conductio operis), nicht als Sachoder Arbeitsmiethe aufzufassen. Er hat nämlich immer zum Gegenstand die Ausführung und Vollendung eines gewissen Transportes, also eine vollendete Leistung unter Verantwortlichkeit dessen, der sie auszuführen hat (Verfrachter, conductor), und nicht den blossen Gebrauch einer Sache oder die Verrichtung gewisser Arbeiten unter Verantwortlichkeit des Bestellers (Befrachter, locator).
Ein Schiff kann zwar auch als eine Sache gemiethet werden wie ein Haus oder eine andere Sache. In diesem Falle erlangt der Miether das Recht zum eigenen Gebrauch des Schiffes gleich dem Eigenthümer und wird Dritten gegenüber als solcher behandelt. D. H. G. B. Art. 477. Allein dies ist kein Frachtvertrag, da hier der Miether das Schiff selbst ausrüstet, bemannt, den Capitain anstellt, und dem Eigenthümer für die volle Ueberlassung des freien Gebrauches nur den Miethpreis zu zahlen hat. Dagegen kann wohl ein solcher Schiffs-miether das Transportgeschäft betreiben, und in Folge dessen mit dritten Personen, welche ihm Waaren zum Transport übergeben, Frachtverträge schliessen. Wirthschaftlich betrachtet, wird der gewöhnliche Miethpreis für ein Schiff stets niedriger sein, als der Frachtpreis, da der erstere nur die Verzinsung des im Schiffe steckenden Capitals, der letztere daneben auch die gesammten Kosten der Schifffahrt, insbesondere den Unterhalt und den Lohn der Schiffsbesatzung decken muss.
Die rechtliche Natur des Frachtvertrages wird von dem Princip beherrscht, dass der Transport auf Verantwortung dessen erfolgt, der seine Ausführung übernimmt; da ihm die Frachtgüter vollständig anvertraut werden müssen, muss er auch die unbedingte Haftung dafür übernehmen. Dieser Grundsatz ist in dem Frachtwesen zu Lande und auf Binnengewässern besonders strenge durchgeführt, wie aus den Capiteln 6 und 7 des Titels VIII, welche von Spediteuren und Frachtführern handeln, zu ersehen ist. Er gilt auch im allgemeinen für den Transport zur See, doch erleidet er hier besondere Ausnahmen wegen der eigenthümlichen Gefahren und Unterbrechungen, denen die Schifffahrt durch Stürme und Wetterverhältnisse, durch Kriege und andere Umstände ausgesetzt ist; dies ist der Grund, warum der Frachtvertrag für den Seetransport einer besonderen legislativen Regelung bedarf.
Der maritime Frachtvertrag, von dem im folgenden ausschliessend die Rede sein wird, enthält zwei Arten, nämlich die sog. Chartepartie, die im Entwurfe Frachtmiethe genannt wird, und der Vertrag über die Beförderung von Stückladung oder Stückgütern (à cueillette, general goods). Der letztere Vertrag wird in der Gesetzgebung meist nicht ausdrücklich erwähnt, und es ist dies auch im Entwurfe nicht geschehen, da die Bestimmungen über das Connossement hiefür genügen. Beide Arten des Frachtvertrages unterscheiden sich mithin dadurch, dass die Chartepartie besonders und zwar schriftlich abgeschlossen werden muss und zwar ausser dem Connossement, welches über die an Bord gebrachten Güter auszustellen ist; bei Stückgütern dagegen wird ein specieller Vertrag nicht förmlich geschlossen, sondern dieser Vertrag ist als im Connossement enthalten anzusehen. Dieser Unterschied folgt daraus, dass bei Stückgütern nichts weiter als die ordentliche Ablieferung der Güter an dem Bestimmungsort stipulirt wird, bei der Chartepartie aber zugleich noch die ausschliessliche Verfügung über das ganze Schiff oder einen Theil desselben. Im Falle der Chartepartie können daher die Waaren anderer Personen nicht mittransportirt werden, während bei Stückgütern Frachtverträge mit einer unbegrenzten Menge verschiedener Personen abgeschlossen werden, von denen keine die andere ausschliesst, soweit überhaupt das Schiff Raum für Güter hat.
Die Vorschrift, dass die Chartepartie schriftlich abgeschlossen werden muss und zwar mittelst besonderer Urkunden, von denen jede Partei ein Exemplar zu erhalten hat, rechtfertigt sich durch die Wichtigkeit dieses Vertrages, der meist sehr beträchtliche Werthe zum Gegenstand hat, und ist in den meisten Gesetzgebungen enthalten. Französ. Code de comm. Art. 273. Belg. Gesetz von 1879 Art. 67. Ital. H. G. B. Art. 381. Holl. H. G. B. Art. 454. Span. H. G. B. Art. 738. Abbott, Treatise IV. chapt. 1. Im D. H. G. B. Art. 558 ist nur vorgeschrieben, dass die Errichtung einer schriftlichen Urkunde von jeder Partei verlangt werden kann. Dies ist jedoch nur der Einwirkung des in Deutschland geltenden Röm. Rechts zuzuschreiben, welches die Formlosigkeit aller Verträge begünstigt, und stimmt mit dem Handelsgebrauch nicht überein, denn in Wirklichkeit wird die Chartepartie immer schriftlich abgeschlossen. Uebrigens ist die Chartepartie kein Formalcontract im Sinne des Wechsels oder auch nur des Connossements, wesshalb der Inhalt der Urkunde durch andere schriftliche Beweise ergänzt werden kann. Dies ist in dem citirten Belgischen Gesetze ausdrücklich ausgesprochen, es gilt auch in Frankreich. Bedarride II. Nr. 647. Alauzet V. Nr. 1831.
In dem Französischen und in einigen anderen Gesetzbüchern ist der specielle Inhalt der Chartepartie ausdrücklich vorgeschrieben. Dies wurde im Entwurfe unterlassen, einmal aus dem zuletzt bemerkten Grunde, weil die Chartepartie kein Formalcontract ist, somit ihre Gültigkeit von dem Inhalt des Vertragsinstruments nicht absolut abhängt; sodann weil jene Vorschriften nichts weiter betreffen, als was ohnehin die Parteien regelmässiger Weise unter sich verabreden werden; und ferner, weil diese Verträge im Seeverkehr ohnehin geläufig sind und durchgängig mittelst gedruckter Formulare abgeschlossen werden, die ohnehin mehr enthalten als den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt, wie aus dem hier beigefügten Exemplar einer Französischen Chartepartie erhellt.
CHARTE-PARTIE
MARSEILLE, le
Par l'entremise de Nous JULES FRISCH & EMILE FRISCH, tous deux Courtiers Interprètes, près la Bourse de cette ville II a, cejourd'hui, ètè mutuelleinent convenu entre le navire appelè cotè appartenant au port de de tonneaux de jauge, ou environ, de la portèe d'environ maintenaut et M négociant et affréteur que le dit navire étant équipé, muni, étanche et en bon état pour entreprendre le voyage, se rendra en toute diligence convenable ou aussi près de là qu'il pourra sûrement aborder, toujours à flot, pour y recevoir son plein et entier chargement de lequel chargement l'affréteur s'engage à fournir audit navire, jusqu'à la eoncurrence de ce qu'il pourra raisonnablement porter et arrimer outre et en sus de la ehambre, agrès, apparaux, provisions et fournitures, et étant ainsi chargé partira du port de Charge en droiture pour ou aussi près de là qu'il pourra sûrement aborder et être toujours à flot, et y fera la livraison de sa cargaison conformément aux connaissements, contre le paiement de fret comme suit:
Le fret sera payé au débarquement, comptant, franc d'escompte, au cours du jour.
Dans le cas où la cargaison consistant en grains ou graines serait délivrée échauffée ou endommagée en partie ou en totalité, Capitaine le aura à opter entre réduction du fret à moitié sur la partie échauffée ou endom-magée, ou réglement du fret calculé sur la quantité embarquée suivant connaissement, pourvu toutefois que pendant le cours du voyage il n'aura disposé d'aucune partie de la cargaison soit par jet à la mer, soit de toute autre facon.
Le Capitaine signera les connaissements tels qu'ils lui seront présentés, quel que soit le fret y stipulé, n'ayant à prétendre que le frèt porté dans la présente Charte-Partie. Dans le cas où le fret du connaissements serait en-dessous de celui de la présente Charte-Partie, la différence devra être payée comptant au Capitaine à la signature des connaissements. Les arrêts des Princes et Gouverneuers, l'acte de Dieu, le fait de guerre, le feu et tous les événements de mer, rivières ou navigation de quelque nature ou genre qu'ils puissent être, sont, pendant cedit voyage, toujours exceptés. Le Capitaine paiera, pendant le présent voyage, tous frais et droits concernant son navire, et l'affréteur ceux relatifs à la cargaison La cargaison sera envoyée et prise aux ports de chargement et de déchargement, le long du bord du navire aux frais et risques des affréteurs. Le Capitaine a la faculté de naviguer avec ou sans pilote et de remorquer les navires ou leur prêter assistance.
Les nattes pour le grenier seront fournies par l'affréteur et le bois necessaire par le navire.
Les agents des affréteurs avanceront au Capitaine au port de Charge l'argent nécessaire aux besoins du navire, jusqu à concurrence de en monnaie courante du pays au cours du jour, franc d'intérêts et de commission; laquelle avance, augmentée de la prime d'assurance à la charge du Capitaine, viendra en déduction du fret.
II est accordé aux affréteurs de staries reversibles,
Dimanches exceptés, pour charger et décharger, lesquels commenceront dans chaque port lorsque le Capitaine se sera déclaré prêt à recevoir ou à débarquer. Toute détention par gelee ou quarantaine ne comptera pas comme staries. Dix jours de surstaries, s'il en est besoin, à raison de par jour payable jour par jour.
II est toutefois convenu que le Capitaine ne pourra pas exiger que les staries commencent à compter au port de charge avant le II est accordé au navire un privilége absolu sur la cargaison pour le montant du fret, du vide pour plein ainsi que des surstaries résultant de la présente Charte-Partie, mais la responsabilité des affréteurs cessera après mise à bord de la cargaison, pourvu que sa valeur représente à l'arrivee au port de décharge le montant du fret, des surtaries, etc.
Le Capitaine consignera son navire au port de aux correspondants des affréteurs,
Pénalité pour la non-exécution de cet engagement, le montant estimé du fret.
Der Seefrachtvertrag bezieht sich im Unterschied von dem Landfrachtvertrag immer auf ein bestimmtes Schiff, weil man eine bestimmte Reise, nicht den Transport überhaupt wie per Eisenbahn oder Post, im Auge hat und nach der individuellen Beschaffenheit jedes Schiffes die Zeit der Ankunft, die Sicherheit des Transports und überhaupt die Höhe der Seegefahr beurtheilt werden muss. Daher muss das Schiff in der Chartepartie, wie auch im Connossement, ausdrücklich bezeichnet werden, und zwar mit dem Namen des Schiffs und des Capitains, der Nationalität und dem Tonnengehalte. Ein anderes als das im Vertrage genannte Schiff braucht der Befrachter gegen seinen Willen nicht anzunehmen, und der Verfrachter ist nicht befugt, die ihm für ein bestimmtes Schiff anvertrauten Güter in ein anderes zu verladen, und wenn er dies dennoch thut, muss er den daraus entsprungenen Schaden ersetzen. Würde also dieses andere Schiff Schiffbruch erleiden und die Ladung dadurch verloren gehen, so hätte der Capitain bez. Schiffseigenthümer diesen Schaden zu ersetzen, obwohl sonst dem Verfrachter eine Haftung für Schiffbruch nicht obliegt. D. H. G. B. Art. 566. Nach dem genannten Gesetzbuch soll zwar der Gegenbeweis offen stehen, dass der Schaden auch ohne den Wechsel des Schiffes eingetreten sein würde, indem z. B. auch das im Vertrage benannte Schiff verloren ging. Dies erscheint jedoch nicht billigenswerth, da Schiff und Ladung ein Ganzes bilden und auf Zufälle, die ein Schiff mit anderer Ladung treffen, offenbar keine Rücksicht genommen werden kann. Bedarride II. Nr. 725. Die Frage war schon im Alterthum streitig, aber die Meinung ging dahin, dass der Capitain in Nothfällen die Frachtgüter umladen kann, wenn er nur dabei kein Verschulden beging, d. h. die Lage des Befrachters nicht schlechter machte, also namentlich kein minder taugliches Schiff stellte, soferne ihm eine Wahl frei stand. Diese Befugniss des Capitains ist nothwendig, wenn nicht die Schifffahrt und der Gütertransport unnöthig gehemmt werden soll; er könnte sie auch als Stellvertreter des Befrachters ausüben. Auch besteht kein genügender Grund, diese Befugniss auf Nothfälle während des Verlaufes der Reise zu beschränken ; da solche Fälle schon im Hafen, während der Einladung u. dgl. sich ereignen können.
Art. 952. Die Bestimmung dieses Artikels bezieht sich sowohl auf das Einladen als auf das Ausladen (Löschen) der Güter, kommt also sowohl im Abfahrts- als im Bestimmungshafen und in etwaigen Zwischenhäfen zur Anwendung. Die gleiche Bestimmung ist im Französ. Code de comm. Art. 274 und im Ital. H.G.B. Art. 382 enthalten ; ebenso, jedoch noch allgemeiner und unbestimmter, im Belg. Gesetz von 1879 Art. 67. Es erschien angemessen, die Punkte, um die es sich hier handelt, specieller zu bezeichnen, um die klare Anwendung des Artikels zu erleichtern.
Als Lade- und Löschungszeit wird gewöhnlich eine regelmässige und eine ausserordentliche Periode bestimmt, mit der Wirkung, dass für die zweite dem Capitain eine Vergütung zu entrichten ist, da sie einen um so viel längeren Aufenthalt des Schiffes im Hafen nach sich zieht. Die Liegezeit (jour de planches, de staries; lay days) ist demnach für den Befrachter frei, dagegen für die Ueberliegezeit (surestaries, demurrage) muss er extra bezahlen. Im D.H.G.B. Art. 568 ff. sind bezüglich der Berechnung und Dauer dieser Fristen eingehende Vorschriften getroffen, doch kann dies der Vereinbarung, eventuell dem Handelsgebrauch in jedem Hafen überlassen bleiben. Offenbar liegt die möglichste Abkürzung dieser Fristen im Interesse beider Theile, da davon die Beschleunigung und zuweilen sogar die Sicherheit der Reise abhängt; andererseits muss auch die zur Vorbereitung der Reise und zum Ein- und Ausnehmen der Ladung noth-wendige Zeit gewährt werden. In Frankreich, Holland und Deutschland wird die Ueberliegezeit regelmässig auf 14 oder 15 Tage angesetzt, doch wird dies in vielen Fällen zu lange sein. D. H.G.B. Art. 569. Holländ. H. G. B. Art. 457. Bedarride II. Nr. 653. Manchmal bedingt sich der Befrachter das Recht, die Ladung „so bald als möglich ” herbeizuschaffen, wenn die betreffenden Waaren nicht unmittelbar an Ort und Stelle sind; dies ist nicht als eine unbegrenzte Liegezeit aufzufassen, sondern als eine Frist, die den Umständen nach zu bemessen ist, soweit sie für die Herbeischaffung der Ladung als nothwendig sich ergibt. Bedarride II. Nr. 654.
Die Entschädigung für Ueberliegen wird meist pro Tag der Ueberliegezeit festgesetzt, entweder im Vertrag, oder durch richterliches Urtheil unter Zuziehung von seemännischen Sachverständigen. D. H. G. B. Art. 573. Bedarride II. Nr. 657.
Der Anlegeplatz ist nur im D. H. G. B. Art. 561 ausdrücklich geregelt; er ist jedoch nicht minder wichtig als die Liegezeiten, da er die Dauer und die Kosten und Gefahren der Ladung in hohem Grade bestimmt. Schiffe liegen behufs der Ladung entweder unmittelbar am Strande (Quai) an oder sie müssen wegen des Wasserstandes weiter entfernt vom Ufer liegen bleiben. Hieraus kann die Nothwendigkeit entspringen, mittelst Leichter oder Boote die Ladung zu besorgen, was dem Befrachter offenbar ohne Noth nicht aufgebürdet werden kann. Daher muss man sich auch in diesem Punkte nach den Gebräuchen jedes Hafens richten, wenn man nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbaren will. Auch darüber, ob der Befrachter die Ladung bis an den Strand, oder bis an das Schiff oder auch auf das Schiff zu bringen hat, können nur die Ortsgewohnheiten entscheiden, und die desfallsige Vorschrift des D. H.G. B. Art. 562 erscheint insoferne nicht nachahmenswerth.
Von selbst versteht es sich, dass bei allen diesen Fragen vor allem die Hafen-Verordnungen und andere gesetzlich bindende Vorschriften zu befolgen sind.
Art. 953. Die Liegefristen sind für die Ausführung gewisser Arbeiten bestimmt, namentlich für das Ein- und Ausladen, daher können diejenigen Tage, an welchen jene Arbeiten nicht stattfinden können, offenbar nicht mitgezählt werden. Die Hindernisse können sowohl natürlicher wie gesetzlicher Art sein, z. B. Schneefall, Sturm, Frost; oder Quarantainevorschriften und ähnliche Verbote; ferner die üblichen Feiertage, da auch an diesen Tagen die Arbeit ordentlicher Weise ruht und jedenfalls nicht erzwungen werden kann. Die Deutsche Gesetzgebung, H.G.B. Art. 574, ist in dieser Beziehung zu beschränkt; aus der oben angeführten Chartepartie ist zu entnehmen, dass die Sonntage auch in Frankreich, wie in England, ausgenommen werden.
Die Bestimmungen der beiden vorhergehenden Artikel beziehen sich nur auf die Fälle der Frachtmiethe, da bei der generellen Stückladung die Abfahrt regelmässig auf einen bestimmten fixen Tag im voraus bestimmt und vorher alle Güter an Bord gebracht sein müssen, widrigenfalls sie nicht mehr angenommen werden. Diese Bestimmung kann übrigens auch ausdrücklich für die Frachtmiethe vereinbart werden. D. H. G. B. Art. 577.
Art. 954. Die Bestimmung soll dazu dienen, dem Capitain das Interesse am längeren Liegenbleiben als für die Ladung nothwendig ist zu benehmen, indem die Fracht erst von dem Antritt der Reise an berechnet werden darf. Sonst könnte der Capitain unter mancherlei Vorwänden die Abfahrt verzögern und dadurch nicht nur die Fracht unnöthig erhöhen, sondern auch die Güterbeförderung selbst verspäten. Vgl. Code de comm. Art. 275. Belg. Gesetz von 1879 Art. 69. Ital. H. G. B. Art. 383. Holl. H. G. B. Art. 463. Nach dem letztere Gesetzbuch ist als Beginn der Reise die Abfahrt von dem Orte anzusehen, wo die Einladung begonnen hat oder der Ballast eingenommen wurde. Eine weiter gehende Bestimmung enthält das D.H.G.B. Art. 581, die jedoch das Interesse der Ladungsinteressenten zu sehr verletzt.
Art. 955. Die gleiche Bestimmung enthält der Französ. Code de comm. Art. 276, das Ital. H. G. B. Art. 384, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 90, das D. H. G. B. Art. 631. Sie beruht auf der Anwendung des gleichen Princips, welches bereits in Art. 941 auf die Contracte mit der Schiffsmannschaft angewendet wurde. Da der Vertrag in Folge unwiderstehlicher Gewalt, für welche kein Theil verantwortlich ist, nicht ausgeführt werden kann, ist kein Vertragstheil zur Ausführung verpflichtet und der Vertrag ist als aufgelöst zu betrachten. Vorausgesetzt wird jedoch, dass das Verbot ein absolutes ist und den Handel und Verkehr überhaupt, nicht blos mit einzelnen Waaren untersagt, und dass die Zeitdauer des Verbots sich nicht absehen lässt, mithin dasselbe nicht von vorneherein als ein blos zeitweises anzusehen ist, da sonst die Bestimmung des Art. 957 zur Anwendung kommen müsste.
Der zweite Absatz des Artikels behandelt den Fall, wo ein solches Verbot während der Reise ergeht und das Schiff dadurch an der Vollendung der Reise gehindert und zur Umkehr gezwungen wird. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden: 1, das Schiff wurde nur für die Hinreise gemiethet; 2, das Schiff wurde für die Hin-und Rückreise gemiethet. In beiden Fällen ist unter der Voraussetzung des Artikels nur die Fracht für die Hinreise zu entrichten, da man annehmen muss, dass insoweit der Contract ausgeführt wurde, gleichviel an welchem Punkte der Reise die Umkehr stattfinden musste. Bedarride II. Nr. 786. 787. Da das Schiff mit der Ladung zurückkehren muss, und diese Rückkehr auch den Ladungseigenthümern von Nutzen ist, liegt darin eine billige Vertheilung des Verlustes unter die beiden Parteien. Uebereinstimmen der Code de comm. Art. 299. Ital. H. G. B. Art. 406. Belg. Gesetz von 1879 Art. 91. D.H.G.B. Art. 636. Das letztere Gesetzbuch verpflichtet jedoch den Befrachter nur zur Bezahlung der Distanzfracht, d. h. der Fracht im Verhältnis der wirklich zurückgelegten Reise.
Die Kosten, welche durch Gelegenheit einer solchen verhinderten Reise für die Ladung entstanden sind, trägt der Befrachter nach dem allgemeinen Grundsatze, dass jeder unverschuldete Verlust vom Eigenthümer zu tragen ist (casum sentit dominus). Ebenso hat andererseits der Capitain resp. Schiffseigenthümer die unnütz gewordenen Kosten der Ausrüstung des Schiffes und der Vorbereitung der Reise zu tragen. Bedarride II. Nr. 666.
Art. 956. Ein Handels- oder Schifffahrtsverbot ist ein gesetzlich verpflichtender Act der Staatsgewalt, sei es der eigenen oder einer fremden, insbesondere derjenigen des Landes, in welchem der Bestimmungsort liegt. Eine Blokade kann zwar auch nur von einer Regierung verhängt werden, allein sie ist ein feindlicher Gewaltact, der an sich keine verpflichtende Natur hat. Man kann die Blokade zu durchbrechen oder zu umgehen suchen, obgleich man sich im Falle des Misslingens der Wegnahme des Schiffes aussetzt. Auch kommt es darauf an zu erproben, ob die Blokade auch wirklich effectiv ist und nicht blos auf dem Papier steht; und nach der neuerdings mehr anerkannten Theorie muss die Blokade jedem Schiff, welches in den blokirten Hafen einlaufen will, erst ordnungsmässig notificirt werden, ehe es den Folgen des Blokadebruches unterworfen werden kann. Ferner ist die Blokade kein dauerndes Hinderniss der Schifffahrt, sie kann vielmehr jeden Augenblick aufgehoben oder durch eine Niederlage des Feindes u. dgl. beseitigt werden. Der Blokade stehen gleich andere kriegerische Massregeln, durch welche das Einlaufen in einen Hafen verhindert wird, z. B. die Versperrung einer Flussmündung durch Versenkung von Schiffen, Schliessung eines Canals u. dgl. Alle diese Hindernisse unterscheiden sich von denen des vorigen Artikels einmal dadurch, dass sie ganz unerwartet am Schlüsse der Reise eintreten können und dass man sich dem Verbot nicht einfach zu unterwerfen hat, sondern dass man verschiedene Wege offen hat, um sich ihren Folgen zu entziehen. In diesen Fällen darf nun der Capitain nicht einfach umkehren mit der im vorigen Artikel bezeichneten Folge der Bezahlung der Fracht für die Hinreise, sondern er muss nach den Umständen und den ihm ertheilten Weisungen zum Besten der Ladung und des Schiffes handeln. Sind ihm keine besonderen Weisungen für diesen Fall ertheilt, oder sind die ihm ertheilten Weisungen nicht ausführbar, so muss er der Regel nach in einen nächstgelegenen offenen Hafen einzulaufen suchen, da man annehmen darf, dass dadurch dem Interesse der Befrachter am besten gedient ist. Dass dies ein Hafen desselben Landes sei, kann nicht positiv vorgeschrieben werden, und der Capitain muss unter mehreren Häfen die Wahl frei haben. Auch ist dies keine absolute Vorschrift, sondern der Capitain muss die Umstände erwägen und auch das Interesse des Schiffes berücksichtigen. Daher kann möglicher Weise die Umkehr das zweckmässigste sein. Dies ist in dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 92 ausdrücklich ausgesprochen, es wird aber auch der Code de comm. Art. 279 und das Ital. H. G. B. Art. 387 so verstanden. Bedarride II. Nr. 672. 673. Der Entwurf hat sich der Fassung des Französischen Gesetzes angeschlossen, da es besser erscheint eine feste Regel zu geben, und die Befugniss hievon abzuweichen, wenn sie nicht befolgt werden kann oder wenn die Befolgung dem Interesse der Betheiligten schädlich wäre, ohnehin selbstverständlich ist.
Art. 957. Höhere Gewalt ist sowohl jede Naturgewalt, gegen die der Mepsch machtlos ist, wie Stürme, Fluthen, Eisgang u. dgl., als auch die Ausübung der Staatsgewalt, da eine Auflehnung gegen die Verfügungen der Staatsgewalt rechtlich und moralisch nicht zulässig ist. Wenn durch solche Gewalten ein nur vorübergehendes Hinderniss der Schifffahrt geschaffen wird, dessen Aufhören nach einiger Zeit sicher erwartet werden kann, so kommt der gegenwärtige Artikel zur Anwendung. Solche zeitweise Hindernisse gehören zu den gewöhnlichen Gefahren und Wechselfällen der Schifffahrt, sie machen die Ausführung des Vertrages nicht unmöglich, daher kann in diesen Fällen keinem Theile der Rücktritt vom Vertrage gestattet werden. Vielmehr müssen beide Theile warten, bis das Hinderniss gehoben ist, und dann den Vertrag ausführen. Jeder Theil hat den dadurch entstandenen Schaden selbst zu tragen und kann von dem anderen Theile keine Entschädigung desshalb fordern. So hat insbesondere der Befrachter desshalb keine ver-hältnissmässig höhere Fracht zu bezahlen, auch wenn diese zeitweise bedungen war; jedoch werden die Kosten des Unterhalts der Schiffsmannschaft in gewissen Fällen nach den Grundsätzen der Havarie gemeinsam getragen. S. nachher Art. 974. Diese Grundsätze sind übereinstimmend anerkannt in dem Französ. Code de comm. Art. 276. 300, im Ital. H. G. B. Art. 385.407.509 Nr. 9, Belg. Gesetz von 1879 Art. 84.85.103, im D. H. G. B. Art. 639.
Wenn der Befrachter auch mit dem Capitain die Entfernung des Hindernisses der Reise abwarten muss, so ist er dadurch doch nicht gehindert über die Ladung nach seinem freien Ermessen zu verfügen. Er kann also dieselbe von dem Schiffe nehmen, sei es um sie vor Schaden zu bewahren, sei es um ihren Verkauf zu versuchen; er muss aber im letzteren Falle die volle Fracht bezahlen, und auch wenn er sie wieder einladen lässt, die Kosten hiefür bestreiten, wie er auch die Ausladung nur auf seine Kosten bewirken kann.
Art. 958. In den vorhergehenden Artikeln war von Hindernissen der vertragsmässigen Reise die Rede, welche ausserhalb des Willensbereiches der Betheiligten liegen. Der gegentheilige Artikel entscheidet die Frage, wie es zu halten ist, wenn der Befrachter von dem Vertrage zurücktreten will oder muss, sei es weil seine Speculation eine andere Richtung nahm, oder dass er die beabsichtigte Ladung nicht erlangte u. dgl. Diese Frage bezieht sich hier nur auf die Chartepartie, da über Stückladungen in Art. 970 specielle Bestimmung getroffen ist. Es wird nun übereinstimmend in den Gesetzen zwischen den Fällen unterschieden, wo die Einladung der Frachtgüter bereits begonnen hat oder nicht. Im ersteren Falle kann der Befrachter zwar zurücktreten, er muss aber die volle bedungene Fracht bezahlen; im zweiten Falle wird ihm der Rücktritt gegen Bezahlung der halben Fracht gestattet. Code de comm. Art. 288 Abs. 3. 4. Belg. Gesetz von 1879 Art. 75 Abs. 4. 5. Itall. H. G. B. Art. 396. D. H. G. B. Art. 581. 583. Bedarride II. Nr. 737.738. Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, dass wenn ein Theil der Ladung bereits auf das Schiff gebracht ist, der Befrachter den vertragsmässigen Gebrauch des Schiffes bereits erlangt hat und es nur von ihm abhängt, diesen Gebrauch bis zum Ende der Reise fortzusetzen. Im entgegengesetzten Falle muss zwar auch der Frachtvertrag, wie jeder andere perfect abgeschlossene Vertrag, als bindend angesehen werden, allein man gestattet dem Befrachter gegen eine mässige Entschädigung des Verfrachters davon zurückzutreten, da die wechselnden Speculationen des Seehandels eine solche Begünstigung als billig erscheinen lassen. Vorausgesetzt wird jedoch, dass der Befrachter nicht aus einem rechtmässigen Grund zurücktritt, z. B. weil das Schiff nicht seetüchtig ist, oder weil ohne Noth ein anderes Schiff gestellt wurde. In solchen Fällen könnte der Rücktritt jederzeit ohne alle Entschädigung erfolgen.
Dem Falle der ausdrücklichen Erklärung des Rücktritts steht es gleich, wenn der Befrachter keine Ladung liefert. Dies ist als thatsächlicher Rücktritt anzusehen. D. H. G. B. Art. 586.
Ist ein Schiff zugleich für die Rückreise gemiethet, so muss in den vorausgesetzten Fällen die Hälfte oder der ganze Betrag der Hin- und Rückfracht bezahlt werden. Bedarride II. Nr. 737. Das D. H. G. B. Art. 584 gestattet unter der zweiten Voraussetzung den Rücktritt gegen Zahlung von zwei Dritteln der gesammten Fracht, doch liegt hiefür kein genügender Grund vor.
Andererseits wird dem Capitain oder Verfrachter ein ähnliches Recht vom Vertrage zurückzutreten nicht eingeräumt. Wenn er also seine vertragsmässigen Verpflichtungen ganz oder theilweise nicht erfüllt, ist dies ganz nach den gewöhnlichen Grundsätzen zu beurtheilen; er muss daher jedenfalls den durch seinen Vertragsbruch dem Befrachter verursachten Schaden ersetzen. Dies wäre namentlich auch dann zu beobachten, wenn das Schiff inzwischen verkauft würde und der neue Käufer den Vertrag nicht übernähme.
Art. 959. Die Confiscation oder Beschlagnahme der Ladung kann nur durch die gesetzwidrige Handlung des Befrachters veranlasst sein, z. B. durch Uebertretung der Zollgesetze, durch Führung von Kriegscontrebande u. dgl. Für solche Handlungen muss der Befrachter allein die Verantwortung übernehmen und er kann aus der Verletzung von Gesetzen keinen Grund herleiten, um von seinen vertragsmässigen Verpflichtungen frei zu werden; es liegt darin überdies ein Verschulden, das ihn noch ausser der Fracht zum Ersatze etwaigen Schadens verpflichtet, z. B. wenn auch das Schiff mitconfiscirt wird, oder wenn die Kosten der Ausrüstung des Schiffes vergeblich gewesen sind u. dgl. D. H. G. B. Art. 564.
Art. 960. Wenn der Befrachter von dem Vertrage zurücktritt, so muss er nach Art. 958 entweder die halbe oder ganze Fracht als Entschädigung zahlen, je nachdem er vor dem Beginn des Einladens oder später zurücktritt. Liefert er gar keine Ladung, so ist dies als thatsächlicher Rücktritt anzusehen. Liefert er aber nur einen Theil der bedungenen Ladung, bis zu dem Zeitpunkt des Ablaufes der Liegefristen, so braucht der Capitain nicht länger auf Vervollständigung der Ladung zu warten, sondern kann auch mit der theilweisen Ladung in See gehen. Andererseits kann der Befrachter dies sogar verlangen, die Ausführung des Vertrages ist mithin nicht davon abhängig, dass die volle Ladung für die Reise geliefert wird. Von selbst versteht es sich aber, dass der Befrachter dann die volle bedungene Fracht zu entrichten und ausserdem den durch die Minderfracht verursachten Schaden zu ersetzen hat, z. B. wenn Ballast eingenommen oder ein Aufwand für andere Sicherungsmassregeln gemacht werden musste. D. H. G. B. Art. 571. 579. 580.
Die Pflicht zur Ersatzleistung ist zwar im Französ, Code de comm. Art. 288 Abs. 1 und 4 nicht ausdrücklich ausgesprochen, es muss jedoch der citirte Artikel so interpretirt werden. Bedarride. II. Nr. 733. Die halbe oder volle Fracht dient als ausschliessliche Entschädigung nur in den Fällen des Art. 958, wenn in Folge des Rücktrittes keine Reise gemacht wird. In den Fällen des gegenwärtigen Artikels wird vorausgesetzt, dass die Reise gemacht wird, hier ist mithin die volle Fracht noch keine Entschädigung für etwaige Extrakosten oder Verluste, die dem Schiffe durch die Minderladung verursacht werden. Auch kann der Capitain jedenfalls verlangen, dass für seinen Frachtanspruch eine genügende Menge von Waaren an Bord gebracht oder dass ihm desfalls Sicherheit geleistet werde.
Art. 961. Die in diesem Artikel ausgesprochene Regel ist auch in den übrigen Gesetzgebungen, wenngleich nur indirect anerkannt, sie ist aber so wichtig, dass es nothwendig erscheint, sie bestimmt und direct auszusprechen. Code de comm. Art. 287. 288. Belg. Gesetz von 1879 Art. 72 Abs. 4. D. H. G. B. Art. 585. Wenn der Befrachter die halbe oder volle Fracht als Entschädigung zu zahlen hat, so kann er im letzteren Falle zwar das Schiff selbst dem Vertrage gemäss benützen, wenn er aber auf die Benützung verzichtet, wie auch im Falle der halben Frachtentschädigung, so kann er nicht verlangen, dass auch der Schiffseigenthümer auf den Gebrauch seines Schiffes verzichte; das hiesse das Schiff seiner eigentlichen Bestimmung entziehen und die Schifffahrt ohne vernünftigen Grund unterbrechen. Wenn der Befrachter ferner das Schiff zwar benützt, aber nicht voll ausnützt, so hat er nach dem Vertrage ein Recht hiezu (Art. 960) und es kann in seinem Interesse liegen, jede andere Gütersendung nach dem gleichen Bestimmungsort zu untersagen. Verzichtet er hierauf, so kann dies doch nur mit seiner ausdrücklichen Einwilligung geschehen und er kann nicht verpflichtet sein, die Frachteinnahme daraus einfach dem Schiffe zu schenken; daher ist ihm solche auf seine eigene Frachtschuld abzurechnen, ähnlich wie wenn er selbst das Schiff für den verbleibenden Theil an einen Anderen verfrachtet hätte. Bedarride II. Nr. 728.
Art. 962. In den Gesetzbüchern ist stets nur von der Frachtmiethe für den Zweck des Waarentransports die Rede; jedoch werden Schiffe häufig auch für andere Zwecke gechartert, z. B. für Truppensendungen für Fischereiunternehmungen, für wissenschaftliche Entdeckungsreisen u. dgl. Es schien passend, wenigstens das allgemeine Princip auszusprechen, dass in solchen Fällen die gleichen Principien anzuwenden sind, wie bei der Güter-Frachtmiethe, also in Betreff des Rücktritts vom Vertrage, der Bezahlung des Mieth-preises, der Verhinderung oder Unterbrechung der Reise u. s. w.
Capitel 2. Connossement.
Art. 963. Das Connossement hat für die Seefracht dieselbe Bedeutung wie der Frachtbrief (lettre de voiture) für die Landfracht. Im Französischen Code de comm. Art. 222, wie in anderen den letzteren meist nur copirenden Gesetzen, wird das Connossement als eine Quittung des Capitains über die ihm an Bord gelieferten Waaren bezeichnet; im. Deutschen und Englischen Rechte wird zwischen einer vorläufigen Quittung und dem eigentlichen Connossement unterschieden. D. H. G. B. Art. 644. Abbott, Treatise Part IV. Chapt. 4 Nr. 2. Strenge genommen ist das Connossement nicht eine blosse Quittung des Capitains, sondern enthält auch die Declaration des Befrachters, der ein Exemplar selbst zu unterzeichnen und dem Capitain zu belassen hat. Auch kann das Connossement zur Ergänzung oder Berichtigung der Chartepartie dienen. Daher ist das Connossement factisch das beide Theile verpflichtende Instrument des Frachtvertrages, ohne Rücksicht darauf, ob Chartepartie oder nur Stückladung besteht; es sollte daher von beiden Theilen unterzeichnet werden, allein in der Praxis begnügt man sich mit der partiellen Zeichnung durch jede Partei, jedoch so, dass die Mehrzahl der Exemplare vom Capitain unterzeichnet wird. Hauptsächlich erblickt man daher in dem Connossement das Vertragsdocument, nach welchem die Verpflichtung des Capitains zur Ablieferung der Frachtgüter bemessen wird, und der Entwurf ist demgemäss der Begriffsbestimmung der Französischen Gesetzgebung gefolgt. Die Ausstellung eines Interims-Empfangsscheins, dessen Inhaber sodann zum Empfang des Connossements berechtigt ist, wird hierdurch nicht ausgeschlossen; sie braucht jedoch im Gesetze nicht besonders erwähnt zu werden, da sie mehr eine geschäftliche als juristische Bedeutung hat. Jedenfalls ist eine solche Interims-Quittung bei der Ausstellung des Connossements wieder zurückzugeben.
Der nothwendige Inhalt des Connossements ist auch in den übrigen Gesetzbüchern vorgeschrieben. Code de comm. Art. 281.
Belg. Gesetz von 1879 Art. 40. Ital. H. G. B. Art. 389. Holland. H. G. B. Art. 507. Span. H. G. B. Art. 799. D. H. G. B. Art. 645. Der Grund hiefür ist, dass das Connossement zwar nicht absoluten Beweis wie der Wechsel, aber doch vollen Beweis bis zur Erbringung des Gegenbeweises liefert, daher sein Inhalt nicht in das Belieben der Parteien gestellt werden kann. Der im Entwürfe vorgeschriebene Inhalt stimmt mit den Vorschriften der übrigen Gesetzbücher überein. Allgemein kann als Empfänger (Consignatar, consignee) auch der Capitain bezeichnet werden, der dann die Frachtgüter am Bestimmungsorte selbst zu verkaufen und an den Käufer abzuliefern hat. D. H. G. B. Art. 646. Der Name des Empfängers braucht nicht angegeben zu werden, da das Connossement auch an Ordre oder auf den Inhaber ausgestellt werden kann. Bedarride II. Nr. 683. Code de comm. Art. 281. D. H. G. B. Art. 646.
Wenn das Connossement nicht vollständig ist in der Form, so wird es dadurch zwar nicht ungültig, allein es verliert seine präsumtive Beweiskraft und es muss im Falle des Streites durch andere Beweismittel ersetzt werden. Bedarride II. Nr. 682. 699.
Auch für das Connossement werden überall gedruckte Formulare benützt, die meist mehr als die gesetzlichen Punkte enthalten, nämlich gewisse Clauseln in Betreff der Rechte und Pflichten der Parteien.
Das Connossement wird, wie der Wechsel, nach Bedürfniss in mehreren Exemplaren ausgestellt, die auch in verschiedenen Sprachen abgefasst sein können. Hierüber muss das Bedürfniss des Befrachters entscheiden. Da das Connossement auch dazu dient, während der Seereise die etwaige Verfügung über die Waare zu vermitteln, so kann der Befrachter auch mehrere Exemplare für seinen Bedarf fordern. D. H. G. B. Art. 644. Holländ. H. G. B. Art. 510. Nach dem Französ. Code de comm. Art. 282 sollen wenigstens vier Exemplare ausgestellt werden, mithin können auch mehr verlangt werden.
Im Code de comm. Art. 284 sind für den Fall eines Widerspruchs zwischen den verschiedenen Exemplaren bestimmte Vorschriften gegeben darüber, welches Exemplar mehr glaubwürdig sein soll. Ebenso im Belg. Gesetz von 1879 Art. 43. Indessen werden unerhebliche Abweichungen ganz gleichgültig sein, und auch hievon und von dem Falle bewusster Fälschung abgesehen, entspricht es mehr dem Geiste des neueren Rechts, der freien und allseitigen Beweiswürdigung durch den Richter keinen Zwang anzuthun. Solche Collisionsfälle sind daher nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweisführung zu beurtheilen, man kann daher nicht im voraus sagen, dass das von einer Partei gezeichnete Exemplar absolut gegen dieselbe beweisen soll, sondern es wird dies von den thatsächlichen Umständen abhängen müssen. Allerdings wird derjenige, der sich auf einen Irrthum oder ein Versehen beruft, dies beweisen müssen, wenn es nicht offenbar vorliegt. Aus diesen Gründen wurde eine Bestimmung über diese Frage im Entwurfe unterlassen.
Art. 964. Die gleichen Bestimmungen enthält der Französ. Code de comm. Art. 282, Belg. Gesetz von 1879 Art. 41, Ital. H. G. B. Art. 390, D. H. G. B. Art. 644. Sie liegen im Interesse beider Theile, da der Befrachter nicht in der weiteren Versendung der Con-nossemente, in der Versicherung der Frachtgüter etc, der Capitain nicht in dem Antritt der Seereise unnöthiger Weise aufgehalten werden darf. Denn der Capitain ist verpflichtet, bei jeder Reise die auf die Ladung bezüglichen Papiere an Bord zu haben, und er könnte mithin nicht ohne diese in See gehen.
Art. 965. Bereits oben in Art. 924 wurde bestimmt, dass der Capitain für die Ladung verantwortlich ist. In dem gegenwärtigen Artikel wird nur der Umfang dieser Verantwortlichkeit näher bezeichnet ; er bestimmt sich nämlich durch den Inhalt des Connossements. Der Capitain hat demnach die Frachtgüter so, wie sie im Connossement bezeichnet sind, an den Consignatar abzuliefern, denn das Connossement enthält seine eigene Bestätigung, dass er sie so zur Beförderung empfangen hatte. In diesem Sinne macht das Connossement vollen Beweis zwischen den Betheiligten, denn es ist eine durch sie gemeinsam zu Stande gebrachte Urkunde. Abweichungen davon können daher keiner Partei gestattet sein, da sie sich dadurch mit sich selbst in Widerspruch setzen würde.
Die Haftung des Capitains wird gewöhnlich in den Gesetzen strenger ausgedrückt, als sie in der Wirklichkeit verstanden und geltend gemacht wird. Vernünftiger Weise kann der Capitain zu nichts weiter verpflichtet sein, als die Güter, welche er zur Beförderung empfing, unverletzt und unvermindert an den Consignatar abzuliefern. Seine Verantwortlichkeit bezieht sich ganz äusserlich auf das Gewicht, die Stückzahl und den Inhalt der abgegebenen Frachtgüter, auf letzteren aber nur insoferne, als dieser von ihm nicht etwa herausgenommen oder verschlechtert werden darf. Wenn er nach dem Connossement 1 Fass Rothwein gez. M. D. Nr. 1 erhielt, so hat er eben dieses so gezeichnete Fass Rothwein und kein anderes, oder mit einem anderen Inhalt abzuliefern. Gesetzt aber, der Empfänger findet in dem Fasse Wasser statt Rothwein, wie ist die Haftung dafür zu beurtheilen ? Hier sind zwei Möglichkeiten: entweder das Wasser ist von dem Absender irriger oder betrüglicher Weise schon vor der Abladung, oder es ist während des Transports auf dem Schiff vom Capitain oder von den Schiffsleuten in das Fass gebracht, somit der Wein daraus gestohlen worden. Im zweiten Falle müsste der Capitain die Haftung tragen, da er für die Ladung vom Zeitpunkt der Abladung bis zum Zeitpunkt der Ablieferung verantwortlich ist. Im ersten Falle ist er offenbar nicht haftbar, da er für den Betrug oder das Versehen des Absenders nicht verantwortlich gemacht werden kann. Die ganze Frage läuft mithin auf den Beweis hinaus, von wem und wann die Fälschung vorgenommen wurde. Allein da der Beweis meist sehr schwierig zu führen sein wird, und während des Transports keinerlei unredliche Practiken begünstigt werden dürfen, so empfiehlt es sich, darüber bestimmte Regeln aufzustellen, welche die Nothwendigkeit des hier so schwierigen Beweises der Thatsachen in engere Grenzen einschliessen.
Nach der Französ. und Deutschen Gesetzgebung (Code de comm. Art. 281. 283. 310. D. H. G. B. Art. 653—657) wird der Capitain für die Frachtgüter nach dem Wortlaut des Connossements unbedingt verhaftet, soferne er nicht die Verantwortlichkeit durch eine entsprechende Bemerkung auf dem Connossement, z. B. „Inhalt, Mass unbekannt” „nicht zugestanden” u. dgl. ausdrücklich abgelehnt hatte. Für Flüssigkeiten in verschlossenen Gefässen soll er aber in jedem Fall unbedingt haftbar sein.
Nach dieser Auffassung wäre das Connossement gleich einem strengen Formalcontract aufzufassen, während doch die Haftung des Capitains nur aus dem Empfang der Frachtgüter (dem sog. receptum, Puchta, Pandecten § 314) entspringt; d. h. er kann niemals durch den blossen Transportvertrag zu mehr verpflichtet sein, als zur Ablieferung der ihm zum Transport übergebenen Güter. Jene strenge Auffassung ist den wirklichen Verhältnissen des Transportverkehrs nicht angemessen und es werden daher in den Connossements-Formularen eine Menge von Clauseln angebracht, um die Verantwortlichkeit des Capitains auf ein richtigeres Mass zu reduciren. Der Zweck dieser Clauseln, den Capitain von den Fesseln einer falschen gesetzgeberischen Bestimmung zu befreien, muss aber dahin führen, das Gesetz selbst den practischen Bedürfnissen gemäss zu reformiren.
Im Engl. Rechte (Abbott, Treatise p. 278) ist es anerkannt, dass dem Capitain die Qualität und häufig auch die Quantität der Ladungsgüter unbekannt sein muss und er also auch dafür nicht haftbar gemacht werden kann. Es ist nun zu unterscheiden zwischen offenen und verschlossenen Gütern. Für offene Güter haftet der Capitain unbedingt nach dem Connossement, jedoch Gegenbeweis vorbehalten; dieser Gegenbeweis wird sich stets auf die Identität der geladenen Güter mit den abgelieferten beziehen müssen. Solche Güter sind Holz, Eisen, Weizen, Reis und alle anderen Güter, die offen geladen werden. Anders muss es sein mit verschlossenen Gätern, d. h. solchen, die in Kisten, Ballen, Flaschen, Fässern und anderen Umhüllungen transportirt werden. Solche Verpackungen werden nicht Stück für Stück vom Capitain aufgemacht und nach Inhalt, Beschaffenheit und Menge untersucht, sie werden einfach angenommen, wie sie abgeladen werden, und man kann daher unmöglich dem Capitain die Verantwortlichkeit dafür zuweisen, ausser wenn er diese Verantwortlichkeit ausdrücklich übernommen hat, was eine vorgängige specielle Untersuchung und Werthdeclaration voraussetzt. Liefert der Capitain, der eine solche specielle Verpflichtung nicht übernommen, die ihm übergebenen Kisten etc. unverletzt und unberührt ab, so hat er seiner Verpflichtung genügt und die Fracht verdient. Anders wenn die Kisten ete. äusserlich sofort als verletzt, aufgebrochen etc. erscheinen; hier wären die Güter nicht mehr in dem Zustande wie die Abladung geschah, und folglich müsste der Capitain dafür haftbar gemacht werden.
Die im ersten Absatze dieses Artikels enthaltene Bestimmung, welche den Gegenbeweis gegen den Inhalt des Connossements auch ohne ausdrückliche Clauseln oder Vorbehalte zulässt, ist im Englischen und theilweise auch im Deutschen Rechte enthalten. Engl. Gesetz vom 4. Aug. 1855 (18. u. 19. Vict. c. 111) Art. 3. Levi, Internat, merc. Law II. p. 764. Abbott, Treatise p. 260. D. H. G. B. Art. 655. Ztschr. für H. R. Bd. 21 p. 398 ff. Auch in Frankreich wird die Vorschrift des Code de comm. Art. 283 in dieser beschränkten Weise angewendet. Bedarride II. Nr. 677. 696.
Nach dem Entwurfe besteht die Verantwortlichkeit des Capitains für verschlossene Frachtgüter nur soweit, als sie äusserlich verletzt werden oder eine Verantwortlichkeit ausdrücklich übernommen wurde; nach dem Deutschen und Französischen Rechte soll auch hier die Haftung des Capitains unbedingt sein, wenn sie nicht durch gewisse Clauseln ausdrücklich abgelehnt wurde. D. H. G. B. Art. 656.
Bedarride II. Nr. 697. Jedoch lässt man in Frankreich auch hier den Gegenbeweis des Capitains zu, und die Haftung für die Qualität wird auch hier nicht verlangt. Ebenso ist man auch in Deutschland der Meinung, dass der Beweis der Identität der abgelieferten mit den abgeladenen Gütern den Capitain von der Verantwortlichkeit befreit. Ztschr. f. H. R. Bd. 21 p. 409. Die Bestimmungen des Entwurfes scheinen daher mit der wirklichen Rechtspraxis und den bestehenden Gebräuchen des Schiffsverkehres mehr in Einklang zu sein, als die zu theoretisch gehaltenen Bestimmungen der anderen Gesetzbücher.
Die Ausnahme, welche im Code de comm. Art. 310 hinsichtlich der Flüssigkeiten in verschlossenen Gefässen gemacht ist, wurde im Entwurfe nicht adoptirt, da sie in den meisten übrigen Gesetzen nicht besteht und kein genügender Grund vorliegt, die Haftung für solche Gegenstände anders wie für alle übrigen Sachen zu bestimmen. Man kann allerdings sagen, dass wenn Fässer und ähnliche Gefässe leer oder fast leer ankommen, die Präsumtion dafür spricht, dass sie vom Capitain oder von den Schiffsleuten ausgeleert wurden; jedoch ist man in neuerer Zeit mit solchen Präsumtionen viel sparsamer geworden, und es wäre offenbar ungerecht, wollte man dem Capitain den Gegenbeweis verwehren, dass die Fässer in Folge eines Sturmes Schaden litten und ausliefen, oder in Folge ihrer schlechten Beschaffenheit. Dies wird übrigens auch in der Französ. Jurisprudenz selbst zugegeben, und es ist hieraus zu schliessen, dass die betreffende Bestimmung des Code de comm. Art. 310 in der Praxis gar nicht angewendet wird. Bedarride II. Nr. 821—823. Boulay-Paty II. p. 498. Endlich ist die Entleerung nicht der einzig mögliche Fall; es kann auch Verschlechterung, Verwässerung u. dgl. eintreten. Daher empfiehlt es sich nicht, gerade nur für den Fall der Entleerung eine Ausnahme von den gewöhnlichen Regeln eintreten zu lassen.
Der Capitain gehört in die Categorie der Frachtführer, daher sollte sich im allgemeinen die Grenze seiner Haftbarkeit ebenso wie bei den gewöhnlichen Frachtführern bestimmen. Entw. Art. 552. Code de comm. Art. 103. Indessen hat der Entwurf, wie es auch in den übrigen Gesetzgebungen geschehen ist, die Haftung für den Seetransport in engere Grenzen eingeschlossen. In Frankreich haftet der Capitain, wie aus Art. 310 zu schliessen ist, nur für sein Verschulden, nicht auch für zufällige Verluste. Bedarride II. Nr. 817. Alauzet V. Nr. 1915. Boulay- Paty II. sect. XVI. In England herrscht zwar der Grundsatz, dass der Capitain an sich wie ein Frachtführer (common cärrier) haftet, allein durch Statute sind hievon bedeutende Ausnahmen geschaffen worden; es ist nämlich ausgenommen die Haftung für Feuer, für den Raub etc. gewisser werthvoller Gegenstände, auch ist die Haftung in allen Fällen unverschuldeten Verlustes auf höchtens 8 £ St. per Tonne beschränkt. Merch. Shipp. Act 1854 (17. u. 18. Vict. c. 104 Art. 503. 506. 25. u. 26. Vict. c. 63 Art. 54. Abbott, Treatise p. 341. 261. Nach dem D. H. G. B. Art. 659 ist zwar der Schiffer für jeden nicht durch höhere Gewalt verursachten Verlust verantwortlich, er kann sich aber davon durch specielle Clauseln im Frachtvertrag freimachen. Ueberhaupt ist es allgemein üblich, dass in den Connossements-Formularen die Haftung für zufällige Verluste ausgenommen wird. Abbott, Treatise p. 261. Dies kann daher als das jetzt allgemein geltende Rechtsprincip angesehen werden, und wurde im Entwurfe adoptirt; jedoch wurde ausdrücklich hinzugefügt, dass der Capitain und seine Leute in keinem Falle, auch nicht durch vertragsmässige Bestimmungen in der Chartepartie oder im Connossement, sich von der Haftung für ihr eigenes Verschulden frei machen können. D. H. G. B. Art. 659.
Art. 966. Das Connossement begründet in gewissem Sinne eine formelle Verpflichtung, indem die Frachtgüter nur an den im Connossement genannten Empfänger (Consignatar) ausgeliefert werden können. Wenn das Connossement an Ordre oder auf den Inhaber lautet, kann jeder Inhaber die Ablieferung der Waaren fordern, da die Indossirung auch in blanco vorgenommen werden kann. Der Besitz des Connossements legitimirt daher in der Regel auch zum Empfang der Frachtgüter. D. H. G. B. Art. 647. Bedarride II. Nr. 687.
Es entspricht nur der allgemeinen in Art. 458 ausgedrückten Regel, dass der Empfänger die Frachtgüter nur verlangen kann gegen Entrichtung der darauf haftenden Fracht- und anderen Forderungen des Capitains. D. H. G. B. Art. 615. In welchen Fällen die Fracht auch ohne Ablieferung der Güter zu bezahlen ist, wird im folgenden Capitel näher bestimmt werden. Es versteht sich von selbst, dass der Empfänger ausserdem auch den Empfang der Waaren zu bestätigen hat, was gewöhnlich durch Zeichnung auf dem Connossement geschieht, das hiebei dem Capitain zurückgegeben zu werden pflegt. D. H. G. B. Art. 652.
In Art. 573 ist bereits bestimmt, wie es zu halten ist, wenn die Forderungen des Frachtführers nicht erfüllt werden oder der Empfänger nicht auszumitteln ist. Dieser Artikel findet auch auf den Seetransport Anwendung. Es ist dies nur eine bestimmte Anwendung des Retentionsrechtes; allein die Güter können nicht an Bord behalten werden, theils weil damit die Verpflichtung aus dem Frachtvertrag sie ans Land zu setzen nicht erfüllt würde, theils weil die Güter an Bord nicht wohl untersucht und recognoscirt werden können, auch zu leicht dem Verderben ausgesetzt wären. Ueberdies würde dies weitere Seefahrten desselben Schiffes ganz unnöthig verhindern. Code de comm. Art. 306. Bedarride II. Nr. 809.
Da das Connossement in verschiedenen Exemplaren ausgestellt werden kann, so hat der Befrachter die Möglichkeit, es an verschiedene Personen zu übersenden, und dadurch kann es kommen, dass sich mehrere durch das Connossement legitimirte Personen zum Empfang der Waaren melden. Da dies offenbar einen Rechtsstreit zwischen diesen mehreren Personen und dem Befrachter involvirt, kann der Capitain sich nicht darein mischen, sondern er muss die sichere Hinterlegung der Güter bewirken, und kann, wenn die Fracht etc. nicht entrichtet wird, sich dieselbe durch Verkauf eines Theiles derselben verschaffen. D. H. G. B. Art. 648.
An den Befrachter dürfen die Waaren nur zurückgegeben werden, wenn dieser zugleich sämmtliche Exemplare des Connossements zurückgibt. D. H. G. B. Art. 661.
Capitel 3. Fracht.
Art. 967. Die Fracht ist der Miethpreis des Schiffes, unterscheidet sich aber von einem gewöhnlichen Miethzins dadurch, dass sie auch die Vergütung für die Kosten der Schifffahrt, so namentlich den Unterhalt und Lohn der Schiffsbesatzung mit einschliesst. Indessen bildet die Fracht, wie man aus den Formularen von Connossementen sehen kann, in der Regel nicht die alleinige Vergütung, welche für den Transport der Frachtgüter zu zahlen ist. Meist wird noch eine kleine Nebengebühr für den Capitain entrichtet (primage, chapeau, capa, caplaken etc.), und gewisse Nebenkosten der Schifffahrt, wie für Schleppen, Aufeisen, Ankerung u. dgl. werden unter dem Namen der Havarie (average) gemeinsam von dem Schiff und der Ladung getragen. Der Entwurf stellt nun in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der Gesetzgebungen das Princip auf, dass die Fracht als ausschliessliche Vergütung für den Gütertransport anzusehen ist, wenn nicht durch Vertrag oder Handelsgebrauch solche Nebengebühren als übliche Verpflichtung gelten müssen. Die für den Capitain bestimmten Gebühren sollen dabei, ähnlich wie z. B. in England, Frankreich, Spanien auch wirklich diesem gehören (Bedarride II. Nr. 660. Abbott, Treatise p. 345. Span. H. G. B. Art. 737), soferne nichts anderes zwischen ihm und dem Schiffseigenthümer ausgemacht ist. Anders nach dem D. H. G. B. Art. 513, wornach alle dergleichen Nebeneinnahmen dem Schiffseigenthümer gehören sollen. Allein die Voraussetzung, von der man hiebei ausgeht, dass nämlich die sämmtlichen Einnahmen der Schifffahrt, ebenso wie auch die Ausgaben, dem Schiffseigenthümer zufallen müssten, und dass der Capitain schon durch seinen Gehalt vollgültig bezahlt werde, ist nicht stichhaltig. Denn solche Nebeneinnahmen sind als Zulage zum festen Gehalt des Capitains anzusehen, und der letztere wird um den durchschnittlichen Betrag der Zulage geringer normirt werden, so dass der Schiffseigenthümer dabei keinen Verlust erleidet. Andererseits liegt es im Vortheil des letzteren, dem Capitain ein Interesse an den Frachteinnahmen zu gewähren, da ihn dies zur Abschliessung günstiger Frachtverträge antreiben wird. Bedarride II. Nr. 660. Wenn daher der Capitain ein vertragsmässiges oder übliches Recht auf Nebengebühren hat und die Fracht alles einbegriffen, in Bausch und Bogen vereinbart worden ist, so muss man annehmen, dass darin auch die Gebühren des Capitains begriffen sind, die er daher für sich in Anspruch nehmen darf.
Im Französ. Code de comm. Art. 286 wird nur der Vertrag als Norm des Frachtbetrages genannt, indessen leidet es keinen Zweifel, dass in Ermangelung specieller Vertragsbestimmungen die am Orte der Einladung zeitweise üblichen Frachtsätze zu zahlen sind. D. H. G. B. Art. 620. Bedarride II. Nr. 655. 713. Abbott, Treatise p. 351. Dies ist schon desshalb nothwendig, weil sehr häufig die Fracht im voraus gar nicht bestimmt werden kann, wenn es sich nämlich um den Transport durch verschiedene zusammenhängende Unternehmer handelt, z. B. durch mehrere Dampfer- oder theilweise Eisenbahnlinien ; in solchen Fällen muss der Absender und resp. der Empfänger abwarten, bis ihm seiner Zeit die Fracht berechnet wird, er ist aber nie verpflichtet, mehr als die üblichen Frachtsätze zu entrichten.
Soweit nun die genannten und andere Nebengebühren oder Kosten neben der Fracht üblicher Weise nicht der Ladung zur Last fallen, sind alle Kosten der Schifffahrt, mögen sie gewöhnlich oder aussergewöhnlich sein, von dem Schiffseigenthümer zu tragen, wie z. B. Lootsen-, Hafen-, Tonnen-, Leuchtfeuergelder, Quarantaineabgaben u. dgl. D. H. G. B. Art. 622. In wieferne gewisse Verluste gemeinsam zu tragen sind, wird in dem nächsten von der Havarie handelnden Abschnitte gezeigt werden.
Der Betrag der Fracht und der übrigen Gebühren muss immer aus dem Connossement oder der Chartepartie ersichtlich sein. Es ist aber nicht nothwendig, dass die ganze Fracht von Anfang an schriftlich eingezeichnet wird, es kann dies auch später und erst bei der Ablieferung geschehen; nur müssen der Vertrag oder der Ortsgebrauch stets dabei berücksichtigt werden.
Art. 968. Die gleiche Bestimmung enthält der Code de comm. Art. 289. 290. Bedarride II. Nr. 743. Belg. Gesetz von 1879 Art. 73.74. Ital. H. G. B. Art. 397. Span. H. G. B. Art. 746. 747. Da sich nach der Tragfähigkeit jedes Schiffes die Menge und das Gewicht der Ladung richten muss, so ist klar, dass der Befrachter ein grosses Interesse daran hat, darüber genau Bescheid zu wissen, damit er den Umfang seiner Verladung genau berechnen kann. Es ist gleichgültig, ob der Capitain aus Irrthum oder Betrug eine unrichtige Angabe machte; er muss in allen Fällen für seine Angabe verantwortlich sein. Doch wird ein kleiner Irrthum ihm nicht zum Vorwurf gemacht; auch kann er nicht für einen etwaigen Irrthum in dem amtlichen Vermessungszeugniss verantwortlich gemacht werden.
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass die Tragfähigkeit, d. h. die Fähigkeit eine bestimmte Menge oder Gewicht von Waaren einzunehmen, nicht mit dem Tonnen- oder Cubikraumgehalt der Schiffe identisch ist. Von dem gesammten Raumgehalt sind die Cajüten, der Maschinenraum bei Dampfern und andere für Frachtgüter nicht disponible Räume abzuziehen. Die wirkliche Tragfähigkeit ist demnach bei jedem Schiffe eine Sache der Praxis und der seemännischen Beurtheilung, um so mehr als es auch auf die Natur der Ladung, insbesondere deren Schwere oder grossen Umfang, ankommt. Zweifel hierüber sind daher durch seemännische Experten zu entscheiden.
Wenn umgekehrt die wirkliche Tragfähigkeit grösser ist als sie der Capitain angab, so wird man dem Befrachter das Recht einräumen müssen, verhältnissmässig mehr Waaren gegen Erhöhung der Fracht zu laden; will er dieses Recht nicht ausüben, so kann der Capitain nicht gehindert werden, den frei bleibenden Theil seines Schiffes weiter zu verfrachten, ohne jedoch dadurch dem ersten Befrachter Schaden zuzufügen. Bedarride II. Nr. 749.
Art. 969. Die Bestimmungen dieses Artikels wurden bereits oben zu Art. 961 besprochen. Sie sind auch in den übrigen Gesetzgebungen enthalten. Code de comm. Art. 287.288. Belg. Gesetz von 1879 Art. 72. 75. Ital. H. G. B. Art. 395. 396. Span. H. G. B. Art. 759. D. H. G. B. Art. 579. Abbott, Treatise p. 351.
Art. 970. Im Fall der Frachtmiethe kann der Befrachter nach Art. 958 von dem Vertrage nur gegen Zahlung der vollen Fracht zurücktreten, nachdem die Einladung bereits begonnen hat. Bei Stückgütern wird dem Befrachter ein weiter gehendes Recht eingeräumt, da man annehmen kann, dass der Capitain leicht andere Frachtgüter finden kann und der Rücktritt eines Einzelnen die Expedition des Schiffes in der Regel nicht berühren wird. Daher kann man bei Stückladung jederzeit zurücktreten gegen Zahlung der halben Fracht, solange die Reise noch nicht angetreten ist. Code de com. Art. 291.293. Belg. Gesetz von 1879 Art. 87.89. Ital. H. G. B. Art. 398.400. D. H. G. B. Art. 581. Vorausgesetzt ist hier immer dass den Capitain kein Verschulden trifft, z. B. nicht das Schiff seeuntüchtig ist u. s. w., da in solchen Fällen der Capitain haftbar wäre und der Befrachter ohne Entschädigung zurücktreten könnte. S. Art. 972.
Art. 971. Die gleiche Bestimmung enthält Code de comm. Art. 292, D. H. G. B. Art. 565. Belg. Gesetz von 1879 Art. 88, Ital. H. G. B. Art. 399, Span. H. G. B. Art. 761. Diese Befugniss ist nothwendig, wenn heimlich eingeladene Güter für das Schiff oder die Ladung gefährlich sein würden, oder wenn das Schiff überladen wäre. Das über Bord werfen kann unter Umständen nöthig sein, wenn die Güter erst während der Reise entdeckt werden und Gefahr auf dem Verzuge ist oder keine Gelegenheit zum Landen besteht. Uebrigens darf der Capitain diese Befugniss nicht willkürlich ausüben und der betreffenden Person etwa absichtlich Schaden zufügen, daher muss der Capitain wo möglich auch das Interesse der letzteren berücksichtigen ; er wird also, wenn er die Güter ans Land schaffen lässt, dieselben zugleich unter geeignete Obhut bringen müssen, damit sie nicht ohne Noth zu Grunde gehen. Bedarride II. Nr. 758.760. Es wird ferner auch darauf ankommen, ob der andere heimlich etwa nur in der Eile, aber in gutem Glauben handelte, ob die Güter vielleicht feuer- oder explosionsgefährlich, oder verbotene Waaren sind u. dgl. m.
Art. 972. In diesem Artikel werden einzelne Fälle angeführt, in welchen der Befrachter ohne Entschädigung des Capitains von dem Vertrage zurücktreten kann, weil den letzteren die Verantwortlichkeit dafür trifft (Art. 970). Es gehört hieher vor allem der Fall der Seeuntüchtigkeit des Schiffes, gleichviel übrigens ob dem Capitain dabei ein Vorwurf der Nachlässigkeit gemacht werden kann oder nicht. Code de com. Art. 297. Belg. Gesetz von 1879 Art. 95. Holländ. H. G. B. Art. 479. D. H. G. B. Art. 560.630. Die Nationalität, welche im Span. H. G. B. Art. 748 besonders hervorgehoben ist, kann für den Befrachter von Wichtigkeit sein, wegen der Möglichkeit der Confiscation in einem Kriege, oder wegen Zollprivilegien u. dgl. Daher gehört die Nationalität zu denjenigen Eigenschaften eines Schiffes, welche seine Identität ausmachen, und welche gegen den Willen des Befrachters nicht verändert werden dürfen.
Es wird in den Gesetzen das Recht des Rücktritts auch dann zugestanden, wenn die Seeuntüchtigkeit factisch bewiesen ist, selbst wenn das Gegentheil durch amtliche Zeugnisse beglaubigt wäre. Das gleiche muss auch in Bezug auf die Nationalität bemerkt werden.
Die Bestimmungen dieses Artikels haben den Zweck, den Befrachter und die Ladung vor gewissen Gefahren oder Nachtheilen zu schützen, denen sie von den Schiffseigenthümern oft leichtsinniger Weise ausgesetzt werden. Es werden nämlich oft seeuntüchtige Schiffe ausgesandt, weil sie versichert sind, da durch ihren Untergang der Eigenthümer nichts verliert. Auch wenn sie einen Nothhafen erreichen und dort ausgebessert werden könnten, würde doch der Befrachter dadurch Zeit und vielleicht die Chancen seiner Speculation verlieren.
Art. 973. Hier wird die Voraussetzung gemacht, dass das Schiff in seetüchtigem Zustande auslief, aber während der Reise durch Stürme und andere Unfälle Schaden erlitt und daher ausgebessert werden muss. Solche Möglichkeiten der Seefahrt können jederzeit eintreten als Folgen von Wind und Wetter und anderen Naturereignissen, daher müssen alle betheiligten Theile die Nachtheile hievon auf sich nehmen, und der Befrachter kann nicht einfach seine Waaren zurücknehmen, so lange Aussicht besteht, dass der Capitain den abgeschlossenen Vertrag auch ausführen wird. Sollte die Ausbesserung nicht möglich sein, entweder überhaupt nicht, oder wegen der örtlichen oder zeitlichen Umstände, und kann von ihm kein anderes Schiff als Ersatz gestellt werden, dann ist der Eintritt der Seeuntüchtigkeit von diesem Zeitpunkte an anzunehmen, und der Befrachter erlangt dadurch das Recht des Rücktritts; allein er muss die bis dahin erlaufene Fracht bezahlen, weil bis dahin der Vertrag von dem Capitain ausgeführt wurde. Code de comm. Art. 296. Belg. Gesetz von 1879 Art. 94. Ital. H. G. B. Art. 403. Holland. H. G. B. Art. 478. D. H. G. B. Art. 640.
Die Zeit des Abwartens ist in den Gesetzen nicht fixirt, es muss daher ein angemessener Zeitraum vorausgesetzt werden, d. h. ein solcher, der den Zweck der Reise nicht völlig vereitelt und nicht übermässig lange dauert, die Ausbesserung muss also unmittelbar begonnen und ununterbrochen in nicht zu langer Zeit vollendet werden.
Ausserdem ist noch bestimmt, dass während dieses Aufenthalts keine Fracht zu zahlen ist, wenn dieselbe nach Zeitabschnitten, wie Monaten etc., bestimmt wurde. D. H. G. B. Art. 640.
Art. 974. Ebenso verfügt der Code de comm. Art. 300, das D. H. G. B. Art. 637, Belg. Gesetz von 1879 Art. 103, Ital. II. G. B. Art. 509 Nr. 9. Der Grund hiefür ist, dass der durch höhere Gewalt verursachte Aufenthalt ein unabwendbarer Unfall ist, und der Verlust daraus nicht einem der Betheiligten allein zur Last gelegt werden kann. Im Französischen Gesetzbuch werden nur die Löhne und der Unterhalt der Schiffsbesatzung als gemeinsamer Verlust bezeichnet, in dem Deutschen dagegen alle Kosten des Aufenthalts; das letztere scheint gerechter und wurde daher im Entwurf adoptirt. Dieselben sind im D. H. G. B. Art. 708 Nr. 4 specificirt; es gehören hieher namentlich auch die Kosten des Ein- und Auslaufens des Schiffes, z. B. Lootsengebühren, oder Hafenabgaben u. dgl. Das nähere ist aus den Grundsätzen über grosse Havarie zu entnehmen.
Art. 975. Die Verzögerung durch Schuld eines Betheiligten gehört nicht zu den unabwendbaren Zufällen einer Seereise, sie fällt daher demjenigen zur Last, der sie bewirkt hat. Code de comm. Art. 294.295. Belg. Gesetz von 1879 Art. 82.83. Ital. H. G. B. Art. 401. 402. Holland. H. G. B. Art. 475.476. Bedarride II. Nr. 761 ff. Es ist zu bemerken, dass der Befrachter für die Ueberliegezeit nicht besonders zu zahlen hat, da er hiefür bereits das Ueberliegegeld entrichtet (demurrage). Auf Seiten des Befrachters gehören hieher auch die Fälle, wenn das Schiff von der Zollbehörde angehalten wird wegen Uebertretung der Zollgesetze, oder wenn es wegen Kriegscontrebande weggenommen und in einen fremden Hafen gebracht wird.
Art. 976. Die gleichen Bestimmungen sind enthalten im Französ. Code de comm. Art. 298. 301. 310. Belg. Gesetz von 1879 Art. 77. 93. 96. Ital. II. G. B. Art. 405. 408. 417. Span. H. G. B. Art. 785. 786. 789. Holländ. H. G. B. Art. 480. 481. D. H. G. B. Art. 619. Nach dem letzteren Gesetzbuch Art. 618 ist jedoch keine Fracht zu bezahlen, wenn die Güter durch irgend einen Unfall verloren gehen; wenn man darunter nur Seeunfälle versteht, so gehört diese Bestimmung in den Inhalt des nachfolgenden, von Schiffbrüchen und anderen Seeunfällen handelnden Artikels. Allein dem Wortlaute nach könnte damit jeder zufällige Verlust der Waaren gemeint sein, also auch ein solcher, dem dieselben auch am Lande ausgesetzt wären. Diesen letzteren zufälligen Verlust, von welchem Art. 310 des Code de comm, zu verstehen ist, muss offenbar dem Befrachter ausschliesslich zur Last fallen, da das Risiko der Waaren auch während ihres Transportes dem Eigenthümer verbleibt. Unter dem Verlust der Waaren ist hauptsächlich der Verlust oder die Verminderung ihres Werthes, aber auch die Abnahme der Quantität, des Gewichts etc. zu verstehen, wenn also z. B. Waaren auf der Reise verderben, zusammenschwinden, wenn Flüssigkeiten auslaufen, verdampfen, sauer werden u. dgl. m. Die Schuld des Befrachters liegt vor allem in mangelhafter Verpackung, oder in anderen Versehen, durch welche eine Waare zu Grunde gehen kann, z. B. Zusammenpacken verschiedener Waaren, von denen die eine die andere verdirbt. Ferner können Waaren durch ihre eigene Beschaffenheit verderben, z. B. Glas kann leicht zerbrechen, Bier sauer werden, Oel verdampfen etc. Unter zufälligem Verlust ist jeder andere zu verstehen, soferne er nicht auf einem Verschulden des Capitains oder der Schiffsleute beruht. Vgl. Art. 965. Nur solche Unfälle gehören nicht hieher, welche das Schiff selbst betreffen und die Fortsetzung der Reise verhindern; diese sind nach dem folgenden Artikel zu beurtheilen.
Dass für die zum Besten des Schiffes nach Art. 936 verkauften Waaren die volle Fracht zu ersetzen ist, folgt daraus, dass der Eigenthümer der Waaren deren Werth ersetzt erhält, mithin einen ungerechtfertigten Gewinn auf Kosten des Schiffes machen würde, wenn ihm die Fracht, die er für die abgelieferten Güter hätte zahlen müssen, nicht auch in diesem Falle abgezogen werden dürfte. Der gleiche Grund ist auf die zur Rettung aus gemeinsamer Gefahr aufgeopferten Güter anzuwenden, weil auch dieser Verlust dem Eigenthümer ersetzt, resp. von allen Betheiligten gemeinsam getragen wird. Da die Ladung einen Antheil am gemeinsamen Verluste zu tragen hat, so ist es nur billig, dass auch auf die Fracht ein solcher Verlustantheil gelegt wird. Das nähere hierüber ist aus den Grundsätzen über Havarie zu ersehen.
Art. 977. Während der vorige Artikel von Verlusten handelt, welche nur die Ladung betreffen, bestimmt der gegenwärtige Artikel von dem Verlust des Schiffes durch Schiffbruch oder andere Seeunfälle, wohin speciell auch die Wegnahme des Schiffes durch den Feind oder durch Seeräuber gehören. In Fällen letzterer Art kann die Ladung mit verloren sein oder nicht, und es fragt sich, wie es alsdann mit der Fracht zu halten sei. Ist die Ladung mitverloren, so ist keine Fracht zu bezahlen, auch nicht bis zu dem Zeitpunkte, wo der Verlust des Schiffes eintrat; ja es ist sogar die etwa vorausbezahlte Fracht zurückzuerstatten. Es ist dies eine Ausnahme von den gewöhnlichen Grundsätzen des Miethvertrages, nach welchen, wenn der Gegenstand des Miethvertrages zu Grunde geht, zwar auch der Mietvertrag zu Ende geht, aber doch bis zu dem Zeitpunkt dieser Endigung der erlaufene Miethzins bezahlt werden muss. Diese Abweichung rechtfertigt sich dadurch, dass der Frachtvertrag den Capitain zur Leistung eines bestimmten Erfolges, nämlich zur Ablieferung der Ladung am Bestimmungsorte verpflichtet, und mithin wenn diese Ablieferung nicht erfolgt, der Vertrag von ihm überhaupt nicht erfüllt ist. Der Capitain hat dafür, da er durch höhere Gewalt daran gehindert wurde, keinen Schadensersatz zu leisten, aber die Fracht ist von ihm nicht verdient, da der Transport bis zu dem Orte, wo das Unglück stattfand, für den Eigenthümer der Ladung keinen Werth hat, nachdem diese verloren gegangen ist. In solchen Fällen trägt mithin der Befrachter nur das Risiko der Ladung, der Schiffseigenthümer dagegen das Risiko des Schiffs und der Fracht. Anders wäre es, wenn die Ladung gerettet würde; in diesem Falle hätte der Befrachter den Vortheil des Transports bis zu dem betreffenden Orte, und müsste auch dafür verhältnissmässig bezahlen. Es kann jedoch auch möglich sein, die gerettete Ladung auf einem anderen Schiffe bis zum Bestimmungsorte zu transportieren, dann müsste ähnlich wie unter der Voraussetzung des Art. 973 am Schlusse die volle Fracht bezahlt werden. Ebenso wäre es, wenn die Ladung im Fall der feindlichen Wegnahme später wieder freigegeben würde. Bedarride II. Nr. 797. In allen diesen Fällen ist der Capitain verpflichtet, die Ladung bis zum Bestimmungsorte zu bringen, so lange ihm dies möglich ist; es ist ihm folglich nicht gestattet, sich mit der verhältnissmässigen Fracht zu begnügen und die Ladung unterwegs willkürlich liegen zu lassen. Bedarride II. Nr. 799.
Werden die Güter mit dem Schiffe zurückgekauft, so ist dies eine gemeinsame Ausgabe zum Vortheile aller, die auch von allen Betheiligten gemeinsam getragen werden muss. Der Eigenthümer hat dazu beizutragen mit dem Werthe der Güter am Bestimmungsorte abzüglich aller Kosten für Einladen, Versicherung, Fracht etc., also mit dem reinen oder Nettowerthe der Güter. Andererseits muss auch dem Eigenthümer des Schiffes der Abzug aller Kosten gestattet werden, für die Ausrüstung des Schiffes, für den Lohn der Schiffsmannschaft etc. etc. Um hier eine feste Regel zu setzen und schwierige Berechnungen und Nachweise zu ersparen, hat man bestimmt, dass das Schiff mit der Hälfte des Werthes des Schiffes und der Fracht beizutragen habe.
Diese Bestimmungen enthält auch der Französ. Code de comm. Art. 302—304. Belg. Gesetz von 1879 Art. 97, wo jedoch in Art. 98 die Entschädigung für den Rückkauf nach richterlichem Ermessen bestimmt werden soll. Ital. H. G. B. Art. 409—411. Span. H. G. B. Art. 797. 788. Holländ. H. G. B. Art. 482. 483. D. H. G. B. Art. 630—632.
Art. 978. Die gleiche Bestimmung enthält der Franzos. Code de comm. Art. 305 Belg. Gesetz von 1879 Art. 78, Ital. H. G. B. Art. 412, D. H. G. B. Art. 626—628. Der Capitain kann somit, wenn der Consignatar die Fracht nicht bezahlt, die Ladung für Rechnung der Fracht verkaufen lassen, und soweit dieser Verkauf nicht die Fracht einbringt, seine Forderung gegen den Befrachter geltend machen. Letzterer ist der eigentliche Schuldner aus dem Frachtvertrag, da er diesen abgeschlossen hat, er muss daher eventuell die Haftung übernehmen. Wenn der Consignatar die Zahlung der Fracht verweigert, weil die Güter verdorben oder beschädigt sind, so kommt dieser Artikel gleichwohl ohne Verzug zur Anwendung; jedoch muss dann der Capitain unter Umständen Caution für Rückzahlung der Fracht leisten. Bedarride II. Nr. 807.
Art. 979. Das Retentionsrecht, welches der Capitain an den Frachtgütern hat, um zur Bezahlung der Fracht zu gelangen, wird nach Art. 573 derart ausgeübt, dass die Güter deponirt und soweit für die Fracht nöthig verkauft werden. Der Capitain ist mithin nicht verpflichtet, die Frachtgüter an den Consignatar vor der Bezahlung der Fracht auszuliefern. Allein es ist begreiflich, dass eine solche Auslieferung in sehr vielen Fällen trotzdem stattfinden wird, da die Güter ans Land gebracht und untersucht, auch zollamtlich behandelt werden müssen, und der Capitain ohne besondere Gründe keinen Verdacht wegen unmittelbarer Zahlung der Fracht hegen wird. Aus diesen Erwägungen ist allgemein das Privileg des Capitains noch weiter ausgedehnt worden, es soll nämlich auch nach der Ablieferung an den Consignatar fortdauern, jedoch nur 14 Tage lang, und vorausgesetzt, dass die Güter nicht in den Besitz einer dritten Person übergegangen sind. Letzteres ist nur eine Folge des in Art. 446 ausgedrückten allgemeinen Satzes, dass das Retentionsrecht durch den Verlust des Besitzes verloren geht; nur dass hier der Besitzverlust nicht in der Person des Capitains, sondern des Consignatars vorausgesetzt wird. Nach der Deutschen und Spanischen Gesetzgebung soll das Privilegium noch 30 Tage nach der Ablieferung fortdauern; allein ein Zeitraum von 14 Tagen erscheint genügend, damit der Capitain, wenn er nicht unmittelbar nach der Ablieferung bezahlt wird, seine Rechte wegen der Fracht gegen den Consignatar geltend machen kann. Sollte der letztere binnen der 14-tägigen Frist bankerott werden, so würde er strenge genommen auch den Besitz an den Frachtgütern verlieren, da die Güter des Bankerotteurs nunmehr auf die Gesammtheit der Gläubiger bez. den Conkursverwalter übergehen. Allein wegen dieser abstracten Folge kann das Recht des Capitains offenbar keine Aenderung erleiden, da der Character der einzelnen Forderungen durch den Ausbruch eines Concurses nicht geschwächt werden kann. Diese Grundsätze sind auch in den übrigen Gesetzgebungen anerkannt. Code de comm. Art. 307. 308. Belg. Gesetz von 1879 Art. 80. 81. Ital. H. G. B. Art. 414. 415. Span. H. G. B. Art. 797. 798. D. H. G. B. Art. 624. 626.
Art. 980. Die gleiche. Bestimmung enthalten der Code de comm. Art. 309, Belg. Gesetz von 1879 Art. 76, Ital. H. G. B. Art. 416, D. H. G. B. Art. 619. Die Fracht dient dazu, die Kosten der Seereise zu bestreiten; ist die Reise zurückgelegt, so gebührt dem Capitain die Fracht, da die Reise aus Veranlassung und zum Vortheil der Befrachter gemacht wurde, gleichviel in welchem Zustande die Frachtgüter ankommen oder wie sich sonst die Umstände gestattet haben. Gesetzt, Flüssigkeiten sind während der Reise gänzlich verdampft, oder Thiere oder Passagiere während der Reise gestorben, oder haben sich die Frachtsätze in Folge der Beendigung eines Krieges vermindert, oder sind die Preise der Frachtgüter am Bestimmungsorte erheblich gesunken und die Fracht in Folge dessen unverhältnissmässig hoch geworden, in all diesen und ähnlichen Fällen kann eine Herabminderung der Fracht, wenn sie nicht von Anfang an bewilligt wurde, nachher nicht mehr beansprucht werden. Von diesem Princip wird jede vertragsmässige Preisbestimmung beherrscht, da. wenigstens in Handelssachen wegen übermässigen Preises kein Nachlass daran verlangt werden kann, und dieses Princip soll denn auch auf den Frachtpreis unbeschränkte Anwendung finden. Jedoch ist daran zu erinnern, dass die Fracht nur bei der Ablieferung der Güter verlangt werden kann; mithin gilt die Regel des gegenwärtigen Artikels nur soweit, als die Frachtgüter abgeliefert werden, ausgenommen natürlich, wenn die Ablieferung ohne Verschulden des Capitains und seiner Leute nicht stattfinden kann, wenn z. B. Thiere auf dem Transport umkamen und über Bord geworfen werden mussten u. dgl.
