Art. 712. Wenn der Versicherungswerth in der Police angegeben ist (Art. 692), so ist dieser Werth für beide Theile bindend und kann später nur wegen Betrugs angefochten werden. Ist dieser Werth aber in der Police nicht angegeben, so muss er vom Versicherten später bewiesen werden, und es wird demgemäss bestimmt, dass er sich hiefür aller sonst zulässigen Beweismittel bedienen kann, also namentlich auch Zeugen, Eid, Vermuthungen etc.
Ein anderer Punkt ist die Höhe des wirklich eingetretenen Schadens. Ist der Gegenstand, wie z. B. ein Haus, offen vorliegend, und total verloren, so wird darüber nicht viel Beweis verlangt werden können; die Höhe des Schadens ergibt sich hier von selbst durch den Augenschein. Allein es verhält sich anders, wenn der Gegenstand nur theilweise verloren ist, oder aus mehreren verschiedenen Sachen besteht, wie z. B. Mobiliar, Ladenvorräthe u. dgl. Hier kann es sich fragen, welche Sachen zur Zeit des Unfalls noch vorhanden gewesen, wie viele davon verloren seien, oder in welchem Umfange etwa einzelne Sachen beschädigt seien. Es liegt dem Versicherten ob, diesen Beweis zu führen, und auch in dieser Beziehung soll er in der Benützung aller sonst zulässigen Beweismittel nicht beschränkt sein. Uebrigens kann man, nach allgemeiner Uebereinstimmung, obwohl die Versicherungsgesellschaften oft möglichst weit die Beweislast des Versicherten auszudehnen suchen, von diesem nur einen den jeweiligen Umständen angemessenen Beweis fordern; vielmehr ist eine auch nur annähernde Beweisführung genügend, wenn keine. Verdachtsgründe gegen den Versicherten vorliegen. Auch muss diesem das Princip zu Nutze kommen, dass Veränderungen nicht vermuthet werden, und dass die in der Police enthaltenen Angaben als richtig anzunehmen sind, bis etwa Betrug bewiesen wird. Wenn man zwischen der Wahl steht, dem Versicherten etwa einige Bereicherung zu gestatten, oder ihm den wirklichen Schadensersatz auf blosse Vermuthungen oder Möglichkeiten hin zu verkürzen, wird sich ein billiger Richter wohl immer für das erstere entscheiden.
Gesetzt z. B. es wären in der Police 6 Betten versichert worden, und nach einem Brande fänden sich nur noch 3 vor; hier wäre anzunehmen, dass 3 Betten verbrannt und folglich von dem Versicherer zu ersetzen sind. Ein besonderer Beweis hiefür könnte dem Versicherten hier nur auferlegt werden, wenn etwa fest stünde, dass der Brand die Schlafzimmer gar nicht ergriffen habe, oder wenn die Umstände vermuthen liessen, dass 3 Betten bereits vorher einmal von dem Versicherten verkauft und nicht wieder nachgeschafft werden. In dieser Weise ist mithin nach den Umständen die etwaige Beweislast des Versicherten zu bestimmen und das vorhandene Beweismaterial zu prüfen.
Ein dritter Punkt betrifft die Abschätzung des Schadensbetrages, d. h. der Summe, welche auf Grund der vorangehenden Ermittlungen an den Versicherten auszuzahlen ist. Diese Schätzung hat zum Gegenstand den wirklichen Werthverlust, welchen der Versicherte durch den Eintritt des Unfalls erlitten hat. Auch dieser Punkt bedarf in manchen Fällen keiner weiteren Untersuchung, z. B. wenn der Versicherungswerth vorher bestimmt wurde und der Gegenstand total zu Grunde ging, oder wenn bei theilweisem Verlust über das Werthverhältniss kein Zweifel sein kann, wie z. B. wenn 6 gleiche Betten versichert wurden und 3 davon zu ersetzen sind. Allein in anderen Fällen können die Umstände derart sein, dass der Schaden durch Berechnung und Abschätzung besonders ermittelt werden muss. Z. B. es ist von einem Hause nur das Dach, oder eine Seitenwand etc. zerstört; von einem Waarenlager sind nur gewisse Säcke oder Kisten beschädigt u. s. w. In diesen Fällen muss der Schaden durch Sachverständige geschätzt werden, wenn die Partei sich nicht einigen können, und es geschieht dies am zweckmässigsten durch einen vom Gericht ernannten Sachverständigen.
Bei sehr werthvollen Versicherungsobjecten liegt es im Interesse beider Theile, es nicht auf die zufälligen Chancen späteren Beweises ankommen zu lassen, sondern im voraus die Sachen und deren Werth im einzelnen zu constatiren. Dies wird häufig in den Versicherungsbedingungen zur Pflicht gemacht, und der Versicherte muss dieselben erfüllen; z. B. durch Uebergabe eines speciellen Verzeichnisses oder einer speciellen Werthdeclaration, oder durch laufende Buchführung über die jeweiligen Bestände eines grossen Seidenlagers etc.