Art. 644. Die Bestimmung dieses Artikels beruht auf der Erwägung, dass der allgemeine Gegenstand des Credits Geld ist und dass mithin die Vermuthung dafür spricht, dass der Creditnehmer Geld erhalten und wieder zurückgeben soll. Denn das Geld gewährt ihm die freieste Verfügung und Geld kann unter allen Umständen zurückerstattet werden, während die Rückerstattung gleicher Waaren etc. theils nicht immer möglich sein wird, theils nur unter Umständen, die sich nicht bestimmt voraussehen lassen. Die Verpflichtung der Rückerstattung gleicher Waaren kann für den Schuldner leicht bedrückend werden, und es liegt darin ohne Zweifel ein gewisser Wucher, wenn insbesondere der Werth der betreffenden Sachen starken Schwankungen ausgesetzt ist, und der Schuldner die Sache später weit höher kaufen muss, als er sie erhielt. Will der Schuldner sich der Verpflichtung der Rückerstattung in gleicher Waare unterwerfen, so soll ihm dies nicht verwehrt sein; allein es muss dies ausdrücklich geschehen, damit der Schuldner mit Vorbedacht und Bewusstsein handele.
In den bisherigen Gesetzgebungen ist diese Bestimmung nicht so unbeschränkt getroffen, allein sie scheint durch die immer weiter gehende Entwicklung der Geldwirthschaft geboten. Im Spanischen H. G. B. Art. 393 ist sie ganz allgemein nur für die Zinsen getroffen, die in allen Fällen in Geld zu entrichten sind. Im Französ. Code civ. Art. 1903 kann der Schuldner das Darlehen in Geld zurückzahlen, wenn er nicht die gleiche Waare zurückzugeben im Stande ist. Der Effect dieser Bestimmung ist, dass der Schuldner nur berechtigt, nicht verpflichtet sein soll, die gleiche Waare zurückzuerstatten. Dies scheint eine Unbilligkeit, da sie ungleiches Recht für den Gläubiger und Schuldner bewirkt; ein solches einseitiges Privilegium des Schuldners lässt sich durch die Rücksicht eines Schutzes gegen Wucher nicht rechtfertigen. Der Schuldner wird in den allermeisten Fällen erst verkaufen müssen, um in den Genuss des Darlehens zu gelangen. Er bekommt hienach reell meist nur eine gewisse Geldsumme, und zu deren Rückerstattung ist er natürlicher Weise verpflichtet. Es können allerdings auch Fälle vorkommen, dass Jemand eine Waare zum unmittelbaren Gebrauch übernimmt, z. B. ein Landmann Getreide oder Reis zu Saat- oder Futter zu Fütterungszwecken. Diese Fälle werden aber selten sein, und auch hier wird der Landmann meist besser daran sein, wenn er seine ganze Ernte unbeschränkt verkaufen kann und aus dem Erlös seine Schuld heimzahlt.
Unter Waaren sind fungible Sachen zu verstehen, die zum Gebrauch dienen; unter anderen Werthgegenständen theils fungible Sachen, die nicht zum Gebrauch dienen; wie z. B. Werthpapiere, theils specielle Sachen. Daher muss unterschieden werden:
1) erhielt der Schuldner fungible Sachen, so ist deren Geldwerth zurückzugeben, wenn nicht Restitution in Natur bedungen wurde;
2) erhielt er eine specielle Sache, so ist immer nur deren Geldwerth geschuldet, die Rückgabe in Natur kann nie bedungen werden.
Es kann im ersten Falle auch bedungen werden, dass der Geldwerth zur Zeit der Rückgabe zu erstatten sei. Da dieser sich nicht voraussehen lässt, so ist das Risiko auf beiden Seiten gleich; die Uebernahme dieses Risikos ist aber nicht zu vermuthen, daher ist die Regel die, dass der Geldwerth zur Zeit des Empfanges massgebend sein soll.
Ein Darlehen im zweiten Falle ist allerdings von einem Kaufe nicht viel verschieden. Der Schuldner erhält eine Sache und hat dafür deren Preis zu entrichten. Allein factisch wird ein Unterschied darin liegen, dass hier der Schuldner den Preis viel später zu zahlen hat, während der Preis beim Kaufe gewöhnlich sofort oder in kurzer Frist gezahlt werden muss, auch kann das Rückforderungsrecht des Gläubigers mehr oder minder beschränkt sein.