Art. 1. Es erscheint zweckmässig, an den Eingang des Gesetzbuches eine allgemeine Erklärung über Handelsrechtsnormen überhaupt und deren respective Anwendbarkeit zu stellen.
Nach Art. 1. sollen in allen Handelssachen, gerichtlich wie ausser gerichtlich, und in der hiedurch gegebenen Reihenfolge zur Anwendung kommen: 1, die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches; 2, Handelsgebräuche; 3, die Vorschriften des allgemeinen Civilgesetzbuches.
In erster Linie stehen somit die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches, was aus dem Zweck eines solchen Gesetzbuches von selbst folgt und der überall bestehenden Rechtsanschauung. Soweit also eine Bestimmung des Handelsgesetzbuches und zwar ausdrücklich oder durch Schlussfolgerung, vorhanden ist, muss diese in Handelssachen mit Ausschluss aller übrigen denkbaren Normen angewendet werden. Daraus folgt von selbst, dass durch das Handelsgesetzbuch alle anderen Rechtssätze und Rechtsregeln, welche damit in Widerspruch stehen, gleichviel ob sie in Gesetzen oder in Rechtsgewohnheiten u. dgl. vorkommen, im ganzen Bereiche der Handelssachen aufgehoben sind und ihre Anwendbarkeit verloren haben.
In zweiter Linie, nach dem Handelsgesetzbuch sollen, je nach der Natur des Falles, die Handelsgebräuche und die Vorschriften des Civilgesetzbuches zur Anwendung kommen. Man kann nicht sagen, dass das Civilrecht. durchweg und in allen Fällen den Handelsgebräuchen nachstehen sollen. Beide Rechtsquellen werden in der Regel nicht mit einander collidiren. Handelsgebräuche beziehen sich meist auf das specielle Detail der Geschäfte, während das Civilgesetzbuch mehr die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts repräsentirt. Soweit es sich also um die Anwendung allgemeiner Rechtsbegriffe in Bezug auf Sachenrechte, Forderungen u. s. w. handelt, sind dieselben auch in Handelssache aus dem Civilgesetzbuch zu entnehmen, soweit das Handelsgesetzbuch über den betreffenden Gegenständ keine Bestimmung enthält. Soweit aber mehr das thatsächliche Detail der Handelsgeschäfte in Frage steht, wird auf Handelsgebräuche zu recurriren sein. Sollte aber im einzelnen Fall zwischen einem Handelsgebrauch und einer Vorschrift des Civilrechts die Entscheidung zu treffen sein, so würde allerdings der Handelsgebrauch den Vorrang erhalten müssen. Denn der Handelsgebrauch ist, wie das Handelsgesetzbuch selbst, eine speciell für Handelssachen bestimmte Norm, welche nothwendig nach der allgemeinen Regel, dass Specialgesetze allgemeinen Gesetzen vorangehen, zu behandeln ist.
Das Wort Handelsgebranch ist übrigens in einem doppelten Sinne zu nehmen. Es umfasst sowohl eigentliche Rechtssätze, als auch die mehr thatsächliche Gestaltung von Geschäften des Handelsverkehres. Es ist z. B. ein Rechtssatz, dass der Commissionär berechtigt sein soll, auf Credit zu verkaufen. Es ist aber mehr eine thatsächliche Regel, dass unter dem Gewicht entweder das Brutto- oder das Nettogewicht zu verstehen sei, dass die Tara, einen fixen Satz ausmachen solle u. dgl. Beides fällt unter den Begriff des Handelsgebrauches. Zur Gültigkeit eines Gebrauches gehört aber eine gewisse langdauernde Hebung in allen vorkommenden, gleichartigen Fällen, und zwar mit dam Bewusstsein der Verpflichtung, so dass der freie Wille der Einzelnen dabei ausgeschlossen ist. Unter diesen Voraussetzungen kann der Gebrauch entweder ein allgemeiner, oder ein localer sein; dieser Unterschied bedingt nicht die Geltung, sondern nur den Geltungsbereich eines Gebrauches. Es versteht sich übrigens von selbst, dass Handelsgebräuche nicht unsittlich und unvernünftig sein dürfen und gegen positive Gebots- oder Verbotsgesetze nicht verstossen dürfen. Innerhalb dieser Schranken ist die obligatorische Kraft von Handelsgebräuchen zuzulassen, weil die Beobachtung möglichst gleichförmiger Regeln für den Handelsstand ein Bedürfniss ist, und beider Art, wie Handelsgeschäfte zu Stande kommen, in den meisten Fällen das, was der Brauch ist, beim Abschlüsse stillschweigend verstanden wird.