Art. 981. Der Inhalt dieses Artikels fliesst aus dem nämlichen Princip wie der des vorhergehenden ; der Capitain braucht weder eine Verminderung der Fracht zuzugestehen, noch sich mit den Frachtgütern für die Fracht bezahlt machen zu lassen. Letzteres würde der Consignatar vermuthlich dann versuchen, wenn ihm die Frachtgüter die Fracht nicht mehr werth wären. Er kann dann nicht etwa erklären, dass er die Güter nicht wolle, um keine Fracht bezahlen zu müssen. Allerdings kann der Capitain die Güter verkaufen lassen, wenn ihm die Fracht nicht bezahlt wird; allein sollte dieser Verkauf nicht ausreichen, so bleibt ihm nichts destoweniger sein Anspruch gegen den Empfänger und Befrachter.
Ist der Capitain dagegen für den Werthverlust verantwortlich, also dann, wenn er selbst diesen verschuldet hat, dann soll er auch verpflichtet sein, die Frachtgüter für die Fracht zu behalten, wenn der Consignatar dies will. Der letztere kann allerdings in diesem Falle auch Werthersatz von dem Capitain verlangen, und dann müsste er sich, gleichwie im Fall zurückgekaufter Güter (Art. 977), die Anrechnung der Fracht gefallen lassen. Allein es könnte sein, dass die Fracht höher ist als der Werth der verdorbenen Güter, dann wird er vorziehen, auf diese ganz zu verzichten, um der Fracht zu entgehen.
Die übrigen Gesetzgebungen haben die gleichen Bestimmungen (Code de comm. Art. 310. Belg. Gesetz von 1879 Art. 77. Ital. H.G.B. Art. 417. Span. H.G.B. Art. 790. D. H. G. B. Art. 617.) Allerdings lassen diese Gesetzgebungen als Ausnahme von der Regel nur den Fall ausgelaufener Flüssigkeiten zu, allein es wurde bereits oben zu Art. 965 ausgeführt, dass diese specielle Ausnahme für sich allein nicht zu billigen ist, wenn man dem Capitain kein Verschulden nachweisen kann, und sie wird auch von der Französischen Jurisprudenz nicht gebilligt. Bedarride II. Nr. 821.
Art. 982. Der Französische Code de commerce enthält keine besonderen Bestimmungen über die Beförderung von Reisenden auf Seeschiffen; jedoch sind solche Bestimmungen in mehreren neueren Gesetzbüchern enthalten, z. B. im D. H. G. B. Titel VI., im Belgischen Gesetz von 1879 Titel IV., im Italienischen H.G.B. Titel IV. Cap. 4, im Holland. H.G.B. Art. 521—533, in den Englischen Gesetzen (Passenger's Acts) vom 14. Aug. 1855 und 13. Juli 1863, auch schon in dem Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 303—325. Da in dem Entwurf schon oben in Titel VIII. Cap. 8 von der Beförderung der Passagieren gehandelt wurde, so können diese Bestimmungen auch auf Seeschiffe angewendet werden, während die Bestimmungen über Seefracht in den übrigen Beziehungen, so namentlich hinsichtlich des Passagepreises und der Effecten der Passagiere Anwendung finden müssen. Daher erschien es nicht erforderlich, über die Beförderung der Reisenden zur See hier noch besondere Bestimmungen hinzuzufügen, um so mehr als die polizeilichen Verordnungen zum Schutz der Reisenden der administrativen Gesetzgebung überlassen bleiben müssen.
Titel VI. Havarie.
Art. 983. Der vorausgehende fünfte Titel schliesst den ersten Theil des Seerechts, welchem die regelmässigen Angelegenheiten und Geschäfte der Schifffahrt gewidmet sind. Der nun folgende zweite Theil beschäftigt sich mit den unregelmässigen Ereignissen der Schifffahrt, nämlich mit Unfällen und Seeschäden. Die Bestimmungen dieses zweiten Theiles entscheiden, von welchen Personen und nach welchen Grundsätzen die Seeschäden getragen werden müssen. Die ersteren können in der Hauptsache nur sein entweder die betheiligten Eigenthümer von Schiff oder Ladung, oder andere, welche die Haftung für sie vertragsmässig übernommen haben, nämlich Bodmereigläubiger und Versicherer. Die drei nachfolgenden Titel haben daher in natürlicher Reihenfolge von der Havarie, vom Bodmereivertrag und von der Versicherung zu handeln. Dies ist im ganzen und grossen auch die Anordnung des Französischen Code de commerce, nur dass in diesem die Havarie zuletzt behandelt wird, was nicht so angemessen erscheint, da es logisch richtiger erscheint, zuerst die Fälle zu behandeln, in welchen die betheiligten Eigenthümer selbst haften. In den übrigen Gesetzbüchern ist entweder ein bestimmter Gedankengang nicht zu erkennen, oder es werden einfach die Contracte der Seeschifffahrt den Seeunfällen vorausgestellt; dieser rein äusserliche Gegensatz ist jedoch nicht zutreffend und erschöpfend, da Vertrag und Unfälle auch in allen übrigen Theilen des Seerechts zu berücksichtigen sind. Allerdings wird die Havarie häufig als ein Bestandtheil des Versicherungswesens angesehen, da Schiff und Ladung meistens versichert sind und daher die Ansprüche wegen Havarie meist gegen die Versicherer erhoben werden. Allein dies hindert nicht, die Havarie für sich allein zu regeln, da die Grundsätze der Havarie in keiner Weise davon abhängen, ob Versicherung genommen war oder nicht.
Havarie bezeichnet im allgemeinen jeden Seeschaden, der nicht zum gänzlichen Verlust des Schiffs und der Ladung geführt, also jeden theilweisen Verlust oder Schaden an Schiff oder Ladung. Dieser Sinn wird schon durch das Wort angedeutet, sei es dass man von dem Altgermanischen Worte half (ausgesprochen haf)-halb (Halboder Theilschaden), oder von dem Römischen Worte aversio (Abwendung, der Seegefahr nämlich) ableitet. Havarie ist dann nicht mehr vorhanden, wenn alles verloren ist oder wenn die Gefahr nicht abgewendet wurde. Vgl. über diese noch nicht erledigte Frage Arnould, marit. insur. (ed. Maclachlan) VI. p. 880 ff.
Der Französische Code Art. 397 enthält eine allgemeine Definition der Havarie; dieselbe wurde im Entwürfe für unnöthig erachtet, da dies mehr ein theoretischer, denn ein practischer Begriff ist, indem es eine allgemeine oder abstracte Havarie nicht gibt, sondern nur entweder grosse oder besondere Havarie, und da man die Natur der Havarie sehr wohl von selbst aus den Definitionen der grossen und der besonderen Havarie erkennen kann. Auch das D. H. G. B. hat keine solche abstracte Definition der Havarie. Daher hat man im Entwurf sogleich mit den Bestimmungen über grosse Havarie begonnen.
Man unterschied früher eine grosse Anzahl von Arten der Havarie. Bedarride V. Nr. 1664. 1665. Es sind jedoch in dem neuesten Rechte davon nur zwei oder drei Arten übrig geblieben. Der Entwurf ist dem Französischen und Deutschen Vorgang der Zweitheilung gefolgt, indem die sog. kleine Havarie, in England petty average genannt, richtiger zu den Kosten der Schifffahrt gerechnet wird. .Unten Art. 995. Es werden daher nur zwei Arten der Havarie angenommen, die grosse Havarie, auch allgemeine oder gemeinsame genannt (avarie commune, general average), und die besondere Havarie, auch einfache oder specielle genannt (avarie simple on particuliere, special or particular average).
Zum Begriff der grossen Havarie gehört folgendes:
1. Das Vorhandensein einer dem Schiff und der Ladung, nicht blos einem von beiden, drohenden Gefahr. Daher ist grosse Havarie z. B. nicht möglich, wenn ein Schiff in Ballast oder nur für Passagiere fährt, oder wenn die Ladung bereits vom Schiffe genommen ist. Dass jedoch beiden die Gefahr in gleichem Masse droht, oder dass die Gefahr sehr bedeutend sei, wird nicht erfordert. Allerdings wird nach Art. 998 bei ganz unbedeutenden Schäden keine Havarie angenommen, doch genügt jeder nicht unter das gesetzliche Minimum herabgehende Schaden. Wenn z. B. die Ladung in Brand geräth und zur Vernichtung des Feuers die Schiffswand theilweise beschädigt werden muss, so ist dies eine gemeinsame Gefahr, da das Feuer auch das Schiff ergreifen könnte, allein der Verlust an Waaren kann viel grösser sein als der Schaden am Schiff.
Die bereits vorhandene oder eingetretene Gefahr ist von der erst künftigen oder bevorstehenden wohl zu unterscheiden. Was man thut, um einer drohenden Gefahr auszuweichen, fällt nicht unter den Begriff der Havarie, z. B. das Einlaufen in einen Hafen wegen dichten Nebels. Ob die Gefahr schon eingetreten ist, hängt von dem Urtheil des Capitains resp. des Schiffsrathes ab; darauf dass dieses Urtheil richtig sei, kommt es übrigens nicht an, es wird also nur verlangt, dass eine Gefahr verständiger Weise angenommen werden konnte. Würde aber der Capitain aus übertriebener Aengstlichkeit oder blinder Furcht ein Opfer veranlassen, so wäre dies ein persönliches Verschulden des Capitains, welcher in diesem Falle den dadurch Beschädigten allein haftbar bliebe. Lewis II. p. 29.
2. Ein freiwilliges Aufopfern eines Theiles von Schiff oder Ladung, um beide aus der gemeinsamen Gefahr zu retten. Dieses Opfer ist entweder eine Beschädigung des Schiffes, wodurch dieses mehr oder minder reparaturbedürftig wird, oder ein Aufgeben oder Beschädigen der Ladung, wodurch diese einen Theil ihres Werthes verliert, oder das Aufwenden von Geldsummen, z. B. die Contrahirung einer Anleihe für die Bedürfnisse des Schiffes, der Verkauf eines Theiles der Ladung, um für die gleichen Bedürfnisse Geld zu erhalten u. s. w. Alles dies muss vorsätzlich geschehen, es darf mithin keine Folge äusserer Nothwendigkeit sein. Wenn z. B. ein bereits im Sinken begriffenes Schiff auf den Strand gesetzt, oder ein Mast gekappt wird, der bereits als verloren anzusehen ist, wenn ein Anker aufgegeben wird, der nicht mehr aufgewunden werden kann, wenn bei einem an Bord ausgebrochenen Brande bereits brennende Waarenballen über Bord geworfen werden; wenn beim Pumpen ein Theil der Ladung, z. B. Guano, mit dem Wasser zugleich ausfliesst, so ist in allen solchen Fällen keine grosse Havarie, weil mag ein absichtliches Handeln vorliegen oder nicht, der Schaden durch andere Ursachen als den freien Willen herbeigeführt wurde. Die Vorsätzlichkeit wird dadurch nicht aufgehoben, dass der Verlust oder Schaden nur indirect eintritt, weil es sich nicht blos um die erste, sondern auch um die zweite und weitere unvermeidliche Folge der vorsätzlichen Rettungsmassregeln handelt. Gesetzt, es werden Luken geöffnet, um Waaren über Bord zu werfen, durch die geöffneten Luken fliesst aber Seewasser ein und beschädigt die übrige Ladung, so ist dieser Schaden durch Seewasser ein indirect vorsätzlicher, ebenso wie wenn etwa absichtlich Wasser auf die Ladung unmittelbar gelassen wird, um dieselbe vor Feuer zu beschützen, oder wie wenn man absichtlich die Schiffswand aufreisst, um die Ladung schneller auswerfen zu können. Zwischen der directen und indirecten Wirkung muss aber ein unvermeidlicher Causalzusammenhang bestehen, d. h. es wird kein indirecter Schaden vergütet, der auchohne die Rettungshandlung eingetreten wäre oder hätte eintreten können, wie z. B. wird Schaden am Schiffe, den dieses auf der Fahrt nach dem Nothhafen durch zufälliges Stranden erleidet, oder Schaden an der Ladung, der dieser durch Löschen in einem Nothhafen zugefügt wurde, nicht als grosse Havarie zugelassen, wenn die Ladung an solcher Stelle und in solcher Weise gelöscht wurde, wie es in dem betreffenden Hafen auch bei nicht in Seenoth befindlichen Schiffen gebräuchlich ist. Bedarride V. Nr. 1674.
Die Fälle der grossen Havarie sind hiernach stets ein Gegen stand der thatsächlichen Beurtheilung aller Umstände durch seemännische Sachverständige. Ueber eine Anzahl von besonders wichtigen oder häufigen Fragen, die zum Theile vorstehend als Beispiele erläutert wurden, sind im Jahre 1877 von dem Verein für Reform und Codification des Völkerrechts auf der Versammlung zu Antwerpen, nachdem früher schon ähnliche Berathungen in Glasgow, London, York und Bremen stattgefunden hatten, feste Grundsätze oder Interpretationsregeln aufgestellt worden, 12 an der Zahl, welche seitdem, ohne die Natur eigentlicher Gesetze zu besitzen, allmählich durch den thatsächlichen Gebrauch der Schifffahrts- und Versicherungsgesellschaften in das moderne Seerecht eingeführt worden sind. S. dieselben in der Zeitschr. für H. R. Bd. 24 p. 501 ff. Diese Regeln, unter dem Namen York- und Antwerp-Rules bekannt, bilden daher eine Art gemeinsames internationales Havarierecht, dessen gleichmässige Beobachtung im Interesse der in Schifffahrts- und Handelsbeziehungen stehenden Völker liegt, da durch die Behandlung der Havarieschäden äusserst häufig eine Interessen gemeinschaft unter den Angehörigen verschiedener Völker herbeigeführt wird.
In dem Begriffe der Freiwilligkeit liegt auch, dass die Rettungsmassregel nur von dem Capitain oder dem sonstigen Befehlshaber des Schiffes, z. B. auch dem Lootsen, angeordnet werden kann. Dadurch ist jedes eigenmächtige Eingreifen der Schiffsleute oder Passagiere, oder anderer Personen ausgeschlossen. Ueber die Ergreifung der Massregel muss wo möglich, nach Art. 985, vorher ein Schiffsrath abgehalten und das Ergebniss der Berathung in das Logbuch eingetragen werden. Im Französ. Code Art. 400 ist dies sogar in den Worten d'apres delibérations motiveés für alle Fälle ausdrücklich vorgeschrieben; jedoch wird diese Vorschrift dahin verstanden, dass die vorherige Berathung unterbleiben kann, wenn dazu keine Zeit mehr ist, sondern rasches sofortiges Handeln von den Umständen gefordert wird. Bedarride V. Nr. 1668. Nach Deutschem Recht, H. G. B. Art. 485, hängt das Abhalten eines Schiffsrathes lediglich von dem Ermessen des Capitains ab, dieser darf aber den seemännischen Gebrauch nicht willkürlich verletzen, wornach in allen schwierigen Fällen eine solche Berathung als Pflicht angesehen wird.
3. Das Opfer muss nicht blos freiwillig gebraucht werden, sondern auch zu einem bestimmten Zwecke, nämlich ausschliesslich um Schiff und Ladung aus der gemeinsamen Gefahr zu retten. Wird das Schiff geopfert, um nur die Ladung zu retten, oder die Ladung, um nur das Schiff zu retten, so ist dies keine grosse Havarie, sondern besondere Havarie, für die man aber nach den allgemeinen Grundsätzen des Aufwandes für Andere (negotiorum gestio, in rem versio) Ersatz fordern kann. Code de comm. Art. 402. Lewis II. p. 31. Daher ist auch jede Massregel zu dem blossen Zwecke, um das Leben der Passagiere zu retten, keine grosse Havarie. Ebenso ist es keine solche, wenn ein Theil der Ladung ausgeworfen oder ausgeladen wird, um den Rest der Ladung zu retten.
4. Dass das Opfer ein ausserordentliches sein muss, folgt von selbst aus den vorhergehenden Erörterungen, und ist auch in den übrigen Gesetzgebungen anerkannt. Code de comm. Art. 397. Belg. Gesetz von 1879 Art. 99. Ital. H. G. B. Art. 506. Dadurch werden alle durch die unausbleiblichen, daher ordentlicher Weise immer wieder eintretenden Wechselfälle bewirkten Kosten der Schifffahrt ausgeschlossen, z. B. die Kosten einer Verlängerung der Reise durch ungünstige Winde, die Abgaben, die in einem Hafen zu bezahlen sind, in den man freiwillig, aber ohne den Vorsatz einer gemeinsamen Gefahr zu entfliehen, einläuft u. s. w. Bedarride V. Nr. 1658. Unten Art. 955.
Art. 984. In allen Gesetzbüchern findet sich eine beispielsweise, jedoch nicht limitative Aufzählung der Fälle der grossen Havarie. Code de comm. Art. 400. Ital. II. G. B. Art. 509. Gesetz von 1879 Art. 103. D. H. G. B. Art. 708. Das Belgische Gesetz hat jedoch hiebei nur den Zweck, einzelne Fälle hervorzuheben, über welche Zweifel entstehen können und bisher obgewaltet haben. Der Entwurf geht hiebei davon aus, dass solche Fälle, die an sich offenbar sind und niemals bezweifelt wurden, keiner besonderen Aufzählung bedürfen, hat sich aber, um von vorneherein grössere Deutlichkeit und eine weitere Uebersicht der möglichen Fälle, zu geben, nicht auf so wenige Beispiele wie das Belgische Gesetz beschränkt. Jedenfalls sind die in diesem Artikel aufgezählten Fälle nur als Beispiele aufzufassen, cs gehören daher auch alle anderen Fälle hieher, die sonst unter den Begriff der grossen Havarie nach Art. 983 fallen, wie dies zum Ueberfluss am Schlüsse des Art. 400 des Französ. Code de commerce ausdrücklich gesagt worden ist.
Im einzelnen sind nur noch folgende Bemerkungen hinzuzufügen :
In dem Nr. 1. erwähnten Beispiele ist die Voraussetzung die, dass das Schiff in einen Nothhafen flieht, um einem gewöhnlichen Sturme oder der Wegnahme auszuweichen; ferner zum Zweck der nothwendigen Ausbesserung, nachdem es durch Stürme oder auch durch Kampf mit Feinden oder Seeräubern, durch Zusammenstoss etc. so beschädigt wurde, dass es nicht länger ohne Gefahr die hohe See halten kann. Die Kosten, die durch dieses Einlaufen verursacht werden, sind als grosse Havarie zu behandeln. Es sind dies nicht nur die Kosten des Einlaufens, z. B. Zölle, Lootsengelder, Schlepplohn etc., sondern auch des Auslaufens; die Kosten der Ausbesserung, wenn der auszubessernde Schaden selbst grosse Havarie ist; ferner die etwaigen Kosten des Aus- und Wiedereinladens der Ladung, wenn dies zum Zweck der Ausbesserung oder aus anderem Grunde nöthig war; und ebenso die Löhne und der Unterhalt des Capitains und der Schiffsleute während der Zeit bis zur Fortsetzung der Reise. Letzterer Punkt ist schon oben Art. 974 erwähnt. Die gleichen Grundsätze sind auch in den Y. u. A. Rules Nr. 7 und 8 anerkannt. Französ. Code de comm. Art. 400 Nr. 6.7. D. H. G. B. Art. 708 Nr. 4. Belg. Gesetz von 1879 Art. 103. Das Französ. Gesetz macht hiebei einen Unterschied, je nachdem der Frachtvertrag auf zeitweise oder für die ganze Reise in Bausch und Bogen abgeschlossen war, und lässt nur im ersteren Falle grosse, im zweiten Falle dagegen besondere Havarie zu. Dies ist schon in der Französischen Jurisprudenz stark aufgefochten worden, und es ist in der That hiefür, wie auch in Abbott's Treatise p. 518 gesagt ist, kein genügender Grund zu ersehen; denn wenn auch beim Frachtvertrag für die ganze Reise der Capitain deren Kosten in Bausch und Bogen übernimmt, so kann dies doch nur von den Kosten der Schifffahrt gelten, nicht von ausserordentlichen Schäden, die nach dem Princip der Havarie gemeinsam sein sollen. Wenigstens ist bei diesem System schwer zu erkennen, warum bei dem Abschluss in Bausch und Bogen nicht auch alle übrigen Havarien dem Capitain allein zur Last fallen sollen. Bedarride V. Nr. 1710. In England wurden die meisten dieser Kosten früher nicht als grosse Havarie behandelt, da ihnen das Moment der freiwilligen Aufopferung zu mangeln scheint; allein dieses Bedenken wird durch den Begriff der indirecten Kosten beseitigt. In der neuesten Zeit scheint man sich auch in England dem auf dem Conti-nente und in den Vereinigten Staaten geltende System mehr zuzuneigen, wie aus Abbott's Treatise p. 508 ff. zu ersehen ist. Es beruht diese Abweichung auf einer übertriebenen Betonung des Gegensatzes zwischen Rettung und Vortheil, wornach wenn die Rettung erreicht ist und das Schiff sicher im Nothhafen liegt, die Nothwendigkeit gemeinsamer Opfer zur Rettung aus der Gefahr nicht mehr vorzuliegen scheint, und die fortgesetzte Gemeinschaft der Kosten lediglich durch die Gemeinschaft der dadurch erlangten Vortheile gerechtfertigt werden kann. (common safety — common benefit Prin-cip). Allein wenn ohne die Ausbesserung etc das Schiff seine Reise nicht fortsetzen könnte, so ist dies offenbar eine Nachwirkung oder Fortsetzung der Seegefahr, und deren Folgen müssen ebenso gemeinsam sein wie das erste Stadium.
Es versteht sich übrigens von selbst, dass wenn das Einlaufen in einem Hafen nicht durch grosse Havarie veranlasst wurde, auch die dadurch verursachten Kosten nicht dazu gerechnet werden können.
Nr. 2 ist auch im Code de comm. Art. 400 Nr. 2. 7, D. H. G. B. Art. 708 Nr. 1.2 erwähnt. Rules Nr. 2. Auch das Aufgeben von Masten, Tauen, Ankern etc. gehört hieher. Im Fall der Erleichterung des Schiffes durch Ausladen handelt es sich zunächst um die Kosten der Aus- und Widereinladens; es können aber auch Beschädigung und Verlust der Waaren in Frage kommen. Ausgeworfene Güter sind natürlich vollständig zu ersetzen, soweit sie nicht etwa wieder gerettet werden, wenn z. B. die Fluth die Waaren ans Land wirft oder dieselben durch die Schiffsleute oder andere Personen später aufgefangen werden.
Nr. 3. Code de comm. Art. 400 Nr. 8. D. H. G. B. Art. 708 Nr. 3. Rules Nr. 5. Abbott, Treatise p. 501.507. Bedarride V. Nr. 1714 ff. Es gehören hieher die Kosten des Wiederabbringens, der Werth der etwa zu diesem Zweck ausgeworfenen Waaren, die Kosten der Ausladung und der Ladung, die etwa dem Schiff zugefügte Beschädigung. Geht das Schiff durch diese Massregel verloren, so ist keine grosse Havarie mehr vorhanden. Unten Art. 986.
Nr. 4. Code de comm. Art. 303.304. D. II. G. B. Art. 708 Nr. 6 Bedarride II. Nr. 804. Abbott. p. 505. Es ist gleichgültig, ob ein Theil der Ladung oder eine bestimmte Geldsumme für den Zweck des Loskaufs aufgeopfert wird.
Nr. 5. D. H. G. B. Art. 708 Nr. 7. Code de comm. Art. 330. Bedarride V. Nr. 1719. Abbott, Treatise p. 516. Lewis II. p. 48. Es sind dies hauptsächlich indirecte oder secundäre Kosten, welche nach Art. 983 von der gemeinsamen Vertheilung nicht ausgeschlossen sind.
Art. 985. Die Bestimmung dieses Art. wurde bereits oben zu Art. 983 erläutert. Ihr Zweck ist die Verhütung unüberlegter und unnützer Massregeln, durch welche Schiff oder Ladung zwecklos aufgeopfert werden würden. Uebrigens ist zu erinnern, dass der Capitain der alleinige Befehlshaber des Schiffes und an die Beschlüsse des Schiffsrathes nicht gebunden ist. Allein solche Berathungen werden jedenfalls dazu dienen, dass alle Umstände reiflich und vielseitig erwogen werden und dass der Capitain seine Abweichung von der Meinung der übrigen durch triftige Gründe zu rechtfertigen im Stande sein muss.
Art. 986. Dieser Grundsatz, der bereits im Römischen Seerechte klar und bestimmt enthalten ist (L. 5 pr. 7 D. de lege Rhodia 142), wird auch im D. H. G. B. Art. 705 ausgesprochen. Die Englische Jurisprudenz ist darüber unentschieden (Abbott's Treatise p. 501), es wird jedoch eingeräumt, dass der Grundsatz schon im älteren Rechte anerkannt wurde. Der Französ. Code de comm. Art. 423 und die ihm nachgefolgten Gesetzbücher sprechen nur vom Verlust des Schiffes, nicht aber der Waaren und es scheint hieraus die Eolgerung zu fliessen, dass wenn das Schiff durch die Aufopferung der ganzen Ladung gerettet wurde, die Contribution stattfinden muss. Diese Meinung, welche von Bedarride V. Nr. 1897 und Alauzet VI. Nr. 2337 ausgesprochen wird, findet jedoch ihre Widerlegung durch die Artikel 400 und 410: nach dem ersteren ist es gar kein Fall der grossen Havarie, wenn man die Ladung opfert, um nur allein das Schiff zu retten, denn der Zweck der gemeinsamen Rettung, le salut commun du navire et des marchandises, wird hier weder erreicht noch auch nur beabsichtigt; und nach dem letzteren ist die ausdrückliche Voraussetzung nur die Aufopferung eines Theiles der Ladung, nicht der ganzen Ladung. Der Art. 423 muss mithin so verstanden werden, dass mit dem Schiff zugleich ein Theil der Ladung gerettet wird. Das in dem gegenwärtigen Artikel ausgesprochene Princip folgt also mit Nothwendigkeit aus der Natur der grossen Havarie. Ist das Schiff gänzlich verloren, so ist das Unternehmen zu Ende und es gilt der Grundsatz, zu retten was noch zu retten ist, aber Jeder muss dann für sich allein sorgen. Werden in diesem Falle noch einige Waaren, Schiffstrümmer etc. gerettet, so findet überhaupt keine Vertheilung mehr statt, also auch nicht zwischen den geopferten und geretteten Sachen. Code de comm. Art. 423 Absatz 2. Ist die Ladung gänzlich aufgeopfert und das Schiff gerettet, so wurde nur ein Theil auf Kosten des anderen, nicht aber das Ganze auf Kosten eines Theiles gerettet. Die Ungerechtigkeit, dass hier der Verlust nicht gemeinsam getragen werden soll, ist nur scheinbar, denn voraussichtlich wäre doch mit dem Schiff auch die Ladung verloren gewesen. Uebrigens sind hier, wie bereits früher bemerkt, Ersatzforderungen nach den Grundsätzen des Civilrechts nicht ausgeschlossen. Wird das Schiff geopfert, um die Ladung zu retten, z. B. weil diese viel werthvoller ist, so kann der Capitain wegen nützlicher Vertretung der Ladungseigenthümer nach Code civil Art. 1375 für seine Aufopferung (depenses utiles) Ersatz fordern. Wird umgekehrt die Ladung geopfert, um das Schiff zu retten, so wäre dies nach Analogie der für den Nutzen des Schiffes verkauften Waaren zu beurtheilen, und der Werth der Ladung müsste demnach ersetzt werden. Art. 936. In beiden Fällen allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Schiff oder die Ladung nicht ohnehin verloren gewesen wären, weil sonst von einer freiwilligen Aufopferung keine Rede sein könnte. So ist auch im Französ. Code de comm. Art. 403 ausdrücklich gesagt, dass jede Ausgabe und jeder Schaden für das Schiff allein, oder für die Ladung allein zur particulären Havarie zu rechnen sind.
Der Verlust des Schiffes oder der Ladung hebt mithin den Anspruch wegen grosser Havarie auf. Dem Verlust des Schiffes steht es gleich, wenn dasselbe unbrauchbar nnd reparaturunfähig geworden ist, auch wenn es vom Grunde wieder abgebracht werden konnte. D. H. G. B. Art. 708 Nr. 3. Code de comm. Art. 423.425. Es steht nichts entgegen, die gleiche Analogie auch auf die Ladung anzuwenden, wenn diese also gänzlich verdorben und unbrauchbar geworden wäre, müsste sie gleichfalls als verloren angesehen werden.
Das Princip der grossen Havarie ist, dass die gemeinsame Rettung aus der Gefahr auch gemeinsam und zwar von allen gleichmässig getragen werden muss. Zu diesem Zweck ist einerseits der Schaden, und andererseits der Gesammtwerth aller beitragspflichtigen Gegenstände abzuschätzen, und der erstere in gleichem Verhältniss auf die letzteren zu legen. Gesetzt, der Schaden betrüge 4000 uud der gesammte Beitragswerth 80000 Dollars, so wären jene 4000 D. aus den 80000 D. zu ersetzen. Die beitragspflichtigen Gegenstände Schiff und Fracht zur Hälfte ihres Werthes, und die Ladung zu ihrem Nettowerth. Gesetzt, der halbe Schiffswerth betrüge 59000, die halbe Fracht 1000, und der Werth der Ladung 20000 Dollars, so wäre die Vertheilung des Schadens auf folgende Weise vorzunehmen : Schiff 2950, Fracht 50, Ladung 1000, Summa 4000 D. Da der Schaden den zwanzigsten Theil des beitragspflichtigen Gesammtwerthes beträgt, so müssen die Eigenthümer von Schiff, Fracht und Ladung je ein zwanzigstel ihres betreffenden Werthes beisteuern. Gesetzt, es waren die Güter eines einzelnen Ladungseigenthümers geopfert worden, so bekäme er für den Verlust von 4000 D. als Ersatz 3800 D., da 200 D. auf seinen eigenen Verlustantheil fielen.
Die Werthbemessung des Entwurfes ist ebenso auch im Code de comm. Art. 401 und 417 enthalten. Der Werth der Frachtgüter ist ihr reiner oder Nettowerth am Ort der Ankunft, mithin abzüglich der Fracht, der Zölle und anderer davon zu entrichtenden Abgaben, sowie auch der etwa darauf ruhenden besonderen Havarie. Vgl. Holl. H. G. B. Art. 722. 728. D. H. G. B. Art. 720. 721. Belg. Gesetz von 1879 Art. 107. Bedarride V. Nr. 1844. Es versteht sich, dass sowohl die geretteten als die geopferten Güter beizutragen haben, weil jeder Betheiligte beitragspflichtig ist, mithin auch derjenige, dessen Güter geopfert wurden. Daher ist wohl zu beachten, dass der Betrag der Havarie immer auch in dem Beitragswerthe enthalten sein muss. Aber nur diejenigen Waaren tragen bei, die zur Zeit der Havarie noch auf dem Schiffe sich befinden, gleichviel ob sie am Anfang oder während der Reise angeladen sind; mithin sind alle diejenigen Waaren befreit, die bereits früher ausgeladen oder geopfert wurden. Bedarride V. Nr. 1840. Ihr reiner Werth, im Gegensatz zum rohen oder Bruttowerth, ist beitragspflichtig, weil die davon zu entrichtenden Kosten, wie Fracht, Zölle, Havarien, dem Eigenthümer nicht als Werth verbleiben, sondern einen späteren Preisaufschlag bilden, von dem ihr Eigenthümer keinen Nutzen hat. Gesetzt, eine Waare hat einen reinen Werth von 1000 D. und muss bei der Einfuhr 10 procent an Kosten etc. entrichten, so wird ihr Marktpreis wohl 1100 D. betragen, da die Kosten zu 100 D. von dem Verkäufer ausgelegt und ihm wieder ersetzt werden; allein der Verkäufer besitzt in solchen Waaren offenbar nur einen wirklichen Werth von 1000 D. und nur zu diesem Werthbetrag kann er beitragspflichtig sein. Eine specielle Anwendung dieses Grundsatzes findet sich noch in Art. 991.
Nach dem Entwurfe, wie nach Französischem Rechte soll nur die Hälfte des Schiffs und der Fracht beitragspflichtig sein. An und für sich wären Schiff und Fracht im ganzen zu ihrem reinen Werthe beitragspflichtig; allein da die abzuziehenden Kosten hier schwer zu ermitteln sind, und auch der Unterschied zwischen neu und alt in Betracht kommt, ist es zweckmässiger, hier eine gesetzliche Regel aufzustellen, durch welche der Gegensatz zwischen reinem und rohem Werthe überflüssig wird. Vgl. die Erläuterungen oben zu Art. 977. Es versteht sich auch hier, dass der Werth des Schiffes mit Einschluss der durch die Havarie erlittenen Beschädigung, und die Fracht mit Einschluss der durch die Havarie geminderten Fracht zu berechnen sind. D. H. G. B. Art. 719. 723. Jedoch nur die noch ausstehende Fracht kommt in Ansatz, nicht die bereits vorher fällig gewordene, nämlich für Güter, die vor der Havarie vom Schiff gebracht wurden.
In den übrigen Gesetzgebungen sind zum Theil abweichende Bestimmungen enthalten. D. H. G. B. Art. 718 ff. Belg. Gesetz von 1879 Art. 104 ff. Holl. H. G. B. Art. 727 ff. Span. H. G. B. Art. 953 ff. Abbott, Treatise p. 527 ff. Allein diese Gesetzgebungen stimmen unter sich selbst nicht überein, und die Französische empfiehlt sich durch Einfachheit und Klarheit. Bedarride V. Nr. 1722-1724. 1850-1852.
Art. 987. Dieser Artikel hat die Voraussetzung, dass z. B. Feuer auf dem Schiffe ausbricht, das durch Schuld eines Ladungseigenthümers oder eines Schiffsmannes etc. entstand, oder dass das Schiff in seeuntüchtigem Zustande auslief, oder der Capitain während der Reise seine Schuldigkeit nicht thut, kurz dass der Verlust nicht durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt wurde. Für solche Fälle wird nun die Bestimmung getroffen, dass die gemeinsame Vertheilung des Verlustes auch hier stattfinden, und nicht blos derjenige, der ihn verschuldete, dafür haftbar sein soll. Jedoch muss dieser offenbar schliesslich den Schaden tragen, und jeder, der einen Beitrag leisten musste, kann denjenigen dafür in Anspruch nehmen, der ihn verschuldete. Es versteht sich zudem, von selbst, dass dieser selbst keine Vergütung fordern kann, da er sie wieder zurückzahlen müsste. D. H. G. B. Art. 704. Holl. H. G. B. Art. 737. Bedarride V. Nr. 1659. Das Holl. H. G. B. Art. 700 nimmt zwar im Falle eines Verschuldens der Schiffsbesatzung keine grosse Havarie an, jedoch scheint es unbillig, die sämmtlichen Betheiligten wegen ihres Ersatzes lediglich an den Capitain oder Schiffseigenthümer zu verweisen.
Art. 988. Diese Vorschrift ist in allen Gesetzgebungen enthalten; sie findet ihren Grund darin, dass die Abschätzung der vielen und verschiedenartigen Werthe, die bei einer grossen Havarie in Betracht kommen, nur geübten Sachverständigen anvertraut werden kann und besonders zuverlässig sein muss, da es sich oft um hohe Summen handelt. Namentlich die Ermittlung des Schiffswerthes setzt seemännische Kenntniss und Erfahrung voraus. Code de comm. Art. 414. 416. D. H. G. B. Art. 711. Holl. H. G. B. Art. 724. Belg. Gesetz von 1879 Art. 118. 119.
Art. 989. Die gleiche Ausnahme von der Beitragspflicht zu Gunsten gewisser Gegenstände findet sich überall, z. B. im Gode de comm. Art. 304. 419, wo jedoch die Effecten der Beisenden noch nicht genannt sind. D. H. G. B. Art. 725. Belg. Gesetz von 1879 Art. 106. Holl. H. G. B. Art. 731. Span. H. G. B. Art. 958. 959. Abbott, Treatise p. 527. Auch in Frankreich ist nach dem Gebrauche das Reisegepäck von der Beitragspflicht frei. Bedarride V. Nr. 1863. Der Grund für diese Ausnahmen ist, dass die betreffenden Gegenstände für die Fortsetzung der ferneren Reise und die Bedürfnisse des Schiffes unentbehrlich sind; dies muss im ganzen und grossen auch vom Reisegepäck gelten, das sich hierdurch von Handelswaaren absolut unterscheidet. Wollte man hier zwischen nothwendigen und entbehrlichen Sachen unterscheiden, so würde man sich in die persönlichen Verhältnisse der Einzelnen einmischen müssen, was dem Recht und der Sitte widerstrebt.
Art. 990. An und für sich kann nur der wirkliche Werth der aufgeopferten oder geretteten Gegenstände, abzüglich der darauf ruhenden Kosten, massgebend sein, da nur dieser Werth verloren und resp. gerettet wurde. York u. Antwerp Rules Nr. 10 und 12. Wenn daher in Connossementen, Facturen (invoices) und anderen Begleitdocumenten der Waaren ein anderer Werth angegeben ist, so kann nicht der angebliche, sondern nur der thatsächliche Werth den Ausschlag geben, obwohl zunächst auf den in solchen Papieren documentirten Werth allerdings zu sehen ist. Im Falle des totalen Verlustes wird der volle Werth vergütet, im Fall der Beschädigung die Differenz zwischen diesen und dem noch übrig bleibenden Werthe. D. H. G. B. Art. 713. 714. Ergibt sich nun, dass die Connossemente etc. einen unrichtigen Werth enthalten, so muss der wirkliche Werth abgeschätzt und der Berechnung zu Grunde gelegt werden. Code de comm. Art. 418. Belg. Gesetz von 1879 Art. 108. Span. H, G, B. Art. 957. Holl. H. G. B. Art. 730. Von dieser Regel wird nur in Bezug auf aufgeopferte Güter eine Ausnahme gemacht. Da deren Werth nicht mehr genau ermittelt werden kann, so muss der declarirte Werth in Anrechnung kommen, jedoch nur dann, wenn etwa ihr wirklicher Werth höher gewesen wäre. Der Verlust, den ihr Eigenthümer dadurch erleidet, ist eine Strafe seiner falschen Declaration. Wenn dagegen ihr wirklicher Werth geringer war, so soll nur ihr wirklicher Werth vergütet werden, da man von einer falschen Declaration keinen Vortheil ziehen kann. Mit anderen Worten, bei verlorenen Gütern soll gegen den declarirten Werth nur der Beweis eines niedrigeren, nicht aber eines höheren Werthes zulässig sein. Nach dem Französ. Code de comm. Art. 418 Absatz 3 und einigen anderen Gesetzen, so dem Belgischen von 1879 Art. 108, soll auch die Beitragspflicht der geretteten Waaren nach dem declarirten Werthe sich richten, wenn dieser höher ist als der wirkliche Werth; indessen ist dies eine Härte, die als Strafe der falschen Declaration zu weit geht; denn es könnte kommen, dass die Waaren in Wirklichkeit so geringen Werth haben, dass der auf sie repartirte Betrag von ihnen gar nicht geleistet werden könnte, und es können ja auch ohne wirkliche Unredlichkeit starke Preisschwankungen zum Nachtheil der Waaren vorfallen. Daher ist im Entwürfe bestimmt, dass auch der Eigenthümer oder Consignatar sich in Betreff der beitragspflichtigen Güter auf den wirklichen Werth im Gegensatz des declarirten soll berufen können.
Der zweite Absatz dieses Artikels ist auch in den anderen Gesetzgebungen enthalten. Code de comm. Art. 420. 421. Belg. Gesetz von 1879 Art. 109. Holl. H. G. B. Art. 732. 733. D. H. G. B. Art. 710. Span. H. G. B. Art. 948. 950. Der Grund ist, dass solche Ladungen ungesetzlich und gefährlich sind und man daher keine Rechte aus ihnen ableiten kann, um so weniger, als die nicht declarirten auch nicht ordnungsmässig nachgewiesen werden können. Das Deutsche Gesetzbuch wendet diese Bestimmung auch an auf nicht gehörig declarirte Kostbarkeiten, Gelder und Werthpapiere, was aber zu weit gehen dürfte.
Art. 991. Der Inhalt dieses Artikels erklärt sich theils aus der Vorschrift des Art. 986, wornach der Werth, den die beitragspflichtigen Gegenstände am Endpunkte der Reise haben, entscheiden soll, theils aus dem schon früher angeführten Princip, dass immer die spätere Schiffsforderung der früheren vorgeht, da ohne die Wirkung der späteren das Object nicht gerettet wäre und mithin überhaupt kein Executionsobject mehr existirte. Gesetzt nun, durch die Havariemassregel wird Schiff und Ladung gerettet, so müssen die geretteten Gegenstände das gebrauchte Opfer gemeinsam tragen, und dieses Recht ist jedem Gegenstande gegenüber allen übrigen im Zeitpunkt der erreichten Rettung erworben, wenn auch die Abschätzung und Auszahlung erst später stattfinden kann. Wenn nun aber im späteren Verlauf der Reise ein neues Unglück stattfindet, einmal oder öfter, so werden neue Verluste und Beschädigungen zu den früheren hinzutreten, und es entsteht die Frage, nach welchen Grundsätzen sodann alle die in verschiedenen Zeiten stattgefundenen Verluste und Schäden vertheilt werden sollen. Die Antwort ist: jeder spätere Havariefall wird ebenso behandelt, wie die früheren, allein er hat den Vorzug vor den früheren. Ist keine grosse Havarie vorhanden, sondern besondere Havarie oder eine sonstige Beschädigung, so ist durch die desfalls entstandene Forderung oder durch den Schaden gleichfalls ein Werthverlust bewirkt, so dass die ursprüngliche Havarie nur in dem Verhältniss des jetzt übrig bleibenden Werthes darauf lasten kann, und wenn gar kein Werth übrig bleibt, gar nicht mehr zur Berücksichtigung kommt. Nach dem in Art. 986 erörterten Beispiele beträgt für den ursprünglichen Havariefall der Beitrag des Schiffs 2950, der Fracht 50 und der Ladung 1000 D., im ganzen 4000 D. Wenn nun später das Schiff verloren geht, aber die Ladung vollständig gerettet wird, so fällt die Beitragspflicht des Schiffes ganz weg, und nur die der Ladung und allenfalls der Fracht dauert fort. Wäre aber auch die Ladung beschädigt oder zum Theil verloren und dadurch auf den halben Werth herabgesunken, so würde auch ihr Beitrag auf die Hälfte sinken und nunmehr nur noch 500 D. betragen, und das gleiche wäre voraussichtlich mit der Fracht der Fall.
Dieses Princip erklärt sich dadurch, dass man die Reise als ein ganzes, einheitliches Unternehmen betrachtet, und aus den Resultaten am Ende der Reise rechtliche Folgerungen zieht. Auch ist es offenbar der Billigkeit gemäss, dass man die beitragspflichtigen Gegenstände nur zu dem wirklich aus den Seegefahren geretteten Werthe beitragen lässt, nicht zu einem Werth, der am Ende der Reise nur noch als ein imaginärer gelten könnte. Insoweit stimmen alle Gesetzgebungen überein. Code de comm. Art. 424. D. H. G. B. Art. 715. 724. 726. Belg. Gesetz von 1879 Art. 112. Ital. H. G. B. Art. 531. Holländ. H. G. B. Art. 735. 736. Span. H. G. B. Art. 944.
Es bleibt nur die Frage übrig, ob ein solcher späterer Verlust am Beitrag von dem Ersatzberechtigten, oder von der Gesammtheit der Ersatzpflichtigen getragen werden soll, mit anderen Worten, ob die übrigen Beitragspflichtigen in dem Verhältniss mehr beizutragen haben, als einer oder einige von ihnen weniger beitragen können. Diese Frage wird von den meisten Gesetzgebungen und auch vom Entwurfe verneint; ihre Bejahung findet sich im D. H. G. B. Art. 726. Ersteres scheint richtiger und practisch ausführbarer zu sein, da das einmal erworbene Recht im Betrag auf die Beitragsproportion später nicht mehr entzogen und der spätere Schaden des einen nicht wohl den übrigen aufgebürdct werden kann; auch könnte es kommen, dass die sämmtlichen beitragspflichtigen Gegenstände später weiter beschädigt würden, in solchem Falle würde es widersinnig sein, den neuen Verlust jedes einzelnen auf alle übrigen neu zu vertheilen. Der spätere Verlust einer beitragspflichtigen Sache kann nur den Ersatzberechtigten treffen, da dessen Forderung ganz und gar aus ihrer Rettung entspringt; ihr Verlust muss daher die Forderung aufheben. Bedarride V. Nr. 1887—1889.
Art. 992. Der vorige Artikel handelte von der Aufhebung oder Minderung der Beitragspflicht wegen späterer Verluste. Dieser Artikel nun handelt von einigen anderen Fällen, in welchen eine Beitragspflicht nicht oder nicht mehr einmal stattfindet; und zwar wiederum wegen später eintretender Havarie, aber in Beziehung auf andere Gegenstände. Zu jeder Havarie tragen nämlich nur die zur Zeit vorhandenen Güter bei; was bereits früher geopfert wurde, ist nicht mehr beitragspflichtig, weil es durch die spätere Havarie nicht mehr gerettet werden kann. Allerdings bleibt demjenigen, dessen Güter geworfen wurden, sein Havarieanspruch; er behält somit nach dem öfter citirten Beispiele einen Werth von 3800 D. Allein dieser Werth kann nicht mehr aufgeopfert werden, da er eine blosse Forderung ist; er ist folglich keines Ersatzes fähig und kann demnach auch keiner Ersatzpflicht unterliegen. Bedarride V. Nr. 1893.
Der andere Fall ist, dass das Schiff später verloren geht; hiedurch wird, nach Art. 991, seine Beitragspflicht für die Ladung aufgehoben; umgekehrt soll nun aber auch, wenn die Ladung für das Schiff beitragspflichtig war, die Ladung von dieser Beitragspflicht frei werden. Der Grund ist dasselbe, wie im vorigen Falle, aber in umgekehrter Anwendung, dass nämlich wer keinen Beitrag zahlt, auch keinen solchen empfangen soll. Durch den Verlust des Schiffes hört seine Beitragspflicht auf; damit hört auch die Beitragspflicht der Ladung auf.
Diese Grundsätze finden sich auch im Code de comm. Art. 425. Belg. Gesetz von 1879 Art. 113. Ital. H. G. B. Art. 532. Span. H. G. B. Art. 960.
Art. 993. Die Vertheilung zum Zweck des Ersatzes hat zur nothwendigen Voraussetzung die Thatsache eines Verlustes. Diese Thatsache soll gleichfalls nicht nach dem Zeitpunkt der das Opfer veranlassenden Gefahr, sondern nach dem Endresultat beurtheilt werden. Mithin ergibt sich die Verpflichtung der Rückerstattung des empfangenen Ersatzes, wenn und soweit die geopferten Güter wieder in seinen Besitz kommen. Sind dieselben durch den Auswurf ganz verdorben, so werden sie werthlos sein, und es wird keine Rückerstattung nothwendig. In den meisten Fällen aber wird ein gewisser Werth noch übrig bleiben, in diesem Falle ist dann der erhaltene Antheil zurückzugeben, jedoch abzüglich des Schadens und aller daran haftenden Kosten. Code de comm. Art. 429. Belg. Gesetz von 1879 Art. 115. Ital. H. G. B. Art. 535. Holl. H. G. B. Art. 739. Span. H. G. B. Art. 951. Die zurückerstattete Summe ist in demselben Verhältnisse unter die Pflichtigen zurückzuvertheilen, als sie dazu beigetragen haben.
Art. 994. Die besondere Havarie steht im Gegensatz zur gemeinschaftlichen; in dieser Bezeichnung liegt schon 1, eine besondere Gefahr, für das Schiff allein, oder für die Frachtgüter allein, und 2, die besondere Tragung des Verlustes etc. durch den betreffenden Eigenthümer. Ob der Verlust freiwillig oder unfreiwillig war, ist gleichgültig. Da hier keine Vertheilung stattfindet, können die sämmtlichen Grundsätze, die für die grosse Havarie gelten, hier nicht zur Anwendung kommen. Code de comm. Art. 403—405. Belg. Gesetz von 1879 Art. 102. Ital. H. G. B. Art. 512-514. D. H. G. B. Art. 703. Holländ. H. G. B. Art. 701. Span. H. G. B. Art. 934. 935. In manchen Gesetzen sind einzelne Fälle der besonderen Havarie speciell aufgezählt, dies wurde aber im Entwürfe unterlassen, da dies bei der grossen Zahl von möglichen Fällen niemals erschöpfend geschehen kann. Es versteht sich von selbst, dass alle Verluste und Schäden hieher gehören, die durch Stürme, Schiffbruch, Wegnahme etc. sowohl am Schiff als an den Waaren hervorgebracht werden, und alle freiwilligen Opfer zum Zweck der Rettung einer Sache.
Art. 995. Die in diesem Artikel aufgezählter Kosten und Schäden werden manchmal, z. B. in England, als kleine Havarie bezeichnet (menue avarie, petty average). Abbott, Treatise p. 345. Arnould marine insurance II. p. 888, Dies sind keine ausserordentlichen Schäden, sondern gewöhnliche Lasten und Kosten der Schiff fahrt, obwohl manche nicht auf jeder Reise vorkommen. Hieher gehört insbesondere auch das sog. Prangen oder Forciren der Segel, Maschinen etc., um die grösste Schnelligkeit zu bewirken u. dgl. Code de comm. Art. 406. D. H. G. B. Art. 622. 703. Holl. H. G. B. Art. 702. 708. Span. H. G. B. Art. 932. 933. Es kommt manchmal vor, dass solche Kosten auch zum Theil, in gewissen festen Quoten, so 2/3 in England, von den Waaren zu entrichten sind, ein solcher Gebrauch ist gültig, aber ohne ihn kann die Ladung nicht herangezogen werden. Wo ein solcher Gebrauch besteht, wäre es unbillig, diese Kosten dem Schiff ausschliesslich aufzubürden, wie im Französischen Code de comm. Art. 406 verordnet ist. Jedoch lässt auch in Frankreich die Praxis eine Theilung zu. Boulay-Paty IV. p. 488. Uebrigens können diese Kosten unter Umständen auch indirect grosse oder besondere Havarie werden, wenn sie in Folge einer solchen aufgewendet werden; dies gilt namentlich auch von etwaigen Quarantaine-kosten, die im Franz. Code de comm. Art. 403 für besondere Havarie erklärt sind. Bedarride V. Nr. 1744—1747.
Der durch übermässiges Anstrengen der Segel etc. verursachte Schaden, z. B. Verlust von Segeln oder Masten, wird überall nicht als grosse Havarie behandelt, auch wenn es zum Zwecke der Rettung vor Wegnahme etc. geschah; weil man solche Ereignisse mehr als Wechselfälle der Schifffahrt ansehen muss, da jedes Schiff mit allen zu Gebote stehenden Mitteln an seinen Bestimmungsort gebracht werden muss. Arnould, marine insurance II. p. 832. Lewis II. p. 50. Rules Nr. 6. Levi, internat. commerc. law II. p. 872. Das D. H. G. B. Art. 709 bezeichnet diese Schäden als besondere Havarie, allein unter Havarie ist immer ein ausserordentlicher Verlust zu verstehen, was auf die Unkosten der Schifffahrt nicht wohl zu passen scheint. Wird durch das Prangen eine Beschädigung der Ladung bewirkt, so fällt der Schaden auf diesen Eigenthümer, weil der Capitain kein Verschulden begeht, wenn er alles daran setzt zu entfliehen; er müsste denn ganz unnÖthiger und übermässiger Weise geprangt haben. Auch aus diesem Grunde kann man diesen Fall nicht wohl als besondere Havarie erklären, da diese von dem ersetzt werden muss, der sie veranlasst hat. Code de comm. Art. 404 (occasionné la dépense). Im allgemeinen besteht zwischen Havarien und Schifffahrtsunkosten der Unterschied, dass erstere versichert werden können, letztere nicht; allein ungewöhnliche Schifffahrtskosten können üblicher Weise auch versichert werden. Boulay-Paty IV. p. 488. Arnould mar. insur. II. p. 888.
Art. 996. Die Bestimmungen dieses Artikels sind hauptsächlich denen der neuesten Belgischen Gesetzgebung von 1879 Art. 228 und 229 nachgebildet. Die Bestimmungen des Code de comm. Art. 407 und D. H. G. B. Art. 736. 737 stimmen damit überein in Betreff der Fälle, wo ein Zusammenstossen durch Zufall, wohin auch die Wirkung höherer Gewalt, insbesondere Sturm, Nebel etc. gehören, oder durch das erweisliche Verschulden eines der beiden Theile verursacht wurde. Im ersteren Falle hat nach allgemeinen Grundsätzen (casum sentit dominus) jeder seinen Schaden zu tragen, ohne dass Ersatz oder gleichmässige Vertheilung stattfände ; es gehört dies zu den Fällen der besonderen Havarie. Im zweiten Falle hat wiederum nach allgemeinen Grundsätzen derjenige den Verlust zu tragen und resp. zu ersetzen, der ihn verursacht hat; also zunächst der Capitain, aber auch der Schiffseigenthümer nach Art. 906; die Eigenthümer der Ladung sind selbstverständlich von jeder Haftung frei. Ist nun aber das Unglück durch die Schuld beider Theile entstanden, so ist klar, dass keiner den anderen zum Ersatz in Anspruch nehmen kann, jeder muss daher den ihm zugestossenen Schaden als Folge seiner eigenen Schuld ansehen. Ist jedoch, wie es meistens vorkommt, die Ursache nicht klar zu ermitteln, oder ist das Verschulden auf beiden Seiten ungleich, hat also der eine Theil mehr Schuld wie der andere, so können die vorher erwähnten Regeln nicht mehr zur Anwendung kommen. Denn es wäre durchaus unbillig, wenn etwa der eine Theil für ein kleines Versehen mit dem Verlust des ganzen Schiffes büssen müsste, während der andere Theil, dessen Nachlässigkeit vielleicht nahe an böse Absicht streifte, mit einem kleinen Schaden davon kommen könnte. Hier muss offenbar der letztere auch den grösseren Theil des Schadens tragen. Ist aber die Ursache des Unglücks nicht klar zu ermitteln, d. h. man weiss nicht genau, ob es mehr Zufall oder mehr Verschulden war, oder auf wessen Seite das grössere Verschulden liegt, so kommt wieder das billige Ermessen zur Entscheidung, und hier wird der Schaden ungefähr nach gleichen Theilen zu vertheilen sein, obwohl hiefür keine absolute Vorschrift gegeben werden soll, wie im Code de comm. Art. 407. Abs. 3 geschehen ist. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn zwar feststeht, dass das Unglück nur ein zufälliges war, allein die Natur des Zufalls nicht klar zu ermitteln ist; in diesem Falle wäre immer das Unglück als ein zufälliges von jedem Eigenthümer selbst zu tragen.
Auch finden diese Bestimmungen nicht auf die Eigenthümer der Ladung, sondern nur der Schiffe Anwendung. Für die Ladungsinteressenten ist der Zusammenstoss entweder ein zufälliger oder ein durch Verschulden des oder der Capitaine herbeigeführter Schaden. Die etwaigen Ersatzansprüche der Ladungsinteressenten sind daher nach Art. 924 ff. zu beurtheilen. Sind die Capitaine beider Schiffe in Schuld, so kann jeder von ihnen von den Ladungseigenthümern für den ganzen Schaden solidarisch in Anspruch genommen werden.
Ueber die Verpflichtung der Capitaine zusammengestossener Schiffe, zur möglichsten Rettung des anderen Schiffes anwesend zu bleiben, ist in Deutschland eine besondere Verordnung vom 15. Aug. 1876 erlassen worden; ebenso ein Gesetz vom 27. Juli 1877 über die Untersuchung von Seeunfällen.
Art. 997. Die Kosten der Rettung von Schiff oder Ladung in Seeunfällen werden im Code de comm. mehrfach erwähnt, so in den Art. 327 und 424, es sind jedoch darüber, abgesehen von der Ordonnanz von 1681 IV. 8, weitere Bestimmungen nicht getroffen. Für Deutschland ist über diesen Gegenstand äusser den Art. 742—756 des H. G. B. das Gesetz vom 17. Mai 1874 (Strandungsordnung) erlassen; für England das Schifffahrtsgesetz von 1854 Art. 458 ff. und einige spätere Gesetze, welche auch über Lebensrettung Bestimmungen enthalten.
Der Artikel spricht das Princip aus, dass für die Rettung von Schiff oder Ladung, ganz oder theilweise, aus einer Seegefahr eine Belohnung beansprucht werden kann, sowohl wenn Schiff und Ladung von der Besatzung bereits verlassen oder aufgegeben waren, als auch wenn die Besatzung in der Rettung unterstützt wird. Voraussetzung ist, dass die Rettung wirklich gelingt; die Belohnung wird nur im Verhältniss der geretteten Sachen gewährt. Ein vorheriges vertragsmässiges Versprechen eines Lohnes oder die Aufforderung zur Rettung ist nicht erforderlich; auch wenn ein bestimmter Lohn versprochen wurde, kann derselbe durch richterliches Ermessen auf eine angemessene Höhe reducirt werden, da im Drang der Noth leicht eine übermässige Belohnung versprochen oder erpresst werden könnte. Der Artikel unterscheidet zwischen Rettung und Bergung; erstere bezieht sich auf das in Gefahr befindliche Schiff nebst Inhalt, letztere auf Schiffstrümmer und Güter, die aus dem Meere geborgen, d. h. in Sicherheit gebracht werden. Die Belohnung soll in der Regel den dritten Theil vom Werth der geretteten oder geborgenen Sachen nicht übersteigen; nur ausnahmsweise, wenn die Rettung mit ungewöhnlichen Anstrengungen und Gefahren verbunden war und der Werth der geretteten Sachen zugleich gering ist, kann er bis zur Hälfte des Werthes erhöht werden. D. H. G. B. Art. 747. 748. Die Höhe der Belohnung bestimmt sich durch die Anstrengungen und Aufwendungen, welche zur Rettung gemacht werden mussten. D. H. G. B. Art. 746. Alle diejenigen, welche bei der Rettung oder Bergung mitwirkten, bekommen einen verhältnissmässigen Antheil am Lohne; die Schiffsbesatzung ist jedoch hievon ausgeschlossen, da sic ohnehin durch ihren Dienstvertrag zur Rettung unter Aufbietung aller Kräfte verpflichtet ist. D. H. G. B. Art. 742. Die geretteten Sachen bleiben Eigenthum ihrer früheren Eigenthümer, doch haben die Retter daran ein Retentionsrecht zum Zweck der Erlangung ihres Lohnes. Ausgeschlossen von der Belohnung sind auch diejenigen, welche sonst gesetzlich zur Rettung verpflichtet sind, wie z. B. im Fall eines Zusammenstosses die Besatzung des anderen Schiffes. Deutsche Verordnung vom 15. Aug. 1876. In der Englischen Gesetzgebung ist auch eine Belohnung für Lebensrettung angeordnet, doch bleibt dies besser der polizeilichen Gesetzgebung überlassen, da sich für Lebensrettung civilrechtliche Ansprüche nicht wohl normiren lassen.
Art. 998. Diese Bestimmung findet sich auch im Code de comm. Art. 408, und im Holl. H. G. B. Art. 719, Ital. H. G. B. Art. 517. Im D. H. G. B. Art. 849 ist das Minimum auf 3 procent festgesetzt. In den Englischen Versicherungspolicen beträgt es zwischen 3 und 5 procent. Lewis II. p. 319. Es steht nichts im Wege, im Versicherungsvertrag ein höheres Minimum als 1 procent zu normiren; daher empfiehlt sich in Abwesenheit solcher Clauseln der niedrige Satz des Französischen Rechts. Uebersteigt die Beschädigung die freigegebenen Procente, so ist sie, wenn nicht das Gegentheil ausdrücklich bestimmt ist, vollständig ohne Abzug dieser zu vergüten. D. H. G. B. Art. 851. Der Grund dieser Bestimmung ist, dass es bei ganz kleinen Beschädigungen nicht der Mühe werth ist, ihre Ursache näher zu untersuchen, da die Kosten solcher Untersuchungen in keinem Verhältnisse zu der dadurch zu erlangenden Entschädigung stehen würden.
Im Französ. Code de comm. Art. 408 ist die Beschränkung auf den Versicherungsanspruch nicht ausgesprochen, jedoch geht die überwiegende Meinung dahin, dass Havarieansprüche gegen andere als den Versicherer auf das Minimum von 1 procent nicht beschränkt seien. Alauzet VI. Nr. 2324. Bedarride V. Nr. 1782 ff. Indessen ist diese Beschränkung ein altes Princip des Versicherungsrechts, während es unbillig wäre, dasselbe auf andere Schadensansprüche auszudehnen. Gesetzt, der Werth des in besonderer Havarie beschädigten Gegenstandes beträgt 300000 Dollars und der Schaden 3000 Dollars, so wäre nicht einzusehen, warum der Capitain nicht diese 3000 D. gegen denjenigen einklagen sollte, der ihn veranlasst hat.
Art. 999. Der vorige Artikel handelte von theilweiser Beschränkung der Haftung des Versicherers, der gegenwärtige dagegen handelt von gänzlicher Aufhebung dieser Haftung wegen Havarie. Es muss dem Versicherer frei stehen, jede Haftung wegen Havarie, d. h. wegen theilweiser Beschädigung im Vertrage abzulehnen, da er die Bedingungen, unter denen er das Risiko übernehmen will, selbständig muss bestimmen können. Eine solche Ablehnung ist namentlich bei Waaren üblich, die leicht der Beschädigung ausgesetzt sind, und wenn die Ursache der Beschädigung nicht leicht nachzuweisen ist. Durch die erwähnte Clausel wird die Haftung des Versicherers auf den Totalverlust der Sache beschränkt, sei es dass dieser wirklich eingetreten ist oder vermuthet werden muss oder gesetzlich als solcher anzunehmen ist. In solchen Fällen kann der Versicherte abandoniren, d. h. die verlorene Sache oder, was davon übrig geblieben ist, mit allen darauf haftenden Ansprüchen dem Versicherer überlassen, der ihn dann für den vollständigen Verlust entschädigen muss; oder er kann, was doch übrig bleibt, behalten und nur den Ersatz des wirklich eingetretenen Schadens beansprüchen. Ueber den Abandon (delaisse-ment) ist später noch genauer zu handeln. Die hieher gehörigen Fälle sind in Art. 369 des Französ. Code de comm. angeführt.
Das in diesem Artikel enthaltene Princip findet sich auch in den übrigen Gesetzgebungen. Code de comm. Art. 409. Belg. Gesetz von 1879 Art. 198. Ital. H. G. B. Art. 518. Holl. H. G. B. Art. 646. D. H. G. B. Art. 854. Lewis II. p. 326 ff. Arnould, mar. insur. II. p. 791.
Es kann indessen auch die Aufhebung der Haftung für Havarie wieder beschränkt werden, z. B. durch die Clausel „frei von Havarie ausgenommen grosse” u. dgl. Arnould p. 792.
Im Französischen Code de comm. Art. 398 ist in Bezug auf Havarie noch allgemein ausgesprochen, dass die Vorschriften des Gesetzes nur in Ermangelung besonderer Verträge unter den Parteien zur Anwendung kommen sollen. Dies versteht sich jedoch von selbst und wurde daher in den Entwurf nicht aufgenommen; denn es handelt sich hier durchweg nur um Ersatz und Vertheilung von Verlusten oder Schäden, worüber ohne allen Zweifel die Parteien sich frei vereinbaren können. Auch im Französischen Entwurfe war dieser Artikel ursprünglich nicht enthalten. Bedarride V. Nr. 1663.
Titel VII. Bodmerei.
Art. 1000. Das Bodmereianlehen ist ein Anlehen für die Bedürfnisse der Schifffahrt, wobei der Gläubiger, im Unterschied von dem gewöhnlichen Darlehen, die Seegefahr übernimmt. Das Wort kommt her von Boden (Engl, bottom), Schiffsboden, Kiel und bezeichnet somit ein Geschäft, welches den Schiffskörper zum Gegenstand hat, indem derselbe als ausschliessliche Sicherheit für den Gläubiger dienen soll. Der Französische Ausdruck contrat oder emprunt à la grosse, nämlich aventure, lässt das Moment der Seegefahr unmittelbar erkennen. Dafür dass der Gläubiger diese Gefahr übernimmt, muss ihm als besondere Vergütung eine Prämie gezahlt werden, die zwar die gewöhnliche Verzinsung des dargeliehenen Capitals einschliesst, aber dieselbe meist weit übersteigen wird, und bis auf 20, ja 40 und mehr procent sich stellen kann. Solche theure Creditgeschäfte können natürlich nur in Nothfällen eingegangen werden, wenn das nöthige Geld für Reparaturen etc. auf andere Weise nicht aufzutreiben ist, und sie müssen sorgfältig und amtlich überwacht werden. Daher verweist der Artikel zunächst auf die in Art. 936 enthaltenen Vorschriften, d. h. es muss Schiffsrath darüber abgehalten und die amtliche Genehmigung dazu erlangt worden sein. Es muss mithin amtlich constatirt werden, dass das Bedürfniss ein nothwendiges ist und auf andere Weise nicht befriedigt werden kann.
Die Bodmerei hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Pfandvertrag, insoferne als der Gläubiger eine reale Sicherheit erhält, nur mit dem Unterschied, dass der Besitz der Sachen nicht auf ihn übergeht; ebenso mit der Versicherung, da der Gläubiger gegen eine Prämie die Seegefahr auf sich nimmt, allein die Versicherung ist hier nicht der eigentliche Zweck des Geschäfts, sondern dasselbe ist wesentlich ein Creditgeschäft, wesshalb auch das Geld im voraus an den Creditnehmer bezahlt, und im Falle glücklicher Beendigung der Seereise von ihm wieder zurückerstattet wird.
Die Bodmerei ist daher ein besonderes Rechtsgeschäft für sich, das sich unter keine der übrigen Contractsformen bringen lässt. Sie erhält ihre Stellung in diesem Theile des Seerechts desswegen, weil es sich hier um Nothfälle handelt, nicht um die regelmässigen Geschäfte des Seehandels.
Man pflegt die eigentliche und uneigentliche Bodmerei zu unterscheiden. Die erstere wird im Entwurfe allein behandelt, und ihre Natur ist aus dem Art. 1000 zu erkennen. Sie ist nämlich ein Creditgeschäft, das nur in Nothfällen vom Capitain ausserhalb des Heimathhafens, also während einer Reise und in Abwesenheit der Eigenthümer abgeschlossen werden kann. Regelmässige Creditgeschäfte von Seiten der Eigenthümer des Schiffs oder der Ladung, nicht in Nothfällen, aber gleichfalls auf Gefahr des Gläubigers, bilden die uneigentliche Bodmerei, die in England hinsichtlich der auf die Ladung abgeschlossenen Geschäfte respondentia genannt wird. Die uneigentliche Bodmerei ist nicht mehr practisch und in der neueren Gesetzgebung fallen gelassen; bei der heutigen Entwicklung des Seeverkehrs und der internationalen Handelsconcurrenz wäre sie für regelmässige Creditbedürfnisse viel zu theuer und würde nur Anlass zu betrügerischen Manipulationen geben. Der Entwurf stimmt in dieser Beziehung überein mit dem D. H. G. B. Art. 680. 701; es sind hier zwar Bestimmungen über uneigentliche Bodmerei der Landesgesetzgebung Vorbehalten, allein dieselbe hat sie nirgends der eigentlichen Bodmerei gleichgestellt. Ferner mit dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 156. Im Französ. Code de commerce Art. 311 ff. sind die beiden Arten der Bodmerei mit einander vermengt, was schon längst von der Französ. Jurisprudenz als Fehler und Uebelstand beklagt und auch bei der Revision des Französ. Seerechts im Jahre 1868 zur Abänderung empfohlen wurde. Zeitschr. für H. R. Bd. 14 p. 153. Alauzet V. Nr. 1920. 1921. De Courcy Revne de droit comm. 1863 p. 132. Auch in England versteht man unter bottomry regelmässig nur die eigentliche Bodmerei durch den Capitain. Abbott p. 105. In Frankreich ist übrigens durch das Gesetz vom 10. Dec. 1874 Art. 27 die uneigentliche Bodmerei fast ganz aufgehoben worden. Alauzet V. Nr. 1945.
Das Anlehen braucht nicht nothwendig in Geld eingegangen zu werden, es kann auch in Gütern anderer Art gegeben werden. Bedarride III. Nr. 840. Nothwendig ist aber in jedem Falle, dass der Gläubiger das Risiko einer Seegefahr auf sich nimmt, da ausserdem die ihm gezahlte Prämie keinen rechtlichen Grund haben würde. Ein Contract, bei dem der Gläubiger keine Gefahr liefe, wäre nichtig wie jeder andere Wuchercontract; so z. B. wenn der Gläubiger sich für die Rückzahlung der geliehenen Summe einen Wechsel ausstellen liesse, da die Wechselzahlung von keiner Bedingung abhängig ist.
Die vorausbezahlte Fracht ist übrigens noch nicht jedem Risiko entzogen, da sie unter Umständen zurückgezahlt werden muss. D. H. G. B. Art. 681. Bedarride III. Nr. 828. 829.
Der Bodmereivertrag muss, abgesehen von der amtlichen Genehmigung, schriftlich errichtet werden; dies geht aus dem zweiten Absatz des Artikels hervor und folgt auch aus der Vorschrift des Art. 322, da ein Bodmereianlehen auf weniger als 50 Yen wohl kaum jemals vorkommen wird. Der Inhalt der Vertragsurkunde ist übrigens hier nicht vollständig angegeben, sondern nur derjenige Inhalt, der sich nicht von selbst versteht; es ist desshalb ganz überflüssig immer wieder von neuem vorzuschreiben, was zu jedem Darlehen gehört, nämlich dass der Contract die Namen der Parteien, die Anlehens-Summe als Gegenstand des Geschäfts, die Prämie hiefür, das Datum etc. enthalten müsse. Nothwendig aber erschien es vorzuschreiben, dass in einem solchen Contracte die auf die Verbodmung bezüglichen Momente enthalten sein müssen. Am vollständigsten ist in dieser Hinsicht das D. H. G. B. Art. 684. Der Französ. Code de comm. Art. 311 ist einerseits unvollständig, und andererseits insoferne überflüssig, als das Auslassen gewisser Punkte dem Contracte seine Gültigkeit nicht entzieht. Die im Französ. Rechte Art. 312 vorgeschriebene Registrirung wurde im Entwurfe nicht adoptirt; sie besteht auch nicht nach Deutschem und Belgischem Rechte, und ebenso wenig in England. Sonst würde sich die Bodmerei von allen anderen registrirten Forderungen (Art. 913 Ziff. 12) den sog. Seehypotheken (hypotheques maritimes) nicht mehr unterscheiden; zudem ist die Registrirung in auswärtigen Häfen, wo allein nach dem modernen Recht Bodmerei genommen werden kann, kaum durchführbar und von Werth. Uebrigens ist die Bodmerei kein Formalcontract wie der Wechsel, wesshalb die Italienische Bezeichnung als prestio à cambio maritimo, Darlehen auf Seewechsel unangemessen erscheint.
Im Vertrag müssen nicht nur die verbodmeten Sachen, sondern auch deren Werth angegeben werden. Dies ist nothwendig, da die Anlehenssumme diesen Werth nicht übersteigen darf. Code de comm. Art. 316. 317. Von selbst versteht es sich hiernach, dass auf Sachen, die nicht existiren oder die keiner Seegefahr ausgesetzt werden, insbesondere auf Waaren, die nicht auf das Schiff geladen sind, kein Bodmereianlehen genommen werden darf. Belg. Gesetz von 1879 Art. 157. Diese Bestimmungen sind dem Versicherungsrechte entnommen, und ihre Anwendung auf die Bodmerei dadurch gerechtfertigt, dass diese nicht zu blossen Spiel- und Wettgeschäften gemissbraucht werden darf. Wenn daher die Bodmereisumme den Werth der verbodmeten Gegenstände übersteigt, ist das Geschäft in Bezug auf den Ueberschuss als gewöhnliches Darlehen zu beurtheilen, und es kann die Zurückzahlung desselben nicht von der Ueberstehung der Seegefahr abhängig gemacht werden; diese Rückforderung ist für die ganze Summe unbedingt, wenn der Darlehensnehmer betrüglich gehandelt hat, also wissentlich und in der Absicht unrechtmässigen Gewinns eine zu hohe Summe entliehen hat. Würde man dies gestatten, so wäre die Folge, dass absichtlich Seeunfälle herbeigeführt würden, um der Rückzahlung des Anlehens zu entgehen. Bedarride III. Nr. 886. Der Werth ist der reelle Werth der Sachen zur Zeit des Contracts, mit Hinzufügung der Transport- und Commissionskosten etc. Bedarride III. Nr. 890. Dieser Werth kann aus den Facturen entnommen, auf Verlangen muss er durch Sachverständige geschätzt werden. Der imaginäre Gewinn von den Waaren, d. h. der noch nicht realisirte, nur zu hoffende Gewinn beim Verkaufe darf nicht mit eingerechnet werden, da diese Hoffnung leicht trügen kann und ohne dieses Verbot keine Schranke gegen Ueberschätzung der Waaren gegeben wäre. Code de comm. Art. 318. Belg. Gesetz von 1879 Art. 158.
Die Gültigkeit des Bodmereivertrags ist nicht davon abhängig dass das Anlehen zu dem angegebenen Zwecke wirklich verwendet wurde, und der Gläubiger braucht die Verwendung der Summe nicht zu überwachen. Alauzet V. Nr. 1945. Indessen da der Capitain nach allgemeinen Grundsätzen (D.H.G.B. Art. 693. Belg. Gesetz von 1879 Art. 164) zur möglichsten Erhaltung der verbodmeten Sachen verpflichtet ist, so wäre er dem Gläubiger für den Schaden verantwortlich, den er diesem durch eine andere Verwendung des Geldes zufügen würde.
In der Französ. Jurisprudenz wird der Satz aufgestellt, dass auf bereits versicherte Sachen kein Bodmereianlehen aufgenommen werden kann, da dies auf eine doppelte Versicherung hinauslaufen würde. Dies kann indessen nicht zugegeben werden und die Gesetze enthalten keine darauf bezügliche Bestimmung. Es ist nicht einzusehen, warum der Capitain eines versicherten Schiffes nicht in einem Nothhafen ein Bodmereianlehen soll aufnehmen dürfen, um Schäden anzubessern und seine Reise fortsetzen zu können. Geht das Schiff später zu Grunde, so enthält allerdings der Versicherte die Versicherungssumme, aber er gewinnt diese nicht doppelt, da der Werth der Bodmereisumme mit dem Schiff verloren ist. Kommt das Schiff glücklich ans Ziel, so muss das Bodmereianlehen äusser der Prämie zurückgezahlt werden, aber der unterwegs erlittene Schaden ist von dem Versicherer zu ersetzen.
Art. 1001. Verbodmet kann nur werden, was einer Seegefahr ausgesetzt wird, und zwar auf der Reise, für welche das Anlehen gemacht wird; mithin die gewöhnlichen drei Gegenstände des Seerechts, Schiff, Fracht und Ladung. Der Capitain kann über alle drei für die Bedürfnisse der Reise verfügen; nach dem bereits oben zu Art, 936 erläuterten Princip auch über die Ladung; über letztere kann er jedoch nicht ausschliesslich verfügen für die blossen Bedürfnisse des Schiffes, da hiefür zunächst das Schiff selbst haften muss und fremdes Eigenthum nur im äussersten Nothfall verwendet werden darf. Das Schiff als ein ganzes ist aus sehr vielen Bestandteilen zusammengesetzt, die unter einander eine rechtliche Einheit bilden, aber auch selbständig behandelt werden können, nämlich dem Schiffskörper und allem Zubehör, was zum Betrieb der Schifffahrt hinzugefügt werden muss, also Masten, Taue, Anker, Boote, Maschinen, Kohlen, Vorräte, Lebensmittel etc. Wird nur das Schiff ohne weitere Einschränkung verbodmet, so versteht man darunter das Schiff im weiteren Sinne, also mit Einschluss des Zubehörs, ja sogar der Fracht, da dieselbe, wie bereits früher bemerkt, gleich den Früchten eines Grundstückes einen Bestandteil des Schiffes bildet. Dies ist auch aus dem Grunde zu empfehlen, weil jedes Schiff durch die Ausführung einer Seereise an Werth verliert und dafür eine Entschädigung in der Fracht erhält, so dass die Fracht in dieser Hinsicht nur den verbrauchten Werth des Schiffes repräsentirt. Bedarride III. Nr. 917.
Die Verbodmung der Fracht ist zugelassen im D. H .G. B. Art. 680. 681, im Belg. Gesetz von 1879 Art. 157, und nach Englischem Recht. Abbott, Treatise p. 118. Nach dem Französischen und einigen anderen älteren Gesetzen kann die Fracht allein nicht verbodmet werden, sondern nur in Verbindung mit dem Schiff, indem die am Ende der Reise verdiente Fracht gleich dem Zubehör des Schiffs behandelt werden soll. Code de comm. Art. 318. 320. Holl. H. G. B. Art. 578. Span. H. G. B. Art. 817. 820. Nach Deutschem und Holländischem Recht soll jedoch in der Verbodmung des Schiffs die der Fracht nicht von selbst enthalten sein, während nach Englischem Rechte das erstere der Fall zu sein scheint. Abbott, Treatise p. 118. Der Entwurf ist in Bezug auf die erstere Frage den neuesten Gesetzgebungen gefolgt, da die Fracht auf Grund abgeschlossener Frachtverträge kein blosser Gegenstand der Hoffnung mehr ist, sondern ein reeller Erwerb, wenn gleich nur obligationsweise, woran der Umstand, dass sie durch Seeunfälle verloren gehen kann, nichts ändert. Der hiegegen erhobene Einwand, dass die Fracht keine wirkliche Sicherheit biete (Bedarride III. Nr. 892), ist daher nicht begründet. Für die stillschweigende Mitverbodmung der Fracht mit dem Schiff spricht die vorhin erörterte enge Verbindung beider, und es ist kein genügender Grund dafür vorhanden, wenn im Deutschen und Holländischen Recht zwar in der Verbodmung von Schiff und Ladung, aber nicht auch in der Verbodmung des Schiffs die der Fracht enthalten sein soll.
Wenn im Vertrage blos von Verbodmung ohne Benennung der verbodmeten Gegenstände die Rede ist, so ist es das richtigere, eine solche Verbodmung nur auf Schiff und Fracht, nicht auch auf die Ladung zu beziehen. Lewis II. p. 6.
In allen Gesetzgebungen, und auch im Entwurfe stillschweigend, ist die Verbodmung der Gehalte und Löhne der Schiffsbesatzung nicht gestattet. Code de comm. Art. 319. Holl. H. G. B. Art. 577. Span. H. G. B. Art. 821. D. H. G. B. und Belg. Gesetz von 1879 (stillschweigend). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass die Schiffsbesatzung, wenn sie ihren Lohn durch Anlehen vorausbeziehen dürfte, den Antrieb zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten, insbesondere zur Rettung von Schiff und Ladung, in bedenklicher Weise verlieren könnte. Bedarride III. Nr. 900. 903.
Art. 1002. Die gleiche Bestimmung enthält der Code de comm. Art. 323, Belg. Gesetz von 1879 Art. 159, Holl. H. G. B. Art. 581, Span. H. G. B. Art. 829. Der Grund ist, dass immer das spätere Anlehen zur Erhaltung des Gegenstandes dient, mithin auch dem früheren Anlehen nützt, also diesem vorgehen muss. Zwei Anlehen für dasselbe Bedürfniss, wenn auch zu verschiedenen Zeiten, etwa in demselben Nothhafen eingegangen, können daher keinen Vorzug vor einander haben, da keines mehr als das andere zur Erhaltung des verbodmeten Gegenstandes beiträgt. Bedarride III. Nr. 939.
In dem Französ. Gesetzbuch und einigen anderen ist auch an dieser Stelle die Bestimmung enthalten, dass die Anlehen der letzten Reise denen früherer Reisen vorgehen sollen, auch wenn letztere später wieder erneuert, also formell von neuem abgeschlossen sein sollten. Diese Bestimmung ist jedoch überflüssig, nachdem bereits früher (Art. 913 Ziff. 6) den von der letzten Reise herrührenden Anlehen ein Vorzugsrecht in bestimmter Rangfolge ertheilt wurde, und daraus folgt, dass die Anlehen früherer Reisen überhaupt kein Vorzugsrecht haben, sondern nur an den ihnen verbodmeten Gegenständen die Rechte von Schiffsgläubigern ausüben können. So wird der citirte Art. 323 auch von der Französischen Jurisprudenz interpretirt. Alauzet V. Nr. 1968. Dem Anlehen früherer Reisen einen Vorzug unter einander einzuräumen, scheint nicht genügend motivirt zu sein, da sie, sobald durch längeren Zeitverlauf ihr Character als Nothschuld getilgt ist, auch nicht mehr zu einander in solche Vergleichung gesetzt werden können.
Art. 1003. Die Bodmerei wird immer schriftlich abgeschlossen mittelst besonderer Urkunde, welche der leichteren Versendung und Realisirung wegen meist als Ordrepapier ausgestellt wird, selbst in mehreren Exemplaren, weil bei weiten Sendungen über See in der Regel der grösseren Sicherheit wegen Duplicate nachgeschickt werden. Diese Versendung ist hier nothwendig, da die Bodmereischuld am Orte, wo die Seereise endet, und nur gegen Vorzeigung des Papiers zurückgezahlt werden muss. Jeder durch Indossament legitimirte Inhaber des Bodmereibriefes kann die Forderung und die damit zusammenhängenden Rechte an den verbodmeten Sachen geltend machen.
Der Indossant haftet, wie sonst, so auch hier dem Indossatar für die Zahlung durch den Schuldner; erfolgt diese nicht, so muss er selbst zahlen. Es können dem Indossatar jedoch die nämlichen Einreden entgegengesetzt werden, wie dem Indossanten; er trägt also namentlich auch die Seegefahr und wenn das Schiff nicht ankommt oder beschädigt wird, so wird der Anspruch des Indossatars ebenso aufgehoben oder beschränkt, wie der des Indossanten.
Die Haftung des letzteren ist in den Gesetzen auf die Capital-summe beschränkt, nicht auch auf die Prämie (profit maritime) ausgedehnt, da er billiger Weise nur für die Summe haften soll, die er für den Verkauf des Papiers erhielt. Bedarride III. Nr. 867. Code de comm. Art. 313. 314. Belg. Gesetz von 1879 Art. 162. 163. D. H. G. B. Art. 687.
Die Protestirung des Bodmereibriefes, ebenso wie die des Wechsels, ist im Entwurfe nicht vorgeschrieben, da der erstere kein Formalcontract ist und ein fester Zahlungstag hier nicht vorkommt. Es genügt daher, dass Zahlung verlangt, aber von dem Schuldner nicht erlangt worden ist. Die Protesterhebung ist auch im Französischen und Deutschen Gesetz nicht vorgeschrieben, wird jedoch allerdings von der Französischen Jurisprudenz zur Bedingung gemacht. Bedarride III. Nr. 871.
Art. 1004. Die Bestimmung dieses Artikels folgt daraus, dass der Bodmereigläubiger die Seegefahr zu tragen hat; geht das Schiff auf der Reise zu Grunde, so ist der Schuldner von jeder Verpflichtung frei. Es versteht sich von selbst, dass der Schuldner nur frei wird, wenn der Verlust durch den Eintritt einer Seegefahr erfolgte, und zwar auf der vertragsmässigen Reise, auf der hiedurch bestimmten Route und in der hiernach bestimmten Zeit. Wurde der Verlust durch ein Verschulden, etwa gar durch Absicht, des Capitains herbeigeführt, oder bei der Ladung, durch deren eigene Mängel, so dauert die Schuld des Bodmereinehmers fort.
Wenn das Schiff glücklich an seine Bestimmung gelangt, muss die Zahlung erfolgen, nachdem das Schiff Anker geworfen hat, oder die Ladung ans Land gebracht ist. Es wird jedoch nach dem Vorgang des D. H. G. B. Art. 688 eine Zahlungsfrist von 8 Tagen gewährt, um dem Schuldner Zeit zur Bewerkstelligung der Zahlung zu lassen. Code de comm. Art 328.
