Art. 641. Das Darlehen ist die einfachste und ursprüngliche Eorm des Creditgebens. Es besteht eben nur darin, dass der Gläubiger dem Schuldner eine Geldsumme oder irgend eine andere Gütermenge z. B. Getreide, Wein, Reis etc. übergibt, damit dieser sie als Eigenthümer frei für seine Zwecke gebrauchen kann. Der Schuldner übernimmt seinerseits die Verpflichtung, das Empfangene wieder an den Gläubiger zurückzugeben, und meistens, für den Gebrauch in der Zwischenzeit einen Zins zu entrichten. Der Entwurf bestimmt nun, um dem Creditverkehr des practischen Lebens keinen Zwang anzuthun, dass dieser einfache Hergang nicht ausschliesslich ein Darlehen hervorbringt, sondern es kann dasselbe auch in der manichfaltigsten Weise mittelbar hervorgebracht werden. Entweder auf Seiten des Gläubigers, indem ein anderer als dieser den Darlehensgegenstand gibt, oder auf Seiten des Schuldners, indem derselbe an einen anderen als den Schuldner gegeben wird, jedoch in allen Fällen auf den Namen und auf Rechnung des Gläubigers und bez. des Schuldners. Z. B. es kann der Schuldner des Gläubigers die Darlehenssumme auszahlen, oder ein dritter, dessen Schuldner hierdurch der Gläubiger erst wird, ein Bankier u. s. f. Ia es kann vorkommen, dass der Schuldner selbst das Geld bereits hat und es gewissermassen an sich selbst auszahlt, indem er nunmehr Darlehensschuldner des Gläubigers wird, z. B. es wird ein schuldiger Kaufpreis, oder ein schuldiger Frachtpreis etc. in ein Darlehen verwandelt.
Der Entwurf spricht nur vom Geben des Darlehens, da sich in diesem Acte der wesentliche Inhalt des Creditgebens erschöpft. Dass das Darlehen auf Grund eines Contracts gegeben wird, der nur zwischen Gläubiger und Schuldner geschlossen werden kann, also immer auf deren Namen, gleichviel durch wen und an wen das Geld gegeben wird, versteht sich von selbst. In dieser Beziehung kommen nur die allgemeinen Regeln über Vertragsschliessung zur Anwendung, insbesondere auch über die Nothwendigkeit der schriftlichen Form, über Vertragsschliessung zu Gunsten eines Dritten (Art. 350) u. s. f.
In der Theorie wird darüber gestritten, ob das Darlehen ein sog. Real- oder Consensualcontract sei, d. h. ob es nur durch Hingabe der Sache, oder schon durch die blosse Willenseinigung der Parteien abgeschlossen werden könne. Obwohl diese Controverse practisch nicht von grosser Bedeutung ist, muss man sich doch gemäss der heutigen Gestaltung der Contractverhältnisse der letzteren Meinung zuneigen, wesshalb hinsichtlich der Erfordernisse eines gültigen Abschlusses ganz und gar die Bestimmungen des Titels VII zu beobachten sind. Ist die Einigung erzielt und in gesetzlicher Form geäussert, so kann auf die Auszahlung des Darlehens ebenso geklagt werden, wie vom Käufer auf Herausgabe der gekauften Sache. Der Rechtsgrund für die Gültigkeit des Vertrages liegt in der Gegenleistung oder Rückleistung, zu welcher der Schuldner verpflichtet ist. Diese Auffassung ist wichtig für öffentliche Anlehen, welche meist auf dem Wege der Subscription durch das Publicum oder eines Emissionsvertrages mit Bankfirmen abgeschlossen werden. Hier ist der Vertrag perfect im Zeitpunkt der Subscription oder der Einigung über die Emissionsbedingungen, und die Entrichtung der subscribirten oder sonst bedungenen Beträge kann demnach erzwungen werden. Von dem Creditversprechen unterscheidet sich der Darlehensvertrag dadurch, dass durch ihn unmittelbar ein Creditgeschäft vollzogen wird, während ersteres nur zur Vorbereitung eines künftigen Creditgeschäftes dient.
Ausserdem ist zu erwähnen, dass ein Darlehen nicht nur persönlich, sondern auch durch Mittelspersonen, Agenten, Commissionäre etc. abgeschlossen werden kann. In diesen Fällen sind nur die allgemeinen Regeln, welche hiefür gelten, anzuwenden. Ein Commissionär wird das Darlehen im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Committenten abschliessen, und das Empfangene dem letzteren herauszugeben haben. An sich würde nur der Commissionär Schuldner oder Gläubiger des dritten, während die Verpflichtungen zwischen Commissionär und Committent nach den Regeln des Mandats zu beurtheilen wären. Jedoch wird nach Art. 646 von dieser einfachen Gestalt der Dinge eine Abweichung eintreten, sobald Darlehen mittelst umlaufsfähiger Papiere geschlossen werden, was besonders bei den öffentlichen Anlehen die Regel ist.