Art. 12. Nach Art. 10. muss derjenige, welcher Handel treiben will, selbständig sein. Darunter ist die civilrechtliche Selbständigkeit gemeint, welche in der Hauptsache drei verschiedene Momente begreift: 1, Rechtsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit in seiner Person eigene Rechte, namentlich ein eigenes Vermögen zu besitzen; 2, Handlungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit mit voller Rechtswirkung juristische Handlungen vorzunehmen, insbesondere über sein Vermögen frei zu verfügen und rechtliche Verpflichtungen auf sich zu nehmen; 3, die freie Verfügung über die eigene Person, so dass man einem Anderen nicht zu Gehorsam, zur Leistung persönlicher Dienste und zur Aufenthaltsfolge verpflichtet ist. Diese Unselbständigkeit ist regelmässig eine Folge entweder jugendlichen Alters oder des weiblichen Geschlechts, insbesondere gegenüber Eltern und Ehemännern. Im altrömischen Rechte war sie geradezu völlige Rechtlosigkeit, ja ein förmliches Eigenthum des Vaters an den Personen der Ehefrau und der Kinder, doch hat sie sich schon im Alterthum bedeutend abgeschwächt. In dem neueren Recht ist für diese Unselbständigkeit wesentlich der Gesichtspunkt einer blossen Vormundschaft hervorgetreten, also eine Einrichtung des Schutzes für schwächere Personen in den Verwicklungen und Schwierigkeiten des Vermögensverkehres. Wo dieser Schutz nicht nöthig erscheint, fällt er im Rechte weg und der Schützling oder Pflegling kommt zur vollen Selbständigkeit. Dies tritt regelmässig ein mit der Erreichung der Mündigkeit, Voll-oder Grossjährigkeit, majorite, welche jetzt regelmässig mit dem 21. Lebensjahr erlangt, jedoch in manchen Ländern bis zum 25. oder 24. Lebensjahr erstreckt wird. Das neuere, namentlich deutsche Recht, kennt jedoch auch, neben dieser allgemeinen Mündigkeit, noch eine specielle Mündigkeit für gewisse Zwecke oder Geschäfte des Lebens, so eine Ehe-, Religions-, Testivmündigkeit; und im modernen Handelsrecht ist dazu auch eine besondere Handelsmündigkeit geschaffen worden, und man kann es als ein Axiom betrachten, dass der Handel mündig macht, und im Handel diejenigen Beschränkungen der Rechtsfähigkeit einerseits, und Privilegien andererseits, welche im Civilrecht seit alter Zeit eingeführt sind, nicht wohl erträglich sind und mit der vorhin erörterten Natur der Handelsgewerbe im Widerspruch stehen dürfen.
In England und den Vereinigten Staaten gilt für Handelssachen einfach die Regel des Civilrechts, dass die Verträge Minderjähriger von diesen, und zwar nur von diesen, nicht auch von der anderen Partei, angefochten werden können, wenn sie ihnen zum Nachtheil gereichen. Gewisse Handlungen, wie z. B. die Ausstellung eines Wechsels und andere besonders verantwortliche Geschäfte, sollen sogar in allen Fällen ohne weiteres ungültig sein, wenn dem Minderjährigen kein betrügerisches Verschulden zur Last fällt. Dies passt aber nicht in die Bedürfnisse des Handelsverkehrs und schliesst practisch die Minderjährigen vom seltständigen Handelsbetrieb aus. Auf der anderen Seite dürften die complicirten und streng formalen Bestimmungen des französischen Codes, welche mehr oder minder in die meisten übrigen Gesetzbücher übergegangen sind, mit den Japanischen Rechtsgewohnheiten wenig im Einklang sein.