Handelsgebräuche müssen in allen Fällen nachweisbar sein, und daraus folgt im allgemeinen, dass derjenige, welcher sich auf einen Handelsgebrauch beruft, denselben auch beweisen muss. Ob die Erfordernisse eines gültigen Handelsgebraucbes vorhanden seien, muss in jedem einzelnen Falle vom Ermessen des Richters abhängen. Indessen sind hier gewisse Beschränkungen zu machen. Allgemeine Handelsgebräuche müssen als notorisch gelten, und bedürfen einerseits keines förmlichen Beweises, und werden andererseits vom Richter von Amtswegen berücksichtigt, gleich jeder anderen allgemeinen Rechtsnorm. Locale Gebräuche dagegen die sich auf besondere Oertlichkeiten oder auch auf specielle Waaren beschränken, bedürfen nicht nur des Beweises, sondern sie können auch gegen eine Partei, welche sie nicht kannte oder nicht hätte kennen müssen, nicht geltend gemacht werden.
Locale Gebräuche stehen häufig mit einander im Widerspruch, und wenn die Parteien verschiedenen Orten angehören, entsteht die Frage, welcher locale Gebrauch, der des Ortes wo der Kläger oder des Ortes wo der Beklagte wohnt, zur Anwendung kommen soll. Hierüber muss zunächst die allgemeine Regel entscheiden, dass immer die Specialregel der Generalregel vergeht. Abgesehen hievon, wenn es sich also um die Collision zweier gleichstehenden Specialgebräuche handelt, kommen auch hier die gewöhnlichen Grundsätze über die betreffs des Abschlusses und der Erfüllung von Rechtsgeschäften zwischen mehreren Orten bestehende Collision von Rechtssätzen zur Anwendung.
Die Verschiedenheit der localen Handelsgebräuche ist ohne Zweifel störend und der glatten und leichten Abwicklung der Handelsgeschäfte in hohem Grade schädlich. Um diesen Uebelständen abzuhelfen, hat die französische Regierung ein Gesetz vom 13. Juni 1866 erlassen, um die Handelsgebräuche des Landes möglichst einheitlich zu reguliren. Es sind in diesem Gesetze eine grosse Menge von Handelsgebräuchen zusammengestellt und einheitlich fixirt, sowohl für Handelskäufe im allgemeinen, als für einzelne Gattungen von Waaren. Die Wirkung des Gesetzes ist, dass bei allen Geschäften der im Gesetze fixirte Gebrauch gelten soll, soweit die Betheiligten nicht ein anderes ausdrücklich verabredet haben. Abweichende Localgebräuche sind dadurch beseitigt, resp. in einen Theil der vertragsmässigen Verabredung uragewandelt. Die Vortheile einer solchen Einheit der Handelsgebräuche sind nicht minder für den Auswärtigen, wie für den Binnenhandel eines Landes von der grössten Bedeutung. Dieses Beispiel dürfte daher mit der Zeit auch von der Regierung dieses Landes nachgeahmt werden.
Was nun die Japanischen Handelsgewohnheiten betrifft, so haben dieselben bisher in der Hauptsache das Japanische Handelsrecht überhaupt gebildet. Diese Handelsgewohnheiten werden durch das Handelsgesetzbuch aufgehoben, soweit sie diesem widersprechen, und neue können fernerhin sich nur bilden, soweit das Gesetzbuch sie zulässt. Daher müssen bisherige Handelsgewohnheiten in das Gesetzbuch aufgenommen werden, wenn sie auch fernerhin erhalten werden sollen. Ohne Zweifel ist die Gesetzgebung dieses Landes hiezu berechtigt, um speciell Japanischen Rechtsanschauungen, im Widerspruch mit fremden, den gebührenden Vorrang zu verleihen. Zweckmässig wird dies zu geschehen haben, wenn die Japanischen Handelsgewohnheiten übersichtlich gesammelt und bekannt sein werden und mit den Bestimmungen des gegenwärtigen Entwurfes sodann in genaue und geordnete Vergleichung gezogen werden können.
Bei der Anwendung des allgemeinen Civilrechts auf Handelssachen ist mit grosser Vorsicht zu verfahren. Wie einleitungsweise dargethan wurde, sind die Begriffe des Handelsrechts weit elastischer, als die des Civilrechts. Das Handelsrecht ertheilt z. B. in manchen Fällen die Rechte und Pflichten des Eigenthums, wenigstens in gewissen Grenzen, wo in Wirklichkeit kein volles Eigenthum, sondern nur ein dem Eigenthum practisch nahestehendes Interesse vorliegt, wie im Falle der Charter-partie. Die Grenzen des Besitzes, der Stellvertretung sind vielfach weiter oder anders gezogen, als Civilrecht. Bei manchen Geschäften ist es zweifelhaft, ob sie in die Kategorie des Darlehens, des Deposits oder anderer Verträge gehören. In allen solchen und ähnlichen Fällen darf man, auch wo das Handelsgesetzbuch keine Bestimmung trifft, nicht einfach die strengen und ungeschmeidigen Begriffe des Civilrechts auf Handelssachen anwenden. Es muss dies vielmehr stets im Geiste des Handelsrechts und gemäss den reellen Bedürfnissen des Handels geschehen, um der Freiheit und Beweglichkeit des Handelsbetriebes nicht Gewalt anzuthun.