Dass die verbodmeten Sachen dem Gläubiger als Sicherheit dienen und im Fall der Nichtzahlung von diesem in Anspruch genommen werden können zum Zweck des Verkaufes, gleich Pfandobjecten, folgt aus den früheren Erörterungen über die Natur des Bodmereivertrages. D. H. G. B. Art. 697. Code de comm. Art. 320. Belg. Gesetz von 1879 Art. 160.
Art. 1005. Der Bodmereigläubiger trägt nur die vertragsmässig übernommene Seegefahr, nicht jede andere, die etwa der Capitain ohne Noth herbeiführt. Mithin darf das vertragsmässige Risiko nicht willkürlich verändert werden, da dies ein Abgehen vom Vertrage wäre und dessen Ungültigkeit zur Folge hätte. Solche Fälle sind namentlich die Veränderung der Reise, die Benützung eines anderen Schiffs, die Verspätung der Abreise u. dgl. m. Code de comm. Art. 324. D. H. G. B. Art. 694. Holl. H. G. B. Art. 582. Dadurch würde der Gläubiger von der Clausel der Seegefahr befreit, der Schuldner bliebe also für die Rückzahlung des Anlehens nebst Prämie persönlich verantwortlich. Diese Folge träte nur dann nicht ein, wenn die Aenderung unabweisbar nothwendig gewesen wäre, weil sie dann zu den Seegefahren zu rechnen wäre, für welche der Gläubiger einzustehen hät.
Im Belg. Gesetze von 1879 Art. 164 ist nur gesagt, dass der Bodmereinehmer jede Sorgfalt anzuwenden hat, um den Verlust oder Schaden zu vermeiden oder zu vermindern; es liegt aber darin auch die Vorschrift, dass er jede willkürliche Aenderung des Risikos zu unterlassen hat.
Im D. H. G. B. Art. 699 ist bestimmt, dass wenn die Reise ganz unterbleibt, der Gläubiger sich eine Herabsetzung der Prämie gefallen lassen muss. Eine solche Bestimmung ist nicht nothwendig, weil schon aus allgemeinen Grundsätzen folgt, dass wenn der Gläubiger keine Seegefahr getragen hat, er auch nur die gewöhnliche Verzinsung seines Capitals verlangen kann. Die Zahlung kann in diesem Falle natürlich an dem Orte gefordert werden, wo der Vertrag zu Stande kam. Indessen müsste auch die Prämie in diesem Falle gezahlt werden, wenn die Gefahr für den Gläubiger bereits begonnen hätte, z. B. in Betreff des Schiffes, wenn es bereits unter Segel gegangen, oder in Betreff der Ladung, wenn sie bereits auf das Schiff oder auf Leichterschiffe gebracht worden wäre.
Art. 1006. Durch die Bodmerei wird der Schuldner nicht mit seinem gesammten Vermögen verpflichtet wie durch gewöhnliche Verträge, sondern nur mit den verbodmeten Gegenständen, die nicht einmal sein Eigenthum zu sein brauchen, wie z. B. die Ladung meist nicht dem Schiffseigenthümer gehören wird. Die Bodmerei hat daher einen dinglichen Character gleich dem Pfandvertrag, nur dass er nicht wie dieser rein accessorisch ist, sondern das Wesen des Hauptcontracts selbst ausmacht. Wenn die verbodmeten Sachen zu Grunde gehen, hat der Gläubiger alles Recht auf Zahlung der Bodmereisumme nebst Prämie verloren ; wenn sie beschädigt werden, kann er nur ihren übrig bleibenden Werth für seine Befriedigung in Anspruch nehmen. Dies ist in allen Gesetzgebungen anerkannt. Als Beschädigung ist hier jede Werthverminderung anzusehen, es gehören hieher mithin auch die etwaigen Havarie- und Rettungskosten, da diesen Kosten ein Vorzugsrecht zusteht. Art. 913. Ziff. 4. Auch die Kosten der besonderen Havarie mindern den Werth der Sachen und der Bodmereigläubiger kann daher nur soviel von diesen Sachen erhalten, als nach Berichtigung der genannten Kosten übrig bleibt. Gesetzt, der Werth der verbodmeten Ladung beträgt 1000, die Bodmerei darauf 500 und die Havarie ebenfalls 500, so würden von jenen 1000 zuerst die Havariekosten mit 500 zu berichtigen und die übrig bleibenden 500 dem Bodmereigläubiger zufallen. Gesetzt, die Bodmereisumme hätte 600 betragen, so würde der Bodmereigläubiger doch nicht mehr wie 500 bekommen, da die Havarie nicht mehr übrig gelassen hätte. Code de comm. Art. 325. 327. 330. Belg. Gesetz von 1879 Art. 164—167. In diesem Gesetz sind die besonderen Havariekosten ausgenommen, wofür kein genügender Grund zu erkennen ist. Bedarride III. Nr. 995. 996. Nach Französischem Recht kann die Haftung des Bodmereigläubigers für besondere Havarie durch ausdrücklichen Vertrag abgelehnt werden, was gleichfalls unzulässig erscheint, da dadurch demselben ein Theil der Seegefahr abgenommen würde, die nach der Natur des Vertrages auf ihm liegen muss, und nur durch den Umstand sich erklärt, dass in der Ordonnanz von 1681 früher das Gegentheil wie im Code verordnet war. Holländ. H. G. B. Art. 588. 589. D. H. G. B. Art. 680. 691. Zwischen dem letzteren Gesetzbuch und dem Französischen findet insoferne ein Unterschied statt, als jenes den Bodmereigläubiger persönlich von den Havariebeiträgen freispricht, während dieses ihm dieselben auferlegt à la décharge des emprunteurs, so dass der Bodmereinehmer dadurch entlastet wird. Indessen ist dieser Unterschied ohne grosses Gewicht, da beide, Havarie und Bodmereianlehen, stets nur aus dem Werth der Sachen gezahlt werden mit Vorzug der ersteren. Die Wirkung ist daher immer nur die, dass der Bodmereigläubiger möglicher Weise verlieren kann, wenn die Havarie für seine Bodmereiforderung nicht genug übrig lässt; allein gegen diesen Verlust kann er sich durch Versicherung seines Bodmereiinteresses schützen. Wenn die Vorschrift des Art. 330 des Code de comm. so aufzufassen wäre, dass der Bodmereigläubiger für den Havariebeitrag im Verhältniss seiner Bodmereiforderung an Stelle des Bodmereinehmers verpflichtet ist, so wäre dies zu verwerfen, denn dann würde nach dem obigen Beispiele jeder, der Bodmereigläubiger und der Bodmereinehmer, zur Hälfte zur Havarie beizutragen haben, nämlich jeder 250, und es würde sonach der Bodmereigläubiger statt voller 500, nur 250 zurückbekommen. Dieses Resultat ist aber zu verwerfen, da der Bodmereigläubiger den nach Abzug aller Werthverluste übrig bleibenden Werth der verbodmeten Sachen beanspruchen kann, und nicht dem Versicherer gleichgestellt werden darf, welcher zur Hälfte mit dem Eigenthümer die Haftung für Seeverlust übernommen hat. Die Bestimmung des Entwurfes ist daher im Sinne des Deutschen Gesetzbuches zu verstehen. Auch die Rettungskosten kommen zum Nachtheil des Bodmereigläubigers in Abzug. Wenn also nach dem früheren Beispiele die Havarie 500 und die Rettungskosten 100 betrügen, so blieben von dem Gesammtwerth zu 1000 nur 400 für den Bodmereigläubiger übrig.
Andererseits muss aber auch die Havarieentschädigung zum Vortheil des Bodmereigläubigers angerechnet werden. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn z. B. die Ladung ganz über Bord geworfen wäre. Wenn der Werth der Ladung 20000 und die Havarieentschädigung däfür 10000 beträgt, so kann man nicht etwa sagen, die Ladung sei unterwegs durch Seewurf zu Grunde gegangen, und der Bodmereinehmer hat daher nichts zu bezahlen. Denn da er dafür 10000 als Entschädigung bekommt, so sind diese 10000 in Wahrheit von der Ladung gerettet worden, und müssen daher insoweit zur Befriedigung des Gläubigers verwandt werden. Belg. Gesetz von 1879 Art. 166. Was von Seewurf, gilt aber auch von jeder anderen Havarie. Wenn z. B. das Schiff durch Kappen der Masten an Werth verlor, aber für diesen Verlust Havarieersatz erhält, so muss dieser Ersatz gleichfalls in den Werth des Schiffes eingerechnet werden.
Uebrigens kann der Bodmereigläubiger, wie der Versicherer, sich durch speciellen Vertrag von der Haftung für gewisse Seegefahren befreien, und in solchem Falle können ihm dann auch die betreffenden Havarien nicht aufgerechnet werden. Belg. Gesetz von 1879 Art. 167.
Im Code de comm. Art. 331 findet sich schliesslich noch die Bestimmung, dass wenn die verbodmeten Sachen zugleich versichert waren, der Bodmereigläubiger und der Versicherer aus deren Erlös in gleichem Verhältniss ihres Capitals befriedigt werden sollen. Diese Bestimmung, welche übrigens nach Alauzet V. Nr. 1987 nicht von der eigentlichen Bodmerei zu verstehen ist, somit nicht in den Entwurf gehört, da diese ein Vorzugsrecht vor der Versicherung hat, setzt Bodmerei und Versicherung auf gleiche Linie gegenüber dem Nehmer und Versicherten unter der Voraussetzung, dass dieselbe Sache zum Theil verbodmet, zum Theil versichert wurde, z. B. zu 3/5 verbodmet und zu 3/5 versichert; würde nun die Sache zur Hälfte verloren, so bekäme der Bodmerist 2/5 und der Versicherte von der übrig gebliebenen Hälfte. Die Französische Jurisprudenz ist über diese Bestimmung im unklaren und dieselbe scheint auf einer irrigen Auffassung des Bodmereianlehens zu beruhen. Die Bodmerei ist ein Creditgeschäft gegen reale Sicherheit, die Versicherung eine Erhaltung dieser Sicherheit, beide können daher im Falle von Verlust nicht die gleiche Rückerstattung beanspruchen, so wenig wie der Bodmerist mit dem eigentlichen Bodmereischuldner den Ersatz für seine Forderung im Falle der Werthverminderung der verbodmeten Sache zu theilen hätte.
Titel VIII. Versicherung.
Capitel 1. Abschluss der Versicherung.
Art. 1007. Der gegenwärtige Titel hat nur die Seeversicherung zum Gegenstand. Die allgemeinen Grundsätze über Versicherung, und namentlich über Transportversicherung sind bereits im Titel XI. des ersten Buches abgehandelt, und es kommen diese Grundsätze nach Art. 687 zur Anwendung, soweit nicht im gegenwärtigen Titel anderweitige Grundsätze in Betreff der Seeversicherung aufgestellt werden. Der gegenwärtige Titel enthält daher nur einzelne Ausnahmen oder specielle Modificationen des allgemeinen Versicherungsrechtes, und er konnte daher erheblich kürzer abgefasst werden, als im Französischen ober Deutschen Handelsgesetzbuch, welche beide nicht von der Versicherung im allgemeinen, sondern nur von der Seeversicherung handeln. Von den übrigen Handelsgesetzbüchern enthalten die meisten neben der Seeversicherung auch, wie der Entwurf, Abschnitte über die Versicherung im allgemeinen, so das Spanische, Holländische und Belgische Handelsgesetzbuch.
Es werden zuerst das Wesen und die Bedingungen der Gültigkeit der Seeversicherung definirt. Nach Art. 688 können alle Gegenstände versichert werden, an denen man ein rechtliches Vermögensinteresse hat als Eigenthümer, Gläubiger oder auf Grund eines sonstigen Rechtstitels. Dieses Princip findet auch auf die Seeversicherung Anwendung, jedoch mit der Modifikation, dass nur Sachen, die einer Seegefahr ausgesetzt sind, der Seeversicherung zugänglich sind. Die Seegefahr ist doppelter Art. Sie kann entstehen durch Naturereignisse, die nur der See eigenthümlich sind, wie Stürme, Brandung, Sandbänke etc.; oder sie kann entstehen auf der See, so lange oder während das Schiff für die Zwecke der Schifffahrt benützt wird, wie Feuer, Diebstahl, Plünderung, feindliche Wegnahme etc. Unter Seegefahren ist daher alles zu verstehen, wodurch die an Schiff oder Ladung bestehenden Vermögensinteressen auf der See verletzt werden können. Eine ähnliche allgemeine Begriffsbestimmung enthalten auch der Code de comm. Art. 334, das D. H. G. B. Art. 782, das Belg. Gesetz von 1879 Art. 168.
Das zu versichernde Interesse muss immer ein Vermögensinteresse sein, daher in einer bestimmten Geldsumme geschätzt werden können, und es ist damit von selbst gesagt, dass es ein rechtliches Interesse sein muss. Blosse factische Interessen, wie namentlich die Hoffnung oder Erwartung eines Gewinnes, militärische oder wissenschaftliche Interessen an der glücklichen Reise eines Schiffes können nicht versichert werden. Ebenso ist die sog. Wettversicherung ungültig, da Wetten auf die glückliche Ankunft von Schiffen ungültig sind, und die in Frankreich sog. polices d'honneur, d. h. Versicherungen, die ohne weiteren Beweis eines Interesses abgeschlossen werden und nichts weiter als Hazardspiel sind. Alle diese Versicherungen müssen desshalb für ungültig erklärt werden, weil sie dem Fundamentalprincip des Versicherungsrechts widersprechen, dass der Versicherte sich nicht durch Erlangung der Versicherungssumme bereichern soll.
Der übrige Inhalt dies Artikels findet sich namentlich auch im Code de comm. Art. 335 ausgesprochen und rechtfertigt sich dadurch, dass die Parteien die Gefahren, gegen welche Versicherung abgeschlossen werden soll, vertragsmässig bestimmen und begrenzen können.
Insbesondere können Schiff und Ladung etc. noch versichert werden, nachdem die Reise bereits begonnen wurde; jedoch nicht mehr, nachdem sie bereits vollendet ist. Indessen kann zur Zeit des Abschlusses einer nachträglichen Versicherung das Schiff möglicher Weise bereits untergegangen oder auch in den Hafen gelangt sein, und dann wäre die Versicherung ungültig, da die Versicherung ihrer Natur nach nur gegen künftige, ungewisse Gefahren stattfinden kann. Auf solche Fälle wäre der Art. 696 anzuwenden, die Versicherung wäre mithin trotzdem gültig, wenn die Parteien noch thatsächlich sich in Ungewissheit und folglich in gutem Glauben befanden und der Vertrag mit der Intention der Gültigkeit in jedem Falle geschlossen wurde. Code de comm. Art. 365. Belg. Gesetz von 1879 Art. 196. D. H. G. B. Art. 789.
Ueber mehrfache Versicherung desselben Gegenstandes, und über die bei der Versicherung zu beobachtende Vertragsform, insbesondere über die Ausstellung und den Inhalt der Versicherungspolicen sind bereits im ersten Buche die bezüglichen Vorschriften gegeben, dieselben brauchen daher hier nicht wiederholt zu werden.
Aus Art. 739 folgt, dass in der Police die Gattung (Dampf- oder Segelschiff etc.) und der Name des Schiffes und des Capitains enthalten sein muss. Mit der Aenderung dieser Punkte wird es bei der Seeschifffahrt nicht so leicht genommen, wie beim Landtransport, vielmehr sind hier nach Art. 1014 nur nothwendige Aenderungen gestattet.
Art. 1008. Dieser Artikel enthält nach dem Beispiel der übrigen Gesetzgebungen die Aufzählung derjenigen Gegenstände, welche gegen Seegefahr versichert werden können. Code de comm. Art. 334. 347. D. H. G.B. Art. 783. Belg. Gesetz von 1879 Art. 168. Holländ. H.G.B. Art. 593. 599.Span.H.G.B. Art. 848. 849. Diese Aufzählung ist jedoch nicht limitativ, vielmehr kann im allgemeinen jedes nicht ausdrücklich ausgenommene Vermögensinteresse versichert werden. Die Aufzählung hat also nur den Zweck, die gewöhnlichsten und häufigsten Fälle namhaft zu machen, und mögliche Zweifel vorweg zu beseitigen.
Die versicherbaren Sachen können nach dem freien Belieben der Parteien versichert werden; also entweder das ganze Schiff nebst Zubehör, oder nur einzelne Theile davon, z. B. die Hälfte des Schiffes, der Schiffskörper allein, der Proviant allein, die Ladung ganz oder zum Theil allein; oder alle oder einzelne Sachen zusammengenommen. Ebenso können dieselben zum vollen Werth oder nur zu einem Theile ihres Werthes versichert werden.
In Bezug auf die Versicherbarkeit einzelner Gegenstände stimmen die verschiedenen Gesetzgebungen nicht durchgängig überein, die neueren gehen darin weiter als die älteren, namentlich das Französische, und der Entwurf ist mehr den neueren gefolgt.
Ueber die Versicherbarkeit des Schiffes nebst Zubehör (Masten, Segel, Taue, Anker, Boote, Vorräthe, Proviant und die gesammte übrige Einrichtung), sowie der Ladung herrscht kein Widerstreit. Ist das Schiff überhaupt ohne weitere Specification versichert, so ist das ganze Schiff nebst Zubehör, der Regel nach auch die Fracht, als versichert anzusehen, da die Fracht stets als Bestandtheil des Schiffs behandelt wird, nach Analogie der Bodmerei. Code de comm. Art. 320.
Die Versicherung der Fracht ist in Deutschland und Belgien ganz allgemein gestattet, im Code de comm. Art. 347 ist die noch nicht verdiente Fracht (fret à faire) von der Versicherung ausgeschlossen. Als Grund hiefür wird angegeben, dass die Fracht erst durch die seemännische Arbeit der Schiffsbesatzung und durch die glückliche Ankunft oder Rückkehr des Schiffes verdient werden müsse, vorher aber noch nicht als Vermögensobject bestehe und nur als Gegenstand einer mehr oder minder wahrscheinlichen Hoffnung erscheine. Anders verhalte es sich mit der bereits verdienten Fracht, die aber freilich, da sie nur ausnahmsweise noch einer Seegefahr unterliege, der Regel nach nicht versichert werden könne. Bedarride III. Nr. 894. 1197. Indessen kann die noch nicht verdiente Fracht auch in Holland und England versichert werden. Holl. H. G. B. Art. 593. Arnould, mar. insur. I. p. 131. Der Entwurf ist der Mehrzahl der Gesetzgebungen gefolgt, da die Fracht ein reelles, vertragsmässig also rechtlich gesichertes Vermögensinteresse bildet, das desshalb, weil es vorerst nur obligatorische Existenz hat, nicht weniger existirt. Es kann allerdings durch den Eintritt einer Seegefahr verloren gehen, allein dagegen soll gerade die Versicherung schützen. Es ist nicht einzusehen, warum derjenige, der durch Schiffbruch Schiff und Fracht verliert, nicht auch für letztere Entschädigung erhalten solle. Allerdings ruhen auf der Fracht gewisse Ausgaben, die durch den Eintritt eines Unfalles vielleicht erspart werden, z. B. Schifferlöhne und Reparaturkosten; insoferne würde der Schiffseigenthümer durch Versicherung der Fracht sich bereichern können. Indessen kann eine solche Bereicherung durch den Zusammenfluss besonderer Umstände nicht, verhütet werden, wenn sie auch principiell vom Versicherungswesen ausgeschlossen sein muss. Lewis II. p. 176.
Die Versicherung der Passagiergelder wird in Art. 1018 näher erläutert. Dieselben sind im Code de comm. noch nicht genannt, weil der Personenverkehr über See erst in neuerer Zeit, hauptsächlich seit Einführung der Dampfschiffe Bedeutung gewonnen hat. Sie finden sich bereits im Deutschen und Belgischen Gesetz ausdrücklich erwähnt. Lewis II. p. 182.
Die Ladung kann jeder versichern, der die Gefahr der Seereise zu tragen hat, also entweder der Eigenthümer als Versender oder der Käufer. Der Verkaufsgewinn von den Waaren kann nur versichert werden, wenn er als rechtliches Vermögensobject bereits existirt, also die Waare nicht auf blosse Speculation, sondern zufolge festen Lieferungscontracts verschickt wird. Ausserdem wäre der Gewinn eine blosse Hoffnung oder Möglichkeit, die vorläufig noch keine reelle Vermögens-Existenz hat. Der Französ. Code de comm. Art. 347 hat die Versicherung des Waarenprofites verboten (profit espéré des marchandises), jedoch wird sie in dem neueren Abänderungsentwurf zugelassen. Lewis II. p. 181. 185. Zeitschr. für H. R. Bd. 14. p. 158. In England kann der Profit gleichfalls versichert werden, jedoch nur wenn er ohne den Eintritt des Unfalls sicher gewesen wäre. Arnould I. p. 38. 39; ebenso in Deutschland, Belgien und Holland. D. H. G. B. Art. 783. Belg. Gesetz von 1879 Art. 168. Holland. H. G. B. Art. 593. Ausser dem Eigenthümer können auch andere Personen an den Frachtgütern ein Vermögensinteresse haben, indem sie daran einen Erwerb machen, wie namentlich Commissionäre und Mäkler; diese können daher solchen Erwerb gleichfalls versichern. Arnould I. p. 39. D. H. G. B. Art. 783. Belg. Gesetz von 1879 Art. 168. Lewis II. p. 186.
Die Bodmereigelder, und zwar Capital und Prämie (Zinsen), können selbstverständlich nur vom Gläubiger versichert werden, da nur dieser das Risiko trägt; denn der Schuldner wird durch den Untergang der verbodmeten Sachen von seiner Schuld befreit. In Frankreich kann der Bodmereiprofit nicht versichert werden (Code de comm. Art. 347), was jedoch aus gleichem Grunde wie in Betreff des Waarenprofits nicht zu billigen ist. Lewis II. p. 183. Arnould I. p.
Unter Havariegeldern sind solche Geldsummen (Capital mit Zinsen) zu verstehen, welche während einer Reise in Folge eines Seeunfalles zum Zweck der Reparatur etc. aufgewendet werden. D. H. G. B. Art. 783. Belg. Gesetz von 1879 Art. 168. Lewis II. p. 184. Ferner auch Havarieforderungen gegen beitragspflichtige Sachen, da deren glückliche Ankunft und resp. übrig bleibender Werth die Befriedigung solcher Forderungen bedingt.
Forderungen der Schiffsgläubiger sind solche, die entweder nur aus dem Erlös von Schiff und Fracht Befriedigung finden können oder für welche doch daran ein gesetzliches Pfand- und Vorzugsrecht zusteht. Lewis II. p. 185. Die Schiffsgläubiger haben daher ein rechtliches Interesse an der Erhaltung von Schiff und Fracht und können demnach dieses Interesse versichern.
Die Versicherung des Versicherers selbst, sog. Rückversicherung, besteht darin, dass der. Versicherer gegen Zahlung einer Prämie gegen die von ihm übernommene Gefahr wieder von einem anderen versichert wird. Da er bei dem Eintreten eines Seeunfalls die Versicherungssumme an den Versicherten zu zahlen hat, so hat er ein Interesse daran, dass Schiff oder Ladung die Gefahren der Seeschifffahrt überstehe, und dieses Interesse kann er versichern. Dieses Recht ist dem Versicherer auch in den übrigen Gesetzgebungen eingeräumt. Code de comm. Art. 342. D. H. G. B. Art. 782. Belg. Gesetz von 1879 Art. 188. Span. H. G. B. Art. 852. Engl. Gesetz von 1867 (30. und 31. Vict. c. 23. s. 4.) Lewis II. p. 186. Arnould I. p. 101 ff.
Die Versicherung der Löhne und Gehälter der Schiffsbesatzung, also der Schiffsleute und des Capitains, ist in fast allen Gesetzgebungen verboten. Code de comm, Art. 347. Ital. H. G. B. Art. 461. Holländ. II. G. B. Art. 599. Span. H. G. B. Art. 885. D. H. G. B. Art. 784. In England kann jedoch der Gehalt des Capitains versichert werden. Arnould I. p. 43-45. Der Grund für die allgemeine Regel ist, dass die Gehälter und Löhne, obwohl Gegenstand einer rechtlichen Forderung, doch kein durch den Lohnvertrag selbst schon erworbenes Vermögen sind, da sie erst durch seemännische Arbeit während der Reise erworben werden müssen und durch Schilfbruch etc. verloren gehen. Die Versicherung der Löhne würde die Natur des Schiffslohnes aufheben, der wesentlich von der glücklichen Beendigung der Reise abhängt, und mit dem in Art. 944 aufgestellten Princip im Widerspruch stehen. Das Verbot muss auch die Nebeneinnahmen betreffen, z. B. Primage, Tantiemen etc. Holl. H. G. B. Art. 599. Lewis II. p. 191. Dagegen steht der Versicherung der Effecten der Schiffsleute nicht im Wege.
Art. 1009. In Art. 738 ist für die Transportwaaren bestimmt, dass deren Werth am Orte und zur Zeit der Verladung, mit Hinzurechnung der noch hinzutretenden Kosten als Versicherungswerth angesehen werden soll. Diese Bestimmung gilt auch für die Seefrachtgüter. Code de comm. Art. 339. Belg. Gesetz von 1879 Art. 187. D. H. G. B. Art. 803. Es wird nun das gleiche Princip auch für das Schiff ausgesprochen, da naturgemäss der Versicherer für den Werth einzustehen hat, der beim Beginn des Risikos vorhanden ist. D. H. G. B. Art. 799. Belg. Gesetz von 1879 Art. 187. Arnould I. p. 312. Das gleiche gilt auch in Frankreich, indem der Art. 339 des Code auf den Werth des Schiffes angewendet wird. Mit dem Schiff überhaupt gelten auch die Ausrüstungskosten und die vorausgezahlten Löhne versichert. Der Beweis des Werthes kann durch die Facturen (invoices), Handelsbücher und auf andere Weise geführt werden.
Art. 1010. Die gleiche Bestimmung enthält das D. H. G. B. Art. 827, Belg. Gesetz von 1879 Art. 172, Holl. H. G. B. Art. 624-627. Lewis II. p. 290. In Frankreich beginnt die Gefahr nach Art. 341 und 328 mit dem Zeitpunkt der Abfahrt, was weniger angemessen erscheint, da die Einnahme der Ladung offenbar schon als der Zeitpunkt anzusehen ist, wo die Gefahren der See eintreten können. Arnould I. p. 401.
Für die Ladung ist nach Art. 735 der Beginn der Einladung gleichfalls massgebend. D. H. G. B. Art. 828. Belg. Gesetz von 1879 Art. 172. Holländ. H. G. B. Art. 627. Arnould I. p. 377. Als Beginn der Einladung ist der Zeitpunkt anzusehen, wo die Waaren das feste Land verlassen, um an Bord gebracht zu werden.
Wird die Ausladung ungebührlich verzögert, so ist es billig, dass der Versicherer für die durch solchen Verzug bewirkten Verluste nicht mehr einzustehen hat.
Uebrigens kommen dieser und der vorhergehende Artikel nur dann zur Anwendung, wenn die Versicherung für eine bestimmte Reise abgeschlossen ist. D. H. G. B. Art. 827. Schiffe können auch für bestimmte Zeiträume, z. B. für ein Jahr, versichert werden; in diesem Falle läuft die Frist vom Anfang bis zum Ende der Versicherungsperiode.
Art. 1011. Die Bestimmung dieses Artikels folgt daraus, dass den genannten Gläubigern nur gewisse Objecte als Sicherheit dienen ; von dem Verlust anderer Objecte haben sie keine Gefahr zu befürchten, folglich können sie an solchen auch keine Versicherung haben. Das Interesse, welches versichert wird, muss in der Police angegeben werden, und unrichtige Angaben würden die Unverbindlichkeit der Versicherung nach sich ziehen. Code de comm. Art. 348. D. H. G. B. Art. 812. Bedarride III. Nr. 1092.
Art. 1012. Dieser Artikel hat zur Voraussetzung, dass der Versicherer die Kriegsgefahr etc. nur dann trägt, wenn er sie ausdrücklich übernommen hat (Art. 1014), ein Princip, welches zwar ausdrücklich nur in dem Belg. Gesetz. von 1879 Art. 178 ausgesprochen ist, aber der gewöhnlichen Versicherungspraxis entspricht auch in Frankreich; denn die Französischen Policenformulare enthalten den Satz, dass der Versicherer die Kriegsgefahr nur im Fall ausdrücklicher Vereinbarung trägt. Dies ist auch das natürlichste und angemessenste, da 1, die Kriegsgefahr nicht wie die übrigen Unfälle zu den regelmässigen Seegefahren gehört, vielmehr nur ausnahmsweise eintritt, 2, durch die Artikel 1, 2 und 3 der Pariser Declaration von 1856 die Gefahr der Wegnahme ohnehin noch seltener geworden ist, indem das Kreuzen gänzlich abgeschafft, und Feindesgut unter neutraler Flagge, sowie neutrales Gut unter feindlicher Flagge für geschützt erklärt wurde. Die Gefahr des Verlustes durch Kriegsoperationen ist eine ganz andere, wie durch die gewöhnlichen Unfälle der Schifffahrt, was sich schon dadurch zeigt, dass die Prämie in Kriegszeiten sofort sehr erheblich steigt, mithin die gewöhnliche Prämie für die Kriegsgefahr an und für sich nicht berechnet sein kann. Diese Erwägung liegt auch dem Code de comm. Art. 343, ebenso dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 173 zu Grunde, indem dort die vertragsmässig bestimmte Erhöhung der Prämie für den Kriegsfall dem Richter anheim gegeben wird, was zu der Folgerung berechtigt, dass wenn die Erhöhung vorher nicht vereinbart und später nicht beiderseits zugestanden wird, der Vertrag selbst hinfällig werden muss. Dies wird zwar von der Französischen Jurisprudenz bestritten, wenngleich früher die Französischen Gerichte sogar ohne die vertragsmässige Zustimmung der Parteien eine Erhöhung der Kriegsprämie angeordnet hatten. Bedarride III. Nr. 1166. 1167. Alauzet VI. Nr. 2079. Allein practisch kommt darauf nicht viel an, da in den Versicherungspoliceformularen durchweg die Erhöhung der Prämie für den Kriegsfall stipulirt wird. Das Französische Gesetzbuch, Art. 343, bestimmt nun blos als Zusatz hiezu, dass wenn die Parteien das Verhältniss der Prämien nicht selbst vereinbart haben, dies durch das Gericht geschehen soll. Dies ist eigentlich selbstverständlich und es bedarf hiezu keiner ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift, nach dem allgemeinen Princip, dass über Privatangelegenheiten im Fall des Streites die Gerichte zu entscheiden haben. Dieses Princip ist auch in Frankreich hervorgehoben worden, um die Bestimmung der Kriegsprämie durch die Verwaltung, in specie den Staatsrath, abzulehnen. Bedarride III. Nr. 1172. Indessen geht das Französische Gesetz offenbar in einem Punkte zu weit, darin nämlich, dass es den Versicherten, ja überhaupt beide Theile, indirect zwingt auch die Kriegsversicherung anzunehmen, selbst wenn sie ihren Wünschen und Interessen entgegen sein sollte. Es muss den Parteien das Recht gelassen werden, vom Vertrage zurückzutreten, wenn sie die Kriegsprämie nicht zahlen oder acceptiren wollen. Möglicher Weise kann die Kriegsprämie so hoch sein, dass dadurch jede Möglichkeit einer gewinnbringenden Speculation ausgeschlossen wird; der Versicherer andererseits kann unter gewissen Umständen selbst die Kriegsprämie für seine Interessen noch zu niedrig finden. Auch ist daran zu erinnern, dass nach Völkerrecht die Versicherung feindlichen Eigenthums ungültig ist, also z. B. von Englischen Versicherungsgesellschaften Versicherung gegen Wegnahme etc. durch Englische Kriegsschiffe nicht beschafft werden könnte. Es können mancherlei Gründe vorliegen, die es der einen oder anderen Partei räthlich machen können, das Kriegsrisiko nicht zu bezahlen oder auf sich zu nehmen, und diese Freiheit wird den Parteien im Entwurfe gewährt. Wenn sie also beim Ausbruch eines Krieges sich über eine höhere Prämie nicht einigen, d. h. den Vertrag nicht fortsetzen wollen, so können sie zurücktreten, soferne nicht im Vertrag von vorneherein etwas anderes vereinbart wurde, nämlich entweder eine Erhöhung der Prämie, oder auch die Fortdauer des Vertrages, aber ohne Erstreckung auf Kriegsgefahr.
Wird nun der Vertrag durch beiderseitigen Dissens aufgelöst, so kommt der Art. 719 zur Anwendung, wornach die Prämie gegen einen dem Versicherer gebührenden Abzug, z. B. 1/2 procent der Versicherungssumme nach dem Belg. Gesetz von 1879 Art. 177, zurückerstattet werden muss, resp. nicht mehr geschuldet wird. Dies widerspricht allerdings dem gewöhnlichen Grundsatz, dass der Versicherer das Recht auf die Prämie definitiv erworben hat, wenn er auch nur kurze Zeit das Risiko hatte tragen müssen, weil ja schon in der kürzesten Zeit ein Unfall hätte eintreten können. Code de comm. Art. 351. D. H. G. B. Art. 902. Jedoch kann diese Regel nur gelten, wenn der Versicherte aus eigenem freien Willen ohne gesetzlichen Grund zurücktritt, nicht aber, wenn der Vertrag für beide durch gesetzliche Ermächtigung wegen gänzlicher Veränderung für auflösbar erklärt wird, indem anzunehmen ist, dass das Interesse an dem Vertrage für beide Theile hinweggefallen ist. Arnould II. p. 1066.
Von selbst versteht es sich, dass die Parteien auch den Vertrag unter den früheren Bedingungen mit Ausschluss der Kriegsgefahr fortsetzen können; sowie dass der Versicherte die Prämie nicht zurückfordern kann, wenn er bereits einen Schaden erlitten hat und für diesen vertragsmässigen Ersatz von dem Versicherer in Anspruch nimmt.
Capitel 2. Rechte und Pflichten des Versicherers und des Versicherten.
Art. 1013. Diese Bestimmung ist auch enthalten im Code de comm. Art. 349, Belg. Gesetz von 1879 Art. 177, Holl. H. G. B. Art. 635, Span. H. G. B. Art. 889. 890 und D, H. G. B. Art. 899. Es ist dies nur eine Anwendung des bereits in Art. 717 und 719 ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes, es wird aber hier besonders erwähnt, um es äusser Zweifel zu stellen, dass der Versicherte die Reise, für welche Versicherung genommen wurde, aus freiem Willen ohne irgend einen gesetzlichen Grund aufgeben kann. Es ist dies eine Abweichung von dem gewöhnlichen Grundsatz, dass ein abgeschlossener Vertrag für beide Theile verbindlich ist; sie ist dadurch gerechtfertigt, dass die Prämie wesentlich durch das Tragen einer Gefahr bedingt ist, und wenn diese nicht eintritt, grundlos werden würde.
Art. 1014. Die Natur der Seegefahr wurde bereits zu Art. 1007 erläutert; es fallen unter diesen Begriff alle Gefahren, welche theils durch die See, theils auf der See sich ereignen können, gleichviel ob durch Naturereignisse oder durch menschliche Handlungen. In ähnlicher Weise wird dieser Gegenstand auch in den übrigen Gesetzgebungen behandelt. Code de comm. Art. 350—352. Belg. Gesetz von 1879 Art. 178. Holländ. H. G. B. Art. 637—639. Span. H. G. B. Art. 861. D. H. G. B. Art. 824.
Der Entwurf weicht nur in einzelnen Punkten von einigen der älteren Gesetzgebungen ab, nämlich
1) die Kriegsgefahr wird nicht zu den gewöhnlichen Gefahren gerechnet, für welche der Versicherer von selbst einzustehen hätte, aus den bereits zu Art. 1012 erörterten Gründen. Belg. Gesetz von 1879 Art. 178.
2) die Baraterie, d. h. Unredlichkeit oder Fehler des Capitains und der Schiffsleute wird zu den gewöhnlichen Seegefahren gerechnet, obwohl der Code de comm. Art. 353 und das Span. H. G. B. Art. 862 sie davon ausnehmen. Die Baraterie muss jedoch in dieser Hinsicht allen anderen beschädigenden Handlungen, z. B. Diebstahl, Brandstiftung etc. gleichgestellt werden, auch war dies nach dem älteren Französischen Recht der Fall. Bedarride IV. Nr. 1275. Wenn der Versicherer auch nach dem Code die Haftung dafür freiwillig übernehmen kann, so kann kein principieller Einwand dagegen bestehen. D. H. G. B. Art. 824. Holland. H. G. B. Art. 637. Belg. Gesetz von 1879 Art. 184. Auch in England herrscht die gleiche Regel. Arnould II. p. 760 ff. Es ist zu bemerken, dass der Versicherer nur für den durch Baraterie verursachten Schaden an den versicherten Sachen haftet, nicht aber für jeden Vermögensnachtheil, den dem Schiffseigenthümer dadurch wegen seiner Haftung für die Handlungen der Schiffsbesatzung an seinem persönlichen Vermögen erleidet. Lewis II. p. 279.
3) Das Französische Recht beschränkt die Seegefähr insofern^ etwas mehr, als sie darunter nur die Unbeständigkeit der Naturelemente oder höhere Gewalt versteht. Bedarride IV. Nr. 1231. 1232. Darnach würde z. B. einfacher Diebstahl, ohne Gewaltthätigkeit, nicht von den Versicherern zu entschädigen sein, Nr. 1253, da er vielmehr der Nachlässigkeit der Schiffsbesatzung zuzusehreiben sei; ebenso nicht ein durch die Nachlässigkeit der Schiffsbesatzung entstandener Schiffsbrand. Indessen ist die Seeversicherung wesentlich eine Transportversicherung, und ihr Zweck Entschädigung dafür, dass die Sache, welche der Versender aus seinen Händen geben muss, nicht glücklich an den Ort ihrer Bestimmung gelangt. Dem Versicherten muss es gleichgültig sein, durch wessen Schuld oder ob durch reinen Zufall der Verlust entstand; er will für jeden auf dem Transport bewirkten Verlust Entschädigung. Daher ist der Entwurf in dieser Beziehung dem Deutschen und Englichen Rechte gefolgt, und es ist der Begriff der Seegefahr auf alle Gefahren auszudehnen, die bei Gelegenheit der Seeschifffahrt eintreten können. D. H. G. B. Art. 824. Lewis II. p. 277.
In Art. 695 ist bereits allgemein bestimmt, dass der Versicherer nicht für solche Schäden haftet, die der Versicherte selbst verschuldet hat oder welche die Folge der natürlichen Eigenschaften oder Fehler der Sache sind. Code de comm. Art. 351. 352. D. H. G. B. Art. 825 Nr. 3 und 4. Im Code de comm. Art. 355 ist vorgeschrieben, dass die besonderem Verderb, z. B. dem Vertrocknen, Verdampfen, Auslaufen etc. ausgesetzten Waaren ausdrücklich namhaft zu machen sind, widrigenfalls der Versicherer für Verluste daran nicht haften soll. Im Entwurfe wurde diese Vorschrift nicht aufgenommen, weil sie in das Gebiet der Art. 715 behandelten Anzeigen gehören und der Inhalt dieser Anzeigen den Verhandlungen beider Theile und namentlich dem Interesse des Versicherers überlassen bleiben kann.
Art. 1015. Der Inhalt dieses Artikels folgt zunächst aus dem bereits für die Havarie in Art. 995 ausgesprochenen Princip, dass die Kosten der Schifffahrt von den Unfällen der See zu unterscheiden sind. Die Kosten der Schifffahrt müssen im Durchschnitt jährlich wiederkehren und aus den Frachteinnahmen gedeckt, aber nicht vom Versicherer ersetzt werden. Code de comm. Art. 354.
Dass der durch Alter, Fäulniss oder Wurmfrass sowie durch die unvermeidliche Abnützung bewirkte Schaden nicht versicherbar ist, folgt aus dem allgemeinen Princip, dass der aus der Natur der versicherten Sachen entspringende Verlust keinem Seeunfall zugeschrieben werden kann. Code de comm. Art. 352. D. H. G. B. Art. 825 Nr. 2. Arnould II. p. 707 ff. Wurmfrass muss zu den Beschädigungen gerechnet werden, denen alles Holz von Natur ausgesetzt ist, gleichwie die Metalle dem Rosten. Dagegen gehört Beschädigung durch Ratten nicht hieher, obwohl diese meist auf Schiffen anzutreffen sind, weil Ratten offenbar nicht zu den natürlichen Fehlern des Schiffsbaumaterials gerechnet werden können.
Die Haftung des Schiffseigenthümers für die Handlungen der Schiffsbesatzung kann nicht versichert werden, weil die Seeversicherung sich nur auf Schaden an Schiff und Ladung bezieht, nicht aber auf das Vermögen der Schiffseigenthümer im allgemeinen, wie bereits zum vorigen Artikel erörtert wurde. D. H. G. B. Art. 825 Ziff. 1.
Die Seetüchtigkeit und, was speciell dazu gehört, mit Einschluss der nothwendigen Schiffspapiere, wird in allen Gesetzgebungen als wesentliche Voraussetzung der Seeversicherung angesehen, und der durch desfallsige Mängel verursachte Schaden ist daher niemals versicherbar. D. H. G. B. Art. 825. Code de comm. Art. 352. Arnould II. p. 638 ff. In England gilt die Seetüchtigkeit sogar für eine stillschweigende Bedingung jedes Versicherungscontractes überhaupt. Das Deutsche und Französische Recht gehen von der mehr natürlichen Vorstellung aus, dass Seeuntüchtigkeit ein Fehler der Schiffsführung ist, für den der Schiffseigenthümer selbst verantwortlich sein muss, und daher der dadurch bewirkte Schaden ein selbstzugefügter Schaden ist, der nicht versichert werden kann. Aber im Falle der Seeuntüchtigkeit jeden Schadensanspruch überhaupt zu beseitigen, geht zu weit, da es sehr viele Verluste geben kann, die mit der Seeuntüchtigkeit nicht entfernt Zusammenhängen, z. B. Feuer, Diebstahl, Wegnahme etc. Ob der Versicherte die Seeuntüchtigkeit thatsächlich selbst verschuldete, und ob er sie kannte oder nicht, darauf kommt nichts an. Wenn aber dieselbe erst später durch Seeunfälle oder ein anderes unvorhergesehenes Ereigniss eintrat, gehört sie natürlich zu den Folgen von Seeunfällen, für welche der Versicherer zu haften hat. Das D. H. G. B. Art. 825 beschränkt diese Vorschrift auf die Versicherung von Schiff und Fracht, wornach die Versicherung der Ladung auf einem seeuntüchtigen Schiffe zulässig erscheint. Zu dieser Unterscheidung dürfte aber kein genügender Grund gegeben sein, da die Versendung von Waaren auf einem seeuntüchtigen Schiffe eine Versicherung gegen den Gebrauch schlechter Schiffe, und nicht gegen Seegefahren sein Würde. Lewis II. p. 282. 283.
Art. 1016. Der Inhalt dieses Artikels entspricht denn gleichen auch in Betreff der Havarie in Art. 987 aufgestellten Princip und ist namentlich im D. H. G. B. Art. 826 ausdrücklich ausgesprochen. Dasselbe Princip gilt in Frankreich. Bedarride IV. Nr. 1285. Wenn der Versicherte einen Schadensanspruch gegen eine andere Person hat, so geht dieser Anspruch auf den Versicherer über. Art. 720. Der Versicherte ist in dieser Beziehung verpflichtet, auch ohne Auftrag für das Interesse des Versicherers wie für sein eigenes zu wirken, also z. B. die Fracht zurückzubehalten, die Beschlagnahme des Schiffs zu erwirken, für die nöthigen Beweismittel zu sorgen, und namentlich dem Versicherer die erforderliche Information zu geben. Zur gerichtlichen Verfolgung des Verpflichteten, also zur Klageanstellung gegen diesen im Namen des Versicherers ist er jedoch nicht verbunden. Lewis II. p. 289.
Art. 1017. Der Versicherungsvertrag ist zu Ende, wenn die vertragsmässige Versicherungszeit abgelaufen oder der vertragsmässige Bestimmungsort erreicht ist. Soll die Verpflichtung des Versicherers noch länger fortbestehen, so muss ihm eine verhältnissmässig erhöhte Prämie entrichtet, es muss also ein Zusatz zu dem ursprünglichen Vertrage vereinbart werden. Der Versicherer kann nun zwar im allgemeinen nicht gezwungen werden, etwa gegen seinen Willen das neue Risiko selbst gegen Erhöhung der Prämie zu übernehmen, allein in dem speciellen Fall, wenn er das Risiko für die ganze Reise übernommen hat, soll er dazu verpflichtet sein. Der Grund ist, dass die Intention der Parteien auf das Risiko einer gewissen Seereise ging, und die Beschränkung auf eine gewisse Zeit oder auf einen bestimmten Punkt dabei nur einen Nebenumstand bildete, um die Höhe der Prämie zu berechnen. Dies wird auch im Französischen Gode de comm. Art. 363 und 364 anerkannt, und noch deutlicher in der Ordonnanz von 1681 Bedarride IV. Nr. 1368; es wird aber für den Fall der Verlängerung der Reise über den ursprünglichen Bestimmungsort hinaus anders bestimmt, weil diese Verlängerung eine Abänderung der vertragsmässigen Reise sei. Zu einer solchen Verschiedenheit in der Auffassung zweier ganz gleicher Fälle ist jedoch kein genügender Grund gegeben. Z. B. es wird für eine Reise nach Marseille Versicherung auf 6 Wochen genommen, in der Voraussetzung, dass die Reise nach 6 Wochen beendet sein wird; allein durch widrige Winde verlängert sich die Reise bis auf 10 Wochen. Oder es wird für eine Reise nach Kobe Versicherung genommen, mit der Befugniss verschiedene dazwischen liegende Häfen anzulaufen, in der Absicht, die Schiffsladung successive in diesen Häfen zu verkaufen; allein in Kobe kann die Ladung noch nicht vollständig verkauft werden und es wird desshalb noch ein weiterer nicht in der Police genannter Hafen aufgesucht. In beiden Fällen soll nun nach dem Entwurfe eine höhere Prämie zu zahlen sein, jedoch der Vertrag nicht sofort mit dem Ablauf der Zeit oder mit der Ankunft an dem bezeichneten Orte als beendigt angesehen werden, da die Vertragsabsicht dahin ging, eine gewisse Reise zu versichern, die Beschränkung auf eine gewisse Zeit oder auf einen gewissen Ort aber nur äusserlich geschah, um die Prämie vorläufig berechnen zu können. Wird die Erhöhung der Prämie für solche Fälle ausdrücklich reservirt, so ist diese Absicht ganz klar; sie kann aber auch stillschweigend in der Absicht der Parteien gelegen sein. Kann daher eine gegentheilige Absicht der Parteien bewiesen werden, so findet der gegenwärtige Artikel keine Anwendung.
Die Abkürzung der ursprünglich in Aussicht genommenen Reise kann geschehen durch Ankunft binnen kürzerer Zeit, oder durch Endigung der Reise in einem weniger entfernten Hafen. Wenn z. B. in dem vorhin gegebenen Beispiele die Reise nach Marseille in 5 Wochen, oder anstatt in Kobe schon in einem vorher gelegenen Hafen beendet würde, so müsste gleichwohl die volle bedungene Prämie, nämlich für 6 Wochen oder bis Kobe, bezahlt werden. Diese Abkürzung ist ein günstiger Verlauf der Reise, wovon den Nutzen der Versicherer haben muss, da er auch die ungünstigen Ereignisse der Reise tragen müsste. Code de comm. Art. 364. Bedarride IV. Nr. 1374.
Art. 1018. Von der Versicherung der Passagiergelder ist im Code de comm. noch nicht die Rede, da im Anfang dieses Jahrhunderts der Personenverkehr auf Seeschiffen noch verhältnissmässig unbedeutend war. In der netteren Zeit ist dieser Verkehr sehr bedeutend und für manche Schifffahrtsunternehmungen die wichtigste Einnahmequelle. Daher müssen äusser der Güterfracht auch die Passagiergelder versicherungsfähig sein, und sie sind dies nach allen neueren Gesetzen. Diese Versicherung kann nun entweder den Zweck haben, für den Fall des Verlustes von Passagiereinnahmen durch Schiffbruch oder andere Unfälle (Art. 1014), oder für die durch solche Unfälle verursachten Mehrkosten der Passagierbeförderung Ersatz zu erlangen. Regelmässig wird das letztere der Fall sein, da nach Analogie des Art. 973 für die anderweitige Beförderung der Passagiere in Unglücksfällen zu sorgen ist, widrigenfalls diese vom Vertrage zurücktreten können. D. H. G. B. Art. 672. Es sind daher nach dem Beispiel des Belg. Gesetzes von 1879 Art. 193 die hauptsächlichen Fälle aufgezählt worden, in welchen dem Capitain Mehrkosten durch die Passagierbeförderung verursacht werden.
Art. 1019. Die Bestimmung dieses Artikels ist dem Art. 12 des Engl. Gesetzes vom 31. Mai 1867 (30. und 31. Vict. c. 23) entnommen und soll dazu dienen, die Verpflichtungen des Capitains oder Verfrachters genauer zu bestimmen, wenn dieser selbst gegen Erhöhung der Prämie die Seegefahr übernimmt. In diesem Falle müssen daher auch die Förmlichkeiten der Versicherung beobachtet, insbesondere eine Versicherungspolice ausgestellt werden.
Capitel 3. Abandon.
Art. 1020. Im Falle eines Totalverlustes der versicherten Sache muss der Versicherer den vollen Betrag der Versicherungssumme dem Versicherten auszahlen. Dies folgt von selbst aus den Grundsätzen der Versicherung und braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Ist von dem versicherten Gegenstande etwas gerettet worden, so kommt der gerettete Werth von der Versicherungssumme in Abzug. D. H. G. B. Art. 863. Insbesondere ist das Schiff als gänzlich verloren anzusehen, wenn es unrettbar gesunken oder zerstört ist, wenngleich etwa einzelne Trümmer des Wracks etc. gerettet wurden.
Indessen kommen bei der Schifffahrt die versicherten Gegenstände, also namentlich Schiff und Ladung, nicht blos als Werthsachen, sondern auch als Gegenstände eines Handelsunternehmens in Betracht. In gewissen Fällen muss das Unternehmen als gänzlich verunglückt angesehen werden, auch wenn kein vollständiger Werthverlust eingetreten ist. In solchen Fällen hat offenbar der Versicherte ein Interesse daran, die volle Versicherungssumme zu erlangen, auch wenn ein Theil des Werthes der versicherten Gegenstände erhalten geblieben ist oder allenfalls wieder erlangt werden kann. Für die Befriedigung dieses Interesses dient das Abandonsystem (Délaissement), durch welches der Versicherte in den vollen Bezug der Versicherungssumme gelangen kann, wenn er die versicherten Gegenstände, soweit sie noch vorhanden sind oder etwa gerettet werden können, dem Versicherer mit allen daran haftenden Rechten abtritt. Der Abandon beruht also auf der blossen Annahme eines totalen Verlustes (constructive loss) in Fällen, wo eine solche Annahme vom Standpunkte des Versicherten der Wirklichkeit eines totalen Verlustes gleichsteht. Der Abandon ist ein einseitiges Recht des Versicherten und kann von diesem daher durch blosse Erklärung ausgeübt werden, ohne dass die Zustimmung des Versicherers erforderlich wäre. Er ist aber, einmal erklärt, unwiderruflich, auch wenn nachher andere Umstände eintreten sollten, welche das Interesse des einen oder anderen Theiles anders gestalten würden. Jedoch kann der Versicherer nicht auf dem Abandon bestehen, wenn er selbst dessen Zulässigkeit bestritten hat und daraufhin der Versicherte davon freiwillig zurückgetreten ist. Andererseits braucht der Versicherer nur einen vollständigen und unbedingten Abandon zu acceptiren, denn er kann zur Auszahlung der vollen Versicherungssumme nur verpflichtet werden, wenn ihm alle Gegenstände abgetreten werden, für welche die Entschädigung im Vertrage festgesetzt wurde. Code de comm. Art. 372. Belg. Gesetz von 1879 Art. 202. D. H. G. B. Art. 870. Holl. H. G. B. Art. 677. Span. H. G. B. Art. 903. Arnould II. p. 913. Von selbst versteht es sich, dass der Abandon nur zulässig ist, nachdem durch einen Seeunfall ein Verlust sich ereignet hat, also nicht eher als bis das Risiko begonnen hatte. Wurde die Versicherung nicht zum vollen Werth der versicherten Sache abgeschlossen, so bezieht sich die Abandonerklärung und die Abtretung an den Versicherten auch nur auf den verhältnissmässigen Theil, welcher versichert wurde, und ist in Bezug auf den Rest der Versicherte als sein eigener Versicherer anzusehen. Holl. H. G. B. Art. 677.
Die Fälle der Abandonerklärung sind im Entwurfe in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der übrigen Gesetzgebungen bestimmt worden. Code de comm. Art. 369. 375. Belg. Gesetz von 1879 Art. 199. 207. Ital. H. G. B. Art. 482. 487. Holland. H. G. B. Art. 663. 667. Span. H. G. B. Art. 901. 908. Arnould II. p. 911. 983 ff. Sie werden eingetheilt in 1, Verlust des Schiffes durch Naturereignisse; 2, durch Acte der Staatsgewalt; 3, jede Art von Werthverlust oder Beschädigung, welche dem totalen Verlust gleichkommt. Nur das D. H. G. B. Art. 865 setzt die Fälle des Abandons erheblich enger fest, indem es die Fälle des wirklichen Total verlustes davon ausscheidet; allein zwischen beiden Arten von Fällen ist der Unterschied practisch nicht so gross, wie er in der Theorie erscheint, da von einem verlorenen Schiffe äusserst selten gar nichts übrig bleibt, sondern meist das Wrack oder einzelne Stücke des Schiffes, die zu einem gewissen Werth verkauft werden können. Der Abandon soll nicht blos zulässig sein, wenn das Schiff vermuthlich verloren ist, sondern auch wenn es so gut wie verloren ist, da man mit dem übrig bleibenden Rest keine Schifffahrt mehr betreiben kann. Der Versicherte muss in solchen Fällen nicht den Abandon erklären, sondern dies bleibt seinem freien Willen überlassen. Er kann also auch einen blossen Verlust geltend machen, und den ihm gebliebenen Rest für sich behalten; dann wird ihm nur ein verhältnissmässiger Theil der Versicherungssumme gezahlt. Code de comm. Art. 371.
Ein Schiff ist untergegangen, wenn es gänzlich auf den Grund gesunken ist; auch wenn es im übrigen noch vollständig geblieben wäre. Es könnte vielleicht wieder gehoben werden, allein jedenfalls nur mit beträchtlichem Kosten- und Zeitaufwand, und mit ungewisser Aussicht auf Erfolg. Der Versicherte kann daher vorziehen, das Schiff als verloren zu betrachten, die Hebungsversuche und was sonst davon zu retten ist durch Taucher etc., dem Versicherer zu überlassen, und sofort die volle Versicherungssumme zu verlangen. Das gleiche gilt für die versicherte Ladung eines untergegangenen Schiffes. Bedarride I V. Nr. 1411.
Ein Schiff ist als gescheitert anzusehen, wenn es in Stücke gebrochen ist durch Aufstossen auf Felsen oder auf den Grund, sei es unmittelbar, sei es nachher durch die Gewalt der Wellen. Das Schiff braucht nicht vollständig gebrochen zu sein, es genügt ein solcher Grad von Zerstörung des Rumpfes, dass die Reparatur nicht leicht möglich ist. Der Versicherte braucht hier nicht erst abzuwarten, bis die Unmöglichkeit der Reparatur absolut gewiss geworden ist; er kann wie im vorigen Fall die Ungewissheit auf den Versicherer wälzen und die Versicherungssumme schon jetzt in Anspruch nehmen. Bedarride IV. Nr. 1413. 1414.
Verschollen nennt man ein Schiff, von dem man seit so langer Zeit nichts mehr gehört hat, dass es als gesunken oder überhaupt verloren betrachtet werden muss. Da Schiffe, die in einem Hafen ein- oder auslaufen, stets Nachrichten nach Hause schicken, so rechtfertigt sich diese Vermuthung, wenn man von einem Schiffe längere Zeit hindurch, als es irgendwie auf hoher See zubringen kann, keine Nachricht mehr hat. Diese Zeit wird in Art. 1021 näher bestimmt. Bedarride IV. Nr. 1477. 1478.
Ein Schiff ist unbrauchbar geworden, wenn man es nicht mehr zur Schifffahrt verwenden kann; vorausgesetzt, dass dies durch einen Seeunfall eintritt, und nicht durch blosses Alter oder natürliche Abnutzung (Art. 1015), ist es gleichfalls ein Verlust, für den der Versicherer einzustehen hat, und der Versicherte kann ein solches Schiff abandoniren, auch wenn es als Material in Holz, Eisen etc. noch einen beträchtlichen Werth besitzen sollte. Nach Art. 1022 muss aber noch Reparaturunfähigkeit hinzutreten, weil sonst die Unbrauchbarkeit keine definitive wäre, sondern einfach eine blosse Havarie, die durch Reparaturaufwand beseitigt werden könnte. Bedarride IV. Nr. 1416.1417. Die Unbrauchbarkeit ist nicht eine sofort offenbare Thatsache, wie Schiffbruch oder Scheitern, sondern sie wird in den meisten Fällen erst das Resultat sachverständiger Untersuchung und Beurtheilung sein. Sie muss daher auf Grund solcher Untersuchung besonders erklärt werden, und der Entwurf schreibt, ebenso wie die übrigen Gesetzgebungen, eine amtliche Bestätigung vor, um der Erklärung im voraus öffentliche Glaubwürdigkeit zu verleihen; ähnlich wie auch in den Fällen der Art. 900 und 936 die amtliche Mitwirkung vorgeschrieben wurde. Bedarride IV. Nr. 1423.
Die Wegnahme eines Schiffes nach Kriegsrecht ist völkerrechtlich nur gültig, wenn später eine Verurtheilung durch ein Prisengericht dazu kommt. Ein gekapertes Schiff kann daher möglicher Weise freigesprochen, oder es kann auch wieder zurückerobert oder losgekauft werden. Ebenso ist es möglich in den Fällen einer sonstigen Anhaltung, dass das Schiff später freigegeben, oder dass sein voller Werth dem Eigenthümer zurückerstattet wird, wenn z. B. die Regierung Schiff und Ladung expropriiren wollte. Alle diese verschiedenen Möglichkeiten kann der Versicherte durch den Abandon von sich abwälzen, jedoch erst nach Ablauf einer gewissen Frist (Art. 1029).
Der Verlust oder die Beschädigung der versicherten Sachen kann sowohl die Quantität als die Qualität betreffen. Wenn z. B. die Ladung aus Getreide oder Thee besteht, so können drei viertel davon ganz verloren sein, oder es kann die Ladung zwar dem Gewichte nach vollständig vorhanden sein, aber durch Seewasser, durch Feuer etc. derart verfault oder verdorben sein, dass der verkäufliche Werth nur noch ein viertel des ursprünglichen Werthes beträgt. In beiden Fällen ist Abandon zulässig. Bedarride IV. Nr. 1431. Der Grund für diese Zulassung ist, dass wenn die Sache den grössten Theil ihres Werthes verloren hat, das beabsichtigte Unternehmen als gänzlich verunglückt anzusehen ist. Der Werth wird nach den Verhältnissen berechnet, die am Ladungsorte bestanden. Bedarride IV. Nr. 1433. Diese Bestimmung ist namentlich auch auf den Fall anzuwenden, wenn ein Schiff zwar noch reparirt werden könnte, allein nur mit einem dreiviertel seines Werthes übersteigenden Kostenaufwande. In diesem Fall kann der Versicherte vorziehen, das Schiff wie es ist dem Versicherer gegen Zahlung der vollen Versicherung zu überlassen, und zwar in jedem solchen Falle, also auch wenn die Voraussetzung des Art. 1022 vorliegt. Bedarride IV. Nr. 1436.
Art. 1021. Die Bedingungen der Verschollenheit sind, 1, dass das Schiff nicht an seinen Bestimmungsort gelangt ist, und 2, dass seit der letzten Nachricht, die der Schiffseigenthümer oder dessen Agenten davon erhielten, eine lange Zeit verflossen ist. Es muss also einmal die Zeit abgelaufen sein, binnen welcher das Schiff an seinen Bestimmungsort gelangen konnte, und es müssen ausserdem zehn Monate seit dem Empfang der letzten Nachricht verflossen sein. Unter diesen Bedingungen kann man offenbar mit Sicherheit annehmen, dass dem Schiff ein Unfall zugestossen sein muss, entweder Untergang, oder Wegnahme durch Seeräuber, oder dass es unbrauchbar geworden ist u. dgl. m. In den älteren Gesetzen wird die Verschollenheitsfrist etwas anders bestimmt. Die Fristen des Code de comm. Art. 375.377 betragen ein Iahr für Reisen auf kurze Fahrt, und zwei lahre für lange Fahrt; diese Fristen sind bei dem heutigen Stande der Schifffahrtskunst und bei der Ausbreitung der Post- und Telegraphenverbindung über die ganze Erde offenbar zu lang, und sind auch in den neueren Gesetzen, D. H. G. B. Art. 866, Belg. Gesetz von 1879 Art. 207, um die Hälfte abgekürzt worden. Allein auch die Unterscheidung zwischen langer und kurzer Fahrt wurde im Entwurfe nicht adoptirt, einmal weil sie künstlich und willkürlich ist, weil man dann auch zwischen Dampf- und Segelschiffen, zwischen eisernen und hölzernen Schiffen etc. unterscheiden müsste, wie es allerdings im D. H. G. B. geschehen ist, und weil in Betreff der Nachrichten die Entfernungen durch das bestehende und fortwährend sich erweiternde Telegraphensystem nahezu ausgeglichen werden. Es ist zu bemerken, dass die Verschollenheitsfrist im Entwürfe nicht wie in den übrigen Gesetzen schon von der Abfahrtszeit berechnet wird, sondern nur von der letzten Nachricht, und dass überdies die volle gewöhnliche Reisedauer zurückgelegt sein muss. Dies erscheint richtiger, weil es unpractisch ist, für die verschiedensten Reisen eine und dieselbe Frist zu bestimmen. Demnach dürfte ein Zeitraum von 10 Monaten vollständig genügen, um die Vermuthung des Unterganges etc. zu begründen; höchstens kann für die Küstenschifffahrt, d. h. zwischen Japanischen Häfen, ein kürzerer Zeitraum gesetzt werden.
Der zweite Absatz dieses Artikels findet sich gleichfalls in den übrigen Gesetzgebungen. Code de comm. Art. 376. Belg. Gesetz von 1879. Art. 208. Holländ. H. G. B. Art. 674. Span. H. G. B. Art. 910. Der Versicherer kann zwar den Gegenbeweis führen, dass das Schiff erst nach dem Ablauf der Versicherungszeit verloren ging; allein der Versicherte braucht nicht zuerst zu beweisen, dass der Verlust innerhalb der Versicherungszeit stattfand. Denn da er diesen Beweis wegen Mangels aller Nachrichten kaum führen könnte, so würde er in den meisten Fällen seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag verlieren.
Art. 1022. Das Stranden ist vom Versinken oder Scheitern wohl zu unterscheiden. Auch gesunkene und gescheiterte Schiffe können möglicher Weise wieder gehoben, reparirt und somit für die Schifffahrt wieder tauglich gemacht werden. Allein hier ist der Erfolg ungewiss, mit Kosten und Zeitverlust verknüpft, und der Versuch ist jedenfalls ein Risiko, welches der Versicherte nicht auf sich zu nehmen braucht. Das Stranden dagegen ist nichts weiter als einfaches auf den Grund gerathen, ohne Versinken und ohne solche erhebliche Beschädigungen, welche das Schiff für verloren ansehen lassen müssen. Ein gestrandetes Schiff kann sehr oft wieder abgebracht werden und ohne weitere Beschädigung zu erleiden seine Reise fortsetzen, durch blosses Manöuvriren mit dem Steuer, durch Abwarten der Fluth, in schwereren Fällen durch Hülfe anderer Schiffe, durch Erleichterung des Schiffes u. dgl. Allerdings nicht immer; sind Wind und Wasser ungünstig, so wird das Schiff immer tiefer in den Grund eingetrieben, so dass dann die Rettung nach einiger Zeit unmöglich wird und das Schiff verloren ist. Wenn aber die Rettung und Wiederherstellung des Schiffes möglich ist und zwar mit Sicherheit und ohne Risiko von Kosten und Zeit, und wenn der Versicherer die erforderlichen Kosten vorzuschiessen bereit ist, dann kann ein gestrandetes Schiff nicht sofort abandonirt, sondern es muss dem Versicherten die Ausbesserung des Schadens überlassen werden, ohne dass ihm sein Versicherungsanspruch wegen der hiedurch verursachten Kosten benommen wäre. Der Artikel beruht also kurz auf folgender Erwägung. Bas Stranden bewirkt nicht, wie das Versinken oder Scheitern, einen nahezu gewissen Verlust des Schiffes, sondern es muss daraus die Wirkung der ferneren Unbrauchbarkeit hervorgehen, die aber von den jeweiligen Umständen abhängt. Ein Schiff ist nicht unbrauchbar geworden, so lange es noch reparirt werden kann; es müssten denn die Reparaturkosten mehr als 3/4 des Werthes betragen (Art. 1020 Nr. 3). Diese sehr vernünftige Bestimmung findet sich vor allem im Code de comm. Art. 389, Belg. Gesetz von 1879 Art. 222, Ital. H. G. B. Art. 500, Holländ. H. G. B. Art. 664. 665, Span. H. G. B. Art. 922. 923. Uebrigens ist das in diesem Artikel ausgedrückte Princip auf jeden anderen Fall des Abandons wegen Unbrauchbarkeit anzuwenden. Diese ist nämlich niemals eingetreten, so lange das Schiff noch reparaturfähig und reparaturwürdig ist.
Art. 1023. Die Zulässigkeit des Abandons in den im Art. 1020 bezeichneten Fällen bezieht sich nicht blos auf das Schiff, sondern auch auf Fracht, Ladung und die übrigen etwa versicherten Gegenstände, gleichviel ob von der Ladung etwas gerettet wurde oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass im Fall des Abandons dann auch die geretteten Frachtgüter, sowie die Fracht davon an den Versicherer abzutreten sind, da dieser die volle Entschädigung dafür zu zahlen hat. Art. 1027. Span. H. G. B. Art. 915. Im gegenwärtigen Artikel wird nun von jenem Princip eine Ausnahme statuirt, die aus derselben Erwägung fliesst wie die Regel des vorigen Artikels, dass nämlich die Abandonerklärung nicht stattfinden darf, wenn der Unfall nur vorübergehend ist und durch geeignete Massregeln gehoben werden kann. Nach Art. 973 berechtigt ein dem Schiffe zugestossener Unfall, der beseitigt werden kann, nicht ohne weiteres zur Rücknahme der Ladung; sondern es muss abgewartet werden, ob der Schaden auszubessern ist oder der Capitain ein anderes Schiff substituirt. In dem gegenwärtigen Artikel wird nun gleichfall der Abandon der Ladung dem Versicherer gegenüber untersagt, wenn die Ladung auf einem anderen Schiffe weiter befördert werden kann. Der Capitain des beschädigten Schiffes ist sowohl berechtigt als verpflichtet zu einer solchen Substitution, und geht sodann das Versicherungsrisiko, weil es ein nothwendiger Wechsel des Schiffes ist, auf das neue Schiff über (Art. 1014). Nur bleibt der Versicherer ebenso wie im Falle des vorigen Artikels zur Tragung aller durch den Unfall direct oder indirect verursachten Kosten des Weitertransports der Ladung verpflichtet. Code de comm. Art. 391—394. Belg. Gesetz von 1879 Art. 223—220. Span. II. G. B. Art. 924—928.
Art. 1024. Die in diesem Artikel für die Ausübung des Abandonrechts vorgeschriebenen Fristen finden sich auch in den übrigen Gesetzen. Code de comm. Art. 373. 374. Belg. Gesetz von 1879 Art. 203. 206. Holländ. H. G. B. Art. 670—673 (5 tägige und 3 monatliche Frist). Span. H. G. B. Art. 904. D. H. G. B. Art. 868. 869. In manchen Gesetzen ist nur eine Frist für die Erklärung des Abandons gesetzt, nicht auch für die unverzügliche Mittheilung des Unfalls an den Versicherer. Allerdings ist letztere schon nach allgemeinen Grundsätzen (Art. 713) eine Pflicht des Versicherten; allein es ist regelmässig keine Frist und jedenfalls keine Präclusivfrist dafür gesetzt. Der Entwurf folgte hierin der Mehrzahl der Gesetzgebungen, da es auch für den Versicherer vom höchsten Interesse ist, sobald als möglich von dem Unfall Kenntniss zu erhalten, um die nöthigen Schritte zur Information, Rettung, Freilassung etc. thun zu können in Fällen, wo durch Verzug alles verloren sein kann.
In dem Belg. Gesetze Art. 204 ist dem Versicherer das Recht eingeräumt, schon vor Ablauf der Abandonfrist den Versicherten zur schleunigeren Abandonerklärung, bei Strafe des Verlustes dieses Rechtes, aufzufordern. Dadurch wird die Verkürzung der gesetzlichen Abandonfrist in das Belieben des Versicherers gestellt, wozu kein genügender Grund vorliegt, da es im Interesse des Versicherten liegt, die volle Abandonfrist zur Anstellung der etwa möglichen Rettungsversuche und jedenfalls zur Einziehung möglichst genauer Nachrichten über den Stand der Sache zu benützen, damit er genau beurtheilen kann, ob er abandoniren oder nur einen Partialschaden geltend machen soll. Darauf hinzielende Vorschläge sind desshalb bereits in Deutschland und Frankreich verworfen worden. Zeitschrift für H. R. Bd. 14 p. 204. 205.
Die verschiedene Bemessung der Fristen je nach der Grösse der Entfernungen wurde hier aus denselben Gründen wie bei Art. 1021 unterlassen.
Art. 1025. Dieser Artikel enthält zwei Verpflichtungen des Versicherten und eine durch deren Erfüllung bedingte Verpflichtung des Versicherers.
1) Der Versicherte muss die zum Abandon berechtigenden Thatsachen beweisen und insbesondere die darauf bezüglichen Urkunden dem Versicherer mittheilen, z. B. die amtliche Erklärung der Unbrauchbarkeit des Schiffes, den Bericht des Capitains und das Schiffsjournal, die über den Unfall aufgenommenen gerichtlichen Verhandlungen (Art. 931. 932. 934), die auf die Ladung bezüglichen Documente u. dgl. Die Vorlage dieser Documente muss nicht innerhalb der im Art. 1024 gesetzten Fristen geschehen und die Gültigkeit der Abandonerklärung ist überhaupt davon nicht abhängig. Jedoch kann der Versicherer nicht eher auf Zahlung der Versicherungssumme belangt werden, als bis diese Verpflichtung erfüllt ist. Code de comm. Art. 383. 384. Belg. Gesetz von 1879 Art. 214. 215. D. H. G. B. Art. 873.
Der Versicherte muss zweitens dem Versicherer alle auf den abandonirten Sachen ruhenden Versicherungs, Bodmereiund anderen Forderungen anzeigen. Der Versicherer hat ein Interesse, dies genau zu erfahren, weil im Falle mehrfacher Versicherung der Artikel 698 Anwendung finden kann, wornach die mehreren Versicherer verhältnissmässig und gemeinsam zu haften haben, und weil im Falle anderer Forderungen die Ansprüche der Gläubiger auf die Versicherungssumme übergehen. Art. 922. Code de comm. Art. 379. Belg. Gesetz von 1879 Art. 211. D. H. G. B. Art. 873. Holl. H. G. B. Art. 675. Span. H. G. B. Art. 911. 912.
2) Der Versicherer muss, wenn die vorgehenden Verpflichtungen erfüllt sind, die volle Versicherungssumme dem Versicherten binnen 3 Monaten nach erfolgter Abandonerklärung auszahlen. Diese Frist wird ihm gelassen, damit er die ihm vorgelegten Documente prüfen und überhaupt die nöthigen Informationen einziehen kann. Er kann zwar möglicher Weise die Gültigkeit des Abandons bestreiten und insbesondere gegen die ihm vorgelegten Beweise Gegenbeweis führen. In diesem Falle kommt es zum Prozess, nach dessen Durchführung das richterliche Urtheil über die Gültigkeit des Abandons zu entscheiden hat. Allein zur Auszahlung der Versicherungssumme, nachdem der Versicherte seinerseits seine Verpflichtungen erfüllt, bleibt er trotzdem verpflichtet und kann höchstens Caution für die allenfallsige Rückerstattung der Summe verlangen. Code de comm. Art. 382-384. Belg. Gesetz von 1879 Art. 213. 215. D. H. G. B. Art. 871. 873. Holländ. H. G. B. Art. 680.
Art. 1026. Diese Bestimmung entspricht dem in Art. 715 gegebenen Grundsatz, wornach falsche Angaben die Versicherung für den Versicherer unverbindlich machen. Sie bezieht sich hier vorzüglich auf die in Art. 1025 vorgeschriebenen Mittheilungen und Anzeigen, auf gefälschte Documente und andere falsche Erklärungen, und es wird hier ausserdem Betrug, also wissentliche Fälschung der Thatsachen in gewinnsüchtiger Absicht vorausgesetzt, da die Folgen für den Versicherten härter sind. Der Versicherte verliert nämlich seine Ansprüche aus der Versicherung und beraubt dadurch seine Gläubiger der Möglichkeit, aus der Versicherungssumme Befriedigung zu erlangen. Er muss folglich diese Gläubiger selbst befriedigen, da diese durch seinen Betrug nicht benachtheiligt werden dürfen. Code de comm. Art. 380. Belg. Gesetz von 1879 Art. 212. Holländ. H. G. B. Art. 675. Span. H. G. B. Art. 912. Bedarride IV. Nr. 1526.
Art. 1027. Der Abandon wird in allen Gesetzen als ein Act der Uebertragung des Eigenthums an den Versicherer aufgefasst. Code de comm. Art. 385. Belg. Gesetz von 1879 Art. 216. Holländ. H. G. B. Art. 678. Span. H. G. B. Art. 913. D. H. G. B. Art. 872. Arnould II. p. 931. War der abandonirte Gegenstand nicht zum vollen Werthe versichert, so geht natürlich der verhältnissmässige Theil auf den Versicherer über. Die Wirkung des Abandons tritt ein durch die blosse Abandonerklärung; also wirkt diese nicht etwa zurück bis auf den Anfang der Reise, sondern nur bis auf den Zeitpunkt des eingetretenen Unfalls, da sie die versicherte Sache im Zustande der Verunglückung zum Gegenstände hat. Bedarride IV. Nr. 1562. Ist der Abandon vom Versicherer angenommen, also seine Zulässigkeit nicht bestritten, so tritt diese Wirkung sofort ein; im Falle des Streites muss dieser erst durch richterliches Urtheil ausgetragen werden, es muss also ein richterliches Urtheil hinzukommen. Allein auch dieses wirkt zurück bis auf den Zeitpunkt des Unfalles. Von diesem Zeitpunkte geht alles auf Rechnung und Gefahr des Versicherers; er hat alle Lasten des versicherten Gegenstandes zu tragen, aber es gehören ihm auch alle Vortheile davon, so namentlich auch die Frachteinnahmen vom Schiffe, soweit sie nach dem Unfall fällig werden, und nicht bereits vorher verdient worden sind. In Bezug auf die Fracht herrschen in dieser Beziehung verschiedene Principien. In England und Frankreich betrachtet man die Fracht für die ganze Reise als untheilbar und sie ist demnach erst verdient am Ende der Reise durch die Ablieferung am Bestimmungsorte. In Folge dieser Anschauung kann die Fracht für die ganze Reise nicht in zwei Theile, vor und nach dem Unfall, getheilt werden, sondern die ganze Fracht fällt durch den Abandon des Schiffes dem Versicherer desselben zu. Code de comm. Art. 386. Arnould II. p. 1041. Span. H. G. B. Art. 915. In Amerika und Deutschland hält man die Fracht für theilbar und es kann sonach nur die seit dem Unfall verdiente Fracht abandonirt werden. D. H. G. B. Art. 872 Abs. 3. Arnould II. p. 1042. Der Entwurf ist der ersteren Meinung gefolgt, nicht nur aus dem principiellen Grunde, dass in Wirklichkeit die Fracht nur verdient sein kann durch die Ablieferung der Güter am Bestimmungsort, sondern auch weil es billig erscheint, dem Versicherer, der allen Schaden der Reise am Schiffe zu tragen hat, auch die zum Ersatz dafür dienenden Einnahmen der Fracht und Passagiergelder zu überlassen. Dieser Satz bezieht sich jedoch nur auf die Fracht von denjenigen Gütern, die zur Zeit des Unfalls noch auf dem Schiff sich befanden und gerettet wurden; also nicht auf diejenigen, die schon früher ausgeladen wurden, und auf diejenigen, die zwar noch im Schiff waren, aber nicht gerettet wurden. Denn die Fracht für die ersteren ist bereits erworben, gleichsam abgeerntet, ist also keine Pertinenz des Schiffes mehr; die Fracht für die letzteren ist durch den Unglücksfall verloren. Andererseits versteht es sieh von selbst, dass der Versicherer auch alle auf der Fracht ruhenden Kosten und Lasten zu tragen hat, z. B. Bodmereischulden, Abgaben, Schiffslöhne und andere Forderungen der Schiffsgläubiger.
Dieser Frachtverlust als Wirkung des Abandons des Schiffes muss als eine Folge des Unfalls angesehen werden, der zum Abandon Anlass gab, obgleich der Abandon an sich selbst eine freiwillige Handlung ist. Ist daher die Fracht selbständig versichert worden, so muss der betreffende Versicherer der Fracht den Versicherten dafür entschädigen. D. H. G. B. Art. 872. Ein Abandon der Fracht an den Frachtversicherer ist hiernach nur soweit möglich, als der Versicherte die Fracht nicht mit dem Abandon des Schiffes abgetreten hat, und dies kann dazu führen, dass der Versicherer des Schiffes verhältnissmässig günstiger gestellt wird, als der Versicherer der Fracht. Allein von solchen thatsächlichen Ergebnissen kann die Rechtswirkung der Versicherung nicht abhängig gemacht werden.
Es ist gleichgültig, ob die abandonirte Fracht mit den darauf ruhenden Kosten bereits gezahlt resp. ausgelegt wurde oder nicht.
Im Falle bereits erfolgter Zahlung muss demnach Rückerstattung stattfinden.
Art. 1028. Der Inhalt dieses Artikels entspricht dem in Art. 713 ausgesprochenen allgemeinen Princip, wornach der Versicherte, der zur Zeit des Unfalles und unmittelbar nachher an Ort und Stelle ist, im Interesse des Versicherers für dessen Vortheil möglichst zu sorgen hat. Er muss also wo möglich zu retten suchen, was zu retten ist, oder für spätere Rettungsversuche die nöthigen Vorbereitungen treffen, damit sie nicht nachher als zu spät erfolglos oder unmöglich werden. Diese Verpflichtung ist dem Versicherten in den meisten Gesetzgebungen auferlegt. Code de comm. Art. 381. Belg. Gesetz von 1879 Art. 221. Span. H. G. B. Art. 921. D. H. G. B. Art. 874. Lewis II. p. 354. Eine Vergütung kann der Versicherte hiefür nicht in Anspruch nehmen. Es versteht sich von selbst, dass der Versicherte auch alle auf den abandonirten Gegenstand bezüglichen Documente beschaffen muss, z B. die Connossemente der Ladung, und es kann dies nicht als besondere Hülfeleistung betrachtet werden. Ist der Versicherer selbst im Stand für seine Interessen zu sorgen, so braucht der Versicherte dies nicht mehr für ihn zu thun. Diese Verpflichtung bezieht sich also nur auf die Zeit, bis zu welcher der Versicherer billiger Weise selbst eintreten kann. Die Kosten solcher Rettungshandlungen trägt natürlich der Versicherer, und der Versicherte ist nicht verpflichtet, sie für diesen vorzuschiessen; der Versicherer braucht jedoch die auf seine Rechnung gemachten Ausgaben nur bis zur Höhe des Werthes dessen anzuerkennen, was gerettet werden kann, wesshalb der Versicherte nicht etwa beliebige Kosten dem Versicherer auf den Hals laden kann, sondern vernünftig abwägen muss, welcher Kostenaufwand durch die Umstände und die Aussichten auf Erfolg gerechtfertigt werden kann. Bedarride IV. Nr. 1530. Wenn der Versicherte seine Verpflichtung nicht erfüllt, ist er zum etwaigen Schadensersatz an den Versicherer verbunden, das Recht des Abandons wird dadurch in keiner Weise berührt. Bedarride IV. Nr. 1529.
Art. 1029. Der erste Theil dieses Artikels findet sich auch in den übrigen Gesetzen. Code de comm. Art. 387. D. H. G. B. Art. 865. Belg. Gesetz von 1879 Art. 220. Holl. H. G. B. Art. 668. Diese Frist wird Gesetzt, weil es möglich ist, dass das Schiff später freigesprochen oder wieder freigegeben wird, und weil erst nach Ablauf 16 der Frist der Versicherte die Sache als wirklich verloren ansehen kann, auch wenn vielleicht später die Freigabe erfolgen sollte.
Wenn im Falle der Wegnahme der Versicherte nicht im Stande ist, die erforderliche Mittheilung (Art. 1024) rechtzeitig an den Versicherer zu richten, so würde er dadurch strenge genommen das Recht des Abandons verlieren. Allein man hat in diesem Falle es für billig gefunden, eine Ausnahme insoweit zu machen, als man dem Versicherer die Wahl lässt, nach den Grundsätzen des Abandons zu handeln oder nicht, und dem Versicherten das Recht einräumt, eventuell den Loskauf auf Rechnung des Versicherers zu bewirken. Will der Versicherer den Loskauf auf seine Rechnung nehmen, so muss er dem Versicherten die Loskaufssumme ersetzen, und trägt natürlich das weitere Risiko für die versicherte Sache bis zum Ende der Reise. Will er dies nicht, so muss er dem Versicherten die volle Versicherungssumme bezahlen, ohne jedoch das Eigenthum an der versicherten Sache in Anspruch nehmen zu können, da diese von dem Versicherten auf eigene Rechnung zurückgekauft wurde, und ausserdem für diesen verloren gewesen wäre. Auf diese Weise wird verhütet, dass sich der Versicherte entgegen den Grundsätzen der Versicherung zum Schaden des Versicherers bereichert, wenn er die weggenommene Sache um sehr niedrigen Preis zurückzukaufen Gelegenheit findet. Code de comm. Art. 396. Span. H. G. B. Art. 918.
Wurde die weggenommene Sache später wieder zurückerobert, so trägt der Versicherer nur die durch die Wegnahme und Rettung verursachten Kosten und Schäden.
Art. 1030. In Art. 1020 wurde bereits bestimmt, dass der Abandon unwiderruflich ist, also durch spätere Willensänderung der Betheiligten nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. In dem gegenwärtigen Artikel wird nun verordnet, dass der Abandon auch nicht durch die spätere Aenderung der Umstände unwirksam wird, z. B. durch Freisprechung, durch Rückeroberung, durch die Rückkehr eines verschollen gewesenen Schiffes, durch spätere Hebung eines gestrandeten oder versunkenen Schiffes und dergl. Code de comm. Art. 385. Belg. Gesetz, von 1879 Art. 216. Holl. H. G. B. Art. 679. Span. H. G. B. Art. 914. D. H. G. B. Art. 871. Arnould II. p. 926. Es scheint jedoch, dass in England die Unwiderruflichkeit des Abandons erst durch die Annahme Seitens des Versicherers herbeigeführt wird. Allein eine förmliche Annahme ist zur Wirkung des Abandons nicht erforderlich, da derselbe auf einem speciellen Rechte des Versicherten beruht. Die Wirkung dieses Rechtes muss eintreten, sobald es ausgeübt worden ist, also durch die Abandonerklärung; findet ein Process statt, so muss die Wirkung des Urtheils auf den Zeitpunkt des erworbenen Rechtes wie in allen anderen Fällen zurückbezogen werden. Etwas anderes ist es, wenn die den Abandon veranlassenden Thatsachen in Wirklichkeit nicht vorhanden sind, also der Abandon auf falsche Nachrichten gestützt wird; hier ist der Abandon von vorneherein unwirksam, da aus Irrthum kein Recht entstehen kann. Lewis II. p. 350. Es ist daher auch gleichgültig, in welchem Zeitpunkte die Berichtigung der irrthümlichen Nachrichten eintrifft.
