Art. 326. Nachdem in Art. 318 gesagt ist, dass Verträge auch stillschweigend geschlossen werden können, geht der Entwurf nunmehr zur näheren Feststellung der stillschweigenden Verträge über.
Es muss hier zuerst vorausgeschickt werden, dass im Rechte Stillschweigen nicht den Gegensatz zu hörbarem Sprechen, sondern zur directen Erklärung überhaupt bildet. Man kann daher auch seine Zustimmung, ausser durch mündliches Sprechen, direct auch durch Geberden, durch Zunicken, durch Schreiben u. dgl. ausdrücken; in allen diesen Fällen würde nicht ein stillschweigender, sondern ein ausdrücklicher Vertrag anzunehmen sein.
Ein stillschweigender Vertrag ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn Jemand zwar nichts erklärt, aber doch so handelt, dass seine Zustimmung zum Vertrage vernünftiger Weise angenommen werden muss.
Eine solche Handlung ist zunächst das Nicht-Antworten auf ein Vertrags-Anerbieten. Dies ist zwar nur eine Unterlassung, eine blosse negative Handlung, aber im Rechte wird jede Unterlassung, soferne sie rechtlich ins Gewicht fallt, als eine Handlung angesehen. Negative und positive Handlungen stehen in der Regel juristisch einander gleich. Wann Nicht-Antworten als Zustimmung anzusehen sei, wird im folgenden Artikel bestimmt.
Es gehört hieher aber auch jede andere Handlung oder Unterlassung, von welcher man vernünftiger Weise nur annehmen kann, dass sie in der ernstlichen Absicht geschehen sei ein obligatorisches Verhältniss, also ein Gläubiger- oder Schuldverhältniss zu erzeugen. Dies ist nicht auf unerlaubte Handlungen, Delicte zu beziehen, da deren Rechtsfolgen keine freiwilligen sind, sondern unter den Gesichtspunkt der Strafe fallen. Es bezieht sich vielmehr nur auf erlaubte Handlungen, deren Folgen man freiwillig auf sich nimmt und vernünftiger Weise selbst will. Diese Folgen sind im Rechte äusserst manichfaltig, ebenso wie die Handlungen selbst, sie betreffen aber meist eine Gegenleistung, eine Entschädigung, eine Zurückerstattung, eine Verantwortlichkeit für eigenes Thun u dgl., und beruhen im allgemeinen auf dem Grundsatz, dass sich Niemand rechtswidrig zum Schaden eines Anderen bereichern und dass Niemand einen Anderen rechtswidrig benachtheiligen darf.
Daher ist die Annahme einer Leistung eine Handlung, welche vernünftiger Weise zur Zurückerstattung oder zu einer Gegenleistung verpflichten muss, da man, namentlich im Handel, die Absicht etwas rein zu verschenken nicht vermuthen kann.
Im Handel ist das Capital zur Erzeugung von Profit bestimmt, daher derjenige, der das Capital eines Anderen annimmt oder in Händen behält, regelmässig auch ohne Verabredung, Zinsen dafür zu entrichten hat.
Im wirthschaftlichen Verkehr geschieht regelmässig nichts umsonst, daher jeder, der Kosten, Auslagen, Arbeiten im Interesse eines Anderen aufwendet, dafür Ersatz und Verzinsen zu beanspruchen hat.
Wer für Andere thätig ist, muss darauf diejenige Sorgfalt verwenden, die überhaupt ein Kaufmann anzuwenden pflegt, da der Handelsverkehr nothwendig auf gegenseitigem Vertrauen und persönlichem Zusammenwirken beruht.
Ueberhaupt muss Jeder die Folgen seiner Handlungen strenge vertreten und ebenso die Folgen der Handlungen Anderer, die er an seine Stelle gesetzt hat; daher Jeder durch die Handlungen von Stellvertretern unmittelbar berechtigt und verpflichtet wird.
Die stillschweigende Vertragsschliessung durch sog. concludente Handlungen, d. h. solche, von denen man nothwendig auf die Absicht eines vertragsmässigen Willens schliessen muss, ist äusserst vielgestaltig und verzweigt sich durch alle Gebiete des Verkehrslebens, wesshalb sie bei unzähligen Einzelfragen zu Grunde gelegt werden muss. Ein allgemeines daraus abzuleitendes Princip ist auch, dass der Handelsgebrauch oder das, was gewöhnlich geschieht, sei es von allen oder von einer besonderen Person, oder in einem besonderen Handelszweig, als stillschweigender Vertragsinhalt präsumirt werden muss, da man schliessen darf, dass die Parteien, wie immer, so auch in dem betreffenden einzelnen Fall, an nichts anderes gedacht haben können, widrigenfalls sie es ausdrücklich erklärt haben müssten.
Eine stillschweigende Verpflichtung von allgemeiner Bedeutung ist auch die, dass man schuldig ist, ein Geschäft das man für andere angefangen hat, auch ordentlich zu vollenden, da man mit den Interessen Anderer nicht willkürlich umspringen darf, ebenso dass man zurückgeben muss, was man von einem Anderen unrechtmässiger Weise im Irrthum erhalten hat.
Diese Materie ist im französ. Code civ. unter dem Titel der Quasi-Contracte, jedoch nur unvollständig behandelt; in dem englischen Recht unter dem Titel: implied contracts. Manche dehnen das Gebiet der implied contracts sogar auf Delictsschulden aus, was aber entschieden zu missbilligen ist.