Der Entwurf hat daher einen Mittelweg eingeschlagen, und die Fähigkeit der Minderjährigen zum selbständigen Handelsbetrieb von wenigen und einfachen Bedingungen abhängig gemacht. Diese Bedingungen sind: 1, die Erreichung eines gewissen reiferen Alters, wofür nach dem Vorgang der älteren Gesetze das 18. Lebersjahr festgesetzt wurde; und 2, die Begründung eines selbständigen Nahrungsstandes, weil hiedurch der thatsächliche Beweis gegeben ist, dass die Fähigkeit zur selbständigen Geschäftsführung auch wirklich erlangt wurde. Hiezu ist aber die Zustimmung des Vaters oder Vormunds erforderlich, weil Kinder gegen den Willen derselben sich nicht selbständig machen können, solange sie hiezu nicht durch allgemeine Rechtsgrundsätze ermächtigt sind. Eine formelle Emancipation und Autorisation unter gerichtlicher Mitwirkung erscheint für Japanische Verhältnisse nicht angemessen. In diesem Lande ist es üblich, dass Kinder von Jugend auf in dem elterlichen Gewerbe mitthätig sind, was die Erlangung der erforderlichen Kenntnisse und Erfahrung frühzeitig befördert; andererseits bringt es die Innigkeit und Stärke der Familienbeziehungen mit sich, dass die Acte der Selbständigmachung möglichst wenig formell behandelt werden.
Das Alter und die Führung eines eigenen Nahrungsstandes sind leicht nachzuweisen, und zum Theil von selbst ersichtlich. Die Zustimmung des Vaters oder—bei solchen, die ihren Vater verloren haben—des Vormunds braucht nur eine thatsächliche zu sein und erfordert keinen besonderen formellen Act. Es ist jedoch wünschenswerth, dass diese Zustimmung von vorneherein unzweideutig ist und von Jedermann leicht ermittelt werden kann. Aus diesen Gründen empfiehlt sich die Registrirung im Handelsregister auf Grund einer von den Betheiligten unterzeichneten schriftlichen Erklärung.
Wenn Minderjährige auf diese Weise die Befähigung zum selbständigen Handelsbetrieb, sowohl für den Abschluss einzelner Geschäfte wie zum Betrieb eines Gewerbes, erlangt haben, müssen sie in jeder Beziehung den Grossjährigen gleichstehen. Die Natur der Handelsoperationen duldet keine rechtliche Ungleichheit der Personen, die sich damit beschäftigen. Dies erfordert das Bedürfniss der Minderjährigen selbst, damit sie in den freien Geschäftsbewegung und in ihrem Credit nicht gehemmt und beschränkt werden; aber auch das Interesse dritter Personen, die mit ihnen sich in Geschäfte einlassen. Daher müssen für solche Mindejährige alle Rechte und Pflichten der Handeltreibenden überhaupt gelten, sie dürfen sich aber auch andererseits auf die dem jugendlichen Alter eingeräumten Rechtswohlthaten, insbesondere das Rechtder Wiedereinsetzungin den vorigen Stand, nicht mehr berufen.
Der Standpunkt der Rechtsgleichheit solcher Minderjährigen mit den Grossjährigen ist auch in den übrigen Gesetzbüchern als Regel angenommen. Nur hat das französische Code die Beschränkungen des Code civil hinsichtlich des Verkaufs von Immobilien beibehalten. Diese Beschränkungen bestehen in der Zustimmung des Familienrathes, in dem Erforderniss einer absoluten Nothwendigkeit oder eines offenbaren Nutzens, und in der Vorschrift der gerichtlichen Versteigerung an den Meistbietenden. Ist aber den Minderjährigen das Recht der freien Hypothecirung zugestanden, was in vielen Fällen Zwangsverkauf zur Folge haben wird; so ist die Beschränkung des freiwilligen Verkaufes daneben nur noch von geringem Belange; und der Handeltreibende wird dadurch nur unnöthig gehemmt und gestört. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass Minderjährige ihr unbewegliches Vermögen leicht verlieren können. Allein die Sicherheit hiegegen muss viel mehr in der Tüchtigkeit und Besonnenheit jeder Einzelnen liegen, als in erschwerenden Rechtsformalitäten. Väter und Vormünder, welche ihren Pflegbefohlenen die erforderlichen persönlichen Eigenschaften nicht zutrauen, können ihren selbständigen Handelsbetrieb von vorneherein dadurch verhindern, dass sie ihnen die vom Gesetze verordnete Zustimmung versagen.