IX. Titel. Verjährung.
Art. 1031. Die Periode der Verjährung weicht in allen Handelsrechten von der für die gewöhnlichen Civilverhältnisse bestimmten Periode ab, und zwar darin, dass sie viel kürzer ist als die letztere. Die kürzere Verjährungsfrist des Handelsrechts hat ihren Grund darin, dass im Handel durchweg guter Glaube herrschen muss und dass unerledigte Forderungen nicht lange in der Schwebe gehalten werden können, da man im Handel stets der freien Verfügung über sein Capital bedarf. Kurze, rasch vorübergehende Schuld Verhältnisse sind für den Handel eine Nothwendigkeit, ganz besonders aber für See-Handel und Schifffahrt, da es in der Natur der Dinge liegt, eine Seereise möglichst vollkommen ins Reine zu bringen, ehe man eine neue unternimmt. Insbesondere können Schiffe, die über See gehen und durch die Wechselfälle der Schifffahrt leicht zur Belastung mit neuen Schulden genöthigt sein können, nicht lange die aus früherer Zeit stammenden Forderungen mit sich herumtragen, da sie sonst nicht leicht den erforderlichen Credit, besonders im Auslande, finden würden. Bedarride V. Nr. 1929. Lewis II. p. 400. Im allgemeinen findet nun die kürzere Verjährungszeit von 6 Jahren auch auf die Verhältnisse des Seehandels und der Schifffahrt Anwendung, soweit nicht in dem gegenwärtigen Artikel Ausnahmen gemacht werden.
Vor allem wird für die Forderungen der Schiffsgläubiger eine einjährige Verjährungsfrist festgesetzt. Dies ist namentlich im D. H. G. B. Art. 906 ausgesprochen und es schien eine einheitliche Frist zweckmässiger, als die Festsetzung noch weiterer Ausnahmen, wie sie für einige Fälle schon im Deutschen, noch mehr aber in ande ren Gesetzen angeordnet sind. Code de comm. Art. 432. 433. Belg. Gesetz von 1879 Art. 235. 236. Holl. H. G. B. Art. 741-745. Die Forderungen der Schiffsgläubiger sind fast durchweg solche, die aus den Bedürfnissen des Schiffes und aus den Umständen einer Seereise entspringen; da diese für jede neue Reise wieder von neuem entstehen, so müssen die von früher herrührenden Schuldverhältnisse möglichst abgekürzt werden. Es fallen unter diese Bestimmung auch die Forderungen gegen das Schiff aus Bodmerei- und Versicherungsverträgen, und wegen Havarie; ferner findet auch der Art. 575 wegen der Forderungen aus dem Frachtvertrag auf den Schiffsverkehr Anwendung und nach Art. 982 gilt dies auch von den Passagegeldern der Passagier. Die Forderungen wegen Bodmerei, Havarie und Rettung wurden besonders genannt, insoferne diese auch die Ladung zum Gegenstand haben können. D. H. G. B. Art. 909. Andererseits besteht aber kein Grund, für die Forderungen der Schiffseigenthümer gegen die Ladungsempfänger, Versicherer, Capitain und Schiffsleute, Proviantlieferanten, Handwerker etc. eine andere als die gewöhnliche Verjährungsfrist zu bestimmen, wie es in der Hauptsache auch im Deutschen Handelsrecht anerkannt ist. Lewis II. p. 402. Im Code de comm. Art. 432 ist für die Forderungen aus einem Bodmerei- oder Versicherungsvertrage, für letzteren auch im D. H. G. B. Art. 910, eine fünfjährige Frist bestimmt; da dies von der gewöhnlichen 6 jährigen nur wenig abweicht, wurde es um der Einfachheit willen bei der allgemeinen Regel belassen. Im Belg. Gesetz von 1879 Art. 235 ist für die Bodmerei- und Frachtverträge nur eine 3 jährige Frist vorgeschrieben, allein dies ist theils zu lang, als Forderung gegen das Schiff oder die Ladung, theils zu kurz wenn man den Massstab der gewöhnlichen Handelsverjährung anlegen will.
Nur für die registrirten Forderungen, obgleich sie gegen das Schiff gehen, wurde auch im Entwurfe eine längere und zwar 3 jährige Frist vorgeschrieben; ebenso im Französ. Gesetz vom 10. Dec. 1874 Art. 11, und im Belg. Gesetz von 1879 Art. 235. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass die registrirten Forderungen aus allen möglichen Ursachen, wie Hypotheken, entspringen können, und eine den Hypotheken ähnliche Sicherstellung bezwecken. Alauzet VI. Suppl. p. 27. Uebrigens können diese Forderungen durch Erneuerung der Registrirung von 3 zu 3 Jahren verlängert werden.
Die Forderungen sollen durch die einjährige oder dreijährige Verjährung auch als persönliche Ansprüche gegen den Schiffseigenthümer, Capitain oder Schiffsleute erlöschen. D. H. G. B. Art. 907.
Auch im Code de comm. Art. 432 und 433 und im Belg. Gesetz von 1879 Art. 235. 236 und in den übrigen Gesetzen sind die betreffenden Vorschriften in diesem Sinne zu verstehen. An und für sich nämlich sind die Forderungen der Schiffsgläubiger, sowie die Bodmereiforderungen etc. nur als Ansprüche gegen das Schiff nebst Fracht oder gegen die Ladung zu betrachten, d. h. jeder Besitzer des Schiffes resp. der Ladungsgüter muss sich die Befriedigung der Gläubiger aus deren Werth gefallen lassen. Dies soll nun durch die Bestimmung über Verjährung auf die Dauer eines Jahres beschränkt werden, nach dessen Ablauf mithin Schiff und Fracht etc. frei werden. Allein der ursprüngliche Schuldner wird durch die Befreiung des Pfandobjectes noch nicht persönlich befreit und er würde mithin die gewöhnliche Verjährungsfrist hindurch noch in Anspruch genommen werden können, soweit er eben auch persönlicher Schuldner ist, was z. B. in den Fällen des Art. 906 nicht zutreffen würde. Allein da man in seerechtlichen Schuldverhältnissen eine rasche Beendigung aller Schuldbelastung wünschen muss, wurde die einjährige auch auf die persönliche Haftung der Schuldner erstreckt.
Die Verjährung läuft von dem Tage, an welchem die Forderung geltend gemacht werden kann. Dies ist sowohl rechtlich als factisch zu verstehen. Rechtlich ist eine Forderung geltend zu machen, nachdem sie fällig geworden ist, oder wenn kein besonderer Verfalltag besteht, nachdem sie entstanden ist. Dies gilt als Regel für die hier genannten Forderungen. Indessen können aus factischen Gründen manche Forderungen erst geltend gemacht werden, nachdem gewisse Thatsachen eingetreten sind, z. B. die Forderung wegen Beschädigung erst nachdem man von der Beschädigung Kenntniss erhalten hat, die Klage wegen ungerechtfertigter Entlassung erst nachdem das Schiff in den Hafen zurückgekehrt ist, die Klage aus dem Dienstvertrage erst nach erfolgter Entlassung, die Bodmerei- und Havarieforderung, sowie die Forderung aus dem Frachtvertrag erst nach der Ankunft des Schiffes und Ablieferung der Ladung etc. D. H. G. B. Art. 908. Diesem Grundsatz gemäss kann auch die Verjährung der Forderung wegen Zusammenstoss nicht von dem Zeitpunkt laufen, wo der Zusammenstoss stattfand, sondern wo man davon Nachricht erhielt oder Leute der Besatzung ans Land gerettet wurden; die entgegengesetzte Bestimmung des D. H. G. B. Art. 908 Nr. 3 ist in dieser Beziehung nicht zu billigen.
Art. 1032. Der erste Theil dieses Artikels wurde in Art. 574 bereits allgemein in Bezug auf jeden Frachtführer ausgesprochen; er wird nunmehr hier speciell in Bezug auf den Capitain wiederholt und auch auf den Versicherer ausgedehnt, in Uebereinstimmung mit Code de comm. Art. 435, Belg. Gesetz von 1879 Art. 232, Holland. H.G.B. Art. 746, D. H. G. B. Art. 408. Die Ausdehnung auf den Versicherer ist dadurch gerechtfertigt, dass der Ladungsempfänger nach Art. 1016 dessen Interessen zu wahren hat, somit durch Unterlassung des Vorbehaltes seine Verpflichtung verletzt und dadurch seinen Anspruch gegen den Versicherer verliert, obgleich er sonst im allgemeinen diesem nur zum Schadensersatz verpflichtet wäre.
Der zweite Theil des Artikels betrifft die Ansprüche wegen Havarie oder Rettungskosten, die gegen den Empfänger der betreffenden Ladung erhoben werden können. Wenn der Capitain die Frachtgüter ohne Vorbehalt abliefert und die Fracht dafür in Empfang genommen wird, so verliert er gleichfalls jeden Anspruch, den er desfalls erheben könnte. Code de comm. Art. 435. Belg. Gesetz von 1879 Art. 232. Diese Bestimmung gilt auch für die übrigen bei einer grossen Havarie Betheiligten, welche der Capitain in dieser Hinsicht bei der Ablieferung zu vertreten hat; wenn diese durch die Unterlassung des Vorbehalts Seitens des Capitains Schaden erleiden, ist letzterer ihnen dafür zum Ersatze verpflichtet. Alauzet VI. Nr. 2367. Die älteren Gesetzbücher sprechen hier nur von Havarieansprüchen ; es besteht aber kein Grund, das Princip picht auf diejenigen anzuwenden, welche Frachtgüter in Seenoth gerettet haben und dafür einen Rettungslohn beanspruchen können. Diese Verpflichtung wird im D.H.G.B. Art. 754 sogar auf den Capitain im Interesse der Rettungsbetheiligten erstreckt.
Die Vorschrift den Vorbehalt binnen 24 Stunden zu erklären findet sich auch im Code de comm. Art. 436 und im Belg. Gesetz von 1879 Art. 233. Dagegen wurde die Vorschrift, dass binnen einem weiteren Monate auch die Forderung vor Gericht erhoben werden müsse, nicht adoptirt, weil kein genügender Grund zu ersehen ist, warum die ohnehin kurze Verjährungsfrist von einem Jahre hier noch besonders abgekürzt werden soll.
Die gleiche Vorschrift der sofortigen Reclamation im Falle eines Zusammenstosses im Code de comm. Art. 435 und im Belg. Gesetz von 1879 Art. 232 wurde in Uebereinstimmung mit dem D. H. G. B. nicht aufgenommen, weil bei einem solchen Unglücksfalle die Umstände meist zu mannichfaltig sind, als dass sie sofort übersehen und zum Grund einer rechtlichen Forderung gemacht werden könnten. Es genügt hier auf die nach Art. 934 dem Capitain zur Pflicht gemachte unverzügliche Berichterstattung zu verweisen.
Art. 1033. Diese Bestimmung enthält auch der Code de comm. Art. 431. Sie ist dadurch gerechtfertigt, dass es im Interesse beider Theile, namentlich aber des Versicherers liegt, dass ein Streit über die Zulässigkeit des Abandons sobald als möglich ausgetragen werde, wenn die Thatsachen des Unfalls noch frisch im Gedächtniss sind, insbesondere die als Zeugen zu vernehmenden Personen noch anwesend und am Leben sind. Alauzet VI. Nr. 2347. Der Versicherte muss daher nicht blos binnen 6 Monaten den Abandon erklären, sondern auch wenn der Versicherer widerspricht, binnen derselben Frist Klage erheben, widrigenfalls er sein Abandonrecht verlieren würde. Dieser Artikel bezieht sich übrigens nur auf den Streit wegen Abandon, nicht auf die gewöhnlichen Ansprüche aus dem Versicherungsvertrage, auch nicht auf die Auszahlung der Versicherungssumme, nachdem die Zulässigkeit des Abandons von dem Versicherer anerkannt wurde.
III. BUCH.
VOM BANKEROTT.
I. Titel. Bankerotterklärung.
Art. 1034. Das Wort Bankerott (banqueroute, bankruptcy) bedeutete ursprünglich zerbrochene Bank (banco rotto) und erklärt sich dadurch, dass die Bank oder das Geschäftslocal eines insolvent gewordenen Geldwechslers oder Bankiers von dem erzürnten Volke umgestürzt und in Trümmer geschlagen wurde und der in Insolvenz verfallene sein Geschäft nicht mehr fortsetzen durfte. Andere Ausdrücke, wie faillite, falliment, drücken mehr die einfache Thatsache des Umfalls oder Zusammenbruches eines Handelsgeschäftes aus; während der in Deutschland gebräuchliche Ausdruck Concurs (concursus creditorum) die Concurrenz der Gläubiger in Bezug auf das Vermögen eines insolvent gewordenen und das Wort Gant, Vergantung den öffentlichen Verkauf seines Vermögens zum Besten seiner Gläubiger bezeichnet. In dem Entwurfe wurde der Ausdruck Bankerott gewählt, weil dieser der älteste und bei allen Völkern gebraucht und verstanden ist, und den historischen Inhalt des Begriffes und die schweren Folgen für den Bankerotteur unmittelbar verdeutlicht, während die übrigen Ausdrücke theils nur eine einseitige und abgeschwächte Bezeichnungen des Sach Verhältnisses enthalten, theils nicht so allgemein verbreitet sind, wie der alte und überall vorkommende Ausdruck Bankerott. In Frankreich ist das Wort Banqueroute nur für die Fälle der strafbaren Insolvenz gebraucht; allein da das auf die Zahlungseinstellung folgende gerichtliche Verfahren in allen Fällen in der Hauptsache dasselbe ist, so scheint kein genügender Grund denkbar, blos wegen des Nebenumstandes der Strafbarkeit die Einheit des Begriffes durch die Wahl verschiedener Bezeichnungen zu stören. Vielmehr scheint es logischer, anstatt Falliment und Bankerott den einfachen und strafbaren Bankerott zu unterscheiden. Uebrigens ist es nicht absolut geboten, ausschliesslich das Wort Bankerott zu gebrauchen; vielmehr können, insbesondere in dem Commentar und bei anderen Gelegenheiten, auch die übrigen Ausdrücke passend angewendet werden, namentlich um einzelne Seiten des Ganzen zu bezeichnen oder aus blossen sprachlichen Gründen. In Deutschland werden zuweilen auch die Worte Krida, Kridar gebraucht, womit die Thatsache einer gerichtlichen Untersuchung ausgedrückt wird; insbesondere das Wort Kridar empfiehlt sich der Kürze wegen anstatt des schwerfälligen und nicht ganz deutlichen Wortes Gemeinschuldner.
In den neueren Gesetzgebungen, so in der Englischen von 1869 und besonders in der Deutschen von 1877, ebenso in dem Nordamerikanischen Gesetze von 1867, ist das Bankerott seiner rechtlichen Natur nach zum Vortheil des Bankerotteurs sehr abgeschwächt worden. Das Bankerottverfahren ist nämlich seinem Ursprunge und seiner eigentlichen Bedeutung nach ein specielles Prozessverfahren, also wesentlich ein gerichtliches Verfahren mit bestimmten Rechtsfolgen für den Bankerotteur und dessen sämmtliche Gläubiger, gleichviel ob deren Forderungen bestritten werden oder nicht, und es geht die Verfügung über die Person und das Vermögen des Bankerotteurs auf das Gericht über. In den genannten neueren Gesetzen ist das Con-cursvcrfahrcn nichts anderes mehr als ein unter gerichtlicher Aufsicht zu bewerkstelligendes Liquidationsverfahren, wobei die Gläubiger und die von ihnen ernannten Masseverwalter so unabhängig als möglich gestellt sind. Nachtheilige Folgen für die Person des Bankerotteurs hat die Bankerotterklärung gar nicht mehr, und für sein Vermögen nur soweit, als ein solches im Zeitpunkt derselben vorhanden ist. Das Concursverfahren unterscheidet sich hienach wenig von der Liquidation einer aufgelösten Handelsgesellschaft; es hat keine Nachtheile für diejenigen, welche zum Schaden ihrer Gläubiger ihr Vermögen verschleudern oder geschickt bei Seite zu bringen verstehen. Dies ist jedoch der öffentlichen Moral zuwider und ebenso mit den Interessen der Volkswirthschaft und den Principien einer gesunden Justiz unvereinbar. Die Insolvenz darf nicht zu einfach und leicht gemacht werden, weil dies zu leichtsinnigen und betrügerischen Bankerotten verführt, und überhaupt die Geschäftsmoral abstumpft. In England und Deutschland wird seither über die nachtheiligen Folgen der neueren Concursgesetze geklagt und die Verschärfung der Gesetze gegen Bankerotteure verlangt. Der Entwurf hat sich daher nicht der genannten neueren, sondern der strengeren und logisch richtigeren älteren Gesetzgebung angeschlossen, welche hauptsächlich von dem Französischen Code de commerce Buch III, revidirt durch das Gesetz vom 28. Mai 1838, repräsentirt wird; auf demselben Boden stehen auch die meisten der übrigen in Betracht kommenden Europäischen Gesetzgebungen, so von Spanien, Holland, Belgien, Italien. Hiernach bleibt das Bankerottverfahren wesentlich ein gerichtliches Verfahren, die persönlichen und Vermögensverhältnisse des Bankerotteurs unterliegen bis zur Aufhebung des Bankerotts der Verfügung des Gerichts, und das Verfahren hat nicht blos den Zweck, das etwa vorhandene Vermögen gemeinschaftlich und so schnell als möglich unter die Gläubiger zu vertheilen, sondern überhaupt die Rechtsfolgen des Bankerottes zum Vollzug zu bringen, namentlich auch zu dem Zwecke um gegen Recht und Moral verstossende Abmachungen zwischen den Gläubigern und dem Schuldner zu verhüten. Unmittelbar aus jenem Standpunkt folgt das Princip der sog. Universalität oder Attractionskraft des Bankerottes, d. h. das Bankerottgericht wird das ausschliesslich zuständige Gericht für den Bankerotteur und es müssen bei Vermeidung der gesetzlichen Rechtsnachtheile alle Ansprüche gegen ihn in dem Bankerottverfahren und vor dem Bankerottgerichte erhoben und entschieden werden. Auch erstrecken sich die Wirkungen der Bankerotterklärung nicht blos auf das im Zeitpunkt der Concurseröffnung vorhandene Vermögen, sondern auch auf den späteren Vermögenserwerb des Kridars, indem derselbe dispositionsunfähig wird und das Recht zum selbständigen Gewerbebetrieb, sowie auch manche andere persönliche Rechte mehr politischer Natur verliert. Bravard Traité de droit comm. V. p. 5. Wenn das neue Deutsche Concursgesetz, ähnlich wie das Englische, das Concursverfahren wesentlich in die Hände der Gläubiger und des Masseverwalters legt, anstatt in die Hände des Gerichtes, so ist dies durchaus nicht zu billigen; denn unter diesem Princip kann der Schuldner sehr leicht den ganzen Zweck des Bankerottverfahrens vereiteln durch Aufstellung erdichteter Gläubiger, durch deren Stimmen er die wahren Gläubiger um ihr Vermögen bringen kann. Noch 1864 wurde in England von der „Times” der jährliche Verlust von Capital durch zahlungsunfähige Schuldner auf 50 Mill. Pf. St. berechnet und zum Theil als Folge der Mangelhaftigkeit der Concursgesetzgebung erklärt. Ztschr. f. H. R. Bd. 8. p. 511.
Eine weitere allgemeine Principienfrage ist, ob der Rechtszustand des Bankerotts auf Kaufleute beschränkt, oder auf alle Personen ohne Unterschied ausgedehnt werden soll. Der Entwurf hat sich für das erstere entschieden, in Uebereinstimmung mit den Gesetzgebungen von Frankreich, Holland, Belgien, Spanien, Italien und Portugal. Die neuesten Bankerottgesetze in anderen Staaten, so in England vom Jahre 1861, in Nordamerika vom Jahre 1867 und in Deutschland von 1877, haben allerdings diesen Unterschied beseitigt, obgleich das Preussische Concursgesetz vom 8. Mai 1855 noch einen kaufmännischen und gemeinen Concurs auseinanderschied, wie auch das Oesterreichische Gesetz vom 25. Dec. 1868, welches noch in Geltung steht, und nach dem Englischen Gesetze die Vorbedingungen der Bankerotterklärung, sowie auch mehrere andere Bestimmungen für die Kaufleute und für die übrigen Personen nicht dieselben sind. Für die Beseitigung dieses in der Geschichte und in dem Wesen des Bankerotts begründeten Unterschiedes lassen sich keine genügenden Gründe anführen; der Anstoss hiezu lag hauptsächlich in dem bereits erwähnten bedenklichen Bestreben, das Concursverfahren in ein blosses Liquidationsverfahren zu verflachen und es für die Betheiligten so einfach und leicht wie möglich zu gestalten. Formell ist allerdings auch ein Verfahren zur gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger von Privatpersonen möglich und kommt auch in Wirklichkeit vor, wenngleich weitaus seltener wie in kaufmännischen Kreisen; allein beide Fälle sind ihrer inneren Natur nach ganz verschieden und können nicht unter gleiche Rechtsregeln gebracht werden. Vor allem ist die Benützung des Credits im Handel ganz allgemein nothwendig, dagegen im Privatverkehr zufällig und individuell; der Handel bringt daher immer ein ständiges Verhältniss von Activen und Passiven hervor, der Privatverkehr nur ausnahmsweise und vorübergehend. Die Mehrheit von Gläubigern, durch welche das Bankerottverfahren bedingt wird, ist daher nur im Handel regelmässig vorhanden, bei Privatpersonen dagegen reiner Zufall. Im Handel wird ferner der Bankerott durch die blosse Zahlungseinstellung herbeigeführt, dagegen im Privatverkehr nur durch Ueberschuldung und Vermögensverfall; beides trifft nicht immer zusammen, ja es kann sehr leicht der bankerotte Geschäftsmann noch ein bedeutendes Uebervermögen haben, das er entweder nicht mehr realisiren kann oder das er heimlich, durch Benützung des Handelscredits, bei Seite geschafft hat. Im Handel hat man insbesondere leicht viele, oder sehr entfernte Gläubiger, deren Interessen gegenüber betrügerischen oder leichtsinnigen Schuldnern geschützt werden müssen, während dies bei Privatpersonen kaum jemals vorkommen wird. Daher muss der kaufmännische Bankerotteur strenger behandelt und auf der anderen Seite die Gesammtheit der Gläubiger als stärkere Einheit formirt und mit grösseren Rechten ausgestattet werden. Die Rechtsverhältnisse und das Verfahren im commerciellen und im privaten Bankerott können daher nicht dieselben sein; auch sind die Verhältnisse insoferne verschieden, als im Handelsverkehr hauptsächlich der Wechselcredit, im Privatverkehr dagegen der Realcredit oder auch der rein persönliche Credit benützt wird. Der Wechselcredit ist aber viel mehr dem Missbrauch ausgesetzt und es erklärt sich dadurch, warum der commercielle Bankerotteur die schweren Folgen der Unfähigkeit zum Handelsbetrieb und der eigenen Vermögensverwaltung erleiden muss. Die einzelnen Bestimmungen, in welchen sich die Natur des kaufmännischen Bankerotts ausprägt, können erst später an den betreffenden Orten dargelegt werden. Die angegebenen allgemeinen Gesichtspunkte mögen genügend die auch schon in der Einleitung zu diesem Entwurfe (Band I p. XV) summarisch erörterte Nothwendigkeit darthun, für den commerciellen Bankerott besondere Vorschriften zu erlassen und das Concursverfahren gegen Private der Civilgesetzgebung zu überlassen. Nur insoferne wird von der älteren Gesetzgebung abgewichen, als die Vorschriften über commerciellen Bankerott nicht blos auf Handelsleute, d. h. gewerbsmässige Kaufleute, Anwendung finden sollen, sondern auf alle, welche Handel treiben, d. h. sich mit Handelsgeschäften befassen. Es kann also jeder dem kaufmännischen Bankerottverfahren unterworfen werden oder sich unterwerfen, der seine aus Handelsgeschäften entspringenden Verpflichtungen nicht erfüllt. Dies ist nicht nur logischer und der ganzen Natur des Handelsrechtes angemessener (vgl. oben Art. 1 u. 4), sondern es liegt darin auch eine Annäherung an die übrigen Gesetzgebungen, welche auch Nichtkaufleute dem Bankerottgesetz unterwerfen, sei es überhaupt, wie die Deutsche und Englische, sei es unter der Voraussetzung des Betriebes von Handelsgeschäften, wie die Französische (Bravard V. p. 11. Rogron Code de comm. explique Art. 437 p. 853), wobei mir der Unterschied zwischen dem gewöhnlichen (habituellen) und gelegentlichen Betrieb von Handelsgeschäften unerheblich zu sein scheint. Daher können auch Beamte, obgleich sie zum Betrieb von Handelsgewerben unfähig sind, bankerott werden, wenn sie etwa nebenbei Handel treiben, trotzdem dass ihr gewöhnlicher Beruf (profession habituelle) der amtliche Beruf bleibt. Anders bei Frauen und Minderjährigen, welche überhaupt die Fähigkeit zum Handelsbetrieb nicht erlangt haben; diese können nicht für bankerott erklärt werden, da sie rechtlich keinen Handel treiben können.
Da die persönliche Eigenschaft des Kaufmanns keine nothwendige Vorbedingung für die Bankerotterklärung ist, so folgt von selbst, dass auch gegen denjenigen, welcher den professionellen oder überhaupt den Handelsbetrieb aufgegeben hat, sowie gegen einen Verstorbenen resp. dessen Nachlass der Bankerott erklärt werden kann, wenn die sonstigen Voraussetzungen, nämlich Betrieb von Handelsgeschäften und Verweigerung der Erfüllung der daraus entsprungenen Verpflichtungen, vorhanden sind. Es ist daher nicht nothwendig, dies ausdrücklich auszusprechen, wie es im Französ. Code de comm. (Gesetz von 1838) und im Belg. Code de comm. (Gesetz vom 16. April 1851) Art. 457 geschehen ist. Holl H.G. B. Art. 767.
Die andere Voraussetzung der Bankerotterklärung ist die Zahlungseinstellung, d. h. die Weigerung des Schuldners seine Verpflichtungen aus Handelsgeschäften zu erfüllen. Damit ist der Credit für den Handelsbetrieb verloren und dieser kann nicht länger fortgesetzt werden. Französ. Code de comm. Art. 437. Belg. Code de comm. Art. 437. Holl. H. G. B. Art. 764. Span. H. G. B. Art. 1001. In der D. Concursordnung von 1877 Art. 94 ist die Zahlungsunfähigkeit des Kridars als Voraussetzung bezeichnet, jedoch soll diese im Fall der Zahlungseinstellung vermuthet werden. Dies ist im Princip nicht zu billigen, weil dann ein zahlungsfähiger Schuldner, der jedoch absichtlich nicht zahlen will, nicht bankerott erklärt werden könnte; auch setzt die Thatsache der Zahlungsunfähigkeit eine eingehende Untersuchung der Activen und Passiven voraus, welche ohne vorherige Bankerotterklärung nicht wohl durchgeführt werden kann. Es wird aber das Gesetz so interpretirt, dass auch hier in den meisten Fällen nur die Zahlungseinstellung zum Bankerott führen kann. In der Engl. Gestzgebung (Gesetz vom 9. Aug. 1869 Art. 6) sind eine Reihe von einzelnen sog. Bankerotthandlungen aufgezählt, welche zur Eröffnung des Concurses Anlass geben sollen. Allein diese casui-stische Behandlung der Frage ist nicht zu billigen, da sie niemals erschöpfend sein kann und leicht zu falschen Schlüssen führt; sie war auch im Französ. Code de comm. Art. 441 enthalten, ist aber im Gesetz von 1838, in der Belgischen und in anderen Gesetzgebungen aufgegeben worden. Was als Zahlungseinstellung anzusehen sei, muss von der thatsächlichen Erwägung des Gerichts abhängig bleiben. Der wichtigste und häufigste Fall ist der, dass der Schuldner direct erklärt, seine Gläubiger nicht bezahlen zu können; es genügen aber auch andere Umstände, z. B. das Schliessen des Geschäfts, oder wenn der Schuldner sich verborgen hält oder durchgeht, wenn er sein Vermögen heimlich bei Seite schafft oder betrügerisch an andere überträgt, weil schon damit die Absicht der Zahlungseinstellung thatsächlich bewiesen wird. Indessen setzen natürlich solche Handlungen immer die wirkliche Absicht nicht zu zahlen voraus, der Bankerott kann daher nicht erklärt werden, wenn blos Krankheit, Familientrauer, Festlichkeiten, Leichtsinn und dgl. die Ursache sind. Zahlungseinstellung ist ferner nicht anzunehmen, wenn die Weigerung aus rechtlichen Gründen erfolgt, weil die Verpflichtung zur Zahlung bestritten wird, oder wegen augenblicklicher, schnell vorübergehender Bedrängniss; werden solche Vorwände, um die wirkliche Zahlungseinstellung zu verheimlichen und hinauszuziehen, von thatsächlich bankerott gewordenen vorgeschützt, so muss eine Untersuchung eintreten und es wird sich in der Regel der wirkliche Stand der Dinge bald erkennen lassen. In derselben Weise ist den Umständen nach die Zahlungseinstellung selbst zu beurtheilen. Es ist nicht nöthig, dass sämmtliche Zahlungen eingestellt werden, es genügt unter Umständen schon die Verweigerung einer einzelnen Zalung; so namentlich wenn kleine Zahlungen fortgesetzt werden, um den Schein der fortlaufenden Zahlungen zu retten, während grosse Schulden unbezahlt bleiben. Auch ist es nicht nothwendig, dass auch die Zahlungen im Privatverkehr, für die täglichen Bedürfnisse u. s. w. unterbleiben.
Die Zahlungseinstellung ist von der Insolvenz, d. h. Zahlungsunfähigkeit und von Ueberschuldung wohl zu unterscheiden, obwohl sie meist bei einem Bankerott Zusammentreffen. Private können nur im Fall der Ueberschuldung in Concurs erklärt werden, weil nur dann Gefahr ist, dass die Gläubiger nicht gleichmässig befriedigt werden. Dagegen ist der Ueberschuss der Passiven über die Activen im Handel zur Bankerotterklärung nicht hinreichend, da man Handel auch mittelst Credit treiben und mit Hülfe desselben, durch eine einzige glückliche Speculation, wieder das Gleichgewicht zwischen Activen und Passiven herstellen kann. Nur wenn die Ueberschuldung den Credit vernichtet und zur Zahlungseinstellung führt, wird sie die Ursache des Bankerotts. Andererseits ist thatsächliche Zahlungsunfähigkeit kein Erforderniss, da auch über den, der sein Vermögen heimlich und in betrügerischer Absicht bei Seite schafft, der Bankerott verhängt werden kann. Auch kann Jemand im Augenblick, wo er seine Zahlungen einstellt, noch einen Ueberschuss der Activen oder eine volle Casse haben, allein die Insolvenz kann jeden Tag eintreten und die Gläubiger können durch längere Fortsetzung der Geschäfte um die Befriedigung ihrer Forderungen gebracht werden. Bravard V. p. 28 ff. Sarwey, Concursordnung p. 480 ff. Wilmowski, Concursordnung p. 223.
Zahlungseinstellung ist auch anzunehmen, wenn Jemand, weil er sonst seine Zahlungen einstellen müsste, seine fälligen Wechsel etc. protestiren oder prolongiren lässt. Rogron p. 883.
Obwohl der Bankerott an sich ein thatsächlicher Zustand ist, der namentlich von Geschäftskundigen sehr wohl erkannt und von dem Betheiligten selbst anerkannt werden kann, ist doch wegen der bedeutenden Rechtsfolgen, die sich daran knüpfen, die gerichtliche Erklärung desselben erforderlich. Der Zustand des Bankerotts kann nach allen Gesetzgebungen nur durch richterliches Urtheil herbeigeführt werden; auch dieses, wie jedes andere richterliche Urtheil, muss rechtlich und thatsächlich begründet sein und setzt daher die vorherige Anhörung der Betheiligten, namentlich des Schuldners und den Nachweis der Zahlungseinstellung beim Handelsbetrieb, wenn nöthig, auf Grund vorheriger Untersuchung und eines etwaigen contradictorischen Verfahrens voraus. Das nöthige Material hiezu muss dem Gerichte durch die Anträge des Kridars oder der Gläubiger, oder auch durch amtliche Mittheilungen und Ermittlungen geliefert werden. Franz. Code de comm. Art. 440. Belg. H. G. B. Art. 442. D. C. O. von 1877 § 97 § 100. Holl H. G. B. Art. 764. Span. H. G. B. Art. 1016. Engl. Gesetz von 1869 Art. 6—13 (adjudication of bankruptcy). Das Concursgericht ist das ordentliche Domicilgericht des Kridars resp. der bankerotten Firma. D. C. O. Art. 64. Gegen die richterliche Bankerotterklärung kann natürlich, wie gegen jedes richterliche Urtheil, Berufung ergriffen werden, jedoch ohne Suspensiveffect; s. nachher Art. 1137 D. C. O. Art. 101.
Die Bankerotterklärung kann erfolgen auf Grund eines Antrages des Schuldners selbst oder eines oder mehrerer Gläubiger, oder auch von Amtswegen. Code de comm. Art. 440. Belg. H. G. B. Art. 442. Holl. H. G. B. Art. 764. Die Eröffnung von Amtswegen ist in England (Gesetz von 1869 Art. 6) und in Deutschland (C.O. von 1877 Art. 95), sowie in einigen anderen Gesetzgebungen nicht zugelassen, jedoch kann in England ein aussergerichtliches Eiquidations- oder Vergleichsverfahren in einen Concurs umgewandelt werden, Gesetz von 1869 Art. 125 Nr. 12 u. Art. 126. In diesen, wie in anderen Fällen, wo der Schuldner versuchen sollte, im Einverständniss mit einzelnen oder mit erdichteten Gläubigern sich den Folgen des Bankerotts zu entziehen, scheint jedoch die Eröffnung von Amtswegen unentbehrlich, namentlich auch im Interesse abwesender und entfernter Gläubiger und des commerciellen Credits überhaupt. Sarwey p. 484. Auch kommen die amtlichen Bankerotteröffnungen durchaus nicht selten vor, z. B. in Frankreich in den Jahren 1851-1860 mindestens 68 per 1000 Bankerotte, woraus sich ergibt, dass ein Bedürfniss nach amtlichen Concurseröffnungen vorhanden sein muss. Jedoch versteht sich von selbst, dass das Gericht nicht von selbst in Untersuchungen über den Vermögensstand der Geschäftsleute eintreten, sondern nur dann den Bankerott verhängen wird, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür bei Gericht bekannt geworden sind, ohne dass ein Antrag auf Concurseröffnung eingelaufen wäre, also namentlich auf Grund von Mittheilungen anderer Behörden, wie besonders der Staatsanwälte. Bravard V. p. 59.
Stellt ein Gläubiger den Antrag auf Bankerotteröffnung, so muss er nicht nur die Zahlungseinstellung des Schuldners, sondern auch seine Forderung gegen diesen nachweisen oder mindestens glaubhaft machen, da sein Antrag ausserdem durch kein rechtliches Interesse legitimirt wäre. D. C. O. Art. 97. Da im Concursverfahren alle Gläubiger gemeinschaftlich befriedigt werden sollen, so wird in Bezug auf das Recht der Antragstellung zwischen den verschiedenen Arten von Gläubigern, und zwar sowohl zwischen Civil- und Handelsgläubigern, als auch zwischen Real-, Pfand-, Wechsel- oder einfachen Gläubigern kein Unterschied gemacht; auch nicht zwischen solchen, deren Forderungen bereits verfallen sind oder nicht. Bravard V. p. 55.
Noch ist zu bemerken, dass wenn Jemand an mehreren Orten Zweigniederlassungen (Filialen) hat, er an jedem dieser Orte, ebenso wie am Orte der Hauptniederlassung für bankerott erklärt werden kann. Rogron p. 870.
Art. 1035. Die gleiche Vorschrift findet sich im Code de comm. Art. 438, Belg. H. G. B. Art. 440, Holland. H. G. B. Art. 765, Span. H. G. B. Art. 1017, Ital. H. G. B. Art. 544. Sie war auch in der früheren Preuss. C. O. von 1855 Art. 116 enthalten, ist aber in der D. C. O. von 1877 gestrichen worden. In dem Engl. Gesetz von 1869 Art. 19 ist der Schuldner verpflichtet, seinen Vermögensstand in der ersten Versammlung der Gläubiger darzulegen und alles zur Aufklärung dienliche mitzutheilen. Die erstere Vorschrift der unverzüglichen Mittheilung an das Gericht empfiehlt sich aber mehr, nicht blos weil dem Gericht gegenüber mehr Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit beobachtet werden wird, sondern auch weil das Gericht an die Stelle des Schuldners tritt und mithin an das Gericht dessen Erklärung gerichtet werden muss. Sie kann durch Erklärungen an die Gläubiger nicht ersetzt werden. Die Unterlassung dieser Vorschrift in der D. C. O. ist auf das bedenkliche Bestreben zurückzuführen, den Bankerott für den Schuldner zu einem möglichst bequemen Liquidationsverfahren abzuschwächen. Die Beobachtung dieser Vorschrift, deren Verletzung für den Schuldner die Folgen des strafbaren Bankerotts und der Verhaftung (Code de comm. Art. 456. 586) nach sich ziehen kann, ist äusserst heilsam für den Schuldner und liegt auch im Interesse der Gläubiger. Es wird dadurch dem leichtsinnigen Bankerott und dem Durchgehen der Schuldner vorgebeugt, und diese sehen sich durch das Gesetz gezwungen, offen und ehrlich ihre Zahlungseinstellung vor Gericht zu bekennen und zu erklären. Allerdings findet desfalls kein directer Zwang statt, allein die Folgen der Unterlassung sind zu schwer für den Schuldner, als dass er nicht in den meisten Fällen sich angetrieben fühlen müsste, die gesetzliche Vorschrift der Selbstanzeige zu erfüllen. Zunächst soll dieselbe dazu dienen, die Einleitung des Concurses auf den eigenen Antrag des Schuldners zu ermöglichen; allein die Verpflichtung besteht auch, wenn ein Gläubiger den Antrag gestellt hat, da auch in diesem Falle das Selbstbekenntniss des Schuldners von hohem Werthe ist, indem dieser den Zustand seines Vermögens am besten kennen muss. Uebrigens wurde die Frist auf zehn Tage erweitert, da drei Tage oft nicht hinreichen werden, bei einigermassen verwicklten Verhältnissen eine genaue Uebersicht der Activen und Passiven und die Schlussbilanz herzustellen. In Frankreich wird auch die 3tägige Frist in der Regel nicht eingehalten. Rogron p. 862.
Die Erklärung muss von dem Schuldner persönlich, im Falle einer Handelsgesellschaft von sämmtlichen solidarisch haftbaren Mitgliedern, oder wie bei Actiengesellschaften von der Direction gemacht werden, eventuell von den Liquidatoren. Art. 291. 306. Die Anzeige aller solidarisch haftbaren Gesellschafter ist nothwendig, weil diese sämmtlich in ihrer Person Inhaber der Firma und volle Schuldner oder Gläubiger sind, und überdies weil dadurch die etwa vorhandenen Befriedigungsmittel für die Gläubiger am besten überblickt werden können. Da eine Handelsgesellschaft auf ihren Namen Vermögen, insbesondere Forderungen und Schulden erwerben kann (Art. 71), so muss auch ein selbständiger Concurs über das Gesellschaftsvermögen möglich sein und dieser hat den Bankerott der Gesellschafter nicht zur nothwendigen Folge, obgleich dies regelmässig der Fall sein wird, wenn nicht im Gesellschaftsconcurse die volle Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erreicht werden kann. D. C. O. Art. 198. Es kann auch vorkommen, dass nicht sämmtliche Mitglieder der Gesellschaft über die Concurserklärung einig sind und dieselbe nur von einem Theile der Mitglieder gemacht wird. Eine solche Erklärung ist zuzulassen, jedoch muss den dissentirenden Mitgliedern, bevor das Bankerotturtheil (Art. 1034) erlassen wird, Gelegenheit zum Einspruch gegeben werden. Diejenigen Mitglieder, welche grundlos sich der Concurserklärung widersetzen, ziehen sich wie alle übrigen Bankerotteure die vorhin erörterten Folgen der unterlassenen Erklärung natürlich nur für ihre Person zu. D. C. O. Art. 199.
Der Bankerotteur muss die Anzeige seiner Zahlungseinstellung selbst machen; es ist ihm mithin nicht gestattet, etwa sein Vermögen im Stich zu lassen und einfach zu verschwinden. Er muss vielmehr die Verantwortlichkeit übernehmen für das Unglück, das er herbeigeführt hat für sich und für andere, und dafür persönlich vor Gericht Rede stehen. Sollte er durch Krankheit etc. davon verhindert sein, so ist wenigstens von der Verhinderung und deren Ursachen dem Gerichte Anzeige zu erstatten; dies versteht sich wohl von selbst und braucht nicht, wie im Französischen und Belgischen Gesetz, ausdrücklich erwähnt zu werden, da dem Bankerotteur alles daran liegen muss, die an die Unterlassung sich knüpfenden Folgen des strafbaren Bankerotts zu vermeiden. Das gleiche gilt auch von den Beilagen, welche mit der Anzeige selbst dem Gerichte zu übergeben sind, und welche dazu dienen sollen, einmal den Vermögenszustand des Schuldners nach seinem eigenen Wissen genau kennen zu lernen und sodann seine persönliche Verantwortlichkeit für den Bankerott zu beurtheilen. Sollte die Anfertigung der Bilanz binnen zehn Tagen nicht möglich sein, so muss auch dies nebst den Gründen dem Gerichte angezeigt und um Aufschub gebeten werden. Die Uebersicht der Gewinne und Verluste, und die Angabe des monatlichen Aufwandes muss aus den Handelsbüchern ersichtlich sein, wenn diese ordnungsmässig geführt wurden (Art. 32. 33); da jeder Geschäftsmann seine Handelsbücher 10 Jahre hindurch aufzubewahren verpflichtet ist, so müssen diese Nachweise nöthigenfalls bis auf 10 Jahre zurück gegeben werden, jedenfalls auf so lange zurück, dass die Ursachen und das Eintreten des Bankerotts deutlich erkannt werden können. Aus der Bilanz muss sich insbesondere sofort ergeben, ob und wie hoch der Bankerotteur überschuldet ist, wer seine Gläubiger sind und mit welchen Summen, und welcher Betrag ihrer Forderungen diesen voraussichtlich gerettet werden wird. Natürlich müssen die vorgeschriebenen Nachweise mit aller Genauigkeit und Zuverlässigkeit geliefert werden, es dürfen also weder Vermögenstheile noch Schulden erdichtet oder verschwiegen, oder zu hoch oder zu niedrig taxirt werden, zweifelhafte und unsichere Forderungen nicht für voll angerechnet werden u. s. w. Der Schuldner würde durch falsche Anzeigen nur seine Lage erschweren und strenge Massregeln gegen sich provociren. Dieselben müssen sich übrigens in allen Fällen auf den gesammten Vermögensstand beziehen, nicht etwa nur auf das im Handel angelegte Vermögen und auf commercielle Schulden. Es kommt häufig vor bei Bankerotten, dass der Schuldner über den Verlust seines Vermögens keine genaue Auskunft geben kann und dadurch den Verdacht des betrüglichen oder sonst strafbaren Bankerotts erweckt; es liegt also in seinem eigenen Interesse, die in Art. 1035 gebotenen Nachweise möglichst sorgfältig und glaubwürdig zu geben. Um die Prüfung und Beurtheilung derselben zu ermöglichen, sind gleichzeitig die Handelsbücher zu übergeben, da in diesen das zur Beurtheilung dienende Material enthalten sein muss. Zugleich dient der Verlust der Handelsbücher als Zeichen dafür, dass der Schuldner die Fähigkeit zur selbständigen Fortsetzung seines Gewerbebetriebes verloren hat. Bravard V. p. 44 ff.
Art. 1036. Der leichteren Uebersicht und besseren Verständnisses wegen erschien es passend, den nothwendigen Inhalt des Bankerotterkenntnisses unmittelbar zusammenzustellen, während derselbe in anderen Gesetzbüchern mehr oder weniger nach den verschiedenen Materien zerstreut angegeben ist. So im Französ. Code de comm. Art. 441. 451. 455. 462. 491. 504. Belg. H. G. B. Art. 442. 466. 509. Holl. H. G. B. Art. 787. 815. Span. H. G. B. Art. 1044. D. C. O. Art. 100. 102.
1. Der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung muss gerichtlich festgestellt werden, weil von diesem Zeitpunkte an die Rechtswirkungen des Bankerottes für den Schuldner beginnen, darüber also bei der grossen Tragweite jener Wirkungen kein Zweifel bestehen darf, namentlich weil von da an alle Verpflichtungsacte des Schuldners mit Nullität behaftet sind. Wann die Zahlungseinstellung als erfolgt zu betrachten sei, auch ohne ausdrückliche Erklärung des Schuldners, ist nach den Bemerkungen zu Art. 1034 zu beurtheilen. In manchen Gesetzen, so im Französischen und Belgischen, kann die Feststellung dieses Punktes auch einem späteren Urtheil des Gerichtes vorbehalten werden. Dies wird dann vorkommen, wenn der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung streitig ist und nicht ohne weitere zeitraubende Ermittlung entschieden werden kann. Es scheint jedoch wichtiger, dass der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung so gut wie möglich bereits am Anfang des Bankerotts festgestellt werde, da hiegegen ja ohnehin Berufung, wenn auch ohne Suspensiveffect, ergriffen und die allenfallsige Berichtigung dieses Punktes durch das Obergericht bewirkt werden kann, wenn einer der Betheiligten mit genügenden Gründen darauf anträgt. Sollte der Zeitpunkt im Erkenntniss nicht genannt sein, so muss das Datum des letzteren auch als Datum der Zahlungseinstellung angesehen werden. Französ. Code de comm. Art. 441. Belg. H. G. B. Art. 442.
In der D. C. O. Art. 100 ist diese Frage in soferne etwas anderes geordnet, als nicht der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung, sondern nur der Concurseröffnung in dem Urtheil angegeben werden soll. Dies wird dadurch motivirt, dass der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung nur das materieller Rechtsverhältniss zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern beträfe und daher der Feststellung des bezüglichen Prozessgerichts überlassen werden müsste. Es beruht mithin diese Neuerung auf der weiteren bedenklichen Neuerung, die Entscheidung über streitige Concursansprüche von dem Concursverfahren und dem Concursgericht abzutrennen und in selbständigen Prozessen anderen verschiedenen Gerichten zu überweisen, womit das Bankerott verfahren in seiner Eigenschaft als ein gerichtliches Streitverfahren zum grössten Theile beseitigt wird.
Diesen Neuerungen ist der Entwurf nicht beigetreten.
2. Der Concurscommissär ist eine Richterperson, welcher die Instruction, d. h. die Vornahme der richteramtlichen Handlungen und Verfügungen in jedem Concurse übertragen wird, mit Ausnahme der wichtigeren Entscheidungen, wie namentlich der eigentlichen Urtheile, welche der collegialen Beschlussfassung des Concursgerichts vorbehalten bleiben. Dies setzt allerdings die collegiale Eigenschaft des Concursgerichts voraus, im Gegensatz zu blossen Einzelrichtern, wie z. B. den Deutschen Amtsgerichten, bei welchen letzteren die Ernennung eines Concurscommissärs unterbleibt. D. C. O. Art. 64. Indessen sind Concurse wichtige Streitsachen, die der Regel nach blossen Einzelrichtern nicht an vertraut werden sollten; auch müssen die ordentlichen Gerichte erster Instanz als collegiale Gerichte vorausgesetzt werden. Der Concurscommissär ist als Delegirter des Concursgerichts für die Zwecke der Instruction des Bankerottverfahrens und für die Vorbereitung der gerichtlichen Erkenntnisse aufzufassen. Seine Functionen sind richterlicher Natur und seine Verfügungen und Entscheidungen innerhalb der ihm anvertrauten Competenz sind daher rechtsgültig und für die Parteien bindend. An und für sich ist diese Function keine andere als die eines gewöhnlichen Instructionsrichters und es bedarf daher keines besonderen Abschnittes, wie z. B. im Code de comm. Art. 451—454, um dies in einzelnen Punkten ausdrücklich zu erklären. Nur sind die Functionen des Concurscommissärs der Natur der Sache nach manichfaltiger und ausgedehnter, wie im gewöhnlichen Prozessverfahren, und es muss dem Concurscommissäs im allgemeinen eine grössere Richtergewalt eingeräumt werden wie dem gewöhnlichen Instruenten eines Prozesses. Insbesondere sind die Verfügungen der Concursinstruenten immer zugleich als Gerichtsentscheidungen anzusehen und können der wiederholten collegialen Entscheidung nur in bestimmten ausdrücklich zu erwähnenden Einzelfällen unterworfen werden. Code de comm. Art. 453. Im übrigen gelten für das richterliche Concursverfahren die gewöhnlichen Prozessregeln, jedoch mit mehrfachen Abweichungen, welche durch die Natur und die Zwecke des Concursverfahrens geboten sind. Dasselbe ist nicht ein blosses Streitverfahren zur Entscheidung specieller Streitpunkte zwischen zwei bestimmten Gegnern, sondern die Rolle der Kläger und Beklagten ist durch alle Betheiligten dürcheinandergemischt, und es gehören vielfache gegenseitige Erörterungen und gemeinsame Beschlüsse dazu, um den Endzweck des Verfahrens, nämlich die gleichmässige Befriedigung sämmtlicher Gläubiger zu erreichen. Der Concurscommissär hat zwar auch, bei mangelnder Einigung der Gläubiger, viele Entscheidungen zu treffen, aber er hat auch vielfach zu leiten, zu vermitteln, zu überwachen, und desshalb sind seine Befugnisse ausgedehnter und weniger strenge abgemessen. Die speciellen Obliegenheiten und Befugnisse des Concurscommissärs (juge commissaire) nach Französischem Rechte finden sich dargestellt bei Bravard V. p. 99 ff. Es versteht sich von selbst, dass ein einmal ernannter Commissär jederzeit, auch auf Antrag der Parteien, von dem Gerichte durch ein anderes seiner Mitglieder ersetzt werden kann. Code de comm. Art. 454.
Die D. C. O. kennt keinen Concurscommissär, da die Concurse in Deutschland der Jurisdiction der Einzelrichter, nämlich der Amtsrichter, überwiesen sind. Hiedurch ist die wichtige Unterscheidung zwischen blossen Verfügungen, und zwischen Urtheilen des Gerichts beseitigt, wesshalb, neben anderen Gründen, diese Bestimmung der Deutschen Gesetzgebung nicht zu billigen ist.
In England war früher die gerichtliche Führung der Bankerotte richterlichen Commissären anvertraut, welche zugleich die Eigenschaft von unabhängigen Richtern als Einzelrichter und von Commissären hatten; daneben aber fungirten noch Registratoren sowohl als Secretäre des Gerichts als auch als Delegirte und Vertreter der Commissäre in einzelnen richterlichen Functionen und die sog. Officialverwalter (official assignees), welche gleichfalls eine unklare Doppelstellung als gerichtliche Commissäre und als provisorische Masseverwalter einnahmen. In der neueren Gesetzgebung von 1869 ist die Gerichtsbarkeit in Bankerottsachen in London einem Oberrichter, und ausserdem den Grafschaftsgerichten anvertraut, welche aber durch Registratoren sich auch in richterlichen Geschäften vertreten lassen können. Diese Registratoren sollen auch als provisorische Verwalter bis zur Erwählung von solchen durch die Gläubiger (trustees) fungiren. Diese Registratoren sind ungefähr dasselbe, was die juges commissaires des Französischen Rechtes, nur dass sie keine wirklichen Richterpersonen sind, sondern vom Obergantrichter angestellt und entlassen werden, und ganz von dessen Vollmachtsertheilung abhängig sind. Dies und die unklare Vermischung ihrer verschiedenen Functionen lässt das Englische System nicht als nachahmenswerth erscheinen. Eine ähnliche Mischung der Functionen ist auch in dem Nordamerikanischen Bankerottgesetz vom 2. März 1867 enthalten. Auch hier ist die Leitung der Bankerotte als ständiges Amt sog. Registratoren anvertraut, welche ein für allemal bestellt und vereidigt werden und Caution leisten, überdies die Qualification der Rechtsanwälte haben müssen. Dem Gericht ist dann nur die Entscheidung von Streitigkeiten vorbehalten. Solche Anwälte, welche aus diesem Geschäft ein besonderes Einkommen beziehen, können aber nie die Autorität und Zuverlässigkeit von Richterpersonen erlangen.
Es zeigt sich also, dass in den meisten Gesetzgebungen, mit Ausnahme der Deutschen, noch besondere Beamte mit mehr oder minder richterlichen Befugnissen neben dem Concursgerichte bestellt sind, welchem die Leitung des Concursverfahrens obliegt. Der Entwurf ist in dieser Beziehung dem Französischen System, als dem klarsten und zweckmässigsten, gefolgt.
3. Ob einer oder mehrere Concurs- (Masse-) Verwalter ernannt werden, hängt von dem Ermessen des Gerichts ab und muss sich nach dem thatsächlichen Bedürfniss, also hauptsächlich nach der Grösse und Lage des zu verwaltenden Concursvermögens richten. D. C. O. Art. 91. Diese Concursverwalter haben keine richterlichen Befugnisse, wie der Concurs-Commissär, sondern nur administrative Befugnisse, gleich den Liquidatoren einer aufgelösten Handelsgesellschaft (Art. 146—152.293—306). Ein wichtiger Unterschied zwischen den Concursverwaltern und anderen Liquidatoren besteht aber darin, dass erstere vom Gerichte, die letzteren von den Inhabern der Gesellschaftsfirma aufgestellt werden, und daher auch die ersteren den Weisungen des Gerichts, und nicht des Kridars oder der Gläubiger desselben unterworfen sind. Der Grund ist, dass Concursverwalter nur im Fall eines Bankerotts aufgestellt werden, durch den der Bankerotteur die eigene Verfügung über sein Vermögen verliert, während die Liquidation einer Handlungsgesellschaft der Regel nach deren Zahlungsfähigkeit voraussetzt und nur zum Zweck einer geordneten Abwicklung der Geschäfte erfolgt. Der Concursverwalter ist der Mandatar des Concursgerichts; er hat unter dessen, resp. des Commissärs Aufsicht und nach dessen Anweisungen die Vermögensrechte des Kridars auszuüben zu dem Zwecke, um die schliessliche Verthei-lung der Masse unter die Gläubiger zu bewirken.
In der Theorie herrscht Streit darüber, ob der Verwalter als Vertreter des Kridars oder der Gläubiger aufzufassen sei. Allerdings tritt der Verwalter an die Stelle des Kridars, allein nur weil dieser sein Recht der eigenen Vermögensverwaltung verloren hat und kein directes Interesse mehr haben kann an den Resultaten dieser Verwaltung; hiernach kann der Verwalter unmöglich den Kridar repräsentiren. Nach allen Gesetzgebungen steht der Verwalter unter der Aufsicht des Gerichts und wird auch nach den meisten von dem Gerichte ernannt, wobei man den Gläubigern mehr oder minder Einfluss darauf einräumt; da die Gläubiger nur Anträge stellen und für sich keinen gültigen Beschluss fassen können, so ist der Verwalter auch als Vertreter der Gläubiger undenkbar; wenngleich es in gewissem Sinne richtig ist, dass das Vermögen des Kridars auf seine Gläubiger übergeht, so folgt doch daraus noch nicht, dass nunmehr auch die Gläubiger als eine einheitliche Person (universitas personarum) anzusehen und zur selbständigen Verwaltung der Concursmasse berechtigt seien. Dieser—allerdings theilweise in der neuesten Englischen und Deutschen Gesetzgebung enthaltene—Gedanke ist durchaus modern und scheint einen gewissen unklaren Zusammenhang mit dem gleichfalls in neuerer Zeit über Gebühr ausgepriesenen Princip der administrativen Selbstverwaltung (selfgovernment) zu haben. Die Gesammtheit der Gläubiger, mit ihren widerstreitenden Interessen und ohne alle innere Verbindung, ist eine in Wirklichkeit nicht existirende Einheit; auch sind die Gläubiger erfahrungsgemäss zur Verwaltung der Masse sehr wenig geneigt und geeignet. Daher hat man in neuerer Zeit den Einfluss der Gläubiger auf die Ernennung der Verwalter und deren Verwaltung immer mehr beschränkt. Nach dem Französ. Gesetze von 1838 werden die verschiedenen Arten der Verwalter vom Gerichte ernannt. Code de comm. Art. 462 Abs. 1 u. 3. 529. D. C. O. Art. 70. Nach D. C. O. Art. 72 können hier allerdings die Gläubiger anstatt des vom Gericht ernannten Verwalters eine andere Person wählen ; allein da auch dieser Gewählte nur durch die Ernennung Seitens des Gerichts zur Ausübung seiner Functionen befähigt wird, und das Gericht diese Ernennung ohne weiteres versagen kann, so ist nicht recht einzusehen, wozu das Recht der Wahl den Gläubigern eingeräumt wurde; dieses sog. Recht der Wahl ist nichts weiter als das Recht, einen unmassgeblichen Vorschlag zu machen, ein Recht, das sich von selbst versteht und lieber mit seinem wahren Namen genannt werden sollte. Nach dem Engl. Gesetze von 1869 werden die Verwalter (trustees) von den Gläubigern ernannt und sind den Weisungen eines etwaigen Gläubigerausschusses, sowie den Beschlüssen der Gläubigerversammlung unterworfen; jedoch können auch in England dieselben vom Gerichte abgesetzt und ihre Verfügungen von demselben umgestossen werden. Gesetz von 1869 Art. 17. 14. 83. Bis zur Erwählung solcher trustees sind die bereits erwähnten Registratoren als provisorische Verwalter der Masse beschäftigt.
Der Entwurf hat, entsprechend der neueren Gesetzgebung, die Erwählung der Verwalter durch die Gläubiger und die Unterscheidung provisorischer und definitiver Verwalter fallen gelassen. D. C. O. Art. 71. Belg. H. G. B. Art. 462. 466. Holl. H. G. B. Art. 787. Ueberträgt man einmal die Ernennung dem Gerichte, so ist nicht einzusehen, warum diese Ernennung nur eine provisorische sein soll, und warum nach kurzen Zwischenräumen, sogar mehrmals, die Verwalter wechseln sollen. Der einzige Grund hiefür ist, dass man die Wahl den Gläubigern überlassen und womöglich Gläubiger zu Verwaltern wählen lassen will. Allein dieser Grund ist nicht stichhaltig, wie bereits vorhin gezeigt wurde. Formell juristisch ist das Verhältniss dies, dass die Verwaltungsrechte des Bankerotteurs an seinem Vermögen auf das Gericht übergehen. Das Vermögen wird gewissermassen zum Besten der Gläubiger confiscirt und verwaltet. Diese Befugniss kann nur dem Gericht zustehen. Es übt dieselbe unmittelbar aus durch den Commissär als Delegirten, was die richterlichen Befugnisse betrifft, und weiterhin durch die Verwalter als seine Agenten oder Mandatare, was die thatsächliche Geschäftsführung betrifft. Ein Einfluss darauf kann immerhin den Gläubigern und selbst dem Kridar eingeräumt werden, wie sich später im einzelnen zeigen wird. Allein Anträge und Beschwerden sind noch nicht das Recht der Verwaltung selbst. Dieses kann principiell nur dem Gericht durch die Organe des Comissärs und Verwalters zustehen. Auch aus practischen Gründen empfiehlt sich dieses am meisten, da zu Verfügungen über Concursmassen richterliche und geschäftliche Uebung und Erfahrung nöthig sind, die man bei den Gläubigern nicht voraussetzen kann, ebensowenig wie die Kenntniss der persönlichen und örtlichen Verhältnisse. Aus denselben Gründen wird sich auch die Ernennung, nicht von Gläubigern, sondern von practisch geübten und bewährten Con-cursverwaltern am meisten empfehlen; hauptsächlich von solchen, die dieses Geschäft gleich Mäklern gewerbmässig betreiben und darauf beeidigt oder sonst erprobt sein können. Dies ist, wie bereits erwähnt, in Nordamerika gesetzliche Regel, nur dass dort fehlerhafter Weise zugleich das Amt der Commissäre damit verbunden ist. Es ist auch in Belgien, H. G. B. Art. 455 ff., eingeführt (liquidateurs assermentés), und thatsächlich in Frankreich der Fall. Bravard V. p. 91. 301. Dieses Gewerbe gehört dort nach dem Gesetze vom 15. Mai 1850 zu den patentirten Gewerben. Hierüber wurde jedoch im Entwurfe keine specielle Vorschrift gegeben, sondern die Ernennung der Verwalter einfach dem Ermessen des Gerichts überlassen; sie kann somit aus der Zahl der Gläubiger oder sonstwie erfolgen; regelmässig wird letzteres der Fall sein, da zur Verwaltung Zeit und Geschick gehören, was den Gläubigern meist fehlen wird.
Die einzelnen Befugnisse und Obliegenheiten der Verwalter, sowie die Bedeutung des weiteren Inhaltes der Bankerotterklärung werden in den nachfolgenden Abschnitten näher dargelegt werden.
Art. 1037. Die Veröffentlichung der Bankerotterklärung ist in allen Gesetzgebungen vorgeschrieben; sie ist nothwendig, da die Interessen der verschiedensten Personen dadurch betroffen werden. Franz. Code de comm. Art. 442. D. C. O. Art. 103. Belg. H. G. B. Art. 472. Holländ. H.G.B. Art. 793. Engl. Gesetz von 1869 Art. 10. Die Blätter, in denen die Verkündigung stattfinden soll, können vorläufig noch nicht näher bezeichnet werden, es bleibt dies am besten der Anordnung des Justizministeriums überlassen. Zunächst kommen in Betracht der Staatsanzeiger und das etwa im Gerichtsbezirke erscheinende Amtsblatt. Sollten solche Blätter nicht existiren, so müsste ein anderes Blatt hiefür amtlich bestimmt werden. Uebrigens kann die Veröffentlichung durch die Blätter nur auszugsweise geschehen. Code de comm. Art. 442. D. C. O. Art. 103. Bravard V. p. 61.
Die Bankerotterklärung ist wie jedes richterliche Urtheil durch Berufung anfechtbar. Französ. Code de comm. Art. 440. 580. D. C. O. Art. 101. Belg. H. G. B. Art. 473. 465. Da die Ausführung des Bankerotturtheiles zu den eilenden Sachen gehört, indem die wichtigsten Interessen der Gläubiger durch weiteren Aufschub gefährdet werden könnten, so kann die Berufung keinen Suspensiveffect haben. Daher ist überall das Bankerotturtheil für ohne weiteres vollstreckbar erklärt, die Vollstreckung kann mithin durch keinen Widerspruch des Schuldners oder eines Gläubigers aufgeschoben werden; sonst läge die Gefahr vor, dass der ganze Zweck des Bankerottverfahrens vereitelt würde. Bravard V. p. 63.
Der zweite Absatz des Artikels hat den Zweck, ein weiteres Concursverfahren abzuschneiden, wenn dasselbe ganz und gar zwecklos sein würde wegen gänzlichen Mangels einer Concursmasse. Franz. Code de comm. Art. 527.528. D. C. O. Art. 190 —192. In der D. C. O. Art. 99 ist in diesem Falle auch die Abweisung des Bankerottantrags gestattet; allein dies ist durchaus nicht zu billigen, da auf diese Weise ein Schuldner, der gar keine Mittel mehr zur Befriedigung seiner Gläubiger besitzt, von der Bankerotterklärung befreit werden könnte, mithin auch den Folgen derselben nicht mehr unterworfen sein würde. Dies wäre geradezu eine Prämie für gewissenlose oder leichtsinnige Schuldner, und eine wahre Versuchung, ihr ganzes Vermögen durchzubringen oder bei Seite zu schaffen. Vielmehr muss auch in diesem Falle der Schuldner bankerott erklärt und damit den Rechtsfolgen des Bankerotts unterworfen werden, bis er den allgemeinen Grundsätzen gemäss rehabilitirt werden kann. Allein da das weitere Verfahren die Befriedigung der Gläubiger zum Zwecke hat, und diese im vorausgesetzten Falle nicht zu erwarten ist, so wäre dasselbe völlig zwecklos und ist daher einzustellen. Sollte das vorhandene Vermögen nicht einmal zur Deckung der Kosten dieses ersten Theiles des Verfahrens ausreichen, so muss das Verfahren doch bis zu diesem Punkte geführt und das Bankerotturtheil insoweit ausgeführt werden; die Kosten sind dann, da ihr Aufwand im öffentlichen Interesse liegt, vom Staate vorzuschiessen, und später, wenn der Schuldner wieder zu Vermögen kommen sollte, von diesem zurückzuerstatten. Code de comm. Art, 461. Bravard V. p. 298. 299.
Nach der Deutschen und Französischen Gesetzgebung soll die Einstellung des Verfahrens wegen Mangels einer Masse auch zugleich die Aufhebung der Wirkungen der Bankerotterklärung zur Folge haben, also namentlich der Dispositionsunfähigkeit des Schuldners und der Nothwendigkeit für die Gläubiger nur im Concursverfahren Befriedigung zu suchen. Gleichwohl kann der Schuldner jederzeit nachher durch den Nachweis einer vorhandenen Masse wieder in den Zustand des Bankerotts zurückgebracht werden. Dies ist kaum zu billigen und steht im inneren Widerspruch. Es erscheint viel richtiger, dass der Schuldner im Zustand des Concurses verbleibt und mithin alles, was er etwa später erwirbt, seinen sämmtlichen Gläubigern zu Gute kommt. Allerdings können dadurch spätere Gläubiger verkürzt werden, allein diese verdienen jedenfalls keinen Vorzug vor den älteren Gläubigern, da ein ganz mittelloser Kridar schwerlich wieder zu ehrlich verdientem Credit gelangen wird. Uebrigens ist die Französische Gesetzgebung in diesem Punkte unklar, indem auf der anderen Seite auch behauptet wird, dass der Zustand des Bankerotts mit der Folge der persönlichen Unfähigkeit des Kridars fortdauert, was zwar nicht consequenter, aber doch an sich richtiger scheint. Bravard V p. 487 — 491.
Art. 1038. Die Wirkung des Bankerotts ist, wie bereits früher angedeutet wurde, dass der Schuldner die Verfügung über sein Vermögen verliert. Dieselbe geht auf das Bankerottgericht über und dieses muss eine amtlich autorisirte Person aufstellen, welche in denjenigen Fällen, in denen kein eigentliches Urtheil zu fällen, sondern vielmehr nach persönlichem Entschluss zu handeln ist, die Befugnisse des Gerichts in Bezug auf das Vermögen und die Person des Schuldners auszuüben hat. Dies ist nun eben der Concurs-Commissär, der mithin als Bevollmächtigter des Gerichts in Bezug auf die Durchführung des Bankerottverfahrens anzusehen ist. Seine Vollmacht geht im allgemeinen dahin, den Bankerott zu leiten, also persönlich alle Verfügungen zu treffen, die nach dem Gesetze und in Anbetracht der Umstände nothwendig sind, sodann aber auch das Verfahren zu überwachen, soweit es in den Händen anderer Personen liegt, insbesondere soweit es von den Concursverwaltern abhängt. D. C. O. Art. 75. Seine Functionen im einzelnen aufzuzählen, wie es zum Theil im Belg. Gesetze Art. 463 und im Franz. Code Art. 452 geschehen ist, erschien nicht angemessen, da dies an diesem Orte doch nicht vollständig geschehen und aus den späteren Bestimmungen des Gesetzes am geeigneten Orte deutlicher erhellen wird. In Frankreich werden dem Commissär folgende Functionen zugeschrieben :
1) Ueberwachung der Concursverwalter. Code Art. 452 (Code von 1808 Art. 458).
2) Antrag auf Absetzung der Verwalter und Festsetzung ihres Honorars. Code Art. 467. 462.
3) Vortrag über alle Streitigkeiten vor dem Concursgerichte. Code Art. 452.
4) Ermächtigung der Verwalter zu gewissen Verwaltungsacten, an denen ein bedeutendes Interesse besteht, z. B. schneller Verkauf gewisser Product, Eingehung von Vergleichen etc. Code Art. 470. 487.
5) Berufung von Gläubiger-Versammlungen und Vorsitz in denselben. Code Art. 462. 505. 506. Insbesondere auch die Abfassung der Protokolle darüber.
6) Vorläufige Freilassung des Kridars. Code Art. 472.
7) Vorläufige Festsetzung der dem Schuldner und seiner Familie aus der Masse zu gewährenden Unterstützung. Code Art. 474.
8) Untersuchung der Ursachen und näheren Umstände des Bankerotts und Uebermittlung des darüber von den Verwal tern zu verfassenden Erachtens an den Staatsanwalt. Code Art. 477. 482.
Auch wenn diese und ähnliche Befugnisse im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt sind, müssen sie doch dem Commissär beigelegt werden, da sie in der Natur der ihm ertheilten Vollmacht enthalten sind. Allein der Commissär ist für alle seine Handlungen und Verfügungen dem Gerichte, seinem Vollmachtgeber, verantwortlich ; dieses kann daher auf Antrag der Betheiligten seine Verfügungen umstossen oder abändern, und es ist dem Betheiligten zu diesem Zwecke ein binnen einer Exclusivfrist von 14 Tagen auszuübendes Beschwerderecht verliehen. Ebenso im Franz. Code Art. 453. Belg. Gesetz Art. 463. D. C. O. Art. 66. Es versteht sich von selbst, dass das Beschwerderecht in gewissen Fällen cessiren kann, wenn dies im Gesetze ausdrücklich ausgesprochen ist. Einen anderen Standpunkt nimmt das Französ. Gesetzbuch ein, welches umgekehrt die Beschwerde an das Gericht nur in den ausdrücklich vom Gesetze bezeichneten Fällen zulässt. Code Art. 453. 466. 474. 530. 583. Dies wird selbst in Frankreich nicht gebilligt (Bravard V. p. 108) und man hat dieser Bestimmung hauptsächlich das Ausbleiben der wohlthätigen Wirkungen des neuen Gesetzes von 1838 zugeschrieben, da der Commissär dadurch fast ganz frei von Controle und Verantwortung, und die strenge Erfüllung der Vorschriften des Gesetzes etwas ungewisses und von der Persönlichkeit des Commissärs abhängiges wird. Auch widerspricht dies dem allgemeinen Princip, gegen jede richteramtliche Verfügung durch nochmalige Prüfung Schutz zu gewähren, und wäre namentlich in Japan, bei der Neuheit der Europäischen Concurs-regeln, bedenklich. Daher wurde ebenso wie im Deutschen und Belgischen Gesetz die Anfechtbarkeit der Verfügungen des Commissärs als Regel ausgesprochen, jedoch auf eine kurze Nothfrist beschränkt, damit nicht durch häufige Widersprüche Einzelner die nothwendige Schleunigkeit des Verfahrens leidet. Auch sind die Verfügungen des Commissärs stets vorläufig vollstreckbar, wie auch nach Belgischem Gesetz Art. 463. D. Civilproz. v. 1877 Art. 535. Franz. Code Art. 466.
Wenn das Gericht auf die Beschwerde erkannt hat, soll eine weitere Berufung gegen diese Erkenntnisse nicht mehr stattfinden. Dies ist den allgemeinen Grundsätzen über die Verfolgung von Beschwerden gemäss. D. C. O. Art. 531. Belg. Gesetz Art. 465 Nr. 5. Franz. Code Art. 583 Nr. 5. Der Grund hiefür ist, dass für den Gegenstand einer Beschwerde, der mit dem Inhalt eines förmlichen Endurtheils nicht zu verwechseln ist, die zweimalige richterliche Prüfung, einmal durch den Commissär und sodann durch das Gericht genügen muss.
Die Beschleunigung des Verfahrens ist im Franz. Code Art. 452 und im Belg. Gesetz Art. 463 den Commissären ausdrücklich zur Pflicht gemacht. Allein dieses Gebot gilt auch für die am Verfahren betheiligten Gerichte, es kann somit nicht ausschliesslich den Commissären anvertraut werden; vielmehr erschien es richtiger, die Schleunigkeit des Verfahrens, insbesondere durch kurze Fristen und Vermeidung aller nicht nöthigen Weitläufigkeiten und Formalitäten, als ein allgemeines Gebot für das Verfahren überhaupt aufzustellen. Allerdings ist der Commissär besonders berufen für die Beschleunigung zu wirken, da er persönlich den Lauf des Verfahrens zu bestimmen und zu beeinflussen hat.
In manchen Gesetzen, so im Franz. Code de comm. Art. 583 und Belg. Code Art. 465, ist auch die Berufung von förmlichen Urtheilen des Bankerottgerichts in manchen Fällen speciell ausgeschlossen. Diese Fälle sind hauptsächlich solche, in welchen regelmässig der Commissär vorher Verfügung zu treffen hat, sie fallen daher meist unter die bereits vorher in diesem Artikel ausgesprochene Regel. Es erschien daher einfacher, diese Ausnahmen bei Seite zu lassen, um nicht durch zu viele Unterscheidungen das leichte Verständniss zu erschweren. Auch in der D. C. O. findet sich eine derartige Bestimmung über die Unanfechtbarkeit der Urtheile nicht und es sind dieselben nur in einzelnen wenigen Fällen jeder Anfechtung entzogen. Art. 87. 88. 151. 174 Nr. 3. 175.
II. Titel. Wirkungen des Bankerotts.
Art. 1039. Die Wirkungen des Bankerotts sind doppelter Art. Sie beziehen sich entweder auf Rechtsverhältnisse, welche nach dem Eintritt des Bankerotts, oder auf solche, welche bereits vorher entstanden sind. Von den ersteren handeln die Art. 1039-1045, von den letzteren die Art. 1046-1049. Die ersteren sind wieder verschieden, je nachdem sie erst durch die Bankerotterklärung, oder schon durch die Zahlungseinstellung eintreten. Formell ist Jemand immer nur im Zustand des Bankerotts, wenn er durch ein gerichtliches Urtheil in Bankerott erklärt ist; diese Bedingung gilt auch für den Eintritt derjenigen Bedingungen, welche schon an die Einstellung der Zahlungen angeknüpft werden. Die Zahlungseinstellung ist also immer im Sinne einer darauf folgenden Bankerotterklärung zu ver stehen, und ohne letztere können die in diesem Titel behandelten Wirkungen der Zahlungseinstellung nicht eintreten. Denn eine Zahlungseinstellung wird rechtlich nicht angenommen, wenn sie nicht gerichtlich constatirt ist. Eine Zahlungseinstellung, die keinen Bankerott nach sich zieht, kann niemals die Wirkungen des Bankerotts herbeiführen (Bravard V. p. 197 Anm. 2), ausgenommen soweit etwa specielle gesetzliche Bestimmungen einzelne Wirkungen daran knüpfen. Vgl. z. B. Art. 840.
Die Regel ist, dass die Wirkungen des Bankerotts erst mit der Bankerotterklärung eintreten, weil erst von diesem Zeitpunkt an der Bankerott im vollen Rechtssinne vorhanden ist. Die Bankerotterklärung ist ein Ausspruch des Gerichts, durch welchen der Schuldner seine rechtliche Freiheit und Selbständigkeit, insbesondere in Bezug auf sein Vermögen, verliert. Dies ist eine nothwendige Folge für denjenigen, welcher seine Unfähigkeit dargethan hat, seine Angelegenheiten in eigener Person zu verwalten. Wer seine Verbindlichkeiten überhaupt nicht mehr erfüllt, ist entweder ein Betrüger oder gleich einem Unmündigen oder Verschwender anzusehen, mit denen man keinen ordentlichen Rechtsverkehr haben kann. Daher wird er unter gerichtliche Controle genommen und sein Vermögen zum Besten seiner Gläubiger durch' öffentlich aufgestellte Organe verwaltet. Die Gläubiger treten insoweit factisch an die Stelle des Schuldners, und die weitere Aufgabe des Concursverfahrens besteht darin, die Gläubiger gleichmässig zu befriedigen, damit sie durch den Bankerott so wenig als möglich Schaden erleiden. Der Staat muss die Erfüllung dieser Aufgabe in die Hand nehmen und die gesetzlichen Wirkungen des Bankerotts an dem Bankerotteur zum Vollzug bringen, damit nicht die Unfähigkeit, die Unehrlichkeit und der Leichtsinn im Handel und Wandel freies Spiel haben. Credit und Handel können sich ohne diese Sicherungsmassregeln für die Gläubiger nicht entwickeln. Die Gerechtigkeit verlangt, dass diese strengen Wirkungen nur gegen den geltend gemacht werden, der durch gerichtliches Urtheil bankerott erklärt ist, über dessen bankerotten Zustand mithin kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen kann. Indessen liegt zwischen der Zahlungseinstellung und dem Bankerotturtheil immer ein längerer oder kürzerer Zwischenraum, den der Bankerotteur dazu benützen könnte, um den Zweck des Bankerottverfahrens zu vereiteln und seine Gläubiger oder einzelne derselben noch weiterhin zu benachtheiligen, oder die einen auf Kosten der anderen zu begünstigen. Um dies zu verhüten, müssen gewisse Wirkungen des Bankerotts, unter der oben bemerkten Bedingung des nachfolgenden Urtheils, schon an die Zahlungseinstellung angeknüpft werden, und es ist dies auch in allen Gesetzen mit ziemlicher Uebereinstimmung geschehen. Diese Erörterung war vorauszuschicken, um den Inhalt dieses Titels im allgemeinen zu rechtfertigen und verständlich zu machen.
Noch ist allgemein zu bemerken, dass -die Wirkungen des Bankerotts sich nur auf das Vermögen, nicht auf die persönlichen Verhältnisse des Bankerotteurs erstrecken. Wenigstens handelt von den Wirkungen der letzteren Art nicht die Handelsgesetzgebung. Die Ehe, die väterlichen, vormundschaftlichen oder publicistischen Rechte des Bankerotteurs bleiben also nach wie vor bei Bestand, obgleich zuweilen bestimmt ist, dass ein Bankerotteur nicht mehr Abgeordneter oder Beamter u. dgl. sein kann. Allein diese letzteren Fälle gehören nicht in das Handelsrecht und bleiben daher hier unbeachtet. Auch verliert der Bankerotteur nicht seine Selbständigkeit überhaupt, er kann also ungehindert Verträge eingehen oder Prozesse führen; nur seine Vermögensrechte werden forthin unter gerichtliche Controle genommen, mögen sie bewegliches oder unbewegliches Vermögen betreffen, solange er sich im Zustande des Bankerotts befindet. Die Wirkungen des Bankerotts treten also auch ein in Bezug auf das Vermögen, welches er später erwerben sollte, durch Erbschaft, Handel, Arbeit, Glücksfälle u. dgl. Dies ist in den meisten Gesetzen ausdrücklich ausgesprochen. Franz. Code Art. 443. Belg. Code Art. 444. Holl. H. G. B. Art. 770. Span. H. G. B. Art. 1035. Engl. Gesetz von 1869 Art. 15. Auch die älteren Deutschen Concursgesetze, so das Preussische von 1855 Art. 1, das Bayerische Prozessgesetz von 1868 Art. 1208 u. a. hatten diese Bestimmung. Nur das neue Deutsche Concursgesetz von 1877 Art. 1 beschränkt die Wirkungen des Concurses auf das zur Zeit der Bankerotteröffnung dem Schuldner gehörende Vermögen. Der Entwurf ist dieser Neuerung nicht beigetreten, da sie das leichtsinnige Bankerottiren in hohem Grade befördert und den Zweck des Bankerottverfahrens bedenklich abschwächt. Die Wirkungen des Bankerotts beziehen sich mithin auch auf das später dem Kridar zufallende Vermögen, und er darf darüber nicht selbständig verfügen, so lange bis er nicht rehabilitirt, d. h. aus dem Zustande des Bankerotts entlassen ist. Nur unter dieser Bedingung hat die Bankerotterklärung wirklich ernstliche Folgen für den Bankerotteur und ist dieser wirksam gezwungen, die möglichst baldige und vollständige Befriedigung seiner sämmtlichen Gläubiger anzustreben. Der Bankerotteur wird also privatrechtlich ein unfreier Mann, und bleibt dies solange, bis er die letzten Spuren derselben getilgt hat. Die Verwaltung seines Vermögens, also die Ausübung seines Gewerbes, die Bewirthschaftung seiner Güter, die Einziehung von Forderungen und die Bezahlung von Schulden, sowie die Abschliessung der darauf bezüglichen Rechtsgeschäfte und die Verwendung seiner etwaigen späteren Einnahmen geht auf die Masseverwalter unter Aufsicht des Concurscommissärs füber, wie sich später des näheren zeigen wird.
Im nachfolgenden Theile des Artikels werden nach dem Beispiel der übrigen Gesetzgebungen die hauptsächlichsten Folgen der rechtlichen Unselbständigkeit des Kridars im einzelnen hervorgehoben. Franz. Code de comm. Art. 443. Belg. Code Art. 452. D. C. O. Art. 8. 9. Diese Hervorhebung erscheint auch desshalb zweckmässig, um etwaige Zweifel über diese Punkte zu verhüten. Der Kridar verliert nämlich nicht nur die Fähigkeit, freiwillige Rechtshandlungen in Bezug auf sein Vermögen vorzunehmen, also Verträge abzuschliessen, Zahlungen zu leisten oder zu empfangen, zn verkaufen, zu vermiethen u. s. w., sondern er verliert auch die Prozessfähigkeit, da auch in der Rechtshandlungen, welche die Führung eines Prozesses mit sich bringt, eine Verfügung über das Vermögen enthalten ist, indem die Gerichte nur nach Massgabe der Erklärungen und A nträge des Klägers und resp. Beklagten Entscheidungen treffen. Im Franz. Code ist nur von den Prozessen die Rede, in denen der Kridar die Rolle des Beklagten einnimmt ; nicht als ob derselbe die active Rolle als Kläger fortdauernd übernehmen könnte, sondern nur weil die passiven Prozesse des Kridars die häufigsten sein werden. Bravard V. p. 121. 125. Diese Wirkungen treten, wie bemerkt, ein nur in Bezug auf die das Vermögen des Kridars betreffenden Prozesse, nicht auf solche, die seine rein persönlichen Rechte oder Verbindlichkeiten betreffen. Franz. Code civil Art. 1166. Z. B. die Klagen auf Ehescheidung, auf Anerkennung der Vaterschaft, auf Aufhebung einer Vormundschaft u. dgl. müssen nach wie vor gegen den Kridar in Person erhoben werden. Es gibt jedoch Klagen, deren Character in dieser Beziehung zweifelhaft sein kann, indem sie sowohl die Person des Kridars, als sein Vermögen betreffen können, wenn nämlich auf Grund rein persönlicher Rechtsverhältnisse Vermögensansprüche gegen den Kridar oder von ihm erhoben werden, wie z. B. die Klagen auf Alimentation, auf Herausgabe von Mündelvermögen, auf Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft u. a. Das Richtigere wird hier immer sein, dass der Prozess gegen die Masseverwalter erhoben werden muss, sobald er eine Wirkung auf das Vermögen des Kridars äussern, also dasselbe vermindern oder vermehren kann; jedoch wird in solchen Fällen die persönliche Mitwirkung des Kridars nicht zu entbehren sein und derselbe kann daher als Streitgenosse (Intervenient) in den Prozess eintreten. Franz. Code Art. 443. Belg. Code Art. 452. Bravard V. p. 124. 126. Würde aber der Kridar durch ein Criminalurtheil zu einer Entschädigung verurtheilt, so wäre offenbar dasselbe nur gegen die Person des Kridars selbst zu richten, da in Criminalsachen nur die Schuld oder Unschuld, nicht aber die Dispositionsfähigkeit in Bezug auf das Vermögen in Frage kommen kann.
In mehreren Gesetzgebungen, so Franz. Code Art. 455, Belg. Code Art. 453, ist noch bestimmt, dass vom Zeitpunkt des Bankerott-urtheils an keine weitere Verhaftung des Schuldners wegen Schulden mehr stattfinden kann. Dies folgt von selbst daraus, dass die Schuld haft ein persönliches Executionsmittel gegen den Schuldner ist, das nothwendig seine Anwendbarkeit verlieren muss, wenn der Schuldner nicht mehr persönlich zahlen und keine Execution gegen ihn mehr ins Werk gesetzt werden kann. Da aber die Schuldhaft in den neuesten Gesetzgebungen fast durchweg aufgehoben wurde, in Frankreich durch Gesetz vom 22. Juli 1867, und die etwaige Verhaftung des Schuldners als eine Massregel des Bankerottverfahrens daneben immer noch stattfinden kann, so erschien es richtiger, diesen Punkt hier völlig unerwähnt zu lassen.
Art. 1040. Dieser Artikel ist dem Franz. Code Art. 450 und dem Belg. Code Art. 454 nachgebildet. Er setzt voraus, dass specielle Zwangsvollstreckungen in das Vermögen des Kridars, die aber nach dem vorhergehenden Artikel gegen die Verwalter zu richten sind, überhaupt stattfinden können, und zwar hier zu Gunsten des Vermiethers oder Verpächters einer dem Kridar vermietheten oder verpachteten Sache wegen des rückständigen Mieth- oder Pachtzinses; diese Voraussetzung beruht darauf, dass Vermiether und Verpächter an dem eingebrachten beweglichen Vermögen des Miethers oder Pächters ein Pfandrecht haben, das sie zu Absonderungsansprüchen berechtigt. S. z. B. D. C. O. Art. 41 Ziff. 2. 4. Könnte nun dieses Executionsrecht rücksichtslos ausgeübt werden, so hätte es die Beschlagnahme der Sicherungsobjecte und die plötzliche Unterbrechung des Gewerbsbetriebes zur Folge, was auf die angemessene Abwicklung der Geschäfte, insbesondere den preiswürdigen Verkauf der Gewerbsobjecte nachtheiligen Einfluss äussern würde. Um diese Beschädigung der übrigen Gläubiger und des Kridars zum ausschliesslichen Vortheil eines einzelnen Gläubigers zu verhüten, wird der Ausübung seines Rechtes eine billige Frist gesteckt, innerhalb deren die Nachtheile der plötzlichen Aufhebung des Geschäftes so gut wie möglich abgewendet werden müssen, insbesondere dadurch, dass man den Vermiether oder Verpächter in der Zwischenzeit vollständig befriedigt und ihm dadurch den Anlass zur Ausübung seines Vorzugsrechts benimmt. Bravard V. p. 143. Uebrigens ist dies nur als eine zeitweise Beschränkung seines Pfandrechts, nicht auch seines Eigenthumsrechtes aufzufassen. Wenn also der Contract überhaupt zu Ende wäre oder vom Eigenthümer durch Kündigung zu Ende gebracht werden könnte, und dieser wieder den Besitz seiner Sache an sich zu nehmen befugt wäre, so würde er hieran durch das Gesetz nicht gehindert; denn dieser kann ihn offenbar nicht zwingen, den Pachtoder Miethvertrag gegen seinen Willen zu erneuern. Auch bezieht sich diese Beschränkung nicht auf solche Sachen, die nur zum persönlichen Gebrauch des Kridars, im Gegensatz zu gewerblichen oder überhaupt productiven Gebrauchszwecken dienen, und es sind dadurch anderweitige Sicherungsmassregeln, z. B. Fürsorge gegen das heimliche Wegschleppen der Sachen, nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung des Belgischen Gesetzes, welche noch weiter geht, indem sie sich auf das gesammte Mobiliar erstreckt und die Frist bis zum Schlusse des Verificationsverfahrens hinausschiebt, ist als eine unnöthige Begünstigung des Kridars und der Masse nicht zu billigen.
Art. 1041. Dieser Artikel bildet das Seitenstück zu dem Inhalt des Art. 1039. Nicht nur der Schuldner verliert die persönliche Ausübung seiner Vermögensrechte und es wird sein Vermögen einheitlich zum Vortheil der Gesammtheit seiner Gläubiger von Gerichtswegen verwaltet; sondern auch die Gläubiger verlieren als solche ihre Einzelrechte und deren individuelle Ausübung, und jeder kann seine Rechte nur einheitlich und in Concurrenz mit allen übrigen Gläubigern geltend machen. Mit anderen Worten, seine Forderung verliert ihren ordentlichen Rechtscharacter und verwandelt sich in einen Anspruch auf einen verhältnissmässigen Antheil (Dividende) an der Concursmasse. Dies ist nothwendig, weil sonst das Bankerottverfahren in eine Anzahl von Einzelexecutionen zersplittert und der eigentliche Zweck dieses Verfahrens nicht erreicht werden würde. Da von dem Augenblick der Bankerotterklärung an das Vermögen des Schuldners in die Hand des Gerichts genommen wird, um die Befriedigung der sämmtlichen Gläubiger zu sichern, kann kein einzelner Gläubiger daran mehr besondere Rechte ausüben; die gesammte Schuldenmasse wird gewissermassen eine einheitliche Schuld, an der jeder Gläubiger verhältnissmässig participirt. D. C. O. Art. 11. Belg. Code Art. 453. Holl. H. G. B. Art. 771. Im Französischen Code de commerce ist dieses Princip nur indirect ausgesprochen, so z. B. in Art. 527. 539; es ist aber daraus mit voller Sicherheit zu entnehmen, dass es auch im Französischen Rechte gilt, und von der Jurisprudenz vollständig anerkannt. Bravard V. p. 129 ff.
Auf diejenigen Gläubiger, denen eine Absonderungsrecht zusteht, findet dieses Princip keine Anwendung. Das sind nämlich solche Gläubiger, die zu ihrer Befriedigung nicht auf das Vermögen des Schuldners im allgemeinen angewiesen sind, sondern an speciellen Vermögensobjecten desselben ein ausschliessliches oder vorzügliches Befriedigungsrecht erlangt haben, wie namentlich die Hypothekenund Pfandgläubiger, die Retentionsberechtigten u. s. w. Es liegt in dem Begriff ihres Sicherheitsrechtes, dass sie dadurch von der Concurrenz aller übrigen Gläubiger befreit sind und aus ihrem Sicherheitsobject unmittelbar und ausschliesslich Befriedigung verlangen können.
Art. 1042. Diese Vorschrift ist im Princip in allen Gesetzgebungen anerkannt. Franz. Code de comm. Art. 444. Belg, Code Art. 450. D. C. O. Art. 58—60. Holl. H. G. B. Art. 778. Span. H. G. B. Art. 1043. Engl. Gesetz von 1869 Art. 31. Ihre Nothwendigkeit ergibt sich daraus, dass auch nicht fällige Forderungen den Gläubigern ein Recht des Anspruches an das Vermögen des Schuldners verleihen, wenngleich dasselbe ohne den Eintritt des Bankerotts erst später hätte ausgeübt werden können. Die Einheit unter den Gläubigern würde aber aufgehoben, wenn man einen Theil derselben länger warten lassen wollte, und die Beendigung des Verfahrens unnöthiger Weise in die Länge gezogen. Der Schuldner hat kein Interesse daran, die Befriedigung der nicht fälligen Forderungen zu verschieben, da sein Vermögen ihm ohnehin abgenommen wird; auch ist durch den Eintritt des Bankerotts der rechtmässige Grund des gewährten Credits, nämlich das Vertrauen in die künftige Zahlung, hinweggenommen, Code Nap. Art. 1188, der Schuldner kann also die Wohlthat des Aufschubs der Zahlung nicht länger in Anspruch nehmen. Darin liegt zugleich die Rechtfertigung dafür, diese Wirkung auf die Verbindlichkeiten des Kridars beschränkt wird; sie findet keine Anwendung auf die Verbindlichkeiten des Bürgen oder sonstigen Mitverpflichteten des Kridars, und auf die Forderungen des Kridars, insbesondere gegen die Concursgläubiger, wesshalb auch die Compensation mit Fortderungen der letzteren Art ausgeschlossen ist. Bravard. V. p. 160. Das deutsche Gesetz geht in dieser Beziehung weiter, indem es in Art. 58 die betagten Forderungen überhaupt als fällig erklärt; dies ist jedoch nicht zu billigen, da nicht einzusehen ist warum die Bürgen oder Schuldner des Kridars durch dessen Bankerott die Wohlthat des späteren Termins verlieren sollen.
Die Fälligkeit einer Forderung kann aufgeschoben sein entweder durch eine Zeitbestimmung oder durch eine Bedingung; zwischen diesen Forderungen wird im Gesetz kein Unterschied gemacht, es können also auch bedingte Forderungen gegen den Kridar sofort angemeldet und bei der Vertheilung der Masse berücksichtigt werden; ebensowenig wird zwischen aufschiebenden und auflösenden Bedingungen unterschieden. Indessen ist der Gläubiger verpflichtet, Sicherheit zu leisten für die Rückzahlung des Empfangenen für den Fall, dass die suspensive Bedingung später nicht eintreten oder die auflösende Bedingung später eintreten sollte. Denn dann wäre die Forderung selbst aufgehoben und der Gläubiger müsste zurückgeben, was er unberechtigter Weise empfangen hätte. Alauzet, Comment. du Code du comm. VII. Nr. 2486. Wilmowsky, D. R. K. O. p. 184. Die D. C. O. Art. 60 lässt im Falle der suspensiven Bedingungen nur einen Anspruch auf Sicherung zu. Der Entwurf folgt hierin der Mehrzahl der übrigen Gesetzgebungen, in Uebereinstimmung mit den älteren Deutschen Gesetzen, Sarwey p. 431, da das allgemeine Princip, welches die Fälligkeit der Forderungen im Concurs bestimmt, nämlich die Nothwendigkeit der einheitlichen Behandlung sämmtlicher Gläubiger als überwiegend anzusehen ist.
Daher können auch diejenigen, welche für den Kridar eine Bürgschaft übernommen haben, ihre daraus entspringende Forderung gegen denselben sofort anmelden, obgleich dieselbe nur unter der Bedingung existent wird, dass sie die Forderung an den Gläubiger wirklich bezahlt haben, und es könnte mithin kommen, dass beide Forderungen, einmal die des Gläubigers und sodann die des Bürgen im Concurs geltend gemacht werden. Code civ. Art. 2032 Ziff. 2. Sarwey p. 433 ff.
Wenn es sich um die Geltendmachung von Obligationen handelt, deren Rückzahlung nach gewissen Terminen zu einem höheren Curse stipulirt wurde, so kann bei ihrer Befriedigung nicht diser höhere Cours, sondern nur der Emissionscours in Rechnung kommen, da der damit in Aussicht gestellte Capitalgewinn nicht schon vorher in Anspruch genommen werden kann. Alauzet, Comment. VII. Nr. 2486 Note 140.
Zwischen einfachen und privilegirten oder mit einer Sicherheit versehenen Gläubigern wird gleichfalls kein Unterschied gemacht; daher können Hypothek- und Pfandgläubiger auch hier sofort ihre Sicherheitsrechte geltend machen. Manche Juristen sind jedoch der Meinung, dass, wie auch schon nach Römischem Rechte, vor Eintritt der Bedingung oder des Termins der Verkauf der Sicherheitsobjecte nicht zulässig sei. Allein zu dieser Beschränkung ist kein hinreichender Grund gegeben, da durch den Concurs des Schuldners die Lage sich verändert hat und die Gewährung eines weiteren Aufschubes beim Eintritt der Zahlungseinstellung keinen Sinn mehr hätte. Bravard V. p. 157. Jene auch von Deutschen Juristen (s. Wil-mowsky p. 182) angenommene Beschränkung ist auf die irrige Meinung zurückzuführen, dass die Absonderungsberechtigten ausserhalb des Concursverfahrens stünden.
Der Vortheil, welchen die Concursgläubiger durch die frühere Bezahlung der ihnen geschuldeten Summe erhalten, nämlich die sog. Zwischenzinsen (Disconto), wird ihnen nicht angerechnet; es kann also der Betrag des Disconto von ihrer Forderungssumme nicht abgezogen werden. Bravard V. p. 164 Note 1. Nach dem Span, H. G. B. Art. 1043, dem Belg. Code Art. 450 und der D. C. O. Art. 58 soll jedoch bei betagten unverzinslichen Forderungen der Betrag des Disconto abgezogen werden; ebenso nach dem Holl. H. G. B. Art. 778 wenigstens dann, wenn die Fälligkeit mindestens 3 Jahre später eintreten würde oder die Verbindlichkeit in jährlichen Ratenzahlungen bestand. Der gewöhnlichen Billigkeit scheint allerdings ein solcher Abzug mehr zu entsprechen. Indessen ist die Verbindlichkeit zur Anrechnung eines Disconto bei der Zahlung nicht fälliger Forderungen auch in anderen Fällen keine allgemeine Regel (Art. 385), auch kann man sie im Concurs durchaus nicht als einen blossen Vortheil des Gläubigers ansehen, dem in vielen Fällen vielmehr die unerwartete Heimzahlung der Schuld nicht erwünscht sein mag. Da überdies der Gläubiger meist durch den Bankerott am Capital verlieren wird, und die frühere Heimzahlung nicht freiwillig, sondern kraft gesetzlicher Nothwendigkeit im Interesse aller Theile erfolgt, so hat man sich für den Standpunkt des Französ. Rechts entschieden, die Anrechnung eines Disconto demnach mit Stillschweigen übergangen.
Uebrigens ist zu bemerken, dass die in diesem Artikel aufgestellte Regel auf zweiseitige oder synallagmatische Verträge keine Anwendung findet. Gesetzt z. B. der Kridar hätte als Käufer einen Lieferungsvertrag mit einer Frist von 3 Monaten abgeschlossen, so würde durch den eingetretenen Bankerott diese Lieferungsfrist nicht beesitigt und es könnte der Kridar nicht etwa schon vorher zur Bezahlung des Kaufpreises angehalten werden, denn die letztere braucht niemals vor der Lieferung der Sache zu erfolgen. Alauzet, Comment. VII. Nr. 2485.
Wenn von mehreren solidarisch Verpflichteten einer, oder mehrere, in Concurs erklärt werden, so kann der Gläubiger den vollen Betrag seiner Forderung gegen jede Concursmasse geltend machen, wenngleich er von der einen nur soviel erhalten kann, als er nicht bereits von einer anderen erhalten hat. Dies ist in der D. C. O. Art. 61 ausdrücklich verordnet, es folgt aber von selbst aus den bereits in Art. 332 und 333 ausgesprochenen Rechtssätzen, sowie aus den Rechtswirkungen der Zahlung, braucht daher hier nicht weiter besonders erwähnt zu werden.
Der zweite Absatz des Art. 1042 enthält eine Ausnahme von der vorher aufgestellten Regel, dass die Vordatirung der Fälligkeit nur gegen den Kridar, nicht auch gegen andere Verpflichtete, insbesondere dessen Bürgen, stattfinden soll. Diese Ausnahme rechtfertigt sich durch das Bedürfniss, den Wechseln im Verkehr möglichste Sicherheit zu verleihen, da sie meist an Stelle der Baarzahlungen gebraucht werden. Alle diejenigen, die ihre Unterschrift auf einem Wechsel gegeben haben, sind dem Inhaber zu dessen Bezahlung solidarisch verpflichtet, vor allem der Acceptant eines Wechselbriefes und der Aussteller eines Wechselscheines, der in gewisser Beziehung dem Acceptanten gleichzustellen ist, sodann die sämmtlichen Regresspflichtigen. Unter den letzteren nimmt der Aussteller des Wechselbriefes eine hervorragende Stellungein, weil der Wechsel von ihm ausgegangen ist und seine Verbindlichkeit und Zahlungsfähigkeit für den Inhaber hauptsächlich in Betracht kommen wird, da die Indossanten mehr zufällig auf den Wechsel kommen. Durch den Bankerott der drei genannten Personen, des Acceptanten, des Ausstellers eines Wechselscheines und des Ausstellers eines Wechselbriefes, wird daher die Sicherheit des Wechsels in besonderem Grade verletzt und desshalb bestimmt das Gesetz, dass in solchen Fällen der Inhaber des Wechsels Sicherheit verlangen kann oder der Wechsel ohne weiteres bezahlt werden muss. Ebenso ist in anderen Gesetzen bestimmt. Franz. Code Art. 444. Belg. Code Art. 450. D. W. O. Art. 29. Demnach wird vorausgesetzt, dass der Bezogene nach erfolgter Annahme, oder der Aussteller eines Wechselscheines (Eigenwechsels, Ordrebillets), oder der Aussteller (Zieher) einer Tratte nach nicht erfolgter Annahme in Concurs gerathen sind; und unter dieser Voraussetzung kann von den übrigen Wechsel verpflichteten Caution verlangt werden, wenn sie nicht vorziehen, die Wechselsumme unmittelbar zu bezahlen. Dass dieser Anspruch gegen den Aussteller einer Tratte nur bei nicht erfolgter Acceptation zugestanden wird, hat seinen Grund darin, dass bei erfolgter Annahme schon das Accept eine genügende Sicherheit bietet und der Wechselinhaber nicht durch eine doppelte Sicherheit begünstigt werden soll. Bei Wechselscheinen ist bekanntlich eine Acceptation nicht erforderlich. Auf den Bankerott von anderen Wechselverpflichteten, also von Indossanten, wird diese Bestimmung nicht ausgedehnt, da deren Namen bei der Beurtheilung der Sicherheit von Wechseln verhältnissmässig weniger in Betracht kommen, also die Ausnahme von der Regel nicht zu weit erstreckt werden darf. Bravard V. p. 169 ff.
Art. 1043. Diese Bestimmung findet sich auch in den übrigen Gesetzgebungen. Franz. Code de comm. Art. 445. Belg. Code Art. 451. D. C. O. Art. 56. Engl. Gesetz von 1869 Art. 36. Smith, merc. law p. 604. Der Grund hiefür ist, dass mit der Bankerotterklärung die Schulden des Kridars Masseschulden werden und im gleichen Verhältniss aus der Masse getilgt werden müssen. Die Forderungen verwandeln sich in Ansprüche auf eine Dividende, mit deren Natur Zinsenansprüche unvereinbar wären. Bravard V. p. 182. Uebrigens tritt diese Wirknng nur ein gegenüber der Masse, nicht gegenüber der Person des Schuldners; dieser bleibt seinen Gläubigern fortwährend auch in Betreff ihrer Zinsenansprüche verpflichtet; er kann daher nicht eher rehabilitirt werden, als bis er seine Gläubiger für alle ihre Forderungen, Zinsen und Kosten eingerechnet, befriedigt hat.
Die Ausnahme für die mit speciellen Sicherheiten versehenen Gläubiger rechtfertigt sich von selbst aus der Natur und dem Zweck dieser Sicherheiten. Sie erhalten aus dem Erlös der Pfänder etc. etc. keine Dividende, sondern den vollen Betrag ihrer Forderungen.
Soweit sie aber auf Befriedigung aus der gemeinschaftlichen Masse Anspruch machen, können sie gleichfalls keine Zinsen mehr geltend machen.
Art. 1044. Die vorausgehenden Artikel 1039—1043 hatten die Wirkungen des Bankerotts in Betreff der nach der Bankerotterklärung von dem Kridar vorgenommenen Handlungen zum Gegenstand. Die nunmehr folgenden zwei Artikel beziehen sich auf diejenigen Rechtshandlungen, welche der Kridar vor der Bankerotterklärung zum Nachtheil seiner Gläubiger vornehmen könnte. Es versteht sich von selbst, dass sich die Wirkungen des Bankerotts nicht auf den ganzen vor der Bankerotterklärung liegenden Zeitraum erstrecken können, also namentlich auf die Zeit, in welcher der Schuldner noch vollkommen sicher war und seine Zahlungseinstellung nicht einmal in Aussicht stand; denn es wäre völlig ungerecht und practisch undurchführbar, die Verfügungen einer Person über ihr Eigenthum desshalb für unwirksam zu erklären, weil dieselbe zu irgend einer späteren Zeit in Bankerott gerieth. Vielmehr muss hier eine bestimmte und ohne weiteres erkennbare Zeitgrenze gesteckt werden, die mit dem Zeitpunkt beginnt, an welchem der Schuldner thatsächlich in den Zustand des Bankerotts gerathen ist. Dieser Zeitpunkt ist offenbar das Datum der Zahlungseinstellung; denn solange Jemand seine Gläubiger befriedigt und überhaupt seinen Verpflichtungen nachkommt, besteht keine Veranlassung, ihm die persönliche Freiheit in Ansehung seines Vermögens zu entziehen. Gewöhnlich geht aber der Zahlungseinstellung eine Periode voraus, in welcher der Schuldner nur noch den Schein der Zahlungsfähigkeit aufrechterhält, in Wirklichkeit aber bereits bankerott ist; in welcher er bereits wankt und sich nur noch künstlich aufrecht erhält. Dies ist ein Zustand der verschleierten Zahlungsunfähigkeit, in welchem man dem Schuldner nicht mehr erlauben kann, seine persönliche Selbständigkeit zum Nachtheil seiner Gläubiger zu missbrauchen. Dieser Zeitraum wird im Entwurfe nach der Mehrzahl der übrigen Gesetzgebungen auf 10 Tage vor der Zahlungseinstellung festgesetzt. In manchen Gesetzen, so in der D. C. O. Art. 24. 25, Span. H. G. B. Art. 1041, sind theilweise andere und bedeutend längere Fristen gesetzt; es erschien jedoch einfacher und leichter verständlich, nur eine gleichmässige kürzere Frist zu setzen, um nicht das Vertrauen, das jeder Geschäftsmann nöthig hat, zu sehr zu erschüttern, um so mehr als die wirklich betrüg-lichen Handlungen nach Art. 1049 ohnehin jederzeit angefochten werden können.
Diese Wirkungen treten nur gegenüber der Masse ein, d. h. soweit die Masse durch eine Rechtshandlung des Schuldners verkürzt, mit einer Last beschwert oder sonst benachtheiligt wurde, nicht auch gegenüber dem Kridar selbst oder den anderen dabei betheiligten Personen. So z. B. ist eine Schenkung, welche der Kridar entgegen der Bestimmung des Artikels 1044 machte, zwar insoweit nichtig, als für die Masse das Geschenkte zurückgenommen werden kann. Allein zwischen dem Schenker und dem Beschenkten, und gegenüber dritten Personen ist die Schenkung vollkommen gültig, sie kann also von dem Kridar selbst nicht widerrufen werden, auch nicht von seinen Rechtsnachfolgern u. s. w. Bravard. V. p. 213.
Der Entwurf unterscheidet gleich der Mehrzahl der übrigen Gesetzgebungen die absolute und relative Ungültigkeit der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte, d. h. die völlige Nichtigkeit und die blosse Anfechtbarkeit. Erstere tritt von selbst ein, bedarf mithin keiner richterlichen Bestätigung, und das richterliche Ermessen hat dabei keinen weiteren Spielraum; dagegen Rechtsgeschäfte, die blos angefochten werden können, sind so lange gültig, bis sie durch Richterspruch nach Befund der Umstände umgestossen sind. Eine Schenkung, die der Kridar nach der Zahlungseinstellung vornimmt, ist absolut und von selbst nichtig; dagegen ein nach demselben Zeitpunkt abgeschlossener Kaufvertrag ist an sich gültig, er kann aber unter gewissen Voraussetzungen für ungültig vom Richter erklärt werden. Die Nichtigkeit, wie die Anfechtbarkeit wird regelmässig von dem Verwalter als Vertreter der Masse geltend gemacht; zuweilen aber auch von einzelnen Gläubigern, wenn sie speciell dadurch benachtheiligt sind. Wilmowsky Anm. 1 zu Art. 6 p. 67.
Als von selbst nichtig werden alle Handlungen des Kridars bezeichnet, durch welche derselbe aus seinem Vermögen etwas unentgeltlich zuwendet, durch welche also Jemand aus der Masse etwas umsonst, ohne Gegenleistung erhält, Handlungen à titre gratuit. Diese Handlungen bringen offenbar der Masse einen Verlust, für den es gar keinen reellen Rechtsgrund gibt, als die freigebige Absicht des Schuldners; allein wie könnte man Jemandem, der keinen seiner Gläubiger befriedigt, erlauben, sein Vermögen willkürlich zu verschenken und zu verschleudern? Jemand, der im Zustand der Zahlungseinstellung sein Vermögen wegwirft, ist entweder ein Betrüger oder ein ganz unzurechnungsfähiger Mensch; seine Handlungen müssen für ungültig angesehen werden, soweit sie seinen Gläubigern Schaden bringen. Ebenso verfügt Franz. Code de comm. Art. 446, Belg. Code Art. 445, D. C. O. Art. 23. 24. 25, Span. H. G. B. Art. 1039, Holl. H. G. B. Art. 773. 774. 775, Englisches Gesetz von 1869 Art. 91. Im einzelnen sind besonders hervorzuheben:
Schenkungen, gleichviel ob der Beschenkte eine Sache oder nur eine Forderung gegen den Schenker erhält. Dies sind eigentlich freigebige Handlungen, zu denen ein Bankerotteur nicht mehr befugt sein kann. Solche Schenkungen werden seltener an fremde Personen, dagegen häufiger an Familienmitglieder, Frau oder Kinder, gemacht, oder an Verwandte; und zwar gerade mit Rücksicht auf einen bevorstehenden Bankerott, um von dem Vermögen soviel als möglich zu retten. Solche Schenkungen sind immer nichtig, mögen es nun wirkliche oder scheinbare Schenkungen sein, wenn sie in der Periode der Zahlungseinstellung vorgenommen wurden. Dagegen ist anerkannt, dass die Zuwendungen, die Jemand seiner Frau oder einer Tochter oder dem Schwiegersohn macht, um ihr eingebrachtes Vermögen zu sichern, oder um eine Mitgift zu geben, nicht unter den Begriff der Schenkung fallen, da ihnen das Moment der Unentgeltlichkeit abgeht. D. C. O. Art. 25 Ziff. 2. Wilmowsky p. 117 Ziff. 3. Bravard V. p. 219. Alauzet VII. Nr. 2500. Die Bestellung eines Heirathsgutes ist kein rein unentgeltlicher Act, da es zur Bestreitung der Haushaltskosten und der Kindererziehung dienen soll; sie ist auch keine Schenkung an das eigene Kind, da dieses schon vorher an dem häuslichen Mitgenusse des väterlichen Vermögens participirte. Solche Acte können daher höchstens auf Grund des nachfolgenden Artikels angefochten werden, d. h. wegen mangelnden guten Glaubens.
Lästige Verträge ohne Gegenleistung oder mit unverhältnissmässiger Gegenleistung vermindern gleichfalls die Masse in ungerechtfertigter Weise und müssen ebenso wie Schenkungen nichtig sein; so z. B. wenn der Kridar einen Schuldschein auf 1000 D. unterschrieben, aber nur 100 D. oder gar nichts als Darlehen erhalten hätte, oder wenn er eine Sache im Werth von 500 D. für 50 D. verkauft oder gar auf Bezahlung eines Preises dafür verzichtet hätte. Wenn Jemand seiner Tochter ein unverhältnissmässig grosses Heirathsgut mitgeben würde, ohne Rücksicht auf ihren rechtmässigen Erbantheil und auf die reellen Bedürfnisse ihres ehelichen Haushalts, so müsste dies gleichfalls hieher gerechnet werden. Die Franz. Jurisprudenz wendet auch auf diese Fälle den Begriff der unentgeltlichen Handlungen an, Alauzet VII. Nr. 2500, indem sie darin eine Schenkung unter dem äusseren Schein eines lästigen Vertrages er blickt. Indessen ist es um der Deutlichkeit willen besser, diese Art von Rechtsgeschäften besonders zu erwähnen, um so mehr als solche Geschäfte sehr oft nicht in der Absicht zu schenken, sondern überhaupt nur zum Schein vorgenommen werden. S. auch Belg. Code Art. 445 Absatz 2.
Regelmässige Zahlungen sind diejenigen, durch welche der Gläubiger gerade das erhält, zu dessen Leistung der Schuldner durch den Vertrag verpflichtet war; unregelmässige Zahlungen solche, durch welche der Gläubiger einen anderen als den eigentlichen Gegenstand der Verpflichtung des Schuldners erhält. S. oben Art. 349. 351. Es wird nun nach dem Vorgang anderer Gesetze bestimmt, dass der Kridar nicht fällige Schulden weder auf regelmässige noch auf unregelmässige Weise mehr bezahlen kann, fällige Schulden aber nur auf regelmässige Weise. Franz. Code Art. 446. Belg. Code Art. 445. D. C.O. Art. 23 Ziff. 2. Span. H.G.B. Art. 1038. Holl. H.G.B. Art. 773. Die Bezahlung nicht fälliger Schulden ist in allen Fällen eine Begünstigung, welche der in Bankerott gerathene Schuldner einzelnen Gläubigern auf Kosten der übrigen nicht mehr erweisen darf; daher wird sogar die regelmässige Bezahlung solcher Schulden untersagt. Dagegen die Bezahlung bereits fälliger Schulden ist keine Begünstigung, sondern nur die Erfüllung einer Rechtspflicht, die man dem Schuldner nicht verwehren kann, solange er noch nicht die Verfügung über sein Vermögen verloren hat; auch kann man die Gläubiger nicht hindern, für ihr Interesse so gut wie möglich zu sorgen und ihre Befriedigung noch vor Thorschluss von dem Schuldner zu verlangen. Allein nur die regelmässige Zahlung ist dem Schuldner erlaubt, dagegen unregelmässige Zahlungen nicht, weil dazu immer eine neue Verabredung gehört, durch welche der Schuldner seine Gläubiger oder einzelne derselben benachtheiligen könnte. Hieher gehört namentlich die Bezahlung von Geldschulden mit Waaren, jede Art von datio in solutum, d. h. Leistung einer anderen als der geschuldeten Sache, Compensation, soweit sie auf freiwilliger Uebereinkunft beruht, und nicht kraft gesetzlicher Vorschrift von selbst eintritt, Abtretung einer Forderung (paiment par transport). Bravard V. p. 231. Die regelmässige Zahlung einer Geldschuld kann übrigens nicht blos in den in Art. 371 genannten Objecten, sondern nach dem Handelsgebrauche auch in Wechseln, Cheques und anderen Geldanweisungen bewirkt werden, daher Zahlungen mit solchen Gegenständen nicht als nichtig anzusehen sind.
Die Bestellung von Sicherheiten kann erfolgen durch Bestellung einer Hypothek, eines Pfandrechts, einer sog. Antichrese (Nutzungsrechts an dem Sicherheitsobjecte) oder auch eines Vorzugsrechtes (z. B. für Schiffsgläubiger). Dadurch erlangt der vorher ungesicherte Gläubiger offenbar einen Vortheil, den er früher nicht hatte und den er auch auf Grund des ursprünglichen Vertrages nicht in Anspruch nehmen konnte; andererseits wird der betreffende Gegenstand der Masse und den übrigen Gläubigern entzogen. Die Bestellung neuer Sicherheiten unter solchen Umständen muss daher gleichfalls verboten sein. Französ. Code Art. 446. Belg. Code Art. 445. Span. H. G. B. Art. 1039. Ziff. 4. D. C. O. Art. 23. Holl. H. G. B. Art. 774. Unter früher eingegangenen Verbindlichkeiten sind solche zu verstehen, deren Entstehung der Bestellung der Sicherheit zeitlich vorausgegangen ist, gleichviel ob jene Entstehung vor oder nach der Zahlungseinstellung stattfand. Bravard V. p. 240. Diejenigen Sicherheiten, welche gleichzeitig mit der zu sichernden Forderung bestellt werden, sind mithin gültig, soferne nicht etwa das ganze Geschäft auf Grund des nachfolgenden Artikels angefochten werden kann. Der Grund hiefür ist, dass wenn die Bestellung der Sicherheit einen Bestandtheil des ursprünglichen Vertrages selbst bildet, dieselbe als eine rechtmässige Gegenleistung, und nicht als eine willkürliche Begünstigung anzusehen ist.
Im Französischen Code und in anderen Gesetzen ist auch die in den verbotenen Zeitraum fallende gerichtliche Hypothek ungültig. Darunter sind solche zu verstehen, die der Gläubiger von selbst durch ein gerichtliches Urtheil, also ohne eine Zuwendung des Schuldners, an dessen Immobilien erwirbt. Code civ. Art. 2123. Diese Hypotheken sind eine Eigenthümlichkeit des Französischen Rechts, welche durchaus nicht in der Natur der Sache liegt und auch nicht überall vorkommt. Sie wurden daher im Entwurf mit Stillschweigen übergangen.
Art. 1045. Dieser Artikel handelt von denjenigen Rechtsgeschäften des Schuldners, welche unter gewissen Umständen angefochten werden können, nämlich 1, wenn sie der Masse zum Nachtheil gereichen und 2, wenn der andere Theil Kenntniss von der Zahlungseinstellung hatte, also sich nicht in gutem Glauben befand. Diese Rechtsgeschäfte sind mithin an sich gültig, wenn sie nicht durch gerichtliches Urtheil auf Grund des Nachweises der bezeichneten Umstände aufgehoben werden. Denn vor der Bankerotterklärung besitzt der Kridar noch seine volle Dispositionsfähigkeit, er kann mithin ungehindert noch Rechtsgeschäfte eingehen, überhaupt sein Geschäft fortsetzen, wenn er nur nicht die Masse benachtheiligt, d. h. sein Vermögen zum Nachtheil der Gläubiger vermindert. Selbst dieser eine Umstand würde noch nicht hinreichen, um seine Handlungen umzustossen, es muss dazu noch kommen die Kenntniss des anderen Theiles von der eingetretenen Zahlungseinstellung, weil nur dann dem anderen Theile der Vorwurf unredlicher Gesinnung gemacht werden kann. Ein Käufer, der unbewusst und völlig harmlos dem Schuldner eine Sache wenn auch vielleicht zu billig abkauft, kann dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, denn man kann Niemandem verwehren, seinen Vortheil auf redlichem Wege zu wahren ; wäre freilich der Preis ganz unverhältnissmässig niedrig, so könnte unbefangener und redlicher Weise Niemand zu einem solchen Preise kaufen, und es käme der Artikel 1044 zur Anwendung.
Unter diesen Artikel fallen alle Rechtshandlungen des Schuldners, durch welche die Masse benachtheiligt wird; also alle Kaufgeschäfte, Credit. Versicherungsverträge u. w. s. Zu diesen Handlungen ist der Schuldner trotz der erfolgten Zahlungseinstellung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, da er sein Gewerbe nicht stillstehen lassen kann; allein er darf nichts vornehmen, was den Gläubigern Schaden brächte und dritte Personen grundlos bereicherte. Nur die bereits in Art. 1044 bezeichneten Handlungen sind ausgeschlossen, da sie von selbst nichtig sind. Was die einfache Zahlung bereits bestehender Verbindlichkeiten betrifft, so fallen sie unter den gegenwärtigen Artikel, wenn sie regelmässige Zahlungen bereits fälliger Schulden sind. Hier könnte man die Anfechtbarkeit bezweifeln, da die Zahlung einer Schuld keine freiwillige Handlung, sondern die Erfüllung einer Rechtspflicht ist, und weder den Gläubiger bereichert, noch strenge genommen die Masse benachtheiligt; der Gläubiger erhält nur das, was ihm gebührt, und die Masse verliert nur das, was sie zu behalten kein Recht hat. Gleichwohl sind auch solche Zahlungen in allen Gesetzen für anfechtbar erklärt, weil durch sie der Gläubiger mehr erhält, als er als Concursgläubiger zu erhalten hat, nämlich den vollen Betrag seiner Forderung, während die übrigen nur eine Dividende erhalten. Uebrigens ist jede Zahlung insoferne eine freiwillige Handlung, als der Schuldner einen Gläubiger bezahlen und den anderen unbezahlt lassen kann; es soll ihm also durch diese Bestimmung die willkürliche Bevorzugung einzelner Gläubiger verwehrt werden. Ebenso ist verfügt im Franz. Code de comm. Art. 447, Belg. Code Art. 446, Holl. H. G. B. Art. 777, D. C. O. Art. 23,
Engl. Gesetz von 1869 Art. 31. 92.
Es ist zu bemerken, dass in diesem Artikel der verbotene Zeitraum erst von dem Tage der Zahlungseinstellung an beginnt und nicht wie im vorigen Artikel noch auf weitere 10 Tage erstreckt wird. Denn vor dem wirklichen Eintritt der Zahlungseinstellung könnte die Bedingung einer Kenntniss derselben durch die Parteien nicht erfüllt werden.
In Betreff der Wechselzahlungen muss auch hier wegen der formalen Natur der Wechselschuld eine Ausnahme gemacht werden. Müsste der Wechselgläubiger die am Verfalltag erhaltene Wechselsumme wieder an die Masse zurückzahlen, so träfe ihn allein der Verlust, da er gegen die Regresspflichtigen keinen Regressanspruch erheben könnte; denn ein solcher Regressanspruch ist durch die rechtzeitige Erhebung des Protestes bedingt, dieser könnte daher später nicht mehr nachgeholt werden. Daher ist bestimmt, dass nicht der durch den Besitz des Wechsels legitimirte Empfänger der Wechselzahlung die empfangene Summe an die Masse zurückerstatten muss, sondern derjenige, auf dessen Rechnung der Wechsel in Umlauf gesetzt Wurde, weil dieser es ist, der in letzter Instanz den Vortheil der erfolgten Wechselzahlung davon trägt und für die Deckung des Wechsels zu sorgen hat. Oben Art. 864. Franz. Code Art. 449. Belg. Code Art. 449. D. C. O. Art. 27.
Uebrigens kann die Bestimmung dieses wie des vorigen Artikels auch gegen diejenigen geltend gemacht werden, welche durch Kauf oder ein anderes Rechtsgeschäft Nachfolger des ersten unrechtmässigen Erwerbers einer an die Masse zurückzuerstattenden Sache geworden sind; mit dem Unterschiede, dass in Fällen des gegenwärtigen Artikels die Klage auf Rückgabe durch den Beweis der Kenntniss der erfolgten Zahlungseinstellung von Seiten des dritten Erwerbers bedingt ist, wenn er nicht die Sache unentgeltlich erhielt. Bravard V. p. 263 ff. D. C. O. Art. 33.
Art. 1046. Ebenso verfügt Franz. Code Art. 448, Belg. Code Art. 447, D. C. O. Art. 12. Es handelt sich hier nicht um den Erwerb neuer Rechte, sondern nur um die Ausübung bereits vorher erworbener Rechte, die zu deren wirksamer Geltendmachung nothwendig ist. Hypotheken können vor der formellen Eintragung in das Hypothekenbuch nicht geltend gemacht, aber es kann schon vorher vertragsmässig oder sonstwie das Recht der Hypothek von dem Schuldner erworben worden sein. In solchen Fällen liegt in der Gestattung der Eintragung offenbar keine Bevorzugung des betreffenden Gläubigers, die Eintragung kann daher rechtsgültig vorgenommen werden. Nur dann soll die Eintragung nicht gültig sein, wenn sie von dem Gläubiger ungebührlich verzögert wurde, weil man dann vermuthen muss, dass dem Gläubiger die Hypothek entweder nur zum Schein oder nur im Hinblick auf den etwaigen Concurs eingeräumt wurde, um die übrigen Gläubiger zu verkürzen. Durch solche Verzögerung verliert mithin der Gläubiger sein Vorzugsrecht zur Strafe seiner Nachlässigkeit oder heimlicher Verabredung mit dem Schuldner. Bravard V. p. 285.
Dieser Artikel ist auch auf die formale Erfüllung anderer Rechtsgeschäfte anzuwenden, z. B. auf die Eintragung des Grundbuchtitels, von Vorzugsrechten, oder auch auf die Benachrichtigung eines dritten Schuldners von der Thatsache einer Cession. Bravard V. p. 295. Alauzet VII. p. 209.
Art. 1047. Zweiseitige Verträge sind solche, bei denen jeder Theil etwas zu leisten und zu erhalten hat, jeder zugleich Schuldner und Gläubiger ist. Die Leistung des einen Theiles ist von selbst durch die des anderen bedingt, nicht im Sinne eines blossen Aufschubs der Fälligkeit, sondern der Entstehung der Verbindlichkeit selbst. Vgl. oben Commentar zu Art. 1042. Der Käufer braucht den Kaufpreis nicht zu bezahlen, wenn er nicht die Sache erhält, der Miether kein Miethsgeld, wenn er nicht die gemiethete Sache zur Benutzung erhält u. s. w. Die eigene Leistung wird dadurch gewissermassen zu einer Sicherheit für die Leistung des anderen Theiles; man behält die erstere zurück, wenn man die letztere nicht erhält. Ein wirkliches Absonderungsrecht ist dadurch freilich nicht begründet, da man an der eigenen Sache kein Pfandrecht etc. haben kann ; allein die Zurückbehaltung der eigenen Leistung, indem man zugleich auf die Gegenleistung verzichtet, lässt sich mit der Selbstbefriedigung unter Ausschluss anderer Gläubiger vergleichen. Durch den Eintritt des Bankerotts wird nun zwar die Leistung von Seiten des Kridars nicht absolut unmöglich, da ja der Verwalter an Stelle derselben die vollständige Leistung erfüllen kann; allein dadurch würden die Gläubiger des Kridars aus einem zweiseitigen Vertrage insoferne bevorzugt, als sie nicht auf den Anspruch auf eine blosse Dividende beschränkt wären. Auch kann der Verwalter zur vollen Leistung für den Kridar nicht gezwungen werden, und in vielen Fällen wird diese Leistung factisch wegen unzureichender Mittel nicht möglich sein. Würde man daher den zweiseitigen Vertrag auch nach dem Eintritt des Bankerotts für beide Theile unverändert fortbestehen lassen, so wäre die Folge meist die, dass der andere Theil vollständig leisten müsste, und dafür nur einen Antheil aus der Masse erhielte, also unvollständig befriedigt würde. Dies widerspricht der Billigkeit und der Natur der zweiseitigen Verträge. Lässt man ihn aber nur unter der Bedingung fortbestehen, dass der Verwalter seinerseits vollständig aus der Masse erfüllt, so ertheilt man dem Verwalter ein Wahlrecht, das der andere Theil nicht besitzt, und dies erscheint wiederum unbillig und der Natur des obligatorischen Verhältnisses zuwider; denn der Verwalter würde in diesem Falle den Vertrag nicht erfüllen, weil er muss, sondern weil er will, es ist also im Grunde der Vertrag auf Seiten des Kridars aufgehoben. In der D. C. O. Art. 15 ist dem Verwalter ein solches Wahlrecht eingeräumt, dagegen dem anderen Theile nicht, während nach der früheren Preuss. C. O. von 1855 Art. 15. 16 die Gläubiger in den Contract eintreten konnten, aber dazu nicht verpflichtet waren. Der Entwurf hielt es für richtiger, beiden Theilen das Recht des Rücktritts vom Vertrage zu ertheilen, da ein einseitiges Wahlrecht zum Vortheil der Masse eine unbillige Begünstigung der letzteren enthält. Das gleiche folgt im Französischen Rechte von selbst aus der Bestimmung des Code civ. Art. 1184, da hiernach jeder zweiseitige Vertrag als durch die Nichterfüllung von einer Seite aufgelöst anzusehen ist. Der Unterschied ist hiebei nur der, dass der Verzug des einen Theiles von dem anderen Theile nicht abgewartet zu werden braucht, sondern der Eintritt des Bankerotts dem Verzug gleichgestellt wird ; dies rechtfertigt sich dadurch, dass ein in Bankerott erklärter Schuldner ohnehin fast durchweg nicht mehr voll zu leisten im Stande sein wird. Allerdings könnte ja der Verwalter in einzelnen wenigen Fällen die volle Leistung anbieten, allein er wird dies nur dann thun, wenn das Geschäft für die Masse besonders vortheilhaft ist, in allen anderen Fällen wird die Masse kein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrages haben. Nun widerstrebt es aber der natürlichen Gerechtig keit, den Vortheil solcher Geschäfte ausschliesslich der Masse, und den Nachtheil ausschliesslich dem anderen Theile zuzuwenden. Daher erscheint das gleiche Kündigungsrecht beider Theile als das billigste und zugleich einfachste. Nur muss bei gewissen Verträgen, die ihrer Natur nach nicht sofort aufgelöst werden können, die gesetzliche oder sonst übliche Kündigungsfrist beobachtet werden ; nicht aber auch die etwa vertragsmässig festgesetzte Kündigungsfrist, da auch in dieser Beziehung der Vertrag nicht länger bindend bleiben kann. Auch würde die vertragsmässige Aufhebung der Kündigungsbefugniss nicht länger verbindlich sein. Soweit eine solche Kündigungsfrist nicht gilt, wie etwa bei gewöhnlichen Dienstboten Verträgen, würde auch der Rücktritt von dem Vertrage sofort erfolgen können.
Diese Bestimmungen erscheinen auch um deswillen als empfehlenswerth, weil ohnehin in manchen gerade hier am häufigsten Fällen der Vertrag durch den Bankerott kraft gesetzlicher Vorschrift als von selbst aufgelöst gilt, wie z. B. bei Gesellschafts- oder Pachtverträgen. Sarwey p. 62. Auch stehen dieselben mit den Vorschriften über die Ausübung des Verfolgungsrechts mehr im Einklang; oben Art. 633 ff. Nach der D. C. O. Art. 17—19 ist bei Pacht-, Miethund Dienstverträgen in den meisten Fällen beiden Theilen ein gleichmässiges Kündigungsrecht eingeräumt, während nach Französischem Rechte der Eintritt des Bankerotts auf Pacht- oder Mietverträge in der Regel ohne Einfluss ist. Wenn man aber beim Concurs des Pächters oder Miethers dem Verpächter oder Vermieter unzweifelhaft ein Kündigungsrecht geben muss, so kann es auch dem Pächter oder Miether offenbar nicht gleichgültig sein, ob er sich einem solventen oder insolventen Verpächter oder Vermieter gegenüber befindet; denn in dem letzteren Falle werden die Leistungen desselben, z. B. Reparatur der Gebäude, Ausführung von Meliorationen u. s. w. mehr oder weniger unsicher werden.
Das Rücktrittsrecht kann jedoch nur ausgeübt werden, solange der Vertrag noch nicht wenigstens von einer Seite vollständig erfüllt ist. Haben beide Theile, oder hat ein Theil bereits seine Schuldigkeit geleistet, so kann von einem gegenseitigen Rückbehaltungsrecht nicht mehr die Rede sein; denn derjenige, welcher erfüllte, hat nichts mehr zurückzuhalten, und der andere Theil ist in diesem Falle lediglich zur Gegenleistung verpflichtet. Ist letzterer der Bankerotteur, so bleibt dem Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen allerdings nichts übrig als ein Dividendenanspruch gegen die Masse, allein dies ist dann den Umständen zuzuschreiben, und ein solcher Gläubiger kann keine andere Behandlung verlangen wie jeder andere Gläubiger. Bei Mieth- und Pachtverträgen gilt die Uebergabe der gemietheten oder gepachteten Sache noch nicht als vollständige Leistung, sondern es muss noch der Ablauf der Vertragszeit hinzukommen; daher können solche Verträge auch noch während des Laufes der Mieth-oder Pachtzeit aufgelöst werden, da die Leistung des Vermiethers oder Verpächters nicht einfach als blosse Besitzübertragung, sondern als Einräumung der Nutzung des Mieth- oder Pachtgegenstandes auf gewisse Zeit verstanden wird. Puchta Pand. § 365. 366. Die Unterscheidungen, welche desfalls in der D. C. O. Art. 17 u. 18 gemacht werden, erscheinen weder principiell noch practisch gerechtfertigt.
Wird der Vertrag durch Kündigung aufgehoben, so braucht desshalb kein Theil dem anderen Entschädigung zu leisten für den Nachtheil, den er etwa durch die Nichterfüllung erleidet. Also kann der Verkäufer keine Entschädigung fordern, dafür dass er etwa für die verkaufte Sache später einen niedrigeren Preis erhält, oder der Käufer, dass er dafür einen höheren Preis zahlen muss. Dies folgt einfach daraus, dass jeder Theil nur den Vertrag rückgängig machen, nicht aber als unerfüllt betrachten kann. Es wird das Verhältniss dann so angesehen, als ob der Vertrag überhaupt nicht geschlossen worden wäre. Von selbst versteht es sich, dass jeder Theil dem anderen das zurückgeben muss, was er etwa aus dem Vertrag bereits erhalten hatte, z. B. den theilweise gezahlten Kaufpreis, das bereits übergebene Mieth- oder Pachtobject u. s. w.
Wird nun der Vertrag nicht gekündigt, mithin aufrecht erhalten und fortgesetzt, so ergibt sich von selbst, dass jeder Theil dem anderen die volle vertragsmässige Erfüllung zu leisten hat, und nicht etwa der Gläubiger des Kridars mit einer blossen Dividende aus der Masse abgefunden werden kann. Denn er wird den Vertrag nur aufrechterhalten, wenn er volle Erfüllung erhalten kann. D. C. O. Art. 15. Jedoch bleiben jedem Theile die etwaigen Einreden, die er auch ohne den Eintritt des Bankerotts hätte erheben können, z. B. wegen Irrthum, Betrug, Verzug u. dgl. Sarwey p. 69.
Art. 1048. Ueber die Compensation im Concurse findet sich im Franz. Code de comm. Art. 446 nur die Bestimmung, dass der Schuldner nach der Zahlungseinstellung oder 10 Tage vorher keine Zahlung mittelst Compensation vornehmen kann. Diese Bestimmung wird von der Jurisprudenz aber nur auf die freiwillige oder vertragsmässige Compensation, mithin nicht auf diejenigen Fälle bezogen, in welchen die Compensation von selbst nach gesetzlicher Vorschrift eintritt. Hiernach kann die Compensation im Concurse in allen Fällen geltend gemacht werden, sobald die Vorschriften des Code civil Art. 1291 erfüllt sind, namentlich dann, wenn beide Forderungen fällig und liquid sind, d. h. wenn ihr Geldbetrag feststeht. Nach der D. C. O. Art. 46. 47 werden zwar auch die gewöhnlichen Bedingungen der Compensation im Concurse erfordert, es wird aber eine Ausnahme gemacht zu Gunsten der noch nicht fälligen oder nicht liquiden Forderungen, die gleichfalls durch den Concurs compensabel werden. Der Entwurf hat sich für den Standpunkt des Deutschen Rechts entschieden, und dem Gläubiger des Kridars gestattet, selbst noch nicht fällige oder liquide, also vorerst noch nicht auf eine feste Geldsumme gehende Forderungen gegen denselben aufzurechnen, einmal weil die Unterscheidung zwischen freiwilliger und gesetzlicher Compensation wenig practische Bedeutung hat, sodann weil auch, nach Art. 1042, die Verbindlichkeiten auf Seiten des Kridars durch dessen Bankerott fällig werden und beide Theile möglichst gleich behandelt werden sollten, und ferner, weil man die Gläubiger nicht hindern kann, auf die Wohlthat des späteren Termines zu verzichten. Die Franz. Jurisprudenz (Bravard V. p. 161. 232) führt dagegen an, dass ein Gläubiger durch Beziehung auf einen erst nach der Bankerotterklärung eintretenden Umstand seine Lage zum Nachtheil der übrigen Gläubiger nicht verbessern kann. Allein sie lässt diesen Einwand selbst fallen, wenn beide Theile im Verhältniss laufender Rechnung stehen (Bravard V. p. 1631) und derselbe erscheint an und für sich nicht schwer wiegend, da der compensirende Gläubiger nichts gewinnt, sondern nur einen Verlust von sich abwehrt und das Creditverhältniss durch den Eintritt des Bankerotts zwischen dem Kridar und seinen Gläubigern aufgehoben zu halten ist. Das Princip der Gleichheit der Gläubiger darf nicht auf Fälle ausgedehnt werden, in denen es sich in das Gegentheil verkehren und zu Härten führen würde. Gesetzt der Kridar schuldet dem A. 1000 D. und dieser dem Kridar gleichfalls 1000 D. Beide Forderungen werden erst nach der Bankerotterklärung fällig. Nun könnte nach der hier bekämpften Ansicht der Gläubiger A. nicht compensiren, da nur die Schuld des Kridars durch die Bankerotterklärung früher fällig wird, der Termin der Schuld des A. dagegen fortbestehen bleibt. In Folge dessen bekommt A. vielleicht nur 50 oder 100 Dollars aus dem Con-curse, und verliert folglich 950 oder 500 Dollars, während er durch Compensation diesen Verlust vermieden hätte. Dies ist offenbar ungerecht und mit der Natur der Sicherheit, die man in gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten, auch abgesehen von laufender Rechnung, besitzt, nicht vereinbar. Allerdings könnte man einwenden, dass was der compensirende Gläubiger gewinnt, die übrigen verlieren ; allein wie bereits bemerkt, ist dies kein Gewinn, sondern nur Abwehr von Verlust, und den gleichen Einwand könnte man ja auch gegen die Absonderungsberechtigten erheben, die auch nur ihre besondere Sicherheit zum Nachtheil der übrigen Gläubiger sich zu Nutze machen. Auch scheint es eine reine petitio principii zu sein, wenn Bravard V. p. 160 gegen die Compensation im Concurse den Einwand erhebt, dass die Forderung des Gläubigers gegen den Kridar in einen zur Zeit weder fälligen noch liquiden Dividendenanspruch gegen die Masse verwandelt werde, denn der Anspruch auf eine Dividende entsteht ja gar nicht, wenn man die Compensation zulässt. Ist eine der Forderungen noch nicht liquid, d. h. noch nicht auf eine feste Geldsumme festgesetzt, so muss sie liquid gemacht werden durch Ermittlung des Geldwerthes des zunächst geschuldeten Gegenstandes. Diese Erleichterung der Compensation im Concurse ist eine Forderung der offenbarsten Billigkeit, da man das natürliche Bestreben der Gläubiger eines Bankerotteurs, ihre durch den Bankerott entstehenden Vermögens Verluste möglichst zu vermindern, unterstützen muss.
Nur dann soll die Compensation unzulässig sein, wenn die eine oder andere Forderung erst nach der Bankerotterklärung oder nach der Zahlungseinstellung entstand oder durch Cession erworben wurde. Auf diese Fälle lässt sich der Grundsatz anwenden, dass durch später eintretende Umstände die Lage der übrigen Gläubiger nicht verschlechtert werden darf, um so mehr als sonst leicht Scheingeschäfte in betrüglicher Absicht vorgenommen werden könnten. Die Unzulässigkeit der Compensation solcher Forderungen ergibt sich von selbst aus den in Art. 1044 und 1045 enthaltenen Rechtssätzen, wesshalb auch die Kenntniss des anderen Theiles zur Anfechtung der Compensationsfähigkeit erforderlich ist, wenn die eine oder andere Forderung erst nach dem Zeitpunkt der Zahlungseinstellung entstand odor erworben wurde. D. C. O. Art. 48.
Art. 1049. Ebenso ist verfügt in der D. C. O. Art. 24 Ziff. 1, Holl. H. G. B. Art. 777, Belg. Code Art. 448, Franz. Code civil Art. 1167. Die Vorschrift ergibt sich als nothwendige Folge des allgemeinen Grundsatzes, dass Niemand aus seinen betrüglichen Handlungen Rechte für sich ableiten kann. Zum Thatbestand des Betruges gehört zweierlei, nämlich 1, die Täuschung durch Anführung unwahrer, oder Verheimlichung wahrer Thatsachen, und 2, die Zufügung eines widerrechtlichen Vermögensnachtheiles. Nach dem Entwurf, wie auch nach den übrigen Gesetzen, ist nur erforderlich die betrügliche Absicht des Kridars, gleichviel ob er bereits seine Zahlungen eingestellt hatte oder nicht, nicht auch die des anderen Theils; dieser braucht nur von der Betrugsabsicht des Kridars Kenntniss zu haben und es ist einerlei, ob er sich selbst zum Nachtheile der Gläubiger bereichern oder nur dem Kridar dazu helfen will. Wilmowsky p. 115. In der D. C. O. Art. 24 Ziff. 2 wird für entgeltliche Verträge mit dem Ehegatten oder nahen Verwandten, wenn sie im letzten Jahre vor der Concurseröffnung abgeschlossen wurden und die übrigen Gläubiger benachtheiligen, die Vermuthung der betrüglichen Absicht aufgestellt. Allein dies ist nicht zu billigen, denn dadurch können die in der besten und begründetsten Absicht getroffenen Verfügungen zum Vortheil der Familie anfechtbar werden, wenn zufällig im nächstfolgenden Jahre Bankerott ausbrechen sollte.
In der D. C. O. ist für die Ausübung des Anfechtungsrechts die Frist von 1 Jahr seit der Eröffnung des Concurses vorgeschrieben. Das Französische und die übrigen Gesetzbücher bestimmen keine solche Verjährungsfrist für das Recht des Anfechtung, und die einjährige Frist erscheint jedenfalls zu kurz. Der Entwurf hat hiefür gleichfalls keine besondere Frist aufgestellt, da die Nothwendigkeit die Anfechtung im Bankerottverfahren geltend zu machen jedenfalls zur Beschleunigung auftreibt; und im übrigen die allgemeine Verjährungsfrist in Handelssachen sich mehr empfiehlt, damit nicht durch den Ablauf eines ganz kurzen Zeitraumes Bankerotte zum Betrug und zur Benachtheiligung der Gläubiger benützt werden können.
III. Titel. Absonderungsrecht.
Art. 1050. Unter Absonderung (Separation) versteht man die Ausscheidung gewisser Sachen aus dem gesammten Vermögen des Kridars, um sie zur Befriedigung gewisser Gläubiger ausschliesslich oder vorzugsweise zu verwenden. Das können offenbar nur solche Sachen sein, an denen diese Gläubiger ein specielles Sicherheitsrecht erlangt haben. Welches diese Sicherheitsrechte sind und nach welchen Principien sie geltend zu machen, kann nicht im Concursrecht bestimmt werden, sondern im allgemeinen Civilrecht oder Handelsrecht, oder auch in besonderen Gesetzen, z. B. betreffend die Vorzugsrechte des Staates wegen rückständiger Steuern u. s. w. D. C. O. Art. 39. Soweit das Handelsrecht in Betracht kommt, ist z. B. auf die Bestimmungen dieses Gesetzbuches über das Pfandrecht, das Retentionsrecht, die Rechte der Schiffsgläubiger zu verweisen. Dies gilt auch in Betreff der Rangordnung, in welcher mehrere Gläubiger aus einer und derselben Sache zu befriedigen sind, und es kann dieselbe hier nicht für alle Fälle, wie z, B. in der D. C. O. Art. 54 versucht wurde, festgesetzt werden. Aufgabe des Concursrechtes ist es nur, die Wirkungen des Bankerotts auf die Ausübung der genannten Rechte zu bezeichnen, wesshalb sich dieser Titel unmittelbar an den vorhergehenden anschliesst und gewissermassen eine Fortsetzung desselben bildet.
Der gegenwärtige Artikel handelt von den sogenannten Realgläubigern, d. h. denjenigen Gläubigern, welchen nicht blos, wie den sog. chirographarischen Gläubigern (Gl. auf Handschein), ein allgemeiner Befriedigungsanspruch an dem Vermögen des Schuldners zusteht, sondern ein besonderes Vorrecht an gewissen Vermögensobjecten, zufolge dessen sie die letzteren Gläubiger eventuell ganz ausschliessen. Dies ergibt sich von selbst aus der Natur des Pfandrechts oder der Hypothek und ist keine Wirkung des Bankerotts. Es wird nun aber, in Uebereinstimmung mit den übrigen Gesetzgebungen, den Realgläubigern auch ein Absonderungsrecht eingeräumt, d. h. sie können ihre speciellen Befriedigungsobjecte aus der allgemeinen Masse ausscheiden und ihre Befriedigung aus denselben suchen, gleich als wenn kein Concurs bestünde. Dies wurde bereits in Art. 1040 vorweg angedeutet. Diese Realgläubiger behalten also ihre speciellen Executionsrechte und können dieselben gegen den Verwalter ausüben, abgesondert von dem Verfahren zur Befriedigung der übrigen Gläubiger. D. C. O. Art. 3. 39—42. Franz. Code de comm. Art. 546. 571. Bravard V. p. 131. Belg. Code de comm. Art. 542 564. Smith merc. law p. 621. Wilmowsky Comm. zu Art. 3. Der Realgläubiger braucht also die Sache, die ihm speciell verpfändet ist, nicht an die Masse herauszugeben; Hypotheken werden speciell für seine Forderung verkauft u. s. w. Ob der Verkauf gerichtlich oder aussergerichtlich sein kann, hängt von den einschlagenden Bestimmungen ab. Vgl. z. B. oben Art. 426. 427. Es versteht sich aber nach Art. 1039 von selbst, dass alle desfallsigen Schritte nur gegen den Verwalter, nicht gegen den Kridar zu richten, und dass die Realgläubiger auch in allen übrigen Beziehungen den Grundsätzen des Concurses unterliegen, namentlich soweit sie daneben noch Befriedigung aus der Masse suchen. Sie müssen daher ihre Forderungen jedenfalls anmelden und dabei erklären, ob sie ihr Absonderungsrecht ausüben wollen oder nicht. Im übrigen ist zu diesem Artikel noch folgendes zu bemerken.
Die Realrechte der genannten Gläubiger dienen nur zu ihrer Sicherheit, sie cessiren, sobald ihre Forderungen durch Zahlung getilgt sind. Der Verwalter hat, wie vorher der Schuldner selbst, das Recht, die Realgläubiger vorweg aus der Masse zu bezahlen; in diesem Falle kann ein Absonderungsrecht nicht weiter geltend gemacht werden, und die betreffenden Vermögensobjecte fallen ungeschmälert der Masse anheim. Franz. Code de comm. Art. 547. 553. Wilmowsky p. 58.
Die Realgläubiger können ein Absonderungsrecht ausüben, sind aber dazu nicht verpflichtet. Machen sie von ihrem Rechte keinen Gebrauch, so verlieren sie dadurch nicht ihr Realrecht, d. h. ihre Hypothek, ihr Pfand- oder Retentionsrecht etc., aber sie können dann weiter keine besonderen Executionsbefugnisse geltend machen, sondern werden, mit dem ihnen gebührenden Vorzuge, aus der Masse befriedigt. Eine besondere Frist braucht man ihnen hiefür nicht zu setzen, da der Gang des Concursverfahrens ihre Erklärung von selbst herbeiführen wird und es namentlich Sache des Verwalters ist, eine solche zu provociren. In Betreff der Pfandgläubiger ist daran zu erinnern, dass sie nur dann absonderungsberechtigt sind, wenn sie sich im Besitz der Pfandsache befinden.
Die Befriedigung der Realgläubiger aus ihrer Sicherheit erfolgt für den gesammten Betrag ihrer Forderung, also einschliesslich der Kosten und Zinsen. Im Entwurfe wurden die Kosten und Zinsen zuerst genannt, um anzudeuten, dass diese zuerst, und sodann erst das Capital, aus dem Erlöse zu decken sind. D. C. O. Art. 40. Diese Reihenfolge kann practisch von Bedeutung sein, da nach Art. 1043 Zinsen vom Datum der Bankerotterklärung au nur aus dem Erlös der Sicherheit beansprucht werden können. Gesetzt, Jemand hätte für eine Capitalforderung von 500 D. ein Pfand im Werth von 500 D., aber daneben wären noch Kosten und Zinsen zu 100 D. zu berechnen. Werden die Zinsen vorweg vergütet, dann bleiben für das Capital nur 400 D. und der Gläubiger könnte den Rest dieses Capitals zu 100 auch von der Masse fordern, die Zinsen dagegen nicht.
Der Erlös des Sicherheitsobjectes gebührt nur insoweit dem Gläubiger, als der Betrag seiner Forderung nebst Kosten und Zinsen reicht. Daher muss der Ueberschuss an die Masse gezahlt werden, und zwar direct von dem Käufer der Sache, nicht indirect von dem Realgläubiger. Franz. Code Art. 548. Bravard V. p. 574. Der letztere kann nicht mehr erlangen, als den Betrag seiner Forderung, in Bezug auf den Rest bleibt der Käufer Schuldner der Masse. Es versteht sich von selbst, dass die Bezahlung des Ueberschusses an die Masse nicht erfolgt, wenn etwa das Pfand von einem dritten Eigenthümer bestellt worden wäre. Oben Art. 438. Bavard V. p. 574 Note 3.
Keiner weiteren Erklärung bedarf es, dass auch die Forderungen der Realgläubiger nachgewiesen und anerkannt werden müssen. Franz, Code Art. 552.
Art. 1051. In diesem Artikel wird ein Absonderungsrecht zu Gunsten der arbeitenden Classen constituirt, welches das eigenthüm-liche hat, dass es sich nicht auf ein an sich zu Recht bestehendes Sicherheitsrecht stützt; es kann daher nur im Concurse ausgeübt werden. Arbeiter und Handlungsgehülfen haben an sich kein Pfand- oder Vorzugsrecht an dem Vermögen ihrer Dienstherren; es lässt sich dafür auch kein rechtlicher Grund behaupten und würde sich mit der regelmässigen Art, wie der Lohn gewöhnlich bezahlt wird, nicht wohl vereinen lassen. Der Lohn der arbeitenden Classen ist seiner Natur nach zum langen Creditgeben nicht geeignet, und ein regelmässiges und nothwendiges Creditverhältniss wie im Handel besteht zwischen Arbeitern und Dienstherren überhaupt nicht. Im Französ. Code civil Art. 2101 ist zwar den Dienstboten ein allgemeines Vorzugsrecht an dem beweglichen Vermögen ihrer Dienstherren verliehen, sogar für das laufende und nächstvorhergehende Jahr, was unter Umständen fast auf 2 Jahre sich belaufen kann; ähnlich in der D. C. O. Art. 54 auf ein Jahr. Allein dieses Privilegium ist durch keinen genügenden Grund zu rechtfertigen. Der Umstand, dass Dienstboten und Arbeiter gewöhnlich arme Leute sind, kann hier nicht ins Gewicht fallen, da man dann überhaupt arme Gläubiger vor den reichen bevorzugen müsste, was den Principien des Eigenthums entschieden widerstreiten würde. Arbeiter und Dienstboten, die ihren Lohn lange bei ihrer Herrschaft stehen lassen, haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie ihn schliesslich verlieren. Nur im Fall des Bankerotts ist es der Billigkeit entsprechend, diesen Personen ein Vorzugsrecht zu gewähren, da der Verlust des Lohnes sie dann unverschuldet treffen würde und ein solcher Verlust für sie meist empfindlich sein wird. Im Französ. Gesetzbuch wird den Arbeitern für einen Monatslohn, den Handlungsgehülfen für einen 6 monatlichen Lohn ein Vorzugsrecht verliehen. Es dürfte sich aber empfehlen, die verschiedenen Arbeiterclassen völlig gleich zu behandeln und die Frist nicht zu lange anzusetzen, da die Lohnbeträge namentlich für Arbeiter, die in Fabriken etc. oft zu Tausenden beschäftigt werden, sehr hoch sein können und dadurch die Rechte der übrigen Gläubiger zu sehr verkürzt würden. Daher wurde im Entwurf der Monatslohn als bevorzugt erklärt. Auf das unbewegliche Vermögen des Dienstherrn erstreckt sich übrigens dieses Vorzugsrecht nicht.
Art. 1052. Es wurde bereits zu Art. 1050 bemerkt, dass die Art und Weise wie die Rechte der Absonderungsberechtigten geltend zu machen sind, insbesondere auch das Rangverhältniss unter ihnen selbst, nicht durch das Concursrecht bestimmt werden kann, sondern sich nach den einschlagenden Gesetzen richten muss. Ist vom Gesetz ein Vorzugsrecht nicht bestimmt, so kommen alle Gläubiger einer Kategorie in gleichem Verhältniss zur Befriedigung. Vgl. z. B. oben Art. 434. 913. Franz. Code civil Art. 2101. 2102. 2105. Dass die besonderen Vorzugsrechte den allgemeinen vorgehen, ist im Französ. Rechte bestritten. Zachariä, Französ. Civilrecht II § 290. Dafür spricht jedoch nicht nur die allgemeine Rechtsregel, nach welcher specielle Rechte den allgemeinen überhaupt vorgehen: in toto jure generi per speciem derogatur; sondern auch die Billigkeit, da die speciellen Vorzugsrechte ohne Zweifel an sich eine geringere Sicherheit geben und daher nicht auch noch durch Zurücksetzung geschwächt werden dürfen. Ausnahmen werden gewöhnlich gemacht zu Gunsten der Gerichtskosten und Steuern, die allen übrigen Forderungen vorzugehen pflegen. Doch kann über diese Frage hier nicht weiter entschieden werden. Wilmowsky p. 148.
Art. 1053. Zum Verständniss dieses Artikels ist zu bemerken, dass die Realgläubiger ebenso, wie die übrigen Gläubiger, ein Recht auf Befriedigung an dem gesammten Vermögen ihres Schuldners haben, dass sie mithin durchaus nicht auf Befriedigung aus der ihnen eingeräumten speciellen Sicherheit beschränkt sind. Eine solche Beschränkung wäre nicht eine Verstärkung, sondern eine Verminderung ihres Gläubigerrechts, was mit der Natur einer Sicherheit nicht vereinbar sein kann. Haben sie also ihr Absonderungsrecht ausgeübt, allein ein Theil ihrer Forderung ist dabei ungetilgt geblieben, so können sie für diesen Rest ebenso wie alle übrigen Gläubiger Befriedigung aus der Masse verlangen. Bei der Vertheilung der Masse kommen sie aber nicht mit ihrer ganzen Forderung, sondern mit dem ungetilgt gebliebenen Reste derselben zum Ansatz. Gesetzt ein Pfandgläubiger hat eine Forderung von 6000 D. und durch den Verkauf des Pfandes nur 3000 D. erhalten ; er kann nun für die übrigen 3000 auch seinen verhältnissmässigen Antheil an der Masse verlangen, kommt dabei aber nicht mit 6000, sondern nur mit 3000 D. zum Ansatz. Würde die Masse nur soweit reichen, um jedem Gläubiger 50 procent seiner Forderung zu gewähren, so bekäme er mithin aus der Masse 1500, und nicht etwa 3000 D. Dies ist ausdrücklich auch in anderen Gesetzgebungen verordnet. D. C. O. Art. 57. Franz. Code de comm. Art. 548. 552. Belg. Code Art. 544. 548. Bravard V. p. 558. Es versteht sich von selbst, dass wenn ein Realgläubiger aus seiner Sicherheit volle Befriedigung erhält, er nichts mehr aus der Masse verlangen kann, und umgekehrt mit dem vollen Betrag seiner Forderung bei der Masse in Ansatz kommt, wenn die Sicherheit ihm keine Befriedigung gewährt, wie z. B. wenn ein Hypothekgläubiger an 3. oder 4. Stelle bei der Vertheilung des Preises des Grundstücks leer ausgehen würde. Hätte ein Realgläubiger aus der Masse vorweg etwas bekommen, so wird ihm dies natürlich bei der Vertheilung der Sicherheit angerechnet und es muss um soviel zur Masse zurückerstattet werden. Fr. Code Art. 554. Bravard V. p. 555. Gesetzt es sind zwei Hypothekgläubiger vorhanden auf ein Haus, der erste zu 1000 D. und der zweite zu 500 D. Der erste hat bereits 1000 D. aus der Masse erhalten und der Verkauf des Hauses bringt nur 1000 D. Diese 1000 D. dürfen nun nicht etwa zur Befriedigung des zweiten Hypothekgläubigers verwandt werden, da er mit seiner Hypothek leer ausgeht, sondern sie sind voll zur Masse zu zahlen, und hier kommt dann allerdings der zweite Hypothekgläubiger auch unter den übrigen Gläubigern mit seiner Forderung zum Ansatz.
Art. 1054. Ebenso ist verordnet im Fr. Code civil. Art. 878 2111, und in der D. C. O. Art. 43. Das Absonderungsrecht ist nur den Gläubigern des Erblassers, nicht auch denen des Erben eingeräumt. Für das Recht der ersteren spricht die natürliche Billigkeit, da der Erblasser vollkommen solvent gewesen sein kann; für das der letzteren ist kein solcher Grund vorhanden, da die Gläubiger des Erben durch die Erbschaft meist nur gewinnen werden. Ist der Nachlass überschuldet, so kann er mit der Wohlthat des Inventars angetreten werden, d. h. der Erbe kann sich dagegen sichern, die Schulden des Erblassers aus seinem eigenen Vermögen bezahlen zu müssen. Dieses Absonderungsrecht ist, wie man sieht, etwas anderes als das der Realgläubiger; es bezieht sich auf eine von der des Kridars verschiedene Vermögensmasse und soll dazu dienen, die Concurrenz der Gläubiger des Kridars mit denen des Erblassers in der Erbschaft zu beseitigen.
Art. 1055. Dieser Artikel schliesst sich an die Bestimmung des Art. 1047 unmittelbar an. Im letzteren wurde bestimmt, dass ein zweiseitiger Vertrag, der zur Zeit der Bankerotterklärung noch von keinem Theile erfüllt war, von jedem Theile aufgekündigt werden kann. Der gegenwärtige Artikel handelt von dem Fall, dass ein zweiseitiger Vertrag von dem einen Theile bereits erfüllt ist, von dem anderen jedoch nicht; es kann nun nicht etwa der erstere den Vertrag aufheben und das von ihm bereits geleistete zurückfordern, sondern er ist auf die Forderung der Erfüllung des Vertrags und resp. auf eine Entschädigungsforderung beschränkt. Denn seine Leistung ist bereits in das Vermögen des Kridars übergegangen und muss zur gemeinschaftlichen Befriedigung der sämmtlichen Gläubiger, nicht aber zu der eines einzelnen Gläubigers benützt werden. Das einseitige Zurückforderungsrecht, gleichviel ob mittelst persönlicher Klage (Condiction) oder mittelst der Eigenthums-Klage (Vindication), würde allen Principien des Concursrechtes widersprechen. Franz. Code de comm, Art. 550 Nr. 7 (nach dem Gesetze vom 12. Febr. 1872). Belg. Code Art. 546. D. C. O. Art. 21. Sarwey p. 99 ff. Hätte also der Kridar als Käufer bereits die Sache erhalten, aber den Kaufpreis noch nicht bezahlt, so kann der Verkäufer nicht etwa den Vertrag aufheben und die Sache zurückfordern, sondern die Sache bleibt bei der Masse und er muss mit seiner Preisforderung unter den übrigen Gläubigern seinen Platz einnehmen, ebenso wenn etwa der Kridar sich zur Ausführung irgend eines Werkes verpflichtet und den Preis dafür bereits erhalten hätte, wenn der Commissionär nach Empfang der von ihm zu verkaufenden Waaren bankerott wird u. s. w. Im Französ. Gesetzbuch ist das Princip auf den Verkauf beweglicher Sachen beschränkt, es besteht hiefür aber kein genügender Grund und es ist diese Beschränkung auch in der Deutschen Gesetzgebung nicht enthalten. In dem ersteren ist auch noch speciell von dem Vorzugsrechte des Verkäufers an dem Kaufpreis die Rede, allein diese Eingenthümlichkeit des Französ. Rechts wurde in das Handelsrecht nicht aufgenommen und kann hier übergangen werden.
Auch das in Art. 452 angeordnete Retentionsrecht kann im Concurse nicht ausgeübt werden. Dieses setzt voraus, dass noch kein Theil vollständig erfüllt hat, aber mindestens der eine Theil erfüllen will und die Erfüllung des anderen Theiles zu erzwingen sucht. Ein solches Recht kann aber nach Art. 1047 nicht zugestanden werden, da hiernach jedem Theil nur ein Kündigungsrecht zusteht, womit die weitere Forderung der Gegenleistung, gegen gleichzeitige Hingabe der eigenen Leistung, gegen gleichzeitige Hingabe der eigenen Leistung nicht vereinbar wäre. Daher ist der Ausdruck im Franz. Code de comm. Art. 578 nicht ganz genau. Das Kündigungsrecht ist übrigens insofern vortheilhafter, als es die sofortige anderweite Verfügung über die Sache zulässt, während das Retentionsrecht nur nach Art. 451 ausgeübt werden kann.
Wie weit ein Rückforderungsrecht im Concurse ausgeübt werden kann, ist bereits oben in Art. 633—640 bestimmt worden. Franz. Code de comm. Art. 574—579. Belg. Code Art. 566—572.
Art. 1056. In diesem Artikel wird ein weiteres Absonderungsrecht zu Gunsten des Kridars selbst und seiner Familie statuirt, welches in allen Gesetzgebungen anerkannt ist, wenn auch nicht überall in demselben Umfang. Franz. Code de comm. Art. 469. Belg. Code Art. 476. D. C. O. Art. 1. und D. C. P. O. von 1877 Art. 715. 749. Holl. H. G. B. Art. 808. Engl. Bankerottgesetz von 1869 Art. 15. 89. 90. Die Bestimmungen des Entwurfes schliessen sich hauptsächlich denen der Deutschen und Englischen Gesetzgebung an. In Frankreich sind die Bestimmungen in Betreff des Bankerotts und für gewöhnliche Executionsfälle verschieden, obwohl dies nicht unbestritten ist. Code de proced. civ. Art. 592. Alauzet VII. Nr. 2578. 2460. Der Natur der Sache nach können die Befreiungen von der Beschlagnahme für einen im allgemeinen zahlungsfähigen und für einen bankerotten Schuldner nicht dieselben sein; aber die Vergünstigungen, welche das Franz. Handelsgesetzbuch gewährt, erscheinen andererseits zu beschränkt. Die im Entwurf aufgestellten Befreiungsfälle erklären sich theils durch Rücksichten der Humanität, da man dem bankerotten Schuldner, namentlich im Hinblick auf seine Familie, nicht die unentbehrlichsten Mittel des Unterhalts und des Erwerbs nehmen kann, indem er sonst mittelbar auf öffentliche Kosten unterhalten werden müsste; theils aus Rücksichten des öffentlichen Interesses, da Beamte und Offiziere durch ihren Bankerott, wenn derselbe nicht den Verlust ihrer Stellung mit sich bringt, nicht unfähig zur Bekleidung ihres Amtes werden dürfen. Orden und Ehrenzeichen können zwar zuweilen sehr werthvoll sein, aber sie müssen dem öffentlichen Verkauf zum Vortheil der Masse entzogen bleiben, da sie regelmässig nach dem Tode des Inhabers wieder an den Staat, der sie verliehen hat, zurückgestellt werden müssen. Armenunterstützungen und andere mildthätige Zuwendungen sind nach dem Willen des Gebers lediglich für die Person des Beschenkten zur Aushülfe in der Noth bestimmt, und können dieser Bestimmung nicht entzogen werden, da der Geber die Zuwendung sonst nicht gewähren oder zurückziehen würde. Unter die in Ziffer 3 aufgeführten Gegenstände gehören auch die Dienstkleidung, Waffen, Bücher und andere Ausrüstungsgegenstände, soweit sie für die Ausübung des öffentlichen Dienstes nothwendig sind; z. B. ein Pferd nebst Sattelzeug etc. für Offiziere u. dgl. Ueber die Frage der Nothwendigkeit entscheidet im allgemeinen der Concurscommissär, bei Offizieren und Beamten die vorgesetzte Dienstbehörde, da nur diese über die Anforderungen des öffentlichen Dienstes ein massgebendes Urtheil abgeben kann. Unter den Begriff des Diensteinkommens fallen auch die Pensionsbezüge von in den Ruhestand getretenen Beamten oder Offizieren. In der Deutschen Gesetzgebung ist das Diensteinkommen dieser Personen überhaupt frei von Beschlagnahme, allein dies ist nicht zu billigen, da es den nothwendigen Unterhaltsbedarf übersteigen kann und kein Grund dafür besteht, den Ueberschuss nicht zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden.
Lehens- und Fideicommissgüter haben die Bestimmung, bei einer gewissen Familie als deren unveräusserliches Vermögen erhalten zu werden, und sind desshalb der freien Verfügung des jeweiligen Inhabers entzogen. Sie gehören daher unter allen Umständen nicht zur Concursmasse, da die Verfügung darüber nicht auf den Concursverwalter übergehen kann. Inwieweit aus der Substanz oder den Einkünften solcher Güter die speciellen Fideicommissgläubiger, und nach ihnen die allgemeinen Gläubiger des Inhabers Befriedigung erlangen können, ist in den Gesetzen, welche die Errichtung und Verwaltung derselben regeln, des Näheren enthalten. D. C. O. Art. 45. Sarwey p. 348 ff.
IV. Titel Sicherungsmassregeln.
Art. 1057. Die Sicherungsmassregeln betreffen vornämlich die Masse und sollen dazu dienen, dass aus derselben nichts vom Schuldner oder von anderen Personen zum Nachtheil der Gläubiger hinweggeschafft werde. Der Schuldner verliert zwar rechtlich nach Art. 1039 die Dispositionsfähigkeit über sein Vermögen und kann somit keine Verfügungen darüber mit rechtlicher Gültigkeit treffen; allein dies hindert nicht, dass der Schuldner factisch über die vorhandenen Sachen verfügt und davon soviel als möglich bei Seite schafft. Daher muss er auch practisch in die Unmöglichkeit versetzt werden, die Masse zu verringern. Ein anderer Sicherungszweck betrifft die Möglichkeit, dass er einen strafbaren Bankerott beging und desshalb in Criminaluntersuchung genommen werden muss. Betrügerische Bankerotteure werden sehr häufig flüchtig, um sich den Folgen ihrer Schuld zu entziehen und das etwa heimlich weggeschaffte Vermögen anderswo zu verzehren. Endlich ist die Anwesenheit des Kridars vielfach nothwendig, um den Verwaltern bei der Verwaltung und Verwerthung der Masse behülflich zu sein Aufschlüsse zu geben und nöthigenfalls selbst mitzuarbeiten. Daher ist es nicht zulässig, dem Kridar, nachdem er sein Vermögen verlor, doch die Freiheit seiner Person zu gewähren, wenigstens kann ihm die freie Verfügung über seine Person erst gewährt werden, wenn kein Grund der Sicherung gegen ihn mehr vorliegt.
Als Sicherungsmassregeln sind in allen Gesetzen die Verhaftung oder Bewachung des Kridars und die amtliche Versiegelung seines Vermögens anerkannt. Französ. Code de comm. Art. 455. Belg. Code de comm. Art. 466. 467. D. C. O. Art. 98. 112. Holl. H. G. B. Art. 787. 789. 795. Span. H. G. B. Art. 1044. 1045. Engl. Gesetz von 1869 Art. 86. 87. Ein Unterschied besteht nur insoferne, als manche Gesetze, wie z. B. das Deutsche, die Verhängungdie ser Massregeln lediglich in das Ermessen des Gerichts resp. der Verwalter stellen, andere, wie z. B. das Englische und Belgische, von dem Eintreten gewisser Umstände abhängig machen, welche die Befürchtung gegen den Schuldner, dass er fliehen, unterschlagen wird etc., zur Gewissheit machen. Der Entwurf hat sich in dieser Hinsicht dem Französischen Gesetz angeschlossen, welches die sofortige Verhaftung des Schuldners nicht in das Belieben des Gerichts stellt oder von gewissen Bedingungen abhängig macht, sondern der Regel nach das Gericht verpflichtet, ohne weitere Untersuchung vorerst die Verhaftung des Schuldners vorzunehmen. Diese Verhaftung ist keine Strafe, sondern nur eine Sicherungsmassregel, und hat für den Schuldner weiter keine nachtheiligen Folgen. Das Gericht kann auch im ersten Stadium des Verfahrens von den näheren Umständen noch keine genaue Kenntniss haben und es ist sehr möglich, dass der Schuldner seine Fluchtabsicht u. s. w. geheim hält. Ferner ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Schuldner strafbar ist und durchgehen will, in der Regel grösser als für das Gegentheil. Mit einem Worte, die Vermuthung ist zunächst gegen jeden Bankerotteur, und dies rechtfertigt seine Verhaftung, die später, wenn kein Verdacht mehr gegen ihn vorliegt, oder wenn er nichts schädliches mehr verüben kann, immer wieder aufgehoben werden kann. Jedoch ist die Verhaftung des Schuldners nicht in allen Fällen absolut nothwendig; es werden vielmehr im nächsten Artikel gewisse Ausnahmen zugelassen. Die Verhaftung des Schuldners hat seine Verführung in ein Schuldgefängniss zur Folge; die blosse Bewachung seiner Person erfolgt in seiner Wohnung und besteht darin, dass beständig eine amtliche Person, ein Polizist, Gensdarm etc., an Seite ist, so dass er nichts unbemerkt thun kann.
In vielen Fällen würden die Sicherungsmassregeln zu spät kommen, wenn sie erst nach der Bankerotterklärung vorgenommen werden könnten; denn gar manche, wenn sie den Bankerott vor der Thüre sehen, werden geneigt sein, mit dem, was sie noch besitzen, sich aus dem Staube zu machen und nicht erst die Bankerotterklärung abzuwarten. Daher muss die Möglichkeit gegeben werden, sie schon vorher vorzunehmen, aber nicht schlechthin ohne irgend eine weitere Begründung, sondern nur dann, wenn bereits vorher ein thatsächlicher Anlass zur Ergreifung von Sicherungsmassregeln vorliegt. In solchen Fällen kann die Polizeibehörde das erforderliche verfügen, entweder auf Antrag eines Gläubigers oder auch von Amtswegen; letzteres ist dadurch gerechtfertigt, dass die Behörde es aus eigenem Antrieb verhindern muss, dass ein Bankerotteur sich seiner Bestrafung durch die Flucht entzieht oder sein Vermögen zum Nachtheil seiner Gläubiger unterschlägt. Französ. Code de comm. Art. 457. Belg. Code Art. 469. Nach der D. C. O. Art. 98 kann das Gericht die Massregeln auch vor dem Urtheil treffen, doch ist dies nicht practisch. Die Verhaftung und Versiegelung auf Grund des Bankerotturtheils ist eine richterliche Massregel und wird daher in der Regel durch das Gerichtspersonal ausgeführt; in Frankreich geschieht die Versiegelung auch in diesem Fall durch die Friedensrichter, doch ist hiezu kein genügender Grund vorhanden. Französ. Code Art. 457. Die sofortige Benachrichtigung des Friedensrichters, die hier vorgeschrieben ist, erklärt sich nur daraus, dass das Gericht die Versiegelung nicht selbst vornehmen soll.
Der dritte Absatz des Artikels hat seinen Grund darin, dass die Gesellschafter für die Schulden der Handelsgesellschaft mit ihrem ganzen Vermögen solidarisch haften; sie sollen daher verhindert werden, sich dieser solidarischen Haftung zu entziehen. Franz. Code de comm. Art. 458. Belg. Code Art. 470. Die Bestimmung correspondirt mit der des Art. 1035. Sie bezieht sich zunächst auf Collectivgesellschaften, deren Mitglieder immer persönlich haften; sie kann sich aber auch auf die solidarisch haftenden Mitglieder von Commanditgesellschaften und auf die Directoren von Actiengesell-schaften, aber niemals auf die Actionäre beziehen ; oben Art. 178 Diese Massregeln haben an sich nicht den Bankerott der Gesellschafter zur Folge. Zunächst ist nur die Gesellschaft bankerott mit ihrem eigenen Vermögen, und es ist möglich, dass die Gesellschafter für alle Schulden der Gesellschaft genügende Zahlung leisten können. Es ist aber nothwendig zu verhindern, dass sie die Gesellschaft im Stich lassen und ihr persönliches Vermögen zu retten suchen.
Art. 1058. Es werden hier die Ausnahmen bezeichnet, in welchen die sofortige Verhaftung oder Bewachung des Schuldners unterbleiben kann. Diese Ausnahmen sind rathsam, damit nicht der ehrliche, durch unverschuldete Unglücksfälle bankerott gewordene Mann mit dem Betrüger und Verbrecher auf eine Linie gestellt werde, und damit nicht die Schuldner durch zu strenge Behandlung sich der Verpflichtung entziehen, ihre Bankerottanzeige selbst zu machen und alle erforderlichen Details an die Hand zu geben. Französ. Code de comm. Art.456. Belg. Code Art. 467. Hat der Schuldner die nach Art. 1035 schuldige Anzeige nebst Uebergabe der Bücher etc. unterlassen, so muss er jedenfalls verhaftet werden; hätte er aber die schuldige Anzeige gemacht, so könnte er trotzdem- verhaftet werden, wenn nicht sonst kein genügender Grund dazu vorliegt, d. h. wenn es nicht gewiss ist, dass der Bankerott kein strafbarer ist und dass von dem Schuldner keine Verheimlichung des Vermögens oder die Nichterfüllung seiner sonstigen Pflichten zu erwarten ist. Im Franz. Code Art. 456 und im Belg. Code Art. 467 ist diese letztere Bedingung anders gefasst; die vorherige Verhaftung wegen Schulden erscheint aber bei der neuerlichen Gesetzgebung über die Aufhebung der Schuldhaft nicht mehr practisch und die Erstattung einer falschen Anzeige zu enge, wesshalb man vorzog, diese Bedingung der Freilassung ganz allgemein zu fassen, so dass jeder Verdacht gegen den Schuldner hinreicht, um seine Verhaftung zu veranlassen. Es versteht sich von selbst, dass der Schuldner später jederzeit verhaftet werden kann, wenn er das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht oder wenn später Umstände bekannt werden, die seine Strafbarkeit zur Folge haben oder seine Unehrlichkeit oder schlimmen Absichten darthun. Der Unterschied von anderen Gesetzgebungen, z.B. der Deutschen oder Englischen, liegt also darin, dass nach den letzteren der Schuldner nur verhaftet werden kann, wenn bestimmte Thatsachen oder Verdachtsgründe gegen ihn vorliegen; nach dem Entwürfe aber der Schuldner nur dann freigelassen werden soll, wenn er nichts strafbares begangen hat und wenn man sicher erwarten kann, dass er seine Verpflichtungen gegen die Masse erfüllen wird. In manchen Fällen kann schon die gelindere Massregel einer zwangsweisen Vorführung des Schuldners vor Gericht genügen, wenn er sich weigern sollte, Aussagen vor Gericht oder vor den Gläubigern zu machen u. s. w. D.C.O. Art. 98.
Art. 1059. Die Einsperrung des Schuldners ist, wie bereits bemerkt, keine Strafe, sondern nur ein Mittel um gewisse Zwecke im Interesse der Justiz und der Gläubiger zu erreichen; sie muss daher aufhören, sobald diese Zwecke erreicht oder überhaupt nicht vorhanden sind. Ist kein strafbarer Bankerott begangen und muss das Verfahren wegen Mangels einer Masse eingestellt werden, so muss die Freilassung jedenfalls erfolgen ; sie kann aber auch erfolgen, wenn das Verfahren fortgeführt wird, wie namentlich wenn die gesammte Masse versiegelt und in die Hände des Verwalters gelangt ist, und wenn wegen des persönlichen Erscheinens Sicherheit geleistet wird. Letzteres wird meist nur durch Stellung von Bürgen geschehen können, da der Schuldner in der Regel nichts übrig behalten wird, um aus eigenem Vermögen Caution zu leisten. Franz. Code de comm. Art. 472. 473. Belg. Code Art. 481. Nach Analogie des Art. 1057 ist zu bemerken, dass auch die in Art. 1058 und 1059 bezeichneten Massregeln nur durch Gerichtsbeschluss, nicht auch von dem Commissär verfügt werden können auf Antrag des letzteren, des Verwalters, eines Gläubigers oder auch des Schuldners selbst.
Art. 1060. Die Versiegelung hat nur zum Gegenstand das bewegliche Vermögen des Schuldners, da Grundstücke, Häuser etc. nicht weggesehafft werden können. Der Zweck der amtlichen Versiegelung ist der, die Vermögensgegenstände des Schuldners für Jedermann, und für diesen selbst, unantastbar zu machen; schon die Verletzung der amtlichen Siegel, auch ohne die wirkliche Entwendung der Sachen, wird criminell bestraft. Japan Str. G. B. Art. 174. 175. Deutsches Str. G. B. Art. 136. Die Versiegelung muss ihrem Zweck gemäss solange dauern, als die Verwalter die Masse nicht in ihren Besitz genommen haben; von diesem Zeitpunkt an beginnen die Functionen der Verwalter in Betreff der Verwaltung und Verwerthung der Masse, und es versteht sich von selbst, dass von da an die zur Masse gehörigen Sachen nicht länger unverletzlich sein können.
Von diesem Zeitpunkt an muss also die Masse als entsiegelt angesehen werden. Zwischen dem letzteren Zeitpunkt und dem der Anlegung der Siegel liegt nun ein Zwischenraum, in welchem die Masse unberührt liegen bleibt und beziehungsweise nur inventarisirt, d.h. in ihrem vorhandenen Bestande aufgezeichnet und geschätzt wird. Das Inventar wird von den Verwaltern aufgenommen im Beisein einer Amtsperson und, wenn nöthig, des Schuldners; es ist dies eine amtliche Function und es wird daher dadurch die amtliche Unverletzlichkeit der Siegel nicht berührt. Doch kann es im Laufe der Inventarisirung nöthig werden, die Siegel abzunehmen, um zu den Sachen überhaupt gelangen zu können, z. B. wenn die Thüre eines Magazins, eines Ladens, eines Kellers etc. versiegelt worden war. In dem Masse als die Inventar ihren Fortgang nimmt, wird es daher nöthig sein, die Siegel abzunehmen ; gleichzeitig findet aber auch die Besitznahme der Sachen durch die Verwalter statt. Die drei Acte, nämlich Entsiegelung, Inventarisirung und Besitzergreifung des Verwalters, laufen daher in einander und bedingen sich gegenseitig, so dass sie factisch als gleichzeitig angesehen werden müssen, so aber, dass die Abnahme der Siegel, obgleich sie factisch vielfach vorausgehen muss, doch rechtlich erst dann als erfolgt gelten kann, wenn die Inventarisirung und Besitzergreifung durch den Verwalter erfolgt ist. Gesetzt also, es könnte ein Waarenmagazin nicht an einem Tage inventarisirt und müsste das Geschäft unterbrochen, verschoben werden, so müssten die Siegel wieder angelegt werden, und ihre Abnahme würde erst dann definitiv sein, wenn das ganze Magazin inventarisirt und vom Verwalter in Besitz genommen wäre. Die Aufhebung der Versiegelung ist also mehr eine rechtliche Thatsache und darf mit der äusserlichen Abnahme der Siegel zum Zweck der amtlichen Inventarisirung nicht verwechselt werden. Im Französ. Code Art. 479. 484 und im Belg. Code Art. 488. 491 ist gesagt, dass die Verwalter binnen 3 Tagen die Abnahme der Siegel beantragen und das Inventar aufnehmen sollen; nach Beendigung des Inventars sollen die Sachen den Verwaltern übergeben werden. Aus Art. 480 des Französ. und Art. 489 des Belg. Code ist aber zu entnehmen, dass auch in diesen Gesetzbüchern die Inventarisirung und Siegelabnahme als in einander verschlungene Acte angesehen werden. Letztere soll nur in dem Masse vor sich gehen, als die Inventur fortschreitet, und mit der Beendigung der einzelnen Inventursacte tritt gleichzeitig die Besitzergreifung des Verwalters ein, die gleichzeitig im Inventar zu Protokoll constatirt werden soll.
Die Versiegelung soll, wie bemerkt, dazu dienen, die zur Masse gehörigen Sachen unverletzlich zu machen; sie setzt daher voraus, dass eine gewisse Zeit vergehen wird bis zur Inventarisirung und Uebernahme durch die Verwalter. Wo diese Voraussetzung nicht zutrifft oder nicht zugelassen werden kann, ist auch die Versiegelung nicht am Platze. Daher werden im Entwürfe weiterhin drei oder vier Ausnahmen von der Vorschrift der Versiegelung aufgestellt, ähnlich wie im Französ. Code Art. 469—471. Belg. Code Art. 471.
1) Die in Art. 1056 genannten Gegenstände werden nicht zur Masse gezogen, sondern dem Schuldner und seiner Familie zum nothwendigen Gebrauch überlassen. Es besteht daher kein Interesse der Masseverwaltung an ihnen, und kein Grund sie zu versiegeln, ausser wenn etwa ein Verdacht gegen den Schuldner bestünde und dieselben erst näher untersucht werden müssten. Sind sie aber trotzdem aus irgend einem Grund gesiegelt worden, so kann die Aufhebung der Siegelung jederzeit stattfinden, selbst vor der Vornahme des Inventars; es genügt, wenn über die dem Schuldner nach Art. 1056 zu belassenden Gegenstände einfach ein Verzeichniss aufgenommen wird.
2) Sachen, die im Interesse der Masse sofort verwerthet oder ununterbrochen fortbenützt werden müssen; z. B. Sachen, die man sofort verkaufen muss, damit sie nicht verderben oder weil sie schnell entwerthet würden, ferner dasjenige, was zur Fortsetzung des Gewerbebetriebes gehört, wenn derselbe nicht ohne Verluste für die Masse unterbrochen werden könnte. Französ. Code Art. 469 Ziff. 2. 3. In diese Categorie fallen auch Wechsel und andere Papiere, die sofort oder bald eingezogen oder zur Acceptation versandt werden müssen u. s. w. Französ. Code Art. 471.
3) Die Handelsbücher des Schuldners sind von diesem nach Art. 1035 zugleich mit der Bankerottanzeige und der Bilanz dem Gerichte zu überliefern; einmal zu Gerichtshänden gebracht, brauchen sie nicht mehr versiegelt zu werden. Sollte aber der Schuldner dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sein, so muss das Gericht sie sofort in Besitz nehmen und dem Verwalter übergeben; gleichzeitig wird im Beisein des letzteren ihr Zustand amtlich zu Protokoll constatirt, nämlich ihre Zahl und Gattung, ob sie vollständig und äusserlich unverletzt sind, und wie weit sie reichen. Letzteres wird am besten dadurch constatirt, dass jedes Buch amtlich geschlossen, d. h. ihr Schluss durch eine amtliche Bemerkung im Buch selbst nebst Datum notirt wird. D. C. O. Art. 112. Diese Bestimmungen haben ihren Grund darin, dass die Bücher einerseits nicht zu den Werthbestandtheilen der Masse gehören, andererseits der Verwalter verpflichtet ist, sobald als möglich das Verhältniss der Activen und Passiven ermitteln, beziehungsweise die vom Schuldner übergebene Bilanz prüfen muss, wozu die Einsichtnahme der Bücher unumgänglich nothwendig ist.
4) Die weitere Bestimmung in Ansehung besonders werthvoller Sachen erschien nach dem Beispiel des Art 143 der Preuss. Concursordnung von 1855 angemessen, da die Siegelung solcher Sachen nicht immer genügende Sicherheit bietet und die Gefahr besteht, dass der Schuldner oder andere Personen eher die Strafe der Verletzung der Siegel riskiren, als auf die Wegsehaffung der Sachen verzichten ; zumal auf dem Lande, in einsam gelegenen Wohnungen u. dgl. Es versteht sich von selbst, dass auch diese Sachen in das Inventar aufzunehmen sind; nur die Siegelung kann durch sofortige Uebergabe an den Verwalter oder, wenn dies nicht sofort ausführbar ist, durch gerichtliche Deposition ersetzt werden.
Art. 1061. Diejenigen zur Masse gehörigen Sachen, welche sich nicht in den Händen des Schuldners, sondern anderer Personen befinden, können nicht durch Versiegelung gesichert werden, bei ihnen tritt die Arrestverfügung an die Stelle der Siegelanlegung. Der Arrest wird in der Regel zum Zweck der Festnahme einer Person verfügt, um ihr Entweichen etc. zu verhindern, es gibt aber auch einen dinglichen Arrest, durch welchen gewisse Sachen rechtlich festgelegt, d. h. die derzeitigen Inhaber verpflichtet werden, dieselben nur nach Verfügung des Gerichts auszuliefern. Ein offener Arrest ist derjenige, welcher nicht an einzelne bestimmte, mit Namen bezeichnete Personen erlassen wird, sondern an eine unbestimmte, meist unbekannte Menge von Personen, hier an alle diejenigen, welche zur Masse, d. h. dem Kridar etwas schuldig sind oder als Depositare, Pächter, Miether etc. Sachen von diesem in Händen haben. Die Arrestverfügung ist an sich keine Bedingung der rechtlichen Ungültigkeit der nach der Bankerotterklärung an den Kridar geleisteten Zahlungen; diese Ungültigkeit tritt vielmehr schon durch das Bankerotturtheil von selbst ein; oben Art. 1039. Sie ist nur eine Sicherungsmassregel und soll nur die Vornahme von Zahlungen und anderen Leistungen an den Kridar thatsächlich nach Möglichkeit verhüten, dadurch dass die Aufforderung nur an den Verwalter zu zahlen ausdrücklich bekannt gemacht wird. Sarwey p. 518. D. C. O. Art. 108. Würde die Arrestverfügung in dem Bankerotturtheil unterlassen, so bliebe die Verpflichtung nicht an den Gemeinschuldner zu zahlen gleichwohl dieselbe, ebenso wie auch ohne Siegelung derselbe nicht weiter über seine Sachen verfügen könnte.
Die Bestimmung wegen der Absonderungsberechtigten erklärt sich dadurch, dass dieselben nicht verpflichtet sind, ihre Pfandobjecte vor völliger Befriedigung an die Masse zurückzugeben. Allein sie sind zur Anzeige verpflichtet, damit der Verwalter das ihm nach Art. 1050 zustehende Recht der Einlösung solcher Objecte ausüben kann, und sie müssen die Abschätzung derselben durch den Verwalter gestatten, damit dieser beurtheilen kann, ob er von dem Recht der EinlösungGebrauch machen soll und ob etwa ein Ueberschuss aus dem Verkauf zur Masse erwartet werden kann. D. C. O. Art. 110.
Die Bestimmung in Betreff der Briefe etc. findet sich gleichfalls in den übrigen Gesetzgebungen und hat ihren Grund darin, dass Postanstalten etc. durch ihre speciellen Gesetze oder Reglements verpflichtet sind, die bei ihnen eingehenden Sendungen nur an den Adressaten auszuhändigen. Deutsches Postgesetz vom 28. Oct. 1871 Art. 5. Telegraphenordnung vom 21. Juni 1872 Art. 3. Die Bestimmung enthält somit eine Dispensation von dieser Verpflichtung für die Dauer des Bankerottverfahrens. D. C. O. Art. 111. Französ. Code de comm. Art. 471. Belg. Code Art. 478. Engi. Gesetz von 1869 Art. 85. In der Deutschen und Englischen Gesetzgebung ist hiefür eine besondere Bekanntmachung an die Postverwaltung etc. vorgeschrieben, und diese ist als Sicherungsmassregel jedenfalls rathsam; der Post-verwaltung bleibt es alsdann überlassen, ihre untergebenen Beamten in der geeigneten Weise zu instruiren. Diese Bestimmung bezieht sich auf alle für den Kridar bestimmten Sendungen, gleichviel ob sie unter seiner Adresse, poste restante, unter einer Chiffre oder anderen Adresse an ihn gelangen sollen; auch ist der Ort, wohin sie adressirt sind, gleichgültig. Sarwey p. 523. Das Concursgericht kann der Postverwaltung eine allgemeine Notiz zugehen lassen, oder auch in Betreff einzelner Sendungen deren Ablieferung an den Verwalter vorschreiben.
Art. 1062. Diese Bestimmung findet sich in allen Gesetzgebungen. Französ. Code de comm. Art. 474. Belg. Code Art. 476. D. C. O. Art. 118. Engl. Gesetz von 1869 Art. 38. In der Deutschen und Englischen Gesetzgebung ist die Bewilligung in die Hände des Verwalters (mit Genehmigung des Gerichts) und später der Gläubigerversammlung gelegt; allein die Gewährung eines nothdürftigen Unterhalts ist weder eine Verwaltungsmassregel noch ein Act des freien Willens oder theilweisen Verzichtes auf die Masse, sondern eine factische Nothwendigkeit, durch welche die Ansprüche der Gläubiger an die Masse ebenso beschränkt werden, wie bezüglich der in Art. 1056 genannten nothwendigen Gegenstände. Die Verfügung darüber ist daher richtiger eine Befugniss des Gerichts; dieselbe wird zunächst durch den Commissär ausgeübt, sollte dieser den Zuschuss verweigern oder zu gering oder zu hoch ansetzen, so hat das Gericht darüber endgültig zu entscheiden. Der Schuldner kann nicht unter allen Umständen, sondern nur im Fall der Noth den Zuschuss erhalten, wenn er weiter nichts erwerben oder von anderer Seite erhalten kann; auch wird der Betrag der Unterstützung auf den nothwendigen Unterhalt beschränkt.
Diese Bestimmung ist nicht eigentlich eine Sicherungsmassregel zu Gunsten der Masse, sie findet aber zweckmässig hier ihren Platz, einmal weil aus Humanitätsrücksichten die Existenz des Schuldners trotz seines Bankerotts gesichert werden muss, und sodann, weil durch die Ausführung der vorhergehenden Sicherungsmassregeln der Schuldner aller eigenen Unterhaltsmittel thatsächlich wie rechtlich beraubt sein wird.
V. Titel Verwaltung und Verwerthuug der Masse.
Art. 1063. Von der Ernennung der Concursverwalter im Bankerotturtheile und den verschiedenen Systemen, die in dieser Beziehung bestehen, wurde bereits oben zu Art. 1036 im allgemeinen gehandelt. Es folgen nun die speciellen Bestimmungen über die Ernennung und die rechtlichen Eigenschaften, Obliegenheiten und Befugnisse der Concursverwalter. Es wurde das ältere, noch im Französischen Code auch nach dem Gesetze von 1838 befolgte System der successiven Bestellung verschiedener Verwalter, nämlich provisorischer und definitiver, die immer wieder durch andere abgelöst werden können, verlassen und das Princip der neuesten Gesetzgebungen, wornach die zuerst bestellten Verwalter sofort definitiv sein sollen, adoptirt. Belg. Code de comm. Art. 462. Dass hiebei jeder Verwalter, gleich einem Vormund oder anderen amtlich bestellten Curator, jederzeit wegen Unfähigkeit, Unredlichkeit oder anderen Verschuldens ersetzt werden kann, versteht sich von selbst, und folgt unmittelbar daraus, dass die Verwalter gleich Bevollmächtigten verantwortlich sind; unten Art. 1065. In der D. C. O. ist die erste Ernennung der Verwalter im Grunde gleichfalls definitiv, denn wenn auch später die Gläubiger einen anderen Verwalter Vorschlägen, kann das Gericht doch die Ernennung desselben versagen und es bleibt alsdann der erste Verwalter in Function. Art. 70. 72. Sarwey p. 359. Auch hat der Entwurf das ältere Princip, dass der Verwalter von den Gläubigern und wo möglich aus den Gläubigern zu wählen sei, nicht angenommen; es beruht dasselbe auf der falschen Annahme, dass eigentlich den Gläubigern das Recht der Verwaltung des Vermögens des Kridars zustehe und der Verwalter als Vertreter der Gläubiger zu denken sei. Engl. Gesetz von 1869 Art. 14 ff. Diese Vorstellung ist unpractisch und gekünstelt; nicht nur ist es gefährlich, einem einzelnen Gläubiger das ganze Vermögen in die Hand zu geben, und die Prüfung der Rechnungen, der Forderungen aller Gläubiger etc. zu überlassen, sondern es wird dabei den am Orte befindlichen Gläubigern zum Nachtheil der anderwärts, oft weit entfernt Wohnenden ein unverhältnissmässiger Einfluss eingeräumt. Um diesen Fehler einigermassen zu verbessern, muss man solchen Verwaltern zur Controle wieder einen Gläubigerausschuss und die Gläubigerversammlung selbst an die Seite setzen, wodurch die Verwaltung umständlich und verwickelt wird. Engl. Gesetz von 1869 Art. 14. D. C. O. Art. 79 ff. Hält man daran fest, dass der Concursverwalter nicht Stellvertreter der Gläubigerschaft, sondern Bevollmächtigter des Gerichts ist, so werden alle diese künstlichen Bildungen, die der aus der öffentlichen Verwaltung herübergenommenen Idee der Selbstverwaltung (selfgovernment) entspringen, als unnöthig und fehlerhaft erkannt. Auch die in der Englischen und Amerikanischen Gesetzgebung vorkommende Vermischung der Functionen des Gerichtscommissärs und des Verwalters ist nicht zu billigen. Der Gerichtscommissär hat wesentlich den Standpunkt des Gesetzes zu vertreten, er besitzt richterliche Autorität und erlässt richterliche Entscheidungen. Der Verwalter dagegen hat nur ökonomische Functionen, er kann keine Entscheidung treffen und ist in allen wichtigeren Sachen der Controle des Commissärs unterworfen. Da der Commissär eine Richterperson ist, welche zur ökonomischen Verwaltung weder Zeit noch Befähigung haben wird, so ist zu befürchten, dass bis zur Erwählung von wirklichen Verwaltern durch die Gläubiger die Vermögensverwaltung stille stehen oder auch unter den Fehlern des Beamten leiden wird. Die Stellung des Concursverwalters ist am leichtesten zu verstehen, wenn man sie mit der eines Vormundes oder eines anderen Curators über Abwesende, Verschwender etc. vergleicht. Der Bankerotteur ist durch seinen Bankerott zur eigenen Verwaltung seines Vermögens unfähig geworden, und es wird von Gerichtswegen ein Curator über dasselbe gesetzt; dieser Curator ist der Concursverwalter. Dieser wird die Verwaltung am besten führen, wenn er in Bezug auf kaufmännische Geschäftsführung die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, wenn er im übrigen ein unbescholtener und leistungsfähiger Mann und nicht gänzlich vermögenslos ist; Rechtskenntnisse sind zwar zweckmässig, aber nicht absolut erforderlich. Daher brauchen die Verwalter nicht ausschliesslich aus der Classe der Rechtsanwälte genommen zu werden, wie es in den Voreinigten Staaten (Gesetz von 1867) der Fall ist. Solche berufsmässige Verwalter kommen auch in Deutschland vor. Wilmowsky p. 205 Anm. 1. Der Entwurf setzt der Ernennung der Verwalter durch das Gericht keine anderen Schranken, als dass ihre Befähigung amtlich anerkannt sein muss. Dies geschieht am besten durch die oberste Justizbehörde für jeden Gerichtsbezirk, auf den Vorschlag der Gerichte und Handelskammern. Die Verwalter bilden hiernach eine besondere Berufsclasse, gleich öffentlichen Schätzern, Auctionatoren, Mäklern u. dgl. Sie können zugleich Rechtsanwälte oder andere mehr kaufmännische Professionisten sein, doch ist dies nicht nothwendig. Ein Verwalter kann natürlich gleichzeitig mehrere Concursverwaltungen führen, und darin seinen Berufserwerb suchen. Aus diesen Personen sollen die Verwalter in der Regel genommen werden; Ausnahmen können stattfinden, wenn etwa nicht genug amtlich Verpflichtete vorhanden sind oder wenn specielle Bedenken obwalten, z. B. die in Betracht kommenden Personen Verwandte des Kridars oder sonst interessirt oder verdächtig sind. Diese Be-Stimmungen sind namentlich im Belg. Code de comm. Art. 455 ff. enthalten und auch von der Französischen Jurisprudenz empfohlen. Bravard V. p. 92.
Da die Stellung eines Concursverwalters eine grosse Verantwortlichkeit in sich trägt, so muss dafür gesorgt werden, dass ungeeignete Personen aus dem Berufe entfernt werden können und die Verwalter dadurch stets den genügenden Antrieb zur vollsten Pflichterfüllung erhalten. Desswegen ist bestimmt, dass die Ernennung immer nur auf 5 Jahre gültig sein soll. Belg. Code Art. 458. Uebrigens soll dadurch die Fortführung und Beendigung einer bereits begonnenen Verwaltung nicht gehindert werden. Auch versteht es sich von selbst, dass Verwalter, wie alle Curatoren, von der Führung der ihnen speciell übertragenen Verwaltung wegen Unredlichkeit und Unfähigkeit entfernt werden können; dies folgt aus ihrer Stellung als Bevollmächtigte.
Art. 1064. Es ist nicht zu verlangen, dass die Concursverwalter ihre Functionen unentgeltlich verrichten. Die Gebühren hiefür bilden einen Theil der Kosten des Concursverfahrens und müssen ebenso wie die Gerichtskosten und die übrigen Kosten der Geschäftsführung aus der Masse vorweg bestritten werden, da ihre Dienstleistung zum Nutzen sämmtlicher Gläubiger erfolgt. Es ist zweckmässig, wenn für diese Gebühren ein gleichmässiger Tarif von der Justizverwaltung durch Verordnung aufgestellt wird, ähnlich wie für Advokatengebühren. Belg. Code Art. 461. Französ. Code de comm. Art. 462. D. C. O. Art. 77. Engl. Gesetz von 1869 Art. 29. Span. H. G. B. Art. 1078.
Art. 1065. Diese Bestimmungen folgen, wie bereits bemerkt, daraus, dass die Verwalter die Eigenschaft von Bevollmächtigten haben. Jedes Mandat kann widerrufen oder modificirt werden. Uebrigens wird das Gericht einen Verwalter nicht willkürlich entfernen, sondern nur aus genügenden Gründen ; ein besonderes Untersuchungsverfahren ist hiefür nicht nothwendig, auch nicht die Fällung eines förmlichen Urtheils, wie im Belgischen H. G. B. verordnet ist. Es genügt der hinreichend motivirte Antrag des Commissärs, eines Gläubigers oder auch des Kridars ; die Entfernung kann stattfinden, wenn der Verwalter seine Stellung missbraucht oder ihr nicht gewachsen ist. Franz. Code Art. 467. Belg. Code Art. 462. D. C. O. Art. 76. Die hier vorkommende Beschränkung auf den Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses ist nicht zu billigen. Engi. Gesetz von 1869 Art. 83 Ziff. 4. Als Bevollmächtigter muss der Verwalter auch Rechnung legen und kann wegen Entschädigung belangt werden. Nach der D. C. O. kann dem Verwalter auch die Leistung einer Sicherheit auferlegt werden; doch ist diese Bestimmung unpractisch, und namentlich bei amtlich verpflichteten Sachverständigen durchaus entbehrlich. D. C. O. Art. 70. 78.
Art. 1066. Ebenso bestimmt der Franz. Code Art. 465 und Engi. Gesetz von 1869 Art. 83 Ziff. 1. Anders bestimmt die D. C. O. Art. 71; mehrere Verwalter können hier nur ernannt werden für verschiedene Geschäftszweige und jeder soll in jedem Geschäftszweig selbständig sein, dagegen zu seiner Unterstützung Hülfspersonen auf eigene Verantwortung anstellen dürfen. Wilmowsky p. 206. Indessen erschien es zweckmässiger, die solidarische Verwaltung mehrerer Verwalter nach Analogie von Procuristen und von Liquidatoren von Handelsgesellschaften zuzulassen. Art. 45.
Art. 1067. In diesem Artikel werden die hauptsächlichen Obliegenheiten der Concursverwalter in Bezug auf die Masse namhaft gemacht. Nach Art. 1039 ist es eine unmittelbare Folge der Bankerotterklärung, dass der Kridar das Recht verliert, sein Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen. Er wird auch von Rechtswegen aus dem Besitze seines Vermögens gesetzt und dasselbe muss unter amtliches Siegel gelegt werden, damit weder er noch andere sich daran zum Nachtheil der Gläubiger vergreifen können. Gleichzeitig mit der Bankerotterklärung wird aber auch ein Verwalter ernannt, welcher seine Functionen ohne Verzug anzutreten hat. Der Verwalter muss, wie zu Art. 1060 gezeigt wurde, von dem Vermögen Besitz ergreifen gleichzeitig mit der Entsiegelung und Inventarisirung; es ist ihm nicht gestattet, ohne Inventar den Besitz zu übernehmen; die Aufnahme des Inventars ist aber wiederum nicht möglich, ohne dass die amtliche Siegelung fortschreitend aufgehoben wird. Es wird daher meist die Versiegelung nur kurze Zeit dauern; im Französ. Code ist dem Verwalter ein Zeitraum von 3 Tagen gelassen. Der Entwurf fixirt einen solchen Zeitraum nicht, er kann daher sowohl kürzer, als auch, obwohl selten, etwas länger sein. Es wird nur vorgeschrieben, dass der Verwalter sofort nach dem Erlass des Bankerotturtheils seine Functionen antreten muss. Einige Zeit wird immer vergehen, bis der Verwalter sich zur Uebernahme seiner Functionen bereit machen kann; er ist aber für jeden ungerechtfertigten Verzug verantwortlich, und könnte desshalb selbst unter Umständen entlassen werden. Der Verwalter hat das Vermögen des Kridars nicht wie ein Vormund zu verwalten, d. h. um es später dem Kridar wieder zurückzustellen. Der Zweck seiner Verwaltung ist lediglich der, die Befriedigung der Gläubiger zu bewirken. Seine Hauptaufgabe ist daher das Vermögen zu verwerthen, d. h. es durch Verkauf in baares Geld umzusetzen und den Erlös unter die Gläubiger zu vertheilen.
Daher sind ihm nur solche Verwaltungshandlungen gestattet, welche zum Zweck der Verwerthung erforderlich sind; er darf also die Verwaltung nicht auf unbestimmte Zeit weiterführen, so wie sie der Kridar selbst geführt haben würde, wenn er nicht bankerott geworden wäre. Das Nähere hierüber wird in Art. 1071 angegeben. Da der Bankerotteur in der Regel ein Geschäftsmann sein wird, so wird das Vermögen meist in Cassavorräthen, in Wechseln und anderen Schuldbriefen, in Waarenvorräthen, in Geschäftslocalitäten und geschäftlichen Einrichtungen bestehen, diese müssen sämmtlich sobald wie möglich verkauft, und das Geschäft muss solange fortgesetzt werden, bis der Verkauf stattfinden kann. Die im Geschäft angestellten Arbeiter sind noch je nach den Umständen weiterhin zu beschäftigen, bis der productive Betrieb ohne Verlust eingestellt werden kann; bereits angenommene Bestellungen sind womöglich auszuführen, auch können unter Umständen neue angenommen werden, wenn es zum Vortheil der Masse gereicht. Vgl. Französ. Code de comm. Art. 484, D. C. O. Art. 107, Belg. Code Art. 491, Engl. Gesetz von 1869 Art. 17.
Die Unterstützung des Verwalters durch den Kridar dient nicht nur zur Erleichterung des ersteren, sondern liegt auch im Interesse des letzteren und der Gläubiger, weil dadurch Verluste von der Masse abgewendet werden können. Der Kridar kennt den Zustand und alle Details seines Geschäfts, er kann die besten Aufklärungen geben und dem Verwalter mit Rath und That beistehen, namentlich am Anfange, wenn derselbe sich erst über alles informiren muss. Die Mitwirkung des Kridars bei der Verwaltung ist daher auch in anderen Gesetzen zugelassen, jedoch immer nur auf das Verlangen des Verwalters; gegen dessen Willen darf sich der Kridar nicht einmischen, da sonst die gesetzliche Wirkung der Bankerotterklärung leicht vereitelt werden könnte. Franz. Code Art. 488. Belg. Code Art. 493. Engl. Gesetz von 1869 Art. 19. 38. In der D. C. O. Art. 92 ist der Schuldner nur zur Auskunftsertheilung, nicht auch zu Dienstleistungen verpflichtet; dies wird indessen in vielen Fällen nicht genügen, und es liegt in der weiter gehenden Verpflichtung keine Ungerechtigkeit, da er dafür eine entsprechende Vergütung erhalten soll.
Art. 1068. Ebenso ist verfügt im Französ. Code de comm. Art. 452. 466, Belg. Code Art. 463. 470, D. C. O. Art. 75, Engl. Gesetz von 1869 Art. 20. In den beiden letzteren Gesetzen ist der Verwalter auch unter die Ueberwachung des Gläubiger-Ausschusses gestellt; indessen ist es richtiger, den Gläubigern nicht das Recht zu geben, dem Verwalter direct Weisungen zu ertheilen, um so mehr als auch nach diesen Gesetzen das Gericht dem Verwalter die Ausführung von Beschlüssen der Gläubiger untersagen kann. D. C. O. Art. 91. Die Gläubiger können sich an den Commissär, und eventuell an das Gericht wenden, wenn sie den Verwalter an gewissen Verwaltungshandlungen hindern oder ihn zu solchen veranlassen wollen; ebenso der Kridar. Reclamationen gegen die Verwaltung sind von jedem Betheiligten an den Commissär zu richten; gegen dessen Entscheidung kann wieder Beschwerde an das Gericht erhoben werden. Dieses Recht der Ueberwachung muss dem Commissär und resp. dem Gericht zustehen, da ja der Verwalter auch von diesem entlassen werden kann. Bravard V. p. 304 ff.
Die Ueberwachung hat zum Zweck, die Vernachlässigung der Pflichten der Verwalter und überhaupt alle pflichtwidrigen, dem Interesse der Gläubiger und des Kridars nachtheiligen Handlungen oder Unterlassungen der Verwalter zu verhüten. Die Aufsicht erstreckt sich daher nicht blos auf die Gesetzmässigkeit, sondern auch auf die Zweckmässigkeit der Verwaltungsacte. Wilmowsky p. 208. Der Commissär kann ferner auch unzweifelhaft den Verwalter zur Vornahme gewisser Verwaltungshandlungen anhalten, denn dieser ist nur ein gerichtlicher Mandatar und muss den Vorschriften des Mandanten unterliegen. Uebrigens könnte auch der Verwalter, wenn er es für nöthig hält, gegen Verfügungen des Commissärs Beschwerde bei dem Gerichte erheben.
Art. 1069. Nachdem bisher die Stellung und die Verpflichtungen des Verwalters im allgemeinen bestimmt wurden, werden im folgenden dessen Obliegenheiten und Befugnisse im einzelnen geregelt. Das erste, was der Verwalter vorzunehmen hat, ist die Inventarisirung des Vermögens des Kridars. Diese ist nothwendig, damit der Bestand der Masse genau festgestellt werde; sie dient zugleich dazu, für die Verantwortlichkeit des Verwalters eine Grundlage abzugeben. Die Inventarisirung darf nur im Beisein einer Amtsperson stattfinden, um ihre Genauigkeit und Vollständigkeit zu sichern und um dem Verwalter jede Gelegenheit zur Benachtheiligung der Masse zu benehmen. Die Amtsperson kann der Commissär selbst, oder ein anderes Mitglied des Gerichts sein, z. B. der Secretär des Gerichts oder ein Referendar u. dgl; auf dem Lande, und überhaupt wenn die Zuziehung einer Gerichtsperson unthunlich ist, kann die Ortspolizei Behörde zugezogen werden. Die Anwesenheit des Kridars wird in den meisten Fällen von Nutzen sein, um das Geschäft zu erleichtern und zu beschleunigen; sie kann jedoch auch unterbleiben, wenn derselbe etwa geflüchtet ist u. dgl. oder wenn der Vermögensbestand ganz unbedeutend wäre. Sachverständige Schätzer können zugezogen sein, wenn der Verwalter nicht selbst den Werth der Vermögensgegenstände zuverlässig zu taxiren vermag. Das Inventar muss alle vorhandenen Vermögensgegenstände des Kridars enthalten, auch diejenigen, welche dem letzteren belassen werden müssen, damit über dieselben ein genauer Nachweis vorhanden ist. In Frankreich ist die Errichtung des Inventars in Gegenwart des Friedensrichters vorge-schrieben; in Deutschland kann letzteres, d. h. die Zuziehung einer obrigkeitlichen Person mit Genehmigung des Gerichts auf den Antrag des Verwalters unterbleiben. Letzteres soll in besonderen Fällen zulässig sein, wo die Inventarisirung unnöthig erscheinen könnte, z. B. wenn erst kurz vorher ein Inventar aufgenommen wurde, glaubwürdige sonstige Aufzeichnungen vorhanden sind u. s. w. Diese letztere Abweichung erklärt sich indessen daraus, dass die D. C. O. überflüssiger Weise zwischen Aufzeichnung und Inventarisirung des schuldnerischen Vermögens unterscheidet, und wurde im Entwurf nicht adoptirt, um so mehr als daneben in Art. 114 der D. C. O. dem Verwalter doch in allen Fällen die Anfertigung eines Inventars und einer Bilanz zur Pflicht gemacht wird. Die Inventarisirung ist möglichst ununterbrochen zu Ende zu führen; kann sie an einem Tage nicht beendigt werden, so muss sie am folgenden Tage sofort fortgesetzt werden. Es ist darüber, wie über alle gerichtlichen Acte, ein Protocoll aufzunehmen, in welchen die etwa dabei vorfallenden Thatsachen, Erklärungen etc. aufzuzeichnen sind. Eine Abschrift dieses Protocolls nebst Inventar ist öffentlich auszulegen, damit die Betheiligten, namentlich die Gläubiger, sich über den Zustand der Masse unterrichten und darnach ihre Entschlüsse fassen können. Franz. Code Art. 480. Belg. Code Art. 488. 489. D. C. O. Art. 113. 114.
Wenn sich Gegenstände bei der Inventarisirung finden, welche dem Schuldner nicht gehören, so müssen sie auf Verlangen dem Eigenthümer ausgeliefert werden; ebenso umgekehrt wenn Gegenstände, die dem Schuldner gehören, sich in fremden Händen befinden. Entsteht darüber Streit, so muss dieser gerichtlich entschieden werden. Es handelt sich hier nicht, wie wohl zu beachten, um obligatorische Forderungen gegen den Schuldner in Bezug auf specielle Sachen, welche diesem als Eigenthümer gehören; solche Forderungen können nur in Gemeinschaft mit den übrigen Concursforderungen geltend gemacht werden und sind der Verhältnissmässigkeit der Befriedigung unterworfen. Sondern es handelt sich um Ansprüche auf Sachen, welche dem Schuldner nicht gehören und daher auch nicht zur Befriedigung der Gläubiger desselben verwendet werden dürfen. Der häufigste Fall ist der, dass der Eigenthümer kraft seines Eigenthumsrechts die Sache vom Schuldner zurückfordert'; doch sind auch Ansprüche auf Grund anderer dinglicher Rechte, z. B. von Servituten oder Niessbrauchsrechten, ja selbst obligatorische Ansprüche, z. B. wegen Deposit, Commodat, Mandat u. dgl. nicht ausgeschlossen. Inwieferne gegen bankerott gewordene Commissionäre von dem Committenten ein Eigenthumsrecht geltend gemacht werden kann, ist in Handelssachen namentlich nach den Art. 529 und 530 des Entwurfs zu beurtheilen. Auch das Verfolgungsrecht (Art. 633 ff.) kommt hier zur Anwendung. Der Berechtigte kann den Gegenstand nur so aus der Masse verlangen, wie er sich zur Zeit befindet; wegen etwaiger Schadensansprüche könnte nur eine Concursforderung erhoben werden. D. C. O. Art. 35 Wilmowsky p. 131 ff. Franz. Code Art. 574 ff. Bravard V. p. 512 ff. Belg. Code Art. 566 ff.
In dem Französischen und in anderen Gesetzen ist dieser Gegenstand in einem besonderen Abschnitt, unter dem Namen der Revindication oder Aussonderung behandelt. Franz. Code Art. 574— 579. Belg. Code Art. 566—572. D. C. O. Art. 35—38. Die Vindication oder das Verfolgungsrecht ist bereits in diesem Entwurfe anderweitig ausführlich behandelt; oben Art. 633—640; ebenso einige andere hieher gehörige Fragen, wie insbesondere das Verhält-niss zwischen dem Committenten und Commissionär Art. 529. 530. 534, und die Befugniss des Rücktrittes der Contrahenten bei noch nicht erfüllten zweiseitigen Verträgen Art. 1047. Es genügt daher hier, das allgemeine Princip auszusprechen, dass die nicht dem Schuldner gehörigen Sachen zur Befriedigung der Gläubiger nicht verwendet werden dürfen, mithin jeder eine ihm gehörige Sache vollständig und ausschliesslich aus der Masse abfordern kann, und nicht etwa blos in dem gleichen Verhältniss wie die nur obligatorisch berechtigten Gläubiger.
Zwischen dieser Aussonderung (Vindication) und dem früher behandelten Absonderungsrecht (Hypothek, Pfand etc.) ist strenge zu unterscheiden. Der auszusondernde Gegenstand gehört einem anderen als dem Kridar und wird zur Masse überhaupt nicht genommen.
Der abzusondernde Gegenstand gehört dem Kridar und kann zur Befriedigung der Gläubiger verwendet werden, entweder wenn der Absonderungsberechtigte vorweg befriedigt wird, oder soweit nach der Befriedigung des letzteren ein Ueberschuss übrig bleibt. Der letztere muss auch in mancher Beziehung am Concursverfahren theilnehmen, der fremde Eigenthümer dagegen nicht.
In der Englischen Gesetzgebung (Gesetz von 1869 Art. 15 Ziff. 5) ist das Absonderungsrecht durch die Aufstellung der Fiction des sog. anscheinenden Eigenthums (reputed ownership) sehr beschränkt, indem derjenige, welcher bewegliche Sachen mit Willen und Zustimmung des wirklichen Eigenthümers in seinen Besitz und zu seiner Verfügung hat, auch als deren Eigenthümer behandelt werden soll. Darnach können z. B. Waaren, die dem Commissionär zum Verkauf übergeben wurden, wenn dieser bankerott wird, von dem Committen-ten nicht vindicirt werden, während das Franzos, und Deutsche. Recht principiell anders entscheidet, und ebenso auch der Entwurf, nach welchem die Vindication nur ausgeschlossen ist, wenn der Commissionär den Auftrag auf eigene Rechnung übernommen hätte; oben Art. 529. 530. Franz. Code Art. 575. Belg. Code Art. 567. Wilmowsky p. 134 lit. d. c. Die Englische Gesetzgebung scheint zwar insoferne mehr mit der practischen Gerechtigkeit zu harmoniren, als derjenige, der mit Wissen und Willen des wirklichen Eigenthümers sich als Eigenthümer gerirt, von der Aussenwelt nicht leicht anders als ein wirklicher Eigenthümer angesehen werden wird. Jedoch wissen diejenigen, die mit einem Kaufmann Geschäfte abschliessen, in der Regel sehr wohl, ob er als Eigenthümer oder nur als Commissionär handelt, auch wird dies sehr häufig ausdrücklich geäussert; und in sehr vielen Fällen müssen auch nach Englischem Rechte Ausnahmen gemacht werden, weil die Fiction des Eigenthums zu offenbaren Unbilligkeiten führen würde, so namentlich auch in dem bereits erwähnten Fall des Commissionärs (Factor). Smith, merc. law p. 659 ff. Durch diese Ausnahmen wird das Princip selbst ziemlich durchlöchert, und es bleibt für die Anwendung wenig davon übrig. Es schien daher richtiger, das Princip festzuhalten, dass Conflicte zwischen Gläubigern und fremden Eigenthümern nach ihren wirklichen und nicht blos fingirten Rechten zu entscheiden sind.
Art. 1070. Das zweite, was der Verwalter zu thun hat, ist die Anfertigung resp. Prüfung der Bilanz. Franz. Code Art. 476. Belg. Code Art. 494. D. C, O. Art. 114. Die Bilanz enthält eine Aufzeichnung und Gegenüberstellung sämmtlicher Activen und Passiven des Kridars, soweit dieselben aus den Büchern und Papieren desselben, oder aus der Vernehmung des Kridars vorläufig ermittelt werden können. Aus der Bilanz muss sich immer ergeben, ob und wieweit das Vermögen des Kridars zur Befriedigung seiner Gläubiger hinreicht, und aus dem beizufügenden Bericht müssen die Ursachen und näheren Umstände des Bankerotts zu ersehen sein, insbesondere ob derselbe durch eigene Schuld des Kridars stattfand, oder durch unverschuldete Unglücksfälle, ob er vermieden werden konnte, ob der Kridar nach kaufmännischen Regeln sein Geschäft betrieb, ob er ordentlich Buch führte, ob er sein Vermögen durch leichtsinnige Verschwendung vergeudete, oder durch gewagte Speculationen, ob eine starke Ueberschuldung vorhanden ist, ob der Kridar criminell strafbare Handlungen beging und dergl. Wenn das letztere der Fall ist, muss auf Grund des Berichts sofort das Strafverfahren eingeleitet werden, wofür der Commissär zu sorgen hat. Diesem ist daher der Bericht des Verwalters zunächst zu übergeben. Da aber an der Kenntniss der Bilanz und der näheren Umstände des Bankerotts auch die Gläubiger ein Interesse haben, so muss die öffentliche Einsichtnahme ermöglicht werden. Im Belgischen Code ist dem Verwalter für die Erfüllung dieser Obliegenheit eine 15 tägige Frist gesteckt. Diese Frist wird aber in vielen Fällen zu kurz sein und es wurde dieselbe daher auf 30 Tage im Maximum fixirt.
Sollte der Kridar bereits verstorben sein, so können seine Familienglieder und Erben zur Gewinnung näherer Auskünfte herangezogen werden. Franz. Code Art. 478. Belg. Code Art. 490. Bravard V. p. 318.
Die Bilanz ist in der in Art. 1035 vorgeschriebenen Form zu verfassen; sie muss also auch Rubriken über die jährlichen Verluste und Gewinne, und über die Haushaltsausgaben enthalten. Diese letzteren dienen besonders dazu, über die Ursachen und näheren Umstände des Bankerotts Aufschluss zu geben. Die Zusammenstellung der Activa muss enthalten: den vorhandenen Cassavorrath, die Vorräthe an Waaren und Producten, die Maschinen und anderen Geschäftsutensilien, die Wechsel und anderen Effekten, die übrigen Forderungen, hypothekarische oder andere und den Immobilienbesitz. Bravard. V. p. 45 ff.
Art. 1071. Aehnlich bestimmen Franz. Code Art. 470. 486, Belg. Code Art. 474. 475, D. C. O. Art. 118. 120. 121, Engl. Gesetz von 1869 Art. 26. Im Französischen Gesetzbuch ist die Genehmigung des Commissärs, in der D. C. O. die der Gläubiger vorgeschrieben. Da indessen die Fortführung des Geschäfts dem gewöhnlichen Zweck der Concursverwaltung widerspricht, indem dadurch die Rechtswirkung des Bankerott insoweit aufgehoben oder suspendirt wird, dass die durch den Bankerott untergegangene Firma wieder auflebt, so erschien es richtiger, hiezu einen Beschluss des Gerichts vorzuschreiben. Ist aber die gerichtliche Genehmigung in der Hauptsache ertheilt, so wird für einzelne Verkäufe, die eine Ausnahme hievon begründen, die Zustimmung des Commissärs genügen, nämlich bei Sachen, deren schleuniger Verkauf nicht wohl aufgeschoben werden kann, ohne die Masse zu benachtheiligen. Der Kridar muss hiebei gehört werden, da es sich insoferne um sein Eigenthum handelt, als unter den hier vorausgesetzten Umständen das Geschäft mit seinem ganzen Bestände ihm wieder zurückgegeben werden wird. Jedoch ist dies eine blosse Möglichkeit, und keine absolute Gewissheit; es genügt daher, wenn man ihm Gelegenheit gibt, seinen etwaigen Widerspruch dagegen zu begründen, seine Zustimmung ist nicht erforderlich.
Auch abgesehen von den hier gemachten Voraussetzungen kann das Geschäft, z. B. eine Fabrik, fortgeführt werden, jedoch nur zum Zweck der besseren Ausnützung der vorhandenen Vorräthe, zur Ausführung bereits gemachter vortheilhafter Bestellungen und aus ähnlichen Gründen, d. h. um die möglichst vortheilhafte Verwerthung der Masse zu erlangen. Die Bestimmung hierüber steht einfach dem Verwalter zu, doch müsste im Streitfalle zunächst der Commissär und schliesslich das Gericht entscheiden. Nach der Englischen Gesetzgebung kann der Verwalter die Fortführung des Geschäfts auch dem Kridar selbst übertragen. Dies ist eine bedenkliche Bestimmung und es scheint richtiger, es dabei zu belassen, dass der Verwalter sich nach seinem Ermessen der Mithülfe des Kridars bedienen kann.
Art. 1072. In diesem Artikel werden Vorschriften gegeben darüber, auf welche Weise der Verkauf der Masse von dem Verwalter ausgeführt werden soll. Im allgemeinen muss es mittelst öffentlicher Versteigerung geschehen, weil nur dadurch der höchst mögliche Preis erzielt und betrügliche Abmachungen unter der Hand verhütet werden können. Die Versteigerung kann jedoch bei beweglichen Sachen unterbleiben, mit Genehmigung des Commissärs, wenn den Umständen nach durch die Versteigerung kein besserer Preis erlangt werden könnte. Die Formen der gerichtlichen Versteigerung von Grundstücken sind dieselben, wie ausserhalb des Concursverfahrens; im Französ. Gesetzbuch ist desfalls auf die Bestimmungen des Verkaufs für Minderjährige, im Belgischen auf ein Gesetz vom 12. Juni 1816 verwiesen: in Deutschland kommen die Art. 755—757 der Civilprocessordnung zur Anwendung. Preuss. Gesetz vom 18. April 1855 Art. 31 ff. Subhastationsordnung vom 15. März 1869. Im Entwurfe wurden die wesentlichen Punkte kurz zusammengestellt, die dabei zu beobachten sind. Die öffentliche Versteigerung muss eine geräumige Zeit vorher öffentlich angekündigt werden und es ist damit eine kurze Beschreibung des Grundstücks zu verbinden; die näheren Details der Beschreibung und der Kaufsbedingungen können vorher von den Kauflustigen bei Gericht eingesehen werden. Die Anberaumung mehrerer Termine ist nothwendig, um den höchsten Preis zu erzielen und insbesondere den Losschlag unter dem Schätzungspreis womöglich zu verhüten. In den Kaufsbedingungen ist auch anzugeben, wie und in welchen Raten der Kaufpreis zu entrichten ist. Vgl. Franz. Code Art. 571—573, Belg. Code Art. 564.565, D. C. O. Art. 116.
Art. 1073. Zur Realisirung der Activmasse gehört fernerhin die Einziehung der ausstehenden Forderungen des Kridars, welche desshalb gleichfalls dem Verwalter obliegt. Ebenso hat der Verwalter sonst die Rechte des Kridars im Interesse der Masse geltend zu machen und zu sichern, z. B. Executionen zu bewirken, die Verjährung einer Forderung durch Mahnung zu verhindern, Hypotheken eintragen zu lassen, im Concurse eines Schuldners des Kridars dessen Forderung anzumelden und geltend zu machen, Wechselproteste zu erheben u. dgl. m. Französ. Code Art. 490. Belg. Code Art. 487.
Im allgemeinen muss der Verwalter auf eigene Verantwortlichkeit handeln, er braucht also nicht zu allen seinen Verwaltungsacten die vorherige Genehmigung des Commissärs oder des Gerichts einzuholen, soweit ihm dies nicht speciell zur Pflicht gemacht ist, wie z. B. in den Art. 1071. 1072. Im zweiten Absatze des gegenwärtigen Artikels sind nun aber eine Reihe wichtigerer Verwaltungsacte aufgezählt, die der Verwalter nicht auf eigene Faust vornehmen kann, wenn der Gegenstand, um den es sich für die Masse handelt, 100 Yen oder mehr beträgt. Der Grund hiefür ist, dass man dem Verwalter nicht gestatten kann, nach seinem freien Ermessen auf Rechte zu verzichten oder neue Verpflichtungen für die Masse zu übernehmen. D. C. O. Art. 121. 122. Franz. Code Art. 487. Belg.
Code Art. 492. In den letzteren Gesetzen ist ausdrücklich nur von Vergleichsabschlüssen die Rede, allein das Princip muss offenbar auch auf andere Handlungen ausgedehnt werden, deren Vornahme in dem Recht die Masse zu verwalten und zu verwerthen nicht von selbst enthalten sein kann.
Art. 1074. Diese Bestimmung dient zur grösseren Sicherheit der zur Masse eingehenden Gelder, da diese nicht ohne Gefahr in den Händen des Verwalters gelassen werden könnten. Vgl. Französ. Code Art. 489. Belg. Code. Art. 479. 480, D. C. O. Art. 118. 120, Bravard V. p. 338 ff. Darüber, welche Summen zur Bestreitung der laufenden Verwaltungsausgaben dienen, hat der Commissär zu bestimmen, dem desshalb der Verwalter die erforderlichen Nachweise zu liefern hat. Wo möglich müssen die Gelder verzinslich angelegt werden, ohne dass dadurch ihre vollständige Sicherheit gefährdet werden dürfte. Wenn der Verwalter die Deponirung der Gelder ohne Grund verzögert, muss er dafür Verzugszinsen entrichten. Die Auszahlung an die Gläubiger kann direct durch die Bank geschehen, auf Grund einer Zahlungsverfügung des Commissärs. In Frankreich und Belgien ist zur Annahme solcher Depositen die Depositencasse des Staates gesetzlich bezeichnet. In diesem Lande könnte hiefür durch Verordnung die Bank von Japan designirt werden. In Deutschland soll die Stelle, bei welcher die Hinterlegung zu geschehen hat, zunächst durch das Gericht, definitiv aber durch die Gläubigerversammlung bestimmt werden.
Art. 1075. Durch die Vorschriften dieses Artikels soll die Bestrafung des Kridars gesichert werden, wenn er sich bei Gelegenheit seines Bankerotts strafbarer Handlungen schuldig gemacht hat. Vgl. Franz. Code Art. 459. 482. 483, Belg. Code Art. 494.
Art. 1076. Ebenso verfügt das Französ. H. G. B. Art. 477 und das Belg. Art. 485. Diese Bestimmung ist desshalb nothwendig, weil der Commissär an sich nicht die Stellung eines Untersuchungsrichters einnimmt, und weil man die Zeugnisspflicht des Kridars und seiner Leute über Dinge, in welchen sie offenbar Partei sind, bezweifeln könnte. Bravard V. p. 327. Das dem Commissär hieir beigelegte Recht soll nicht nur dazu dienen, die etwaige Strafbarkeit des Kridars zu ermitteln, sondern auch alle im Interesse der Masse nöthigen Aufschlüsse zu erlangen.
VI. Titel Gläubiger.
Capitel 1. Anmeldung und Feststellung der Forderungen.
Art. 1077. Nach Art. 1036 muss im Bankerotturtheil jedesmal auch eine Frist zur Anmeldung der Forderungen gegen die Concursmasse, ferner ein Prüfungstermin und ein Termin für die Versammlung der Gläubiger anberaumt werden. D. C. O. Art. 102. Nach dem Französ. H. G. B. Art. 492 sollen nur diejenigen Gläubiger speciell, und zwar durch Schreiben des Gerichtsschreibers, aufgefordert werden, welche bis zur Ernennung der sog. definitiven Verwalter ihre Forderungen nicht angemeldet haben; die Gläubiger können jedoch unmittelbar nach dem Erlass des Bankerotturtheils mit der Anmeldung beginnen (Art. 491); ähnlich war in der früheren Preuss. Concursordnung von 1855 Art. 167 bestimmt, dass diejenigen Gläubiger, welche bis zum ersten Prüfungstermin nicht angemeldet hatten, wiederholt zur Anmeldung unter Anberaumung eines neuen Prüfungstermines aufgefordert werden sollten. Nach der D. C. O. Art. 126. 130 findet nur ein einmaliger Prüfungstermin statt, und dies wurde im Entwurfe gleichfalls adoptirt; dabei schien es aber zweckmässig, nach dem Beispiele des Belg. Code Art. 496 die specielle Benachrichtigung der bekannten Gläubiger gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Bankerotturtheils zu verbinden, so dass die Fristen der Anmeldung und Prüfung unmittelbar an das Datum des Bankerotturtheils angeknüpft werden können. Dies bewirkt eine grössere Einfachheit und Beschleunigung des Verfahrens, und eine gleichmässigere Behandlung sämmtlicher Gläubiger, wodurch namentlich die auswärts wohnenden Gläubiger, die etwa von dem Bankerotturtheile durch die Zeitungen keine Kenntniss erhalten sollten, gegen den Ausschluss vom Concursverfahren oder die Versäumung der Fristen gesichert werden.
Die specielle Ladung der bekannten Gläubiger ist nothwendig, weil das Concursverfahren ihre Rechte schmälert und weil sie eventuell von der Befriedigung aus der Concursmasse ausgeschlossen werden. Art. 1083. Es wäre daher unbillig und härt, ihnen nicht specielle Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Forderungen zu geben. Die Namen der bekannten Gläubiger sind aus der Bilanz und aus den Geschäftsbüchern zu entnehmen. Ihre specielle Benachrichtigung setzt daher die Anfertigung der Bilanz und das Studium der Geschäftsbücher voraus und wird daher immer erst einige Zeit nach der Veröffentlichung des Bankerotturtheils erfolgen können. Daher wurde im Entwürfe über den Zeitpunkt der speciellen Aufforderung nichts gesagt, es versteht sich aber schon nach Art. 1038 von selbst, dass kein unnöthiger Verzug stattfinden, sondern der Erlass der Schreiben so schleunig als möglich besorgt werden muss. Ein Nachtheil für die bekannten Gläubiger liegt in dem kurzen Aufschub nicht, da sie die Thatsache des eingetretenen Bankerotts immer noch in der gleichen Weise wie die unbekannten Gläubiger durch die Veröffentlichung des Bankerotturtheils erfahren. Ueber die Form der Notizschreiben ist in dem Entwurf nichts gesagt, dieselbe bleibt dem gewöhnlichen Gerichtsstyl überlassen; sie können entweder vom Commissär selbst, oder auf dessen Anweisung vom Gerichtsschreiber, in einzelnen Zuschriften, oder in sog. Missiven oder Circularen erlassen werden. Letzteres ist in Frankreich und Belgien üblich. Bravard V. p. 346. Belg. Code Art. 496.
Die Anmeldung erfolgt nicht in der Form der Klage und es wird auch das förmliche Prozessverfahren in Betreff der Beurtheilung und Entscheidung über die angemeldeten Forderungen nicht beobachtet. Das Concursverfahren ist ein schleuniges Verfahren, von welchem jede unnöthige Förmlichkeit und Weitläufigkeit ferngehalten wird. Es bedarf daher blos der einfachen Angabe dessen, was jeder Gläubiger aus der Masse in Anspruch nimmt, nebst der wesentlichen Begründung. Es genügt nicht die Angabe der Summe, welche der Cridar nach dem Vertrage etc. ursprünglich schuldet, sondern es muss der Betrag angegeben werden, dessen Auszahlung von der Masse verlangt wird; letzterer kann kleiner sein als erstere, z. B. wenn bereits eine theilweise Rückzahlung stattfand, oder auch grösser, wenn etwa noch rückständige Zinsen oder Schadensersatzansprüche etc. dazu kommen. Bei Forderungen, die nicht ursprünglich auf eine Geldsumme gehen, ist die Geldsumme namhaft zu machen, welche als Werth- oder Schadensersatz reclamirt wird. Der Pflicht der Anmeldung sind auch die Hypothek- und Pfandgläubiger etc. unterworfen. D. C. O. Art. 127. Franz. Code de comm. Art. 501. Solche Gläubiger können entweder auf ihr Absonderungsrecht verzichten und werden dann, ohne Verlust ihres Vorrechtes vor den gewöhnlichen Gläubigern, aus der allgemeinen Masse befriedigt; aber auch wenn sie nicht darauf verzichten, können sie ihr Absonderungsrecht doch erst dann ausüben, wenn es festgestellt wurde; ihr desfallsiger Anspruch unterliegt mithin der Prüfung und dem etwaigen Widerspruch der Gläubiger, z. B. wenn die Hypothek im Widerspruch mit Art. 1044 oder 1046 bestellt worden wäre. Von Amtswegen werden die Vorrechte der Gläubiger nicht berücksichtigt Sarwey p. 557.
Das Französ. Gesetzbuch Art. 491 schreibt die Vorlage der Schuldurkunden (titres) im Original vor, die D. C. O. Art. 127 lässt sie auch in Abschrift zu. Letzteres erscheint richtiger, da es genügt, wenn die Original-Urkunden im Prüfungstermin vorgelegt werden und der Gläubiger gute Gründe haben, ja genöthigt sein kann, die Originale einstweilen zu behalten, z. B. um seine Forderung gegen etwaige Mitverpflichtete zu verfolgen. Ebenso folgt man der Deutschen Gesetzgebung Art. 127 darin, dass die Anmeldung in allen Fällen beim Gerichtscommissär erfolgen muss, während sie nach dem Französ. Code Art. 491 und 492 sowohl beim Gerichtsschreiber, als bei den Verwaltern erfolgen kann. Ersteres ist sicherer und der Natur der gerichtlichen Verfolgung von Rechtsansprüchen mehr angemessen; auch wird dadurch die Uebergabe der Beweisurkunden weniger bedenklich. Der Verwalter erhält die Abschriften der Anmeldungen, damit er sie in der Zwischenzeit bis zum Prüfungstermine einstweilen vorläufig prüfen und mit den Geschäftsbüchern und Papieren des Cridars vergleichen kann. Wegen dieser nothwendigen Vorprüfung muss auch zwischen dem Ende der Anmeldungsfrist und dem Beginn des Prüfungstermins eine angemessene Frist liegen, die nach der Menge und Schwierigkeit der zu erwartenden Anmeldungen zu bestimmen ist. Diese Frist ist im Französ. Code Art. 493 auf 3 Tage festgesetzt, offenbar zu kurz; in der D. C. O. Art. 126 auf 1 Woche bis 2 Monate. Letzteres ist wieder zu lang und sehiebt die weiteren Verhandlungen, insbesondere auch den Vergleichstermin, der erst nach dem Prüfungstermine stattfinden kann, unnöthig lange hinaus. Im Entwurfe erschien eine 10—15 tägige Frist als die angemessenste.
Die Anmeldefrist soll nach Art. 1036 höchstens 3—6 Monate betragen; nach der D. C. O. Art. 126 beträgt sie 3 Wochen bis 3 Monate, nach dem Französ. Code Art. 492 wird die Minimalfrist von 20 Tagen durch die respective Entfernung der Gläubiger vom Gerichtsorte vergrössert und es kann desshalb die Anmeldefrist für die entfernter wohnenden Gläubiger nach § 73 der Civilprozessordnung (vom 3. Mai 1862) bis auf 5 und 8 Monate, und in Zeit von Seekriegen auf das doppelte hievon steigen. Nach dem Belg. Code Art. 466. 497 kann die gewöhnliche Anmeldefrist von 20 Tagen durch den Commissär für die entfernteren Gläubiger nach seinem Ermessen verlängert werden. Man hat jedoch im Entwurfe feste und gleichmässige Fristen vorziehen zu müssen geglaubt. Es können übrigens zwei Fristen, für die inländischen und ausländischen Gläubiger gesteckt werden, und ebenso auch sodann zwei Prüfungstermine; bei dem weiteren Verfahren braucht jedoch dann auf die ausländischen Gläubiger nicht mehr gewartet zu werden, sondern es wird das Verfahren mit den inländischen Gläubigern weitergeführt, und nur bei der Vertheilung der Masse muss auf die ausländischen Gläubiger Rücksicht genommen werden. Dadurch werden die letzteren allerdings in mancher Hinsicht, so namentlich in Betreff der Berathung und Abstimmung über Vergleichsvorschläge, schlechter gestellt, allein dieses Opfer kann ihnen im Interesse der Mehrzahl der übrigen Gläubiger wohl zugemuthet werden. Bravard V. p. 348.
Art. 1078. Aehnlich verfügt die D. C. O. Art. 128 und der Belg. Code Art. 507. Die Tabelle dient als Grundlage für die Prüfung im späteren Termin, und für die vorläufige Prüfung durch den Verwalter, sowie auch für die Benachrichtigung aller am Concurse interessirten Personen. Die Bilanz genügt für diese Zwecke nicht, da diese nur aus den Geschäftsbüchern des Cridars angefertigt werden kann, die meist keinen vollen Glauben verdienen werden. Die Anfertigung von 2 Tabellen entspricht der Scheidung der sämmtlichen Gläubiger in bevorrechtigte und gewöhnliche Gläubiger. In jede Tabelle sind die wesentlichen Punkte einzutragen, welche nach Art. 1077 angemeldet werden müssen. Ferner sind in den Tabellen Rubriken zu lassen, um das Ergebniss des Prüfungstermines und später den Ausfall des etwaigen gerichtlichen Urtheiles einzutragen. Nähere Vorschriften über die Anfertigung der Tabellen finden sich in der Preuss. Instruction vom 6. Aug. 1855. Sarwey p. 558.
Art. 1079. Die Prüfung der angemeldeten Forderungen findet zwar mittelst gerichtlicher Verhandlung statt, aber nicht in den Formen des regelmässigen Processverfahrens, sondern mittelst freier Untersuchung und Besprechung zwischen den betheiligten Interessenten. Betheiligt sind zunächst der Verwalter, und sodann die Gläubiger, da durch jede Forderung deren Antheil an der Masse verhältnissmässig geschmälert wird. Der Commissär hat die Verhandlung zu leiten und alles zur Aufklärung nöthige anzuordnen. Er kann die Vorlage der Geschäftsbücher der Gläubiger oder von Auszügen daraus anordnen; es versteht sich von selbst, dass auch die Geschäftsbücher und anderen Papiere des Cridars zur Prüfung benützt werden und daher zum Prüfungstermin mitzubringen sind. Er kann nöthigenfalls auch die Vernehmung von Zeugen anordnen, soweit dieselbe in dem Termine selbst bewirkt werden kann. Auch der Cridar wird dazu geladen, um auf Erfordern Auskunft zu geben. Jedoch ist die Anwesenheit des Cridars, wenn derselbe etwa sich entfernt haben sollte, nicht absolut erforderlich ; auch die Gläubiger brauchen nicht anwesend zu sein, und es werden auch die Forderungen derjenigen geprüft, welche im Termin nicht erschienen sind. Kann die Prüfung an einem Tage nicht beendigt werden, so muss den Termin an den folgenden Tagen fortgesetzt und ununterbrochen zu Ende geführt werden. Französ. Code Art. 493—497. Belg. Code Art. 500—503. D. C. O. Art. 129—131.
Die Anmeldungsfrist ist keine präclusive Frist in dem prozessualischen Sinne, dass ihre Versäumung den Ausschluss von der Befriedigung aus der Concursmasse zur Folge hätte. Es werden auch die später angemeldeten Forderungen zugelassen und geprüft, nur mit der Wirkung, dass der betreffende Gläubiger die Folgen seiner Verspätung zu tragen hat. D. C. O. Art. 130. Fr. Code Art. 503. Belg. Code Art. 503. 508. Die verspäteten Gläubiger müssen also die Kosten eines durch sie veranlassten späteren Prüfungstermines tragen und sie können an der Vertheilung der Masse erst nach der späteren Feststellung ihrer Forderungen Theil haben. Wird gegen die sofortige Erörterung ihrer Forderungen von dem Verwalter oder einem Gläubiger Widerspruch erhoben, so muss dieser berücksichtigt werden, weil man ihnen die zur vorläufigen Prüfung erforderliche Zeit nicht benehmen kann.
Art. 1080. Die Feststellung einer Forderung bezieht sich sowohl auf den Betrag der schuldigen Summe als auch auf das etwa damit verbundene Vorzugsrecht, und erfolgt entweder durch freiwillige Anerkennung oder durch gerichtliche Entscheidung. Zur Anerkennung sind der Verwalter und jeder Gläubiger befugt; um den Widerspruch unberechtigter Personen zu verhüten, ist bestimmt, dass nur diejenigen Gläubiger widersprechen dürfen, deren Forderungen entweder bereits festgestellt oder wenigstens in die Bilanz aufgenommen sind, weil im letzteren Falle die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass sie wirkliche Gläubiger sind. Der Cridar hat kein förmliches Recht des Widerspruchs, da er im Concursverfahren vom Verwalter und vom Commissär vertreten wird. D. C. O. Art. 132. Im Französ. Code Art. 494 und im Belg. Code Art. 503 ist allerdings auch dem Cridar das Recht des Widerspruchs eingeräumt. Dies scheint aber nicht empfehlenswerth, einmal aus dem eben bemerkten principiellen Grunde, und sodann weil er durch böswilligen Widerspruch die Processe vermehren könnte. Es genügt, wenn er mit seinen Erklärungen gehört wird, aber die Entscheidung darüber, ob wegen einer Forderung prozessirt werden soll, bleibt richtiger dem Verwalter und resp. dem Commissär vorbehalten.
Auch dem Commissär wurde, mit Ausnahme der Forderungen des Verwalters, die Rolle des Widerspruchs nicht zugetheilt, weil dies besser der unparteiischen Stellung einer Gerichtsperson entspricht. Er ist aber nicht gehindert, an der Untersuchung und Erörterung jeder einzelnen Forderung theilzunehmen, auf Mängel und Unregelmässigkeiten aufmerksam zu machen, seine juristische Meinung auszusprechen, und schliesslich sein Aufsichtsrecht gegen den Verwalter behufs Vornahme oder Unterlassung eines Widerspruches auszuüben. Bravard V. p. 350.
Wird ein im Prüfungstermin erhobener Widerspruch wieder zurückgezogen, so ist derselbe als nicht erfolgt anzusehen, die betreffende Forderung gilt demnach als anerkannt. Die Zurücknahme des Widerspruchs kann namentlich auf Grund weiterer Ermittlungen und Aufklärungen im Termin selbst erfolgen, selbstverständlich nur durch denjenigen, der ihn erhoben hat.
Es ist möglich, dass wegen gewisser Forderungen schon vor der Concurseröffnung Prozess gegen den Cridar erhoben wurde und derselbe noch nicht zu Ende geführt ist. Es versteht sich nun nach Art. 1039 und 1041 von selbst, dass solche Prozesse durch die Concurseröffnung unterbrochen werden und die betreffenden Forderungen, wie alle übrigen, regelmässig anzumelden sind. Weitergeführt, und zwar gegen den Verwalter, können nur solche Prozesse werden, welche die Befriedigung aus einem Absonderungsrecht zum Gegenstand haben. Denn nur insoweit ist eine besondere Execution in das Vermögen des Kridars zum Vortheil des Gläubigers zulässig. Auch solche Forderungen müssen jedoch angemeldet und festgestellt werden; allein ihre Befriedigung kann in besonderem Verfahren gegen den Verwalter durchgefochten werden.
Art. 1081. Dass eine bestrittene Forderung durch richterliche Entscheidung festgestellt werden muss, folgt von selbst aus allgemein anerkannten Rechtsgründen. Der Widerspruch gegen eine Forderung kann den Gläubiger niemals um sein Recht bringen; andererseits kann der Anspruch des Gläubigers allein noch nicht genügen, um den Schuldner als zahlungspflichtig erscheinen zu lassen. Der Streit zwischen Gläubiger und Schuldner kann daher nur durch richterliches Urtheil ausgeglichen, jedes Urtheil muss aber durch ein darauf hinzielendes Verfahren vorbereitet werden. Das Verfahren ist im Concurse nicht strenge dasselbe, wie ausserhalb des Concurses; es ist vielmehr freier und unmittelbar auf Ermittlung der Wahrheit gerichtet. Auch hier folgt man mehr dem Untersuchungs-, wie dem Verhandlungsprincip und es kommt auf die Anträge und Erklärungen der Parteien im wesentlichen nichts an. Der Zweck dieses Verfahrens ist, eine vollständigere Untersuchung des Falles als sie im Prüfungstermin geschehen kann, und eine Entscheidung durch volle richterliche Autorität herbeizuführen. Diese Eigenthümlichkeiten des Prozesses im Concursverfahren erklären sich dadurch, dass der Kridar die Dispositionsfähigkeit über sein Vermögen, auch die prozessualische, verloren hat und dass sie von dem Verwalter nicht mit derselben Freiheit ausgeübt werden kann, wie von dem unabhängigen Schuldner selbst. Das Gericht prüft und entscheidet daher nach freiem Ermessen, nicht gebunden an die Anträge der Parteien, und es wird hauptsächlich auf die Erklärungen des Commissärs ankommen, welcher das Interesse der öffentlichen Gerechtigkeit zu vertreten hat. Jedoch muss die Anhörung der Parteien, wenn diese es verlangen, die Vernehmung der Zeugen und überhaupt die Ermittlung des Sachverhalts, sowie die Prüfung der Rechtsgründe ebenso gründlich und unparteiisch wie sonst überall geschehen. Das gleiche Princip des summarischen Verfahrens ist auch im Franz. Code Art. 498 und im Belg. Code Art. 504 angenommen, nur mit dem Unterschiede, dass nach dem ersteren die Vornahme der Beweisermittlung dem Commissär aufgetragen werden kann. Dies scheint nicht empfehlenswerth, da die Beweisaufnahme ausserhalb der Gerichtssitzung keinen denkbaren Nutzen bringt und das Gericht der Möglichkeit der unmittelbaren Beurtheilung des Falles beraubt.
In der D. C. O. tritt auch hier das Bestreben hervor, das Concursverfahren möglichst seiner Eigenthümlichkeiten zu entkleiden und die Macht des Concursrichters zu beschränken. Es ist daher in Art. 134 verfügt, dass bestrittene Forderungen im gewöhnlichen Verfahren gegen denjenigen, der Widerspruch einlegte, auszufechten sind. Dadurch wird die Wirkung der Anmeldung insoferne wieder aufgehoben, als bestrittene Forderungen nicht von Amtswegen zur gerichtlichen Entscheidung gebracht werden, und jeder Widersprechende, sei es der Verwalter oder ein einzelner Gläubiger, kann nach den Grundsätzen des gewöhnlichen Verfahrens frei über die Forderung verfügen; denn das gegen den einzelnen Gläubiger erlangte Urtheil soll auch gegenüber allen übrigen Gläubigern wirksam sein. Eine Schranke gegen Willkür ist nur insoferne gezogen, als der angemeldete Betrag und Rechtsgrund in der darauf folgenden Klage nicht mehr geändert werden darf. Diese Art der prozessualischen Feststellung der Forderungen scheint mit dem Zweck des Concursverfahrens nicht zu harmoniren und ist desshalb im Entwurf nicht adoptirt worden. Vgl. Sarwey p. 573.
Es kann sich die Frage erheben, ob die irrthümlich erlangte Feststellung einer Forderung nicht später angefochten werden kann. In England ist dieses Recht dem Verwalter eingeräumt und die Nothwendigkeit hiefür kann nicht bestritten werden. Gesetzt es wurde eine Wechsel-Forderung im Termin anerkannt, aber der Wechsel später als gefälscht erkannt, so kann unmöglich diese Forderung später als fortwährend richtig im Concurse zugelassen werden, an der Vertheilung der Masse theilnehmen u. s. w. Ebenso, wenn etwa die prozessualische Feststellung durch falsche Zeugen etc. erlangt war. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass der Widerspruch gegen eine bereits früher anerkannte oder richterlich festgestellte Forderung auch später noch erhoben werden kann, ja selbst nach dem Schluss des Verfahrens, um die etwa widerrechtlich erhaltenen Verth eil ungsbeträge wieder zu erlangen. Es bedarf aber an dieser Stelle keiner besonderen Bestimmung im Entwurfe, da die Grundsätze des gewöhnlichen Verfahrens über Restitution genügen. Vgl. z. B. Deutsche C. P. O. von 1877 Art. 543. Smith, merc. law p. 598.
Die Vorschrift des Art. 1079 ist analog auch hier insoferne anzuwenden, als das richterliche Urtheil, und zwar von Amtswegen, in der Tabelle und auf den Schulddocumenten eingetragen wird; die entgegenstehende Bestimmung der D. C. O. Art. 134 fin. ist wiederum mit dem Begriff der Anmeldung und der Natur des Concursverfahrens nicht zu vereinigen. Die Anmeldung vertritt im Concurse die Klagestellung, es bedarf daher später keiner neuen Klagestellung mehr; und wenn die durch Anerkennung festgestellten Forderungen von Amtswegen in die Tabelle eingetragen und den Betheiligten mitgetheilt werden, so fordert die Consequenz, dass das gleiche auch hinsichtlich der durch gerichtliches Urtheil festgestellten Forderungen geschehe.
Art. 1082. Aehnlich verfügt der Franz. Code Art. 499. 501, Belg. Code Art. 505. 502. 504. D. C. O. Art. 87. Diese Bestimmungen sind nothwendig, damit diejenigen Gläubiger, deren Forderungen bestritten werden, dadurch nicht von den Verhandlungen der Gläubiger, insbesondere von der Abstimmung über den Vergleich, ausgeschlossen werden. Sonst wurde die absichtliche Bestreitung einer Forderung durch einen einzigen Gläubiger, etwa auf heimliches Anstiften des Schuldners, die Folge haben, dass der Inhaber einer solchen Forderung sein Gewicht nicht in die Wagschale legen könnte, um etwa einen betrüglichen Vergleichsvorschlag zu Fall zu bringen. Bravard V. p. 358 ff.
Die Bestimmung des Betrages, zu welchem der Gläubiger vorläufig zugelassen werden soll, ist desshalb nothwendig, weil das Stimmrecht jedes Gläubigers mit Rücksicht auf den Betrag seiner Forderung bemessen wird. S. unten Art. 1088.
Art. 1083. Die in Art. 1077 verfügte Aufforderung an die Gläubiger, ihre Forderungen innerhalb der Anmeldefrist anzumelden, ist zwar unter Androhung des Ausschlusses von der Masse zu erlassen. Die Anmeldefrist ist jedoch keine Präclusivfrist in dem Sinne, dass schon die Versäumung der ersten Anmeldefrist den Ausschluss von der Masse zur Folge hätte. Der Ausschluss findet nur für diejenigen Forderungen statt, welche im Concursverfahren überhaupt nicht angemeldet werden; der Verwalter oder das Gericht haben keine Forderung, auch wenn sie ihnen bekannt und ganz unbestreitbar wäre, von Amtswegen zu berücksichtigen. Die nachträglich angemeldeten Forderungen werden demnach noch unbeanstandet zugelassen ; dies empfiehlt sich aus Billigkeitsgründen, weil man den Verlust, den die Gläubiger durch jeden Bankerott von selbst erleiden, nicht auch noch durch strenge Behandlung der Fristen erschweren darf; weil die Anmeldefrist überdies keine Verjährungsfrist ist und die nicht angemeldeten Gläubiger immer noch Gläubiger des Kridars bleiben; und weil die Versäumniss der Frist sehr leicht, namentlich bei entfernt wohnenden, durch unverschuldete Unkenntniss veranlasst sein kann. Diese Gründe sind einleuchtend und daher ist die Zulassung auch verspäteter Anmeldungen überall unter ziemlich gleichmässigen Bestimmungen anerkannt. Franz. Code Art. 502. 503. 567. 568. D. C. O. Art. 140. 155. Belg. Code Art. 508. Holl. H .G. B. Art. 873. 874. Engl. Gesetz von 1869 Art. 43. Es wird also auch für die später angemeldeten Forderungen ein Prüfungstermin fest gesetzt und die später festgestellten Forderungen werden bei der Verkeilung der Masse ebenso wie die früheren berücksichtigt; es ist aber klar und billig 1, dass die späteren Anmeldungen in das Verfahren nur eintreten können ohne rückwirkende Rechte, mithin das frühere Verfahren und namentlich die etwa bereits stattgefundenen Verkeilungen nicht zu ihren Gunsten rückgängig gemacht werden dürfen ; 2, dass sie die Kosten der durch ihre Versäumniss bewirkten späteren Handlungen, insbesondere des späteren Prüfungstermins, zu tragen haben; dass aber, sowie eine Forderung später festgestellt ist, sie auch von diesem Zeitpunkt die Rechte der übrigen erwirbt, also zum vollen Betrag an den Vertheilungen Theil hat. Es ist aber andererseits ebenso billig, dass diejenigen Forderungen, welche nicht wegen Versäumung der Anmeldefrist erst später zur Feststellung gelangen, bereits von Anfang an wenigstens vorsorglich berücksichtigt werden; das sind einmal die rechtzeitig angemeldeten, aber bestrittenen Forderungen, und sodann diejenigen, für deren Anmeldung wegen weiter Entfernung schon vom Gericht eine längere Frist bewilligt wurde. Denn sonst könnte jede, auch die unzweifelhafteste Forderung, durch den willkürlichen Widerspruch eines Gläubigers um ihre Rechte gebracht werden, und es wäre ungerecht, die entfernteren Gläubiger von vorneherein in eine schlechtere Stellung zu versetzen wie die näher wohnenden. Wenn man für die letzteren, damit sie nicht auf die ersteren zu warten brauchen, eine kürzere Frist ansetzt, so ist dies eine Begünstigung, die nicht auch noch zum Nachtheil der nicht begünstigten Gläubiger ausschlagen darf. Die Reservirung von Antheilen zum Vortheil der genannten Gläubiger ist als eine modificirte Zahlung aufzufassen, die Zinsen der reservirten Summen fallen daher den betreffenden Gläubigern zu und nicht der Masse. Bravard V. p. 637. Die Zurückbehaltung dient zur Sicherung der Masse gegen die Auszahlung an unberechtigte Gläubiger; ist das Recht eines Gläubigers anerkannt, so fällt der Anlass zur Sicherung fort, sein Antheil muss frei werden und dies muss nicht nur für den Capitalbetrag, sondern auch für den Zinsenzuwachs gelten. Die Bestimmung des Art. 1043, dass durch die Bankerotterklärung der Zinsenlauf gegen die Masse sistirt wird, kann hiegegen nicht geltend gemacht werden, denn diese Bestimmung bezieht sich nur auf die anzumeldende Forderung, nicht auch auf die aus der Masse auszuzahlenden Beträge.
Im Franz. Code Art. 497 und in anderen Gesetzen ist, äusser der Anerkennung oder dem gerichtlichen Urtheil, noch eine besondere förmliche Erhärtung (Affirmation) jeder Forderung durch den Gläu biger vorgeschrieben, ohne welche sie bei der Vertheilung nicht berücksichtigt werden darf. Der Entwurf hat in Uebereinstimmung mit der D. C. O. diese Vorschrift fallen lassen; es bedarf ihrer nicht, um falsche Anmeldungen mit schweren Criminalstrafen zu bedrohen, und ist gegenüber der eigentlichen Anmeldung wenig mehr als eine unnütze Förmlichkeit. Sarwey p. 562 Note 3.
Capitel 2. Besondere Arten von Gläubigere.
Art. 1084. Dieser und der folgende Artikel handeln von den Verhältnissen der Mit verpflichteten im Concurs. Solche Mitverpflichtete sind z. B. der Bürge neben dem Hauptschuldner, und alle, welche zusammen für eine Forderung solidarisch haften, wie z. B. mehrere Collectivgesellschafter, die sämmtlichen Indossanten und Aussteller eines Wechsels neben dem Acceptanten, diejenigen, welche durch gemeinsames Verschulden zum Schadensersatz verpflichtet sind n. s. w. Der Artikel bestimmt nun, dass wenn der Hauptschuldner oder überhaupt einer der Verpflichteten in Concurs fällt, die Forderung trotzdem gegen die übrigen Verpflichteten verfolgt werden kann, denn diese letzteren werden nur durch Zahlung frei, nicht aber schon durch die blosse Erhebung von Ansprüchen gegen einen Schuldner. Nur versteht es sich von selbst, dass wenn der Gläubiger im Concurs einen Theil seiner Forderung erhält, er von den anderen Verpflichteten nur noch den Restbetrag erhalten kann, und umgekehrt. Der Antheil im Concurs kann sich bestimmen entweder durch den Betrag der vertheilbaren Masse, oder durch Vergleich, oder durch gutwilliges Einverständniss, indem die Gläubiger sich dazu verstehen, gegen Zahlung von gewissen Procenten das Vermögen des Kridars freizugeben. Auch im letzteren Falle kann die Forderung im vollen Betrage gegen die Mitverpflichteten geltend gemacht werden. Gesetzt also, die Forderung betrüge 1000 D. und durch den Vergleich erhielte der Gläubiger 50 procent, also 500 D., so könnte er die anderen 500 D. von den Mitverpflichteten in Anspruch nehmen, obwohl er sich vergleichsweise gegenüber dem Kridar mit der Hälfte der Forderung begnügte und auf die andere Hälfte verzichtete. Denn dieser Verzicht ist einestheils kein freiwilliger, indem er dem einzelnen Gläubiger durch die Consequenzen des Concursverfahrens, oft gegen seinen ausdrücklichen Willen, auferlegt wird ; andererseits würde die Bürgschaft etc. ihre Wirkung als Sicherheit verlieren, wenn der Bürge durch die Zahlungseinstellung des Schuldners und den hinzutretenden Vergleich von seiner Verbindlichkeit frei werden könnte. Die Verpflichtung Mehrerer soll dem Gläubiger gerade Sicherheit geben für den Fall, dass einer von ihnen nicht oder nicht vollständig zahlen sollte; die Mitverpflichteten können daher von der Wohlthat eines Vergleiches mit dem Kridar keinen Grund zu ihrer eigenen Befreiung herleiten.
Die Bürgen und anderen Mitverpflichteten haben regelmässig einen Regressanspruch gegen den Hauptschuldner; auch diese Forderung kann nach Art. 1042 im Concurs als fällig angemeldet werden, obgleich sie nur bedingt ist, nämlich nur dadurch entsteht, dass der Bürge etc. wirklich den Gläubiger anstatt des Hauptschuldners befriedigt hat. Tritt die Bedingung nicht oder nur zum Theil ein, so wird auch die betreffende Regressforderung nicht oder nur zum Theil berücksichtigt. Wenn z. B. die Forderung 1000 D. beträgt und der Bürge sie ganz bezahlt hat, kann er mit seiner vollen Regressforderung im Concurs auftreten, hat aber der Gläubiger im Concurs 400 D. und vom Bürgen 600 D. erhalten, so kann nur der letztere Betrag als Regressforderung geltend gemacht werden. Wäre aber ein Vergleich zu Stande gekommen und die Gläubiger hätten auf Grund desselben 50 procent erhalten, so könnte nicht auch der Bürge 50 procent seiner Regressforderung in Anspruch nehmen, sonst würde die Masse auf eine und dieselbe Forderung zweimal zu zahlen haben, einmal an den Gläubiger und sodann an den Bürgen oder Regressgläubiger, die betreffende Forderung würde daher einen höheren Antheil erhalten, als sie nach dem Vergleich erhalten sollte, und der Kridar hätte insoferne keinen Vortheil vom Vergleich. Dies darf offenbar nicht zugelassen werden, und daher ist im Entwurfe bestimmt, dass Recursforderungen zwar im Concurs des Hauptschuldners angemeldet werden können, aber unbeschadet der Wirkung des Vergleiches zum Vortheil des Hauptschuldners.
Die gleichen Bestimmungen finden sich im Franz. Code Art. 544. 545, Belg. Code Art. 539—541, D. C. O. Art. 60. 178; Bravard V. p. 434. 438. 602 ff., Sarwey p. 433. 683.
Art. 1085. Der vorige Artikel handelte von dem Fall, dass nur der Hauptschuldner oder ein Mitverpflichteter in Concurs gerathen sind; der gegenwärtige Artikel bezieht sich darauf, dass mehrere oder auch sämmtliche Mitverpflichtete in Concurs gerathen sind. Hier sind nun zwei Consequenzen zu bemerken, nämlich 1, die Forderung kann in dem Concurse eines jeden Mitverpflichteten geltend gemacht werden, der Gläubiger kann also aus jeder Masse seinen verhältnissmässigen Antheil in Anspruch nehmen, soweit bis er für seine Forderung vollständig befriedigt ist; und 2, während ausserhalb des Concurses derjenige, welcher den Gläubiger bezahlt hat, einen Regressanspruch gegen die übrigen Mitverpflichteten hat, kann ein solcher Anspruch der Regel nach von einer Masse gegen die andere nicht geltend gemacht werden. Denn jede Masse zahlt im Verhält-niss ihres Bestandes ihre Schulden; könnte eine Masse gegen die andere recurriren, so hätte die letztere mehr auf eine Schuld zu bezahlen, als nach dem Verhältniss ihres Bestandes davon zu zahlen ist, es käme also eine und dieselbe Forderung mehrfach in Anschlag, was nach den Principien der Concursvertheilung nicht sein kann. Gesetzt also, der Gläubiger hätte in dem Concurse des Hauptschuldners auf seine Forderung 10 procent, und in dem des Bürgen 90 procent erhalten, so wäre dies der Gesammtbetrag seiner Forderung und er hätte davon nichts herauszuzahlen. Die Masse des Bürgen kann aber für die gezahlten 90 procent keinen Ersatzanspruch gegen die Masse des Hauptschuldners erheben, weil der Regress nur für die geleistete volle Zahlung zusteht, die Concursdividende aber als eine solche Zahlung nicht gelten kann, vielmehr gerade durch den Ausbruch des Concurses die volle Zahlung unterbleiben musste. Franz. Code Art. 542. 543. Belg. Code Art. 537. 538. D. C. O. Art. 61. Eine Ausnahme hievon findet nur dann statt, wenn die Gesammtdividenden aller Massen einen Ueberschuss ergeben: diesen Ueberschuss soll derjenigen Masse zufallen, welche gegen die übrigen einen Regressanspruch hätte, also z. B. der Masse des Bürgen gegenüber der des Hauptschuldners, der Masse des letzten Indossanten gegen die übrigen Wechselverpflichteten u. s. f. Ebenso könnte, was sich von selbst versteht, der Recurs gegen eine Masse erhoben werden, zu welcher der Gläubiger sich gar nicht gemeldet hätte, da sonst diese Masse auf Kosten der übrigen einen Gewinn machen würde. Wilmowskiy p. 188 Anm. 3. Diese Ausnahmen sind durch die Billigkeit gefordert.
Der Gläubiger kann die volle Forderung in jedem Concurse geltend machen, er kommt also mit der vollen Forderung zur verhältnissmässigen Vertheilung, nicht blos mit dem nach anderweitiger Befriedigung verleibenden Restbetrag. Gesetzt, die Forderung beträgt 1000 D. und der Antheil in einer Masse 500 D., so kann in der anderen Masse der Betrag von 1000, nicht etwa nur von 500 D. angemeldet werden; er bekommt also, wenn in dieser letzteren die Dividende 50 procent beträgt, 500 D. und nicht 250 D., wie es wäre, wenn in der anderen Masse nur der Restbetrag angemeldet werden könnte. Bravard V. p. 602. Sarwey p. 438.
Art. 1086. Die Vorschriften der Anmeldung und Feststellung betreffen vornehmlich die Zeit und die Form der Erhebung des Anspruchs gegen die Masse und die Nothwendigkeit der Feststellung durch Anerkennung oder Urtheil. Anmeldepflichtige Forderungen verlieren mithin das Recht der Befriedigung aus der Masse, wenn diese Vorschriften nicht beobachtet werden, und jeder einzelne Gläubiger hat die Befugniss, jeder Forderung seinen Widerspruch entgegen zu setzen und den betreffenden Gläubiger zur gerichtlichen Verfolgung seines Rechts zu zwingen. Auch die Nothwendigkeit der förmlichen Prüfung im Prüfungstermine im Beisein gewisser Personen gehört in die Reihe dieser Vorschriften. Es gibt nun aber eine Reihe von Ansprüchen an die Masse, welche so unzweifelhaft, einfach und leicht zu beurtheilen sind, dass es unzweckmässig wäre, auf sie die gleichen Vorschriften wie auf die übrigen Forderungen anzuwenden. Es sind das solche, welche entweder erst durch den Concurs entstehen und daher dem Verwalter und Commissär von selbst bekannt sein müssen, oder welche ihres öffentlichen administrativen Characters wegen ohnehin zum gewöhnlichen gerichtlichen Verfahren sich nicht eignen und im Fall der Bestreitung vielfach durch administratives Verfahren festgestellt werden müssen. Der Entwurf rechnet hieher:
1) Die gerichtlichen Kosten des Concurses, die Verwaltungskosten,nämlich die Vergütung des Verwalters für dessen Mühewaltung, die etwaigen Remunerationen des Kridars und anderer Personen, die z. B. bei der Aufnahme des Inventars mitgewirkt haben, die Kosten der Fortführung des Geschäfts (Art. 1071), also Arbeits- und Dienstlöhne u. dgl.; anderweitige Kosten des Concurses sind die Zeitungsinserate bei Veröffentlichung der gerichtlichen Urtheile etc, die Unterstützung des Kridars und seiner Familie u. a. m.
2) die öffentlichen Gebühren und Abgaben, wie Post-, Telegraphengebühren, Vermessungsgebühren, Grundsteuer, Zölle etc. etc. Diese Ansprüche werden in der D. C. O. Art. 54 Ziff. 2 zu den anmeldepflichtigen Concursforderungen gezählt, während der Ausdruck des Franz. Code Art. 565, welcher vorschreibt, dass auch die privilegirten Forderungen (Code Nap. 2101. 2105), und dahin gehören vorzüglich die öffentlichen Gefälle, vor der Vertheilung der Masse vorweg zu befriedigen sind, unklar ist. Die Befreiung der öffentlichen Gefälle von der Anmeldungspflicht ist zwar ein Privilegium, das sich aber dadurch rechtfertigt, dass ohnehin diesen Gefällen ein mehr oder minder absolutes Vorzugsrecht vor allen übrigen zusteht, und damit überall ein Absonderungsrecht verbunden ist, welches zur Vorausbefriedigung aus der Masse natürlicher Weise hindrängt (Art. 1050), und dass die öffentlichen Gefälle der beliebigen Bestreitung wegen Privatinteressen nicht ausgesetzt werden dürfen. Ohnehin sind dies meist keine hohen Beträge und es liegt meist keine Veranlassung vor, gegen sie zu remonstriren. Es kommt nichts darauf an, ob die Gefälle rückständige sind oder erst während des Concurses fällig werden; auch gehören hieher nicht blos die Ansprüche des Staates, sondern auch der Provinzen und Gemeinden. Andere Forderungen des Staats, z. B. gegen Beamte wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder, wegen Cassendefecten u. dgl. gehören nicht hieher, da einerseits ein solches Privilegium nicht genügend motivirt wäre und andererseits der Staat hier ohnedies meist durch Cautionen gesichert sein wird. Sarwey p. 402.
3) die von dem Verwalter selbst für die Masse contrahirten Verbindlichkeiten können offenbar nicht zu den Concursforderungen gerechnet werden, da es Verbindlichkeiten der Masse selbst sind, welche sich nicht im Zustand des Bankerotts befindet, und da ausserdem mit der Masse als solcher Niemand Geschäfte machen würde. Hieher gehören etwaige Darlehen, welche der Verwalter für die Masse aufnimmt, sowie Forderungen aus irgend welchen anderen Geschäften. Auch die in Art. 1047 bezeichneten Forderungen aus zweiseitigen Verträgen, welche der Verwalter für die Masse freiwillig übernimmt oder fortsetzt, gehören hieher. Wird also z. B. ein vom Kridar eingegangenes Mieth verhältniss von dem Verwalter fortgesetzt, so ist der nach der Bankerotterklärung fällig gewordene Miethzins hieher zu rechnen.
Die D. C. O. Art. 50—52 unterscheidet in nicht sehr glücklicher Weise Massekosten und Masseschulden von den Concursschulden, und rechnet im wesentlichen die Forderungen unter Ziffer 1 zu den Massekosten, die unter Ziffer 3 zu den Masseschulden, und die unter Ziffer 2 zu den Concursschulden, welche nach Art. 10 der D. C. O. den gleichen Vorschriften wie alle Privatforderungen unter worfen sind. Der Entwurf hat diese wenig logischen Kunstausdrücke (Sarwey p. 383 ff.) vermieden, und die einzelnen hieher gehörigen Ansprüche einfach neben einander gestellt. Sollte übrigens die Masse nicht einmal zur vollständigen Befriedigung dieser in Art. 1086 genannten Gläubiger ausreichen, so sind sie in der hier bemerkten Reihenfolge zu befriedigen. Vgl. auch Franz. Code Art. 565. Belg. Code Art. 561.
Uebrigens ist die Befreiung dieser Ansprüche von den Vorschriften der Anmeldung und Feststellung nicht so zu verstehen, als ob dieselben auf blosses Verlangen ohne jegliche Prüfung ausgezahlt werden könnten. Vielmehr muss der Verwalter, wie jeder getreue Haushalter, auch hier sorgfältig prüfen und der Commissär entscheidet darüber endgültig. Sollte diese Entscheidung nicht acceptirt werden, so müsste darüber processirt werden, und zwar gegen den Verwalter als Vertreter der Masse. Im übrigen können diese Ansprüche jederzeit beim Verwalter angemeldet und, soweit Cassabestände vorräthig sind, befriedigt werden.
Art. 1087. Die gleiche Bestimmung enthält die D. C. O. Art. 56. Unter den Begriff der Geldstrafen fallen weder Confiscationen, noch vertragsmässige oder Privatstrafen, sondern nur die durch eine criminell oder polizeilich strafbare Handlung von dem Kridar verwirkten Strafen. Dieselben können nicht gegen die Masse geltend gemacht werden, weil diese durch die Bankerotterklärung ausschliesslich zur Befriedigung der Gläubiger dienen muss und die Erhebung der Strafe aus der Masse mehr eine Bestrafung der Gläubiger als des Schuldners wäre; überdies hat dies nicht die Straflosigkeit des letzteren zur- Folge, denn uneinbringliche Geldstrafen sind nach bekannten Grundsätzen in Gefängnissstrafen umzuwandeln. Conventional- und andere Privatstrafen haben mehr die Natur eines Schadensersatzes und kann daher deren Verfolgung im Concurse nicht verwehrt werden.
Die Kosten der einzelnen Gläubiger aus Anlass des Concurses, wohin die vor der Concurseröffnung entstandenen Kosten nicht zu rechnen sind, können nicht aus der Masse vergütet werden, weil die Gläubiger lediglich eine Dividende aus der Masse im Verhältniss ihrer im Zeitpunkt der Concurseröffnung bestehenden Forderungen verlangen können; dieses Verhältniss kann durch ungleiche Kosten nicht beliebig von den einzelnen Gläubigern verändert werden. Allerdings liegt darin ein Verlust für die Gläubiger, der zu ihrem unmittelbaren Capitalverlust noch hinzutritt; allein er lässt sich nicht vermeiden und es liegt in der Bestimmung zugleich eine indirecte Nöthigung, unnöthige Kosten zu vermeiden. Hieher gehören namentlich Vertretungs-, Reise-, Prozesskosten u. dgl. Könnte der Gläubiger, der eine angemeldete Forderung bestreitet, die Kosten des dadurch bewirkten Prozesses auf die Masse wälzen, so wäre noch weit mehr die leichtsinnige oder unredliche Bestreitung der Forderungen zu befürchten.
Art. 1088. Hinsichtlich der Ansprüche der Ehefrau an das Vermögen ihres bankerott gewordenen Ehemannes ist man im Entwürfe von dem Standpunkt ausgegangen, dass die Ehefrau in der Regel kein eigenes Vermögen hat und dass sie aus sittlichen und rechtlichen Motiven das Schicksal des Mannes theilen, also auch das Unglück des Bankerotts desselben für ihre Person mit übernehmen muss. Die andere Auffassung, welche der Ehefrau eine abgesonderte und unabhängige Vermögensstellung einräumt und sie überdies mit ihren Forderungen an den Ehemann vor den übrigen Gläubigern begünstigt, dürfte nicht nur an sich, sondern auch für die Japanischen Sitten und Anschauungen unzutreffend sein.
Ausnahmsweise kann die Ehefrau ein besonderes Vermögen haben, das ihr ausschliessend gehört, sei es dass sie es in die Ehe mitbrachte, sei es dass sie es während der Ehe erwarb durch Erbschaft, Vermächtniss, Schenkung oder eigenen Erwerb. Dieses Vermögen kann sie nach Art. 1069 unzweifelhaft aus der Masse des bankerott gewordenen Ehemannes aussondern und für sich in Anspruch nehmen ; sie ist also nicht gezwungen, dasselbe den Gläubigern des Mannes zu deren Befriedigung zu überlassen. Sie muss aber dieses ihr Eigenthum beweisen, wenn es bestritten wird; und dies kann nur dadurch geschehen, dass sie entweder einen ausdrücklichen Vertrag mit dem Ehemann nachweist, da ohne solchen ihr Vermögen dem letzteren gehören würde, oder dass sie sich auf ein unzweifelhaftes Herkommen berufen kann, wie es auch in Japan bezüglich der ausschliesslich zum Gebrauch der Frau dienenden Kleider, Wäsche, Schmucksachen und ähnlicher Gegenstände bestehen dürfte. Franz. Code Art. 560. Es ist gleichgültig, ob dieses besondere Eigenthum der Frau von ihr selbst oder ihren Eltern, oder von anderen Personen, oder von ihrem Ehemann herrührt; denn der Ehemann kann nicht gehindert sein, der Frau während oder vor der Ehe Geschenke zu machen, nur dass die Bestimmung des Art. 1044 hinsichtlich freigebiger Zuwendungen auch auf die Ehefrau Anwendung finden muss.
Die Ehefrau kann aber nicht blos als Eigenthümerin, sondern auch als Gläubigerin gegen den Ehemann auftreten und davon handelt der gegenwärtige Artikel. Es wird bestimmt, dass die Ehefrau nur solche Forderungen in Concurs ihres Ehemannes geltend machen kann, die ihr in Bezug auf ihr ausschliessliches Eigenthum zustehen. Sie kann z. B. dem Manne aus ihrem Vermögen ein Darlehen gemacht, sie kann an ihren Mann Gegenstände aus ihrem Vermögen verkauft, sie kann ihm die Verwaltung und Verwerthung ihres Eigenthums überlassen haben und wegen der Rückgabe der Sachen oder des Preises dafür Ersatzansprüche haben u. dgl. m. Solche Forderungen kann sie wie jeder andere Gläubiger des Mannes geltend machen, nicht aber Forderungen, die keinen Bezug auf ihr Vermögen haben. Letzterer Art sind z. B. Schenkungsforderungen, oder die Forderung wegen eines Darlehens, von dem sie nicht nachweisen könnte, dass es aus ihrem besonderen Vermögen gemacht wurde, Kaufpreisforderungen, wenn nicht die Kaufsobjecte ihr ausschliessend gehörten u. dgl. m. Die Frau hat wegen ihrer berechtigten Forderungen an sich kein Vorzugsrecht, sie muss daher ihre Befriedigung in gleichem Verhältniss mit den übrigen Gläubigern suchen, wenn ihr nicht etwa eine Hypothek oder eine andere Sicherheit von dem Ehemanne ausdrücklich und rechtsgültig bestellt war. Vgl. Sarwey p. 402.
In dieser einfachen und billigen Weise hat man die Vermögensrechte der Ehefrau im Concurs des Ehemannes zu sichern gesucht; einerseits sollten Ehefrauen nicht gänzlich rechtlos und der Verschwendung oder Unehrlichkeit der Männer nicht schutzlos preisgegeben sein, andererseits sollten sie nicht durch unbillige Privilegien zum Nachtheil der übrigen Gläubiger und zum unbegründeten und ungerechten Vortheil der Ehemänner das eheliche Vermögen für sich selbst zu retten im Stande sein.
In den anderen Gesetzgebungen finden sich über diesen Punkt zwar in der Hauptsache meist dieselben, aber auch zum Theil abweichende Bestimmungen; die letzteren sind jedoch nicht nur an sich fragwürdig, sondern hängen auch mit den in jedem Lande geltenden ehelichen Güterrechtssystemen zu sehr zusammen, als dass auf dieselben hier näher eingegangen werden könnte. Franz. Code Art. 557—564. Belg. Code Art. 553—560. D. C. O. Art. 25. 37. Sarwey p. 240 ff.
Capitel 3. Versammlung der Gläubiger.
Art. 1089. Die Gläubiger haben nach dem Entwürfe im ganzen und grossen nur die Rechte processualischer Parteien, d. h. sie können ihre Rechte geltend machen und vertheidigen, sie haben aber keinen Einfluss auf die Handlungen des Verfahrens, dessen Schwerpunkt beim Commissär und beim Gerichte liegt. Das Concursverfahren ist ein gerichtliches Verfahren, in welchem die gerichtliche Autorität des Staates an die Stelle des dispositionsunfähig gewordenen Kridars tritt, und es ist die Fiction eines Ueberganges der Rechte und Dispositionsbefugnisse des Kridars auf die Gläubigerschaft gänzlich fallen gelassen. Es liegt daher auch kein Anlass vor, die Gläubigerschaft an der Verwaltung theilnehmen zu lassen und ihr eine ordentlicher Weise nur dem Gerichte und dem Commissär zustehende Autorität über den Verwalter einzuräumen. Nach der Französischen, Englischen und Deutschen Gesetzgebung wird der Verwalter definitiv von den Gläubigern gewählt, nach den beiden letzteren bedarf der Verwalter zu allen wichtigeren Verwaltungsacten der Zustimmung der Gläubiger oder eines Ausschusses derselben, D. C. O. Art. 118 ff. 125. Engl. Gesetz von 1869 Art. 14.20. Diese Gesetze sind in einer Zeit entstanden, wo alles von Selbstverwaltung triefte und wo man dieses Princip auch in das gerichtliche Verfahren übertragen zu müssen glaubte. Indessen ist dieses Princip nicht nur an sich fragwürdiger Natur, sondern es kann sich auch nicht auf die dem Begriff eines Gläubigers widersprechende Annahme eines intellectuellen Miteigentums sämmtlicher Gläubiger an dem Vermögen des Kridars, im Verhältniss ihrer Forderungen gegen denselben, stützen. Vom practischen Standpunkte aus wird die Verwaltung dieses Vermögens weitaus mehr zum Besten der Gläubiger dienen durch einen tüchtigen, professionell erprobten Verwalter und die Controle des Gerichts, als durch die Einmischung einer zufälligen und beliebigen Gläubigermehrheit. Die Versammlungen und gemeinsamen Beratungen der Gläubiger sind daher nach dem Entwurfe von der Berufung durch den Commissär abhängig, und es steht diesem frei, nach eigenem Antrieb oder auf Antrag des Verwalters, den Gläubigern Vorschläge zu machen und sich und den Verwalter durch deren Genehmigung gegen Regressansprüche zu sichern. Dies wird namentlich vorkommen bei besonders wichtigen und verantwortlichen Acten der Verwaltung, welche möglicher Weise zum Nachteil der Gläubiger ausschlagen können. Er ist aber hiezu nicht gezwungen und kann innerhalb der Grenzen seiner gesetzlichen Befugnisse auch auf eigene Verantwortung handeln. Daneben sind übrigens immerhin gewisse Versammlungen der Gläubiger durch das Gesetz vorgeschrieben, so namentlich die erste Versammlung, in welcher über einen etwaigen Vergleich mit dem Kridar Beschluss zu fassen ist. Daher sind Bestimmungen darüber unentbehrlich, nach welchen Grundsätzen die Versammlungen der Gläubiger abgehalten werden sollen. Im Franz. Code Art. 504—506 und im Belg. Code Art. 509—511 sind diese Bestimmungen bei Gelegenheit der Regelung der Vergleichs- oder Concordatsverhandlungen eingeflochten ; da sie aber nicht blos für die erste, sondern auch für alle übrigen Versammlungen der Gläubiger gelten sollen, so ist es zweckmässiger, sie gleichwie in der D. C. O. Art. 85 ff. in einem besonderen Abschnitte abzuhandeln, und zwar am besten im Zusammenhange mit den Bestimmungen über die Verfolgung der Rechte der Gläubiger überhaupt.
Die Bestimmungen sind im allgemeinen dieselben wie in den übrigen, bereits citirten Gesetzen. Vgl. auch das Engl. Gesetz von 1869 Art. 16. Im einzelnen sind nur folgende Bemerkungen hinzuzufügen.
Die Berufung der Versammlungen erfolgt durch den Commissär mittelst öffentlicher Bekanntmachung. Hievon findet eine Ausnahme statt für die erste Versammlung, zu welcher nach Art. 1077 die bekannten Gläubiger durch specielle Schreiben geladen werden sollen, Ebenso ist es in Frankreich. Bravard V. p. 105. Code de comm. Art. 492. Gleichgültig ist es, ob die Berufung durch den Commissär persönlich, oder in seinem Auftrag durch den Gerichtsschreiber erfolgt. Bei den übrigen Versammlungen ist eine specielle Berufung der Gläubiger nicht erforderlich, da der Commissär überhaupt auf ihre Berufung verzichten könnte. In der D. C. O. Art. 85 ist die Berufung zur Pflicht gemacht, wenn sie von dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss oder von einer gewissen Minimalzahl von Gläubigern beantragt wird ; zu einer solchen Zwangsberufung liegt nach den Principien des Entwurfes um so weniger Grund vor, als jeder Gläubiger desfallsige Anträge an den Commissär stellen kann und diesem es unbenommen bleibt, derartige Anträge der Beschlussfassung durch die Gläubiger zu unterbreiten. Der Kridar wird geladen, wenn man seine Anwesenheit für nothwendig hält, um Auskunft zu ertheilen u. s. w.
Die Bestimmung in Betreff der Vorzugs- und Absonderungsberechtigten hat ihren Grund darin, dass dieselben ein specielles Befriedigungsobject erlangt haben, daher an der allgemeinen Masse nicht betheiligt sind und auch kein Stimm recht darüber ausüben können. Ist nun ihr Forderungsrecht an sich bestritten, so können sie, wie alle übrigen, nach Art. 1082 provisorisch zugelassen werden; ist nur ihr Vorzugsrecht bestritten, so sind sie jedenfalls als einfache Gläubiger anerkannt, und müssen ihnen die gleichen Rechte wie diesen letzteren eingeräumt werden. Franz. Code Art. 501. Engl. Gesetz von 1869 Art. 16 Ziff. 4. Den hier genannten Gläubigern stehen diejenigen gleich, welche ihr Vorzugsrecht freiwillig aufgegeben haben oder welche durch die Ausübung desselben nicht die volle Befriedigung erlangen, da sie für den Restbetrag nach Art. 1053 als einfache Gläubiger in Betracht kommen. D. C. O. Art. 88.
Art. 1090. Ebenso verfügt die D. C. O. Art. 86, Fr. Code Art. 507, Belg. Code Art. 515, Engl. Gesetz von 1869 Art. 16. Nr. 8. Die letzteren Gesetze verlangen eine Majorität von der Forderungsbeträge, doch schien für die gewöhnlichen Versammlungen die einfache Majorität zweckmässiger, schon desshalb, weil sonst vielleicht nur schwer Beschlüsse zu Stande kommen. Zu einem gültigen Beschluss wird daher erfordert: 1, Stimmenmehrheit, also die persönliche Zustimmung der Mehrheit der Anwesenden und 2, diese Majorität muss zugleich die grössere Hälfte aller Forderungen der anwesenden Stimmberechtigten repräsentiren. Eines oder das andere allein genügt nicht; es können also nicht etwa 2 oder 3 Gläubiger, welche die Majorität der Forderungen repräsentiren, sämmtliche übrige Gläubiger, vielleicht 20 und 30, überstimmen, sondern es wird durch die Vorschrift der persönlichen Majorität auch den kleineren Gläubigern ein Schutz ihrer Interessen und ein persönlicher Einfluss auf die Abstimmungen eingeräumt.
Art. 1091. In diesem Artikel werden zunächst die Zwecke bezeichnet, für welche die Versammlungen der Gläubiger in der Regel berufen werden. Fr. Code Art. 506. 536. In dem Entwurfe erschien es zweckmässiger, dem Commissär die Berichterstattung über den rechtlichen oder processualischen Fortgang des Verfahrens zu übertragen, und dem Verwalter über die Ergebnisse und Massnahmen der Verwaltung. Der Kridar kann Anträge stellen, wenn er überhaupt geladen wird; daher müssen auch seine Anträge von der Genehmigung des Commissärs abhängen, da sonst nicht selten die unpassendsten und unannehmbarsten Anträge gestellt werden würden.
Die Beschlüsse unterliegen der Genehmigung des Gerichts. D. C. O. Art. 91. Dass sie von den überstimmten Gläubigern oder auch vom Verwalter angefochten werden können, versteht sich von selbst, es braucht dies nicht besonders gesagt zu werden. Andererseits kann aber das Gericht seine Genehmigung versagen, auch wenn eine solche Opposition nicht erhoben wird, da es von Amtswegen befugt sein muss, Recht und Gesetz, und die allgemeinen Interessen der Gläubiger zu wahren. Auch im Engl. Gesetz von 1869 Art. 14 ist dem Gericht die Befugniss verliehen, die Beschlüsse der Gläubiger „aus irgend einem gerechten Grunde” umzustossen. Es wird hier nur noch daran erinnert, dass auch nach dem Franz. Code Art. 536 die Berufung der Gläubiger, ausgenommen die Versammlung des ersten Jahres, ganz in das Ermessen des Commissärs gestellt ist, wesshalb die Beschlüsse der Gläubiger für sich allein keine verbindliche Kraft haben können.
VII. Titel. Vergleich.
Art. 1092. Das Institut des Concursvergleichs (Accord, Con-cordat, arrangement, composition) ist in allen Gesetzgebungen anerkannt. Franz. Code Art. 507—526. Belg. Code Art. 509—527. D. C. O. Art. 160—187. Holländ. H. G. B. Art. 835—851. Span. H. G. B. Art. 1147—1167. Oesterr. C. O. Art. 207—245. Engl. Gesetz von 1869 Art. 80 Ziff. 10. Art. 125. 126. Wie jeder Vergleich, hat auch dieser die Wirkung, dass der Schuldner gegen Uebernahme gewisser Verbindlichkeiten gegen seine Gläubiger von seinen Schulden befreit wird. In der Regel besteht der Vergleich darin, dass der Schuldner sich zur Zahlung gewisser Procente seiner Schulden verpflichtet und dadurch für den Rest frei wird; z. B. er zahlt jedem Gläubiger 50 oder 75 procent, und die anderen 50 oder 25 procent werden ihm erlassen. Oder er erlangt nur einen Zahlungsaufschub, oder die Befreiung von Zinsen. Im Vergleich liegt also zunächst immer ein Nachlass auf Seiten der Gläubiger. Andererseits muss der Schuldner eine bestimmte Tilgung seiner neuen Verbindlichkeit versprechen, und er muss gewöhnlich dafür Sicherheit geben durch Bürgen oder anderweit. Die andere Wirkung des Vergleichs ist, dass der Schuldner die Verwaltung und Verfügung über sein Vermögen in der Regel zurückerhält; doch können ihm in dieser Beziehung Beschränkungen auferlegt werden, z. B. es wird ihm eine Aufsicht an die Seite gestellt, gewisse Sachen können den Gläubigern vorbehalten werden, ja er kann möglicher Weise sein ganzes zur Zeit vorhandenes Vermögen den Gläubigern überlassen, um auf diese Weise einen Nachlass zu erlangen. Diese letztere Art des Vergleichs (concordat par abandon) ist in Frankreich durch Gesetz vom 17. Juli 1856 besonders geregelt worden, allein er hat dieselben Voraussetzungen und Wirkungen wie jeder andere Vergleich, und es schien nicht nöthig, darüber, wie über jeden anderen Inhalt des Vergleichs, specielle Vorschriften zu geben, Die Gläubiger sind frei, jeden Vergleich mit dem Schuldner abzuschliessen, aber nur unter den Beschränkungen des Gesetzes, welche dahin zielen, ungerechte und unsittliche Vergleiche auszuschliessen und die unüberlegte oder unfreiwillige Zustimmung der Gläubiger zu verhindern.
Man kann fragen, welche Motive die Gläubiger haben können, einen Vergleich zu bewilligen, da sie durch die gerichtliche Verwaltung des gesammten Vermögens des Kridars anscheinend weit sicherer und vollständiger zur möglichsten Befriedigung ihrer Forderungen gelangen und zu keinem festen Nachlass genöthigt sind. Indessen kann der Vergleich auch ihnen mancherlei Vortheile bieten. Durch das Aufhören der gerichtlichen Verwaltung werden Kosten erspart, die sonst meist einen bedeutenden Theil der Masse verschlingen würden. Auch kann der Kridar durch eigene Verwaltung, namentlich befreit von der absoluten Nothwendigkeit des sofortigen Verkaufs, einen höheren Bestand der Masse erzielen, und er kann übrigens durch Freunde und Verwandte Unterstützungen und Vorschüsse erlangen, die ihm ausser dem Fall des Vergleichs nicht gewährt werden würden. Auch kann ein Motiv für die Nachsicht der Gläubiger in geschäftlichen Rücksichten liegen, namentlich wenn der Bankerott ohne Verschulden des Kridars durch unglückliche Zufälle verursacht wurde.
Uebrigens ist nach dem Standpunkt des Entwurfes der Vergleich im Concurse nichts, das etwa vom Gesetzgeber besonders zu begünstigen wäre. Er folgt auch in dieser Beziehung nicht dem Beispiel der neuesten Gesetzgebungen. Die Erfahrung lehrt, dass Vergleiche sehr häufig abgeschlossen werden, da die Gläubiger meist froh sind mit einer bestimmten Summe davon zu kommen, weitläufige Gerichtsverhandlungen scheuen und sich um die öffentlichen Folgen ihrer Nachsicht nicht kümmern. In Berlin sind in den 18 Jahren von 1855—1873 etwa 40 procent der beim Stadtgericht anhängigen Concurse durch Vergleich, und 48 procent durch Verthei-lung beendigt worden, also ist auf beinahe die Hälfte aller Concurse ein Vergleich zu Stande gekommen. Meist kommen die Vergleiche unter dem Druck der Abstimmung zu Stande, durch das Drängen einiger rühriger Freunde des Kridars und die Indolenz oder Schrwäche der Mehrzahl der übrigen. Ueberhaupt wird in Versammlungen meist genehmigt, was von den Machern vorgeschlagen wird, denn die geistige und moralische Kraft einer Versammlung steht immer unter dem Niveau der Intelligenz und Characterstärke der einzelnen Mitglieder. Bankerotteure haben es daher verhältnissmässig leicht sich durch einen Vergleich der Strenge des Gesetzes zu entziehen. Allein dies ist kein wünschenswerthes Resultat. Viele Gläubiger werden dadurch von empfindlichem Capital Verlust betroffen und der im Vergleich liegende freiwillige Nachlass sanctionirt gewissermassen das mindestens unbesonnene Verhalten des Kridars; gewissenlose Geschäftsleute werden dadurch zu betrügerischem Bankerott geradezu aufgefordert, denn man braucht nur einige Male mit günstigem Vergleich Bankerott zu machen, um ein reicher Mann zu werden. Wahrscheinlich liegt in der gesetzlichen Begünstigung des Vergleiches einer der Gründe für das starke Zunehmen der Bankerotte in der neueren Zeit. Es wurde daher im Entwurfe für nöthig befunden, die Vorschriften über den Vergleich in manchen Punkten strenger zu fassen, als dies gewöhnlich, und namentlich in den neuesten Gesetzen geschehen ist.
In dem gegenwärtigen Artikel werden zunächst die Erfordernisse zusammengestellt, durch welche das Vorschlagen eines Vergleiches bedingt sein soll; nämlich
1) der Kridar muss die Verpflichtungen erfüllt haben, die er als solcher nach dem Gesetze zu erfüllen hat; wer diese Verpflichtungen nicht erfüllt, dessen Ehrlichkeit und guter Wille verdienen von vorneherein kein Vertrauen, er darf also auch nicht zur Wohlthat eines Vergleiches zugelassen werden. Es kommen hier namentlich die Vorschriften in Art, 1058. 1067 in Betracht, Wenn ein Kridar keine Bankerottanzeige macht, keine ordentliche und wahrheitsgetreue Bilanz vorlegt, flüchtig wird, Vermögen heimlich bei Seite schafft u. s. f., so hat er offenbar keinen Anspruch auf die Milde eines Vergleichs. Auch die Art. 1044 und 1045 können in Betracht kommen, wenn nämlich ein Schuldner durch die dort vorgesehenen Geschäfte seine Gläubiger absichtlich verkürzen wollte. In den anderen Gesetzen ist diese Bedingung meist enger gefasst und daher unvollständig; vgl. z. B. D, C. O. Art, 162 Ziffer 1. Belg. Code Art. 516. 520. Franz. Code Art. 514. Hier ist nur im allgemeinen von dem Character des Bankerotts und der Zulässigkeit des Vergleiches die Rede, und nur im Hinblick auf die gerichtliche Verwerfung oder Bestätigung des Vergleichs, nicht auf die formelle Zulässigkeit desselben von Anfang an.
2) Der Kridar darf nicht wegen strafbaren Bankerotts verur-theilt oder in Untersuchung gezogen sein. Die anderen Gesetzgebungen erwähnen hier meist nur den betrügerischen Bankerott, so dass die Begehung des einfachen oder fahrlässigen Bankerotts hiernach kein Hinderniss bildet. Franz. Code Art. 510. Belg. Code Art. 495. 514. D. C. O. Art. 162. Indessen werden der fahrlässige und der betrügerische Bankerott meist äusserlich durch dieselben Handlungen begangen und sie unterscheiden sich nur insoferne, ob die Absicht der Uebervortheilung der Gläubiger dabei vorhanden war oder nicht; diese Absicht lässt sich oft schwer nachweisen und desshalb kommt es häufig nur zur Bestrafung wegen Fahrlässigkeit, obwohl der Schuldner Betrug verübte oder nahe daran streifte. Aber selbst abgesehen davon bleibt auch der fahrässige Bankerott immer eine strafbare und verantwortliche Handlung, und es lässt sich kaum billigen, dass jemand, der seine Gläubiger durch sein Verschulden in Verlust versetzte, ihnen noch die Forderung eines Nachlassvergleiches soll entgegen halten dürfen. Die Untersuchung bedingt noch nicht nothwendig die Schuld des Angeklagten; wenn daher Freisprechung erfolgt, so kann nachher der Vergleichsvorschlag noch gemacht werden, allein während schwebender Untersuchung soll dies nicht zulässig sein. D. C. O. Art. 162 Ziff. 2.
3) Die Genehmigung des Commissärs bezieht sich nicht auf den Inhalt, sondern nur auf die formelle Zulässigkeit des Vergleichsanerbietens ; es sollen dadurch offenbar ungesetzliche und unannehmbare Vorschläge im voraus zurückgewiesen werden. In der D. C. O. Art. 164 ist diese vorläufige Prüfung dem Gläubigeraasschuss zugetheilt, was dem System des Entwurfs nicht entspricht und auch insoferne nicht zu billigen ist, als es sich hauptsächlich um eine rechtliche Prüfung handelt, die besser in die Hand des Gerichtscommissärs gelegt wird. Der Commissär hat also zu prüfen, ob die Vorschriften des gegenwärtigen Artikels erfüllt sind, ob nicht der Schuldner eine im Verhältniss der Activmasse offenbar zu geringe Abfindung anbietet, ob er nachgewiesen hat, dass er den Vergleich auch wirklich zu erfüllen im Stande ist, ob genügende Sicherheit geboten wird u. dgl. m. D. C. O. Art. 161. Findet der Commissär den Vergleich nicht zulässig, so kann er vom Schuldner nicht proponirt werden, doch bleibt es diesem unbenommen, etwa noch einen verbesserten Vorschlag zu machen.
4) Was die Zeit betrifft, so soll der Vergleichsvorschlag in der Regel in der Zwischenzeit zwischen dem Prüfungstermin und der ersten Gläubigerversammlung vorgelegt, und in dieser Versammlung zur Berathung der Gläubiger gestellt werden. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass man den Vergleichsvorschlag nicht ordentlich beurtheilen kann, ohne die Activund Passivmasse genau zu kennen. Die erste Versammlung soll 4 Wochen nach dem Prüfungstermin stattfinden, einmal um für die richterliche Entscheidung der bestrittenen Forderungen einen genügenden Zeitraum zu gewähren (Art. 1082), und sodann, damit der Vergleichsvorschlag selbst von dem Verwalter und den Gläubigern zur Kenntniss genommen und gründlich geprüft werden kann. Hiefür dient die Bestimmung in dem letzten Satze dieses Artikels. D. C. O. Art. 165. 166. Franz. Code Art. 504, wo jedoch der Zeitraum etwas kürzer sich berechnet.
5) In jedem Concurse kann der Vergleich nur einmal angeboten werden. D. C. O. Art. 163. Der Vorschlag soll ernstlich und gründlich überlegt sein, und der Schuldner soll soviel anbieten, als er überhaupt zu leisten im Stand und ehrlicher Weise verpflichtet ist. Könnte er mehrere auf einander folgende Vergleiche vorschlagen, so ist zu befürchten, dass er zuerst zu wenig bietet und es darauf ankommen lässt, ob nicht die Gläubiger mehr verlangen. Ein solches Abhandeln soll nicht gestattet sein. Uebrigens ist dadurch nicht die Aenderung des Vorschlages bei der ersten Verhandlung ausgeschlossen, wenn beiderseits eine Einigung erreicht werden kann; nur später soll der Schuldner, nachdem zuerst keine Einigung zu Stande kam, nicht wiederholt mit neuen Vorschlägen kommen dürfen.
Art. 1093. Zur Annahme des Vergleichs ist nicht die Zustimmung sämmtlicher Gläubiger, sondern nur der Majorität derselben erforderlich. Das Erforderniss der Einstimmigkeit würde in den meisten Fällen jeden Vergleich unmöglich machen. Dass die widersprechenden Gläubiger majorisirt werden können, enthält zwar an sich einen Eingriff in ihre Privatrechte ; allein dieser Eingriff ist nicht widerrechtlich, da er durch die Natur des Concursverfahrens geboten ist. Denn durch den Concurs verliert der einzelne Gläubiger das Recht auf individuelle Befriedigung seiner Forderung, dieselbe verwandelt sich in einen Anspruch auf einen verhältnissmässigen, gleichen Antheil an der Masse. Die Gläubiger stehen unter einander in Gemeinschaft und in jeder Gemeinschaft bildet das Uebergewicht der Mehrheit ein nothwendiges Erforderniss. Eben daraus folgt, dass die nicht in dieser Gemeinschaft stehenden Gläubiger von dem Vergleiche nicht betroffen werden und daher auch nicht mitstimmen können; das sind diejenigen, welche durch Hypothek, Pfand oder ein sonstiges Vorzugsrecht aus gewissen Bestandtheilen der Masse mit Ausschluss der übrigen Befriedigung erhalten müssen. Für alle übrigen ist die Abstimmung der Majorität bindend; dies braucht nicht ausdrücklich gesagt zu werden, es liegt von selbst in dem Begriff einer Abstimmung durch Majorität. Die Bestimmung im Franz. Code Art. 516 und in der D. C. O. Art. 178 ist daher überflüssig; auch folgt es von selbst aus allgemeinen Principien, dass die nicht erschienenen oder noch nicht zur Abstimmung berechtigten Gläubiger, wie sie namentlich in Art. 1083 genannt sind, dem Mehrheitsbeschluss unterworfen sind. Sie können ihre Rechte nur noch durch Erhebung des Widerspruchs (Art. 1094) wahren. Uebrigens ist der Mehrheitsbeschluss an sich noch nicht verbindlich, es muss vielmehr die gerichtliche Bestätigung hinzutreten.
Es versteht sich von selbst, dass ein Hypothek- oder Pfandgläubiger, der daneben noch eine andere einfache Forderung gegen den Kridar hat, für diese letztere zur Abstimmung zugelassen werden muss. In Ansehung der Hypothek- oder Pfandforderung verliert der Gläubiger nichts, weil ihm die Hypothek oder das Pfand ohnehin volle Befriedigung verschafft; seine Ausschliessung ist nothwendig zum Schutz der einfachen Gläubiger, weil er sonst, da er nichts zu verlieren hat, zu leicht jeden beliebigen Vergleich anzunehmen bereit sein würde. Daher kann er an der Abstimmung nur theilnehmen, wenn er auf sein Vorrecht verzichtet. Franz. Code Art. 508. Belg. Code Art. 513. D. C. O. Art. 160.
Es ist aber möglich, dass das Vorrecht des Hypothek- oder Pfandgläubigers demselben gar keine oder nur eine theilweise Befrie digung verschafft, sei es weil die Sache ihren Werth verlor oder weil andere Gläubiger ihm vorgehen. Hier muss ein solcher Gläubiger seine Befriedigung aus der gemeinsamen Masse wenigstens für den Rest seiner Forderung suchen, und es scheint billig, dass er für diesen Betrag auch als einfacher Gläubiger zur Abstimmung zugelassen werde. Immerhin aber bedingt seine Theilnahme an der Abstimmung seinen Verzicht auf das Vorrecht bis zu dem Betrage, für welchen er an der Abstimmung theilnehmen will. Bravard V. p. 377. D. C. O. Art. 88.
Die Mehrheit ist in Uebereinstimmung mit den übrigen Gesetzen doppelt zu berechnen, nämlich einmal nach der Zahl der Gläubiger, und sodann nach dem Betrage ihrer Forderungen. Franz. Code Art. 507. Belg. Code Art. 512. D. C. O. Art. 169. Engl. Gesetz von 1869 Art. 16 Ziff. 8. Die Gründe hiefür sind bereits oben zu Art. 1190 erörtert. Für diesen speciellen Fall ist eine Mehrheit von 3/4 aller Forderungen vorgeschrieben, damit die Ueberstimmung der widersprechenden Gläubiger möglichst gemildert werde. In mehreren Gesetzen (Franz. Code Art. 509. Belg. Code Art. 515. D. C. O. Art. 169) ist, wenn die doppelte gesetzliche Majorität bei der ersten Abstimmung nicht erreicht wird, eine nochmalige Abstimmung in einem zweiten Termin zugelassen; dies ist eine Begünstigung, zu welcher ein genügender Grund nicht gegeben erscheint und welche leicht zu unehrlichen Machinationen und Bestechungsversuchen führen kann. Sie wurde daher in den Entwurf nicht aufgenommen.
Art. 1094. Dass der durch abstimmung angenommene Vergleich erst durch gerichtliche Bestätigung rechtsgültig wird, ist allgemein anerkannt. Franz. Code. Art. 513. 514. Belg. Code Art. 517. 518. D. C. O. Art. 170 ff. Es steht dem Gericht frei, den Schuldner, den Verwalter oder andere Personen vor dem Urtheilserlass zu vernehmen; nothwendig ist nur, dass der Commissär dem Gericht vorher und zwar in der Gerichtssitzung Vortrag erstattet. Das Urtheil wird von Amtswegen erlassen, es ist also nicht nothwendig, dass ein förmlicher Antrag auf Verwerfung oder Bestätigung gestellt werde. Die entgegenstehende Bestimmung im Franz. Code Art. 513 und in der D. C. O. Art. 173 ist nicht zu empfehlen, weil Gläubigerbeschlüsse im Concurse überhaupt der gerichtlichen Genehmigung bedürfen. Alle Gläubiger, welche zur Abstimmung berechtigt waren oder diese Berechtigung in der Zwischenzeit erlangt haben, können gegen den Vergleich Widerspruch erheben und dessen Verwerfung beantragen. Franz. Code Art. 512. Belg. Code Art. 516. D. C. O. Art. 173. Das gleiche Recht wird dem Verwalter eingeräumt, weil er den Zustand der Masse und das Verhalten des Kridars am besten zu beurtheilen vermag und dem Gericht die besten Aufschlüsse über die Annehmbarkeit oder Verwerflichkeit geben kann. Um jedoch frivole Widersprüche zu verhüten, wird verlangt, dass jeder seinen Widerspruch mit Gründen motiviren muss; ein unmotivirter Widerspruch wäre nichts weiter als eine nachträgliche Abstimmung, welche in diesem Stadium nicht mehr zulässig sein kann.
Art. 1095. Die Gründe, aus welchen das Gericht den Vergleich zu verwerfen hat—die Abänderung desselben steht dem Gerichte nicht zu—sind im Entwurfe ähnlich wie in den übrigen Gesetzgebungen, nur etwas deutlicher und specieller namhaft gemacht. Franz. Code Art. 515. Belg. Code Art. 517. D. C. O. Art. 168. 172. 173. Die Verletzung der gesetzlichen Formvorschriften ist nicht zu gestatten, weil diese gegen übereilte und unehrliche Manipulationen schützen sollen; die ungleiche Behandlung der Gläubiger ohne ihre Zustimmung würde die Minorität gänzlich schutzlos machen; Betrug würde besonders vorliegen, wenn die Activa wissentlich verheimlicht, Passiva wissentlich fälschlich angegeben wurden, wenn der Werth einzelner Activa absichtlich überschätzt, wenn falsche Hülfsquellen etc., angegeben wurden, wenn die Zustimmung einzelner Gläubiger durch Bestechung u. s. w. erlangt wurde; gegen Recht und Moral würde der Vergleich verstossen, wenn der Schuldner zu günstig wegkäme, wenn derselbe den Bankerott durch Leichtsinn, durch übermässige Speculation herbeiführte, wenn er über sein Deficit keine genügende Auskunft zu geben vermag, überhaupt wenn an seinem Geschäftsnamen ein Makel haftet, wenn der Vergleich mehr zum Scheine angeboten wurde, wenn seine ernstliche Erfüllung zu bezweifeln ist u. dgl. Das gemeinsame Interesse der Gläubiger liegt vornehmlich in der Höhe der angebotenen Dividende; das Gericht darf nie zugeben, dass der Schuldner weniger bietet, als er wirklich zu leisten im Stande ist; es bezieht sich aber auch auf den gehörigen Nachweis der Mittel zur Erfüllung, auf die Leistung von Sicherheiten dafür u. s. f. Bravard V. p. 411—415. Der Vergleich kann auch im Fall der Zurücksetzung einzelner Gläubiger, selbst wenn diese mit deren Zustimmung erfolgte, verworfen werden, wenn die Begünstigung anderer Gläubiger rechtlich oder sittlich nicht zu billigen ist. Ein anderer Fall ist, wenn der Schuldner wiederholt Concurs machte, ohne dass offenbar nur unverschuldetes Unglück die Ursache ist Das Gericht hat in dieser Beziehung eine discretionäre Gewalt. Nicht zu billigen ist, dass in der D. C. O. Art. 173 die Verwerfung aus solchen Gründen durch den Antrag eines Gläubigers bedingt ist. Man muss hier auch auf die öffentliche Meinung, auf die öffentliche Wahrung von Recht und Moral Rücksicht nehmen; daher sind in dem Franz. Code Art. 515 ausdrücklich die Rücksichten des öffentlichen Interesses hervorgehoben. Vgl. Sarwey p. 672 ff.
Die Berufung gegen das gerichtliche Urtheil ist auch in den übrigen Gesetzgebungen zugelassen. D. C. O. Art. 174. Franz. Code Art. 519. Bravard V. p. 418.
Art. 1096. Ebenso bestimmt Franz. Code Art. 520 ff., Belg. Code Art. 521. 522, D. C. O. Art. 182. 183. In dem letzteren Gesetze ist die Wirkung der Anfechtung des Vergleichs wegen Betrugs auf den Nachlass an der Forderung und auf den anfechtenden Gläubiger beschränkt, was als eine auffallende Begünstigung unehrlicher Bankerotteure durchaus nicht zu empfehlen ist. Sarwey p. 690.
Art. 1097. Die Wirkung des rechtskräftig gewordenen Vergleiches besteht nicht in der Endigung des Concursverfahrens überhaupt, wie zuweilen behauptet wird und in der D. C. O. Art. 175 ausdrücklich gesagt ist, obwohl dies mit den darauf folgenden Bestimmungen dieses Gesetzes in Widerspruch steht. Das Concurs-verfahren nimmt nur eine andere Gestalt an, in dem allerdings sehr wesentlichen Punkte, dass der Schuldner das Recht der selbständigen Verwaltung und Verfügung über sein Vermögen zurückerhält, soweit der Vergleich dies gestattet. Es ist möglich, dass, wie namentlich bei dem sog. Vergleich per abandon, das vorhandene Vermögen des Schuldners ganz oder theilweise der Verwaltung der Gläubiger unterstellt und vollständig zu deren Befriedigung verwandt wird. Franz. Code Art. 519. 541. Gesetz vom 17. Juli 1856. D. C. O. Art. 177. Belg. Code Art. 519. Im Franz. und Belg. Code ist die Wirkung des Vergleichs richtig dahin angegeben, dass die Functionen des Verwalters aufhören und der Kridar sein Vermögen zur freien Verwaltung zurückerhält. Es kann auch sein, dass der Kridar lediglich die freie Verfügung über sich selbst zurückerhält, um neue Contracte oder Engagements einzugehen, und den Erwerb daraus in gewissen Quoten an die Gläubiger abgeben muss. Im übrigen rehabilitirt weder der Vergleich und dessen Erfüllung den Kridar, noch hört das Concursverfahren überhaupt auf. Es dauert 23 noch die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger fort und der Kridar bleibt in dem Zustande der gerichtlichen Zwangsvollstreckung auf Grund des durch gerichtliches Urtheil bestätigten Vergleiches, dem die Natur eines rechtskräftigen Urtheils und eines vollstreckbaren Schuldtitels zukommt. D. C. O. Art. 179. Auch darin liegt eine Wirkung des fortdauernden Concursverfahrens, dass der Vergleich für und gegen alle Concursgläubiger wirkt, auch wenn sie an der Abstimmung gar nicht theilnahmen und nicht theilnehmen nknoten; ferner darin, dass die Nichterfüllung auch schon an einen Gläubiger seine Aufhebung zur Folge hat, was freilich in der D. C. O. Art. 181 irriger Weise nicht anerkannt ist. Da sich der Schuldner auch nach dem Vergleich noch fortdauernd im Zustande der gerichtlichen Zwangsvollstreckung befindet, so ist es am zweckmässigsten, wenn die Erfüllung des Vergleiches unter Ueberwachung und Vermittlung des Commissärs stattfindet. Der Schuldner muss also die fälligen Beträge an den Commissär einzahlen und dieser übermittelt sie sodann den Gläubigern. Darin liegt zugleich die wirksamste Ueberwachung der Erfüllung. Sollte der Schuldner dieselbe unterlassen oder verzögern, so kann der Commissär ihn ohne weiteres zur Erfüllung anhalten oder in Execution versetzen ; auch kann er dem Schuldner Verbote entgegensetzen, wenn dieser Handlungen begehen sollte, die dem Vergleich widersprechen oder dessen Erfüllung unmöglich machen.
Im Franz. Code Art. 517 und im Belg. Code Art. 518 ist den Gläubigern des Vergleichs die überhaupt den Concursgläubigern zustehende Hypothek an dem Vermögen des Kridars gewahrt; indessen schien es nicht nothwendig, diese Eigenthümlichkeit der Französischen Gesetzgebung zu adoptiren. D. C. O. Art. 180. Sarwey p. 687.
Art. 1098. Wenn der Vergleich nicht bestätigt wird, oder später seine Rechtsgültigkeit verliert, oder vom Schuldner nicht erfüllt wird, so ist dies eine neue Zahlungseinstellung und der Schuldner fällt wieder in den vollständigen Zustand des Concurses zurück. Es finden daher dieselben Operationen statt, wie wenn der Vergleich nicht dazwischen getreten wäre. Die gerichtliche Verwaltung der Masse wird wieder aufgenommen, aber diesmal ohne die im Art. 1071 gewährte Rücksicht, und ausschliesslich zum Vortheil der Gläubiger. Soweit es nöthig ist, wird eine neue Bilanz und ein neues Inventar gefertigt und neue Gläubiger werden aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden und nachzuweisen, wozu ein neuer Prüfungstermin anberaumt wird. Dies ist im Franz. Code Art. 522—524 ausdrücklich gesagt, doch versteht es sich bei der Wiederaufnahme des Concursverfahrens von selbst. D. C. O. Art. 186. 187. Belg. Code Art. 524. Von dem Zeitpunkt, wo die Aufhebung des Vergleiches ausgesprochen wird, verliert der Schuldner das ihm eingeräumte Verfügungsrecht und es tritt der Art. 1039 mit seinen Folgen wieder in Kraft. Verbindlichkeiten, welche der Schuldner in der Zwischenzeit seiner freien Verwaltung einging, müssen die älteren Gläubiger anerkennen, ausgenommen wenn sie aus dem allgemeinen Grunde des Betrugs oder der Zahlungseinstellung angefochten werden können. Fr. Code Art. 525. Code civil Art. 1167. D. C. O. Art. 185. Weiter geht der Belg. Code Art. 526.
Die in diesem Artikel wegen der Bürgen enthaltene Bestimmung rechtfertigt sich dadurch, dass Bürgen gerade dafür Sicherheit bieten sollen, dass der Hauptschuldner seine Verpflichtung nicht erfüllt. Ebenso verfügt der Franz. Code Art. 520, Belg. Code Art. 523. Würde aber der Vergleich nicht bestätigt, oder später hinfällig oder verworfen (Art. 1095. 1096), so folgt gegentheiliger Weise, dass in solchen Fällen auch die Bürgen befreit werden, da die Hauptverbindlichkeit gar nicht zu Recht bestand. Fr. Code Art. 520. Belg. Code Art. 522.
Die neue Concursmasse, soweit sie vorhanden sind, dient selbstverständlich zur gemeinschaftlichen Befriedigung der alten und neuen Gläubiger; jedoch können die letzteren an den etwa den ersteren durch den Vergleich eingeräumten Vorzugs- und Sicherheitsrechten keinen Antheil haben, und die älteren Gläubiger haben natürlich nur Antheil an der Masse, soweit sie nicht durch frühere Vertheilungen bereits befriedigt sind. D. C. O. Art. 186. Franz. Code Art. 526.
Sollte der Schuldner nicht etwa nur den Vergleich unerfüllt lassen, sondern überhaupt seine Zahlungen wieder einstellen, so ist der gegenwärtige Artikel gleichfalls anzuwenden. Es findet also auch hier Wiederaufnahme und Durchführung des Concursverfahrens nach den gewöhnlichen Grundsätzen statt und es bedarf keiner neuen Bankerotterklärung, da der Schuldner, solange der Vergleich noch schwebt, überhaupt sich noch im Zustand des Concurses befindet. Fr. Code Art. 526 fin. Belg. Code Art. 527.
Der Franz. Code Art. 529 — 541 enthält einen besonderen Abschnitt über die Union der Gläubiger, welche von selbst eintreten soll, wenn ein Vergleich nicht zu Stande gekommen ist Indessen besteht die Gemeinschaft der Gläubiger vom Anfang des Concurses an und dauert auch während des Vergleichs noch fort, so dass darin kaum ein logisches Princip erkannt werden kann. Im übrigen beziehen sich die Bestimmungen dieses Abschnittes hauptsächlich nur auf die Verwerthung der Masse durch die Verwalter, wovon der Entwurf bereits im Titel V. gehandelt hat.
VIII. Titel. Vertheilung.
Art. 1099. Die Vertheilung der Masse durch den Verwalter tritt ein, soweit nicht in Folge eines rechtsgültig gewordenen Vergleiches der Schuldner selbst die hiernach schuldigen Zahlungen zu leisten hat. Die Vertheilung soll den Gläubigern so viel gewähren, als sie aus der Masse, bei deren gerichtlicher Verwaltung, überhaupt erlangen können. Es bedarf keiner weiteren Erörterung darüber, dass aus den vorhandenen Massebeständen zuerst diejenigen Ansprüche zu befriedigen sind, für welche nicht das Princip der Gemeinschaft aller Gläubiger gilt, nämlich solche, welche überhaupt nicht die Natur von Concursforderungen haben, sondern erst während und durch das Concursverfahren entstanden sind; ebenso müssen Hypothek-, Pfand-, und andere bevorrechtigte Gläubiger aus dem Werthe ihrer speciellen Sicherheitsobjecte nach der ihnen gebührenden Rangordnung vorweg bezahlt werden, wenn sie nicht etwa durch Ausübung des Absonderungsrechts sich selbst befriedigt oder auf ihr Vorrecht gänzlich verzichtet haben. Die hiernach verbleibende Masse wird unter die übrigen einander gleich stehenden Gläubiger im gleichen Verhältniss ihrer Forderungen vertheilt, jeder bekommt also gleichviel auf jedes Hundert seiner Forderung. Franz. Code Art. 565. Belg. Code Art. 561. D. C. O. Art. 2.
Art. 1100. Die Vertheilung der Masse braucht nicht auf einmal, sondern sie kann in mehreren auf einander folgenden Abschlagszahlungen erfolgen, so oft eine genügende vertheilbare Masse disponibel wird ; nur wird der Commissär, der jede einzelne Vertheilung vorher zu genehmigen hat, die Vertheilung in ganz kleinen Beträgen nicht gestatten dürfen, da mit unbedeutenden Summen den Gläubigern nichts gedient sein kann. Immer aber kann die Vertheilung nur an diejenigen erfolgen, deren Forderungen durch ordentliche Feststellung (Art. 1080) exequirbar geworden sind. So lange ein Gläubiger die Feststellung seiner Forderung nicht bewirkt hat, muss er daher auch mit seinem Antheile an der Vertheilung warten. Hievon werden jedoch zu Gunsten gewisser Gläubiger, deren Feststellung ohne ihr Verschulden verzögert wird, Ausnahmen gemacht, die bereits in Art. 1083 bestimmt worden sind. Fr. Code Art. 503. 567. 568. D. C. O. Art. 143. 155. Diese Gläubiger können also, wenn sie nach Feststellung ihrer Forderungen zum Zuge kommen, die auf ihre Forderungen entfallenen früheren Vertheilungsbeträge vorweg in Anspruch nehmen. Dadurch erklärt sich die Bestimmung, dass die Vertheilung erst dann beginnen darf, wenn der allgemeine Prüfungstermin vorüber ist, weil erst dann im allgemeinen die Forderungen der Gläubiger festgestellt sein werden. Uebrigens kann die Vertheilung nach dem Ermessen des Commissärs auch noch länger hinausgeschoben werden, theils wenn noch keine genügende baare Masse vorhanden ist, theils wenn ein annehmbarer Vergleichsvorschlag von Seiten des Schuldners in Aussicht steht. In der Regel wird daher die Vertheilung erst nach dem ersten Versammlungstermin beginnen. D. C. O. Art. 148.
Die Genehmigung des Commissärs zu jeder Vertheilung ist nothwendig, weil der Verwalter auf eigene Faust keine Massegelder verausgaben darf. Der Commissär hat aber nicht blos die Vertheilung überhaupt zu genehmigen, sondern auch deren Details, also namentlich den jedesmaligen Procentsatz und die Vertheiluugsliste der Gläubiger. Zwar muss dieselbe auf Grund der vorher stattgefundenen Feststellung erfolgen, es ist also jedes freie Ermessen dabei ausgeschlossen ; allein der Verwalter könnte hiebei Irrthümer begehen oder sonstwie dem Gesetz entgegen handeln. Ueberdies können auch die einzelnen Gläubiger gegen den Vertheilungsplan, ebenso wie im Prüfungstermin, Einwendungen erheben, und zwar sowohl weil gewisse Gläubiger unrechtmässiger Weise zu hoch oder überhaupt berücksichtigt, öder weil sie nicht berücksichtigt wurden. D. C. O. Art. 139. 146. Fr. Code Art. 566. Belg. Code Art. 561. In den letzteren Gesetzen ist dem Verwalter vorgeschrieben, jeden Monat einen Cassenbericht dem Commissär vorzulegen; dies ist aber zu umständlich und durch das practische Bedürfniss nicht geboten, wenn die Vorschrift des Art. 1074 beobachtet wird. Der Vertheilungsplan (état de repartition) ist auch in den letzteren Gesetzbüchern Art. 569 und resp. Art. 563 ausdrücklich genannt.
Art. 1101. Ebenso bestimmt der Franz. Code Art. 569, Belg. Code Art. 563. Diese Bestimmungen dienen dazu, unbegründete Zahlungen möglichst zu verhüten und für jede stattgefundene Zahlung sicheren Beweis zu erbringen. Bravard V. p. 638.
Art. 1102. Die gleichen Bestimmungen enthält der Fr. Code Art. 537, Belg. Code Art. 533, D. C. O. Art. 149—151.78. Den Gläubigern wird in der Versammlung die Schlussrechnung des Verwalters vorgelegt, dieselbe kann von ihnen besprochen und beanstandet werden. Ueber solche Einwendungen, wenn sie nicht gütlich bereinigt werden, entscheidet das Concursgericht. Uebrigens können nur die nicht befriedigten Gläubiger solche Anstände verfolgen, da es den befriedigten Glaubigern an dem rechtlichen Interesse zur Erhebung weiterer Forderungen fehlen würde. Sarwey p. 462 Anm. 2. Nicht zu billigen ist es, wenn Ansprüche wegen der Verwaltungsrechnung auf den gewöhnlichen Prozessweg verwiesen werden, schon desshalb weil der Verwalter seine Functionen unter der Controle des Commissärs und mittelbar des Concursgerichts verrichtet, und weil die Prüfung der Concursverwaltung ohne Zweifel einen Bestandtheil des Concursverfahrens selbst bildet. Uebrigens unterliegt die Beanstandung der Schlussrechnung der Abstimmung durch die Gläubiger und es können Einwendungen gegen dieselbe nur dann bei Gericht verfolgt werden, wenn sich eine Majorität dafür findet.
Art. 1103. Die Bestimmung dieses Artikels ist die nothwendige Consequenz der Aufhebung des Concursverfahrens, indem nunmehr die Gemeinschaft der Gläubiger zu Ende ist und jeder das Recht der individuellen Geltendmachung seiner Ansprüche zurückerhält. Fr. Code Art. 539. Belg. Code Art. 535. Gesetz vom 27. Juli 1871. D. C. O. Art. 152. Da die Feststellung der Forderungen durch gerichtliche Anerkennung oder durch gerichtliches Urtheil erfolgt, so brauchen die Gläubiger keine neue Klage mehr gegen den Schuldner zu erheben, sondern sie können ohne weiteres auf Grund der Anerkennung oder des Urtheils zur gerichtlichen Execution gegen ihn schreiten, sobald er wieder zu Vermögen kommen sollte. In der D. C. O. ist hiefür noch die Bedingung gestellt, dass der Schuldner in dem Prüfungstermin einer Forderung nicht ausdrücklich widersprochen habe, aus dem Grunde weil der Schuldner bei der Prüfung nur zur Auskunft gehört werde und keine Parteirolle habe. Allein dieser Grund beweist zu viel, da dann auch die stillschweigende Anerkennung ihn nicht binden könnte. Gegen jene Bedingung spricht ausserdem, dass bei der Prüfung der Forderungen im Concurse überhaupt keine contradictorische Verhandlung zwischen Parteien stattfindet, sondern die angemeldeten Forderungen unter Betheiligung aller Interessenten nach der Untersuchungsmaxime geprüft werden, sowie dass die Vertretung des Schuldners durch den Verwalter in allen sein Vermögen betreffenden Rechtsacten nach Aufhebung des Concursverfahrens nicht rückgängig gemacht werden kann, da man ausserdem dem Schuldner das Recht beilegen müsste, auch in den vom Verwalter für ihn geführten Prozessen die Rechtskraft ergangener Urtheile zu bestreiten.
In der Französischen und Belgischen Gesetzgebung ist ausserdem noch die Ermittlung der Entschuldbarkeit des Kridars vorgeschrieben. Allein diese Bestimmung hat nur Beziehung auf die Zulässigkeit der persönlichen Schuldhaft gegen den Kridar und ist bei der neuerlichen allgemeinen Aufhebung der Schuldhaft (contrainte par corps) gegenstandslos geworden.
IX. Titel. Strafbarer Bankerott.
Art. 1104. Die Strafbestimmungen über den Bankerott gehören eigentlich in das Strafgesetzbuch. Indessen finden sich solche in fast allen Handelsgesetzbüchern oder speciellen Concursgesetzen, entweder um die Bestimmungen des Criminalgesetzes zu revidiren oder zu ergänzen. So sind im Französischen Code penal Art. 402. 403 nur allgemeine Straf bestimmungen über den sog. einfachen und betrügerischen Bankerott enthalten, dagegen die unter den einen oder anderen Begriff fallenden besonderen Thatbestände im Handelsgesetzbuch aufgeführt. Art. 584—600. Im Deutschen Strafgesetzbuch von 1870 waren bereits die verschiedenen Fälle des strafbaren Bankerotts aufgezählt Art. 281—283; man hat dieselben aber später für ungenügend befunden und in der Concursordnung durch neue Strafbestimmungen Art. 209—214 ersetzt. Auch im Japanischen Strafgesetzbuch Art. 388. 389 finden sich bereits Strafbestimmungen über den Bankerott; dieselben dürften aber bei weiterer Erwägung sich als lückenhaft, insbesondere auch als theilweise zu milde erweisen, und es wird angemessen sein, dem vorher angeführten Vorgange nachzufolgen und in das Concursgesetz umfassendere und genauere Bestimmungen aufzunehmen. Daher wird in dem jetzt vorliegenden IX. Titel ein besonderer Abschnitt über den strafbaren Bankerott proponirt.
Ein anderer Grund für die Einfügung der Strafbestimmungen in das Concursrecht liegt darin, dass dieselben eben mit Rücksicht auf letzteres getroffen werden müssen und dass namentlich die Voraussetzungen der Strafbarkeit des Bankerotts überhaupt in dem Con-cursrecht zu suchen sind.
Um die Strafbarkeit des Bankerotts richtig zu würdigen, muss man erwägen, dass der Regel nach jeder Bankerott den Gläubigern des Bankerotteurs Vermögensverluste verursacht, und daher der Bankerott im allgemeinen dem Diebstahl oder sonstigen Vergehungen gegen das Vermögen anderer gleichzustellen ist. In älterer Zeit wurde der Bankerott sehr strenge beurtheilt und hart bestraft; in Frankreich wurde z. B. der betrügerische Bankerott noch nach der Ordonnanz von 1673 mit dem Tode bestraft. In der neueren Zeit sind in dieser Beziehung mildere Ansichten angenomxnen worden; man erkennt an, dass man auch unverschuldeter Weise in Bankerott gerathen kann und dass die Strafbarkeit des Bankerotts nach den allgemeinen Principien des Strafrechts nur dann begründet ist, wenn der Bankerotteur thatsächlich ein criminelles Verschulden begangen hat. Man unterscheidet daher, ob der Bankerotteur absichtlich oder nur leichtsinnig gehandelt hat, und stuft hiernach seine Strafbarkeit ab. Diese Unterscheidung wurde im Entwurfe in der Sache beibehalten, jedoch erschien es richtiger und deutlicher, nicht wie es gewöhnlich geschieht, zwischen betrügerischem und einfachem, sondern zwischen betrügerischem und fahrlässigem Bankerott zu unterscheiden.
Der betrügerische Bankerott wird in den meisten Gesetzen als ein Verbrechen betrachtet und daher mit Verbrechensstrafen bedroht; so in Frankreich Code pénal Art. 402 mit Zuchthaus (travaux forces) von 5—20 Jahren, in Deutschland C. O. Art. 209 mit Zuchthaus von 1—15 Jahren. Diesen Vorgängen folgend hat man auch im Entwurfe die Strafe des betrügerischen Bankerotts mit einer Verbrechensstrafe bedroht, und zwar mit der geringsten Verbrechensstrafe, nämlich Detention, welche nach dem Japan. Strafgesetzbuch Art. 23 6—11 Jahre betragen kann. Die in diesem Strafgesetzbuch Art. 388 angedrohte Gefängnisstrafe von 2 Monaten bis 4 Jahren dürfte im Vergleich mit den übrigen Gesetzgebungen und in Anbetracht, dass ein Bankerotteur seine Gläubiger um Tausende, ja um Hunderttausende und mehr betrügen kann, nicht als angemessen erscheinen.
Die Strafe des Bankerotts kann von dem Strafgericht nur gegen den verhängt werden, der durch gerichtliches Urtheil als bankerott erklärt ist. Es genügt also weder die blosse Thatsache der Zahlungseinstellung, noch kann das Bankerotturtheil vom Strafgericht aus gesprochen werden. Dies scheint das richtigste, weil der Zustand des Bankerotts nicht aus blossen Thatsachen hervorgehen kann, sondern immer richterlich erklärt sein muss, und weil die Bankerotterklärung hinsichtlich ihrer civilrechtlichen Wirkungen nothwendig dem Civilgericht zusteht. Es kann aber keine doppelte Bankerotterklärung geben, eine civilrechtliche und eine strafrechtliche. Der Zustand des Bankerotts ist ein civilrechtlicher Zustand, der ähnlich wie die Ehe oder Volljährigkeit etc. auch für das Strafverfahren vom Civilrichter erklärt sein muss. Die blosse Zahlungseinstellung kann nicht genügen, weil dieselbe rechtlich überhaupt nur vorhanden ist, wenn sie zur Bankerotterklärung geführt hat. Bravard VI. p. 25. Nach der D. C. O. genügt auch die blosse Zahlungseinstellung zur strafgerichtlichen Verurtheilung; es ist aber schwer zu begreifen, wie jemand wegen Bankerotts bestraft werden kann, noch ehe er für bankerott erklärt worden ist.
Die Strafbestimmungen finden Anwendung nicht blos auf professionelle Kaufleute, sondern auf alle, die nach Art. 1034 bankerott erklärt werden können, also auf alle, die beim Betrieb von Handelsgeschäften ihre Zahlungen eingestellt haben.
Das Verbrechen des betrügerischen Bankerotts hat ausser der förmlichen Bankerotterklärung zur Voraussetzung die betrügerische Absicht des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, also die Absicht, dieselben in ihrem Vermögen zu schädigen oder ihnen das zu entziehen, was ihnen aus der Masse gebührt. Insoferne steht der betrügerische Bankerott auf gleicher Linie mit Diebstahl oder Betrug. Dies ist in der D. C. O. ausdrücklich ausgesprochen, es muss aber auch nach der Französischen Gesetzgebung schon wegen des Begriffs eines betrügerischen Bankerotts angenommen werden.
Auf den Zeitpunkt, wann die betreffenden Handlungen vorgenommen wurden, kommt nichts an; es kann dies sowohl vor als nach der Zahlungseinstellung oder Bankerotterklärung geschehen. Sarwey p. 738.
Die Handlungen, welche das Verbrechen des betrügerischen Bankerotts ergeben, sind grossentheils auch in den übrigen Gesetzen enthalten. Fr. Code Art. 591. D. C. O. Art. 209. Belg. Code Art. 577. Im Französ. Code ist in Bezug auf die Handelsbücher nur von deren Verheimlichung (soustraire) die Rede, allein die Vernichtung oder Fälschung derselben dient ebenso dazu, den Activ- und Passivbestand zu verdecken und den Gläubigern die Geltendmachung ihrer Ansprüche zu erschweren. In der D. C. O. wird ausserdem noch die gänzliche Unterlassung der Führung von Handelsbüchern hieher gerechnet; allein dies dürfte mit dem eventuellen Eintritt des Bankerotts in zu entfernter Beziehung stehen, als dass es den übrigen Fällen des betrügerischen Bankerotts gleichgestellt werden könnte.
In Nr. 2 dieses Artikels wurden aber unter Berücksichtigung neuerlicher Erfahrungen noch einige Fälle hinzugefügt, die sich in den älteren Gesetzbüchern nicht vorfinden. Es kommt nämlich nicht selten vor, dass Leute eine Bank errichten, um durch schwindelhafte Depositen, welche sie durch Versprechen ungewöhnlich hoher Zinsen anlocken, dem Publicum Geld abzunehmen ; oder dass Waaren auf Credit zu hohen Preisen gekauft und gegen baar zu niedrigen Preisen wieder verkauft werden. Solche Geschäfte können auf die Dauer nicht fortgeführt werden, sie müssen nach einiger Zeit zum Bankerott führen; und wer sie betreibt, der zieht sich wissentlich und vielleicht absichtlich den Bankerott selbst zu. Es ist dabei nicht nothwendig, dass die einzelnen Geschäfte in dieser Absicht eingegangen werden; es ist sogar möglich, dass einzelne Gläubiger eine Zeitlang befriedigt werden, aber nur mit den von anderen Gläubigern herrührenden Mitteln. Solche Geschäfte sind daher im einzelnen nicht strafbar, sondern nur im ganzen, wenn der Bankerott eingetreten ist. Es handelt sich hier nicht um die Beschädigung einzelner Gläubiger, sondern um die Benachtheiligung der Gläubiger im ganzen, indem die Geschäftsführung im ganzen die zu ihrer Befriedigung dienende Masse vermindert.
Die ausnahmsweise Verminderung der Strafe wegen geringer Beschädigung der Gläubiger findet sich auch anderwärts, obwohl hier überhaupt mildernde Umstände genannt werden; eine zu ungenaue und weite Ermächtigung, welche der Entwurf nicht adoptirte. D. C. O. Art. 209. Bravard VI. p. 79.
Art. 1105. Die Fälle des fahrlässigen Bankerotts unterscheiden sich dadurch von dem betrügerischen Bankerott, dass der Schuldner weder absichtlich den Bankerott herbeiführte, noch auch bei Gelegenheit oder hinsichtlich seines Bankerotts absichtlich seine Gläubiger in Schaden brachte. Der fahrlässige Bankerott entsteht also durch Unbesonnenheit, Leichtsinn, Genusssucht, Unfleiss u. dgl. Es sind das allerdings auch Vergehungen, für die man die Verantwortlichkeit übernehmen muss, wenn andere dadurch *in Schaden kommen; allein sie gehören nur in die Categorie der Fahrlässigkeit da die böse Absicht des Schuldners fehlt. Daher kann der fahrlässige Bankerott nur mit einer Vergehensstrafe belegt werden; dieselbe ist übereinstimmend mit den übrigen Gesetzen auf höchstens 2 Jahre festgesetzt worden. Fr. Code penal Art. 402. D. C. O. Art. 210. 211.
Die Fälle des fahrlässigen Bankerotts sind in den Gesetzen ziemlich gleichförmig angegeben. Fr. Code. Art. 585. 586. Belg. Code Art. 573. 574. D. C. O. Art. 210. 211. Man ist der etwas genaueren Aufzählung des Französischen Code gefolgt, ohne jedoch die für Criminalsachen nicht wohl passende Unterscheidung der Fälle, in welchen die Bestrafung eintreten kann, und in welchen sie eintreten muss, nachzuahmen, und hat desshalb einzelne der in die erstere Categorie fallenden Fälle nicht mitaufgenommen (Art. 586 Ziff. 1. 2. 3.), da dieselben ohnehin zweifelhafter Natur sind. Im einzelnen ist noch folgendes zu bemerken.
Ziff. 1. Unverhältnissmässige Speculationsgeschäfte sind solche, die in keinem Verhältniss zu dem Vermögen des Schuldners stehen, bei denen also eintretende Verluste von ihm nicht gedeckt werden könnten.
Ziff. 2. Verlustbringende Geschäfte sind solche, welche zwar augenblicklich eine Einnahme gewähren, aber auf die Dauer das Vermögen vermindern, z. B. Verkauf von Waaren unter dem Preis, Aufnahme von Anlehen gegen hohen Zins, Eingehung von Wechselgeschäften gegen hohe Provision u. dgl. Von den Fällen des vorigen Art. Ziff. 2. unterscheiden sich diese dadurch, dass es sich nicht um die Absicht handelt, die Gläubiger zu benachtheiligen, sondern bloss darum, die Zahlungseinstellung hinauszuschieben, in der Hoffnung, dass eine günstige Wendung später dieselbe ganz abwenden wird,
Ziff. 4. Auch hier darf nicht eine unredliche Absicht des Schuldners vorliegen, sondern nur Unfleiss, Leichtsinn etc. etc.
Art. 1106. Directoren und andere Verwalter oder Geschäftsführer von Handelsgesellschaften nehmen die Stelle des Principals ein und müssen daher gleich diesen für die im Gesetz verpönten Handlungen verantwortlich gemacht werden, wenn sie den Bankerott der von ihnen verwalteten Gesellschaften herbeigeführt haben. D. C. O. Art. 214. Belg. Code Art. 576.
Dritte Personen, welche dem Schuldner Beihülfe leisteten oder etwa selbst die strafbare Handlung für ihn verübten, sind namentlich Familien- und Hausgenossen desselben, Handlungsgehülfen und Procuristen, erdichtete Gläubiger, welche die falschen Passivziffern des Schuldners bestätigen, indem sie solche erdichtete Forderungen im Concurse anmelden oder anmelden lassen. Fr. Code Art. 593. 594. D. C. O. Art. 212. Die Theilnahme an dem Verbrechen des Kridars wird in Frankreich und Deutschland ganz nach allgemeinen Grundsätzen bestraft. Bravard. VI. p. 77. 95. Sarwey p. 743 Note 2. Es ist aber zu bemerken, dass eine Beihülfe zu Fahrlässigkeitsvergehen nicht denkbar ist und daher in solchen Fällen nur die Bestrafung nach Art. 1104 eintreten kann. Nicht verwechseln mit der blossen Beihülfe, bei welcher der Kridar der Hauptthäter ist, darf man die Begehung der bezeichneten Handlungen im Interesse des Kridars, ohne dass dieser vielleicht davon Kenntniss hatte oder etwa gar strafbaren Bankerott beging. Bravard VI. p. 95. 98. Sarwey p. 743. Würden Sachen aus der Masse nicht im Interesse des Kridars entwendet, so wäre dies einfacher Diebstahl; der Fr. Code Art. 594 bestraft auch solche Handlungen als Diebstahl, wenn sie von der Gattin oder nahen Verwandten des Kridars begangen werden, wozu übrigens ein genügender Grund nicht vorliegt.
Die Bestrafung des Concursverwalters wegen Unehrlichkeit (malversation) findet in Frankreich statt nach Art. 596 des Code, und nach dem Belg. Code Art. 575 Ziff. 4. Der Verwalter wird jedoch kaum jemals Handlungen des fahrlässigen Bankerotts begehen können, sondern sein Vergehen wird regelmässig bestehen in Verminderung der Masse, Anerkennung falscher Gläubiger u. dgl. Daher wird es richtiger sein, wenn statt des unbestimmten Begriffs der Unehrlichkeit speciell die Fälle des Art. 1104 bezeichnet werden, wegen deren Uebertretung er gleich dem Kridar selbst strafbar sein soll. Ausserdem können Verwalter auch überhaupt wegen Untreue bestraft werden. D. Str. G. B. Art. 266. Franz. Code pénal Art. 408, Gesetz vom 13. Mai 1863.
Art. 1107. In mehreren Gesetzen werden ausserdem noch drei verschiedene Arten von Handlungen als strafbar erklärt, von dem Standpunkt aus, dass sie die rechtswidrige Benachtheiligung der Gläubiger zum Zweck haben, also in die allgemeine Categorie der rechtswidrigen Verkürzung der Masse fallen; nämlich 1, die Bestechung eines Gläubigers, damit er in der Versammlung der Gläubiger seine Stimme in einer gewissen Weise abgebe; 2, der Abschluss von Abmachungen zum Nachtheil der Masse, also namentlich zu dem Zwecke, um einem Gläubiger mehr zu verschaffen, als er rechtmässiger Weise nach dem Princip der Gemeinschaft erhalten sollte; und 3, die fälschliche Anmeldung von Forderungen zur Masse. Es ist nicht nothwendig, dass die erkaufte Abstimmung auch thatsächlich erfolgt oder dass die besondere Abmachung ausgeführt oder die fälschlich angemeldete Forderung wirklich befriedigt wurde. Jedoch können diese Delicte der Natur der Sache nach erst nach erfolgter Zahlungseinstellung begangen werden (Bravard VI. p. 122), und zwar sowohl vom Kridar, als vom Verwalter, mit Gläubigern als auch zwischen mehreren Gläubigern. Die angeführten Strafbestimmungen finden sich namentlich im Franz. Code Art. 593 Ziff. 2. 597, Belg. Code Art. 575. Ziff. 2. 3. In der D. C. O. Art. 213 ist nur der Stimmenkauf verpönt. Diesem Beispiel ist der Entwurf gefolgt, da die übrigen Strafandrohungen auf übertriebener Strenge beruhen und sich von den regelmässigen Principien des Strafrechts zu weit entfernen. In dem Fr. Code Art. 598 sind solche Abmachungen überdies für nichtig erklärt; dies versteht sich aber von selbst nach dem allgemeinen Princip der Ungültigkeit unsittlicher Verträge und braucht daher nicht besonders ausgesprochen zu werden.
Nach dem Fr. Code Art. 89 und Code pénal Art. 404 sollen Mäkler, welche bankerott werden, in allen Fällen wegen strafbaren Bankerotts verfolgt werden; diese Härte erklärt sich daraus, dass Mäkler nach dem Gesetze für sich selbst keine Geschäfte machen dürfen und daher nicht leicht bankerott werden können, ohne das Gesetz übertreten zu haben. Auch wenn die letztere Schlussfolgerung begründet wäre, was bezweifelt werden muss, liegt doch in der Uebertretung des Gesetzes noch nicht nothwendig eine betrügerische Absicht, und die betreffende Bestimmung wird in Frankreich selbst nicht vollzogen. Bravard VI. p. 82. Daher wurde sie in den Entwurf nicht aufgenommen.
X. Titel. Persönliche Folgen des Bankerotts.
Art. 1108. Nach der Gesetzgebung aller Länder wird der für bankerott erklärte Schuldner, ausser den sein Vermögen betreffenden Wirkungen, noch von gewissen persönlichen Nachtheilen betroffen, welche seine Rechtsfähigkeit in hohem Grade beschränken. Der Grund hiefür ist, dass man den Bankerotteur als Jemanden ansieht, auf dem in sittlicher und rechtlicher Hinsicht ein Makel sitzt und dem alle diejenigen Rechte versagt werden müssen, zu deren Ausübung sowohl öffentliches Vertrauen als auch ein fleckenloser Ruf nothwendig sind. Die Rechte, welche demgemäss der Bankerotteur verliert, sind theils politische, theils private, theils insbesondere commercielle. Nur von den letzteren ist hier die Rede, da die übrigen den anderen betreffenden Gesetzen überlassen bleiben müssen. Fr. Code Art. 604—614. Belg. Code Art. 586—592. Holländ. H. G. B. Art. 892—899. Span. H. G. B. Art. 1168—1175. Oesterreich. C. O. vom 25 Dec. 1868 Art. 246—253. In der D, C. O. von 1877 finden sich über diesen Gegenstand keine Bestimmungen, da man ihn für ausserhalb des Concursrechts und Concursverfahrens liegend und bei der Verschiedenheit des öffentlichen Rechts in den einzelnen Staaten zur einheitlichen Gesetzgebung nicht geeignet hielt. Diese Gründe können hinsichtlich der commerciellen Rechtsfolgen des Bankerotts nicht für richtig anerkannt werden; allein bei dem dermaligen Stande der Gesetzgebung ergibt sich, dass dieser Gegenstand nach der Landesgesetzgebung der Einzelstaaten zu beurtheilen ist, so in Preussen nach der C. O. vom 8. Mai 1855 Art. 310—318. Bayern Proz.-Ordnung vom 29. April 1869 Buch V. Gant. Sarwey p. 54 ff. Einleitung.
In dem Franz. Code Art. 613 ist von den commerciellen Rechtsfolgen nur der Besuch der Börse angeführt; in Art. 83 auch die Fähigkeit zum Amt eines Mäklers; und es ist zweifelhaft, ob es deren in Frankreich noch mehr gibt. Bravard VI. p. 206 ff. In den Deutschen Concursordnungen sind diese Folgen ausführlicher und genauer bezeichnet und ihrem Vorgange hat der Entwurf sich angeschlossen, da es von hoher Bedeutung ist, die öffentliche Moral im Handel möglichst zu beschützen. Uebrigens ist nicht zu läugnen, dass der Ausschluss von der Börse schon für sich selbst den Ausschluss fast von dem gesammten Handelsbetriebe bedeutet, da heutzutage der ganze reguläre und makellose Handel sich an der Börse concentrirt. Preuss. C. O. Art. 310. Oesterr. C. O. Art. 246.
Die auf die Handelsgesellschaften bezügliche Bestimmung erklärt sich dadurch, dass zur Geschäftsführung für solche Gesellschaften besonderes Vertrauen nothwendig ist, da jeder Gesellschafter resp. jeder Director die ganze Gesellschaft nach aussen vertritt, und dass die solidarische Haftbarkeit solcher Personen wenig Werth hat, wenn sie nicht einmal ihre früheren Gläubiger zu befriedigen im Stande waren. Es soll also verhindert werden, dass Leute unter der Firma einer Gesellschaft Handel treiben, während sie mit ihrer eigenen persönlichen Firma keinen Credit in der Handelswelt finden könnten.
Art. 1109. Darüber sind alle Gesetzgebungen einig, dass nur derjenige die Rehabilitation erlangen kann, der seinen Gläubigern nichts mehr schuldig ist. Allein über die Anwendung dieses Princips sind die Gesetzgebungen getheilt, indem die einen nur auf die formelle, die anderen dagegen auf die materielle Befreiung des Schuldners sehen. Materiell ist ein Schuldner nur dann befreit, wenn er seine Gläubiger wirklich befriedigt, d. h. ihnen das was sie zu fordern berechtigt waren, oder ein Aequivalent dafür wirklich geleistet hat. Formell kann ein Schuldner auch befreit werden, wenn seine Gläubiger nichts erhalten, z, B. durch Nachlass, Verjährung, Prozessverlust wegen Versäumung von Fristen u. dgl. Der Entwurf verlangt in Uebereinstimmung mit dem Franz. Code Art. 604 (Bravard VI. p. 157), und dem Belg. Code Art. 586 die materielle Befriedigung der Gläubiger durch Zahlung, Compensation, datio in solutum u. dgl. Für den Fall eines Vergleiches, durch welchen die Gläubiger dem Schuldner einen theilweisen Nachlass bewilligt haben, stimmt damit wenigstens auch die Preuss. C. O. Art. 318 und die Oesterr. C. O. Art. 153 überein, indem durch den Nachlass nur einzelne specielle Unfähigkeiten, wenigstens in Preussen der Regel nach, aufgehoben werden, während nach dem Holländ. H. G. B. Art. 550 die Rehabilitation überhaupt durch einen Vergleich erlangt werden kann. Da der Vergleich schon durch die Majorität der Stimmen rechtsgültig wird und den Gläubigern durch den Zwang der Umstände abgenöthigt wird, indem dieselben meist mehr aus dem Concurse erlangen können, so kann man ihm die Kraft einer wirklichen und moralischen Befreiung des Schuldners nicht zuschreiben. Die Rehabilitation soll nur dem gewährt werden, der seinen Verbindlichkeiten vollständig gerecht geworden und. dessen kaufmännischer Credit wieder von dem darauf lastenden Flecken gereinigt ist; der Vergleich beendigt oder verändert nur das Concursverfahren, gibt aber dem Schuldner seinen kaufmännischen guten Ruf nicht wieder. Es handelt sich nicht darum, ob der Schuldner von seinen Gläubigern noch processualisch verfolgt werden kann, sondern es handelt sich um die Wiederherstellung seiner kaufmännischen Reputation und Ehre; es ist dies nicht eine private Geldfrage zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern eine Frage der öffentlichen Rechtsfähigkeit, die durch private Abmachungen nicht gelöst werden kann. Bravard VI. p. 159. Daher hat man es für richtiger gehalten, auch die bloss formelle Schuldtilgung durch Erlass, Vergleich, Verjährung nicht für genügend zu erklären, sondern es muss die materielle Befriedigung der Gläubiger erfolgt sein. Es folgt daraus, dass die blosse Vorlage von Quittungen noch nicht genügt, sondern dass das Gericht deren Aufrichtigkeit prüfen muss, da sonst der Schuldner durch die blosse Nachgiebigkeit seiner Gläubiger rehabilitirt werden könnte.
Die weitere Bestimmung in Betreff solcher Gläubiger, welche der Schuldner wegen Unkenntniss ihres Aufenthalts noch nicht befriedigen konnte, findet sich speciell in der Oesterr. C. O. Art. 248. Der Schuldner muss die Mittel nachweisen, auch diese Gläubiger zu befriedigen, und dieselben allenfalls bei Gericht auf dessen Verlangen deponiren. Diese Bestimmung ist offenbar durch die Billigkeit geboten, da sonst ein Schuldner, der irgend einen seiner Gläubiger nicht aufzufinden vermag, niemals zur Rehabilitation gelangen könnte.
Es kann auch vorkommen, dass ein Gläubiger voll bezahlt wurde, aber keine Quittung gab, und dass nun dessen Befriedigung nicht mehr nachgewiesen werden kann. Auch in diesem Falle ist es billig, die Rehabilitation zuzulassen, wenn die Befriedigung auf andere Weise wenigstens glaubhaft gemacht werden kann, und später in dem hiefür ausgeschriebenen 2monatlichen Termin keine Einwendung erhoben wird.
Art. 1110. Um die Rehabilitation aussprechen zu können, muss ein Verfahren vorhergehen, durch welches die Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen ermittelt werden soll. Der Schuldner stellt seinen Antrag beim Concursgericht und dieses macht ihn in der geeigneten Weise öffentlich bekannt und bestimmt eine 2monatliche Frist, binnen welcher Einwendungen dagegen erhoben werden können. Die Begutachtung des Staatsanwalts ist namentlich vom criminellen Standpunkt mit Rücksicht auf Art. 1112 erforderlich, doch kann derselbe auch wegen anderer gesetzlicher Mängel Einspruch erheben ; insbesondere soll er auch Ermittlungen über die Thatsache der Befriedigung der Gläubiger anstellen. Die Gläubiger können widersprechen, sowohl weil sie nicht vollständig befriedigt wurden, als auch weil die Rehabilitation aus anderen Gründen nicht zulässig ist; es wird also auch den Gläubigern die Vertretung der öffentlichen Moral eingeräumt. Bravard VI. p. 173. In der That kann man es den Gläubigern nicht verwehren, gegen die Rehabilitation eines betrügerischen Bankerotteurs zu protestiren.
Das Verfahren selbst ist kein eigentliches Prozessverfahren, wie es sonst zwischen Parteien stattfindet, sondern das Gericht urtheilt in freier Anwendung der Untersuchungsmaxime, auf Grund der vom Staatsanwalt angestellten Ermittlungen und der Ergebnisse der Verhandlungen. Die von den Gläubigern erhobenen Widersprüche müssen durch diese begründet werden, das Gericht kann aber auch selbständige Beweisaufnahmen anordnen. Nach der Französ. und Belg. Gesetzgebung soll die Beschlussfassung nur dem Obergerichte zustehen und werden die unteren Gerichtsbehörden von dem Oberstaatsanwalt mit den nöthigen Ermittlungen beauftragt. Nach der Preuss. und Oesterr. Gesetzgebung steht die Entscheidung dem Concursgericht zu, und dies wurde im Entwurfe adoptirt, weil das Rehabilitationsverfahren im Grunde nur eine Fortsetzung des Concursverfahrens bildet und die Beschlussfassung lediglich auf Grund thatsächlicher Ermittlung und mittelst Anwendung gesetzlicher Vorschriften erfolgt. Die Franz. Gesetzgebung scheint zu diesen mehr formellen Vorschriften durch den Umstand gekommen zu sein, dass in der Franz. Sprache das Wort Rehabilitation auch die nur dem Souverain zustehende Begnadigung in Strafsachen bedeutet; allein die Ausübung dieses Begnadigungsrechts ist von der Rehabilitation in jeder Beziehung verschieden, namentlich kann hier von der freien Ausübung des Rechts, wie sie dem Souverain zusteht, keine Rede sein.
Im übrigen sind die das Verfahren betreffenden Vorschriften mit denen der übrigen Gesetzgebungen in der Hauptsache gleich. Die Zulässigkeit der Berufung gegen den Gerichtsbeschluss ist ausdrücklich nur in der Oesterr. C. O. Art. 252 erwähnt, sie besteht aber auch nach den übrigen Gesetzgebungen. Bravard VI. p. 187. Die Wiederholung des abgewiesenen Antrags ist in Frankreich (Code Art. 610) und Belgien (Code Art. 591) nach 1 Jahr, in Preussen (C. O. Art. 315) erst nach 3 Jahren gestattet; letzteres scheint richtiger, damit nicht leicht frivole und unbewiesene Anträge auf Rehabilitation gestellt werden.
Art. 1111. Die Rehabilitation von Verstorbenen muss sowohl wegen der Familieninteressen, als auch zur Wiederherstellung des guten Rufs des Todten selbst zugelassen werden, um so mehr als ja auch die Ehre von Verstorbenen durch das Strafgesetz geschützt wird. D. Str. G. B. Art. 189. Namentlich ist es von Werth, den guten Ruf einer kaufmännischen Firma wiederherzustellen, auch wenn dieselbe durch Todesfall in andere Hände übergegangen ist. Fr. Code Art. 614. Belg. Code Art. 586. Preuss. C. O. Art. 317. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass der Erbe eines nicht rehabilitirten Bankerotteurs nicht etwa in seiner Person gleichfalls Unfähigkeit erleidet. Bravard VI. p. 168.
Die Bestimmung in Betreff der Mitglieder und Directoren von Handelsgesellschaften rechtfertigt sich dadurch, dass zwar durch den Bankerott derselben nicht nothwendig und von selbst auch die ersteren in den Zustand des Bankerotts gerathen, dass sie aber, soferne sie für deren Verbindlichkeiten haften, thatsächlich als wortbrüchig und in ihrem guten Ruf verletzt anzusehen sind und daher für ihre Person die Folgen des Bankerotts zu tragen haben, so lange bis sie ihre Verpflichtungen als Solidarschuldner getilgt haben. Fr. Code Art. 604. Belg. Code Art. 586. Hieran kann es nichts ändern, dass vielleicht einem Gesellschafter mit Ausschluss der übrigen ein Akkord bewilligt wurde, da die Bewilligung eines solchen überhaupt nicht hinreicht, um die Rehabilitation zu bewirken. Nach der Preuss. C. O. Art. 287 soll zwar über das Vermögen einer Collectiv-Gesellschaft ein besonderer Concurs eröffnet werden, dasselbe soll aber auch zugleich in Betreff des Privatvermögens jedes persönlich haftenden Gesellschafters geschehen. Diese letztere Bestimmung lässt dem Zweifel Raum und ist auch in der D. C. O. Art. 198 nicht wiederholt und in § 4 des Einführungsgesetzes vom 10. Febr. 1877 ausdrücklich aufgehoben worden. Auf dem gleichen Standpunkte steht der Entwurf. Vgl. Sarwey p. 721.
Art. 1112. Die in diesem Artikel genannten Personen können nicht rehabilitirt werden, auch wenn sie ihre Gläubiger vollständig befriedigt haben, zur Strafe für die von ihnen bewiesene unehrliche und gefährliche Gesinnung. Fr. Code Art. 612. Belg. Code Art. 591. Preuss. C. O. Art. 316. In den erstgenannten Gesetzen sind ausser dem betrügerischen Bankerott diejenigen Vergehungen speciell genannt, welche zur Rehabilitation unfähig machen, nämlich insbesondere Diebstahl, Betrug, Untreue und andere. Es schien indess richtiger, mit dem Preussischen Gesetze den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte im allgemeinen als Grund dieser Unfähigkeit zu bezeichnen, da die Gesetzgebung hierüber wechseln kann und die Aufzählung der einzelnen Vergehungen immer lückenhaft bleiben wird. Zu weit geht übrigens die Französ. Gesetzgebung, wenn auch alle Depositare und Vormünder oder andere Verwalter, welche ihre Rechnungsschuld nicht bereinigten, sowie betrügerische Verkäufer von der Rehabilitation für immer ausgeschlossen werden. Dies wird auch in der Franz. Jurisprudenz nicht gebilligt. Bravard VI. p. 166.
Durch die Begnadigung solcher Delinquenten werden zwar die criminellen Folgen der Verurtheilung beseitigt, aber die Fähigkeit zur Rehabilitation trotzdem nicht erlangt. Bravard VI. p. 167. Nur im Fall des fahrlässigen Bankerotts, weil dieser keine ehrlose Gesinnung voraussetzt, wird durch Begnadigung, aber auch durch Verbüssung der Strafe die Fähigkeit zur Rehabilitation erlangt. Preuss. C. O. Art. 316.
XI. Titel. Zahlungsaufschub.
Art. 1113. Die Gewährung eines Zahlungsaufschubes für einen in Bedrängniss gerathenen Schuldner ausserhalb des gewöhnlichen Bankerottverfahrens beruht theils auf Gründen der Billigkeit gegen die Einzelnen, theils auf Rücksichten der Erhaltung und Schonung des allgemeinen Credits. Es ist hart, einen unverschuldet und lediglich zeitweise zahlungsunfähig gewordenen Geschäftsmann ohne weiteres bankerott zu machen und mit allen strengen Folgen des Bankerotts zu beladen; und es ist ohne Zweifel für das öffentliche Wohl zuträglicher, wenn man die Geschäftshäuser möglichst aufrechterhält und nicht bei kurzen Unfallsperioden dem Zusammenbruch preisgibt. Diese Einrichtung besteht in der Gesetzgebung vieler Länder. England Bankerottgesetz von 1869 Art. 126. Holland II. G. B. Art. 900—922. Belgien Code Art. 593—614. Brasilien H. G. B. von 1850 Art. 898—906 u. a. Auch in Frankreich ist dieselbe durch Decret vom 22. August 1848 vorübergehend eingeführt worden. In Preussen C. O. von 1855 Art. 421—433 und in den meisten Deutschen Staaten hat diese Modification des Concursverfahrens bestanden, ist jedoch in das neue Deutsche Concursgesetz von 1877 nicht mit aufgenommen worden. Durch das Einführungsgesetz zur C. O. von 1877 Art. 4 wurde die Ertheilung von Generalmoratorien, durch das Einführungsgesetz zur Civ. Pr. O. von 1877 Art. 14 Nr. 4 die von Specialmoratorien ausdrücklich abgeschafft. Sarwey p. 751 Note 2. Man erblickt in den Moratorien einen Eingriff in die Rechte der Gläubiger und speciell eine Verzögerung ihrer Einnahmen, deren sie zur Erfüllung ihrer eigenen Verbindlichkeiten bedürfen; sie schaden daher mehr dem Gläubiger und werden dem redlichen Schuldner nur selten nützen, den gewissenlosen Schuldner können sie zu gefährlichen Betrügereien verführen. Allein diese Gründe sind nicht überzeugend. Der Nutzen für den Schuldner besteht darin, dass er die Verfügung über sein Vermögen nicht verliert und von den persönliehen Folgen des Bankerotts befreit wird; der Eingriff in die Rechte der Gläubiger ist geringer als beim wirklichen Bankerottverfahren, und namentlich werden sie meist schneller als durch dieses zu ihrem Gelde kommen. Der Zahlungsaufschub kann in vielen Fällen eine Firma retten und dadurch ältere Geschäftsbeziehungen aufrecht erhalten ; auch kann das, was der eine dem anderen gewährt, zu einer anderen Zeit ihm selbst gewährt werden. Für Japan empfiehlt sich diese Einrichtung um so mehr, als dadurch die Anwendung der ungewohnten strengen Principien des Europäischen Bankerottrechts vielfach vermieden und dadurch das Einleben der Geschäftswelt in das neue Rechtssystem erleichtert wird. Uebrigens hat der Zahlungsaufschub nur auf Verbindlichkeiten aus Handelsgeschäften Bezug ; alle anderen Verbindlichkeiten, z. B. Steuern und andere öffentliche Abgaben, und private Forderungsrechte, werden dadurch nicht berührt. Diese übrigen Gläubiger muss also der den Zahlungsaufschub Nachsuchende nebenbei befriedigen oder sich anderweit mit ihnen abfinden. Diese Beschränkung auf die Handelssphäre rechtfertigt sich nicht nur durch den allgemeinen Character des Handelsrechts, sondern auch dadurch, dass eben Creditstockungen nur im Handel Vorkommen und dann leicht auch den Unschuldigen ergreifen und in eine Cassa-Bedrängniss versetzen können, die den jenigen nicht leicht treffen kann, der sich nur in den Geschäften des Privatlebens bewegt.
Neben der Voraussetzung des Handelsbetriebs ist nothwendig, dass die Zahlungseinstellung unverschuldet und nur vorübergehend ist, also mit Sicherheit nach einiger Zeit gehoben werden kann. Z. B. es bleiben durch den Bankerott anderer bedeutende Einnahmen aus, oder es ist der Werth gewisser Waaren plötzlich bedeutend gesunken, oder es ist der Geschäftsbetrieb durch einen Brand, ein Erdbeben u. dgl. plötzlich unterbrochen worden u. dgl. Wenn man in solchen Fällen dem davon Betroffenen Zeit gibt, kann er sich wieder erholen, er kann später glückliche Speculationen realisiren, es kann der Werth der gesunkenen Artikel wieder in die Höhe gehen, der Geschäftsbetrieb kann durch raschen Neubau wieder aufgenommen werden u. s. f. Immer aber darf der Schuldner seine Bedrängniss nicht selbst verschuldet haben; sei es durch Handlungen des betrügerischen oder fahrlässigen Bankerotts, sei es durch andere Verstösse gegen die Sorgfalt und Umsicht eines ordentlichen Geschäftsmannes. Ob ein Verschulden anzunehmen sei, entscheidet in den einzelnen Fällen nach den Umständen das Gericht. Auch kann der Antrag auf Zahlungsaufschub nicht etwa auf blosse unbegründete Hoffnungen oder zweifelhafte Möglichkeiten gestützt werden, sondern auf sichere Berechnung nach kaufmännischen Grundsätzen, mit Bezug auf bestimmte Activa und auf bestimmte Thatsachen, die zur zuverlässigen Erwartung eines günstigen Umschwunges berechtigen.
Die Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger ist aus denselben Gründen erforderlich, wie zur Bewilligung eines Vergleiches im Concurse. Diese Mehrheit wird meist nicht schwer zu erlangen sein, da es wenige Geschäftsleute geben wird, die nicht ihren Geschäftsfreunden unter den vorhin erörterten Umständen eine angemessene Zahlungsfrist bewilligen. Auch ist das Opfer verhältnissmässig gering, denn es handelt sich hier nicht wie beim Vergleich um einen oft sehr bedeutenden Nachlass an der Schuld, sondern nur um eine Zahlungsfrist, nach deren Ablauf sie vollständige Befriedigung erlangen sollen, und zwar an Capital, Zinsen und Kosten. Die Zahlungsfrist soll der Regel nach nicht länger als 1 Jahr dauern, einmal um den Gläubigern kein zu grosses Opfer zuzumuthen, und sodann weil auf längere Zeit hinaus die wechselnden Chancen nicht mit Sicherheit berechnet werden können. Preuss. C. O. von 1855 Art. 426. Belg. Code Art. 593. 600.
Die Umstände, welche zur Zahlungssuspension Anlass geben, brauchen übrigens nicht, wie es im Belg. Code vorgeschrieben ist, nothwendig ausserordentliche und unvorhergesehene Ereignisse zu sein, wie z. B. ein Krieg, ein Aufruhr, eine Epidemie u. dgl. Diese Vorschrift hat ihre Richtigkeit für die Bewilligung allgemeiner Moratorien durch die Regierung für die gesammte Bevölkerung, wie z. B. noch die Französische Regierung in dem Kriege von 1870 ein allgemeines Wechselmoratorium erlassen hat. Ztsch. f. H. R. Bd. 16. p. 656. Allein der einzelne Geschäftsmann kann von Unglücksfällen heimgesucht werden, die durchaus nichts ausserordentliches haben und auch vorhergesehen werden können, die sich aber trotzdem nicht immer vermeiden lassen und deren Uebersehen dem Betroffenen nicht als Schuld ausgelegt werden kann, z. B. Bankerott eines Schuldners, Missernten, Brandfälle, Todesfälle u. dgl. In der Preuss. C. O. Art. 425 ist dem Richter einfach die freie Würdigung der Umstände überlassen.
Art. 1114. Die Bestimmungen dieses Artikels beruhen auf denselben Gründen wie für die Beantragung eines Concursvergleiches. Art. 1092 Insbesondere muss auf die unter Nr. 3 bezeichneten Nachweise Gewicht gelegt werden, da die Gläubiger durch den Aufschub keinen Nachtheil erleiden dürfen, was der Fall wäre, wenn sie mit unsicheren Hoffnungen befriedigt werden sollten. Wenn die Gläubiger eine Sicherheit verlangen, durch Hypothek, Pfand oder Bürgschaft, so muss ihnen dieselbe gewährt werden, da sie die Bedingungen ihrer Zustimmung stellen können. Preuss. C. O. Art. 428. Jedoch können die Gläubiger möglicher Weise auch auf eine Sicherheit verzichten, wenn sie sonst in den Schuldner hinreichendes Vertrauen setzen. In diesem Sinne ist die betreffende Bestimmung in diesem Artikel zu verstehen.
Die Ertheilung eines provisorischen Aufschubs ist dem Gericht auch im Belg. Code Art. 595 und im Holländ. H. G. B. Art. 905 eingeräumt. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der Aufschub, um die Bankerotterklärung zu vermeiden, in vielen Fällen unverzüglich gegeben werden muss, widrigenfalls er keinen Effect mehr hätte. Die provisorische Bewilligung wird übrigens wirkungslos, wenn sie später von den Gläubigern nicht genehmigt wird.
Art. 1115. 1116. Nach der Preuss. C. O. Art. 424 wird über den Antrag vor dem Gericht zwischen dem Schuldner und den Gläubigern verhandelt und der Richter entscheidet auf Grund der von beiden Theilen erbrachten Beweise im schleunigen Verfahren. Nach dem Belg. Code Art. 597 findet gleichfalls eine Verhandlung zwischen dem Schuldner und den Gläubigern vor dem Untergerichte statt, allein die Entscheidung wird vom Obergericht auf Grund eines Berichtes des Untergerichts getroffen. Es schien jedoch einfacher und zweckmässiger, die Bestimmungen über das Zustandekommen des Concursvergleiches hier zu wiederholen. Die Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubigern machen sich leichter und angemessener in einer Versammlung, als in einer Gerichtssitzung auch kann hier die Abstimmung der Gläubiger besser ihrem eigentlichen Zwecke genügen. Für die Information des Gerichts wird durch das Versammlungsprotocoll und den Vortrag des Commissärs gesorgt; doch kann das Gericht noch andere Vernehmungen nach seinem Ermessen anordnen.
Die Verlängerung des Aufschubs kann ausnahmsweise auf ein weiteres Jahr gestattet werden, wenn die Umstände derart sind, dass eine solche Verlängerung den Gläubigern volle Befriedigung gewähren und den Schuldner vor dem Bankerott bewahren wird. Belg. Code Art. 600. Jedoch darf diese Verlängerung nicht leichthin bewilligt werden ; erscheint der wirkliche Bankerott doch unvermeidlich, dann darf den Gläubigern der Zwang eines längeren Zuwartens nicht auflegt werden.
Art. 1117. Die Verhinderung jeder Zwangsexecution gegen den Schuldner während des gewährten Aufschubs ist auch in anderen Gesetzen ausgesprochen. Belg. Code Art. 604. Holländ. H. G. B. Art. 918. Hiezu kommt noch die Folge, dass er nicht für bankerott erklärt werden kann, was der eigentliche Zweck des Verfahrens ist. Dies ist indirect auch in dem Französ. Decret vom 22. August 1848 über das concordat oder arrangement amiable enthalten. Das gleiche gilt von der nothwendigen Ueberwachung des Schuldners durch den Gerichts- Commissär, ähnlich wie im Falle eines Concursvergleiches. Der Entwurf unterscheidet sich aber darin von den übrigen Gesetzen, dass er die Wirkungen des Aufschubs nur für die Forderungen aus Handelsgeschäften gelten lässt; denn die Rechtfertigung des Aufschubs lässt sich überhaupt nur für die Sphäre des Handelsbetriebs begründen, und es ist kein genügender Grund gegeben, Personen, die überhaupt zahlungsunfähig geworden sind und nicht einmal mehr ihre privaten Verbindlichkeiten, z. B. die Kosten ihres Unterhalts, ihre öffentlichen Abgaben etc. bestreiten können, von der Bankerotterklärung zu befreien. Eine ähnliche Ausnahme findet zwar auch nach anderen Gesetzen statt, z. B. Belg. Code Art. 605, Holl. H. G. B. Art. 920, es schien aber richtiger, alle Forderungen, die nicht aus Handelsgeschäften herrühren, davon auszunehmen. Diese übrigen Gläubiger muss der Schuldner auch während des ihm gewährten Aufschubs befriedigen, wenn es ihm nicht gelingt, sie privatim zu längerem Warten zu bewegen; ist beides nicht der Fall und wird von solchen Gläubigern die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen bewirkt, dann kann der völlige Bankerott nicht mehr aufgehalten werden.
Die Bestimmung in Betreff der Bürgen und Mitschuldner ist analog dem Falle des Concursvergleiches. Belg. Code Art. 605. Holländ. H. G. B. Art. 921.
Art. 1118. Auch die Bestimmungen dieses Artikels correspon-diren mit denen für den Fall des Concursvergleichs. Der Zahlungsaufschub soll die Bankerotterklärung und das Bankerottverfahren womöglich abwenden; kann dies nicht geschehen, so kann auch der Bankerott nicht mehr abwendet werden, und die Bankerotterklärung kann sogleich von Amtswegen erfolgen. Eine nochmalige förmliche Bankerottanzeige ist nicht mehr erforderlich, vielmehr muss der Antrag auf Gewährung eines Zahlungsaufschubs hiefür genügen, ebenso wird die Zahlungseinstellung nach den auf letzteren bezüglichen Thatsachen bestimmt. Jedoch wird der ehrliche Schuldner, wenn ihm ein Aufschub bewilligt wurde und er die ihm gestellten Bedingungen nicht zu erfüllen vermag, hievon Anzeige machen und auch seine frühere Anzeige soweit erforderlich ergänzen müssen. Belg. Code Art. 607. 613. Holländ. H. G. B. Art. 922. 923. Engl. Gesetz von 1869 Art. 126 fin.
Wenn der Schuldner nachher für bankerott erklärt wird, müssen von selbst auch die Strafbestimmungen wegen betrügerischen oder fahrlässigen Bankerotts u. s. w. auf ihn Anwendung finden. Belg. Code Art. 611. Ein Schuldner, der solche strafbare Handlungen begangen hätte, würde den Zahlungsaufschub von vorneherein nicht verdienen und im Falle späterer Entdeckung nach dem gegenwärtigen Artikel dessen unausbleiblich wieder verlustig werden, denn er wäre dann nicht mehr unverschuldet in Bedrängniss gerathen.
IV. BUCH.
STREITIGKEITEN ÜBER HANDELSSACHEN.
I. Titel. Schiedsrichter.
Art. 1119. Bereits in den einleitenden Bemerkungen wurden die Gründe dargelegt, aus welchen die Einrichtung der Handelsgerichte, im Gegensatze zu den ordentlichen Gerichten, nicht empfehlenswerth erscheint. In den grössten und bedeutendsten Staaten gibt es keine Handelsgerichte und sind sie bez. weise in neuester Zeit abgeschafft; so in Deutschland, Oesterreich, England, den Vereinigten Staaten, Spanien u. a. In Frankreich sind die Stimmen darüber getheilt; allgemein wird zugegeben, dass es den kaufmännischen Richtern, abgesehen von der berufsmässigen Tüchtigkeit im allgemeinen, an den zur Ausübung des Richteramts nöthigen Rechtskenntnissen fehlt und dass in den wichtigeren und schwierigeren Fällen die Entscheidung gewöhnlich in den Händen des rechtskundigen Secretärs oder eines zum Schiedsrichter ernannten Advokaten liegt; dass überhaupt die Handelsgerichte nicht in dem Masse, als man es theoretisch anzunehmen pflegt, den Vorzug der grösseren Einfachheit, Schnelligkeit und Wohlfeilheit des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten voraus haben. Bravard VI. p. 245. Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 11. p. 430 ff. Noch niemals ist in den oberen Instanzen, bei Berufungen, die Entscheidung blos kaufmännisch geschulten Personen anvertraut worden, und auch in der untersten Instanz lassen sich die Vortheile der Schnelligkeit des Verfahrens und der sachkundigeren Entscheidung durch zweckmässige Modificationen des gewöhnlichen Prozessverfahrens leicht erreichen. Daher wurde in dem gegenwärtigen Artikel hinzugefügt, dass in Handelssachen kurze Fristen beobachtet und nach Erforderniss kaufmännische Sachverständige zugezogen werden sollen. Letztere dienen zur Aufklärung des Gerichts über rein kaufmännische Fragen, insbesondere können sie zur Prüfung der Handelsbücher und zur Beurtheilung anderer kaufmännischen Papiere benützt werden. Sachverständige haben niemals die Eigenschaft des Richters, die Entscheidung bleibt trotzdem beim Gericht und dieses ist mithin an die Meinung der Sachverständigen nicht gebunden. D. Civ. Proz. Ordn. von 1877 Art. 102. 367 ff. Fr. Code de proc. civ. Art. 414 ff. 429. Oesterr. Patent vom 9. April 1782 betr. das Verfahren in Handelssachen. England Gesetz vom 5. Aug. 1873 (Supreme Court of Judicature Act.) Art. 56—76.
Die Handelsgerichtsbarkeit ist ihrer eigentlichen Natur nach eine Standesgerichtsbarkeit und hat ihren Ursprung in der Consular-gerichtsbarkeit, sie verträgt sich daher nicht mit dem modernen Princip der Centralisation der Justiz in der Staatsgewalt. Für Japan würden sieh besondere Handelsgerichte um so weniger eignen, als dadurch die Einbürgerung der neuen Handelsgesetzgebung unberechenbar erschwert wurde, da man von kaufmännischen Richtern das Einleben in die Grundsätze des codificirten Handelsrechts nicht leicht erwarten könnte. Dagegen wird dem Bedürfniss der Entscheidung von Handelsstreitigkeiten durch Vertrauenspersonen der Parteien sehr leicht durch die Zulassung der schiedsrichterlichen Entscheidung genügt, worüber in den nachfolgenden Artikeln die erforderlichen Vorschriften gegeben werden.
Art. 1120. Die Bestimmungen über Schiedsgerichtsbarkeit finden sich regelmässig in den Civilprozessgesetzen, so D. C. Pr. O. von 1877 Art. 268. 851—872. Fr. Code de proc. civ. Art. 429. 1003—1028. Oesterreich. A. G. O. Art. 270—274. Diese Bestimmungen beziehen sich auf private Streitigkeiten im allgemeinen und es werden dadurch besondere Vorschriften über die schiedsrichterliche Entscheidung von Handelsstreitigkeiten nicht ausgeschlossen. Solche enthält auch der Fr. Code de comm. Art. 51—63 (aufgehoben durch Gesetz vom 17. Juli 1856). H. G. B. von Bolivien von 1834 Art. 761—779. Span. H. G. B. Art. 252—304. In Deutschland sind die Bestimmungen über Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen meist in den Börsenordnungen und Handelsgewohnheiten sowie in besonderen Gesetzen enthalten. Da das Institut der Schiedsrichter gerade in Handelssachen am häufigsten vorkommt und am wohlthätigsten wirkt, auch am meisten zu empfehlen ist, so erschien es zweckmässig, hier die wesentlichen Vorschriften über Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen zusammenzustellen, und damit einerseits die in diesem Lande noch fehlenden oder mangelhaften Börsenordnungen zu ersetzen, andererseits denselben für die Zukunft eine sichere und gleichmässige Grundlage zu geben.
Auch in England besteht das Institut der Schiedsrichter nach wesentlich gleichen Grundsätzen wie auf dem Continent. Die massgebenden Gesetze hierüber sind namentlich 9 u. 10 Will. III. c. 15 und 17 und 18 Vict. c. 125 (common law procedure Act von 1854 s. 17.) Stephens Comment. III. p. 259—262. 555. Durch das Judicaturgesetz von 1873 sind überdies den höheren Gerichten amtliche oder specielle Berichterstatter (referees) beigewiesen worden, denen das Gericht die sachverständige Untersuchung von Streitsachen übertragen kann und welche gleichfalls die allgemeine Stellung von Schiedsrichtern einnehmen.
Die Schiedsrichter sind berufen, die Streitigkeiten der Parteien durch ihr Urtheil zu entscheiden. Nicht zu verwechseln mit ihnen sind die in Preussen sog. Schiedsmänner, anderwärts Sühneversucher (Conciliatoren) oder Friedensrichter genannt. Preussen Gesetz vom 29. März 1879. Franz. Code de proc. civ. Art. 48—58. Diese letzteren Schiedsmänner haben nicht das Recht der richterlichen Entscheidung, sondern nur mit den Parteien zum Zweck der gütlichen Einigung zu verhandeln und die etwa zu Stande gebrachten Vergleiche zu Protocoll zu nehmen.
Das Institut der Schiedsrichter bietet die Vortheile, dass die Entscheidung von Streitigkeiten in die Hände wirklicher Vertrauenspersonen der Parteien gelegt ist, dass das Verfahren rascher, einfacher und weniger kostspielig ist, und dass dadurch Fragen, deren Beantwortung hauptsächlich von kaufmännischen Kenntnissen und Erfahrungen abhängt, am sachgemässesten beantwortet werden. Letzteres ist namentlich der Fall, wenn es sich um die richtige Qualität oder Quantität von Waaren handelt, um die Prüfung von Rechnungen oder Handelsbüchern, um die Existenz oder den Inhalt kaufmännischer Gewohnheiten u. dgl. Wo die Schiedsgerichtsbarkeit entwickelt ist, können besondere Handelsgerichte um so eher entbehrt werden.
Die Bestimmung, dass Streitigkeiten über Börsengeschäfte durch Schiedsrichter zu entscheiden sind, ist namentlich in Deutschland und Oesterreich allgemein gültig; hierüber entscheiden die näheren Bestimmungen der Börsenordnungen. So ist z. B. in den für die Berliner Fonds-Börse geltenden Bestimmungen vom 1. Mai 1876 Art. 10 bestimmt, dass bei Streitigkeiten über die Lieferbarkeit der Werthe, oder über die Auslegung und Anwendung bestehender Gewohnheiten (Usancen) die Parteien sich unter Ausschluss jedes anderen Rechtsmittels der Entscheidung einer Deputation der Sachverständigen der Börse unterwerfen müssen, bei allen anderen Streitigkeiten aber der Kläger die Wahl hat zwischen der Entscheidung dieser Deputation oder des ordentlichen Gerichts. Zeitschrift für H. R. Bd. 21 p. 272. Ferner Bd. 24 p. 540. In dem Oesterr. Börsen gesetz vom 1. April 1875 Art. 6 ist vorgeschrieben, dass das Börsenstatut bestimmen kann, dass Streitigkeiten aus Börsengeschäften durch Schiedsrichter zu entscheiden sind, wenn die Parteien nichts anderes schriftlich vereinbart haben. A. a. O. Bd. 21 p. 259. Aehnliche Vorschriften sind enthalten in den Bestimmungen für die Breslauer Productenbörse vom 18. Juni 1878 Art. 19—23 (Ztschr. Bd. 24 p. 244), für die Berliner Productenbörse vom 1. Jan. 1875 Art. 6 (a. a. O. p. 233) u. s. w. Die nähere Regulirung dieses Punktes ist den Börsenordnungen selbst zu überlassen; es kann daher sein, dass nicht alle, sondern nur gewisse Streitigkeiten der schiedsgerichtlichen Entscheidung überwiesen werden, wie beispielsweise aus den Bestimmungen der Berliner Fondsbörse hervorgeht. Auch wird in den Börsenordnungen regelmässig die Zusammensetzung des Schiedsgerichts, das dabei zu beobachtende Verfahren, die Zeit der Anbringung der Klage u. s. w. näher bestimmt.
Die schiedsrichterliche Entscheidung gewisser Streitigkeiten kann auch durch die Gesetze vorgeschrieben sein. In Frankreich war dies früher der Fall für alle Streitigkeiten in Bezug auf Handelsgesellschaften zwischen den Mitgliedern derselben; dies ist aber durch Gesetz vom 17. Juli 1856 aufgehoben worden. Bravard I. p. 478. In Deutschland ist dies der Fall z. B. in Renn-Angelegenheiten K. O. vom 5. Oct. 1846 und 27. Mai 1861, in Bergwerkssachen Gesetz vom 24. Juni 1865 Art. 115, in Nachdrucksachen Gesetz vom 11. Juni 1870 Art. 31, in Streitigkeiten zwischen Gewerbtreibenden und ihren Arbeitern Gew. Ordn. von 1869 Art. 120 a (nach dem Gesetze vom 17. Juli. 1878). Für Oesterreich s. die Anm. zu Art. 274 der A. G. O. (Ausgabe der Oesterr. Gesetze Bd. 6 p. 278). Gewisse Strei» tigkeiten, welche die Nationalbank, die Creditanstalt betreffen u. s. w.
Der Handelsgebrauch ist eine verbindliche Rechtsquelle und es kann daher auch durch den Handelsgebrauch die Verpflichtung der Parteien zur schiedsrichterlichen Entscheidung ihrer Streitigkeiten bewirkt werden. Die Vorschriften des Handelsgebrauches (Usancen) können aufgezeichnet sein und sind häufig auf Geschäfts- oder Vertragsformularen gedruckt; sie können auch von Zeit zu Zeit verändert werden. Usancen werden sowohl an den Börsen als im allgemeinen Handelsverkehr beobachtet; sie dürfen aber den Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs und allgemeinen gebietenden Rechts-principien nicht widersprechen. Vgl. z. B. die Usancen für den Berliner Getreidehandel vom 1. Mai 1875 Art. 8. Ztschr. für H. R. Bd. 21 p. 278; für den Effecten-Handel in Hamburg vom 16. Juni 1869 Art. 4. Ztschr. für H. R. Bd. 15 p. 181; die Schlussscheine der Berliner Mäkler Art. 13. Ztschr. für H. R. Bd. 16 p. 245.
Ueber die vertragsmässige oder amtliche Ueberweisung von Streitigkeiten zur schiedsrichterlichen Entscheidung wird das nähere in den folgenden Artikeln verordnet.
Art. 1121. Der Schiedsvertrag (compromis) ist die Uebereinkunft der Parteien darüber, dass sie ihren Streit schiedsrichterlich austragen wollen. Der schriftliche Abschluss dieses Vertrages ist fast überall vorgeschrieben, da die mündliche Verabredung für einen so wichtigen Gegenstand, wie der Verzicht auf die ordentliche gerichtliche Entscheidung, offenbar nicht genügen kann. Franz. Code de proced. civ. Art. 1005. Oesterr. A. G. O. Art. 270. Engl, common law procedure Act von 1854 Art. 17 (Stephen III. p. 261). In Deutschland Civ. Proz. O. von 1877 Art. 853 soll nur jede Partei die schriftliche Errichtung des Schiedsvertrags verlangen können; es scheint aber besser, die zweckmässige Form direct und allgemein vorzuschreiben, als sie in das Belieben der Parteien zu stellen. Dem schriftlichen Abschluss steht die gerichtliche Erklärung der Parteien zu Protokoll gleich; im übrigen kann der schriftliche Vertrag sowohl durch eine öffentliche, insbesondere notarielle Urkunde, als auch durch eine Privaturkunde eingegangen werden.
Der Schiedsvertrag muss auch den Streitgegenstand und die Bezeichnung der gewählten Schiedsrichter enthalten; dies ist nothwendig, weil der Schiedsvertrag die Natur eines Vergleiches hat und mithin den Gegenstand der Einigung, wie jeder andere Vertrag, genau angeben muss. Franz. Code de proc. civ. Art. 1006. Die Erfüllung dieser Vorschrift hat keine Schwierigkeit, wenn der Schiedsvertrag aus Anlass eines bereits entstandenen Streites geschlossen wird, weil dann zwischen den Parteien genau feststeht, worum sich der Streit handelt und worüber die Entscheidung den Schiedsrichtern überwiesen wird. Es kommt aber häufig vor, dass die Contrahenten sich bei der Eingehung eines Vertrages auch für zukünftige Streitigkeiten aus diesem Vertrage der schiedsrichterlichen Entscheidung unterwerfen, z. B. bei der Eingehung einer Versicherung, einer Handelsgesellschaft u. dgl. Ueber die Gültigkeit solcher Schiedsverträge über zukünftige Streitigkeiten sind die Meinungen verschieden, da der Streitgegenstand in ihnen noch nicht bezeichnet werden kann. Nach der richtigeren Meinung muss man sich für die Gültigkeit solcher Vertragsbestimmungen entscheiden, um so mehr als sie in der Praxis sehr häufig vorkommen. Fr. Code de commerce Art. 332 (in Betreff der Versicherungen). Deutsche C. Pr. O. von 1877 Art. 852. Bravard I. p. 481 ff. Sarwey Commentar zur D. Civ. Pr. O. p. 86. 356. Eine solche Vertragsbestimmung ist jedoch strenge genommen noch nicht der eigentliche Schiedsvertrag selbst, sondern nur eine ihm vorausgehende Verabredung, wodurch sich jeder Theil zum Abschluss des künftigen Schiedsvertrages im Falle eines wirklich entstandenen Streites verpflichtet. Die Gültigkeit solcher Verabredungen kann nicht bezweifelt werden, wenn nicht etwa sonst, z. B. wegen gesetzlicher Unfähigkeit der bezeichneten Schiedsrichter, ein Grund der Ungültigkeit vorliegt, beispielsweise wäre sie ungültig, wenn eine der Parteien selbst zum Schiedsrichter ernannt Wäre. Ztschr. für H. R. Bd. 15 p. 274. Ist aber die Verabredung an sich gültig, so ist sie auch für beide Parteien verpflichtend und jede kann von der anderen nöthiger Weise gerichtlich gezwungen werden, sie zu erfüllen. Würde also eine Partei sich weigern, den Schiedsvertrag im Streitfälle zu erfüllen, so müsste sich die andere an das Gericht wenden, um unter Bezeichnung des Streitgegenstandes und der vertragsmässigen Schiedsrichter die Gegenpartei zur Unterwerfung unter den Schiedsspruch zu verurtheilen. Würde die Gegenpartei trotzdem den Schiedsvertrag nicht abschliessen und ihrerseits keinen Schiedsrichter ernennen, so hätte die andere Partei eventuell das Recht der Ernennung auch des zweiten Schiedsrichters und der sodann erlassene Schiedsspruch wäre gegen jede Partei vollstreckbar.
Art. 1122. Ueber die amtliche Zuweisung zur schiedsrichterlichen Entscheidung wird bestimmt: 1) dieselbe kann nur durch den zuständigen Richter erfolgen d. h. durch denjenigen Richter, dem die Entscheidung der betreffende Rechtssache sonst zusteht; 2) nur dann wenn die Streitsache rechtshängig geworden, also nachdem die richterliche Entscheidung bereits angerufen wurde und der Beklagte seine Antwort auf die Klage abgegeben hat; 3) nur dann wenn der Streitgegenstand rein kaufmännischer oder gewerblicher Natur ist, wenn es sich also nicht um Rechtsfragen oder um gewöhnliche Thatfragen handelt (oben zu Art. 1120), oder wenn es sich um Entscheidung nach blosser Billigkeit handelt, wenn also das bestehende Recht ungewiss ist, oder wenn es ebenso zu Gunsten der einen wie der anderen Partei spricht, wenn die Entschädigungssumme nach Billig-keitserwägungen abzumessen ist u. dgl. Unter diesen Umständen kann der Richter die Streitsache von Amtswegen an den Schiedsrichter verweisen, ohne dass ein Antrag der Parteien hiezu nöthig wäre. Wird die schiedsrichterliche Entscheidung von beiden Parteien beantragt, so ist dies als ein Schiedsvertrag (Art. 1121) anzusehen und von den Bedingungen dieses Artikels unabhängig • liegt nur der Antrag einer Partei vor, so kann demselben nur stattgegeben werden, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. Die amtliche Anordnung der schiedsrichterlichen Entscheidung kann in jeder Lage des Prozesses erfolgen, so lange nicht das richterliche Urtheil selbst gefällt ist. Aehnlich bestimmt der Franz. Code de proc. civ. Art. 429. Engl, common law procedure act von 1854 Art. 3. 6. Judicature act von 1873 Art. 56—58. Stephen Commentar III. p. 556. Dem obersten Gerichtshofe sind zu diesem Zwecke ständige Beisitzer oder Referenten beigegeben, welche die Functionen der Schiedsrichter zu versehen haben. In Deutschland Civ. Proz. O. von 1877 Art. 268 kann der zuständige Richter Streitsachen nur zum Versuch der Sühne vor einen anderen Richter verweisen; da aber die Sühne nur den Abschluss eines Vergleiches zum Zweck haben kann und die schiedsrichterliche Entscheidung im allgemeinen in die Categorie des Vergleiches fallt, so erscheint es consequenter, wenn dem Gericht auch die Anordnung der schiedsrichterlichen Entscheidung anheimgegeben wird.
Der Richter kann auch den oder die Schiedsrichter selbst ernennen, wenn sich nicht die Parteien vor ihm darüber einigen, er muss aber dabei auf die Wünsche und Erklärungen beider Parteien gerechte und gleichmässige Rücksicht nehmen und darf keine parteiischen oder sonst unfähigen Schiedsrichter wählen.
Art. 1123. Wenn die schiedsrichterliche Entscheidung durch Gesetze oder Usancen vorgeschrieben ist, dann sind gewöhnlich die Personen im voraus bezeichnet, welche die schiedsrichterliche Function auszuüben haben, z. B. Mitglieder des Börsenvorstandes oder sachverständige Deputationen der Börse u. dgl. Auch durch Vertrag können die Schiedsrichter im voraüs bestimmt werden. Ist dies nun nicht der Fall, so scheint es das natürlichste und einfachste zu sein, dass jede Partei eine Person ihres Vertrauens ernennt (D. C. Pr. O. Art. 854), und wenn eine Partei von ihrem Rechte der Ernennung nicht rechtzeitig Gebrauch macht, dass dieses Recht auf die andere Partei übergeht. So wird es auch häufig in der Praxis gehalten, z. B. in Berlin nach den dort geltenden Mäkler-Usancen, Art. 13. Ztschrft. f. H. R. Bd. 16 p. 246. In manchen Gesetzen ist für diesen Fall die Ernennung durch den ordentlichen Richter vorgeschrieben. Fr. Code de comm. Art. 55. D. C. Pr. O. von 1877 Art. 855. Dies scheint aber aus mehreren Gründen nicht empfehlenswerth, einmal weil dann den Parteien die Anrufung des Gerichts und die Darlegung ihres Streites vor demselben nicht erspart wird, und sodann weil das Gericht ohne nähere Untersuchung der Sache meist nicht im Stande sein wird, geeignete Vertrauenspersonen zu ernennen; auch sollte die hiedurch nothwendig herbeigeführte Verzögerung der Sache vermieden werden.
Die Vorschrift der Ernennung eines Obmanns bezieht sich zunächst auf den Fall, dass nur zwei Schiedsrichter ernannt sind und diese sich nicht einigen können; hier muss nothwendiger Weise ein dritter gewählt werden, dessen Stimme dann den Ausschlag gibt. Fr. Code de proc. civ. Art. 1017. Code de comm. Art. 60. Nach den erwähnten Berliner Usancen Art. 13 sollen die zwei gewählten Schiedsrichter sofort einen Obmann ernennen und das so gebildete Schiedsgericht entscheidet dann durch Stimmenmehrheit. Zur Gültigkeit des Schiedsspruches ist nach der D. C. Pr. O. Art. 864 die absolute Stimmenmehrheit erforderlich. Die Theilung der Stimmen, von welcher der Entwurf spricht, kann man, wenn mehr als 2 Schiedsrichter vorhanden sind, sowohl auf den Fall der gänzlichen Zersplitterung der Meinungen ohne irgend eine Majorität, als auch auf den Fall der blossen Majorität ohne Stimmefieinhelligkeit beziehen, Im allgemeinen kommt es hier auf statutarische Bestimmungen oder den Schiedsvertrag an ; es kann dadurch entweder Stimmeneinheit oder eine bestimmte Majorität zur Gültigkeit des Schiedsspruches vorgeschrieben sein. Liegt eine solche Vorschrift nicht vor, so muss die allgemeine Regel Anwendung finden, wornach die Majorität bei Abstimmungen der Stimmengleichheit gleichzusetzen ist; die Getheiltheit der Stimmen ist also der Regel nach in dem Sinne des Fehlens einer Majorität, und zwar über die Hälfte der Stimmen, zu verstehen.
Freiwillig gewählte Schiedsrichter sind nach den Grundsätzen des Mandats zur Entschädigung für ihre Kosten und Auslagen und zu einer angemessenen Entschädigung für ihre Mühewaltung berechtigt.
Art. 1124. Der Schiedsspruch ist für die Parteien verpflichtend ebenso wie ein Vergleich, zu dem sie sich geeinigt haben ; es kann keinen Unterschied begründen, ob die Einigung unmittelbar durch sie selbst oder mittelbar durch eine von ihnen hiezu beauftragte Person zu Stande kam. Daher erscheint die Zulässigkeit der Berufung gegen Schiedssprüche ihrer Natur nach von selbst ausgeschlossen und dies ist auch in der Praxis die Regel und wird meist in Statuten u. s. f. als unbedingte Vorschrift ausgesprochen. D. C. Pr. O. Art. 851. 866. Berliner Mäkler-Usancen Art. 13. Die Bestimmung des früheren Preuss. Rechts A. G. O. I. 2. § 173 und des Französ, Rechts, c. pr. civ. Art. 1010, wornach die Parteien auf die Berufung nur verzichten können, also ohne solchen Verzicht zur Berufung an die Obergerichte berechtigt sind, erscheint daher nicht angemessen. Entsch. d. Preuss. O. H. G. Bd. 9 p. 175 ff. Auch nach der Oesterr. G. O. Art. 273. 274 ist die dort zulässige Beschwerdeführung gegen Schiedssprüche nur von der Anfechtung ihrer Gültigkeit, nicht von der Berufung an die höheren Gerichte zu verstehen. Oesterr. Börsengesetz vom 1. April 1875 Art. 16. Ztstr. f. H. R. Bd. 21 p. 256. Zwischen der Berufung und der Anfechtung wegen Ungültigkeit besteht der Unterschied, dass durch erstere nur die Abänderung des Urtheils wegen irgend welcher Unrichtigkeit der Gesetzesanwendung verlangt wird, durch letztere dagegen die völlige Aufhebung des Urtheils wegen specieller Ungültigkeitsgründe; die letztere ist daher mit der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage verwandt. Die Anfechtung der Gültigkeit der Schiedssprüche ist in allen Gesetzen zugelassen. Fr. c. proc. civ. Art. 1028. D. C. Pr. O. Art. 867. Oesterreich A. G. O. Art. 274. Börsengesetz von 1875 Art. 6. In England können Schiedssprüche stets angefochten werden, wenn sie parteiisch oder sonst ungesetzlich zu Stande gekommen sind.
Im Deutschen und Französ. Prozessgesetz sind die Gründe der Anfechtung speciell hervorgehoben. Dementsprechend hat man auch im Entwurf, aber ohne die einzelnen Gründe überall näher zu specificiren, drei allgemeine Arten derselben unterschieden:
1) Formverletzungen, nämlich Ueberschreitung der zulässigen Frist und Mangel der schriftlichen Zufertigung. Letzteres rechtfertigt sich durch die Analogie aller wichtigeren Verträge, ersteres durch die Erwägung, dass Schiedsurtheile eine einfache und sofortige Untersuchung des Sachverhältnisses voraussetzen und Streitfragen, welche so schwierig und verwickelt sind, dass sie nicht binnen 3 Monaten erledigt werden können, überhaupt zur schiedsrichterlichen Entscheidung nicht geeignet sind. Diese Fristbestimmung findet sich auch im Franz. code pr. civ. Art. 1007, jedoch mit der Abweichung, dass die Parteien eine andere Frist vereinbaren können.
2) Wenn der Inhalt des Urtheils gegen klares Recht oder 25 gegen die öffentliche Ordnung verstösst, also wenn das Urtheil offenbar ungerecht, ungesetzlich oder widersinnig ist, wenn es unmoralisch ist oder unmögliches vorschreibt; hieher würde namentlich auch gehören, wenn die Parteien, oder eine derselben, gar nicht gehört wurden, wenn das Urtheil ohne jede Untersuchung der Sache erlassen wurde u. dgl.
3) Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die Fällung des Schiedsspruches, z. B. in Betreff der Ernennung, der Fähigkeit der Schiedsrichter (Art. 1126) u. s. w. Es kommen hier zunächst die in diesem Gesetzbuche Art. 1120—1126 unmittelbar enthaltenen Vorschriften in Betracht, aber auch andere Vorschriften, die von selbst hieher bezogen werden müssen, z. B. im Fall der Bestechung eines Schiedsrichters oder Zeugen, der Fälschung von Urkunden u. dgl.
Ueber das Verfahren vor dem Schiedsgericht werden keine besonderen Vorschriften gegeben, da die gewöhnlichen richterlichen Prozessregeln hier nicht genau angewendet werden können; es versteht sich aber von selbst, dass sich die Schiedsrichter von den Umständen des Streitverhältnisses sorgfältig unterrichten müssen, durch Anhörung beider Parteien, durch Vernehmung anderer Personen, durch Augenschein u. s. w. Auch über die ausdrückliche Motivirung des Schiedsspruches wird keine Vorschrift gemacht, da die Meinung der Schiedsrichter aus dem Inhalt desselben von selbst hervorgeht und sie dieselbe in ihrer Stellung als Vertrauenspersonen nicht besonders zu rechtfertigen haben. Anders im Fr. Code de comm. Art. 61. D. C. Pr. O. Art. 867 Ziffer 5.
Art. 1125. Die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruches folgt von selbst aus seiner Eigenschaft als einer Art Vergleich zwischen den Parteien mit Verzicht auf richterliches Urtheil. Natürlich muss der Schiedsspruch in gesetzlicher Form, also in seiner schriftlichen Ausfertigung, dem Gericht vorgelegt und bei diesem die Vollstreckung beantragt werden. Die Schiedsrichter können ihre Entscheidung nicht selbst vollstrecken, da sie keine Executivgewalt, sondern nur die Befugniss der Entscheidung besitzen. Fr. Code de proc. civ. Art. 1020. Code comm. Art. 61. D. C. Pr. O. Art. 866. Die Rechtskraft des Schiedsspruches beschränkt sich auf die Parteien, nach dem bekannten Grundsatze: res judicata jus facit inter partes.
Die Anfechtung des Schiedsspruches, nicht zu verwechseln mit der Berufung an ein höheres Gericht, muss in allen Fällen zustehen und es kann darauf nicht verzichtet werden, da die Aufhebung oder Unwirksamkeit ungültiger Urtheile im Interesse der öffentlichen Ordnung liegt. Diese Anfechtung ist mittelst Klage bei dem zuständigen Richter zu bewirken, es kann aber die Execution des Schiedsspruches dadurch nicht aufgehalten werden, damit nicht die Wirkung schiedsrichterlicher Urtheile durch neue Klagen ins Ungewisse verzögert werden kann. D. C. Pr. O. Art. 869. 870. Oesterr. Börsengesetz von 1875 Art. 6. Wird die Execution vollstreckt, das Schiedsurtheil aber später aufgehoben, so muss dem obsiegenden Theile natürlich Restitution gewährt werden.
Art. 1126. Das Schiedsamt ist eine Art Richteramt und daher ein öffentliches Amt, welches nur von solchen Personen versehen werden kann, die im vollen Besitz der bürgerlichen Ehre sind. Daher geht die Fähigkeit hiezu durch den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verloren, in Folge crimineller Verurtheilung oder Bankerott. Ebenso kann keine Person Schiedsrichter in einer Sache sein, an deren Entscheidung sie selbst direct oder indirect, z. B. durch die Ehefrau oder andere nahe Angehörige ein Interesse hat. D. C. Pr. O. Art. 41. So wäre es auch ungültig, wenn in den Versicherungsbedingungen einer Actiengesellschaft die Bestimmung enthalten wäre, dass etwaige Streitigkeiten mit den Versicherten von der Direction und sodann von der Generalversammlung entschieden werden sollen. Ztsch. f. H. R. Bd. 15 p. 274. D. C. Pr. O. Art. 858.
II. Titel. Vollstreckung.
Art. 1127. In diesem Titel werden zum Schlusse einige wesentliche Bestimmungen zusammengestellt, welche die Execution und überhaupt die zwangsweise Befriedigung der Gläubiger in Handelssachen betreffen. Diese Bestimmungen gelten zwar im allgemeinen auch für die nicht commercielle Rechtspflege; es schien aber angemessen, sie an diesem Orte in die Japanische Gesetzgebung einzuführen, um so mehr als sich dadurch Gelegenheit bietet, sie für die Bedürfnisse des Handelsverkehrs geeignet zu fixiren.
Die Frist für die Einlegung der Berufung gegen Urtheile in Handelssachen wird nach dem allgemeinen Princip, dass in der commerciellen Rechtspflege zum Zweck einer raschen Erledigung der Streitigkeiten kurze Fristen beobachtet werden sollen (Art. 1119), auf 10 Tage festgesetzt. In Frankreich beträgt sie nach dem Code de proc. civ. Art. 443 und nach dem Code de comm. Art. 645 drei, nach dem Gesetze vom 3. Mai 1862 zwei Monate; in Deutschland C. Pr. O. von 1877 einen Monat. Diese Fristen sollen dem unterliegenden Theil Zeit zur Ueberlegung geben, ob er die Sache einer wiederholten gerichtlichen Entscheidung unterwerfen will; nach dem Code de comm. Art. 646 soll übrigens die Berufung nicht gestattet sein, wenn der Werth des Streitgegenstandes nicht in der Hauptsache mehr als 1000 Fr. beträgt. Eine solche Limitation der Berufungssumme ist in der neuesten Deutschen Gesetzgebung nicht mehr enthalten und der Entwurf folgt ihr hierin. Ist nun nach der einen Seite die Berufung in allen Sachen ohne Rücksicht auf den Werth des Streitgegenstandes gestattet, so scheint um so mehr eine Verkürzung der Berufungsfrist geboten, damit nicht durch Missbrauch des Berufungsrechtes, auch hinsichtlich der Zeit, die endgültige Erledigung der Streitsachen verzögert werden kann.
Art. 1128. Die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urtheilen, bevor sie rechtskräftig geworden sind, ist eigentlich eine Anomalie, da nur durch den Eintritt der Rechtskraft die Urtheile unanfechtbar werden und den Rechtszustand zwischen den Parteien definitiv bestimmen können. Sie ist jedoch auch in den übrigen Gesetzgebungen zugelassen, z. B. im Franz. Code de proc. civ. Art. 135. 439. D. C. Pr. O. Art. 648—650. Nach der Französ. Gesetzgebung sind in Handelssachen alle Urtheile vorläufig vollstreckbar, und zwar ohne vorherige Sicherheitsleistung, wenn das Urtheil auf Grund einer anerkannten Urkunde oder eines ohne Berufung gebliebenen früheren Urtheils erlassen wurde; in allen anderen Fällen muss jedoch der Gläubiger Sicherheit leisten oder sich über genügende Zahlungsfähigkeit ausweisen; in gewöhnlichen Civilsachen kann aber die vorläufige Vollstreckung, mit oder ohne Caution, auch unter anderen Voraussetzungen gewährt werden, z. B. wenn es sich um dringende Reparaturen, um die Anlegung oder Aufhebung von gerichtlichen Siegeln u. s. w. handelt. In der Deutschen Gesetzgebung wird unterschieden zwischen verschiedenen Fällen, in welchen die vorläufige Vollstreckung entweder von Amtswegen, oder auf den Antrag des Gläubigers erklärt wird, und zwar letzteres wieder ohne weiteres oder nur auf den Nachweis hin, dass die Aussetzung der Vollstreckung den Gläubiger schwer benachtheiligen würde. Diese ziemlich verwickelten und gekünstelten Systeme nachzuahmen, schien nicht zweckmässig. Die vorläufige Vollstreckung von Urtheilen soll von dem obsiegenden Gläubiger Schaden abwenden, den ihm die längere Verzögerung der Vollstreckung verursachen würde. Die Berufung gegen ein noch nicht rechtskräftiges Urtheil ist zwar ein Recht der streitenden Parteien, und wer nur sein Recht ausübt, kann für den anderen dadurch entstehenden Schaden nicht verantwortlich gemacht werden. Andererseits hat aber derjenige, welcher ein Urtheil zu seinen Gunsten erlangt hat, die Vermuthung des Rechts für sich, und die Erfahrung lehrt, dass in vielen Fällen das Recht der Berufung gemissbraucht wird, um die Execution hinauszuschieben und die Chancen einer neuen Entscheidung gegen bessere Ueberzeugung oder aus blosser Streitsucht zu wagen. Wenn durch eine solche Verzögerung der Gegner einen erheblichen Nachtheil erleiden würde, ist es billig, diesen Nachtheil von ihm abzuwenden dadurch, dass ihm die vorläufige Vollstreckung gestattet wird ; z. B. wenn der Schuldner der Zahlungseinstellung nahe ist, oder wenn der Streitgegenstand durch längeres Zuwarten verdorben oder entwerthet würde, wenn sonst eine eilige Erledigung der Sache wünschenswerth ist, wie bei Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirthen, Schiffern, Fuhrleuten u. a. Personen, zwischen Herrschaften und Bediensteten u. dgl. m. Der Entwurf folgt hiebei, ohne sich auf die künstliche Unterscheidung verschiedener Einzelfälle einzulassen, dem in Art. 650 der D. C. Pr. O. ausgedrückten allgemeinen Princip, und zwar auch in dem Punkt, dass der Gläubiger keine Sicherheit zu leisten hat dafür nämlich, dass die vorläufige Vollstreckung im Falle späterer Aufhebung des Urtheils wieder rückgängig gemacht werde; denn wenn die Vermuthung des Rechts für den Gläubiger spricht und die Billigkeit verlangt, ihn vor Schaden zu behüten, so ist damit die vorläufige Vollstreckung genügend gerechtfertigt und man kann sie dem Gläubiger nicht wohl durch die Auflage der Cautionsleistung erschweren. Andererseits geht die Deutsche Gesetzgebung darin zu weit, dass die vorläufige Vollstreckung in allen Fällen stattfinden soll, wenn nur der Gläubiger Sicherheit leistet. Diese Bestimmung findet sich, wie oben bemerkt, für Handelssachen theilweise auch in der Französischen Gesetzgebung. Indessen kann der Gläubiger kein reelles Interesse an der vorläufigen Vollstreckung haben, wenn ihm deren Aufschub keinen Nachtheil bringt; es scheint daher kein genügender Grund gegeben, ihm ohne ein solches Interesse die vorläufige Vollstreckung gegen Caution zu gewähren. Uebrigens ist, wie in den Motiven zur Deutschen C. Pr. O. bemerkt ist, in Handelssachen das Bedürfniss rascher Vollstreckung an sich zu vermuthen und es kann das Ausbleiben der rechtzeitigen Erfüllung von Handelsschulden allein schon meist als ein erheblicher Nachtheil betrachtet werden.
Die Bestimmung, dass der Schuldner die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder gerichtliche Hinterlegung abwenden kann, ist auch in der D. C. Pr. O. Art. 652 enthalten; sie rechtfertigt sich dadurch, dass durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung der Gläubiger vor künftigem Schaden gesichert und daher kein Interesse mehr haben kann, die vorläufige Vollstreckung zu verlangen. Die Vorschrift des Art. 651 der D. C. Pr. O., dass die vorläufige Vollstreckung auch dann unterbleiben soll, wenn sie dem Schuldner einen unersetzbaren Nachtheil bringen würde, erscheint unpractisch und wurde desshalb nicht aufgenommen.
Art. 1129. Ueber die Vollstreckbarkeit ausländischer Gerichte herrschen nicht überall dieselben Grundsätze. Soviel steht überall fest, dass fremde Gerichte nicht selbst Jurisdictionsacte in einem anderen Lande ausüben, dass mithin die Urtheile fremder Gerichte nur durch die Gerichte des Landes, in welchem ihre Vollstreckung nachgesucht wird, vollstreckt werden können; aber die Voraussetzungen, unter welchen diese Vollstreckung stattfindet, sind nicht überall dieselben. In Frankreich, Code de proc. civ. Art. 546 und Code civil Art. 2123. 2128, wird den ausländischen Urtheilen die Vollstreckbarkeit verweigert und es kann vor den Französischen Gerichten der Streit noch einmal erhoben und jede Art von Vertheidi-gung dagegen vorgebracht werden, ausländische Urtheile haben also in Frankreich nicht die Kraft rechtlicher Entscheidung (res judicata.) Diese Praxis besteht, obwohl sie in der Jurisprudenz bestritten ist und mit den Gesetzen als nicht vereinbar angesehen wird. Foelix droit internat. prive II. § 347 ff. In Deutschland, C. Pr. O. Art. 661, wird die Vollstreckbarkeit fremder Urtheile, abgesehen von einigen speciellen Bedingungen, von dem Eintritt der Rechtskraft, von der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts und von der Gegenseitigkeit abhängig gemacht. In England und den Vereinigten Staaten sind fremde Urtheile auch ohne Gegenseitigkeit vollstreckbar, wenn gewisse allgemeine Vorbedingungen erfüllt sind, wie Zuständigkeit, ordentliches Gehör beider Parteien, Rechtskraft. Phillimore, internat. law IV. chapt. 46. Der Entwurf hat sich in soferne dem letzteren System angeschlossen, als weder Gegenseitigkeit zur Bedingung gemacht, noch eine nochmalige Verhandlung über den Gegenstand des Urtheils vor den inländischen Gerichten zugelassen wird, und im übrigen die Bedin gungen der Vollstreckbarkeit möglichst vereinfacht werden. Dies ist der in der neueren Literatur und Gesetzgebung vorherrschende Standpunkt. Heffter, Völkerrecht § 39. Zeitschr. f. H. R. Bd. 25 p. 578 ff.
Die Bedingungen der Vollstreckbarkeit werden dahin zusammengefasst, dass die Vollstreckung mit der öffentlichen Ordnung des Landes nicht im Widerspruch stehen darf. Dies bezieht sich sowohl auf den Inhalt oder die Motive des Urtheils, als auch auf die Art, wie es zu Stande gekommen ist. Zur öffentlichen Ordnung gehören vor allem die Souverainetätsrechte des Staates, die Rechte und Pflichten gegenüber anderen Staaten nach Verträgen und nach den anerkannten Principien des Völkerrechts, die innere Verfassung, die Geltung der inländischen Gesetze, die Beobachtung der wesentlichen Grundsätze der Justiz, die öffentliche Moral, die Beobachtung der Staatsinteressen durch die Behörden und Gerichte des Staates. Es folgt mithin, dass Urtheile, die von unzuständigen Gerichten erlassen wurden, nicht vollstreckt werden können; ebenso solche, welche noch nicht rechtskräftig geworden sind, obgleich dadurch die vorläufige Vollstreckung in Fällen, wo dieselbe zulässig ist, nicht ausgeschlossen werden soll. Auch solche Urtheile, die nicht aus einem ordnungsmässig durchgeführten Verfahren hervorgehen, insbesondere wenn etwas der Beklagte keine Gelegenheit zu ordentlicher Vertheidigung erhielt, oder seine Vertheidigungsmittel nicht beachtet wurden, sind nicht vollstreckbar. Ebensowenig solche, welche unter Missachtung geltender Landesgesetze erlassen wurden. So wurde z. B. ferner von Deutschen Gerichten die Vollstreckung Französischer Urtheile verweigert, in welchen die Gültigkeit von Souverainetätsacten, welche von Deutscher Seite kraft des Kriegsrechts in den occupirten Französischen Gebiets-theilen vorgenommen waren, nicht anerkannt wurde.
Die Prüfung der Vollstreckbarkeit erstreckt sich mithin nur auf diejenigen Punkte, welche von der öffentlichen Ordnung des Landes gefordert werden, nicht auch auf den materiellen Inhalt des Urtheils in anderer Beziehung. Es wird also vor Japanischen Gerichten eine nochmalige Verhandlung der Sache nicht zugelassen, und es kann nicht etwa eine Art Berufung an dieselben ergriffen werden. Insoweit muss das fremde Urtheil als abgeurtheilte Sache gelten, denn jeder Staat muss die Justiz anderer Staaten an sich achten und anerkennen, gleichviel ob es sich um Japanische oder fremde Unterthanen handelt; das Gegentheil hiesse die Souverainetätsrechte anderer Staaten negiren. Die Vollstreckung hat nur dann zu unterbleiben, wenn die Rechte und Gesetze des eigenen Staates da durch verletzt würden. Soweit durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt wurde, müssen diese natürlich beobachtet werden.
Verträge kommen hier hauptsächlich insoferne in Betracht, als sie etwa gerichtlich zu Stande gekommen sind und sich als Acte der freiwilligen Gerichtsbarkeit eines anderen Staates darstellen. Code civil Art. 2128. Andere Privatverträge können nur zum Gegenstand eines Prozesses vor den Japanischen Gerichten gemacht werden, ihre Gültigkeit nach dem in Betracht kommenden fremden Rechte ist nicht zu beanstanden, soferne sie der öffentlichen Ordnung des Landes nicht widersprechen.
Art. 1130. Der Arrest unterscheidet sich von der vorläufigen Vollstreckung dadurch, dass er kein gerichtliches Urtheil und überhaupt kein vorgängiges gerichtliches Verfahren voraussetzt; er kann zu jeder Zeit verordnet werden, wenn der Schuldner Handlungen vornimmt oder sich in Umständen befindet, durch welche die Befriedigung des Gläubigers wegen einer ihm zustehenden Forderung gefährdet wird, selbst wenn die Forderung zur Zeit noch nicht fällig sein sollte. D. C. Pr. O. Art. 796. Es ist nicht nothwendig, dass der Schuldner die Absicht habe, den Gläubiger zu benachtheiligen, wenn nur diese Folge aus seinen Handlungen oder aus den Umständen sich ergibt. Wenn z. B. ein Schuldner durchgehen will, so wird gewöhnlich seine Absicht die sein, seine Gläubiger zu betrügen; aber der Arrest ist auch zulässig, wenn der Schuldner etwa nur auswandern will, in der Absicht seine Gläubiger später zu befriedigen, oder wenn er zwar im Inlande bleibt, aber daselbst seine Gläubiger nicht befriedigt, so dass diese gezwungen wären, die Execution in sein ausländisches Vermögen nachzusuchen. Im letzteren Falle wird der persönliche Arrest nach der D. C. Pr. O. Art. 798 (Sarwey II. p. 293) nicht gestattet. Der Entwurf macht in dieser Beziehung zwischen dem dinglichen und persönlichen Arrest keinen Unterschied, wie ein solcher auch in dem Reichsgesetz vom 29. Mai 1868 Art. 2 und in dem Entwurf der C. Pr. O. nicht gemacht wurde. Sarwey a. a. O. p. 292. Der Personalarrest soll den Schuldner zur Herbeischaffung seiner im Ausland befindlichen Deckungsmittel nöthigen. Wer sein Vermögen im Auslande hält, um sich allenfalls der Execution zu Gunsten seiner Gläubiger im Inlande zu erwehren, der handelt nahezu dolos, und seine Gläubiger müssen befugt sein, sich an seine Person zu halten, da man ihnen nicht zumuthen kann, den unsicheren, zeitraubenden und kostspieligen Weg der Execution im Auslande zu beschreiten.
Wer den Arrest beantragt, muss natürlich sowohl seine Forderung als auch den Arrestgrund nachweisen, soferne die Thatsachen nicht offenkundig sind; allein es wird hier mit dem Beweise nicht so strenge genommen, da es sich um Eile handelt und der Beweis nur ein vorläufiger ist, es genügt also, wenn die betreffenden Thatsachen wahrscheinlich gemacht werden und kein offenbares rechtliches Hinderniss im Wege steht. D. C. Pr. O. Art. 800. Bringt der Schuldner Einwendungen vor, so findet darüber ein kurzes Verfahren statt; der Arrest kann jedoch ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden. Zum Erlass des Arrestes ist jedes Gericht competent, in dessen Bezirk die Person oder das Vermögen des Schuldners sich befinden. D. C. Pr. O. Art. 804. 799. Auch das Gericht der Hauptsache ist dazu competent, indem der Arrest einen Incidenzpunkt des Hauptverfahrens bildet.
Der Vermögensarrest wird bewirkt durch Beschlagnahme von Vermögensgegenständen des Schuldners, der Personalarrest durch Festnahme und Inhaftnahme seiner Person; unter Umständen kann statt der persönlichen Festnahme auch die Beschlagnahme seiner Legitimationspapiere, Reiseeffecten etc. genügen (Sarwey II. p. 295 Note 4), indem der Schuldner dadurch factisch gehindert wird, sich vom Orte zu entfernen.
Art. 1131. Der Zweck des Arrestes ist erreicht, wenn der Gläubiger befriedigt oder wenn durch Caution, Bürgschaft, Hinterlegung seine Befriedigung sonst gesichert ist. Da der Arrest ein Zwangsmittel sein soll, um den Schuldner zur Befriedigung oder Sicherstellung des Gläubigers zu nöthigen, so kann er nicht eher aufhören, als bis dieser Zweck erreicht ist. D. C. Pr. O. Art. 807. 813. Nur hinsichtlich des persönlichen Arrestes wird verfügt, dass er nicht über ein Jahr hinaus dauern darf. In der D. C. Pr. O. Art. 794 ist die Minimaldauer auf 6 Monate bestimmt; indessen dürfte dies zu wenig sein, um den Widerstand halsstarriger und betrügerischer Schuldner zu brechen, zumal sie während der Haft von dem Gläubiger unterhalten werden müssen. Wenn übrigens ein Schuldner gar nichts besitzt, dann könnte auch durch den Arrest nichts von ihm erlangt werden, dieser wäre daher von vorneherein zwecklos. Ein Schuldner, der seine gänzliche Mittellosigkeit nachweist, ist daher gleichfalls aus der Haft zu entlassen; sonst würde der Personalarrest die Natur einer Strafe annehmen, was den modernen Grundsätzen über die Aufhebung der Schuldhaft widersprechen würde. Vgl. über die geltenden gesetzlichen Bestimmungen über die Schuldhaft die Zeitschr. f. II. R. Bd. 15 p. 110 ff.
Den vorliegenden Artikeln über den Sicherheitsarrest sind vorzüglich die Vorschriften der D. C. Pr. O. Art. 796—813 zu Grunde gelegt. In Frankreich ist die Schuldhaft durch Gesetz vom 27. Juli 1867 mit Ausnahme der aus strafbaren Handlungen entspringenden Ansprüche aufgehoben und dieses Gesetz wird auch auf den Personal arrest zur blossen Sicherung angewendet. In England war der Personal arrest wegen Schulden früher sehr ausgedehnt im Gebrauch, nach dem Gesetz vom 9. Aug. 1869 kann er nur noch gegen Personen, welche den englischen Boden zu verlassen im Begriff stehen, wegen einer mindestens 50 Pfd. St. betragenden Schuld verhängt werden, und nur auf höchstens 6 Monate. Die gewöhnliche Schuldhaft in den Fällen, wo sie nach dem erwähnten Gesetze noch zulässig ist, dauert bis zu 1 Jahr, in anderen Fällen bis zu 6 Wochen.
Art. 1132. Diese Bestimmung soll den Gläubiger verhindern, den Arrest gegen den Schuldner willkürlich auszudehnen; natürlich fällt sie weg, wenn der Schuldner in Folge des Arrestes freiwillig zahlt. D. C. Pr. O. Art. 806.
Art. 1133. Der Arrest ist keine Strafe, sondern nur ein civiles Zwangsmittel, dessen Kosten der Gläubiger tragen muss; er kann aber, wie für alle übrigen Prozesskosten, dafür von dem Schuldner Ersatz fordern. Werden die Kosten vom Gläubiger nicht vorgeschossen, so kann die Aufhebung des Arrestes erfolgen. D. C. Pr. O. Art. 816. Sarwey II. p. 313. Holl. H. G. B. Art. 592.